Abenteuer - Sozialforum-Tübingen

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Abenteuer - Sozialforum-Tübingen
Ausgabe 2/2018

Zeitschrift für Selbsthilfe und Sozialinitiative

 Abenteuer
       Diagnose

Einblick   – Das elkiko Familienzentrum Tübingen e.V.
Durchblick – „Was hab’ ich?“ macht Diagnosen verständlich
Ausblick   – Welche Neuerungen bringt die ICF mit sich?

                           www.sozialforum-tuebingen.de
Abenteuer - Sozialforum-Tübingen
FÜR
NECKARALB
Die Spendenplattform für soziale Projekte.
Wir alle können helfen, unsere Region noch lebenswerter zu
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Abenteuer - Sozialforum-Tübingen
Vorwort
                    Liebe Leserinnen und Leser,                          Unsere Themen
                   Krebs, Mastzellaktivierungssyndrom, Trauma-
                   tisierung: Menschen sehen sich mit schweren           SOZIALFORUM AKTUELL
                   Erkrankungen konfrontiert. Viele Fragen tau-          2 Interview mit Praktikantin Gülsen Yas, Impressum
                   chen auf: Ist die Diagnose richtig oder soll ich      3 Vorstellung Dr. Daniela Harsch
                                                                         4 Datenschutz, Nachruf Gerhard Bölstler
                   eine zweite Meinung einholen? Versteh’ ich
                   den Befund? Welche Folgen hat er für mein
                   weiteres Leben? All diese Facetten um Ge-             DIE SELBSTHILFE
sundheit und Krankheit bei dem „Abenteuer Diagnose“ sprechen             5 Kolumne, Interkulturelle Woche, Projektgruppe
wir in dieser Ausgabe an.                                                6 Vorträge ADHS; Mitmach-Aktion Tinnitus
                                                                         7 Projekt „Migration trifft Selbsthilfe“
Lesen Sie über den Umgang mit der Diagnose Krebs und zum                 9 Neuer Gesprächskreis Schwerhörigkeit
Spannungsfeld Behinderung und Diagnose. Schwierig haben es
traumatisierte Menschen: Es gibt keine offizielle Diagnose               SOZIALE INITIATIVEN
„Trauma“. Und erfahren Sie, was das Zentrum für Seltene Erkran-          10 Treffpunkt für Klein und Groß: elkiko e.V.
kungen in Tübingen tut, was sich hinter „Was hab’ ich?“ verbirgt,
und welche Einrichtungen in Tübingen erkrankte Menschen be-              SCHWERPUNKT: „Abenteuer Diagnose“
raten: die Patientenfürsprecher, die Unabhängige Patientenbera-          12 Zentrum für Seltene Erkrankungen Tübingen
tung und die Informations-, Beratungs- und Beschwerdestelle für          14 Der lange Weg bis zur Diagnose
                                                                         15 Diagnose nach ICD-10; IBB-Stelle
Menschen mit psychischen Erkrankungen.                                   16 Patientenfürsprecherin Leonore Hansen
                                                                         17 „Was hab’ ich?“ macht Diagnosen verständlich
Im Bereich Selbsthilfe fand das Training „Interkulturell fit“ statt.     19 MITeinander – Menschen mit Trauma e.V.
Es war Teil des Projekts „Migration trifft Selbsthilfe“. Mit dabei war   21 „Cancelling Cancer“ – Umgang mit Krebs
unsere Praktikantin Gülsen Yas, die Sie in einem Interview ken-          23 ICF – Behinderung neu denken
nenlernen. Informationen gibt es zu Aktivitäten der Tinnitus- und
der ADHS-Selbsthilfegruppe sowie zum Gesprächskreis Schwer-              LEBEN MIT BEHINDERUNG
hörige in Rottenburg. Christiane Zenner-Siegmann und Brigitte            26 Kolumne, Barrierefreie Spazierwege
                                                                         27 Seniorenarbeit und Inklusion; EUTB
Greis aus dem Vorstand von elkiko e.V. berichten über ihr Fami-
lienzentrum im Loretto und die Entwicklung des Vereins.                  INKLUSION KONKRET
                                                                         28 Gebärdensprache
Die Rubrik „Leben mit Behinderung“ stellt Uwe Seid vor, den
neuen Beauftragten für Senioren und Inklusion der Stadt Tübin-           DIE PATIENTENBERATUNG INFORMIERT
gen. Zudem berichtet Elvira Martin über die Ergänzende Unab-             30 Recht auf Zweitmeinung
hängige Teilhabeberatung. Inklusion konkret beschreibt, wie
Gebärdensprache das Leben von Menschen mit Hörbehinderun-                31 Pinnbrett: Hinweise auf Selbsthilfegruppen
                                                                         32 Überblick: Selbsthilfegruppen in der Region
gen erleichtert.

Der Service für Sozialvereine bot Gelegenheit zum Erfahrungs-
austausch zur Europäischen Datenschutz-Grundverordnung. Bei
der Frage, wie der Arbeitsaufwand zu bewältigen ist, überlegten
die Vereine, wie sich eine kostenlose Fortbildung zu Datenschutz-
Fachkräften organisieren lässt. Eine Podiumsdiskussion zur Wahl
der neuen Bürgermeisterin für Soziales, Bildung, Kultur und Sport        Sie möchten „Handeln & Helfen“ im Abonnement
Tübingens veranstalteten das Kulturnetz Tübingen e.V. und das            zum Selbstkostenpreis von 5 Euro jährlich beziehen?
SOZIALFORUM TÜBINGEN e.V. Daniela Harsch wurde gewählt                   Dann schreiben Sie an:
und wir stellen sie vor.
                                                                         SOZIALFORUM TÜBINGEN e.V.
Viel Freude beim Lesen wünscht                                           Redaktion „Handeln & Helfen“
                                                                         Europaplatz 3
                                                                         72072 Tübingen

                                                                         Telefon: 0 70 71 / 2 56 59 65
Dietmar Töpfer, Geschäftsführung                                         E-Mail: redaktion@sozialforum-tuebingen.de

                                                                             Handeln & Helfen – Ausgabe 2/2018            1
Abenteuer - Sozialforum-Tübingen
Sozialforum aktuell

