Abenteuer - Sozialforum-Tübingen
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Ausgabe 2/2018
Zeitschrift für Selbsthilfe und Sozialinitiative
Abenteuer
Diagnose
Einblick – Das elkiko Familienzentrum Tübingen e.V.
Durchblick – „Was hab’ ich?“ macht Diagnosen verständlich
Ausblick – Welche Neuerungen bringt die ICF mit sich?
www.sozialforum-tuebingen.deFÜR NECKARALB Die Spendenplattform für soziale Projekte. Wir alle können helfen, unsere Region noch lebenswerter zu machen. Auf gut-fuer-neckaralb.de kannst Du für soziale Projekte in unserer Region spenden und Unterstützer für Deine eigene Initiative gewinnen. Jede Spende geht zu 100 Prozent an die sozialen Projekte. www.gut-fuer-neckaralb.de
Vorwort
Liebe Leserinnen und Leser, Unsere Themen
Krebs, Mastzellaktivierungssyndrom, Trauma-
tisierung: Menschen sehen sich mit schweren SOZIALFORUM AKTUELL
Erkrankungen konfrontiert. Viele Fragen tau- 2 Interview mit Praktikantin Gülsen Yas, Impressum
chen auf: Ist die Diagnose richtig oder soll ich 3 Vorstellung Dr. Daniela Harsch
4 Datenschutz, Nachruf Gerhard Bölstler
eine zweite Meinung einholen? Versteh’ ich
den Befund? Welche Folgen hat er für mein
weiteres Leben? All diese Facetten um Ge- DIE SELBSTHILFE
sundheit und Krankheit bei dem „Abenteuer Diagnose“ sprechen 5 Kolumne, Interkulturelle Woche, Projektgruppe
wir in dieser Ausgabe an. 6 Vorträge ADHS; Mitmach-Aktion Tinnitus
7 Projekt „Migration trifft Selbsthilfe“
Lesen Sie über den Umgang mit der Diagnose Krebs und zum 9 Neuer Gesprächskreis Schwerhörigkeit
Spannungsfeld Behinderung und Diagnose. Schwierig haben es
traumatisierte Menschen: Es gibt keine offizielle Diagnose SOZIALE INITIATIVEN
„Trauma“. Und erfahren Sie, was das Zentrum für Seltene Erkran- 10 Treffpunkt für Klein und Groß: elkiko e.V.
kungen in Tübingen tut, was sich hinter „Was hab’ ich?“ verbirgt,
und welche Einrichtungen in Tübingen erkrankte Menschen be- SCHWERPUNKT: „Abenteuer Diagnose“
raten: die Patientenfürsprecher, die Unabhängige Patientenbera- 12 Zentrum für Seltene Erkrankungen Tübingen
tung und die Informations-, Beratungs- und Beschwerdestelle für 14 Der lange Weg bis zur Diagnose
15 Diagnose nach ICD-10; IBB-Stelle
Menschen mit psychischen Erkrankungen. 16 Patientenfürsprecherin Leonore Hansen
17 „Was hab’ ich?“ macht Diagnosen verständlich
Im Bereich Selbsthilfe fand das Training „Interkulturell fit“ statt. 19 MITeinander – Menschen mit Trauma e.V.
Es war Teil des Projekts „Migration trifft Selbsthilfe“. Mit dabei war 21 „Cancelling Cancer“ – Umgang mit Krebs
unsere Praktikantin Gülsen Yas, die Sie in einem Interview ken- 23 ICF – Behinderung neu denken
nenlernen. Informationen gibt es zu Aktivitäten der Tinnitus- und
der ADHS-Selbsthilfegruppe sowie zum Gesprächskreis Schwer- LEBEN MIT BEHINDERUNG
hörige in Rottenburg. Christiane Zenner-Siegmann und Brigitte 26 Kolumne, Barrierefreie Spazierwege
27 Seniorenarbeit und Inklusion; EUTB
Greis aus dem Vorstand von elkiko e.V. berichten über ihr Fami-
lienzentrum im Loretto und die Entwicklung des Vereins. INKLUSION KONKRET
28 Gebärdensprache
Die Rubrik „Leben mit Behinderung“ stellt Uwe Seid vor, den
neuen Beauftragten für Senioren und Inklusion der Stadt Tübin- DIE PATIENTENBERATUNG INFORMIERT
gen. Zudem berichtet Elvira Martin über die Ergänzende Unab- 30 Recht auf Zweitmeinung
hängige Teilhabeberatung. Inklusion konkret beschreibt, wie
Gebärdensprache das Leben von Menschen mit Hörbehinderun- 31 Pinnbrett: Hinweise auf Selbsthilfegruppen
32 Überblick: Selbsthilfegruppen in der Region
gen erleichtert.
Der Service für Sozialvereine bot Gelegenheit zum Erfahrungs-
austausch zur Europäischen Datenschutz-Grundverordnung. Bei
der Frage, wie der Arbeitsaufwand zu bewältigen ist, überlegten
die Vereine, wie sich eine kostenlose Fortbildung zu Datenschutz-
Fachkräften organisieren lässt. Eine Podiumsdiskussion zur Wahl
der neuen Bürgermeisterin für Soziales, Bildung, Kultur und Sport Sie möchten „Handeln & Helfen“ im Abonnement
Tübingens veranstalteten das Kulturnetz Tübingen e.V. und das zum Selbstkostenpreis von 5 Euro jährlich beziehen?
SOZIALFORUM TÜBINGEN e.V. Daniela Harsch wurde gewählt Dann schreiben Sie an:
und wir stellen sie vor.
SOZIALFORUM TÜBINGEN e.V.
Viel Freude beim Lesen wünscht Redaktion „Handeln & Helfen“
Europaplatz 3
72072 Tübingen
Telefon: 0 70 71 / 2 56 59 65
Dietmar Töpfer, Geschäftsführung E-Mail: redaktion@sozialforum-tuebingen.de
Handeln & Helfen – Ausgabe 2/2018 1Sozialforum aktuell
„Brücken bauen mit Selbsthilfe“
HANDELN & HELFEN im Gespräch mit Gülsen Yas
Von Birgit Jaschke bekannt. Wir wollen hier vor Ort Von Birgit Jaschke
Wie kamen Sie zum SOZIAL- erste Schritte gehen für eine in- <
FORUM TÜBINGEN e.V.? terkulturelle und kultursensible
Barbara Herzog war auf der Öffnung der Selbsthilfe.
Suche nach jemandem mit Mi-
grationshintergrund für ein Prak- Was gefällt Ihnen an dem
tikum. Dazu hat sie sich auch an Praktikum besonders gut?
die Fachhochschule Esslingen Das Projekt ist spannend und
gewandt. Mein Professor hat gibt mir Gelegenheit mich einzu-
dann den Kontakt zwischen uns bringen. Zudem ermöglicht der
hergestellt. Kontakt zum Beispiel zu den in-
ternationalen Vereinen viele in-
Wieso spielte der Migrations- teressante Begegnungen. Gülsen Yas. Foto: privat
hintergrund eine Rolle?
Während des Praktikums ar- Welche Herausforderungen Zur Person: Gülsen Yas hat
beite ich schwerpunktmäßig im sehen Sie für das Projekt? selbst einen Migrationshinter-
Projekt „Migration trifft Selbst- Es ist nicht immer leicht, die grund. Sie studiert an der
hilfe“ mit. Selbsthilfe in anderen Menschen mit unserer Idee zu Hochschule Esslingen den
Kulturen bekannt zu machen, erreichen. Das kann ganz unter- Bachelor-Studiengang „So-
hat mich direkt interessiert. schiedliche Gründe haben. Stets ziale Arbeit“. Schwerpunkt
alle kulturellen Besonderheiten ihres Studiums sind die The-
Welche Ziele verfolgt „Migra- im Blick zu haben und zu be- men „Migration und geflüch-
tion trifft Selbsthilfe“? rücksichtigen, ist nicht einfach, tete Menschen“. Ihr Prakti-
Das Konzept der Selbsthilfe- aber auch nicht unmöglich. kum im SOZIALFORUM TÜ-
gruppen ist in vielen anderen BINGEN e.V. dauert noch bis
Kulturen bisher überhaupt nicht Vielen Dank für das Gespräch! < Mitte März 2019.
