Chancen und Herausforderungen für die betriebliche Weiterbildung älterer ArbeitnehmerInnen - unipub

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Chancen und Herausforderungen für die betriebliche Weiterbildung älterer ArbeitnehmerInnen - unipub
Johanna Janisch, BSc

        Chancen und Herausforderungen für die
             betriebliche Weiterbildung älterer
                       ArbeitnehmerInnen

                             Masterarbeit

               zur Erlangung des akademischen Grades
                           Master of Science
               der Studienrichtung Wirtschaftspädagogik
                 an der Karl-Franzens-Universität Graz

Betreuerin: Univ.-Prof. Mag. Dr. Michaela Stock

Institut für Wirtschaftspädagogik

                                                Graz, September 2016
Chancen und Herausforderungen für die betriebliche Weiterbildung älterer ArbeitnehmerInnen - unipub
Ehrenwörtliche Erklärung

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne fremde Hilfe
verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den Quellen wörtlich oder
inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit wurde bisher
in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen inländischen oder ausländischen
Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht. Die vorliegende Fassung
entspricht der eingereichten elektronischen Version.

Datum:                                             Unterschrift:
Chancen und Herausforderungen für die betriebliche Weiterbildung älterer ArbeitnehmerInnen - unipub
Inhaltsverzeichnis

1     Einleitung .......................................................................................................................... 1

2     Einflussfaktoren der Arbeitswelt .................................................................................... 4
    2.1      Bevölkerungsentwicklung .......................................................................................... 5
      2.1.1          Allgemein ........................................................................................................... 7
      2.1.2          Erwerbsbevölkerung......................................................................................... 10
      2.1.3          Österreich im europäischen Vergleich ............................................................. 12
    2.2      Technologische Entwicklung ................................................................................... 15
    2.3      Informations- und Wissensgesellschaft .................................................................... 17

3     Ältere ArbeitnehmerInnen ............................................................................................ 19
    3.1      Begriffsbestimmungen Alter, Altern und ältere ArbeitnehmerInnen ....................... 20
    3.2      Wissenschaftliche Modelle des Alterns ................................................................... 25
      3.2.1          Defizitmodell .................................................................................................... 25
      3.2.2          Kompetenzmodell ............................................................................................ 27
      3.2.3          Aktivitätstheorie ............................................................................................... 28
      3.2.4          Disengagementtheorie ...................................................................................... 29
    3.3      Lernen im Alter ........................................................................................................ 30
      3.3.1          Lernfähigkeit .................................................................................................... 30
      3.3.2          Bildungsbeteiligung ......................................................................................... 33

4     Betriebliche Weiterbildung ........................................................................................... 36
    4.1      Begriffsbestimmung ................................................................................................. 37
      4.1.1          Personalentwicklung ........................................................................................ 37
      4.1.2          Betriebliche Weiterbildung als Teilbereich der Personalentwicklung ............. 40
    4.2      Formen betrieblicher Weiterbildung ........................................................................ 42
      4.2.1          Weiterbildung am Arbeitsplatz ........................................................................ 44
      4.2.2          Weiterbildung außerhalb des Arbeitsplatzes .................................................... 46
    4.3      Betriebliche Weiterbildung in Österreich................................................................. 47

5     Chancen           und        Herausforderungen                    betrieblicher            Weiterbildung               älterer
      ArbeitnehmerInnen ........................................................................................................ 50
    5.1      Aus Sicht der Unternehmen ..................................................................................... 50

                                                                                                                                       I
5.1.1         Herausforderungen und Hindernisse ................................................................ 50
      5.1.2         Nutzen und Chancen ........................................................................................ 55
    5.2      Aus Sicht des Individuums ....................................................................................... 58
      5.2.1         Herausforderungen und Hindernisse ................................................................ 58
      5.2.2         Nutzen und Chancen ........................................................................................ 63

6     Zusammenfassung .......................................................................................................... 67

7     Literaturverzeichnis ....................................................................................................... 71

                                                                                                                              II
Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Bevölkerungsentwicklung 1960–2060 ................................................................. 7
Abbildung 2: Bevölkerungspyramiden Österreichs 1910, 2014 und 2060 ................................ 9
Abbildung 3: Bevölkerungsentwicklung in Europa 1950–2075 .............................................. 13
Abbildung 4: Industrie- und Wissensgesellschaft .................................................................... 18
Abbildung 5: Bildungsbeteiligung im Überblick ..................................................................... 34
Abbildung 6: Hauptaufgaben der Personalwirtschaft .............................................................. 38
Abbildung 7: Betriebliche Bildung .......................................................................................... 41
Abbildung 8: Unternehmen mit Weiterbildungskursen nach Kursinhalten ............................. 48
Abbildung 9: Zusammensetzung der direkten Weiterbildungskosten ..................................... 54
Abbildung 10: Faktoren der Lernbereitschaft älterer ArbeitnehmerInnen ............................... 61
Abbildung 11: Weiterbildungsinteresse und tatsächliche Weiterbildungsteilnahme ............... 62
Abbildung 12: Durchschnittliches Zugangsalter bei Eigenpensionen ..................................... 65

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Bevölkerungsstruktur Österreichs 2014–2060 gemäß Hauptszenario ...................... 8
Tabelle 2: Erwerbspersonen 2014–2050 nach Altersgruppen .................................................. 11
Tabelle 3: Bevölkerungsstruktur Europas 2015–2060 ............................................................. 14
Tabelle 4: Altersabhängige und altersunabhängige Kompetenzen .......................................... 31

                                                                                                                       III
Abkürzungsverzeichnis

AES     Adult Education Survey
CVTS4   Fourth Continuing Vocational Training Survey
EU      Europäische Union
IKT     Informations- und Kommunikationstechnologie
Mio.    Millionen
Mrd.    Milliarden

                                                       IV
1 Einleitung

Die    heutige    Arbeitswelt     befindet       sich   durch   Veränderungen   verschiedener
Rahmenbedingungen in einem umfassenden Wandel. Unternehmen sind durch den rasanten
technologischen Fortschritt und die Entwicklung hin zu einer Dienstleistungs- und
Wissensgesellschaft einem immer größer werdenden Veränderungsdruck ausgesetzt (vgl.
Richter/Bode/Köpter 2012, 2). Auch auf der persönlichen Ebene der Beschäftigten steigt
dieser Druck durch komplexere, sich ständig verändernde Kompetenzanforderungen und
einem gleichzeitig immer rascheren Wissensverfall (vgl. Statistik Austria 2012, 5).

In den vergangenen Jahren wurde diesen Herausforderungen vor allem über die Einstellung
jüngerer ArbeitnehmerInnen1, die aktuelles Wissen in das Unternehmen einbringen, entgegen
gewirkt. Diese Strategie wird jedoch in der Zukunft aufgrund des weitreichenden
demografischen Umbruchs nicht mehr umzusetzen sein (vgl. Frerichs 2007, 67).

Sinkende Geburtenraten und die gleichzeitig steigende Lebenserwartung haben zu einer
veränderten Bevölkerungsstruktur geführt (vgl. Lachmayr 2006, 4). Die Alterung der
österreichischen Gesellschaft lässt sich durch die Entwicklung des Durchschnittsalters sehr
deutlich zeigen. Während die Bevölkerung in Österreich Anfang der 1970er-Jahre im
Durchschnitt 36,1 Jahre alt war, ist dieser Wert bis zum Jahr 2015 bereits auf 42,3 Jahre
angestiegen (vgl. Statistik Austria 2015f, 1).

Da sich dieser demografische Trend der alternden Bevölkerung auch in den kommenden
Jahrzenten fortsetzen wird (vgl. Lachmayr 2006, 4), wurden auf staatlicher Ebene bereits
Maßnahmen gesetzt, um ältere Menschen länger im Arbeitsprozess halten zu können. So
werden unter anderem vorzeitige Pensionsantritte sanktioniert und das Pensionsantrittsalter
von Frauen wurde angehoben (vgl. Blauensteiner/Stadler 2015, 1).