   „Brücken bauen mit Selbsthilfe“
   HANDELN & HELFEN im Gespräch mit Gülsen Yas

                Von Birgit Jaschke      bekannt. Wir wollen hier vor Ort                      Von Birgit Jaschke
   Wie kamen Sie zum SOZIAL-            erste Schritte gehen für eine in-      <
   FORUM TÜBINGEN e.V.?                 terkulturelle und kultursensible
   Barbara Herzog war auf der           Öffnung der Selbsthilfe.
   Suche nach jemandem mit Mi-
   grationshintergrund für ein Prak-    Was gefällt Ihnen an dem
   tikum. Dazu hat sie sich auch an     Praktikum besonders gut?
   die Fachhochschule Esslingen         Das Projekt ist spannend und
   gewandt. Mein Professor hat          gibt mir Gelegenheit mich einzu-
   dann den Kontakt zwischen uns        bringen. Zudem ermöglicht der
   hergestellt.                         Kontakt zum Beispiel zu den in-
                                        ternationalen Vereinen viele in-
   Wieso spielte der Migrations-        teressante Begegnungen.                Gülsen Yas.                Foto: privat
   hintergrund eine Rolle?
   Während des Praktikums ar-           Welche      Herausforderungen           Zur Person: Gülsen Yas hat
   beite ich schwerpunktmäßig im        sehen Sie für das Projekt?              selbst einen Migrationshinter-
   Projekt „Migration trifft Selbst-    Es ist nicht immer leicht, die          grund. Sie studiert an der
   hilfe“ mit. Selbsthilfe in anderen   Menschen mit unserer Idee zu            Hochschule Esslingen den
   Kulturen bekannt zu machen,          erreichen. Das kann ganz unter-         Bachelor-Studiengang „So-
   hat mich direkt interessiert.        schiedliche Gründe haben. Stets         ziale Arbeit“. Schwerpunkt
                                        alle kulturellen Besonderheiten         ihres Studiums sind die The-
   Welche Ziele verfolgt „Migra-        im Blick zu haben und zu be-            men „Migration und geflüch-
   tion trifft Selbsthilfe“?            rücksichtigen, ist nicht einfach,       tete Menschen“. Ihr Prakti-
   Das Konzept der Selbsthilfe-         aber auch nicht unmöglich.              kum im SOZIALFORUM TÜ-
   gruppen ist in vielen anderen                                                BINGEN e.V. dauert noch bis
   Kulturen bisher überhaupt nicht      Vielen Dank für das Gespräch! <         Mitte März 2019.

   Impressum
   Herausgeber:                         Geschäftsführung, Service für          Vorstand
                                        Sozialvereine, CeBeeF                  Jürgen Bein, Beate Jung, Gotthilf Lorch
   SOZIALFORUM TÜBINGEN e.V.            Dietmar Töpfer
   Europaplatz 3                        Sprechzeiten: Dienstag, Donnerstag     Spendenkonto:
   72072 Tübingen                       9 bis 12 und 14 bis 16 Uhr             Kreissparkasse Tübingen
   www.sozialforum-tuebingen.de         0 70 71 / 15 15 69                     IBAN: DE23 6415 0020 0001 4894 55
   www.facebook.com/                    geschaeftsfuehrung@sozialforum-
   SozialforumTuebingeneV               tuebingen.de                           Spenden sind steuerlich abzugsfähig.
                                                                               Eine Spendenbescheinigung wird zu-
   Telefon: 0 70 71 / 15 15 69
                                        Förderung der Selbsthilfe in der       gesandt.
   Fax 0 70 71 / 3 82 66
   V.i.S.d.P.: Dietmar Töpfer           Region Tübingen
                                        Barbara Herzog,
   Erscheinungsweise                    Kontaktstelle für Selbsthilfe          Auf 100 % Recycling-Papier gedruckt.
   Halbjährlich                         Sprechzeiten: Montag, Dienstag 9 bis
   Auflage 4.700 Exemplare              12 Uhr, Donnerstag 17 bis 19 Uhr
   Redaktion und Layout                 0 70 71 / 3 83 63
   Birgit Jaschke                       herzog@sozialforum-tuebingen.de        Das SOZIALFORUM TÜBINGEN e.V.
   Tel. 0 70 71 / 2 56 59 65                                                   wird gefördert durch die Stadt Tübingen,
   redaktion@sozialforum-tuebingen.de                                          das Ministerium für Soziales und Integra-
                                        Selbstbestimmung, Gleichstellung,
   Titelblatt                                                                  tion Baden-Württemberg sowie durch
                                        Teilhabe für Menschen mit Behinde-
   Foto: suze                                                                  zahlreiche Spender und Sponsoren.
                                        rungen
   www.photocase.de                     Elvira Martin
                                                                               Die Selbsthilfearbeit wird seit 2008 pau-
                                        FORUM & Fachstelle INKLUSION
   Druck                                                                       schal unterstützt durch die kassenarten-
   Müller und Bass                      Sprechzeit: Dienstag 14 bis 16 Uhr
                                                                               übergreifende Gemeinschaftsförderung
   Hechinger Str. 25                    0 70 71 / 2 69 69
                                                                               der gesetzlichen Krankenkassen.
   72072 Tübingen                       inklusion@tuebingen-barrierefrei.de

2 Handeln & Helfen – Ausgabe 2/2018
Abenteuer - Sozialforum-Tübingen
Sozialforum aktuell

Dr. Daniela Harsch macht das Rennen
Zur Bürgermeisterin für Soziales, Kultur und Ordnung gewählt
              Von Birgit Jaschke
Tübingen hat eine neue Bürger-
meisterin für Soziales, Kultur        Kontakt (ab dem 1.1.2019)
und Ordnung. Der Gemeinderat          Dr. Daniela Harsch
wählte Dr. Daniela Harsch in          Bürgermeisterin für Soziales,
seiner Sitzung am 25. Oktober         Ordnung und Kultur
im zweiten Wahlgang.                  Assistenz Antje Nesch
Die Nachfolgerin von Dr. Chris-       Universitätsstadt Tübingen
tine Arbogast ist 35 Jahre alt        Am Markt 1
und Diplom-Volkswirtin sowie          72070 Tübingen
Diplom-Betriebswirtin (BA). Der-
zeit ist sie als Koordinatorin für    Telefon: 0 70 71 / 204-1301
Forschung, Finanzen und Per-          E-Mail: ebm@tuebingen.de             Dr. Daniela Harsch
sonal sowie als Referentin des        Internet: www.tuebingen.de                             Foto: privat
Ärztlichen Direktors der Klinik
für Kinder- und Jugendpsychia-
trie/ Psychotherapie am Univer-
sitätsklinikum Ulm tätig.             Nachgefragt bei Dr. Daniela Harsch – Ein Blitz-Interview
Zu ihrem zukünftigen Dezernat
zählen die folgenden vier Fach-
bereiche: „Bürgerdienste, Si-         Warum haben Sie sich für das Amt beworben?
cherheit und Ordnung“, „Bil-
dung, Betreuung, Jugend und           Ich habe mich für das Amt beworben, da die Breite des De-
Sport“, „Soziales“ sowie „Kunst       zernats – vom Sozialen bis zur Ordnung – eine besondere
und Kultur“. Zudem fallen der         Bandbreite bietet. Tübingen geht als Stadt schon voran,
Eigenbetrieb Musikschule, die         während andere Kommunen die wichtigen Fragen noch nicht
Altenhilfe gGmbH, die Sporthal-       mal diskutieren. Als Bürgermeisterin kann ich nun die vielen
lenbetriebs-GmbH und die Zim-         Konzeptionen und Projekte im Dezernat weiterführen und im
mertheater GmbH in ihren Zu-          Dialog mit der Verwaltung und den Bürgerinnen und Bürgern
ständigkeitsbereich. Die Amts-        weiterentwickeln.
zeit beträgt acht Jahre.
                                      Was verbinden Sie mit Tübingen?
Am Ende die Nase vorn
                                      Ich verbinde mit Tübingen eine besondere Offenheit der Ge-
Dr. Harsch ging nicht alleine ins     sellschaft – auch für soziale Themen und das Miteinander in
Rennen. Um das Amt beworben           der Stadt. Als Universitätsstadt ist Tübingen eine sehr junge
hatten sich ebenfalls Iska Dürr       Stadt, in der viele Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft
sowie Isabel Lavandinho. Alle         miteinander leben. Tübingen ist vielfältig, das zeigt sich vor
drei Kandidatinnen standen zwei       allem auch im ehrenamtlichen Engagement und in der Kul-
Tage vor der Wahl bei einer Po-       tur.
diumsdiskussion Rede und Ant-
wort. Zu der für die Öffentlichkeit   Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Stadt?
zugänglichen Diskussion im
Sudhaus hatten das Kulturnetz         Vor allem wünsche ich mir, dass sich Tübingen seine Offen-
Tübingen e.V. und das SOZIAL-         heit erhält. Ich wünsche mir, dass der soziale Zusammenhalt
FORUM TÜBINGEN e.V. einge-            weiterhin einen hohen Stellenwert hat und alle Bürgerinnen
laden. In zwei Themenblöcken          und Bürger ihren Platz in der Gesellschaft haben oder fin-
wurden zuvor gesammelte Fra-          den. Es ist mir wichtig, dass das Engagement in der Gesell-
gen gestellt. Ulrike Pfeil, Kultur-   schaft weiterhin eine hohe Wertschätzung erhält und Men-
redakteurin beim Schwäbischen         schen füreinander eintreten.
Tagblatt, war zuständig für Kul-
tur und Sport. Den Bereich „Bil-
dung und Soziales“ moderierte         Vielen Dank für das Gespräch!
anschließend Jürgen Bein, Mit-
glied im Vorstand des SOZIAL-         Die Fragen stellte Birgit Jaschke.
FORUM TÜBINGEN e.V.              <

