Corporate Justice aus der Sicht der Wirtschaftsethik

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Corporate Justice aus der Sicht der Wirtschaftsethik
Abschrift der Rede von Prof. Florian Wettstein,
Direktor des Institut für Wirtschaftsethik der Hochschule St. Gallen

Ich möchte mein Referat mit einer Bemerkung beginnen, die das eher marktliberale, konservative
englische Magazin „The Economist“ im Jahr 2005 machte. Es schrieb damals, die Corporate Social
Responsibility (CSR) habe den Kampf der Ideen gewonnen, habe sich durchgesetzt und das sei
bedauerlich.
Ich werde für einmal darauf verzichten, Ihnen zu erklären, warum das nicht bedauerlich ist. Nehmen wir es
einfach einmal als bare Münze, dass sich CSR durchgesetzt habe. Wenn dies aber tatsächlich so ist,
dann ist es doch einigermassen erstaunlich, dass Menschenrechte für Unternehmen bis vor kurzem bloss
eine untergeordnete, marginale Rolle gespielt haben. Zumindest bis 2008, als der UN Special
Representative for Business and Human Rights, John Ruggie sein Framework veröffentlichte.
So listet beispielsweise das Business and Human Rights Ressource Centre –die Informationsplattform zu
dieser Thematik – derzeit lediglich 294 Unternehmen, die über ein offizielles Human Rights Policy
Statement verfügen. Wenn wir diese Zahl mit den Hunderttausenden von Unternehmen vergleichen, die
es weltweit gibt, ist das doch eher bescheiden. Das Ressource Centre selbst beobachtet regelmässig
etwa 5‘000 Unternehmen – auch verglichen mit dieser Zahl sind die knapp 300 Unternehmen, die sich
explizit auf Menschenrechte beziehen, marginal. Die Menschenrechte haben sich in den Unternehmen
offensichtlich nicht in der Art durchgesetzt, wie dies der „The Economist“ 2005 in bezug auf CSR
behauptete. Warum eigentlich?
Ein Erklärungsansatz findet sich in der herkömmlichen Definition von CSR. Diese wird gemeinhin als
soziale Verantwortung ‚jenseits des Rechts’ betrachtet. Und weil sie ‚jenseits des Rechts‘ liegt, wird sie oft
als rein freiwillig verstanden. Es gibt also keinen Zwang zu CSR, es handelt sich um eine freiwillige
Unternehmensverantwortung. In dieser Logik steckt aber ein Problem.
Betrachten wir diese zwei Teile der Definition - den rechtlichen Bereich und den Bereich ‚jenseits des
Rechts’ - etwas genauer. Im rechtlichen Bereich stellen wir fest, dass Menschenrechte nicht zum
Unternehmensrecht gehören. Zumindest aus dem internationalen Recht lassen sich keine direkten
Menschenrechtsverpflichtungen für Unternehmen ableiten. Da Unternehmen keine internationale
Rechtspersönlichkeit besitzen, sind sie nicht in direkter Weise durch das internationale Recht verpflichtet.
Für sie lassen sich deshalb bestenfalls indirekte Menschenrechtsverpflichtungen ableiten. Nämlich dann,
wenn Staaten den Unternehmen über nationale Regulierungen Verpflichtungen auferlegen. Wenn solche
nationalen Gesetze fehlen, mangelt es auch an indirekten Verpflichtungen.
Im zweiten Bereich, d.h. der Verantwortung ‚jenseits des Rechts‘, stossen wir wie vorher erwähnt auf das
Problem der Freiwilligkeit. 2006 definierte die Europäische Kommission CSR als fundamentally voluntary
business behaviour (kürzlich hat sie eine neue Definition publiziert, die von der alten glücklicherweise
etwas abweicht). Fundamental freiwillig bedeutet: Keine Unternehmung muss, wenn sie nicht will.
Menschenrechte passen nicht in eine derartige Vorstellung, denn Rechte korrelieren mit Pflichten, und
Pflichten sind per Definition nicht freiwillig. Menschenrechte kommen deshalb auch ausserhalb dieses
herkömmlichen CSR-Diskurses zu liegen. Zusammenfassend werden sie also weder vom
Unternehmensrecht noch vom CSR-Diskurs erfasst. Sie liegen gewissermassen in einem toten Winkel der
Unternehmensverantwortung.