Durch die sich verändernde Altersstruktur in den europäischen Staaten und den Handlungen
seitens der österreichischen Politik, werden dem Arbeitsmarkt zukünftig mehr ältere Personen
zur Verfügung stehen (vgl. Bellmann/Dummert/Leber 2013, 312). Somit werden auch auf

1
 Im Rahmen dieser Masterarbeit wird nicht explizit zwischen den Begriffen ArbeitnehmerInnen und
MitarbeiterInnen unterschieden.
                                                                                             1
unternehmerischer und individueller Ebene in Zukunft Anpassungen nötig sein, um die
Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen (vgl. Brinkmann 2009, 6) und die Leistungsfähigkeit
der MitarbeiterInnen aufrecht zu erhalten (vgl. Vaupel/Hofäcker 2009, 383). In der
Wissenschaft kommt hier der betrieblichen Weiterbildung Älterer eine bedeutende Rolle zu.
Da jedoch erst wenige Unternehmen passende Weiterbildungsmaßnahmen speziell für diese
Zielgruppe eingeführt haben (vgl. Bellmann/Leber 2015, 6), ergibt sich folgende
Forschungsfrage:

Welche Chancen und Herausforderungen bestehen für die betriebliche Weiterbildung älterer
ArbeitnehmerInnen?

Mit dieser Arbeit soll gezeigt werden, welche Chancen, aber auch Herausforderungen für die
betriebliche Weiterbildung älterer Beschäftigte sowohl auf unternehmerischer als auch auf
individueller   Ebene   bestehen.   Dabei   wird   zuerst   ein   Überblick   über   wichtige
Rahmenbedingungen, die die heutige Arbeitswelt beeinflussen, gegeben. Des Weiteren soll
diese Arbeit die Bedeutung des Alters für Beschäftigte durch verschiedene wissenschaftliche
Alterstheorien und die betriebliche Weiterbildung als Instrument der Personalentwicklung
veranschaulichen. Im Anschluss werden verschiedene Aspekte, die für die betriebliche
Weiterbildung Älterer förderlich oder hinderlich sind, analysiert. Im Zusammenhang mit der
Forschungsfrage soll jedoch keine konkrete personalpolitische Strategie ausgearbeitet,
sondern vielmehr die Auswirkungen dieser Konzepte analysiert werden. Diese Arbeit ist eine
theoretische Masterarbeit, wobei mithilfe einer kritischen Text- und Literaturanalyse die
Forschungsfrage beantwortet wird.

Die vorliegende Arbeit gliedert sich in sechs Kapitel, wobei in der Einleitung zunächst die
Aktualität des Themas durch die Problemstellung verdeutlicht und daraus anschließend die
Forschungsfrage abgeleitet wird. Des Weiteren werden hier Zielsetzung und Methodik der
Masterarbeit definiert und ein Überblick über die Inhalte der einzelnen Kapitel gegeben.

Um die aktuelle Bedeutung der betrieblichen Weiterbildung älterer Beschäftigter aufzuzeigen,
wird im zweiten Kapitel näher auf die Rahmenbedingungen, welche die Arbeitswelt
beeinflussen, eingegangen. Das Hauptaugenmerk liegt hier auf dem immer deutlicher
werdenden demografischen Wandel in der österreichischen Bevölkerung. Anschließend
werden auch die technologischen Veränderungen, wie Digitalisierung und Automatisierung,

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in der Arbeitswelt und die Entwicklung hin zu einer Informations- und Wissensgesellschaft
analysiert.

Im dritten Abschnitt wird der Fokus auf die älteren ArbeitnehmerInnen gelegt. Um definieren
zu können, wer zu dieser Zielgruppe zu zählen ist, wird zunächst der Begriff des Alters und
der Prozess des Alterns beschrieben. Des Weiteren werden ausgewählte Modelle des Alterns,
das Defizit- und das Kompetenzmodell sowie die Aktivitäts- und die Disengagementtheorie,
vorgestellt. Somit kann im letzten Teil dieses Kapitels das Lernen im Alter analysiert und auf
die Lernfähigkeit und das Lernverhalten im Alter eingegangen werden.

Im vierten Kapitel wird zuerst eine Begriffsabgrenzung der betrieblichen Weiterbildung als
Teilbereich der Personalentwicklung vorgenommen, um anschließend die Ziele und die
verschiedenen Arten vorzustellen. Des Weiteren wird die Situation in Österreich näher
betrachtet, um aufzuzeigen, wie die betriebliche Weiterbildung hier umgesetzt wird.

Um die Auswirkungen der betrieblichen Weiterbildung älterer ArbeitnehmerInnen
analysieren zu können, wird im fünften Abschnitt zwischen der Ebene der Unternehmen und
der Beschäftigten unterschieden. Es werden für beide Zielgruppen sowohl die Chancen als
auch die Herausforderungen für die betriebliche Weiterbildung als Maßnahme der
Personalentwicklung dargestellt.

Im abschließenden Kapitel werden die Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst, es wird die
Forschungsfrage beantwortet und ein Ausblick für mögliche personalpolitische Handlungen
in der betrieblichen Weiterbildung älterer Beschäftigte gegeben.

                                                                                            3
2 Einflussfaktoren der Arbeitswelt

Sowohl die gesamte Wirtschaft als auch die Arbeitswelt befindet sich in einem Umbruch.
Verschiedene Trends beeinflussen die Gesellschaft, die ArbeitgeberInnen und die
ArbeitnehmerInnen (vgl. Rump 2011, 37).

Die Bevölkerungsentwicklung wird in Zukunft einen erheblichen Einfluss auf die Arbeitswelt
haben. Die Gesamtbevölkerung in Europa wird zukünftig abnehmen und vor allem deutlich
altern. Österreich ist hier eines der wenigen Länder in Europa, das durch die anhaltende
Zuwanderung zukünftig mit einem Bevölkerungszuwachs rechnen kann (vgl. Statistik Austria
2015a, 3). Mit einer steigenden Anzahl an älteren Menschen wird aber auch die
österreichische Bevölkerung konfrontiert werden (vgl. Lebhart 2003, 674). Dieser
Alterungsprozess wirkt sich auch auf das Arbeitskräftepotenzial aus, denn der Anteil älterer
Erwerbspersonen wird im Vergleich zu den jüngeren zukünftig steigen (vgl. Hanika et al.
2011, 8).

Die Technologie und ihre Entwicklung spielen für die Menschheit und deren Arbeitswelt
schon seit langer Zeit eine große Rolle. Bedeutende Fortschritte im Bereich der Technik
wurden bereits im 18. Jahrhundert durch die industrielle Revolution erreicht (vgl. Jischa 2005,
11). Dieser Umbruch löste den Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft aus und
Innovationen    stellten   die   Unternehmen    und    deren    MitarbeiterInnen   vor    neue
Herausforderungen (vgl. Frerichs/Maier 2000, 247). Die aktuelle Transformation von der
Industrie- zur Informations- und Wissensgesellschaft und die damit steigende Bedeutung von
Wissen hin zu einem Produktionsfaktor ist vor allem auf die immer weiter fortschreitende
technologische Entwicklung zurückzuführen (vgl. Jischa 2005, 164).

Da die Bevölkerungsentwicklung, der technologische Fortschritt und der Wandel von einer
Industrie- zu einer Informations- und Wissensgesellschaft die heutige Arbeitswelt
beeinflussen, werden im Rahmen dieses Kapitels diese drei Einflussfaktoren näher analysiert.

                                                                                             4
2.1 Bevölkerungsentwicklung

Die Bevölkerungsstruktur ändert sich laufend, denn sowohl Geburten und Sterbefälle, als
auch Zu- und Abwanderungen beeinflussen die Bevölkerung (vgl. Prezewowsky 2007, 17).
Um die Bevölkerungsentwicklung und ihre Ursachen genauer betrachten zu können, ist
zunächst jedoch eine Definition der Begriffe Demografie und demografischer Wandel
vorzunehmen. Die Demografie, auch Bevölkerungswissenschaft genannt, beinhaltet nach
Dinkel „die Beschreibung von Größe, Verteilung, Struktur und Veränderung von
Populationen“ (Dinkel 1989, 1).