                                                                           Handeln & Helfen – Ausgabe 2/2018   3
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Sozialforum aktuell

   Wer kümmert sich um den Datenschutz?
   Service für Sozialvereine organisiert Erfahrungsaustausch
                Von Birgit Jaschke      sich Mitglieder aus Tübinger
   „Ein halbes Jahr DS-GVO –            Sozialvereinen kostenlos zum
   erste Erfahrungen und: Wer           Datenschutzbeauftragten fortbil-
   macht die Arbeit?" Zu diesem         den können. Geplant ist die
   Thema lud der Service für Sozi-      Fortbildung für das Frühjahr
   alvereine des SOZIALFORUM            nächsten Jahres.
   TÜBINGEN e.V. Mitte November         Ansprechpartner beim SOZIAL-
   zu einer ersten Austauschrunde       FORUM TÜBINGEN e.V. ist Ge-
   ein. Die europaweite Daten-          schäftsführer Dietmar Töpfer:
   schutz-Grundverordnung (DS-          Telefon 0 70 71 / 15 15 69, E-Mail
   GVO) ist seit 25. Mai 2018 in        geschaeftsfuehrung@sozialfo-         Datenschutz-Profi Matthias Betz
   Kraft und wirft viele Fragen auf:    rum-tuebingen.de.              <                            Foto: privat
   Wann brauche ich als kleiner
   Verein einen Datenschutzbeauf-
   tragten? Welche Anforderungen          Literaturempfehlungen für Vereine
   müssen erfüllt werden? Wer
   macht die Arbeit? Zum Umgang            • Orientierungshilfe „Datenschutz im Verein nach der DS-
   mit der DS-GVO informierte                GVO“ und Praxisratgeber für Vereine
   Matthias Betz, zertifizierte Fach-        Herausgegeben vom Landesbeauftragten für Datenschutz
   kraft „Datenschutz“ (DEKRA)               und Informationsfreiheit Baden-Württemberg, erhältlich unter
   und Inhaber der Werbeagentur              https://www.baden-wuerttemberg.datenschutz.de/ds-gvo/
   absurd orange. Diese plant ge-
   meinsam mit der StrategicEnter-         • Erste Hilfe zur Datenschutz-Grundverordnung für
   prise AG eine dreitägige Fortbil-         Unternehmen und Vereine – Das Sofortmaßnahmen-Paket
   dung zur Fachkraft für Daten-             Herausgegeben vom Bayerischen Landesamt für
   schutz. Mit dem Angebot sollen            Datenschutzaufsicht, Verlag C.H. Beck, 5,50 Euro

   Wir trauern um Gerhard Bölstler
   Das CeBeeF-Gründungsmitglied verstarb überraschend

                 Von Birgit Jaschke
   Gerhard Bölstler verstarb völlig
   unerwartet am Dienstag, 13. No-
   vember 2018. Der Club für Be-
   hinderte und ihre Freunde in Tü-
   bingen und Umgebung (Ce-
   BeeF) trauert um sein Grün-
   dungsmitglied und Urgestein
   Gerhard Bölstler. Von Beginn an
   hat er den Weg des Vereins
   über 40 Jahre lang mit viel per-
   sönlichem Engagement sowohl
   regionalpolitisch als auch in der
   Beratung von Menschen mit und
   ohne Behinderung begleitet. Zu-
   letzt kümmerte er sich um die
   Organisation und Durchführung
   der beliebten „Heißen Reifen" im
   jährlichen     Sommerferien-Pro-
   gramm der Stadt Tübingen. Wir
   vermissen ihn sehr.           <      Gerhard Bölstler im Botanischen Garten.                    Foto: privat

4 Handeln & Helfen – Ausgabe 2/2018
Abenteuer - Sozialforum-Tübingen
Die Selbsthilfe
                                                                                        Kolumne
Interkulturelle Woche 2018
                                                                                    Der erste Schritt
Die Kontaktstelle für Selbsthilfe war dabei

