Chancen und Herausforderungen für die betriebliche Weiterbildung älterer ArbeitnehmerInnen - unipub
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Johanna Janisch, BSc Chancen und Herausforderungen für die betriebliche Weiterbildung älterer ArbeitnehmerInnen Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Master of Science der Studienrichtung Wirtschaftspädagogik an der Karl-Franzens-Universität Graz Betreuerin: Univ.-Prof. Mag. Dr. Michaela Stock Institut für Wirtschaftspädagogik Graz, September 2016
Ehrenwörtliche Erklärung Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen inländischen oder ausländischen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht. Die vorliegende Fassung entspricht der eingereichten elektronischen Version. Datum: Unterschrift:
Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung .......................................................................................................................... 1 2 Einflussfaktoren der Arbeitswelt .................................................................................... 4 2.1 Bevölkerungsentwicklung .......................................................................................... 5 2.1.1 Allgemein ........................................................................................................... 7 2.1.2 Erwerbsbevölkerung......................................................................................... 10 2.1.3 Österreich im europäischen Vergleich ............................................................. 12 2.2 Technologische Entwicklung ................................................................................... 15 2.3 Informations- und Wissensgesellschaft .................................................................... 17 3 Ältere ArbeitnehmerInnen ............................................................................................ 19 3.1 Begriffsbestimmungen Alter, Altern und ältere ArbeitnehmerInnen ....................... 20 3.2 Wissenschaftliche Modelle des Alterns ................................................................... 25 3.2.1 Defizitmodell .................................................................................................... 25 3.2.2 Kompetenzmodell ............................................................................................ 27 3.2.3 Aktivitätstheorie ............................................................................................... 28 3.2.4 Disengagementtheorie ...................................................................................... 29 3.3 Lernen im Alter ........................................................................................................ 30 3.3.1 Lernfähigkeit .................................................................................................... 30 3.3.2 Bildungsbeteiligung ......................................................................................... 33 4 Betriebliche Weiterbildung ........................................................................................... 36 4.1 Begriffsbestimmung ................................................................................................. 37 4.1.1 Personalentwicklung ........................................................................................ 37 4.1.2 Betriebliche Weiterbildung als Teilbereich der Personalentwicklung ............. 40 4.2 Formen betrieblicher Weiterbildung ........................................................................ 42 4.2.1 Weiterbildung am Arbeitsplatz ........................................................................ 44 4.2.2 Weiterbildung außerhalb des Arbeitsplatzes .................................................... 46 4.3 Betriebliche Weiterbildung in Österreich................................................................. 47 5 Chancen und Herausforderungen betrieblicher Weiterbildung älterer ArbeitnehmerInnen ........................................................................................................ 50 5.1 Aus Sicht der Unternehmen ..................................................................................... 50 I
5.1.1 Herausforderungen und Hindernisse ................................................................ 50 5.1.2 Nutzen und Chancen ........................................................................................ 55 5.2 Aus Sicht des Individuums ....................................................................................... 58 5.2.1 Herausforderungen und Hindernisse ................................................................ 58 5.2.2 Nutzen und Chancen ........................................................................................ 63 6 Zusammenfassung .......................................................................................................... 67 7 Literaturverzeichnis ....................................................................................................... 71 II
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Bevölkerungsentwicklung 1960–2060 ................................................................. 7 Abbildung 2: Bevölkerungspyramiden Österreichs 1910, 2014 und 2060 ................................ 9 Abbildung 3: Bevölkerungsentwicklung in Europa 1950–2075 .............................................. 13 Abbildung 4: Industrie- und Wissensgesellschaft .................................................................... 18 Abbildung 5: Bildungsbeteiligung im Überblick ..................................................................... 34 Abbildung 6: Hauptaufgaben der Personalwirtschaft .............................................................. 38 Abbildung 7: Betriebliche Bildung .......................................................................................... 41 Abbildung 8: Unternehmen mit Weiterbildungskursen nach Kursinhalten ............................. 48 Abbildung 9: Zusammensetzung der direkten Weiterbildungskosten ..................................... 54 Abbildung 10: Faktoren der Lernbereitschaft älterer ArbeitnehmerInnen ............................... 61 Abbildung 11: Weiterbildungsinteresse und tatsächliche Weiterbildungsteilnahme ............... 62 Abbildung 12: Durchschnittliches Zugangsalter bei Eigenpensionen ..................................... 65 Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Bevölkerungsstruktur Österreichs 2014–2060 gemäß Hauptszenario ...................... 8 Tabelle 2: Erwerbspersonen 2014–2050 nach Altersgruppen .................................................. 11 Tabelle 3: Bevölkerungsstruktur Europas 2015–2060 ............................................................. 14 Tabelle 4: Altersabhängige und altersunabhängige Kompetenzen .......................................... 31 III