Aus dieser Begriffsbestimmung abgeleitet, kann unter demografischem Wandel die
Veränderung der Bevölkerungsstruktur durch politische und soziale Faktoren verstanden
werden     (vgl.   Benz     2010,     29).   Der   Umfang   und   die   Geschwindigkeit   der
Bevölkerungsentwicklung werden durch die Entwicklung folgender Faktoren beeinflusst (vgl.
Günther 2014, 7):

        Fertilität (Geburtenrate)
        Mortalität (Sterblichkeit)
        Migration (Wanderungen)

Die Fertilität entspricht der Zahl der Lebendgeburten und wird durch kulturelle, soziale und
gesundheitliche Einflussfaktoren bestimmt. Die Mortalität ist eine Kennzahl für die
Lebenserwartung und den Lebensstandard einer Bevölkerung. Sie wird durch Komponenten
wie Alter, Geschlecht und soziale Schicht beeinflusst. Die Migration ist dadurch
gekennzeichnet, dass sich der Lebensmittelpunkt der Menschen auf Dauer verändert (vgl.
Günther 2014, 8–10). Hier wird zwischen internationalen Zu- und Abwanderungen, welche
über Landesgrenzen hinaus erfolgen, und Binnenwanderungen, die innerhalb dieser Grenzen
stattfinden, differenziert (vgl. Hanika et al. 2012, 785 und Günther 2014, 10).

Die in Österreich von Statistik Austria erstellten Bevölkerungsprognosen werden jährlich
überarbeitet und spätestens alle drei Jahre neu erstellt (vgl. Hanika 2013, 3). Mit den Daten
aus dem zentralen Melderegister und detaillierten Annahmen zu Fertilität, Mortalität und
Migration wird die Bevölkerungsentwicklung aktuell bis zum Jahr 2075 prognostiziert (vgl.
Statistik Austria 2013, 3). Für die Jahre von 2060 bis 2075 werden für die drei

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Prognoseparameter jedoch keine Veränderungen mehr angenommen, es werden vielmehr die
für 2060 angenommen Werte weitergeführt (vgl. Statistik Austria 2015a, 3).

Aufgrund der sich langfristig langsam verändernden demografischen Strukturen weisen
Bevölkerungsprognosen einen hohen Grad an Sicherheit auf, wobei naturgemäß die
Ergebnisse unsicherer werden, umso weiter die prognostizierten Zahlen in der Zukunft liegen.
Vor allem die Anzahl der Geburten stellt einen Unisicherheitsfaktor dar, da bei der
Geburtenrate nicht vorhersehbare Schwankungen in der Fertilität eine Rolle spielen. Des
Weiteren stellt die Migration einen schwierig vorhersehbaren Prognoseparameter dar. Im
Bereich der älteren Menschen ist die Prognoseunsicherheit nochmals geringer als bei den
Prognose-berechnungen für die gesamte Bevölkerung. „Die Fertilitätsannahmen spielen hier
keine Rolle [...] und (internationale) Migrationsprozesse betreffen ältere Menschen kaum. Als
einziger wichtiger demografischer Einflussfaktor bleibt die Sterblichkeit.“ (Kytir 2009, 52)

Neben der Statistik Austria erstellen auch die Europäische Union (EU) und die Vereinten
Nationen Bevölkerungsprognosen für Österreich. Diese internationalen Berechnungen sind
gut mit den österreichischen vergleichbar, da das gleiche Prognosemodell zur Anwendung
kommt.      Trotz   der    gleichen     Methodik     gibt     es      bei   der     Vorhersage          der
Bevölkerungsentwicklung Unterschiede hinsichtlich der Ergebnisse. Dies ist auf die
verschiedenen Annahmen zur zukünftigen Entwicklung der Fertilität, Mortalität und
Migration      zurückzuführen.        Statistik    Austria         prognostiziert     das         stärkste
Bevölkerungswachstum, gefolgt von der EU und den Vereinten Nationen. Vom statistischen
Amt der EU wird ab 2045 und von den Vereinten Nationen ab 2030 ein
Bevölkerungsrückgang berechnet. Im Gegensatz dazu nimmt die Statistik Austria ein
Bevölkerungswachstum Österreichs für den gesamten Zeitraum bis 2060 an (vgl. Hanika
2013, 17). Im Folgenden wird auf die Bevölkerungsprognosen der Statistik Austria
eingegangen, da vor allem diese Prognosen von der österreichischen Politik und Wirtschaft
für   Entscheidungen      herangezogen      werden    (vgl.    Hanika       2013,    6      und     §    1
Bundesstatistikgesetz).

                                                                                                         6
2.1.1 Allgemein

Die österreichische Bevölkerung wächst stetig. Die EinwohnerInnenzahl ist seit dem Jahr
1960 bis 2015 von 7,03 auf 8,58 Millionen (Mio.) EinwohnerInnen angestiegen (vgl.
Mikulasek/Fuchs/Wisbauer 2015, 18–20). Dies ist bis in die 1970er-Jahre auf eine hohe
Geburtenrate zurückzuführen, ab diesem Zeitpunkt ist jedoch hauptsächlich die internationale
Zuwanderung für den Bevölkerungszuwachs verantwortlich. Die positive Wanderungsbilanz
wird auch zukünftig für den prognostizierten Anstieg der österreichischen Wohnbevölkerung
verantwortlich sein (vgl. Hanika 2010, 11–12).

Abbildung 1: Bevölkerungsentwicklung 1960–2060 (vgl. Mikulasek/Fuchs/Wisbauer 2015, 20–22 und Statistik
Austria 2015b, o.S. und Statistik Austria 2015c, o.S.)

Statistik Austria prognostiziert die Bevölkerungsentwicklung bis 2060 in zehn verschiedenen
Varianten. Für jede dieser Prognosen werden unterschiedliche Annahmen für die drei
veränderbaren Einflussfaktoren getroffen (vgl. Hanika 2013, 10). Da sich diese Arbeit auf
ältere Menschen konzentriert, wird in Abbildung 1 neben der Hauptvariante als zweite
Variante das Alterungsszenario dargestellt. Beim Hauptszenario, das für die ExpertInnen den
wahrscheinlichsten Pfad abbildet, wird von einer mittleren Entwicklung aller drei
Determinanten ausgegangen (vgl. Hanika 2013, 10). Im Gegensatz dazu wird beim
Alterungsszenario von einer niedrigeren Entwicklung sowohl im Bereich der Fertilität als

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auch der Zuwanderung und zum anderen von einer steigenden Lebenserwartung ausgegangen
(vgl. Hanika 2013, 10). Wie in Abbildung 1 ersichtlich, wächst die österreichische
Bevölkerung bei beiden Varianten, wobei beim Eintreten des Hauptszenarios ein größerer
Anstieg zu erkennen ist. Gemäß der Hauptvariante steigt die Bevölkerungsanzahl auf ca. 9,30
Mio. im Jahr 2030 und danach bis 2060 auf 9,70 Mio. Menschen an (vgl. Statistik Austria
2015b, 1). Im Vergleich dazu käme es langfristig bei der Alterungsvariante zu einem Anstieg
der Bevölkerung auf 9,03 Mio. Menschen bis zum Jahr 2060 (vgl. Statistik Austria 2015c,
o.S.).

Neben dem Wachstum der Gesamtbevölkerung sieht sich die österreichische Bevölkerung
jedoch auch mit einem zunehmenden demografischen Wandel, der auch demografische
Alterung genannt wird, konfrontiert. Dieser Veränderungs-prozess, der die nachhaltige
Entwicklung der Alterszusammensetzung der Bevölkerung beschreibt, beeinflusst nahezu alle
gesellschaftlichen Bereiche in erheblichem Maße (vgl. Steinbach/Linnenschmidt/Schüll 2011,
22). Während dieses Alterungsprozesses wird der Anteil junger Menschen an der
Gesamtbevölkerung immer weiter schrumpfen, im Gegensatz dazu steigt der Anteil älterer
(vgl. Schipfer 2005, 3).