                                                                                        Von Barbara Herzog
                                                                                Frau Berkan* wirkt er-
                                                                                schöpft, als sie sich in den
                                                                                Sessel setzt. Ihre Tochter
                                                                                Alina*(26) ist auf Drängen
                                                                                der Mutter mit in die Bera-
                                                                                tung gekommen. Sie wirkt
                                                                                gelangweilt.
                                                                                „Früher war alles gut“ be-
Praktikantin Gülsen Yas (links) mit Uta Böning von der Unabhängigen Patien-     ginnt die Mutter. „Inzwischen
tenberatung Tübingen e.V.                                     Foto: Herzog      fühle ich mich ausgenutzt.
                                                                                Alina sitzt nur noch zuhause
              Von Birgit Jaschke       wie diese werden in vielen Kul-          rum, tut nichts und wenn ich
Auch 2018 beteiligte sich die          turen ausschließlich in der Ver-         sie etwas frage, gibt es
Kontaktstelle für Selbsthilfe an       wandtschaft thematisiert. Mit Au-        Streit – alles ist noch schlim-
der Interkulturellen Woche in Tü-      ßenstehenden über sich persön-           mer, seitdem sie diese Diag-
bingen. Bei der Auftakt-Veran-         lich zu sprechen ist oft tabu. Be-       nose hat: „Reaktive Depres-
staltung auf dem Marktplatz            troffene, die schon länger in            sion“. Alina erzählt, dass sie
waren Barbara Herzog und               Deutschland leben, suchen                vor zwei Jahren das Lehr-
Praktikantin Gülsen Yas mit            neue Wege, um mit Problemen              amtsstudium hat aufgeben
einem Informationsstand vertre-        klar zu kommen. Für sie kann             müssen, nachdem wie sie
ten. Mit im Gepäck hatten sie ihr      der Austausch in einer Selbsthil-        sagt „nichts mehr ging – Ich
Projekt „Migration trifft Selbst-      fegruppe hilfreich sein.                 kriegte Panikattacken vor
hilfe“. Die Idee: Durch Koopera-                                                den Lehrproben und De-
tionen und den Kontakt zu mig-         Information, Essen und Tanz              pressionen, wenn ich ei-
rantischen Vereinen und Organi-                                                 gentlich den Unterricht vor-
sationen sollen Menschen mit           An diesem Sonntag kamen viele            bereiten musste.“ Sie wollte
Migrationshintergrund das Kon-         Interessierte unterschiedlichster        sich außerhalb der Familie
zept der Selbsthilfe kennenler-        Altersgruppen und Nationen an            niemandem          anvertrauen,
nen können. In vielen Kulturen         den Stand, um sich über Selbst-          aus Angst „gleich in der Psy-
gibt es Selbsthilfegruppen bis-        hilfegruppen zu informieren. Bei         cho-Schublade zu landen“.
her nicht – auch nicht als Wort.       einer Runde Quizrad konnten              Diese Situation belastete die
Ob Menschen mit chronischen            sie zudem spielerisch etwas              Familie zunehmend. „Ihr
Schmerzen oder Depressionser-          über die Arbeit der Kontaktstelle        versteht mich ja eh nicht“,
krankte in der Familie – Themen        für Selbsthilfe erfahren.     <          beschwert sich Alina. Als ich
                                                                                von der Selbsthilfegruppe
                                                                                erzähle, in der sich junge
                                                                                Menschen mit Depressio-
  Das Projekt „Migration trifft Selbsthilfe“ möchte Begegnun-                   nen treffen, wirkt sie plötz-
  gen zwischen Aktiven aus der Selbsthilfe und aus Migranten-                   lich viel lebhafter. Sie fragt
  Selbst-Organisationen (MSO) ermöglichen. Möchten Sie sich                     nach den nächsten Treffen.
  einbringen? Dann schließen Sie sich der Projektgruppe an. Die                 Auch Frau Berkan wirkt
  Mitglieder tauschen sich regelmäßig aus und planen in geselli-                deutlich entspannt. Wir ver-
  ger Atmosphäre gemeinsame Aktionen. Nähere Informationen                      abschieden uns. Vielleicht
  erhalten Sie von Barbara Herzog, Telefon 0 70 71 / 3 83 63 oder               war dies der erste Schritt
  E-Mail: herzog@sozialforum-tuebingen.de                                       auf einem neuen Weg.          <

* Name von der Redaktion geändert                                             Handeln & Helfen – Ausgabe 2/2018   5
Abenteuer - Sozialforum-Tübingen
Die Selbsthilfe

   Vorträge: „Selbstständigkeit bei AD(H)S“
   Veranstaltung der Regionalgruppe Neckar-Alb im Februar 2019
               Von Birgit Jaschke         Kontakt zur Regionalgruppe Neckar-Alb
   AD(H)S und Selbstständigkeit
   erscheinen häufig als Gegen-                                      Name:     Yvonne Mayer
   sätze. Auch betroffene Erwach-                                    Telefon: 0152 / 23 66 32 03
   sene können Probleme mit der                                      E-Mail:   adhs.neckaralb@gmail.com
   Selbstständigkeit haben. Zu die-
                                                                     Internet: www.adhs-deutschland.de
   sem Themenbereich lädt die
   Regionalgruppe Neckar-Alb in
   Zusammenarbeit mit der Famili-
   enbildungsarbeit (fba) Metzin-        Vorträgen von Dr. med. Karsten      nenalter“. Der Nachmittag findet
   gen am Samstag, 9. Februar            Dietrich. Der Referent vermittelt   im Gemeindehaus Martinskirche
   2019, zu einem Informations-          in den aufeinander abgestimm-       in der Gustav-Werner-Straße 20
   nachmittag ein.                       ten Ausführungen für Eltern be-     in 72555 Metzingen statt. Die
                                         ziehungsweise Erwachsene Ver-       Teilnahme an der Veranstaltung
   Zwei Vorträge zum Thema               ständnis für die Entstehung die-    ist für Interessierte kostenlos. Es
                                         ser Schwierigkeiten. „Was soll      wird um eine Spende für die Ar-
   Seelische Schwierigkeiten, Prob-      aus dem Kind nur werden?“           beit der Selbsthilfegruppe gebe-
   leme in Freundschaften und Be-        heißt es zunächst ab 15 Uhr. Ab     ten. Eine Anmeldung per E-Mail
   ziehungen – Darum geht es             17 Uhr geht es dann um die          ist erforderlich (Kontaktdaten
   unter anderem in den beiden           „Selbstständigkeit im Erwachse-     siehe Kasten).                  <

   Das „Abenteuer Gehör“ erforschen
   Mitmach-Aktion der Tinnitus-Selbsthilfegruppe Tübingen
                  Von Ralf Vosseler        Kontakt zur Tinnitus-Selbsthilfegruppe Tübingen
   Am Sonntag, dem 23.09.2018,
   ging es bunt zu im Bürgertreff          Name: Anton Hellstern
   NaSe. NaSe steht für Nachbar-           Telefon: 0 70 71 / 8 14 37          E-Mail: aue.hellstern@gmx.de
   schaftliche Selbsthilfe und ist für     Internet: https://tinnitus-shg-tuebingen.de/
   die verschiedensten Interessen-
   gruppen, darunter auch die Tin-
   nitus-Selbsthilfegruppe Tübin-
   gen, ein Zuhause geworden.            geht. Allerdings gibt es mehr als   ten. Manche Aufnahmen waren
   Dies spiegelte sich deutlich im       genug Informationsquellen, die      Mono, andere in Stereo, und
   bunten Programm des Jubilä-           sich hinsichtlich der Ohrgeräu-     manche sogar mit Mikrofonen
   umsfestes wider. Bauchtanz,           sche anzapfen lassen. Daher         aufgezeichnet worden, die wäh-
   Rap und andere musikalische           haben wir diesmal das Pferd         rend der Aufnahme im Ohr ge-
   Einlagen sorgten für Unterhal-        von hinten aufgezäumt und           tragen werden. Diese letzteren
   tung, während ein reichliches         unser Augenmerk nicht auf den       lassen sich dann auch nur gut
   Buffet auch den Gaumen nicht          Verlust des Gehörs oder den         mit Kopfhörern anhören, weil sie
   außer Acht ließ. Die Selbsthilfe-     Umgang mit den Ohrgeräu-            so viel Rauminformation enthal-
   gruppe ist wohl der jüngste Zu-       schen, sondern ganz bewusst         ten, dass sie über Lautsprecher
   wachs zu diesem fröhlichen,           darauf gerichtet, was unser         leicht verschwommen klingen.
   aufgeschlossenen Sammelsu-            Gehör alles kann.                   Es ging hier nicht darum, einfa-
   rium an lebensfrohen Men-                                                 che Geräusche zu erraten. Ge-
   schen. Daher wollten natürlich        Was leisten unsere Ohren?           räusche sind natürlich Teil der
   auch wir etwas zum Jubiläums-                                             Aufnahmen und müssen zuerst
   fest beitragen, denn wir fühlen       Dazu war ein Laptop mit Kopf-       identifiziert werden. Viel interes-
   uns sehr wohl in unserem neuen        hörern vorbereitet. Die Teilneh-    santer ist aber, was unser Gehör
   Zuhause.                              mer bekamen verschiedene Auf-       aus den Geräuschen herausle-
   Tinnitus ist ein ernstzunehmen-       nahmen vorgespielt und sollten      sen kann.
   des Phänomen, mit dem jeder           den Eindruck wiedergeben, den       Wie groß ist der Raum, in dem
   Betroffene unterschiedlich um-        ihnen die Aufnahmen vermittel-      das Geräusch erklingt? Wo im