Abkürzungsverzeichnis AES Adult Education Survey CVTS4 Fourth Continuing Vocational Training Survey EU Europäische Union IKT Informations- und Kommunikationstechnologie Mio. Millionen Mrd. Milliarden IV
1 Einleitung Die heutige Arbeitswelt befindet sich durch Veränderungen verschiedener Rahmenbedingungen in einem umfassenden Wandel. Unternehmen sind durch den rasanten technologischen Fortschritt und die Entwicklung hin zu einer Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft einem immer größer werdenden Veränderungsdruck ausgesetzt (vgl. Richter/Bode/Köpter 2012, 2). Auch auf der persönlichen Ebene der Beschäftigten steigt dieser Druck durch komplexere, sich ständig verändernde Kompetenzanforderungen und einem gleichzeitig immer rascheren Wissensverfall (vgl. Statistik Austria 2012, 5). In den vergangenen Jahren wurde diesen Herausforderungen vor allem über die Einstellung jüngerer ArbeitnehmerInnen1, die aktuelles Wissen in das Unternehmen einbringen, entgegen gewirkt. Diese Strategie wird jedoch in der Zukunft aufgrund des weitreichenden demografischen Umbruchs nicht mehr umzusetzen sein (vgl. Frerichs 2007, 67). Sinkende Geburtenraten und die gleichzeitig steigende Lebenserwartung haben zu einer veränderten Bevölkerungsstruktur geführt (vgl. Lachmayr 2006, 4). Die Alterung der österreichischen Gesellschaft lässt sich durch die Entwicklung des Durchschnittsalters sehr deutlich zeigen. Während die Bevölkerung in Österreich Anfang der 1970er-Jahre im Durchschnitt 36,1 Jahre alt war, ist dieser Wert bis zum Jahr 2015 bereits auf 42,3 Jahre angestiegen (vgl. Statistik Austria 2015f, 1). Da sich dieser demografische Trend der alternden Bevölkerung auch in den kommenden Jahrzenten fortsetzen wird (vgl. Lachmayr 2006, 4), wurden auf staatlicher Ebene bereits Maßnahmen gesetzt, um ältere Menschen länger im Arbeitsprozess halten zu können. So werden unter anderem vorzeitige Pensionsantritte sanktioniert und das Pensionsantrittsalter von Frauen wurde angehoben (vgl. Blauensteiner/Stadler 2015, 1). Durch die sich verändernde Altersstruktur in den europäischen Staaten und den Handlungen seitens der österreichischen Politik, werden dem Arbeitsmarkt zukünftig mehr ältere Personen zur Verfügung stehen (vgl. Bellmann/Dummert/Leber 2013, 312). Somit werden auch auf 1 Im Rahmen dieser Masterarbeit wird nicht explizit zwischen den Begriffen ArbeitnehmerInnen und MitarbeiterInnen unterschieden. 1
unternehmerischer und individueller Ebene in Zukunft Anpassungen nötig sein, um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen (vgl. Brinkmann 2009, 6) und die Leistungsfähigkeit der MitarbeiterInnen aufrecht zu erhalten (vgl. Vaupel/Hofäcker 2009, 383). In der Wissenschaft kommt hier der betrieblichen Weiterbildung Älterer eine bedeutende Rolle zu. Da jedoch erst wenige Unternehmen passende Weiterbildungsmaßnahmen speziell für diese Zielgruppe eingeführt haben (vgl. Bellmann/Leber 2015, 6), ergibt sich folgende Forschungsfrage: Welche Chancen und Herausforderungen bestehen für die betriebliche Weiterbildung älterer ArbeitnehmerInnen? Mit dieser Arbeit soll gezeigt werden, welche Chancen, aber auch Herausforderungen für die betriebliche Weiterbildung älterer Beschäftigte sowohl auf unternehmerischer als auch auf individueller Ebene bestehen. Dabei wird zuerst ein Überblick über wichtige Rahmenbedingungen, die die heutige Arbeitswelt beeinflussen, gegeben. Des Weiteren soll diese Arbeit die Bedeutung des Alters für Beschäftigte durch verschiedene wissenschaftliche Alterstheorien und die betriebliche Weiterbildung als Instrument der Personalentwicklung veranschaulichen. Im Anschluss werden verschiedene Aspekte, die für die betriebliche Weiterbildung Älterer förderlich oder hinderlich sind, analysiert. Im Zusammenhang mit der Forschungsfrage soll jedoch keine konkrete personalpolitische Strategie ausgearbeitet, sondern vielmehr die Auswirkungen dieser Konzepte analysiert werden. Diese Arbeit ist eine theoretische Masterarbeit, wobei mithilfe einer kritischen Text- und Literaturanalyse die Forschungsfrage beantwortet wird. Die vorliegende Arbeit gliedert sich in sechs Kapitel, wobei in der Einleitung zunächst die Aktualität des Themas durch die Problemstellung verdeutlicht und daraus anschließend die Forschungsfrage abgeleitet wird. Des Weiteren werden hier Zielsetzung und Methodik der Masterarbeit definiert und ein Überblick über die Inhalte der einzelnen Kapitel gegeben. Um die aktuelle Bedeutung der betrieblichen Weiterbildung älterer Beschäftigter aufzuzeigen, wird im zweiten Kapitel näher auf die Rahmenbedingungen, welche die Arbeitswelt beeinflussen, eingegangen. Das Hauptaugenmerk liegt hier auf dem immer deutlicher werdenden demografischen Wandel in der österreichischen Bevölkerung. Anschließend werden auch die technologischen Veränderungen, wie Digitalisierung und Automatisierung, 2
in der Arbeitswelt und die Entwicklung hin zu einer Informations- und Wissensgesellschaft analysiert. Im dritten Abschnitt wird der Fokus auf die älteren ArbeitnehmerInnen gelegt. Um definieren zu können, wer zu dieser Zielgruppe zu zählen ist, wird zunächst der Begriff des Alters und der Prozess des Alterns beschrieben. Des Weiteren werden ausgewählte Modelle des Alterns, das Defizit- und das Kompetenzmodell sowie die Aktivitäts- und die Disengagementtheorie, vorgestellt. Somit kann im letzten Teil dieses Kapitels das Lernen im Alter analysiert und auf die Lernfähigkeit und das Lernverhalten im Alter eingegangen werden. Im vierten Kapitel wird zuerst eine Begriffsabgrenzung der betrieblichen Weiterbildung als Teilbereich der Personalentwicklung vorgenommen, um anschließend die Ziele und die verschiedenen Arten vorzustellen. Des Weiteren wird die Situation in Österreich näher betrachtet, um aufzuzeigen, wie die betriebliche Weiterbildung hier umgesetzt wird. Um die Auswirkungen der betrieblichen Weiterbildung älterer ArbeitnehmerInnen analysieren zu können, wird im fünften Abschnitt zwischen der Ebene der Unternehmen und der Beschäftigten unterschieden. Es werden für beide Zielgruppen sowohl die Chancen als auch die Herausforderungen für die betriebliche Weiterbildung als Maßnahme der Personalentwicklung dargestellt. Im abschließenden Kapitel werden die Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst, es wird die Forschungsfrage beantwortet und ein Ausblick für mögliche personalpolitische Handlungen in der betrieblichen Weiterbildung älterer Beschäftigte gegeben. 3