                                                 Anzahl an Personen
   Jahr
                   0 bis 19 Jahre                 20 bis 64 Jahre                 65 Jahre und älter
   2014              1,69 Mio.                       5,29 Mio.                        1,57 Mio.
   2020              1,72 Mio.                       5,50 Mio.                        1,73 Mio.
   2040              1,81 Mio.                       5,18 Mio.                        2,53 Mio.
   2060              1,80 Mio.                       5,10 Mio.                        2,80 Mio.
Tabelle 1: Bevölkerungsstruktur Österreichs 2014–2060 gemäß Hauptszenario (vgl. Statistik Austria 2015b, 1)

Wie in Tabelle 1 ersichtlich ist, wird die Anzahl der Kinder und Jugendlichen bis 19 Jahre in
Zukunft wieder leicht ansteigen. Grund für diesen Zuwachs an jungen Menschen sind die
positive Wanderungsbilanz und die damit indirekt leicht ansteigende Geburtenrate. 2014
wurden österreichweit 1,69 Mio. Kinder und Jugendliche gezählt, 2060 werden es mit
1,8 Mio. um 6,95 % mehr sein. Die Bevölkerung im Alter von 20 bis 64 Jahren wird im
Gegensatz dazu zukünftig sinken. Nachdem hier im Jahr 2020 der Höhepunkt mit ungefähr
5,50 Mio. Menschen erreicht wird, sinkt die Anzahl dieser Bevölkerungsgruppe in den
Folgejahren wieder. Dies ist auf den vermehrten Übertritt von Personen vom Erwerbs- in das
Pensionsalter in den 2020er-Jahren zurückzuführen (Statistik Austria 2015a, 5). Dieser Trend
wird sich laut der aktuellen Prognosen fortsetzen, sodass der Anteil der Personen im
                                                                                                              8
Haupterwerbsalter an der Gesamtbevölkerung von 61,9 % im Jahr 2014 auf 52,6 % im Jahr
2060 sinken wird. Die aktuelle Bevölkerungsvorausberechnung prognostiziert gemäß der
Hauptvariante, dass im Jahr 2060 die Gruppe der über 65-Jährigen auf 2,8 Mio. Menschen,
und somit von 18,4 % der Gesamtbevölkerung im Jahr 2014 auf 28,8 %, ansteigen wird (vgl.
Statistik Austria 2015b, 1).

Grafisch lässt sich der Alterungsprozess der Bevölkerung sehr deutlich mit den in der
Demografie verwendeten Alterspyramiden darstellen (vgl. Kytir 2009, 45).

               1910                               2014                                  2060

 Abbildung 2: Bevölkerungspyramiden Österreichs 1910, 2014 und 2060 (vgl. Statistik Austria 2015d, o.S.)

Anhand der grafischen Darstellung in Abbildung 2 wird ersichtlich, wie viele Menschen einer
Bevölkerung zu einer Alterskategorie zu zählen sind. Auf der Ordinate wird das Lebensalter
in Jahren und auf der Abszisse die Anzahl der Personen, die sich in diesem Alter befinden,
aufgetragen. Des Weiteren werden Frauen auf der rechten und Männer auf der linken Hälfte
dargestellt (vgl. Mrozek 2009, 15). Wie in Abbildung 2 zu erkennen ist, entfernt sich die
Zusammensetzung der österreichischen Bevölkerung zunehmend von ihrer ursprünglichen
Form der Pyramide aus dem Jahr 1910, die durch eine hohe Anzahl an jungen Personen und
einer sinkenden Anzahl an älteren gekennzeichnet ist. Bei dieser Struktur ist keine
Altersklasse überrepräsentiert und es gibt ein ausgewogenes Verhältnis zwischen jungen und
alten Menschen (vgl. Günther 2014, 4). Durch den Einfluss der Weltwirtschaftskrise, der
beiden Weltkriege, sowie der Baby-Boom-Generation der 1950er- und 1960er-Jahre und den
darauf    folgenden     Geburtenrückgang         in   den     1970ern     hat    sich    die   Form        der
Bevölkerungspyramide bis zum Jahr 2014 deutlich verändert (vgl. Wisbauer 2013, 17). Auch
in Zukunft wird sich diese weiter ändern, bis sie im Jahr 2060 einer Urne gleicht (vgl.
Vaupel/Hofbäcker 2009, 396).

                                                                                                            9
Für diese Entwicklung hin zu einer Urnenform (vgl. Vaupel/Hofbäcker 2009, 396) und dem
damit einhergehenden Altern der Bevölkerung sind zu einem Großteil die gesunkenen
Kinderzahlen verantwortlich (vgl. Statistik Austria 2013, 17–18). Neben dem Faktor der
sinkenden Geburtenzahlen wirkt sich auch der Rückgang der Sterblichkeit, vor allem in den
höheren Altersgruppen aufgrund der verbesserten medizinischen Versorgung und die damit
verbundene ansteigende Lebenserwartung, auf die Veränderung der Bevölkerungsstruktur
aus. Diese rückläufige Mortalität und die Migration sind für diesen Prozess jedoch im
Gegensatz zur Fertilität nur sekundär entscheidend. Ein Faktor, auf den sich die derzeitige
Alterung zurückführen lässt, sind die starken Baby-Boom-Jahrgänge der 1950er- und 1960er-
Jahre, da diese ab 2020 die Personen im Pensionsalter stark erhöhen werden (vgl. Kytir 2009,
41–43).

2.1.2 Erwerbsbevölkerung

Statistik Austria erstellt neben der Prognose zur allgemeinen Bevölkerungsentwicklung
zusätzlich Berechnungen für die Bereiche Haushalte, Familien und Erwerbspersonen. Diese
Sekundärprognosen      basieren    auf   den    Daten      der   allgemeinen    Bevölkerungs-
vorausberechnungen (vgl. Hanika et al. 2012, 11). In der Folge wird die zukünftige
Entwicklung der Erwerbspersonen näher betrachtet.

Zu den Erwerbspersonen zählen zum einen die Erwerbstätigen und zum anderen die
Arbeitslosen. Daraus abgeleitet zählen zu der Gruppe der Nicht-Erwerbspersonen Kinder
unter 15 Jahren, Personen mit Pensionsbezug, SchülerInnen über 15 Jahre, Studierende und
die Gruppe der übrigen Nicht-Erwerbspersonen (vgl. Asamer et al. 2015, 30). Geringfügig
Beschäftigte zählen bei der Prognoseberechnung der Statistik Austria auch zu der Gruppe der
Nicht-Erwerbspersonen (vgl. Statistik Austria 2015e, 7).

2014 wurden in Österreich 4,18 Mio. Erwerbspersonen gezählt. Diese Zahl wird laut
aktuellen Prognoserechnungen zukünftig steigen und im Jahr 2021 das Maximum von 4,32
Mio. erreichen. Nach diesem Höhepunkt wird aufgrund demografischer Umstände die Zahl
der Erwerbspersonen bis 2035 auf rund 4,23 Mio. sinken, ehe sie danach bis 2050 wieder auf
4,29 Mio. steigen wird (vgl. Statistik Austria 2016a, o.S.). Der Anstieg Mitte der 2030er-Jahre
beruht vor allem auf den erwarteten wachsenden Anteil der weiblichen Erwerbstätigen und

                                                                                            10
Arbeitslosen sowie den späteren Pensionsantritt der Frauen. Im Gegensatz dazu wird die Zahl
der männlichen Erwerbspersonen langfristig sinken (vgl. Hanika et al. 2011, 8).

Der Trend der demografischen Alterung, der für die allgemeine Bevölkerung bereits im
Kapitel 2.1.1 aufgezeigt wurde, wirkt sich auch auf die Erwerbsbevölkerung aus und somit
wird zukünftig der Anteil älterer Erwerbspersonen im Vergleich zum Anteil der jüngeren
ansteigen (vgl. Statistik Austria 2015e, 8).