Impressum
Herausgeber: Geschäftsführung, Service für Vorstand
Sozialvereine, CeBeeF Jürgen Bein, Beate Jung, Gotthilf Lorch
SOZIALFORUM TÜBINGEN e.V. Dietmar Töpfer
Europaplatz 3 Sprechzeiten: Dienstag, Donnerstag Spendenkonto:
72072 Tübingen 9 bis 12 und 14 bis 16 Uhr Kreissparkasse Tübingen
www.sozialforum-tuebingen.de 0 70 71 / 15 15 69 IBAN: DE23 6415 0020 0001 4894 55
www.facebook.com/ geschaeftsfuehrung@sozialforum-
SozialforumTuebingeneV tuebingen.de Spenden sind steuerlich abzugsfähig.
Eine Spendenbescheinigung wird zu-
Telefon: 0 70 71 / 15 15 69
Förderung der Selbsthilfe in der gesandt.
Fax 0 70 71 / 3 82 66
V.i.S.d.P.: Dietmar Töpfer Region Tübingen
Barbara Herzog,
Erscheinungsweise Kontaktstelle für Selbsthilfe Auf 100 % Recycling-Papier gedruckt.
Halbjährlich Sprechzeiten: Montag, Dienstag 9 bis
Auflage 4.700 Exemplare 12 Uhr, Donnerstag 17 bis 19 Uhr
Redaktion und Layout 0 70 71 / 3 83 63
Birgit Jaschke herzog@sozialforum-tuebingen.de Das SOZIALFORUM TÜBINGEN e.V.
Tel. 0 70 71 / 2 56 59 65 wird gefördert durch die Stadt Tübingen,
redaktion@sozialforum-tuebingen.de das Ministerium für Soziales und Integra-
Selbstbestimmung, Gleichstellung,
Titelblatt tion Baden-Württemberg sowie durch
Teilhabe für Menschen mit Behinde-
Foto: suze zahlreiche Spender und Sponsoren.
rungen
www.photocase.de Elvira Martin
Die Selbsthilfearbeit wird seit 2008 pau-
FORUM & Fachstelle INKLUSION
Druck schal unterstützt durch die kassenarten-
Müller und Bass Sprechzeit: Dienstag 14 bis 16 Uhr
übergreifende Gemeinschaftsförderung
Hechinger Str. 25 0 70 71 / 2 69 69
der gesetzlichen Krankenkassen.
72072 Tübingen inklusion@tuebingen-barrierefrei.de
2 Handeln & Helfen – Ausgabe 2/2018Sozialforum aktuell
Dr. Daniela Harsch macht das Rennen
Zur Bürgermeisterin für Soziales, Kultur und Ordnung gewählt
Von Birgit Jaschke
Tübingen hat eine neue Bürger-
meisterin für Soziales, Kultur Kontakt (ab dem 1.1.2019)
und Ordnung. Der Gemeinderat Dr. Daniela Harsch
wählte Dr. Daniela Harsch in Bürgermeisterin für Soziales,
seiner Sitzung am 25. Oktober Ordnung und Kultur
im zweiten Wahlgang. Assistenz Antje Nesch
Die Nachfolgerin von Dr. Chris- Universitätsstadt Tübingen
tine Arbogast ist 35 Jahre alt Am Markt 1
und Diplom-Volkswirtin sowie 72070 Tübingen
Diplom-Betriebswirtin (BA). Der-
zeit ist sie als Koordinatorin für Telefon: 0 70 71 / 204-1301
Forschung, Finanzen und Per- E-Mail: ebm@tuebingen.de Dr. Daniela Harsch
sonal sowie als Referentin des Internet: www.tuebingen.de Foto: privat
Ärztlichen Direktors der Klinik
für Kinder- und Jugendpsychia-
trie/ Psychotherapie am Univer-
sitätsklinikum Ulm tätig. Nachgefragt bei Dr. Daniela Harsch – Ein Blitz-Interview
Zu ihrem zukünftigen Dezernat
zählen die folgenden vier Fach-
bereiche: „Bürgerdienste, Si- Warum haben Sie sich für das Amt beworben?
cherheit und Ordnung“, „Bil-
dung, Betreuung, Jugend und Ich habe mich für das Amt beworben, da die Breite des De-
Sport“, „Soziales“ sowie „Kunst zernats – vom Sozialen bis zur Ordnung – eine besondere
und Kultur“. Zudem fallen der Bandbreite bietet. Tübingen geht als Stadt schon voran,
Eigenbetrieb Musikschule, die während andere Kommunen die wichtigen Fragen noch nicht
Altenhilfe gGmbH, die Sporthal- mal diskutieren. Als Bürgermeisterin kann ich nun die vielen
lenbetriebs-GmbH und die Zim- Konzeptionen und Projekte im Dezernat weiterführen und im
mertheater GmbH in ihren Zu- Dialog mit der Verwaltung und den Bürgerinnen und Bürgern
ständigkeitsbereich. Die Amts- weiterentwickeln.
zeit beträgt acht Jahre.
Was verbinden Sie mit Tübingen?
Am Ende die Nase vorn
Ich verbinde mit Tübingen eine besondere Offenheit der Ge-
Dr. Harsch ging nicht alleine ins sellschaft – auch für soziale Themen und das Miteinander in
Rennen. Um das Amt beworben der Stadt. Als Universitätsstadt ist Tübingen eine sehr junge
hatten sich ebenfalls Iska Dürr Stadt, in der viele Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft
sowie Isabel Lavandinho. Alle miteinander leben. Tübingen ist vielfältig, das zeigt sich vor
drei Kandidatinnen standen zwei allem auch im ehrenamtlichen Engagement und in der Kul-
Tage vor der Wahl bei einer Po- tur.
diumsdiskussion Rede und Ant-
wort. Zu der für die Öffentlichkeit Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Stadt?
zugänglichen Diskussion im
Sudhaus hatten das Kulturnetz Vor allem wünsche ich mir, dass sich Tübingen seine Offen-
Tübingen e.V. und das SOZIAL- heit erhält. Ich wünsche mir, dass der soziale Zusammenhalt
FORUM TÜBINGEN e.V. einge- weiterhin einen hohen Stellenwert hat und alle Bürgerinnen
laden. In zwei Themenblöcken und Bürger ihren Platz in der Gesellschaft haben oder fin-
wurden zuvor gesammelte Fra- den. Es ist mir wichtig, dass das Engagement in der Gesell-
gen gestellt. Ulrike Pfeil, Kultur- schaft weiterhin eine hohe Wertschätzung erhält und Men-
redakteurin beim Schwäbischen schen füreinander eintreten.
Tagblatt, war zuständig für Kul-
tur und Sport. Den Bereich „Bil-
dung und Soziales“ moderierte Vielen Dank für das Gespräch!
anschließend Jürgen Bein, Mit-
glied im Vorstand des SOZIAL- Die Fragen stellte Birgit Jaschke.
FORUM TÜBINGEN e.V. <
Handeln & Helfen – Ausgabe 2/2018 3Sozialforum aktuell
Wer kümmert sich um den Datenschutz?
Service für Sozialvereine organisiert Erfahrungsaustausch
Von Birgit Jaschke sich Mitglieder aus Tübinger
„Ein halbes Jahr DS-GVO – Sozialvereinen kostenlos zum
erste Erfahrungen und: Wer Datenschutzbeauftragten fortbil-
macht die Arbeit?" Zu diesem den können. Geplant ist die
Thema lud der Service für Sozi- Fortbildung für das Frühjahr
alvereine des SOZIALFORUM nächsten Jahres.