2 Einflussfaktoren der Arbeitswelt Sowohl die gesamte Wirtschaft als auch die Arbeitswelt befindet sich in einem Umbruch. Verschiedene Trends beeinflussen die Gesellschaft, die ArbeitgeberInnen und die ArbeitnehmerInnen (vgl. Rump 2011, 37). Die Bevölkerungsentwicklung wird in Zukunft einen erheblichen Einfluss auf die Arbeitswelt haben. Die Gesamtbevölkerung in Europa wird zukünftig abnehmen und vor allem deutlich altern. Österreich ist hier eines der wenigen Länder in Europa, das durch die anhaltende Zuwanderung zukünftig mit einem Bevölkerungszuwachs rechnen kann (vgl. Statistik Austria 2015a, 3). Mit einer steigenden Anzahl an älteren Menschen wird aber auch die österreichische Bevölkerung konfrontiert werden (vgl. Lebhart 2003, 674). Dieser Alterungsprozess wirkt sich auch auf das Arbeitskräftepotenzial aus, denn der Anteil älterer Erwerbspersonen wird im Vergleich zu den jüngeren zukünftig steigen (vgl. Hanika et al. 2011, 8). Die Technologie und ihre Entwicklung spielen für die Menschheit und deren Arbeitswelt schon seit langer Zeit eine große Rolle. Bedeutende Fortschritte im Bereich der Technik wurden bereits im 18. Jahrhundert durch die industrielle Revolution erreicht (vgl. Jischa 2005, 11). Dieser Umbruch löste den Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft aus und Innovationen stellten die Unternehmen und deren MitarbeiterInnen vor neue Herausforderungen (vgl. Frerichs/Maier 2000, 247). Die aktuelle Transformation von der Industrie- zur Informations- und Wissensgesellschaft und die damit steigende Bedeutung von Wissen hin zu einem Produktionsfaktor ist vor allem auf die immer weiter fortschreitende technologische Entwicklung zurückzuführen (vgl. Jischa 2005, 164). Da die Bevölkerungsentwicklung, der technologische Fortschritt und der Wandel von einer Industrie- zu einer Informations- und Wissensgesellschaft die heutige Arbeitswelt beeinflussen, werden im Rahmen dieses Kapitels diese drei Einflussfaktoren näher analysiert. 4
2.1 Bevölkerungsentwicklung Die Bevölkerungsstruktur ändert sich laufend, denn sowohl Geburten und Sterbefälle, als auch Zu- und Abwanderungen beeinflussen die Bevölkerung (vgl. Prezewowsky 2007, 17). Um die Bevölkerungsentwicklung und ihre Ursachen genauer betrachten zu können, ist zunächst jedoch eine Definition der Begriffe Demografie und demografischer Wandel vorzunehmen. Die Demografie, auch Bevölkerungswissenschaft genannt, beinhaltet nach Dinkel „die Beschreibung von Größe, Verteilung, Struktur und Veränderung von Populationen“ (Dinkel 1989, 1). Aus dieser Begriffsbestimmung abgeleitet, kann unter demografischem Wandel die Veränderung der Bevölkerungsstruktur durch politische und soziale Faktoren verstanden werden (vgl. Benz 2010, 29). Der Umfang und die Geschwindigkeit der Bevölkerungsentwicklung werden durch die Entwicklung folgender Faktoren beeinflusst (vgl. Günther 2014, 7): Fertilität (Geburtenrate) Mortalität (Sterblichkeit) Migration (Wanderungen) Die Fertilität entspricht der Zahl der Lebendgeburten und wird durch kulturelle, soziale und gesundheitliche Einflussfaktoren bestimmt. Die Mortalität ist eine Kennzahl für die Lebenserwartung und den Lebensstandard einer Bevölkerung. Sie wird durch Komponenten wie Alter, Geschlecht und soziale Schicht beeinflusst. Die Migration ist dadurch gekennzeichnet, dass sich der Lebensmittelpunkt der Menschen auf Dauer verändert (vgl. Günther 2014, 8–10). Hier wird zwischen internationalen Zu- und Abwanderungen, welche über Landesgrenzen hinaus erfolgen, und Binnenwanderungen, die innerhalb dieser Grenzen stattfinden, differenziert (vgl. Hanika et al. 2012, 785 und Günther 2014, 10). Die in Österreich von Statistik Austria erstellten Bevölkerungsprognosen werden jährlich überarbeitet und spätestens alle drei Jahre neu erstellt (vgl. Hanika 2013, 3). Mit den Daten aus dem zentralen Melderegister und detaillierten Annahmen zu Fertilität, Mortalität und Migration wird die Bevölkerungsentwicklung aktuell bis zum Jahr 2075 prognostiziert (vgl. Statistik Austria 2013, 3). Für die Jahre von 2060 bis 2075 werden für die drei 5
Prognoseparameter jedoch keine Veränderungen mehr angenommen, es werden vielmehr die für 2060 angenommen Werte weitergeführt (vgl. Statistik Austria 2015a, 3). Aufgrund der sich langfristig langsam verändernden demografischen Strukturen weisen Bevölkerungsprognosen einen hohen Grad an Sicherheit auf, wobei naturgemäß die Ergebnisse unsicherer werden, umso weiter die prognostizierten Zahlen in der Zukunft liegen. Vor allem die Anzahl der Geburten stellt einen Unisicherheitsfaktor dar, da bei der Geburtenrate nicht vorhersehbare Schwankungen in der Fertilität eine Rolle spielen. Des Weiteren stellt die Migration einen schwierig vorhersehbaren Prognoseparameter dar. Im Bereich der älteren Menschen ist die Prognoseunsicherheit nochmals geringer als bei den Prognose-berechnungen für die gesamte Bevölkerung. „Die Fertilitätsannahmen spielen hier keine Rolle [...] und (internationale) Migrationsprozesse betreffen ältere Menschen kaum. Als einziger wichtiger demografischer Einflussfaktor bleibt die Sterblichkeit.“ (Kytir 2009, 52) Neben der Statistik Austria erstellen auch die Europäische Union (EU) und die Vereinten Nationen Bevölkerungsprognosen für Österreich. Diese internationalen Berechnungen sind gut mit den österreichischen vergleichbar, da das gleiche Prognosemodell zur Anwendung kommt. Trotz der gleichen Methodik gibt es bei der Vorhersage der Bevölkerungsentwicklung Unterschiede hinsichtlich der Ergebnisse. Dies ist auf die verschiedenen Annahmen zur zukünftigen Entwicklung der Fertilität, Mortalität und Migration zurückzuführen. Statistik Austria prognostiziert das stärkste Bevölkerungswachstum, gefolgt von der EU und den Vereinten Nationen. Vom statistischen Amt der EU wird ab 2045 und von den Vereinten Nationen ab 2030 ein Bevölkerungsrückgang berechnet. Im Gegensatz dazu nimmt die Statistik Austria ein Bevölkerungswachstum Österreichs für den gesamten Zeitraum bis 2060 an (vgl. Hanika 2013, 17). Im Folgenden wird auf die Bevölkerungsprognosen der Statistik Austria eingegangen, da vor allem diese Prognosen von der österreichischen Politik und Wirtschaft für Entscheidungen herangezogen werden (vgl. Hanika 2013, 6 und § 1 Bundesstatistikgesetz). 6