                                         Anzahl an Erwerbspersonen
Jahr
            15 bis 29 Jahre        30 bis 39 Jahre   40 bis 49 Jahre                 50 Jahre und älter
 2014         1,035 Mio.             0,992 Mio.        1,176 Mio.                        0,973 Mio.
 2020         1,046 Mio.             1,077 Mio.        1,050 Mio.                        1,139 Mio.
 2030         0,959 Mio.             1,083 Mio.        1,090 Mio.                        1,111 Mio.
 2040         0,978 Mio.             0,997 Mio.        1,084 Mio.                        1,188 Mio.
 2050         0,988 Mio.             1,006 Mio.        1,011 Mio.                        1,287 Mio.

Tabelle 2: Erwerbspersonen 2014–2050 nach Altersgruppen (vgl. Statistik Austria 2016b, o.S.)

Durch Tabelle 2 wird deutlich, dass die Anzahl der Erwerbspersonen, die zwischen 15 und 29
Jahre alt sind, in Zukunft leicht sinken wird. Die Gruppe der 30 bis 39-Jährigen wird sich bis
2050 nicht sehr stark verändern und ungefähr an der 1 Mio. Grenze stagnieren. Dies gilt auch
für die Gruppe der Erwerbspersonen im Alter von 40 bis 49 Jahren. Die Anzahl der
Erwerbspersonen, die 50 Jahre und älter sind, werden jedoch zukünftig steigen. Im Jahr 2014
waren rund 0,973 Mio. Erwerbspersonen 50 Jahre und älter, dies entspricht 23,32 % der
gesamten Anzahl an Erwerbspersonen. Der Anteil der Personen dieser Altersgruppe wird bis
zum Jahr 2050 mit 1,287 Mio. auf 29,98 % steigen (vgl. Statistik Austria 2016b, o.S.). Dieser
Trend ist einerseits auf das Älterwerden der Baby-Boom Generation zurückzuführen und
anderseits wird erwartet, dass die Erwerbsquote ab dem 50. Lebensjahr in Zukunft deutlich
steigen wird (vgl. Hanika et al. 2011, 8).

Typischerweise tragen Kinder, Jugendliche und ältere Menschen aufgrund ihres Alters noch
nicht oder nicht mehr zur Produktivität einer Gesellschaft bei. Somit muss die Gruppe der
Menschen im Erwerbsalter genügend Wertschöpfung erwirtschaften, um die beiden anderen
Bevölkerungsgruppen zu unterstützen. Um den Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter
zur jüngeren oder älteren Bevölkerung in Beziehung zu setzen, werden in der Demografie
sogenannte Belastungsquotienten berechnet. Der Altenabhängigkeitsquotient stellt eine dieser

                                                                                                      11
Kennzahlen dar. Er gibt das Verhältnis der Menschen, die nicht mehr im erwerbsfähigen Alter
(65 Jahre und mehr) sind, zu denen die im typischen Erwerbsalter (zwischen 20 und 64 Jahre)
sind, an (vgl. Günther 2014, 49 und Steinbach/Linnenschmidt/Schüll 2011, 28–29). Der
Altenabhängigkeitsquotient liegt für das Jahr 2015 bei 29,9. Dies bedeutet, dass 100
Menschen im Alter zwischen 20 und 64 Jahren 29,9 Menschen ab 65 Jahren gegenüberstehen.
Dieser Wert wird zukünftig deutlich steigen und im Jahr 2060 bereits bei 54,8 liegen (vgl.
Statistik Austria 2015b).

Beim Belastungsquotient ist jedoch anzumerken, dass Beschäftigungsquoten in den einzelnen
Altersgruppen keine Berücksichtigung finden. Längere Ausbildungszeiten, Erwerbslosigkeit
und      Frühpensionierungen      werden       somit     nicht     berücksichtigt     (vgl.
Steinbach/Linnenschmidt/Schüll 2011, 29). Trotz dieser fehlenden Komponenten sehen
Hanika et al. die Quotienten dennoch als wichtigen „Indikator für den Grad des Aufwands in
wirtschaftlicher und sozialer Dimension, den die 20- bis 64-jährige Bevölkerung zu leisten
hat“ (Hanika et al. 2012, 800). Des Weiteren hat Tichy bereits 2006 festgestellt, dass die
Werte der Belastungsquotienten bei Berücksichtigung dieser Aspekte steigen (vgl. Tichy
2006, 155). Durch den steigenden Altersquotient wird die demografische Alterung und die
damit einhergehende Herausforderung für das Pensionssystem und andere Bereiche des
Sozialsystems deutlich (vgl. Steinbach/Linnenschmidt/Schüll 2011, 29).

2.1.3 Österreich im europäischen Vergleich

In einem Europa, in dem die Menschen ihren Wohn- und Beschäftigungsort frei wählen und
leicht ändern können, ist es notwendig, die demografischen Entwicklungen in einem größeren
Zusammenhang zu betrachten. Es werden internationale Veränderungen, vor allem
Entwicklungen in den Nachbarländern Österreichs, Einfluss auf die heimische Bevölkerung
und den Arbeitsmarkt haben (vgl. Winkler 2014, 13 und Steinbach/Linnenschmidt/Schüll
2011, 26).

                                                                                        12
Abbildung 3: Bevölkerungsentwicklung in Europa 1950–2075 (vgl. United Nations 2015, o.S.)

Wie durch Abbildung 3 ersichtlich wird, zeichnet sich in Europa insgesamt ein
Bevölkerungsrückgang ab. Ist zwischen 1950 und 2010 ein deutlicher Bevölkerungszuwachs
von rund 549 Mio. auf rund 735 Mio. Menschen zu verzeichnen gewesen, so wird bis 2030
die EinwohnerInnenzahl in Europa mit 734 Mio. Personen ungefähr auf ähnlichem Niveau
wie im Jahr 2010 bleiben. Ab diesem Zeitpunkt wird ein deutlicher Schwund an Einwohnern
und Einwohnerinnen erwartet, sodass im Jahr 2075 nur mehr 665 Mio. Menschen in Europa
leben werden. Somit wird mit einem Rückgang der europäischen Bevölkerung im Zeitraum
von 2030 bis 2075 in Höhe von 9,4 % gerechnet. Werden die einzelnen Länder Europas
betrachtet, hat vor allem Deutschland zukünftig mit einem starken Rückgang der Bevölkerung
zu kämpfen. Hier wird die Bevölkerung bis zum Jahr 2075 um rund 13 Mio. Menschen,
ausgehend vom Jahr 2010, schrumpfen. Unter anderem wird die EinwohnerInnenzahl aber
auch in den europäischen Ländern Griechenland, Polen, Portugal, Kroatien, Slowakei und
Spanien bis 2075 im zweistelligen Prozentbereich schrumpfen (vgl. United Nations 2015,
o.S.). Aufgrund der aktuellen Migrationsströme, der ungewissen politischen Situation im
Nahen Osten, sowie deren unvorhersehbaren Entwicklung, müssen diese Prognosen, die mit
aus dem Jahr 2014 stammenden Daten errechnet wurden, kritisch betrachtet werden.
Österreich ist laut diesen Berechnungen eines der wenigen europäischen Länder, neben zum
Beispiel Norwegen, Großbritannien, Frankreich und Dänemark, deren Bevölkerung in dem
Zeitraum bis zum Jahr 2075 wachsen wird (vgl. United Nations 2015, o.S.).

                                                                                            13
Der demografische Wandel hin zu einer älteren Bevölkerung stellt nicht nur Österreich,
sondern nahezu alle europäischen Länder vor neue Herausforderungen. Die Lebenserwartung
steigt in allen Ländern Europas, während gleichzeitig fast überall die Anzahl der Geburten
sinkt. Lediglich in Island, Irland und Frankreich werden derzeit genügend Kinder geboren,
um in Zukunft auch ohne Zuwanderung den Bevölkerungsstand auf dem aktuellen Niveau zu
halten (vgl. Steinbach/Linnenschmidt/Schüll 2011, 26).