TÜBINGEN e.V. Mitte November Ansprechpartner beim SOZIAL-
zu einer ersten Austauschrunde FORUM TÜBINGEN e.V. ist Ge-
ein. Die europaweite Daten- schäftsführer Dietmar Töpfer:
schutz-Grundverordnung (DS- Telefon 0 70 71 / 15 15 69, E-Mail
GVO) ist seit 25. Mai 2018 in geschaeftsfuehrung@sozialfo- Datenschutz-Profi Matthias Betz
Kraft und wirft viele Fragen auf: rum-tuebingen.de. < Foto: privat
Wann brauche ich als kleiner
Verein einen Datenschutzbeauf-
tragten? Welche Anforderungen Literaturempfehlungen für Vereine
müssen erfüllt werden? Wer
macht die Arbeit? Zum Umgang • Orientierungshilfe „Datenschutz im Verein nach der DS-
mit der DS-GVO informierte GVO“ und Praxisratgeber für Vereine
Matthias Betz, zertifizierte Fach- Herausgegeben vom Landesbeauftragten für Datenschutz
kraft „Datenschutz“ (DEKRA) und Informationsfreiheit Baden-Württemberg, erhältlich unter
und Inhaber der Werbeagentur https://www.baden-wuerttemberg.datenschutz.de/ds-gvo/
absurd orange. Diese plant ge-
meinsam mit der StrategicEnter- • Erste Hilfe zur Datenschutz-Grundverordnung für
prise AG eine dreitägige Fortbil- Unternehmen und Vereine – Das Sofortmaßnahmen-Paket
dung zur Fachkraft für Daten- Herausgegeben vom Bayerischen Landesamt für
schutz. Mit dem Angebot sollen Datenschutzaufsicht, Verlag C.H. Beck, 5,50 Euro
Wir trauern um Gerhard Bölstler
Das CeBeeF-Gründungsmitglied verstarb überraschend
Von Birgit Jaschke
Gerhard Bölstler verstarb völlig
unerwartet am Dienstag, 13. No-
vember 2018. Der Club für Be-
hinderte und ihre Freunde in Tü-
bingen und Umgebung (Ce-
BeeF) trauert um sein Grün-
dungsmitglied und Urgestein
Gerhard Bölstler. Von Beginn an
hat er den Weg des Vereins
über 40 Jahre lang mit viel per-
sönlichem Engagement sowohl
regionalpolitisch als auch in der
Beratung von Menschen mit und
ohne Behinderung begleitet. Zu-
letzt kümmerte er sich um die
Organisation und Durchführung
der beliebten „Heißen Reifen" im
jährlichen Sommerferien-Pro-
gramm der Stadt Tübingen. Wir
vermissen ihn sehr. < Gerhard Bölstler im Botanischen Garten. Foto: privat
4 Handeln & Helfen – Ausgabe 2/2018Die Selbsthilfe
Kolumne
Interkulturelle Woche 2018
Der erste Schritt
Die Kontaktstelle für Selbsthilfe war dabei
Von Barbara Herzog
Frau Berkan* wirkt er-
schöpft, als sie sich in den
Sessel setzt. Ihre Tochter
Alina*(26) ist auf Drängen
der Mutter mit in die Bera-
tung gekommen. Sie wirkt
gelangweilt.
„Früher war alles gut“ be-
Praktikantin Gülsen Yas (links) mit Uta Böning von der Unabhängigen Patien- ginnt die Mutter. „Inzwischen
tenberatung Tübingen e.V. Foto: Herzog fühle ich mich ausgenutzt.
Alina sitzt nur noch zuhause
Von Birgit Jaschke wie diese werden in vielen Kul- rum, tut nichts und wenn ich
Auch 2018 beteiligte sich die turen ausschließlich in der Ver- sie etwas frage, gibt es
Kontaktstelle für Selbsthilfe an wandtschaft thematisiert. Mit Au- Streit – alles ist noch schlim-
der Interkulturellen Woche in Tü- ßenstehenden über sich persön- mer, seitdem sie diese Diag-
bingen. Bei der Auftakt-Veran- lich zu sprechen ist oft tabu. Be- nose hat: „Reaktive Depres-
staltung auf dem Marktplatz troffene, die schon länger in sion“. Alina erzählt, dass sie
waren Barbara Herzog und Deutschland leben, suchen vor zwei Jahren das Lehr-
Praktikantin Gülsen Yas mit neue Wege, um mit Problemen amtsstudium hat aufgeben
einem Informationsstand vertre- klar zu kommen. Für sie kann müssen, nachdem wie sie
ten. Mit im Gepäck hatten sie ihr der Austausch in einer Selbsthil- sagt „nichts mehr ging – Ich
Projekt „Migration trifft Selbst- fegruppe hilfreich sein. kriegte Panikattacken vor
hilfe“. Die Idee: Durch Koopera- den Lehrproben und De-
tionen und den Kontakt zu mig- Information, Essen und Tanz pressionen, wenn ich ei-
rantischen Vereinen und Organi- gentlich den Unterricht vor-
sationen sollen Menschen mit An diesem Sonntag kamen viele bereiten musste.“ Sie wollte
Migrationshintergrund das Kon- Interessierte unterschiedlichster sich außerhalb der Familie
zept der Selbsthilfe kennenler- Altersgruppen und Nationen an niemandem anvertrauen,
nen können. In vielen Kulturen den Stand, um sich über Selbst- aus Angst „gleich in der Psy-
gibt es Selbsthilfegruppen bis- hilfegruppen zu informieren. Bei cho-Schublade zu landen“.
her nicht – auch nicht als Wort. einer Runde Quizrad konnten Diese Situation belastete die
Ob Menschen mit chronischen sie zudem spielerisch etwas Familie zunehmend. „Ihr
Schmerzen oder Depressionser- über die Arbeit der Kontaktstelle versteht mich ja eh nicht“,
krankte in der Familie – Themen für Selbsthilfe erfahren. < beschwert sich Alina. Als ich
von der Selbsthilfegruppe
erzähle, in der sich junge
Menschen mit Depressio-
Das Projekt „Migration trifft Selbsthilfe“ möchte Begegnun- nen treffen, wirkt sie plötz-
gen zwischen Aktiven aus der Selbsthilfe und aus Migranten- lich viel lebhafter. Sie fragt
Selbst-Organisationen (MSO) ermöglichen. Möchten Sie sich nach den nächsten Treffen.
einbringen? Dann schließen Sie sich der Projektgruppe an. Die Auch Frau Berkan wirkt
Mitglieder tauschen sich regelmäßig aus und planen in geselli- deutlich entspannt. Wir ver-
ger Atmosphäre gemeinsame Aktionen. Nähere Informationen abschieden uns. Vielleicht
erhalten Sie von Barbara Herzog, Telefon 0 70 71 / 3 83 63 oder war dies der erste Schritt
E-Mail: herzog@sozialforum-tuebingen.de auf einem neuen Weg. <
* Name von der Redaktion geändert Handeln & Helfen – Ausgabe 2/2018 5Die Selbsthilfe
Vorträge: „Selbstständigkeit bei AD(H)S“
Veranstaltung der Regionalgruppe Neckar-Alb im Februar 2019
Von Birgit Jaschke Kontakt zur Regionalgruppe Neckar-Alb
AD(H)S und Selbstständigkeit
erscheinen häufig als Gegen- Name: Yvonne Mayer
sätze. Auch betroffene Erwach- Telefon: 0152 / 23 66 32 03
sene können Probleme mit der E-Mail: adhs.neckaralb@gmail.com
Selbstständigkeit haben. Zu die-
Internet: www.adhs-deutschland.de
sem Themenbereich lädt die
Regionalgruppe Neckar-Alb in
Zusammenarbeit mit der Famili-
enbildungsarbeit (fba) Metzin- Vorträgen von Dr. med. Karsten nenalter“. Der Nachmittag findet
gen am Samstag, 9. Februar Dietrich. Der Referent vermittelt im Gemeindehaus Martinskirche
2019, zu einem Informations- in den aufeinander abgestimm- in der Gustav-Werner-Straße 20
nachmittag ein. ten Ausführungen für Eltern be- in 72555 Metzingen statt. Die
ziehungsweise Erwachsene Ver- Teilnahme an der Veranstaltung
Zwei Vorträge zum Thema ständnis für die Entstehung die- ist für Interessierte kostenlos. Es
ser Schwierigkeiten. „Was soll wird um eine Spende für die Ar-
Seelische Schwierigkeiten, Prob- aus dem Kind nur werden?“ beit der Selbsthilfegruppe gebe-
leme in Freundschaften und Be- heißt es zunächst ab 15 Uhr. Ab ten. Eine Anmeldung per E-Mail
ziehungen – Darum geht es 17 Uhr geht es dann um die ist erforderlich (Kontaktdaten
unter anderem in den beiden „Selbstständigkeit im Erwachse- siehe Kasten). <
Das „Abenteuer Gehör“ erforschen
Mitmach-Aktion der Tinnitus-Selbsthilfegruppe Tübingen
Von Ralf Vosseler Kontakt zur Tinnitus-Selbsthilfegruppe Tübingen
Am Sonntag, dem 23.09.2018,
ging es bunt zu im Bürgertreff Name: Anton Hellstern
NaSe. NaSe steht für Nachbar- Telefon: 0 70 71 / 8 14 37 E-Mail: aue.hellstern@gmx.de
schaftliche Selbsthilfe und ist für Internet: https://tinnitus-shg-tuebingen.de/
die verschiedensten Interessen-
gruppen, darunter auch die Tin-
nitus-Selbsthilfegruppe Tübin-
gen, ein Zuhause geworden. geht. Allerdings gibt es mehr als ten. Manche Aufnahmen waren
Dies spiegelte sich deutlich im genug Informationsquellen, die Mono, andere in Stereo, und
bunten Programm des Jubilä- sich hinsichtlich der Ohrgeräu- manche sogar mit Mikrofonen
umsfestes wider. Bauchtanz, sche anzapfen lassen. Daher aufgezeichnet worden, die wäh-
Rap und andere musikalische haben wir diesmal das Pferd rend der Aufnahme im Ohr ge-
Einlagen sorgten für Unterhal- von hinten aufgezäumt und tragen werden. Diese letzteren
tung, während ein reichliches unser Augenmerk nicht auf den lassen sich dann auch nur gut
Buffet auch den Gaumen nicht Verlust des Gehörs oder den mit Kopfhörern anhören, weil sie
außer Acht ließ. Die Selbsthilfe- Umgang mit den Ohrgeräu- so viel Rauminformation enthal-
gruppe ist wohl der jüngste Zu- schen, sondern ganz bewusst ten, dass sie über Lautsprecher
wachs zu diesem fröhlichen, darauf gerichtet, was unser leicht verschwommen klingen.