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Abenteuer - Sozialforum-Tübingen
Die Selbsthilfe
Raum erklingt das Geräusch,           teuer Gehör", wie wir unseren                    Wir sind:           Reutlingen
                                                                                                            Kaiserstraße 52
nahe bei der Aufnahmequelle,          Beitrag nannten, gab es selbst-            Meisterservice,         Tel. 07121 47 07 26
                                                                                                     Mo-Fr: 9.30 - 19.00 Uhr
weiter weg, links oder rechts?        verständlich auch die Möglich-       BOSCH eBike expert,
                                                                                                     Sa:    9.30 - 16.00 Uhr

Gibt es im Hintergrund andere         keit, Informationen über Tinnitus               für Sie in:
                                                                                                              Stuttgart
                                                                                                               Strohberg 7-9
Geräusche, verändert sich zum         zu erhalten.                                                       Tel. 0711 64 92 153
                                                                                                    Mo-Fr: 10.00 - 19.00 Uhr
Beispiel der Raum bei einer Auf-      Wir von der Selbsthilfegruppe                                 Sa:    10.00 - 14.00 Uhr

nahme, wo jemand sich durch           Tübingen meinen, unser Kon-                                           Tübingen
                                                                                                                Poststraße 3
ein Gebäude bewegt? Warum             zept ist aufgegangen. Während                                     Tel. 07071 56 87 391
                                                                                                    Mo-Fr: 10.00 - 19.00 Uhr
ist eine Aufnahme in Stereo viel      manche Menschen gleich sehr                                   Sa:      9.30 - 16.00 Uhr

aussagekräftiger als eine Mono-       viel über die Aufnahmen sagen
aufnahme? Diese Fragen woll-          konnten, hat es den anderen
ten wir zusammen mit den Inte-        ebenso viel Spaß bereitet,
ressierten klären und die Be-         schrittweise etwas darüber he-
geisterung für die Fähigkeiten        rauszufinden und beim erneuten
unseres Gehörs dadurch we-            Anhören immer weitere Feinhei-
cken. Neben unserem "Aben-            ten zu entdecken.             <                                         Anzeige

Interkulturell fit sein und Kontakte knüpfen
Das Projekt „Migration trifft Selbsthilfe“ im 2. Halbjahr 2018
             Von Birgit Jaschke
Als „Fähigkeit, mit Individuen
und Gruppen anderer Kulturen
erfolgreich und angemessen zu
interagieren“ beschreibt ein be-
kanntes Internet-Lexikon den
Begriff der interkulturellen Kom-
petenz. Dieses konstruktive Mit-
einander stand im Zentrum der
Weiterbildung „Interkulturell fit“.
Das Angebot der Kontaktstelle
für Selbsthilfe fand Ende Sep-
tember im SOZIALFORUM TÜ-
BINGEN e.V. statt. Als Modera-
torin führte Jana Mokali vom
Diakonischen Werk Württem-
berg durch die ganztägige Ver-
anstaltung.                           Weiterbildungsteilnehmerin Elif Atilgan im Gespräch mit Dietmar Töpfer,
                                      Geschäftsführer des SOZIALFORUM TÜBINGEN e.V.             Foto: Jaschke
Information und Rollenspiele

Gut ein Dutzend haupt- und eh-        Jana Mokali klar, als in der         schichte der Migration in
renamtlich Aktive aus Tübingen        Runde die Erwartungen an die         Deutschland. Weiter ging es
und der Region nahmen an dem          Fortbildung diskutiert wurden.       überwiegend mit Rollenspielen
Training teil. Die Teilnehmenden      „Vielmehr müssen Sie sich die        wie dem „Besuch auf der Insel
hatten viele Fragen im Gepäck,        Lösung wie ein Mosaik Stück für      Albatros“. Diese ermöglichten
zum Beispiel „Wie wecke ich bei       Stück behutsam zusammenset-          einen Perspektivenwechsel und
Menschen mit Migrationshinter-        zen,“ so die Diplom-Pädagogin        eine intensive Auseinanderset-
grund Interesse an meiner             weiter. Sie ist seit 2011 für die    zung mit der eigenen Wahrneh-
Idee?“ oder auch „Wie kann ich        Fachstelle „Interkulturelle Orien-   mung von Verschiedenheit.
vor dem Hintergrund unter-            tierung Region Reutlingen-Ne-
schiedlicher kultureller und reli-    ckar/Alb“ der Diakonie tätig. Die    Training als ein Baustein
giöser Prägungen im Praxisall-        gebürtige Griechin lebt seit 1981
tag angemessen reagieren?“            in Deutschland.                      Die Veranstaltung gehört zum
„Wenn sich Menschen verschie-         Nach anfänglichen „Aufwärm-          Projekt „Migration trifft Selbst-
dener Kulturen begegnen, gibt         übungen“ gab es zunächst             hilfe.“ Das längerfristig ange-
es kein Patentrezept“, stellte        einen Überblick über die Ge-         legte Projekt hat die interkultu-

                                      Fortsetzung nächste Seite >>         Handeln & Helfen – Ausgabe 2/2018                    7
Abenteuer - Sozialforum-Tübingen
Die Selbsthilfe
   relle Öffnung der Selbsthilfe in
   Stadt und Landkreis Tübingen           Sie haben Fragen zum Projekt „Migration trifft Selbsthilfe“?
   im Blick. Gefördert wird das Vor-
   haben unter anderem von der                                       Kontakt: Barbara Herzog
   AOK Baden-Württemberg. Das                                        Telefon: 0 70 71 / 3 83 63
   Haupt- augenmerk liegt auf der                                    Mail: herzog@sozialforum-tuebingen.de
   zweiten und den folgenden Ge-
   nerationen nach der Einwande-
   rung. Unter gesellschaftspoliti-     Selbsthilfe als Möglichkeit der      scher Muttersprache schwer,
   schen Aspekten ist der Fokus         Krankheits- und Problembewälti-      Nuancen in der Sprache zu ver-
   sinnvoll: Wenn Menschen sich         gung kennenlernen können. So         stehen und eigene Befindlichkei-
   in der Gesellschaft nicht aufge-     wurde zum Beispiel eine Post-        ten zu artikulieren. Daher unter-
   nommen fühlen, besteht die Ge-       karten-Serie erstellt und an-        stützt das Projekt die Gründung
   fahr, dass sie sich eher von ex-     schließend in 8 Sprachen über-       muttersprachlicher Gruppen. Ein
   tremen ideologischen Perspekti-      setzt. Jedes der vier Motive ent-    weiteres Anliegen ist es, beste-
   ven angesprochen fühlen oder         hält eine Kernbotschaft. Die         hende Selbsthilfegruppen bei
   wieder auswandern wollen.            Rückseite informiert über das        der Integration von Menschen
                                        Beratungsangebot der Kontakt-        mit Migrationshintergrund zu be-
   Die Idee bekannt machen              stelle für Selbsthilfe (siehe HAN-   gleiten. Im Herbst nutzten Bar-
                                        DELN & HELFEN 1/2018).               bara Herzog und Gülsen Yas
   Rund ein Viertel der Tübinger                                             viele Gelegenheiten, um für ihre
   Bevölkerung hat einen Migrati-       Gruppengründungen fördern            Idee zu werben. So besuchten
   onshintergrund. In Selbsthilfe-                                           sie unter anderem den türki-
   gruppen sind diese Menschen          Nicht-deutsch-sprachige Selbst-      schen Verein, die Week of Links
   jedoch kaum vertreten. Das           hilfegruppen – zum Beispiel zum      und den Gesprächskreis Inte-
   Konzept ist ihnen häufig noch        Thema Depression – gibt es bis-      gration der Stadt Tübingen. Sie
   gänzlich unbekannt. Das Projekt      her vor Ort keine. In deutsch-       haben Fragen zum Projekt oder
   will erreichen, dass Betroffene      sprachigen Gruppen ist es für        möchten sich einbringen? Kon-
   und Angehörige unter ihnen die       viele Betroffene mit nicht-deut-     taktdaten siehe Kasten.       <