                                                  Anzahl an Personen
      Jahr
                       0 bis 19 Jahre              20 bis 64 Jahre               65 Jahre und älter
      2015              153,74 Mio.                  454,90 Mio.                    129,80 Mio.
      2020              155,84 Mio.                  441,32 Mio.                    142,56 Mio.
      2040              142,81 Mio.                  392,83 Mio.                    185,71 Mio.
      2060              141,84 Mio.                  351,31 Mio.                    195,87 Mio.

Tabelle 3: Bevölkerungsstruktur Europas 2015–2060 (vgl. United Nations 2015, o.S.)

Dieser Trend zur demografischen Alterung wird durch Tabelle 3 deutlich. Im Gegensatz zu
Österreich sinkt die Anzahl der Kinder und Jugendlichen im Alter von 0 bis 19 Jahren im
gesamten europäischen Bereich in den kommenden Jahren von aktuell rund 153,74 Mio. auf
rund 141,84 Mio. im Jahr 2060 und somit um 7,74 %. Wie in der österreichischen
Bevölkerung entwickelt sich die Zahl der Personen im Haupterwerbsalter zukünftig
rückläufig. Im Jahr 2060 werden 351,31 Mio. Menschen zwischen 20 und 64 Jahren in
Europa leben, dies bedeutet ein Rückgang im Vergleich zu 2015 um 22,77 %. Ältere
Menschen mit 65 und mehr Jahren sind die einzige Bevölkerungsgruppe, bei der ein Zuwachs
prognostiziert wird. Dieser Anstieg an Personen wird laut den aktuellen Prognosen sehr
deutlich sein. Lebten im Jahr 2015 noch 129,80 Mio. Personen in diesem Alter in Europa,
wird diese Anzahl bis zum Jahr 2060 um 66,07 Mio. auf 195,87 Mio. ansteigen (vgl. United
Nations 2015, o.S.).

Für Europa wird auch ein deutlicher Anstieg beim Altenquotienten erwartet. Dieser
Belastungsquotient, der im Abschnitt 2.1.2 schon näher erläutert wurde, liegt im Jahr 2015 bei
28,5 und wird zukünftig bis zum Jahr 2050 auf 52,7 ansteigen (vgl. United Nations 2015,
o.S.).

                                                                                                      14
2.2 Technologische Entwicklung

Durch technologische Entwicklungen werden bereits vorhandene Waren, Produktions-
verfahren oder Prozesse verbessert sowie neue Technologien, Produkte und Organisations-
formen eingeführt (vgl. Willke 1999, 167). Diese technologischen Innovationen prägen die
Menschheit schon seit langer Zeit. Dabei sind die Technik und deren Weiterentwicklung nicht
isoliert, sondern im Zusammenhang mit politischen, ökonomischen, ökologischen,
gesellschaftlichen und kulturellen Bereichen zu betrachten (vgl. Jischa 2005, 11).

Die neolithische Revolution, die vor etwa 10.000 Jahren stattfand, war der erste durch den
Fortschritt der Technik verursachte, strukturelle Umbruch der Gesellschaft. Diese Phase in
der Geschichte der Menschen stellte jedoch keine politische Revolution, sondern einen
evolutionären Prozess dar. Denn nachdem die Menschen fast zwei Millionen Jahre als Jäger
und Sammler lebten, gingen sie durch eine technische und ökonomische Umwälzung zu einer
effektiveren Nahrungsgewinnung, zu Ackerbau und Viehzucht, über (vgl. Junker 2016, o.S.).
In der Agrargesellschaft konnten die Menschen erste große technische Leistungen, wie die
Be- und Entwässerungsanlagen sowie den Dammbau, erbringen (vgl. Jischa 2005, 4). Die
Folgen der neolithischen Revolution waren weitreichend, so führte sie zuerst zur
Sesshaftigkeit sowie zur Arbeitsteilung. Des Weiteren war sie auch Anstoß für Entwicklungen
wie den städtischen Siedlungsbau, neue Religionsformen und kulturelle Errungenschaften wie
die Schrift (vgl. Junker 2016, o.S.).

Der zweite fundamentale Umbruch führte zum Übergang von der Agrar- zur
Industriegesellschaft. Während der industriellen Revolution, die im 18. Jahrhundert von
England ausging, fanden mit Hilfe technischer Neuerungen bedeutende Entwicklungen in
kurzen Zeiträumen statt (vgl. Hahn 2011, 2–3). Anstatt Holz wurde Kohle als Energieträger,
Eisen als Baustoff und die Dampfmaschine als Ersatz für das Wasserrad eingesetzt. Im 19.
Jahrhundert erlebte vor allem das Transportwesen einen bedeutenden Wandel, denn die
Eisenbahn ersetzte die Pferdekutsche und das stählerne Dampfschiff das hölzerne Segelschiff.
Durch die Technik als treibende Kraft wurden während der industriellen Revolution
zunehmend Produktionsunternehmen, die von Mechanisierung und Fabrikarbeit geprägt
wurden, erschaffen (vgl. Jischa 2005, 11–13).

                                                                                         15
Das durch die industrielle Revolution eingeleitete Industriezeitalter wurde von weiteren
technischen Entwicklungen geprägt. So trug Werner von Siemens Mitte des 19. Jahrhunderts
durch die Kopplung von Dampfmaschine und Generator wesentlich dazu bei, dass der
elektrische Strom zur wichtigsten Energiequelle wurde (vgl. Jischa 2005, 11). In weiterer
Folge wurde durch die Erfindung des Fließbandes, das erstmals von Henry Ford in der
Automobilindustrie eingesetzt wurde, die Zerlegung des Arbeitsprozesses in klar definierte
Einheiten ermöglicht (vgl. Rifkin 2004, 97 und Beinhocker 2007, 279 und Eichhorst et al.
2013, 3).

Mitte des 20. Jahrhunderts nahm die Automatisierungstechnik eine wichtige Funktion in der
Industrie ein. Als in den 1960er-Jahren der Computer erstmals in der Produktion eingesetzt
wurde, konnten viele Produktionsabläufe automatisiert und rationalisiert werden. Durch
Elektronik und Informationstechnologie, die bis heute stets weiterentwickelt wurden und
zukünftig   noch     weiter   ausgebaut    werden,    konnten    zum    einen    deutliche
Produktivitätssteigerungen erzielt werden. Zum anderen führte es jedoch auch dazu, dass
Routinetätigkeiten, die vormals von ArbeiterInnen ausgeführt worden waren, von Maschinen
und Computer übernommen und so Arbeitsplätze ersetzt wurden (vgl. Rifkin 2004, 86–90).

Durch die anhaltende technologische Entwicklung, vor allem im Bereich der Informations-
und Kommunikationstechnologie (IKT), ist die heutige Arbeitswelt durch den Einsatz neuer
Kommunikationsmittel und digitaler Anwendungen geprägt. Der weitreichende Einsatz von
verschiedenen IKT führte zu Veränderungen hinsichtlich der Arbeitsmethoden, ihrer
Organisation und Inhalte (vgl. Kübler 2009, 18 und Rump 2011, 38).

Durch diese Fortschritte wurden den Unternehmen neue Möglichkeiten eröffnet, um ihre
Effizienz und Effektivität zu steigern. Aufgrund der raschen Entwicklungen im technischen
Bereich sehen sich Organisationen aber auch zunehmend mit einem erhöhten Druck
konfrontiert, neueste Technologien ein- und umzusetzen, um wettbewerbsfähig bleiben zu
können. Neben den Unternehmen sind auch ArbeitnehmerInnen gefordert, denn sie müssen
sich schnell auf neue, sich ständig wandelnde Technologien einstellen (vgl. Wüstner 2006,
13). Der anhaltende technologische Fortschritt erfordert komplexere kognitive Fähigkeiten
der MitarbeiterInnen. Statt einfacher, operativer und vorhersehbarer Aufgaben müssen die
Beschäftigten zunehmend Schlussfolgerungen ziehen, Diagnosen stellen und Beurteilungen
abgeben (vgl. Kauffeld 2016, 6).