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Wir haben also auf der einen Seite einen Menschenrechtsdiskurs, der sehr stark auf Staaten fokussiert ist
und bis vor kurzem Unternehmen aussen vor gelassen hat. Auf der andern Seite haben wir einen CSR-
Diskurs, der sich zwar auf Unternehmen fokussiert, nicht aber auf die Menschenrechte, weil sie
ausserhalb des freiwilligen Bereichs liegen. Deshalb hat sich bis vor kurzem niemand ernsthaft mit der
Menschenrechtsverantwortung von Unternehmen befasst. Trotzdem lag es natürlich auf der Hand, sich
Gedanken machen, wie man die Menschenrechte in den CSR-Diskurs integrieren kann. Denn dass es in
diesem Bereich Probleme gibt und man diese thematisieren muss, war allen klar.

Easy Way Out und Easy Way In
Ich sehe zwei Ansätze, die in der Vergangenheit dominierten: Ich nenne sie den Easy Way Out und den
Easy Way In. Der Easy Way Out bedeutet, dass man von Pflichten absieht und auf ökonomische Anreize
oder Imperative setzt. So muss man sich weder auf die Moral noch auf die Ethik berufen: Es wird also
davon ausgegangen, dass es im Interesse des Unternehmens selbst liegt, bei den Menschenrechten
keine Übertretungen zuzulassen, weil dies zu Reputationsschäden etc. führen kann. Ein aufgeklärtes
Unternehmen würde sich aus dieser Sicht deshalb freiwillig zu Menschenrechten bekennen. Der Markt
selbst wird so also zur moralischen Instanz emporstilisiert: Es braucht weder Ethik noch Moral, weil der
Markt das übernimmt. Leider kommt in einem solchen Ansatz aber vor allem Wunschdenken zum
Ausdruck: Die Realität sieht anders aus. Natürlich kann sich der Respekt der Menschenrechte für einige
Unternehmen durchaus rechnen, aber dies ist stark kontext- und situationsabhängig. Es muss nicht immer
so sein. Wir kennen genügend Beispiele, wo Unternehmen viel verdienten, auch wenn (oder gerade weil)
sie Menschenrechte verletzten. Wenn diese Unternehmen auch in Zukunft keinen öffentlichen Druck
spüren, um etwas zu ändern, werden sie dies auch kaum tun.
Der zweite Ansatz, der Easy Way In, setzt auf die erwähnte Freiwilligkeit. Man versucht, die den
Menschenrechten immanenten Pflichten mit dem Prinzip der Freiwilligkeit in der CSR-Definition zu
vereinen. Das ist der Ansatz, den Selbstverpflichtungsinstrumente wie der Global Compact enthalten: Mit
einer Unterschrift – heute braucht es vielleicht noch etwas mehr – ist man dabei und braucht nur relativ
weiche Kriterien zu erfüllen, um dabei zu bleiben. Man bekennt sich freiwillig zu gewissen
Menschenrechtsprinzipien. Das ist sicher besser, als nur auf den Markt zu hoffen. Aber es ist noch immer
lückenhaft. Der Global Compact zählt heute knapp über 9‘000 Mitgliedinstitutionen, davon etwa 7‘000
Unternehmen. Verglichen mit den achtzig-, neunzig-, hunderttausend multinationalen Unternehmen
weltweit ist das noch immer sehr wenig. Das Problem dieser Instrumente liegt darin, dass es keine
Durchsetzungsmechanismen gibt, oder wenn, dann nur ganz weiche.
Zwischen 1998 und 2003 gab es noch einen dritten Ansatz. Er fusste auf der Idee, einen globalen
verbindlichen Rechtsrahmen für Menschenrechtsverpflichtungen von Unternehmen zu konzipieren und
durchzusetzen. Daran arbeitete die UN Sub-Commission on the Promotion and Protection of Human
Rights, eine Unterkommission der damaligen Uno-Menschenrechtskommission, des heutigen
Menschenrechtsrates. Die Idee war, über den freiwilligen Rahmen, über die Unterschrift einer Firma
hinauszugehen und alle Unternehmen verbindlich anzuhalten, die Menschenrechte tatsächlich zu
respektieren. Die Normen, die die Sub-Kommission erarbeitete, gingen weit über die negative Pflicht,
Menschenrechte zu respektieren, hinaus und sie sind 2003 vermutlich genau daran gescheitert.
Fairerweise muss man festhalten, dass sich nicht nur der Privatsektor dagegen stemmte, es gab auch
seitens von NGO, Regierungen und aus der Akademie Vorbehalte. Die Uno-Menschenrechtskommission
wies sie schliesslich zurück mit dem Argument, sie hätte die Erarbeitung der Normen nie in Auftrag
gegeben und deshalb hätten sie auch keine Verbindlichkeit.