2.1.1 Allgemein Die österreichische Bevölkerung wächst stetig. Die EinwohnerInnenzahl ist seit dem Jahr 1960 bis 2015 von 7,03 auf 8,58 Millionen (Mio.) EinwohnerInnen angestiegen (vgl. Mikulasek/Fuchs/Wisbauer 2015, 18–20). Dies ist bis in die 1970er-Jahre auf eine hohe Geburtenrate zurückzuführen, ab diesem Zeitpunkt ist jedoch hauptsächlich die internationale Zuwanderung für den Bevölkerungszuwachs verantwortlich. Die positive Wanderungsbilanz wird auch zukünftig für den prognostizierten Anstieg der österreichischen Wohnbevölkerung verantwortlich sein (vgl. Hanika 2010, 11–12). Abbildung 1: Bevölkerungsentwicklung 1960–2060 (vgl. Mikulasek/Fuchs/Wisbauer 2015, 20–22 und Statistik Austria 2015b, o.S. und Statistik Austria 2015c, o.S.) Statistik Austria prognostiziert die Bevölkerungsentwicklung bis 2060 in zehn verschiedenen Varianten. Für jede dieser Prognosen werden unterschiedliche Annahmen für die drei veränderbaren Einflussfaktoren getroffen (vgl. Hanika 2013, 10). Da sich diese Arbeit auf ältere Menschen konzentriert, wird in Abbildung 1 neben der Hauptvariante als zweite Variante das Alterungsszenario dargestellt. Beim Hauptszenario, das für die ExpertInnen den wahrscheinlichsten Pfad abbildet, wird von einer mittleren Entwicklung aller drei Determinanten ausgegangen (vgl. Hanika 2013, 10). Im Gegensatz dazu wird beim Alterungsszenario von einer niedrigeren Entwicklung sowohl im Bereich der Fertilität als 7
auch der Zuwanderung und zum anderen von einer steigenden Lebenserwartung ausgegangen (vgl. Hanika 2013, 10). Wie in Abbildung 1 ersichtlich, wächst die österreichische Bevölkerung bei beiden Varianten, wobei beim Eintreten des Hauptszenarios ein größerer Anstieg zu erkennen ist. Gemäß der Hauptvariante steigt die Bevölkerungsanzahl auf ca. 9,30 Mio. im Jahr 2030 und danach bis 2060 auf 9,70 Mio. Menschen an (vgl. Statistik Austria 2015b, 1). Im Vergleich dazu käme es langfristig bei der Alterungsvariante zu einem Anstieg der Bevölkerung auf 9,03 Mio. Menschen bis zum Jahr 2060 (vgl. Statistik Austria 2015c, o.S.). Neben dem Wachstum der Gesamtbevölkerung sieht sich die österreichische Bevölkerung jedoch auch mit einem zunehmenden demografischen Wandel, der auch demografische Alterung genannt wird, konfrontiert. Dieser Veränderungs-prozess, der die nachhaltige Entwicklung der Alterszusammensetzung der Bevölkerung beschreibt, beeinflusst nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche in erheblichem Maße (vgl. Steinbach/Linnenschmidt/Schüll 2011, 22). Während dieses Alterungsprozesses wird der Anteil junger Menschen an der Gesamtbevölkerung immer weiter schrumpfen, im Gegensatz dazu steigt der Anteil älterer (vgl. Schipfer 2005, 3). Anzahl an Personen Jahr 0 bis 19 Jahre 20 bis 64 Jahre 65 Jahre und älter 2014 1,69 Mio. 5,29 Mio. 1,57 Mio. 2020 1,72 Mio. 5,50 Mio. 1,73 Mio. 2040 1,81 Mio. 5,18 Mio. 2,53 Mio. 2060 1,80 Mio. 5,10 Mio. 2,80 Mio. Tabelle 1: Bevölkerungsstruktur Österreichs 2014–2060 gemäß Hauptszenario (vgl. Statistik Austria 2015b, 1) Wie in Tabelle 1 ersichtlich ist, wird die Anzahl der Kinder und Jugendlichen bis 19 Jahre in Zukunft wieder leicht ansteigen. Grund für diesen Zuwachs an jungen Menschen sind die positive Wanderungsbilanz und die damit indirekt leicht ansteigende Geburtenrate. 2014 wurden österreichweit 1,69 Mio. Kinder und Jugendliche gezählt, 2060 werden es mit 1,8 Mio. um 6,95 % mehr sein. Die Bevölkerung im Alter von 20 bis 64 Jahren wird im Gegensatz dazu zukünftig sinken. Nachdem hier im Jahr 2020 der Höhepunkt mit ungefähr 5,50 Mio. Menschen erreicht wird, sinkt die Anzahl dieser Bevölkerungsgruppe in den Folgejahren wieder. Dies ist auf den vermehrten Übertritt von Personen vom Erwerbs- in das Pensionsalter in den 2020er-Jahren zurückzuführen (Statistik Austria 2015a, 5). Dieser Trend wird sich laut der aktuellen Prognosen fortsetzen, sodass der Anteil der Personen im 8
Haupterwerbsalter an der Gesamtbevölkerung von 61,9 % im Jahr 2014 auf 52,6 % im Jahr 2060 sinken wird. Die aktuelle Bevölkerungsvorausberechnung prognostiziert gemäß der Hauptvariante, dass im Jahr 2060 die Gruppe der über 65-Jährigen auf 2,8 Mio. Menschen, und somit von 18,4 % der Gesamtbevölkerung im Jahr 2014 auf 28,8 %, ansteigen wird (vgl. Statistik Austria 2015b, 1). Grafisch lässt sich der Alterungsprozess der Bevölkerung sehr deutlich mit den in der Demografie verwendeten Alterspyramiden darstellen (vgl. Kytir 2009, 45). 1910 2014 2060 Abbildung 2: Bevölkerungspyramiden Österreichs 1910, 2014 und 2060 (vgl. Statistik Austria 2015d, o.S.) Anhand der grafischen Darstellung in Abbildung 2 wird ersichtlich, wie viele Menschen einer Bevölkerung zu einer Alterskategorie zu zählen sind. Auf der Ordinate wird das Lebensalter in Jahren und auf der Abszisse die Anzahl der Personen, die sich in diesem Alter befinden, aufgetragen. Des Weiteren werden Frauen auf der rechten und Männer auf der linken Hälfte dargestellt (vgl. Mrozek 2009, 15). Wie in Abbildung 2 zu erkennen ist, entfernt sich die Zusammensetzung der österreichischen Bevölkerung zunehmend von ihrer ursprünglichen Form der Pyramide aus dem Jahr 1910, die durch eine hohe Anzahl an jungen Personen und einer sinkenden Anzahl an älteren gekennzeichnet ist. Bei dieser Struktur ist keine Altersklasse überrepräsentiert und es gibt ein ausgewogenes Verhältnis zwischen jungen und alten Menschen (vgl. Günther 2014, 4). Durch den Einfluss der Weltwirtschaftskrise, der beiden Weltkriege, sowie der Baby-Boom-Generation der 1950er- und 1960er-Jahre und den darauf folgenden Geburtenrückgang in den 1970ern hat sich die Form der Bevölkerungspyramide bis zum Jahr 2014 deutlich verändert (vgl. Wisbauer 2013, 17). Auch in Zukunft wird sich diese weiter ändern, bis sie im Jahr 2060 einer Urne gleicht (vgl. Vaupel/Hofbäcker 2009, 396). 9
Für diese Entwicklung hin zu einer Urnenform (vgl. Vaupel/Hofbäcker 2009, 396) und dem damit einhergehenden Altern der Bevölkerung sind zu einem Großteil die gesunkenen Kinderzahlen verantwortlich (vgl. Statistik Austria 2013, 17–18). Neben dem Faktor der sinkenden Geburtenzahlen wirkt sich auch der Rückgang der Sterblichkeit, vor allem in den höheren Altersgruppen aufgrund der verbesserten medizinischen Versorgung und die damit verbundene ansteigende Lebenserwartung, auf die Veränderung der Bevölkerungsstruktur aus. Diese rückläufige Mortalität und die Migration sind für diesen Prozess jedoch im Gegensatz zur Fertilität nur sekundär entscheidend. Ein Faktor, auf den sich die derzeitige Alterung zurückführen lässt, sind die starken Baby-Boom-Jahrgänge der 1950er- und 1960er- Jahre, da diese ab 2020 die Personen im Pensionsalter stark erhöhen werden (vgl. Kytir 2009, 41–43). 2.1.2 Erwerbsbevölkerung Statistik Austria erstellt neben der Prognose zur allgemeinen Bevölkerungsentwicklung zusätzlich Berechnungen für die Bereiche Haushalte, Familien und Erwerbspersonen. Diese Sekundärprognosen basieren auf den Daten der allgemeinen Bevölkerungs- vorausberechnungen (vgl. Hanika et al. 2012, 11). In der Folge wird die zukünftige Entwicklung der Erwerbspersonen näher betrachtet. Zu den Erwerbspersonen zählen zum einen die Erwerbstätigen und zum anderen die Arbeitslosen. Daraus abgeleitet zählen zu der Gruppe der Nicht-Erwerbspersonen Kinder unter 15 Jahren, Personen mit Pensionsbezug, SchülerInnen über 15 Jahre, Studierende und die Gruppe der übrigen Nicht-Erwerbspersonen (vgl. Asamer et al. 2015, 30). Geringfügig Beschäftigte zählen bei der Prognoseberechnung der Statistik Austria auch zu der Gruppe der Nicht-Erwerbspersonen (vgl. Statistik Austria 2015e, 7). 2014 wurden in Österreich 4,18 Mio. Erwerbspersonen gezählt. Diese Zahl wird laut aktuellen Prognoserechnungen zukünftig steigen und im Jahr 2021 das Maximum von 4,32 Mio. erreichen. Nach diesem Höhepunkt wird aufgrund demografischer Umstände die Zahl der Erwerbspersonen bis 2035 auf rund 4,23 Mio. sinken, ehe sie danach bis 2050 wieder auf 4,29 Mio. steigen wird (vgl. Statistik Austria 2016a, o.S.). Der Anstieg Mitte der 2030er-Jahre beruht vor allem auf den erwarteten wachsenden Anteil der weiblichen Erwerbstätigen und 10