                                                                                         16
2.3 Informations- und Wissensgesellschaft

Die heutigen Industriestaaten befinden sich in einem Übergang von der Industriegesellschaft
in eine neue Form, bei der die Bedeutung von Information und Wissen rasant steigt. Für
diesen Wandel werden in der Literatur verschiedene Begriffe wie nachindustrielle
Gesellschaft, Wissensgesellschaft, Dienstleistungsgesellschaft oder Informationsgesellschaft
verwendet (vgl. Kreibich 1986, 334 und Stehr 2001, 7 und Jischa 2005, 191 und Wüstner
2006, 13 und Kübler 2009, 16).

An dieser Stelle wird keine genaue Unterscheidung zwischen diesen Bezeichnungen
vorgenommen. Aufgrund der besonderen Bedeutung für diese neue Form der Gesellschaft
werden jedoch im Folgenden die Termini Daten, Information und Wissen definiert. Davenport
(1997) versteht Daten als observations of states of the world, also als Beobachtungen der
Zustände der Welt (vgl. Davenport 1997, 9). Sie sind für ihn Zahlen oder Zeichen, die noch
kontextunabhängig sind (vgl. Davenport 1997, 9). Daten sind somit Zeichen, die „in einen
definierten, strukturierten Zusammenhang gebracht“ (Krcmar 2015, 4) werden.

Daten werden erst zu Informationen, wenn sie durch einen Kontext eine Bedeutung erhalten
(vgl. Krcmar 2015, 4 und Davenport 1997, 9). Diese Transformation von Daten in
Informationen findet durch hochentwickelte IKT statt (vgl. Zillien 2009, 7).

Wissen kann als Information, die verarbeitet und in einen Erfahrungskontext eingebunden
wird, verstanden werden. Somit basiert das Wissen auf menschlicher Reflexion und stellt
wertvolle Information dar (vgl. Davenport 1997, 9). Für Krcmar (2015) entsteht Wissen,
wenn mehrere Informationen vernetzt werden (vgl. Krcmar 2015, 4). Wissen ist somit
deutlich von Information und Daten zu unterscheiden und entwickelt sich für jeden Menschen
individuell (vgl. Sauter/Scholz 2015, 6). Der Unterschied zwischen Information und Wissen
liegt in der Verfügbarkeit. Durch die Digitalisierung der Informationen ist diese in
unüberschaubarer Menge gegeben. Im Gegensatz dazu ist Wissen knapp, teuer und nicht so
einfach abrufbar wie Information (vgl. Willke 2004, 107).

Für die neue Form der Gesellschaft gilt, dass die Ressourcen Information und Wissen für
Organisationen und deren Mitglieder in den letzten Jahrzehnten wesentlich an Bedeutung
gewonnen haben (vgl. Kreibich 1986, 334 und Rump 2011, 41). Rump (2011) beschreibt
diesen Trend damit, dass Wissen das Kapital zunehmend als wichtigsten Produktionsfaktor

                                                                                         17
ablösen wird (vgl. Rump 2011, 41). Dies ist vor allem auch auf die technische Entwicklung
der IKT zurückzuführen, da durch die neuen technologischen Möglichkeiten die Menge an
gesammelten Daten und Informationen rasant ansteigt (vgl. Willke 2004, 106–107 und
Ostovics/Kovar/Fernsebner-Kokert 2016, 13).

Abbildung 4: Industrie- und Wissensgesellschaft (Willke 2004, 108)

Wie in Abbildung 4 ersichtlich, charakterisiert sich der Übergang von der Industrie- zur
Wissensgesellschaft unter anderem durch Vernetzungen und die hohe Relevanz von
Wissenskapital (vgl. Jischa 2005, 203 und Wüstner 2006, 16). Durch Information, Wissen
und die IKT werden verschiedenste Lebensbereiche der Menschen beeinflusst. Als zentrales
Merkmal      in    der    heutigen     Arbeitswelt     kann     die   rasante   Geschwindigkeit   der
Wissenserneuerung gesehen werden. Dadurch werden sowohl Organisationen, als auch deren
Mitglieder vor neue Herausforderungen gestellt. Denn implizites sowie explizites Wissen
muss nicht nur schnell umgesetzt, sondern auch schnell erzeugt werden (vgl. Wüstner 2006,
17).

                                                                                                  18
3 Ältere ArbeitnehmerInnen

Wie in Kapitel 2.1 dargelegt wurde, wird der Großteil der industriellen Bevölkerungen in
Zukunft von einer demographischen Alterung geprägt sein. Das Alter nimmt jedoch nicht nur
im gesellschaftlichen und kulturellen, sondern auch im persönlichen Bereich der Menschen
einen zentraleren Platz ein. So sieht sich die heutige Wissenschaft neben der
gesellschaftlichen Anpassung an die demographische Alterung häufiger mit Fragen bezüglich
der persönlichen Möglichkeit zur Beeinflussung des Alterns konfrontiert (vgl. Baltes/Baltes
1994, 2 und Wahl/Heyl 2015, o.S.).

Aufgrund dieser steigenden Aktualität gewinnt die gerontologische Wissenschaft seit Beginn
des 20. Jahrhunderts immer mehr an Bedeutung (vgl. Baltes/Baltes 1994, 8 und Wahl/Heyl
2015, o.S.). Baltes/Baltes definieren die Gerontologie als Disziplin, die sich
         „mit der Beschreibung, Erklärung und Modifikation von körperlichen,
         psychischen, sozialen, historischen und kulturellen Aspekten des Alterns
         und des Alters, einschließlich der Analyse von alternsrelevanten und
         alternskonstituierenden Umwelten und sozialen Institutionen“ (Baltes/Baltes
         1994, 8)
auseinandersetzt. Somit wird verdeutlicht, dass sowohl das Alter als auch das Altern von
biologischen und soziologischen bis hin zu psychologischen Faktoren beeinflusst wird. Durch
den Einfluss dieser unterschiedlichen Aspekte gibt es noch keine einheitliche Definition
dieser beiden Begriffe (vgl. Baltes/Baltes 1994, 8–11 und Mahr 2016, 10–11). Daher wird im
Folgenden auf verschiedene Dimensionen des Alters sowie auf das Altern als Prozess näher
eingegangen, um anschließend eine Begriffsabgrenzung der Personengruppe der älteren
ArbeitnehmerInnen vorzunehmen. Des Weiteren werden ausgewählte wissenschaftliche
Modelle des Alterns vorgestellt und kritisch betrachtet. Im letzten Abschnitt dieses Kapitels
wird das Lernen in der späteren Lebensphase näher analysiert. Dazu wird sowohl auf die
mögliche Veränderung der Lernfähigkeit als auch auf die Bildungsbeteiligung Älterer im
Allgemeinen und älterer ArbeitnehmerInnen im Speziellen eingegangen.

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3.1 Begriffsbestimmungen Alter, Altern und ältere
       ArbeitnehmerInnen

Alter kann einerseits als Lebens- oder Existenzabschnitt eines Objekts oder Subjekts
verstanden werden. Andererseits kann der Begriff jedoch auch die letzte Phase dieser
Existenz und somit das Resultat des Altwerdens beschreiben (vgl. Baltes/Baltes 1994, 9 und
Kohli 2001, 1 und Buchka 2012, o.S.). Vor diesem Hintergrund werden in der Folge
verschiedene inhaltliche Dimensionen des Alters dargelegt.

Das kalendarische bzw. chronologische Alter ist jenes Konzept, welches direkten Bezug auf
das Geburtsdatum einer Person nimmt (vgl. Walter et al. 2006, 42). Diese Typisierung des
Alters beschreibt mathematisch die Zeit zwischen dem Geburtsdatum und einem bestimmten
Zeitpunkt (vgl. Schnelle 2014, 26) und kann somit eindeutig statistisch erhoben werden (vgl.
Schimany 2002, 23). Dem kalendarischen bzw. chronologischen Alter kommt häufig eine
große Bedeutung zu, da sich Rechte, Pflichten und soziale Regelungen an diesem Konzept
orientieren. So richten sich zum Beispiel das Wahlalter, das Mindestalter für die
Fahrerlaubnis oder der Zeitpunkt des Renteneintritts nach dieser Typisierung. Des Weiteren
dient das kalendarische Alter auch als subjektive Vergleichsgröße zu anderen Personen (vgl.
Benz 2010, 55 und Winkler 2014, 65).