                                   Buchtipp: „Geht nicht – gibts nicht“

                 Von Elvira Martin      einem schäbigen Kind kann
   Im Jahr 2010 erschien unter          man nichts mehr machen“, war
   dem Titel „Geht nicht, gibt’s        der Kommentar eines Arztes,
   nicht“ die Autobiographie von        der ihn als hoffnungslosen Fall
   Willi Rudolf, dem amtierenden        einstufte.
   Behindertenbeauftragten    des
   Landkreises Tübingen. Kürzlich       Stets nach vorne schauen
   erschien nun die 2. erweiterte
   und überarbeitete Auflage im         Aber Willi lässt sich nicht unter-
   Verlag Oertel & Spörer.              kriegen, nicht von seiner Körper-
                                        behinderung und den ständigen
   Gegen die Barrieren im Kopf          Schmerzen und auch nicht von
                                        bürokratischen      Hindernissen.
   Zum Buch heißt es auf der Ver-       Willi will erreichen, was die an-
   lagsseite: „Geht nicht – gibt's      deren auch können.
   nicht – Mein steter Kampf als        Der Autodidakt ohne Schulab-
   Schwerstbehinderter gegen Bar-       schluss muss hart dafür kämp-
   rieren im Kopf“: Wie ein roter       fen. Was ihn dabei auszeichnet:
   Faden zieht sich dieses Motto        Er hadert nicht mit seinem
   durch das Leben des Willi Ru-        Schicksal, sondern packt die           Willi Rudolf auf dem Buchcover
   dolf. Geboren in den letzten Mo-     Probleme an und schaut immer                                Foto: Verlag
   naten des Zweiten Weltkriegs,        optimistisch nach vorn. Selbst-             Verlag: Oertel + Spörer
   der Vater war in Russland ver-       mitleid kennt er nicht. Er sucht         ISBN: 978-3-88627-468-0
   misst, hatte der kleine körperlich   nach Lösungen, selbst wenn zu-                    280 Seiten
   schwerstbehinderte Willi keinen      nächst alles unmöglich und aus-                     € 19,95
   leichten Start ins Leben. „An so     weglos erscheint.               <

8 Handeln & Helfen – Ausgabe 2/2018
Die Selbsthilfe

Neue Gesprächsgruppe Schwerhörigkeit
Weitere Interessierte zu den Treffen in Rottenburg willkommen

            Von Birgit Jaschke        Kontakt: Zur Zeit über das SOZIALFORUM TÜBINGEN e.V.
„Die Ohren sind Straße und
Kanal, durch die die Stimme                                   Barbara Herzog
zum Herzen kommt“, schrieb                                    Telefon: 0 70 71 / 3 83 63
einst der französische Dichter
Chrétien de Troyes. Doch was                                  Mail: herzog@sozialforum-tuebingen.de
passiert, wenn der Weg, den er
beschreibt, nur noch einge-
schränkt zugänglich ist?
                                     gungen: Sei es im Beruf, im Pri-    Gleichgesinnten über die Erfah-
Austausch und Information            vatleben oder bei Veranstaltun-     rungen mit dem eigenen Hörge-
                                     gen – jeder Kontakt wird er-        rät zu sprechen. Des Weiteren
Als Schwerhörigkeit wird die         schwert, wenn man nicht alles       gibt es gelegentlich Fachvor-
Einschränkung des Hörvermö-          versteht.                           träge rund um das Thema
gens bezeichnet. Sie kann viel-      Zum Thema „Leben mit Schwer-        Hören. Die Treffen finden ab Ja-
fältige Ursachen haben und um-       hörigkeit“ hat sich in Rottenburg   nuar 2019 jeden dritten Diens-
fasst geringfügige Beeinträchti-     eine neue Gesprächsgruppe ge-       tag im Monat im Seminarraum
gungen genauso wie den fast          bildet. Bei den Treffen tauschen    der Stadtbibliothek in der König-
vollständigen Hörverlust. Für die    sich die Anwesenden unter an-       straße 2, 72108 Rottenburg,
betroffenen Menschen führt ein       derem über Möglichkeiten der        statt. Los gehts ab 16 Uhr. Eine
begrenztes Hören bei nahezu          Therapie und Rehabilitation aus.    vorherige Anmeldung ist er-
allen Aktivitäten zu Beeinträchti-   Zudem bleibt Raum, um mit           wünscht (siehe Kasten).         <

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Soziale Initiativen

     elkiko e.V. bietet Raum für Ideen
     Blick hinter die Kulissen des Tübinger Familienzentrums