Arbeitslosen sowie den späteren Pensionsantritt der Frauen. Im Gegensatz dazu wird die Zahl der männlichen Erwerbspersonen langfristig sinken (vgl. Hanika et al. 2011, 8). Der Trend der demografischen Alterung, der für die allgemeine Bevölkerung bereits im Kapitel 2.1.1 aufgezeigt wurde, wirkt sich auch auf die Erwerbsbevölkerung aus und somit wird zukünftig der Anteil älterer Erwerbspersonen im Vergleich zum Anteil der jüngeren ansteigen (vgl. Statistik Austria 2015e, 8). Anzahl an Erwerbspersonen Jahr 15 bis 29 Jahre 30 bis 39 Jahre 40 bis 49 Jahre 50 Jahre und älter 2014 1,035 Mio. 0,992 Mio. 1,176 Mio. 0,973 Mio. 2020 1,046 Mio. 1,077 Mio. 1,050 Mio. 1,139 Mio. 2030 0,959 Mio. 1,083 Mio. 1,090 Mio. 1,111 Mio. 2040 0,978 Mio. 0,997 Mio. 1,084 Mio. 1,188 Mio. 2050 0,988 Mio. 1,006 Mio. 1,011 Mio. 1,287 Mio. Tabelle 2: Erwerbspersonen 2014–2050 nach Altersgruppen (vgl. Statistik Austria 2016b, o.S.) Durch Tabelle 2 wird deutlich, dass die Anzahl der Erwerbspersonen, die zwischen 15 und 29 Jahre alt sind, in Zukunft leicht sinken wird. Die Gruppe der 30 bis 39-Jährigen wird sich bis 2050 nicht sehr stark verändern und ungefähr an der 1 Mio. Grenze stagnieren. Dies gilt auch für die Gruppe der Erwerbspersonen im Alter von 40 bis 49 Jahren. Die Anzahl der Erwerbspersonen, die 50 Jahre und älter sind, werden jedoch zukünftig steigen. Im Jahr 2014 waren rund 0,973 Mio. Erwerbspersonen 50 Jahre und älter, dies entspricht 23,32 % der gesamten Anzahl an Erwerbspersonen. Der Anteil der Personen dieser Altersgruppe wird bis zum Jahr 2050 mit 1,287 Mio. auf 29,98 % steigen (vgl. Statistik Austria 2016b, o.S.). Dieser Trend ist einerseits auf das Älterwerden der Baby-Boom Generation zurückzuführen und anderseits wird erwartet, dass die Erwerbsquote ab dem 50. Lebensjahr in Zukunft deutlich steigen wird (vgl. Hanika et al. 2011, 8). Typischerweise tragen Kinder, Jugendliche und ältere Menschen aufgrund ihres Alters noch nicht oder nicht mehr zur Produktivität einer Gesellschaft bei. Somit muss die Gruppe der Menschen im Erwerbsalter genügend Wertschöpfung erwirtschaften, um die beiden anderen Bevölkerungsgruppen zu unterstützen. Um den Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter zur jüngeren oder älteren Bevölkerung in Beziehung zu setzen, werden in der Demografie sogenannte Belastungsquotienten berechnet. Der Altenabhängigkeitsquotient stellt eine dieser 11
Kennzahlen dar. Er gibt das Verhältnis der Menschen, die nicht mehr im erwerbsfähigen Alter (65 Jahre und mehr) sind, zu denen die im typischen Erwerbsalter (zwischen 20 und 64 Jahre) sind, an (vgl. Günther 2014, 49 und Steinbach/Linnenschmidt/Schüll 2011, 28–29). Der Altenabhängigkeitsquotient liegt für das Jahr 2015 bei 29,9. Dies bedeutet, dass 100 Menschen im Alter zwischen 20 und 64 Jahren 29,9 Menschen ab 65 Jahren gegenüberstehen. Dieser Wert wird zukünftig deutlich steigen und im Jahr 2060 bereits bei 54,8 liegen (vgl. Statistik Austria 2015b). Beim Belastungsquotient ist jedoch anzumerken, dass Beschäftigungsquoten in den einzelnen Altersgruppen keine Berücksichtigung finden. Längere Ausbildungszeiten, Erwerbslosigkeit und Frühpensionierungen werden somit nicht berücksichtigt (vgl. Steinbach/Linnenschmidt/Schüll 2011, 29). Trotz dieser fehlenden Komponenten sehen Hanika et al. die Quotienten dennoch als wichtigen „Indikator für den Grad des Aufwands in wirtschaftlicher und sozialer Dimension, den die 20- bis 64-jährige Bevölkerung zu leisten hat“ (Hanika et al. 2012, 800). Des Weiteren hat Tichy bereits 2006 festgestellt, dass die Werte der Belastungsquotienten bei Berücksichtigung dieser Aspekte steigen (vgl. Tichy 2006, 155). Durch den steigenden Altersquotient wird die demografische Alterung und die damit einhergehende Herausforderung für das Pensionssystem und andere Bereiche des Sozialsystems deutlich (vgl. Steinbach/Linnenschmidt/Schüll 2011, 29). 2.1.3 Österreich im europäischen Vergleich In einem Europa, in dem die Menschen ihren Wohn- und Beschäftigungsort frei wählen und leicht ändern können, ist es notwendig, die demografischen Entwicklungen in einem größeren Zusammenhang zu betrachten. Es werden internationale Veränderungen, vor allem Entwicklungen in den Nachbarländern Österreichs, Einfluss auf die heimische Bevölkerung und den Arbeitsmarkt haben (vgl. Winkler 2014, 13 und Steinbach/Linnenschmidt/Schüll 2011, 26). 12
Abbildung 3: Bevölkerungsentwicklung in Europa 1950–2075 (vgl. United Nations 2015, o.S.) Wie durch Abbildung 3 ersichtlich wird, zeichnet sich in Europa insgesamt ein Bevölkerungsrückgang ab. Ist zwischen 1950 und 2010 ein deutlicher Bevölkerungszuwachs von rund 549 Mio. auf rund 735 Mio. Menschen zu verzeichnen gewesen, so wird bis 2030 die EinwohnerInnenzahl in Europa mit 734 Mio. Personen ungefähr auf ähnlichem Niveau wie im Jahr 2010 bleiben. Ab diesem Zeitpunkt wird ein deutlicher Schwund an Einwohnern und Einwohnerinnen erwartet, sodass im Jahr 2075 nur mehr 665 Mio. Menschen in Europa leben werden. Somit wird mit einem Rückgang der europäischen Bevölkerung im Zeitraum von 2030 bis 2075 in Höhe von 9,4 % gerechnet. Werden die einzelnen Länder Europas betrachtet, hat vor allem Deutschland zukünftig mit einem starken Rückgang der Bevölkerung zu kämpfen. Hier wird die Bevölkerung bis zum Jahr 2075 um rund 13 Mio. Menschen, ausgehend vom Jahr 2010, schrumpfen. Unter anderem wird die EinwohnerInnenzahl aber auch in den europäischen Ländern Griechenland, Polen, Portugal, Kroatien, Slowakei und Spanien bis 2075 im zweistelligen Prozentbereich schrumpfen (vgl. United Nations 2015, o.S.). Aufgrund der aktuellen Migrationsströme, der ungewissen politischen Situation im Nahen Osten, sowie deren unvorhersehbaren Entwicklung, müssen diese Prognosen, die mit aus dem Jahr 2014 stammenden Daten errechnet wurden, kritisch betrachtet werden. Österreich ist laut diesen Berechnungen eines der wenigen europäischen Länder, neben zum Beispiel Norwegen, Großbritannien, Frankreich und Dänemark, deren Bevölkerung in dem Zeitraum bis zum Jahr 2075 wachsen wird (vgl. United Nations 2015, o.S.). 13