Im Gegensatz zum chronologischen ist das biologische Alter eine Folge der biologisch-
physiologischen Entwicklung und verläuft daher individuell. Somit können Personen gleichen
kalendarischen Alters ein unterschiedliches biologisches Alter aufweisen. Da bei dieser
Dimension des Alters der tatsächliche Funktionsgrad der Organe oder des Organismus
angegeben wird (vgl. Mietzel 2012, 20 und Pohlmann/Leopold/Heinecker 2012, 35–36), ist es
genetisch bestimmt, kann jedoch durchaus von äußeren Umständen, zum Beispiel der
individuellen Lebensweise, beeinflusst werden (vgl. Witterstätter 1997, 18 und Schnelle 2014,
26).

Das soziale Alter wird vor allem durch verschiedene Alltagserfahrungen, gesellschaftliche
Vorstellungen   und   kulturell   bedingte   Normierungen    beeinflusst.   So   wird   durch
gesellschaftliche Konventionen vorgegeben, ob sich eine Person alterskonform oder
altersdiskonform verhält (vgl. Pohlmann/Leopold/Heinecker 2012, 36). Das soziale Alter wird
unter anderem durch die soziale Position, die ein Mensch in der Gesellschaft innehat,

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beeinflusst. So werden SpitzensportlerInnen in der Gesellschaft schon mit 30 Jahren als alt
bezeichnet, während PolitikerInnen in diesem Alter noch als jung angesehen werden (vgl.
Reifschneider 2011, 20). Die sozialen Altersgrenzen sind in der gesellschaftlichen
Wahrnehmung fest verankert und wirken sich auch auf das persönliche Empfinden aus. Trotz
dieser starken Verankerung können sich die gesellschaftlichen Zuschreibungen des Alters
durch meinungsbildende und zeitliche Entwicklungen in der Gesellschaft verändern (vgl.
Pohlmann/Leopold/Heinecker 2012, 36).

Bei der Begriffsdimension des psychologischen Alters fließen unter anderem Einstellungen,
Emotionen, subjektives Empfinden und Motivlagen einer Person ein (vgl. Mietzel 2012, 21
und Staudinger 2012, 191 und Martin/Kliegel 2014, o.S.). Verschiedene Studien haben bereits
bewiesen, dass dieses subjektiv empfundene Alter vom kalendarischen abweichen kann (vgl.
Montepare/Lachman 1989, 73 und Goldsmith/Heiens 1992, 312 und Barak 2009, 2 und
Choi/DiNitto/Kim 2014, 458). Auch Westerhof/Barrett/Steverink (2003) haben in einer
empirischen Studie gezeigt, dass Erwachsene ihr subjektives Alter niedriger einschätzen als
ihr chronologisches. Sie konnten des Weiteren Unterschiede in der Wahrnehmung des Alters
in verschiedenen Kulturen feststellen. So schätzen Menschen, die in den Vereinigten Staaten
von Amerika (USA) leben, ihr tatsächliches Alter jünger ein als Deutsche. Dieses Ergebnis
wird darauf zurückgeführt, dass in der nordamerikanischen Gesellschaft die Jugend einen
höheren Stellenwert besitzt und somit erstrebenswert ist (vgl. Westerhof/Barrett/Steverink
2003, 378–379). Staudinger (2012) führt als weiteren Erklärungsversuch für dieses Ergebnis
die unterschiedlichen politischen Systeme in den Ländern an. So ist Amerika neoliberal mit
einer hohen individuellen Wettbewerbsorientierung geprägt. Im Vergleich dazu ist in
Deutschland ein eher wohlfahrtsstaatliches solidarisches System vorherrschend (vgl.
Staudinger 2012, 191–192). Westerhof/Barrett (2005) konnten in einer weiteren Studie einen
positiven Zusammenhang zwischen dem subjektiven Alter und dem subjektiven
Gesundheitszustand einer Person ermitteln. Dies bedeutet, dass sich das empfundene Alter
verringert, wenn sich der Mensch in einem guten gesundheitlichen Allgemeinzustand befindet
(vgl. Westerhof/Barrett 2005, 134–135).

Neben den inhaltlichen Dimensionen des Alters gibt es in der vorherrschenden Literatur auch
voneinander abweichende Auffassungen darüber, ab wann die Lebensphase Alter beginnt.
Eine mögliche Abgrenzung dieser Phase ist das gesetzliche Eintrittsalter in die Pension, da die
Personen ab diesem Alter nicht mehr zum Produktionsprozess einer Gesellschaft beitragen.

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Da jedoch der Zeitpunkt des Pensionsantritts durch verschiedene Einflüsse, wie
Frühpensionierung und andere arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, variieren kann, scheint
diese Definition nicht vollkommen (vgl. Thiem 2008, 32–35 und Aner/Karl 2010, 10).
Lindenberger/Schäfer    (2008)    unterscheiden    zwischen   mittlerem    und    höherem
Erwachsenenalter sowie hohem Alter, wobei ein Mensch zwischen 35 und 65 Jahren im
mittleren und zwischen 65 und 80 Jahren im hohen Erwachsenenalter einzuordnen ist. Jeder
Mensch, der älter als 80 Jahre ist, befindet sich demnach im hohen Alter. Die Phasen
unterscheiden sich deutlich voneinander, der Übergang von der einen in die andere
Lebensphase verläuft jedoch kontinuierlich (vgl. Lindenberger/Schäfer 2008, 366). Baltes
(1999) unterteilt die über 60-Jährigen in junge Alte und Personen im vierten Lebensalter.
Junge Alte sind zwischen 60 und 75 Jahre alt und Menschen, die älter sind, befinden sich im
vierten Lebensalter (vgl. Baltes 1999, 443–444).

Im Zusammenhang mit dem Phänomen des Alters kommt dem Begriff des Alterns eine große
Bedeutung zu. Altern beschreibt den lebenslangen Prozess, der zum Alter führt (vgl.
Baltes/Baltes 1994, 9 und Winkler 2014, 25 und Mahr 2016, 218). Unter dem Prozess des
biologischen Alterns wird die Veränderung der biologischen Kapazität und der damit
einhergehenden physiologischen Entwicklung verstanden. In naturwissenschaftlichen
Überlegungen wird davon ausgegangen, dass die körperliche Funktionstüchtigkeit im höheren
Alter abnimmt (vgl. Baltes/Baltes 1994, 10 und Walter et al. 2006, 42). Für Biologen und
Biologinnen ist die Alterung somit oft ein Phänomen des Verlustes, bei dem die Leistungen
der Organe mit zunehmendem Alter geringer werden. Es wird zum Beispiel oft von einer
Alterung des Auges gesprochen, sobald die Sehfähigkeit des Auges zurückgeht. Gegenläufige
Effekte, wie etwa die erhöhte Effektivität des Immunsystems aufgrund bereits erlebter
Infektionen, existieren in der naturwissenschaftlichen Theorie durchaus, werden jedoch eher
dem Konzept der Entwicklung und weniger dem Altern zugerechnet (vgl. Baltes/Baltes 1994,
10).

In den Geistes-, Sozial- und Verhaltenswissenschaften wird diese Form des biologischen
Alterns durchaus anerkannt, jedoch wird in diesen Disziplinen angenommen, dass Alter nicht
nur durch Abbauprozesse gekennzeichnet ist (vgl. Baltes/Baltes 1994, 10–11 und Baltes 1999,
435–437). Altern wird hier als ein durch die Kultur geschaffenes und geprägtes Phänomen
verstanden und kann durchaus wachstumsartige, positive Aspekte beinhalten. Es wird davon

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