                  Von Birgit Jaschke
     „elkiko“ steht für „Eltern-Kinder-
     Kontakte“. Das Familienzentrum                                            elkiko Familienzentrum e. V.
     im Loretto ist ein Ort der Begeg-                                         Lilli-Zapf-Str. 17
     nung für Groß und Klein. „Mit                                             72072 Tübingen
     unserem Namen möchten wir
     auch Väter und Großeltern di-                                             Telefon: 0 70 71 / 95 873 00
     rekt ansprechen“, erklärt Vor-                                            E-Mail: vorstand@elkiko.de
     standsfrau Christiane Zenner-                                             Internet: www.elkiko.de
     Siegmann. Zusammen mit ihrer
     Kollegin Brigitte Greis sprach sie
     mit HANDELN & HELFEN über
     die Entwicklung des Tübinger
     Vereins.
                                          Engagierten. Ob man einen Ku-        derer wird“, ergänzt sie lächelnd.
     Lange Suche nach Standort            chen für ein Fest oder neue          Christiane Zenner-Siegmann fin-
                                          Ideen beisteuert – Eine Beteili-     det zudem: „Das elkiko ist eine
     Die Gründung fand im Juli 2001       gung ist auf viele Arten möglich.    gute Möglichkeit für die Eltern,
     statt. Die Suche nach einem          „Insgesamt sind es viel mehr         ihren Kindern vorzuleben, was
     dauerhaften Standort erforderte      Ehrenamtliche als zu Beginn.         man mit eigenem Engagement
     einen langen Atem. Zunächst          Die Einzelnen können jedoch          alles bewirken kann.“
     mietete man im Februar 2004          meist nur ein kleineres Zeitbud-
     von der Stadt Räume am Ale-          get zur Verfügung stellen als frü-   Kontakt und Information
     xanderpark in der Südstadt. Da       her“, fasst Brigitte Greis die Si-
     das dortige Gebäude jedoch ab-       tuation zusammen.                    Das Programm im elkiko ist so
     gerissen werden sollte, musste                                            vielfältig wie die Menschen, die
     sich der Verein bald nach einer      Prinzip des „offenen Cafés“          sich dort einbringen. Dienstag
     Alternative umsehen. Im Sep-                                              und Donnerstag findet zwischen
     tember 2005 folgte der Umzug         „Ein Familienzentrum ist ein         15.30 Uhr und 17.30 Uhr das
     in die Eugenstraße 37. Aufgrund      guter Ort, um heimisch zu wer-       „offene Café“ statt. In gemütli-
     der großen Nachfrage wurden          den. Hier können auch Zugezo-        cher Atmosphäre gibt es dort
     die Räume dort irgendwann zu         gene schnell neue Kontakte           neben interessanten Begegnun-
     klein und man ging erneut auf        knüpfen“, beschreibt Christiane      gen Brezeln, Brötchen und Ge-
     die Suche. Der Umzug an den          Zenner-Siegmann den Alltag im        tränke zum Selbstkostenpreis.
     jetzigen Standort erfolgte im No-    elkiko. „Wir leben ein Geben         Für Kinder unterschiedlicher Al-
     vember 2007 nach einem gro-          und Nehmen. Man kann sich            tersgruppen sind Spielmöglich-
     ßen Umbau mit vielen ehren-          aktiv einbringen, aber genauso       keiten vorhanden. Auch diens-
     amtlich helfenden Händen.            auch einfach mal nur die Ange-       tags und donnerstags gibt es
                                          bote nutzen.“ Im Zentrum steht       von 9.30 bis 11.30 Uhr den Ba-
     Große Nachfrage                      dabei immer das Konzept des          bybrunch. Hier kommen Eltern
                                          „offenen Cafés“. Das heißt, die      mit Säuglingen bei einem reich-
     „Rund 260 Menschen kommen            Angebote erfordern in der Regel      haltigen Frühstück zum Kennen-
     pro Woche und nutzen die ver-        weder eine vorherige Anmel-          lernen und Austausch zusam-
     schiedenen Angebote“, erläutert      dung noch eine Teilnahmege-          men. Mit am Tisch sitzt immer
     Brigitte Greis. Der Verein zählt     bühr. „Zuerst braucht es die Be-     eine Fachkraft, die Fragen zum
     derzeit rund 80 Mitgliederfami-      gegnung und dann können Aus-         Leben mit Baby beantwortet.
     lien. „Gast sein dürfen hier alle.   tausch und Verständnis helfen“,      Wer darüber hinaus Informati-
     Das erfordert keine Mitglied-        verdeutlicht Brigitte Greis die      onsbedarf hat, sollte sich die
     schaft“, so Greis weiter. Mit        dahintersteckende Idee. „Außer-      Kurzvorträge mit Fragerunde
     ihren Kolleginnen aus dem Vor-       gewöhnlich ist bei uns, dass un-     zum Familienalltag mit Babys,
     stand trifft sie sich zweimal pro    sere Angebote keinen Kurscha-        Klein- und Kindergartenkindern
     Monat, um Aktuelles zu bespre-       rakter haben. Das kann entlas-       vormerken.       Jeden   zweiten
     chen und Zukünftiges zu planen.      tend sein, wenn das Kind auch        Dienstag im Monat werden
     Ihnen zur Seite steht ein Team       mal schlecht gelaunt sein darf,      diese zwischen 16 und 17 Uhr
     von über 40 regelmäßig freiwillig    und dann der Tagesplan ein an-       von Ingrid Löbner, Mitarbeiterin

10 Handeln & Helfen – Ausgabe 2/2018                                               Fortsetzung nächste Seite >>
Soziale Initiativen
                                                                           anderem der „Tü21-Brunch“, bei
                                                                           dem sich Eltern, deren Kinder
                                                                           das Down-Syndrom oder eine
                                                                           andere Behinderung haben,
                                                                           zum Austausch treffen. Brigitte
                                                                           Greis ergänzt: „Anders als bei
                                                                           einem starren Kurssystem kön-
                                                                           nen wir auch kurzfristig neue
                                                                           Angebote entwickeln bezie-
                                                                           hungsweise entstehen lassen,
                                                                           wenn klar ist, es gibt da einen
                                                                           Bedarf.“

                                                                           Verbunden und vernetzt

                                                                           „Wir sind kein einsamer Stern,
                                                                           sondern haben von Anfang an
                                                                           intensive Vernetzung betrieben“,
Eingang zum elkiko Familienzentrum e.V.                Foto: elkiko e.V.   schildert Christiane Zenner-
                                                                           Siegmann. „So können wir auf
                                                                           kurzem Weg an die richtige
der "Schreibaby"-Ambulanz bei         Cafés in ihrer Heimatsprache         Stelle vermitteln. Gute Präven-
pro familia Tübingen, begleitet.      und ermöglichen ihren Kindern        tion macht niemand allein.“ So
Für Eltern mit etwas größeren         einen ganz alltäglichen Sprach-      engagiert man sich unter ande-
Kindern ist der „Brunch1plus“         umgang in der Gruppe. Gleich-        rem im Bündnis für Familie und
gedacht, der mittwochs und frei-      zeitig unterstützen sich die Fa-     pflegt langjährige Kooperationen
tags von 9:30 bis 11:30 Uhr von-      milien im Bewältigen der Über-       beispielsweise mit pro familia.
statten geht. Wer mitbrunchen         gänge zwischen den verschie-         Zudem treffen sich auch andere
will, zahlt für Getränke und          denen Kulturen. Derzeit gibt es      Initiativen wie das offene Eltern-
Essen pauschal 5 Euro pro Er-         neben italienisch und franzö-        forum „Studieren mit Kind“ und
wachsenem und 1 Euro pro mit-         sisch auch ein spanisches, ein       der Verband binationaler Fami-
essendem Kind.Unter dem Dach          englisches, ein brasilianisch-       lien und Partnerschaften (iaf) in
des elkiko findet sich auch die       portugiesisches sowie ein russi-     den Räumen des elkiko.
Kleinkindgruppe      „Lorettostrol-   sches Café. Die aktuellen Ter-
che“. Hier     werden 10 Kinder       mine sind auf der Website abruf-     Positiver Blick nach vorn
von einem Jahr bis zum Kinder-        bar. Grundsätzlich können alle
gartenalter in einem Grundange-       kommen, kommuniziert wird je-        Der Verein lebt neben dem En-
bot am Vormittag qualifiziert be-     doch immer in der jeweiligen         gagement der zahlreichen Eh-
treut und individuell gefördert.      Sprache.                             renamtlichen von Spenden und
Es handelt sich um eine Eltern-                                            öffentlichen Zuschüssen. Im
initiative, welche die Eltern mit     Kurze und flexible Wege              Sommer 2018 bewilligte die
dem Vereinsvorstand führen.                                                Stadt eine 50-Prozent-Stelle. Sie
Das elkiko erfüllt dabei die Ver-     Die genannten Aktivitäten sind       wird innerhalb des Teams auf
waltungs- und Trägeraufgaben.         nur einige Beispiele aus dem         mehrere Köpfe zu unterschiedli-
                                      bunten Leben des Familienzen-        chen Anteilen verteilt.
Anderssprachige Cafés                 trums. „Wir verstehen uns nicht      So sieht sich der Verein gut ge-
                                      als Dienstleister, sondern bieten    rüstet, um auch zukünftige He-
Eltern mit einer anderen Mutter-      Raum für Ideen und fördern           rausforderungen zu meistern.
sprache als Deutsch unterhalten       Selbsthilfe“, so Christiane Zen-     „Das elkiko ist in der Vergangen-
sich bei den internationalen          ner-Siegmann. Dazu zählt unter       heit aus den Ideen gewachsen,
                                                                           die von den Leuten eingebracht
                                                                           wurden“, bringt es Brigitte Greis
   Um die Arbeit in gewohntem Umfang weiterführen zu können,               auf den Punkt. „Für die Zukunft
   ist das elkiko Familienzentrum e.V. auf Spenden angewiesen              wünschen wir uns Menschen,
   und freut sich über Ihre Unterstützung:                                 die in unsere Gummistiefel stei-
                                                                           gen und damit ihre eigenen
   Bank:                  Kreissparkasse Tübingen                          Wege gehen.“ Falls Sie den ein
   Empfänger:             elkiko Familienzentrum                           oder anderen Pflasterstein für
   IBAN:                  DE14 6415 0020 0002 7755 46                      diesen Weg beisteuern möch-
   Swift-BIC:             SOLADES1TUB                                      ten, finden Sie links das Spen-
                                                                           denkonto des Vereins.          <