aufgeschlossenen Sammelsu- Gehör alles kann. Es ging hier nicht darum, einfa-
rium an lebensfrohen Men- che Geräusche zu erraten. Ge-
schen. Daher wollten natürlich Was leisten unsere Ohren? räusche sind natürlich Teil der
auch wir etwas zum Jubiläums- Aufnahmen und müssen zuerst
fest beitragen, denn wir fühlen Dazu war ein Laptop mit Kopf- identifiziert werden. Viel interes-
uns sehr wohl in unserem neuen hörern vorbereitet. Die Teilneh- santer ist aber, was unser Gehör
Zuhause. mer bekamen verschiedene Auf- aus den Geräuschen herausle-
Tinnitus ist ein ernstzunehmen- nahmen vorgespielt und sollten sen kann.
des Phänomen, mit dem jeder den Eindruck wiedergeben, den Wie groß ist der Raum, in dem
Betroffene unterschiedlich um- ihnen die Aufnahmen vermittel- das Geräusch erklingt? Wo im
6 Handeln & Helfen – Ausgabe 2/2018 Fortsetzung nächste Seite >>Die Selbsthilfe
Raum erklingt das Geräusch, teuer Gehör", wie wir unseren Wir sind: Reutlingen
Kaiserstraße 52
nahe bei der Aufnahmequelle, Beitrag nannten, gab es selbst- Meisterservice, Tel. 07121 47 07 26
Mo-Fr: 9.30 - 19.00 Uhr
weiter weg, links oder rechts? verständlich auch die Möglich- BOSCH eBike expert,
Sa: 9.30 - 16.00 Uhr
Gibt es im Hintergrund andere keit, Informationen über Tinnitus für Sie in:
Stuttgart
Strohberg 7-9
Geräusche, verändert sich zum zu erhalten. Tel. 0711 64 92 153
Mo-Fr: 10.00 - 19.00 Uhr
Beispiel der Raum bei einer Auf- Wir von der Selbsthilfegruppe Sa: 10.00 - 14.00 Uhr
nahme, wo jemand sich durch Tübingen meinen, unser Kon- Tübingen
Poststraße 3
ein Gebäude bewegt? Warum zept ist aufgegangen. Während Tel. 07071 56 87 391
Mo-Fr: 10.00 - 19.00 Uhr
ist eine Aufnahme in Stereo viel manche Menschen gleich sehr Sa: 9.30 - 16.00 Uhr
aussagekräftiger als eine Mono- viel über die Aufnahmen sagen
aufnahme? Diese Fragen woll- konnten, hat es den anderen
ten wir zusammen mit den Inte- ebenso viel Spaß bereitet,
ressierten klären und die Be- schrittweise etwas darüber he-
geisterung für die Fähigkeiten rauszufinden und beim erneuten
unseres Gehörs dadurch we- Anhören immer weitere Feinhei-
cken. Neben unserem "Aben- ten zu entdecken. < Anzeige
Interkulturell fit sein und Kontakte knüpfen
Das Projekt „Migration trifft Selbsthilfe“ im 2. Halbjahr 2018
Von Birgit Jaschke
Als „Fähigkeit, mit Individuen
und Gruppen anderer Kulturen
erfolgreich und angemessen zu
interagieren“ beschreibt ein be-
kanntes Internet-Lexikon den
Begriff der interkulturellen Kom-
petenz. Dieses konstruktive Mit-
einander stand im Zentrum der
Weiterbildung „Interkulturell fit“.
Das Angebot der Kontaktstelle
für Selbsthilfe fand Ende Sep-
tember im SOZIALFORUM TÜ-
BINGEN e.V. statt. Als Modera-
torin führte Jana Mokali vom
Diakonischen Werk Württem-
berg durch die ganztägige Ver-
anstaltung. Weiterbildungsteilnehmerin Elif Atilgan im Gespräch mit Dietmar Töpfer,
Geschäftsführer des SOZIALFORUM TÜBINGEN e.V. Foto: Jaschke
Information und Rollenspiele
Gut ein Dutzend haupt- und eh- Jana Mokali klar, als in der schichte der Migration in
renamtlich Aktive aus Tübingen Runde die Erwartungen an die Deutschland. Weiter ging es
und der Region nahmen an dem Fortbildung diskutiert wurden. überwiegend mit Rollenspielen
Training teil. Die Teilnehmenden „Vielmehr müssen Sie sich die wie dem „Besuch auf der Insel
hatten viele Fragen im Gepäck, Lösung wie ein Mosaik Stück für Albatros“. Diese ermöglichten
zum Beispiel „Wie wecke ich bei Stück behutsam zusammenset- einen Perspektivenwechsel und
Menschen mit Migrationshinter- zen,“ so die Diplom-Pädagogin eine intensive Auseinanderset-
grund Interesse an meiner weiter. Sie ist seit 2011 für die zung mit der eigenen Wahrneh-
Idee?“ oder auch „Wie kann ich Fachstelle „Interkulturelle Orien- mung von Verschiedenheit.
vor dem Hintergrund unter- tierung Region Reutlingen-Ne-
schiedlicher kultureller und reli- ckar/Alb“ der Diakonie tätig. Die Training als ein Baustein
giöser Prägungen im Praxisall- gebürtige Griechin lebt seit 1981
tag angemessen reagieren?“ in Deutschland. Die Veranstaltung gehört zum
„Wenn sich Menschen verschie- Nach anfänglichen „Aufwärm- Projekt „Migration trifft Selbst-
dener Kulturen begegnen, gibt übungen“ gab es zunächst hilfe.“ Das längerfristig ange-
es kein Patentrezept“, stellte einen Überblick über die Ge- legte Projekt hat die interkultu-
Fortsetzung nächste Seite >> Handeln & Helfen – Ausgabe 2/2018 7Die Selbsthilfe
relle Öffnung der Selbsthilfe in
Stadt und Landkreis Tübingen Sie haben Fragen zum Projekt „Migration trifft Selbsthilfe“?
im Blick. Gefördert wird das Vor-
haben unter anderem von der Kontakt: Barbara Herzog
AOK Baden-Württemberg. Das Telefon: 0 70 71 / 3 83 63
Haupt- augenmerk liegt auf der Mail: herzog@sozialforum-tuebingen.de
zweiten und den folgenden Ge-
nerationen nach der Einwande-
rung. Unter gesellschaftspoliti- Selbsthilfe als Möglichkeit der scher Muttersprache schwer,
schen Aspekten ist der Fokus Krankheits- und Problembewälti- Nuancen in der Sprache zu ver-
sinnvoll: Wenn Menschen sich gung kennenlernen können. So stehen und eigene Befindlichkei-
in der Gesellschaft nicht aufge- wurde zum Beispiel eine Post- ten zu artikulieren. Daher unter-
nommen fühlen, besteht die Ge- karten-Serie erstellt und an- stützt das Projekt die Gründung
fahr, dass sie sich eher von ex- schließend in 8 Sprachen über- muttersprachlicher Gruppen. Ein
tremen ideologischen Perspekti- setzt. Jedes der vier Motive ent- weiteres Anliegen ist es, beste-
ven angesprochen fühlen oder hält eine Kernbotschaft. Die hende Selbsthilfegruppen bei
wieder auswandern wollen. Rückseite informiert über das der Integration von Menschen
Beratungsangebot der Kontakt- mit Migrationshintergrund zu be-
Die Idee bekannt machen stelle für Selbsthilfe (siehe HAN- gleiten. Im Herbst nutzten Bar-
DELN & HELFEN 1/2018). bara Herzog und Gülsen Yas
Rund ein Viertel der Tübinger viele Gelegenheiten, um für ihre
Bevölkerung hat einen Migrati- Gruppengründungen fördern Idee zu werben. So besuchten
onshintergrund. In Selbsthilfe- sie unter anderem den türki-
gruppen sind diese Menschen Nicht-deutsch-sprachige Selbst- schen Verein, die Week of Links
jedoch kaum vertreten. Das hilfegruppen – zum Beispiel zum und den Gesprächskreis Inte-
Konzept ist ihnen häufig noch Thema Depression – gibt es bis- gration der Stadt Tübingen. Sie
gänzlich unbekannt. Das Projekt her vor Ort keine. In deutsch- haben Fragen zum Projekt oder
will erreichen, dass Betroffene sprachigen Gruppen ist es für möchten sich einbringen? Kon-
und Angehörige unter ihnen die viele Betroffene mit nicht-deut- taktdaten siehe Kasten. <
Buchtipp: „Geht nicht – gibts nicht“
Von Elvira Martin einem schäbigen Kind kann
Im Jahr 2010 erschien unter man nichts mehr machen“, war
dem Titel „Geht nicht, gibt’s der Kommentar eines Arztes,
nicht“ die Autobiographie von der ihn als hoffnungslosen Fall
Willi Rudolf, dem amtierenden einstufte.