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Trotz des Scherbenhaufens war die fünf Jahre dauernde Übung nicht völlig unnütz. Sie machte den Weg
frei für die Arbeit des UN Special Representative for Business and Human Rights, John Ruggie. Die
Kontroverse, die um die Normen entstanden war, zeigte den dringenden Handlungsbedarf in diesem
Bereich auf. Es war deshalb klar, dass auf die Ablehnung der Normen etwas folgen musste. John Ruggie
erhielt den Auftrag, die offenen Fragen und Themen gründlich aufzuarbeiten.

Das Framework von Ruggie
Ruggies Mandat lief von 2005 bis zum Sommer 2011. 2008 veröffentlichte er das ‚Protect, Respect and
Remedy‘-Framework. Es ist das Grundgerüst seines Ansatzes und heute der focal point in der Debatte
über Wirtschaft und Menschenrechte. Wichtig ist insbesondere die Aufteilung zwischen Verantwortung
und Verpflichtung, die er zwischen Staaten und Unternehmen vornimmt. Unternehmen haben gemäss
Ruggie lediglich eine Verantwortung, Menschenrechte zu respektieren. Genauer gesagt, die negative
Verantwortung, sie nicht zu verletzen. Alles, was darüber hinausgeht, gehört in den Pflichtenbereich der
Staaten bzw. Regierungen. Im Juni 2011 verabschiedete der Uno-Menschenrechtsrat die sogenannten
Guiding Principles, die Ruggies Framework in konkrete Normen für Staaten und Unternehmen
herunterbrechen.
Ruggies Leistung besteht darin, dass er die Ansicht im Menschenrechtsdiskurs etabliert hat, dass auch
Unternehmen tatsächlich direkte Pflichten haben, die sich von den Menschenrechten ableiten lassen.
Dieser Sichtweise wird heute viel stärker Rechnung getragen als früher. Gewiss, auch Ruggie weist die
Hauptverantwortung noch immer dem Staat zu: Dieser muss seine Bürger und Bürgerinnen vor
Übergriffen, auch von Unternehmen, schützen. Wenn Unternehmen Menschenrechte verletzen, so die
traditionelle Sicht, ist das primär das Problem des Staates, weil er seine Schutzpflicht missachtet. Ruggie
geht aber einen Schritt weiter: Es ist auch das Problem der Unternehmen, wenn sie Menschenrechte nicht
respektieren.
Hat Ruggie Recht? Haben Unternehmen tatsächlich eine Pflicht, Menschenrechte zu respektieren? Aus
moralischer Sicht (in Ruggies Arbeiten sind Moral und Ethik fast komplett abwesend) ist die Antwort trivial:
Unternehmen haben absolut die Pflicht, Menschenrechte nicht zu verletzen Es braucht dafür keinen
Ethiker, der Ihnen das erklären muss. Denn bei Menschenrechten handelt es sich um die fundamentalsten
moralischen Ansprüche. Es sind Ansprüche, die sich direkt aus der Würde und der Autonomie der
Menschen ableiten lassen. Sie gehen alle etwas an, ob Staaten, Unternehmen oder Individuen. Alle
haben die Pflicht, sie nicht zu verletzen, im Sinne des ‚Do no harm‘-Prinzips.
Die eigentliche moralische Frage liegt deshalb eher darin, wie weit die Pflichten derUnternehmen über das
‚Do no harm‘ hinausreichen. Haben sie zusätzlich die Pflicht, Menschenrechte zu fördern, zu ihrer
Realisierung beizutragen? Ruggie geht in seinem Framework kaum darauf ein, er hat sich auf die aus
ethischer Sicht triviale Frage beschränkt, ob sie eine Pflicht haben, Menschenrechte nicht zu verletzen.
Man könnte bei der Begründung dieser Verantwortung auch an der Macht der Unternehmen ansetzen.
Wir haben heute Morgen eindrückliche Beispiele gehört, wie mächtig Unternehmen sind, insbesondere
gegenüber lokalen Behörden und Bevölkerungen in Entwicklungsländern. Deshalb wage ich zu
behaupten: Würde die Menschenrechtsdeklaration heute geschrieben, würden Unternehmen in
irgendeiner Form darin erwähnt, denn die heutigen Machtverhältnisse entsprechen nicht mehr jenen von
1948.