Der demografische Wandel hin zu einer älteren Bevölkerung stellt nicht nur Österreich, sondern nahezu alle europäischen Länder vor neue Herausforderungen. Die Lebenserwartung steigt in allen Ländern Europas, während gleichzeitig fast überall die Anzahl der Geburten sinkt. Lediglich in Island, Irland und Frankreich werden derzeit genügend Kinder geboren, um in Zukunft auch ohne Zuwanderung den Bevölkerungsstand auf dem aktuellen Niveau zu halten (vgl. Steinbach/Linnenschmidt/Schüll 2011, 26). Anzahl an Personen Jahr 0 bis 19 Jahre 20 bis 64 Jahre 65 Jahre und älter 2015 153,74 Mio. 454,90 Mio. 129,80 Mio. 2020 155,84 Mio. 441,32 Mio. 142,56 Mio. 2040 142,81 Mio. 392,83 Mio. 185,71 Mio. 2060 141,84 Mio. 351,31 Mio. 195,87 Mio. Tabelle 3: Bevölkerungsstruktur Europas 2015–2060 (vgl. United Nations 2015, o.S.) Dieser Trend zur demografischen Alterung wird durch Tabelle 3 deutlich. Im Gegensatz zu Österreich sinkt die Anzahl der Kinder und Jugendlichen im Alter von 0 bis 19 Jahren im gesamten europäischen Bereich in den kommenden Jahren von aktuell rund 153,74 Mio. auf rund 141,84 Mio. im Jahr 2060 und somit um 7,74 %. Wie in der österreichischen Bevölkerung entwickelt sich die Zahl der Personen im Haupterwerbsalter zukünftig rückläufig. Im Jahr 2060 werden 351,31 Mio. Menschen zwischen 20 und 64 Jahren in Europa leben, dies bedeutet ein Rückgang im Vergleich zu 2015 um 22,77 %. Ältere Menschen mit 65 und mehr Jahren sind die einzige Bevölkerungsgruppe, bei der ein Zuwachs prognostiziert wird. Dieser Anstieg an Personen wird laut den aktuellen Prognosen sehr deutlich sein. Lebten im Jahr 2015 noch 129,80 Mio. Personen in diesem Alter in Europa, wird diese Anzahl bis zum Jahr 2060 um 66,07 Mio. auf 195,87 Mio. ansteigen (vgl. United Nations 2015, o.S.). Für Europa wird auch ein deutlicher Anstieg beim Altenquotienten erwartet. Dieser Belastungsquotient, der im Abschnitt 2.1.2 schon näher erläutert wurde, liegt im Jahr 2015 bei 28,5 und wird zukünftig bis zum Jahr 2050 auf 52,7 ansteigen (vgl. United Nations 2015, o.S.). 14
2.2 Technologische Entwicklung Durch technologische Entwicklungen werden bereits vorhandene Waren, Produktions- verfahren oder Prozesse verbessert sowie neue Technologien, Produkte und Organisations- formen eingeführt (vgl. Willke 1999, 167). Diese technologischen Innovationen prägen die Menschheit schon seit langer Zeit. Dabei sind die Technik und deren Weiterentwicklung nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit politischen, ökonomischen, ökologischen, gesellschaftlichen und kulturellen Bereichen zu betrachten (vgl. Jischa 2005, 11). Die neolithische Revolution, die vor etwa 10.000 Jahren stattfand, war der erste durch den Fortschritt der Technik verursachte, strukturelle Umbruch der Gesellschaft. Diese Phase in der Geschichte der Menschen stellte jedoch keine politische Revolution, sondern einen evolutionären Prozess dar. Denn nachdem die Menschen fast zwei Millionen Jahre als Jäger und Sammler lebten, gingen sie durch eine technische und ökonomische Umwälzung zu einer effektiveren Nahrungsgewinnung, zu Ackerbau und Viehzucht, über (vgl. Junker 2016, o.S.). In der Agrargesellschaft konnten die Menschen erste große technische Leistungen, wie die Be- und Entwässerungsanlagen sowie den Dammbau, erbringen (vgl. Jischa 2005, 4). Die Folgen der neolithischen Revolution waren weitreichend, so führte sie zuerst zur Sesshaftigkeit sowie zur Arbeitsteilung. Des Weiteren war sie auch Anstoß für Entwicklungen wie den städtischen Siedlungsbau, neue Religionsformen und kulturelle Errungenschaften wie die Schrift (vgl. Junker 2016, o.S.). Der zweite fundamentale Umbruch führte zum Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft. Während der industriellen Revolution, die im 18. Jahrhundert von England ausging, fanden mit Hilfe technischer Neuerungen bedeutende Entwicklungen in kurzen Zeiträumen statt (vgl. Hahn 2011, 2–3). Anstatt Holz wurde Kohle als Energieträger, Eisen als Baustoff und die Dampfmaschine als Ersatz für das Wasserrad eingesetzt. Im 19. Jahrhundert erlebte vor allem das Transportwesen einen bedeutenden Wandel, denn die Eisenbahn ersetzte die Pferdekutsche und das stählerne Dampfschiff das hölzerne Segelschiff. Durch die Technik als treibende Kraft wurden während der industriellen Revolution zunehmend Produktionsunternehmen, die von Mechanisierung und Fabrikarbeit geprägt wurden, erschaffen (vgl. Jischa 2005, 11–13). 15
Das durch die industrielle Revolution eingeleitete Industriezeitalter wurde von weiteren technischen Entwicklungen geprägt. So trug Werner von Siemens Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Kopplung von Dampfmaschine und Generator wesentlich dazu bei, dass der elektrische Strom zur wichtigsten Energiequelle wurde (vgl. Jischa 2005, 11). In weiterer Folge wurde durch die Erfindung des Fließbandes, das erstmals von Henry Ford in der Automobilindustrie eingesetzt wurde, die Zerlegung des Arbeitsprozesses in klar definierte Einheiten ermöglicht (vgl. Rifkin 2004, 97 und Beinhocker 2007, 279 und Eichhorst et al. 2013, 3). Mitte des 20. Jahrhunderts nahm die Automatisierungstechnik eine wichtige Funktion in der Industrie ein. Als in den 1960er-Jahren der Computer erstmals in der Produktion eingesetzt wurde, konnten viele Produktionsabläufe automatisiert und rationalisiert werden. Durch Elektronik und Informationstechnologie, die bis heute stets weiterentwickelt wurden und zukünftig noch weiter ausgebaut werden, konnten zum einen deutliche Produktivitätssteigerungen erzielt werden. Zum anderen führte es jedoch auch dazu, dass Routinetätigkeiten, die vormals von ArbeiterInnen ausgeführt worden waren, von Maschinen und Computer übernommen und so Arbeitsplätze ersetzt wurden (vgl. Rifkin 2004, 86–90). Durch die anhaltende technologische Entwicklung, vor allem im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT), ist die heutige Arbeitswelt durch den Einsatz neuer Kommunikationsmittel und digitaler Anwendungen geprägt. Der weitreichende Einsatz von verschiedenen IKT führte zu Veränderungen hinsichtlich der Arbeitsmethoden, ihrer Organisation und Inhalte (vgl. Kübler 2009, 18 und Rump 2011, 38). Durch diese Fortschritte wurden den Unternehmen neue Möglichkeiten eröffnet, um ihre Effizienz und Effektivität zu steigern. Aufgrund der raschen Entwicklungen im technischen Bereich sehen sich Organisationen aber auch zunehmend mit einem erhöhten Druck konfrontiert, neueste Technologien ein- und umzusetzen, um wettbewerbsfähig bleiben zu können. Neben den Unternehmen sind auch ArbeitnehmerInnen gefordert, denn sie müssen sich schnell auf neue, sich ständig wandelnde Technologien einstellen (vgl. Wüstner 2006, 13). Der anhaltende technologische Fortschritt erfordert komplexere kognitive Fähigkeiten der MitarbeiterInnen. Statt einfacher, operativer und vorhersehbarer Aufgaben müssen die Beschäftigten zunehmend Schlussfolgerungen ziehen, Diagnosen stellen und Beurteilungen abgeben (vgl. Kauffeld 2016, 6). 16