Behindertenbeauftragten des
Landkreises Tübingen. Kürzlich Stets nach vorne schauen
erschien nun die 2. erweiterte
und überarbeitete Auflage im Aber Willi lässt sich nicht unter-
Verlag Oertel & Spörer. kriegen, nicht von seiner Körper-
behinderung und den ständigen
Gegen die Barrieren im Kopf Schmerzen und auch nicht von
bürokratischen Hindernissen.
Zum Buch heißt es auf der Ver- Willi will erreichen, was die an-
lagsseite: „Geht nicht – gibt's deren auch können.
nicht – Mein steter Kampf als Der Autodidakt ohne Schulab-
Schwerstbehinderter gegen Bar- schluss muss hart dafür kämp-
rieren im Kopf“: Wie ein roter fen. Was ihn dabei auszeichnet:
Faden zieht sich dieses Motto Er hadert nicht mit seinem
durch das Leben des Willi Ru- Schicksal, sondern packt die Willi Rudolf auf dem Buchcover
dolf. Geboren in den letzten Mo- Probleme an und schaut immer Foto: Verlag
naten des Zweiten Weltkriegs, optimistisch nach vorn. Selbst- Verlag: Oertel + Spörer
der Vater war in Russland ver- mitleid kennt er nicht. Er sucht ISBN: 978-3-88627-468-0
misst, hatte der kleine körperlich nach Lösungen, selbst wenn zu- 280 Seiten
schwerstbehinderte Willi keinen nächst alles unmöglich und aus- € 19,95
leichten Start ins Leben. „An so weglos erscheint. <
8 Handeln & Helfen – Ausgabe 2/2018Die Selbsthilfe
Neue Gesprächsgruppe Schwerhörigkeit
Weitere Interessierte zu den Treffen in Rottenburg willkommen
Von Birgit Jaschke Kontakt: Zur Zeit über das SOZIALFORUM TÜBINGEN e.V.
„Die Ohren sind Straße und
Kanal, durch die die Stimme Barbara Herzog
zum Herzen kommt“, schrieb Telefon: 0 70 71 / 3 83 63
einst der französische Dichter
Chrétien de Troyes. Doch was Mail: herzog@sozialforum-tuebingen.de
passiert, wenn der Weg, den er
beschreibt, nur noch einge-
schränkt zugänglich ist?
gungen: Sei es im Beruf, im Pri- Gleichgesinnten über die Erfah-
Austausch und Information vatleben oder bei Veranstaltun- rungen mit dem eigenen Hörge-
gen – jeder Kontakt wird er- rät zu sprechen. Des Weiteren
Als Schwerhörigkeit wird die schwert, wenn man nicht alles gibt es gelegentlich Fachvor-
Einschränkung des Hörvermö- versteht. träge rund um das Thema
gens bezeichnet. Sie kann viel- Zum Thema „Leben mit Schwer- Hören. Die Treffen finden ab Ja-
fältige Ursachen haben und um- hörigkeit“ hat sich in Rottenburg nuar 2019 jeden dritten Diens-
fasst geringfügige Beeinträchti- eine neue Gesprächsgruppe ge- tag im Monat im Seminarraum
gungen genauso wie den fast bildet. Bei den Treffen tauschen der Stadtbibliothek in der König-
vollständigen Hörverlust. Für die sich die Anwesenden unter an- straße 2, 72108 Rottenburg,
betroffenen Menschen führt ein derem über Möglichkeiten der statt. Los gehts ab 16 Uhr. Eine
begrenztes Hören bei nahezu Therapie und Rehabilitation aus. vorherige Anmeldung ist er-
allen Aktivitäten zu Beeinträchti- Zudem bleibt Raum, um mit wünscht (siehe Kasten). <
Anzeige
Handeln & Helfen – Ausgabe 2/2018 9Soziale Initiativen
elkiko e.V. bietet Raum für Ideen
Blick hinter die Kulissen des Tübinger Familienzentrums
Von Birgit Jaschke
„elkiko“ steht für „Eltern-Kinder-
Kontakte“. Das Familienzentrum elkiko Familienzentrum e. V.
im Loretto ist ein Ort der Begeg- Lilli-Zapf-Str. 17
nung für Groß und Klein. „Mit 72072 Tübingen
unserem Namen möchten wir
auch Väter und Großeltern di- Telefon: 0 70 71 / 95 873 00
rekt ansprechen“, erklärt Vor- E-Mail: vorstand@elkiko.de
standsfrau Christiane Zenner- Internet: www.elkiko.de
Siegmann. Zusammen mit ihrer
Kollegin Brigitte Greis sprach sie
mit HANDELN & HELFEN über
die Entwicklung des Tübinger
Vereins.
Engagierten. Ob man einen Ku- derer wird“, ergänzt sie lächelnd.
Lange Suche nach Standort chen für ein Fest oder neue Christiane Zenner-Siegmann fin-
Ideen beisteuert – Eine Beteili- det zudem: „Das elkiko ist eine
Die Gründung fand im Juli 2001 gung ist auf viele Arten möglich. gute Möglichkeit für die Eltern,
statt. Die Suche nach einem „Insgesamt sind es viel mehr ihren Kindern vorzuleben, was
dauerhaften Standort erforderte Ehrenamtliche als zu Beginn. man mit eigenem Engagement
einen langen Atem. Zunächst Die Einzelnen können jedoch alles bewirken kann.“
mietete man im Februar 2004 meist nur ein kleineres Zeitbud-
von der Stadt Räume am Ale- get zur Verfügung stellen als frü- Kontakt und Information
xanderpark in der Südstadt. Da her“, fasst Brigitte Greis die Si-
das dortige Gebäude jedoch ab- tuation zusammen. Das Programm im elkiko ist so
gerissen werden sollte, musste vielfältig wie die Menschen, die
sich der Verein bald nach einer Prinzip des „offenen Cafés“ sich dort einbringen. Dienstag
Alternative umsehen. Im Sep- und Donnerstag findet zwischen
tember 2005 folgte der Umzug „Ein Familienzentrum ist ein 15.30 Uhr und 17.30 Uhr das
in die Eugenstraße 37. Aufgrund guter Ort, um heimisch zu wer- „offene Café“ statt. In gemütli-
der großen Nachfrage wurden den. Hier können auch Zugezo- cher Atmosphäre gibt es dort
die Räume dort irgendwann zu gene schnell neue Kontakte neben interessanten Begegnun-
klein und man ging erneut auf knüpfen“, beschreibt Christiane gen Brezeln, Brötchen und Ge-
die Suche. Der Umzug an den Zenner-Siegmann den Alltag im tränke zum Selbstkostenpreis.
jetzigen Standort erfolgte im No- elkiko. „Wir leben ein Geben Für Kinder unterschiedlicher Al-
vember 2007 nach einem gro- und Nehmen. Man kann sich tersgruppen sind Spielmöglich-
ßen Umbau mit vielen ehren- aktiv einbringen, aber genauso keiten vorhanden. Auch diens-
amtlich helfenden Händen. auch einfach mal nur die Ange- tags und donnerstags gibt es
bote nutzen.“ Im Zentrum steht von 9.30 bis 11.30 Uhr den Ba-
Große Nachfrage dabei immer das Konzept des bybrunch. Hier kommen Eltern
„offenen Cafés“. Das heißt, die mit Säuglingen bei einem reich-
„Rund 260 Menschen kommen Angebote erfordern in der Regel haltigen Frühstück zum Kennen-
pro Woche und nutzen die ver- weder eine vorherige Anmel- lernen und Austausch zusam-
schiedenen Angebote“, erläutert dung noch eine Teilnahmege- men. Mit am Tisch sitzt immer
Brigitte Greis. Der Verein zählt bühr. „Zuerst braucht es die Be- eine Fachkraft, die Fragen zum
derzeit rund 80 Mitgliederfami- gegnung und dann können Aus- Leben mit Baby beantwortet.