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Schliesslich gibt es eine logische Begründung. Wenn wir davon ausgehen, dass der Staat tatsächlich die
Pflicht hat, Menschenrechte auch vor Übergriffen durch Unternehmen zu schützen, dann folgt daraus,
dass auch Unternehmen die Pflicht haben, sie zu respektieren. Denn sonst liesse sich diese (staatliche)
Durchsetzungspflicht gegenüber den Unternehmen nicht legitim vertreten. Vor der Pflicht des Staates, vor
Übergriffen zu schützen, kommt die (moralische) Pflicht der Unternehmen, Menschenrechte zu
respektieren.

Rechtliche Implikationen
Betrachten wir noch kurz die rechtlichen Implikationen des Ruggie Frameworks und seiner Guiding
Principles. Es resultieren daraus keine Implikationen auf das internationale Recht; auf internationaler
Ebene lässt sich nichts rechtlich Handfestes daraus ableiten. Es gibt gewisse Diskurse, die das
versuchen, aber Ruggies Idee war es sicher nicht, das lässt sich auch aus seiner Biographie ableiten. Als
Ruggie zum Special Representative ernannt wurde, war klar, dass auf rechtlicher Ebene nicht viel
passieren würde. Er war der Master Mind des Global Compact der Uno, der auf Freiwilligkeit basiert und
auch seine weiteren Arbeiten stellen den Staat als zentrales Pflichtensubjekt in den Vordergrund.
Zumindest kurz- und mittelfristig, so denke ich, wird Ruggies Framework der Idee eines globalen
Rechtsrahmens eher hinderlich sein. Langfristig gesehen mag es gewisse Dinge vereinfachen, da
zumindest aus moralischer Sicht eine Pflicht für Unternehmen etabliert ist. Aber kurz- und mittelfristig bin
ich eher pessimistisch. Deshalb verschiebt sich der Rechtsdiskurs auf die nationalstaatliche Ebene: Wenn
wir rechtliche Instrumente wollen, dann sind heute die Staaten gefordert. Das ist durchaus im Sinne von
Ruggie, der die primäre Pflicht beim Staat sieht. Und da passt auch die Kampagne ‚Recht ohne Grenzen‘
hinein.
Es gibt bereits vergleichbare Instrumente in anderen Ländern, etwa den Alien Tort Claims Act in den USA.
Im Kern geht es dabei um das Problem der Extraterritorialität: Dass staatliche Rechtsinstrumente über das
Staatsterritorium hinaus greifen. Darin liegt meiner Ansicht nach auch das grosse Problem, das so zu
konzipieren, dass es auch greift. In den USA gab es eine ganze Menge von Fällen und Anklagen, aber
nur eine Handvoll brachte es zu Gerichtsverhandlungen, und alle wurden aussergerichtlich beigelegt. Ich
bin kein Jurist, aber es scheint ausserordentlich schwierig, einen Fall hieb- und stichfest zu etablieren. In
der Schweiz dürfte das nicht anders sein. Deshalb ist ein globales Rahmenwerk eigentlich unumgänglich,
wenn wir nachhaltige Fortschritte erzielen wollen. Aber weil ein solches kurz- und mittelfristig nicht in Sicht
ist, stellt die (national-)staatliche Regulierung zur Zeit den einzig gangbaren Weg dar.
Warum sollten auch Unternehmen selbst ein Anliegen wie jenes von ‚Recht ohne Grenzen‘ unterstützen?
Man könnte auch hier sagen: Weil es allen etwas bringt. Weil es ein Level Playing Field schafft, das allen
gleich lange Spiesse im Wettbewerb gibt. Es ist das pragmatische, ökonomische Argument.
Aber es gibt auch ein moralisches, und das ist überzeugender, nämlich das Argument, dass Unternehmen
auch eine politische Mitverantwortung tragen. Wenn wir davon ausgehen, dass Unternehmen eine Pflicht
haben, Menschenrechte zu respektieren, dann gilt dies in direkter wie in indirekter Weise. Direkt für die
kausalen Folgen ihres Handelns. Indirekt über die Folgen der Systeme und Ordnungen, in denen sie
operieren. Wenn Unternehmen in ungerechten Ordnungen tätig sind und ihr Handeln deshalb indirekt
negative Auswirkungen auf Menschenrechte hat, so tragen sie eine Verantwortung dafür, dass diese
Ordnungen verändert werden. Sie sollten sich dafür einsetzen, dass diese Ordnungen gerechter werden.
Man kann aus moralischer Sicht also eine politische Mitverantwortung der Unternehmen ableiten.