2.3 Informations- und Wissensgesellschaft Die heutigen Industriestaaten befinden sich in einem Übergang von der Industriegesellschaft in eine neue Form, bei der die Bedeutung von Information und Wissen rasant steigt. Für diesen Wandel werden in der Literatur verschiedene Begriffe wie nachindustrielle Gesellschaft, Wissensgesellschaft, Dienstleistungsgesellschaft oder Informationsgesellschaft verwendet (vgl. Kreibich 1986, 334 und Stehr 2001, 7 und Jischa 2005, 191 und Wüstner 2006, 13 und Kübler 2009, 16). An dieser Stelle wird keine genaue Unterscheidung zwischen diesen Bezeichnungen vorgenommen. Aufgrund der besonderen Bedeutung für diese neue Form der Gesellschaft werden jedoch im Folgenden die Termini Daten, Information und Wissen definiert. Davenport (1997) versteht Daten als observations of states of the world, also als Beobachtungen der Zustände der Welt (vgl. Davenport 1997, 9). Sie sind für ihn Zahlen oder Zeichen, die noch kontextunabhängig sind (vgl. Davenport 1997, 9). Daten sind somit Zeichen, die „in einen definierten, strukturierten Zusammenhang gebracht“ (Krcmar 2015, 4) werden. Daten werden erst zu Informationen, wenn sie durch einen Kontext eine Bedeutung erhalten (vgl. Krcmar 2015, 4 und Davenport 1997, 9). Diese Transformation von Daten in Informationen findet durch hochentwickelte IKT statt (vgl. Zillien 2009, 7). Wissen kann als Information, die verarbeitet und in einen Erfahrungskontext eingebunden wird, verstanden werden. Somit basiert das Wissen auf menschlicher Reflexion und stellt wertvolle Information dar (vgl. Davenport 1997, 9). Für Krcmar (2015) entsteht Wissen, wenn mehrere Informationen vernetzt werden (vgl. Krcmar 2015, 4). Wissen ist somit deutlich von Information und Daten zu unterscheiden und entwickelt sich für jeden Menschen individuell (vgl. Sauter/Scholz 2015, 6). Der Unterschied zwischen Information und Wissen liegt in der Verfügbarkeit. Durch die Digitalisierung der Informationen ist diese in unüberschaubarer Menge gegeben. Im Gegensatz dazu ist Wissen knapp, teuer und nicht so einfach abrufbar wie Information (vgl. Willke 2004, 107). Für die neue Form der Gesellschaft gilt, dass die Ressourcen Information und Wissen für Organisationen und deren Mitglieder in den letzten Jahrzehnten wesentlich an Bedeutung gewonnen haben (vgl. Kreibich 1986, 334 und Rump 2011, 41). Rump (2011) beschreibt diesen Trend damit, dass Wissen das Kapital zunehmend als wichtigsten Produktionsfaktor 17
ablösen wird (vgl. Rump 2011, 41). Dies ist vor allem auch auf die technische Entwicklung der IKT zurückzuführen, da durch die neuen technologischen Möglichkeiten die Menge an gesammelten Daten und Informationen rasant ansteigt (vgl. Willke 2004, 106–107 und Ostovics/Kovar/Fernsebner-Kokert 2016, 13). Abbildung 4: Industrie- und Wissensgesellschaft (Willke 2004, 108) Wie in Abbildung 4 ersichtlich, charakterisiert sich der Übergang von der Industrie- zur Wissensgesellschaft unter anderem durch Vernetzungen und die hohe Relevanz von Wissenskapital (vgl. Jischa 2005, 203 und Wüstner 2006, 16). Durch Information, Wissen und die IKT werden verschiedenste Lebensbereiche der Menschen beeinflusst. Als zentrales Merkmal in der heutigen Arbeitswelt kann die rasante Geschwindigkeit der Wissenserneuerung gesehen werden. Dadurch werden sowohl Organisationen, als auch deren Mitglieder vor neue Herausforderungen gestellt. Denn implizites sowie explizites Wissen muss nicht nur schnell umgesetzt, sondern auch schnell erzeugt werden (vgl. Wüstner 2006, 17). 18
3 Ältere ArbeitnehmerInnen Wie in Kapitel 2.1 dargelegt wurde, wird der Großteil der industriellen Bevölkerungen in Zukunft von einer demographischen Alterung geprägt sein. Das Alter nimmt jedoch nicht nur im gesellschaftlichen und kulturellen, sondern auch im persönlichen Bereich der Menschen einen zentraleren Platz ein. So sieht sich die heutige Wissenschaft neben der gesellschaftlichen Anpassung an die demographische Alterung häufiger mit Fragen bezüglich der persönlichen Möglichkeit zur Beeinflussung des Alterns konfrontiert (vgl. Baltes/Baltes 1994, 2 und Wahl/Heyl 2015, o.S.). Aufgrund dieser steigenden Aktualität gewinnt die gerontologische Wissenschaft seit Beginn des 20. Jahrhunderts immer mehr an Bedeutung (vgl. Baltes/Baltes 1994, 8 und Wahl/Heyl 2015, o.S.). Baltes/Baltes definieren die Gerontologie als Disziplin, die sich „mit der Beschreibung, Erklärung und Modifikation von körperlichen, psychischen, sozialen, historischen und kulturellen Aspekten des Alterns und des Alters, einschließlich der Analyse von alternsrelevanten und alternskonstituierenden Umwelten und sozialen Institutionen“ (Baltes/Baltes 1994, 8) auseinandersetzt. Somit wird verdeutlicht, dass sowohl das Alter als auch das Altern von biologischen und soziologischen bis hin zu psychologischen Faktoren beeinflusst wird. Durch den Einfluss dieser unterschiedlichen Aspekte gibt es noch keine einheitliche Definition dieser beiden Begriffe (vgl. Baltes/Baltes 1994, 8–11 und Mahr 2016, 10–11). Daher wird im Folgenden auf verschiedene Dimensionen des Alters sowie auf das Altern als Prozess näher eingegangen, um anschließend eine Begriffsabgrenzung der Personengruppe der älteren ArbeitnehmerInnen vorzunehmen. Des Weiteren werden ausgewählte wissenschaftliche Modelle des Alterns vorgestellt und kritisch betrachtet. Im letzten Abschnitt dieses Kapitels wird das Lernen in der späteren Lebensphase näher analysiert. Dazu wird sowohl auf die mögliche Veränderung der Lernfähigkeit als auch auf die Bildungsbeteiligung Älterer im Allgemeinen und älterer ArbeitnehmerInnen im Speziellen eingegangen. 19