lien. „Gast sein dürfen hier alle. tausch und Verständnis helfen“, Wer darüber hinaus Informati-
Das erfordert keine Mitglied- verdeutlicht Brigitte Greis die onsbedarf hat, sollte sich die
schaft“, so Greis weiter. Mit dahintersteckende Idee. „Außer- Kurzvorträge mit Fragerunde
ihren Kolleginnen aus dem Vor- gewöhnlich ist bei uns, dass un- zum Familienalltag mit Babys,
stand trifft sie sich zweimal pro sere Angebote keinen Kurscha- Klein- und Kindergartenkindern
Monat, um Aktuelles zu bespre- rakter haben. Das kann entlas- vormerken. Jeden zweiten
chen und Zukünftiges zu planen. tend sein, wenn das Kind auch Dienstag im Monat werden
Ihnen zur Seite steht ein Team mal schlecht gelaunt sein darf, diese zwischen 16 und 17 Uhr
von über 40 regelmäßig freiwillig und dann der Tagesplan ein an- von Ingrid Löbner, Mitarbeiterin
10 Handeln & Helfen – Ausgabe 2/2018 Fortsetzung nächste Seite >>Soziale Initiativen
anderem der „Tü21-Brunch“, bei
dem sich Eltern, deren Kinder
das Down-Syndrom oder eine
andere Behinderung haben,
zum Austausch treffen. Brigitte
Greis ergänzt: „Anders als bei
einem starren Kurssystem kön-
nen wir auch kurzfristig neue
Angebote entwickeln bezie-
hungsweise entstehen lassen,
wenn klar ist, es gibt da einen
Bedarf.“
Verbunden und vernetzt
„Wir sind kein einsamer Stern,
sondern haben von Anfang an
intensive Vernetzung betrieben“,
Eingang zum elkiko Familienzentrum e.V. Foto: elkiko e.V. schildert Christiane Zenner-
Siegmann. „So können wir auf
kurzem Weg an die richtige
der "Schreibaby"-Ambulanz bei Cafés in ihrer Heimatsprache Stelle vermitteln. Gute Präven-
pro familia Tübingen, begleitet. und ermöglichen ihren Kindern tion macht niemand allein.“ So
Für Eltern mit etwas größeren einen ganz alltäglichen Sprach- engagiert man sich unter ande-
Kindern ist der „Brunch1plus“ umgang in der Gruppe. Gleich- rem im Bündnis für Familie und
gedacht, der mittwochs und frei- zeitig unterstützen sich die Fa- pflegt langjährige Kooperationen
tags von 9:30 bis 11:30 Uhr von- milien im Bewältigen der Über- beispielsweise mit pro familia.
statten geht. Wer mitbrunchen gänge zwischen den verschie- Zudem treffen sich auch andere
will, zahlt für Getränke und denen Kulturen. Derzeit gibt es Initiativen wie das offene Eltern-
Essen pauschal 5 Euro pro Er- neben italienisch und franzö- forum „Studieren mit Kind“ und
wachsenem und 1 Euro pro mit- sisch auch ein spanisches, ein der Verband binationaler Fami-
essendem Kind.Unter dem Dach englisches, ein brasilianisch- lien und Partnerschaften (iaf) in
des elkiko findet sich auch die portugiesisches sowie ein russi- den Räumen des elkiko.
Kleinkindgruppe „Lorettostrol- sches Café. Die aktuellen Ter-
che“. Hier werden 10 Kinder mine sind auf der Website abruf- Positiver Blick nach vorn
von einem Jahr bis zum Kinder- bar. Grundsätzlich können alle
gartenalter in einem Grundange- kommen, kommuniziert wird je- Der Verein lebt neben dem En-
bot am Vormittag qualifiziert be- doch immer in der jeweiligen gagement der zahlreichen Eh-
treut und individuell gefördert. Sprache. renamtlichen von Spenden und
Es handelt sich um eine Eltern- öffentlichen Zuschüssen. Im
initiative, welche die Eltern mit Kurze und flexible Wege Sommer 2018 bewilligte die
dem Vereinsvorstand führen. Stadt eine 50-Prozent-Stelle. Sie
Das elkiko erfüllt dabei die Ver- Die genannten Aktivitäten sind wird innerhalb des Teams auf
waltungs- und Trägeraufgaben. nur einige Beispiele aus dem mehrere Köpfe zu unterschiedli-
bunten Leben des Familienzen- chen Anteilen verteilt.
Anderssprachige Cafés trums. „Wir verstehen uns nicht So sieht sich der Verein gut ge-
als Dienstleister, sondern bieten rüstet, um auch zukünftige He-
Eltern mit einer anderen Mutter- Raum für Ideen und fördern rausforderungen zu meistern.
sprache als Deutsch unterhalten Selbsthilfe“, so Christiane Zen- „Das elkiko ist in der Vergangen-
sich bei den internationalen ner-Siegmann. Dazu zählt unter heit aus den Ideen gewachsen,
die von den Leuten eingebracht
wurden“, bringt es Brigitte Greis
Um die Arbeit in gewohntem Umfang weiterführen zu können, auf den Punkt. „Für die Zukunft
ist das elkiko Familienzentrum e.V. auf Spenden angewiesen wünschen wir uns Menschen,
und freut sich über Ihre Unterstützung: die in unsere Gummistiefel stei-
gen und damit ihre eigenen
Bank: Kreissparkasse Tübingen Wege gehen.“ Falls Sie den ein
Empfänger: elkiko Familienzentrum oder anderen Pflasterstein für
IBAN: DE14 6415 0020 0002 7755 46 diesen Weg beisteuern möch-
Swift-BIC: SOLADES1TUB ten, finden Sie links das Spen-
denkonto des Vereins. <
Handeln & Helfen – Ausgabe 2/2018 11Abenteuer Diagnose
Spezialgebiet „Seltene Erkrankungen“
Im Gespräch mit Dr. Holm Graeßner vom ZSE Tübingen
Welche Ziele verfolgt das
Zentrum für Seltene Erkran- Von Birgit Jaschke
kungen (ZSE) Tübingen mit Laut dem Bundesministerium für Gesund-
seiner Arbeit? heit haben etwa vier Millionen Menschen
in Deutschland eine seltene Erkrankung.
Es wurde im Januar 2010 als In der Europäischen Union gilt eine Krank-
bundesweit erstes Zentrum sei- heit als solche, wenn sie weniger als 5 von
ner Art gegründet, mit dem Ziel 10.000 Menschen betrifft. Weltweit geht
die Lebensqualität für Menschen man von bis zu 8.000 unterschiedlichen
mit einer seltenen Erkrankung solcher meist komplexen Krankheitsbilder
zu verbessern. Schnelle Dia- aus. Eine wichtige Anlaufstelle für betrof- Dr. Holm Graeßner
gnostik, fächerübergreifende Be- fene Personen ist das Zentrum für Seltene Foto: Universitäts-
handlung in Spezialzentren und Erkrankungen (ZSE) in Tübingen. klinikum Tübingen
im zunehmenden Umfang auch HANDELN & HELFEN sprach mit Ge-
Therapie sind die Kernelemente schäftsführer Dr. Holm Graeßner über die Spezialeinheit für
der Patientenversorgung, die wir „Seltene Erkrankungen“. Die Fragen stellte Birgit Jaschke.
etabliert haben und mit denen
wir in Deutschland oftmals auch
Neuland betreten haben. sprechenden Experten betreut agieren aber innerhalb des fach-
werden zu können. lichen Spektrums unserer Tübin-
Wie viele solcher Zentren gibt ger Spezialbereiche.
es heute bundesweit? Gibt es mehr weibliche oder
mehr männliche Betroffene? Sind alle Spezialzentren in Tü-
Mittlerweile sind es über 30, die bingen ansässig?