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Und es geht letztlich darum, wie ernst ihr Commitment gemeint ist, also auch um die Integrität des
Unternehmens selbst. Ein Unternehmen, das von sich sagt, es habe eine Pflicht, die Menschenrechte zu
respektieren, müsste sich auch dafür einsetzen, dass die entsprechenden Regulierungen und
Rahmenbedingungen verbessert werden. Sonst setzt es seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel. Unternehmen,
die nicht als Opportunisten wahrgenommen werden wollen, sollten sich positiv zu Initiativen wie ‚Recht
ohne Grenzen‘ äussern.

Rechtliche Regulierungen reichen nicht aus
Zum Schluss noch einige Bemerkungen zum Verhältnis von Freiwilligkeit und Verbindlichkeit. Die beiden
sind komplementär. Eine Initiative wie ‚Recht ohne Grenzen‘ soll freiwillige Initiativen nicht ersetzen. Beide
Ebenen sind notwendig.
Man könnte einwenden, dass verbindliche Bestimmungen, die sogar extraterritorial wirken sollen, Eingriffe
in die Wirtschaftsfreiheit darstellen. Dies hängt natürlich immer vom Freiheitsbegriff ab, den man wählt.
Aus libertärer Sicht kann man es durchaus als Eingriff sehen. Aber es gibt noch andere Verständnisse von
Freiheit. Und ganz zentral ist, dass Freiheit per se immer mit Verantwortung einhergeht. Je mehr Freiheit
jemand geniesst, desto mehr muss man fordern, dass er diese Freiheit verantwortungsvoll nutzt. Freiheit
ist Verantwortung: Als menschliche Wesen sind wir gerade deshalb autonom, weil wir Verantwortung
übernehmen können, d.h. weil wir intentional Entscheidungen treffen können, weil wir uns auch gegen
unsere unmittelbare Impulse und Instinkte entscheiden können. Tiere können das nicht, deshalb tragen
sie keine moralische Verantwortung für ihr Tun. Wir Menschen und die von uns geschaffenen Institutionen
aber tragen gerade deshalb Verantwortung, weil diese unsere Freiheit konstituiert.
Das Recht ist deshalb auch eine Ermöglichungsbedingung von freiwilligen Vereinbarungen und Initiativen.
Es hilft, integer zu sein, menschliche Verantwortung wahrzunehmen, unter anderem deshalb, weil es
einen Wettbewerb mit gleich langen Spiessen etabliert. Unternehmen, die sagen: ‚Wir würden ja gerne
Verantwortung übernehmen, aber wir können nicht, weil der Wettbewerb so stark ist‘, sollten sich
logischerweise für einen Rechtsrahmen einsetzen, der es ermöglicht, verantwortlich zu wirtschaften und
trotzdem erfolgreich zu sein.
Reichen aber rechtliche Bestimmungen aus? Ein rechtlicher Rahmen kann die Lücken füllen, die ich
angesprochen habe, die Lücke zwischen Freiwilligkeit, Altruismus und Marktgesetzen. Dort, wo Win-win
und Freiwilligkeit zu kurz greifen, kann das Recht Lücken schliessen. Es kann aber nicht als
Orientierungsgrösse dienen für eine tatsächliche, auch aus ethischer Sicht gute Geschäftspraxis. Aus
ethischer Sicht definiert das Recht letztlich nur einen Standard der moralischen Mittelmässigkeit. Es
sichert gegen unten ab. Aber es kann uns nicht zwingen, tatsächlich gut zu sein. Um über den Standard
der moralischen Mittelmässigkeit hinauskommen, sind freiwillige Initiativen weiterhin wichtig. Nicht zuletzt
deshalb, weil sie dazu beitragen, das Recht weiterzuentwickeln und Bedingungen zu schaffen, damit
Initiativen wie ‚Recht ohne Grenzen‘ eine Chance haben, ernsthaft diskutiert und auch umgesetzt zu
werden.

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