3.1 Begriffsbestimmungen Alter, Altern und ältere ArbeitnehmerInnen Alter kann einerseits als Lebens- oder Existenzabschnitt eines Objekts oder Subjekts verstanden werden. Andererseits kann der Begriff jedoch auch die letzte Phase dieser Existenz und somit das Resultat des Altwerdens beschreiben (vgl. Baltes/Baltes 1994, 9 und Kohli 2001, 1 und Buchka 2012, o.S.). Vor diesem Hintergrund werden in der Folge verschiedene inhaltliche Dimensionen des Alters dargelegt. Das kalendarische bzw. chronologische Alter ist jenes Konzept, welches direkten Bezug auf das Geburtsdatum einer Person nimmt (vgl. Walter et al. 2006, 42). Diese Typisierung des Alters beschreibt mathematisch die Zeit zwischen dem Geburtsdatum und einem bestimmten Zeitpunkt (vgl. Schnelle 2014, 26) und kann somit eindeutig statistisch erhoben werden (vgl. Schimany 2002, 23). Dem kalendarischen bzw. chronologischen Alter kommt häufig eine große Bedeutung zu, da sich Rechte, Pflichten und soziale Regelungen an diesem Konzept orientieren. So richten sich zum Beispiel das Wahlalter, das Mindestalter für die Fahrerlaubnis oder der Zeitpunkt des Renteneintritts nach dieser Typisierung. Des Weiteren dient das kalendarische Alter auch als subjektive Vergleichsgröße zu anderen Personen (vgl. Benz 2010, 55 und Winkler 2014, 65). Im Gegensatz zum chronologischen ist das biologische Alter eine Folge der biologisch- physiologischen Entwicklung und verläuft daher individuell. Somit können Personen gleichen kalendarischen Alters ein unterschiedliches biologisches Alter aufweisen. Da bei dieser Dimension des Alters der tatsächliche Funktionsgrad der Organe oder des Organismus angegeben wird (vgl. Mietzel 2012, 20 und Pohlmann/Leopold/Heinecker 2012, 35–36), ist es genetisch bestimmt, kann jedoch durchaus von äußeren Umständen, zum Beispiel der individuellen Lebensweise, beeinflusst werden (vgl. Witterstätter 1997, 18 und Schnelle 2014, 26). Das soziale Alter wird vor allem durch verschiedene Alltagserfahrungen, gesellschaftliche Vorstellungen und kulturell bedingte Normierungen beeinflusst. So wird durch gesellschaftliche Konventionen vorgegeben, ob sich eine Person alterskonform oder altersdiskonform verhält (vgl. Pohlmann/Leopold/Heinecker 2012, 36). Das soziale Alter wird unter anderem durch die soziale Position, die ein Mensch in der Gesellschaft innehat, 20
beeinflusst. So werden SpitzensportlerInnen in der Gesellschaft schon mit 30 Jahren als alt bezeichnet, während PolitikerInnen in diesem Alter noch als jung angesehen werden (vgl. Reifschneider 2011, 20). Die sozialen Altersgrenzen sind in der gesellschaftlichen Wahrnehmung fest verankert und wirken sich auch auf das persönliche Empfinden aus. Trotz dieser starken Verankerung können sich die gesellschaftlichen Zuschreibungen des Alters durch meinungsbildende und zeitliche Entwicklungen in der Gesellschaft verändern (vgl. Pohlmann/Leopold/Heinecker 2012, 36). Bei der Begriffsdimension des psychologischen Alters fließen unter anderem Einstellungen, Emotionen, subjektives Empfinden und Motivlagen einer Person ein (vgl. Mietzel 2012, 21 und Staudinger 2012, 191 und Martin/Kliegel 2014, o.S.). Verschiedene Studien haben bereits bewiesen, dass dieses subjektiv empfundene Alter vom kalendarischen abweichen kann (vgl. Montepare/Lachman 1989, 73 und Goldsmith/Heiens 1992, 312 und Barak 2009, 2 und Choi/DiNitto/Kim 2014, 458). Auch Westerhof/Barrett/Steverink (2003) haben in einer empirischen Studie gezeigt, dass Erwachsene ihr subjektives Alter niedriger einschätzen als ihr chronologisches. Sie konnten des Weiteren Unterschiede in der Wahrnehmung des Alters in verschiedenen Kulturen feststellen. So schätzen Menschen, die in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) leben, ihr tatsächliches Alter jünger ein als Deutsche. Dieses Ergebnis wird darauf zurückgeführt, dass in der nordamerikanischen Gesellschaft die Jugend einen höheren Stellenwert besitzt und somit erstrebenswert ist (vgl. Westerhof/Barrett/Steverink 2003, 378–379). Staudinger (2012) führt als weiteren Erklärungsversuch für dieses Ergebnis die unterschiedlichen politischen Systeme in den Ländern an. So ist Amerika neoliberal mit einer hohen individuellen Wettbewerbsorientierung geprägt. Im Vergleich dazu ist in Deutschland ein eher wohlfahrtsstaatliches solidarisches System vorherrschend (vgl. Staudinger 2012, 191–192). Westerhof/Barrett (2005) konnten in einer weiteren Studie einen positiven Zusammenhang zwischen dem subjektiven Alter und dem subjektiven Gesundheitszustand einer Person ermitteln. Dies bedeutet, dass sich das empfundene Alter verringert, wenn sich der Mensch in einem guten gesundheitlichen Allgemeinzustand befindet (vgl. Westerhof/Barrett 2005, 134–135). Neben den inhaltlichen Dimensionen des Alters gibt es in der vorherrschenden Literatur auch voneinander abweichende Auffassungen darüber, ab wann die Lebensphase Alter beginnt. Eine mögliche Abgrenzung dieser Phase ist das gesetzliche Eintrittsalter in die Pension, da die Personen ab diesem Alter nicht mehr zum Produktionsprozess einer Gesellschaft beitragen. 21
Da jedoch der Zeitpunkt des Pensionsantritts durch verschiedene Einflüsse, wie Frühpensionierung und andere arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, variieren kann, scheint diese Definition nicht vollkommen (vgl. Thiem 2008, 32–35 und Aner/Karl 2010, 10). Lindenberger/Schäfer (2008) unterscheiden zwischen mittlerem und höherem Erwachsenenalter sowie hohem Alter, wobei ein Mensch zwischen 35 und 65 Jahren im mittleren und zwischen 65 und 80 Jahren im hohen Erwachsenenalter einzuordnen ist. Jeder Mensch, der älter als 80 Jahre ist, befindet sich demnach im hohen Alter. Die Phasen unterscheiden sich deutlich voneinander, der Übergang von der einen in die andere Lebensphase verläuft jedoch kontinuierlich (vgl. Lindenberger/Schäfer 2008, 366). Baltes (1999) unterteilt die über 60-Jährigen in junge Alte und Personen im vierten Lebensalter. Junge Alte sind zwischen 60 und 75 Jahre alt und Menschen, die älter sind, befinden sich im vierten Lebensalter (vgl. Baltes 1999, 443–444). Im Zusammenhang mit dem Phänomen des Alters kommt dem Begriff des Alterns eine große Bedeutung zu. Altern beschreibt den lebenslangen Prozess, der zum Alter führt (vgl. Baltes/Baltes 1994, 9 und Winkler 2014, 25 und Mahr 2016, 218). Unter dem Prozess des biologischen Alterns wird die Veränderung der biologischen Kapazität und der damit einhergehenden physiologischen Entwicklung verstanden. In naturwissenschaftlichen Überlegungen wird davon ausgegangen, dass die körperliche Funktionstüchtigkeit im höheren Alter abnimmt (vgl. Baltes/Baltes 1994, 10 und Walter et al. 2006, 42). Für Biologen und Biologinnen ist die Alterung somit oft ein Phänomen des Verlustes, bei dem die Leistungen der Organe mit zunehmendem Alter geringer werden. Es wird zum Beispiel oft von einer Alterung des Auges gesprochen, sobald die Sehfähigkeit des Auges zurückgeht. Gegenläufige Effekte, wie etwa die erhöhte Effektivität des Immunsystems aufgrund bereits erlebter Infektionen, existieren in der naturwissenschaftlichen Theorie durchaus, werden jedoch eher dem Konzept der Entwicklung und weniger dem Altern zugerechnet (vgl. Baltes/Baltes 1994, 10). In den Geistes-, Sozial- und Verhaltenswissenschaften wird diese Form des biologischen Alterns durchaus anerkannt, jedoch wird in diesen Disziplinen angenommen, dass Alter nicht nur durch Abbauprozesse gekennzeichnet ist (vgl. Baltes/Baltes 1994, 10–11 und Baltes 1999, 435–437). Altern wird hier als ein durch die Kultur geschaffenes und geprägtes Phänomen verstanden und kann durchaus wachstumsartige, positive Aspekte beinhalten. Es wird davon 22
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