sich zu einem ZSE zusammen- Männer und Frauen sind gleich-
geschlossen haben. Alle ZSEs sam von seltenen Erkrankungen Bis auf eines sind alle – mittler-
arbeiten nach einem ähnlichen betroffen. Da über 80% der sel- weile vierzehn – Spezialzentren
Modell wie in Tübingen mit be- tenen Erkrankungen genetisch am Universitätsklinikum Tübin-
stimmten Spezialbereichen mit bedingt sind, ist der Anteil der gen ansässig. Das Spezialzen-
fachlich abgegrenzter Expertise betroffenen Kinder hoch. Es gibt trum für Mukoviszidose ist eine
für bestimmte Erkrankungsgrup- aber auch spät manifestierende Kooperation mit dem Klinikum
pen sowie einer Lotsenstruktur. Erkrankungen, wie zum Beispiel Stuttgart. Die notwendige fä-
Die Lotsen sind deutschlandweit bestimmte seltene neurologi- cherübergreifende Bündelung
miteinander vernetzt und kön- sche Bewegungsstörungen, die des Wissens für bestimmte sel-
nen insofern den Patienten hel- erst im Erwachsenenalter ein- tene Erkrankungen ist in der
fen, das ZSE mit der passenden setzen. Regel nur an Universitätsklini-
Expertise zu finden. ken möglich. Für eine gute Ver-
Kann ich selbst beim ZSE Tü- sorgung und Forschung ist
Wie viele Erkrankte wurden bingen vorstellig werden? zudem eine Vernetzung mit an-
seit der Gründung begleitet? deren Universitätskliniken in
Wir können nur auf Überwei- Deutschland und Europa ein
Pro Jahr betreut das ZSE Tübin- sung durch den behandelnden Muss.
gen etwa 4.200 Personen. Un- Arzt aktiv werden. Wenn bereits
sere Patienten kommen aus eine klare Diagnose vorliegt, Welche Hürden pflastern den
ganz Deutschland, teilweise können Sie sich direkt an das Weg bis zur Diagnose einer
sogar aus dem Ausland. Bei ge- entsprechende Spezialzentrum seltenen Erkrankung?
schätzt 8.000 verschiedenen wenden. Wenn noch keine vor-
seltenen Erkrankungen ist es liegt, empfehlen wir, dass sich So selten die Erkrankung, so
nicht verwunderlich, dass es für Ihr Arzt vorab mit unserer Lotsin selten ist die entsprechende
bestimmte seltene Erkrankun- Dr. Jutta Eymann in Verbindung ärztliche Expertise. Niedergelas-
gen nur jeweils wenige Experten setzt. Noch keine Diagnose zu sene und Klinikärzte sehen in
gibt, die angefragt werden könn- haben bedeutet nicht immer, ihrem Berufsleben oft keine oder
ten. Daher nehmen Patienten dass es sich um eine seltene Er- nur sehr wenigen Menschen mit
und Familien oftmals lange krankung handelt. Wir sind be- einer bestimmten seltenen Er-
Wege in Kauf, um von den ent- müht eine Diagnose zu stellen, krankung. Daher irren Patienten
12 Handeln & Helfen – Ausgabe 2/2018 Fortsetzung nächste Seite >>Abenteuer Diagnose
im Durchschnitt mehrere Jahre gen“ (FAKSE) ärztliche Fortbil- Welche Möglichkeiten gibt es,
von Arzt zu Arzt bis zur richtigen dungsveranstaltungen, die einen das ZSE zu unterstützen?
Diagnose. Zur emotionalen Be- Überblick über bestimmte sel-
lastung hervorgerufen durch die tene Erkrankungen geben. Nie- Viele Teile unserer Arbeit sind
Ungewissheit kommt dann oft dergelassene und Klinikums- spendenfinanziert und nur mög-
Stigmatisierung und Vorverurtei- ärzte werden so auf potenzielle lich, weil wir konkrete Unterstüt-
lung durch die Umwelt hinzu. Anzeichen für „etwas Seltenes“ zung für ein Projekt gefunden
sensibilisiert. Zudem sind wir haben. Wer unsere Arbeit unter-
Ist das ZSE Tübingen auch im durch eine großzügige Spende stützen möchte, kann sich sehr
Bereich der ärztlichen Weiter- seit Mitte 2018 mit dem Pro- gern auf den Seiten unseres
bildung aktiv? gramm „EDU-SE“ auch in der Fördervereins über www.zse-
Lage, eigene Lehrveranstaltun- tuebingen.de informieren.
Seit 2011 bieten wir in der bun- gen für Studierende sowie Rota-
desweit einzigen „Fortbildungs- tionsangebote in der Weiterbil- Was wünschen Sie sich für
akademie für seltene Erkrankun- dung anzubieten. die Zukunft?
Zum Ersten wünschen wir uns,
Das Zentrum für Seltene Erkrankungen (ZSE) Tübingen ist eine dass wir einer deutlich größeren
Einrichtung des Universitätsklinikums Tübingen und der Eber- Zahl unseren Patientinnen und
hard-Karls-Universität Tübingen. Patienten Therapien anbieten
können, die zu einer verbesser-
Kontakt zur Ärztelotsin ten Lebensqualität führen. Dies-
Jutta Eymann bezüglich schöpfen wir beson-
Telefon: 0 70 71 / 29 - 85 170 ders durch die jüngsten Entwick-
E-Mail: lotsin@zse-tuebingen.de lungen der genetischen Thera-
pieansätze Hoffnung. Diese
Sprechzeiten: Montag, Mittwoch und Donnerstag Ansätze werden auch am ZSE
jeweils 9:30 bis 11:30 Uhr erforscht. Zum Zweiten wünschen
wir uns, dass wir nach fast 9 Jah-
Kontakt zum Förderverein ren endlich eine Finanzierung
Julia Giehl unserer Aktivitäten durch die
Telefon: 0 70 71 / 29-72278 Krankenkassen erhalten.
E-Mail: julia.giehl@zse-tuebingen.de
Internet: www.zse-tuebingen.de Vielen Dank für das Gespräch! <
Der lange Weg bis zur Diagnose
Über das Leben mit Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS)
Von Birgit Jaschke DELN & HELFEN sprach die In der Jugend kamen Schilddrü-
„Auch eine schwere Tür hat nur heute 56-Jährige über ihr Leben sen-Probleme sowie massive Al-
einen kleinen Schlüssel nötig“, mit der Erkrankung und ihre lergie-Symptome hinzu. Meh-
schrieb der Schriftsteller Charles Suche nach anderen Betroffe- rere ärztlich durchgeführte Aller-
Dickens. Doch was tun, wenn nen, mit denen sie sich austau- gie-Tests brachten statt Klarheit
alle verfügbaren Schlüssel nicht schen kann. nur verschiedene Ergebnisse.
passen? Man macht sich selbst Auch für ihre Schilddrüse erhielt
auf die Suche nach dem richti- Unterschiedliche Diagnosen sie unterschiedliche Diagnosen:
gen Türöffner – so wie Julia Mül- In ihrer Jugend wurde ihr gesagt,
ler*. Nach einem langen Weg, Schon als Kindheit hat Julia sie hätte Hashimoto, eine chro-
der von ärztlichen Fehleinschät- Müller die ersten gesundheitli- nische Entzündung des Organs.
zungen gesäumt war, erhielt sie chen Probleme. Bereits damals Vor drei Jahren erhielt sie von
vor rund 2 Jahren die Diagnose hat sie unter anderem regelmä- einem anderen Arzt die Diag-
MCAS. Die Abkürzung steht auf ßig Bauchschmerzen. Immer nose Morbus Basedow. Dabei
deutsch für das Mastzellaktivie- wiederkehrendes Erbrechen handelt es sich um eine krank-
rungssyndrom, welches endlich sorgte dafür, dass sie phasen- hafte Schilddrüsenüberfunktion.
Antworten auf viele ihrer Be- weise das Essen und Trinken Ein weiterer Mediziner äußerte,
schwerden lieferte. Mit HAN- ganz einstellte. dass es eine Kombination aus
* Name von der Redaktion geändert Fortsetzung nächste Seite >> Handeln & Helfen – Ausgabe 2/2018 13Abenteuer Diagnose
Hashimoto und Morbus Base-
dow gar nicht gibt. „Unterschied- Unter https://mastzellaktivierung.info/ finden Sie eine umfang-
liche Meinungen von verschie- reiche Informationssammlung zu systemischen Mastzellerkran-
denen Ärzten zum gleichen kungen (Mastozytose, Mastzellaktivierungssyndrom MCAS).
Thema bin ich mittlerweile leider
sehr gewohnt“, fasst Julia Müller
ihre bisherigen Erfahrungen zu- buch zu führen, wodurch eine nungsambulanz der Uniklinik
sammen. Histamin- sowie eine Fruktose- Bonn. Dort stellte man fest, dass
Intoleranz ans Licht kamen. Da sie zuviel Heparin im Blut hatte
Keine Ursache gefunden die Beschwerden nicht weniger und empfahl ihr einen Experten
wurden, forschte sie weiter. Es im Krankenhaus in Kirchheim.
Mit Mitte 20 hieß es, sie habe wurde zudem eine Salicylat-In- Mittels eines speziellen Frage-
Neurodermitis. Manche Symp- toleranz festgestellt. Als sie auf- bogens stellte dieser die Diag-
tome wie Rötungen und Schup- hört histaminreiches Obst und nose MCAS, welche, stark ver-
pungen passten, andere wie- Gemüse zu essen, fing ihr Zu- einfacht ausgedrückt, ein Zuviel
derum nicht. Angeordnete Blut- stand an sich zu verbessern. an Botenstoffen bedeutet.
tests brachten keine Ergebnisse. Die Liste der Nahrungsmittel,
Auch für die wiederkehrenden die sie ohne Probleme zu sich Austausch gewünscht
Blasen- und Nierenbeckenent- nehmen kann, ist kurz.
zündungen fand man keine Ur- Es war Julia Müller selbst, die im „Anfangs verspürte ich Euphorie
sache. In der Folge erklärte man Internet auf das Mastzellaktivie- und Erleichterung“, erinnert sich
Julia Müller regelmäßig als psy- rungssyndrom (MCAS) stieß. Julia Müller an den Tag, an dem
chosomatisch krank. Mehrmals Mastzellen sind körpereigene sie die richtige Diagnose bekam.
musste sich die Altenpflegerin Abzwehrzellen, die über 200 Bo- „Viele Ärzte sehen nur einen
als „Simulantin“ bezeichnen las- tenstoffe – unter anderem Hista- kleinen Teil. Zum ersten Mal sah
sen. Dazu mag beigetragen min und Heparin – gespeichert jemand das Gesamtbild.“ Heute
haben, dass Antibiotika, die sie haben. Im Immunsystem sind ist die Altenpflegerin selbst eine
aufgrund der Beschwerden er- sie für das Erkennen von Para- Expertin in Bezug auf ihre Er-
hielt, oft keinen Erfolg brachten. siten, Allergenen und Fremdstof- krankung. Sie kennt einige eng-
Auch mehrere Operationen hal- fen verantwortlich. Bei Bedarf lischsprachige Fachliteratur und
fen nur bedingt. Dazu zählen alarmieren sie das umliegende kann so auf Anhieb reagieren,
unter anderem eine Erweiterung Gewebe durch die Freisetzung wenn sie mit neuen Symptomen
der Harnröhre wegen chroni- von Botenstoffen. Bei Menschen konfrontiert ist. Auf der Suche
scher Nierenbeckenentzündung mit MCAS reichen durch die nach relevanten Informationen
sowie eine Erweiterung des Überaktivität der Mastzellen hat sie ganze Online-Foren
Muttermundes wegen massiver kleinste Umweltreize aus, um durchkämmt.
Menstruationsbeschwerden. diesen Alarm auszulösen. Die Was ihr bisher jedoch fehlt, ist
In ihren Dreißigern bekam sie Folge sind allergieähnliche der Austausch mit anderen Be-
am ganzen Körper Schmerzen, Symptome bis hin zum allergi- troffenen. Im Gegensatz zu an-
die sie bis heute hat und die ihr schen Schock. MCAS ist im- deren Mastzellerkrankungen wie
die Diagnose Fibromyalgie be- munspezifisch nicht nachweis- der Mastozytose existiert bisher
scherten. Was jede Behandlung bar, was die Diagnostik sehr kein bundesweiter Selbsthilfe-
erschwert, ist die Tatsache, dass schwierig macht. verband für Menschen mit
sie Medikamente schlecht ver- Plötzlich ergaben zwar nicht MCAS. Für die Gründung einer
trägt. Nach einer Operation lan- alle, aber sehr viele ihrer Symp- Selbsthilfegruppe ist Julia Müller
dete sie wegen Herzrhythmus- tome einen Sinn. Ihre Suche auf der Suche nach weiteren
störungen auf der Intensivsta- nach Fachleuten, die sich mit Gleichgesinnten, mit denen sie
tion. Auch lokale Betäubungs- MCAS auskennen, führte Julia Erfahrungen austauschen kann
mittel verursachen Probleme. Müller zunächst in die Gerin- (Kontakt siehe Kasten). <
So wird sie heute teilweise ohne
jegliche Betäubung behandelt,
nachdem sie mehrmals in Ohn-
macht gefallen war. Sie haben auch MCAS und möchten andere Betroffene kennen-
lernen zwecks Erfahrungstausch und gegenseitiger Unterstüt-
Der Krankheit auf der Spur zung? Dann melden Sie sich bei der Kontaktstelle für Selbsthilfe
für die Gründung einer Selbsthilfegruppe.
Nach unterschiedlichen Diagno-
sen, die keine Verbesserung Name: Barbara Herzog
brachten, fing Julia Müller Telefon: 0 70 71 / 3 83 63
selbst an zu recherchieren. Sie Mail: herzog@sozialforum-tuebingen.de
begann, ein Ernährungstage-
14 Handeln & Helfen – Ausgabe 2/2018Anzeige
Abenteuer Diagnose
Hätten Sie’s gewusst?
Von Birgit Jaschke
Haben Sie sich beim Blick auf Ihr ärztli-
ches Attest schon mal gefragt, was es
mit den dort angegebenen Ziffern auf
sich hat? Auf der Arbeitsunfähigkeitsbe-
scheinigung wird die Krankheit mit ICD-
10-GM-Codes verschlüsselt. ICD steht
für „Internationale statistische Klassifika-
tion der Krankheiten und verwandter Ge-
sundheitsprobleme“.
Herausgeber des weltweit anerkannten
Klassifikationssystems für medizinische
Diagnosen ist die Weltgesundheitsorga-
nisation WHO. Die aktuell gültige Aus-
gabe ist die ICD-10. Das „GM“ bedeutet
„German Modification“. Zuständig für die
„deutsche Version“ ist das „„Deutsche In-
stitut für Medizinische Dokumentation
und Information“ (DIMDI). Auf seiner In-
ternetseite www.dimdi.de stellt die Be-
hörde im Ressort des Bundesministeri-
ums für Gesundheit seriöse Informatio-
nen aus allen Bereichen des Gesund-
heitswesens zur Verfügung. <
Für psychisch Erkrankte und Angehörige
Die Informations-, Beratungs- und Beschwerdestelle Tübingen
Von Andreas Stocker
Mit einem kleinen Team hat es Kontakt
angefangen: Im September 2016 Informations-, Beratungs-, und Beschwerdestelle für Menschen
bot die Informations-, Bera- mit psychischer Erkrankung und ihre Angehörigen (IBB-Stelle)
tungs- und Beschwerdestelle Europaplatz 3 (in Räumen des SOZIALFORUM TÜBINGEN e.V.)
(IBB) für Menschen mit psy- 72072 Tübingen
chischer Erkrankung und ihre
Angehörigen mit einem Zweier- Telefon: 0 70 71 / 407 84 95 / Fax: 0 70 71 / 791 54 39
Team die ersten Beratungen an. E-Mail: ibb@kreistuebingen.de
Nun gibt es die IBB-Stelle seit
zwei Jahren. Inzwischen arbei- Offene Sprechstunde:
ten vier Personen in einem „ge- Jeden 1. und 3. Freitag im Monat von 15.00 bis 17.00 Uhr
mischten“ Team aus Frauen und
Männern, Betroffenen und Profis Beschwerden im Zusammen- Die IBB-Stelle arbeitet nieder-
in der Stelle mit. hang mit einer Unterbringung, schwellig, unabhängig und kos-
Die Anlaufstelle in den Räumen ärztlichen Behandlung oder tenfrei. In die Stelle integriert ist
des SOZIALFORUM TÜBIN- einer psychosozialen Betreu- der Patientenfürsprecher des
GEN e.V. steht Ratsuchenden ung, aber auch mit Anregungen Landkreises Tübingen.
bei der Wahrnehmung ihrer Inte- an uns wenden. Unsere Auf- Zuständig ist die IBB-Stelle für
ressen zur Seite. Wir geben gabe ist, sie bei der Wahrung die Bevölkerung des Landkrei-
Auskunft über Hilfs- und Unter- ihrer Interessen und Rechte zu ses Tübingen. Ebenso zustän-
stützungsangebote, die für eine unterstützen. Bei Bedarf vermit- dig sind wir, wenn sich Aus-
möglichst wohnortnahe Versor- teln wir auf Wunsch der/des Be- künfte, Anregungen und Be-
gung in Betracht kommen. troffenen zwischen ihr/ihm und schwerden auf Einrichtungen,
Betroffene und Angehörige kön- der ambulanten, teilstationären Dienste und Angebote im Land-
nen sich mit ihren Fragen und oder stationären Einrichtung. kreis Tübingen beziehen. <
Handeln & Helfen – Ausgabe 2/2018 15Sie können auch lesen