                                                                           Handeln & Helfen – Ausgabe 2/2018    11
Abenteuer Diagnose

     Spezialgebiet „Seltene Erkrankungen“
     Im Gespräch mit Dr. Holm Graeßner vom ZSE Tübingen

     Welche Ziele verfolgt das
     Zentrum für Seltene Erkran-                                  Von Birgit Jaschke
     kungen (ZSE) Tübingen mit             Laut dem Bundesministerium für Gesund-
     seiner Arbeit?                        heit haben etwa vier Millionen Menschen
                                           in Deutschland eine seltene Erkrankung.
     Es wurde im Januar 2010 als           In der Europäischen Union gilt eine Krank-
     bundesweit erstes Zentrum sei-        heit als solche, wenn sie weniger als 5 von
     ner Art gegründet, mit dem Ziel       10.000 Menschen betrifft. Weltweit geht
     die Lebensqualität für Menschen       man von bis zu 8.000 unterschiedlichen
     mit einer seltenen Erkrankung         solcher meist komplexen Krankheitsbilder
     zu verbessern. Schnelle Dia-          aus. Eine wichtige Anlaufstelle für betrof- Dr. Holm Graeßner
     gnostik, fächerübergreifende Be-      fene Personen ist das Zentrum für Seltene Foto: Universitäts-
     handlung in Spezialzentren und        Erkrankungen (ZSE) in Tübingen.              klinikum Tübingen
     im zunehmenden Umfang auch            HANDELN & HELFEN sprach mit Ge-
     Therapie sind die Kernelemente        schäftsführer Dr. Holm Graeßner über die Spezialeinheit für
     der Patientenversorgung, die wir      „Seltene Erkrankungen“. Die Fragen stellte Birgit Jaschke.
     etabliert haben und mit denen
     wir in Deutschland oftmals auch
     Neuland betreten haben.             sprechenden Experten betreut        agieren aber innerhalb des fach-
                                         werden zu können.                   lichen Spektrums unserer Tübin-
     Wie viele solcher Zentren gibt                                          ger Spezialbereiche.
     es heute bundesweit?                Gibt es mehr weibliche oder
                                         mehr männliche Betroffene?          Sind alle Spezialzentren in Tü-
     Mittlerweile sind es über 30, die                                       bingen ansässig?
     sich zu einem ZSE zusammen-         Männer und Frauen sind gleich-
     geschlossen haben. Alle ZSEs        sam von seltenen Erkrankungen       Bis auf eines sind alle – mittler-
     arbeiten nach einem ähnlichen       betroffen. Da über 80% der sel-     weile vierzehn – Spezialzentren
     Modell wie in Tübingen mit be-      tenen Erkrankungen genetisch        am Universitätsklinikum Tübin-
     stimmten Spezialbereichen mit       bedingt sind, ist der Anteil der    gen ansässig. Das Spezialzen-
     fachlich abgegrenzter Expertise     betroffenen Kinder hoch. Es gibt    trum für Mukoviszidose ist eine
     für bestimmte Erkrankungsgrup-      aber auch spät manifestierende      Kooperation mit dem Klinikum
     pen sowie einer Lotsenstruktur.     Erkrankungen, wie zum Beispiel      Stuttgart. Die notwendige fä-
     Die Lotsen sind deutschlandweit     bestimmte seltene neurologi-        cherübergreifende     Bündelung
     miteinander vernetzt und kön-       sche Bewegungsstörungen, die        des Wissens für bestimmte sel-
     nen insofern den Patienten hel-     erst im Erwachsenenalter ein-       tene Erkrankungen ist in der
     fen, das ZSE mit der passenden      setzen.                             Regel nur an Universitätsklini-
     Expertise zu finden.                                                    ken möglich. Für eine gute Ver-
                                         Kann ich selbst beim ZSE Tü-        sorgung und Forschung ist
     Wie viele Erkrankte wurden          bingen vorstellig werden?           zudem eine Vernetzung mit an-
     seit der Gründung begleitet?                                            deren Universitätskliniken in
                                         Wir können nur auf Überwei-         Deutschland und Europa ein
     Pro Jahr betreut das ZSE Tübin-     sung durch den behandelnden         Muss.
     gen etwa 4.200 Personen. Un-        Arzt aktiv werden. Wenn bereits
     sere Patienten kommen aus           eine klare Diagnose vorliegt,       Welche Hürden pflastern den
     ganz Deutschland, teilweise         können Sie sich direkt an das       Weg bis zur Diagnose einer
     sogar aus dem Ausland. Bei ge-      entsprechende Spezialzentrum        seltenen Erkrankung?
     schätzt 8.000 verschiedenen         wenden. Wenn noch keine vor-
     seltenen Erkrankungen ist es        liegt, empfehlen wir, dass sich     So selten die Erkrankung, so
     nicht verwunderlich, dass es für    Ihr Arzt vorab mit unserer Lotsin   selten ist die entsprechende
     bestimmte seltene Erkrankun-        Dr. Jutta Eymann in Verbindung      ärztliche Expertise. Niedergelas-
     gen nur jeweils wenige Experten     setzt. Noch keine Diagnose zu       sene und Klinikärzte sehen in
     gibt, die angefragt werden könn-    haben bedeutet nicht immer,         ihrem Berufsleben oft keine oder
     ten. Daher nehmen Patienten         dass es sich um eine seltene Er-    nur sehr wenigen Menschen mit
     und Familien oftmals lange          krankung handelt. Wir sind be-      einer bestimmten seltenen Er-
     Wege in Kauf, um von den ent-       müht eine Diagnose zu stellen,      krankung. Daher irren Patienten

12 Handeln & Helfen – Ausgabe 2/2018                                             Fortsetzung nächste Seite >>
Abenteuer Diagnose
im Durchschnitt mehrere Jahre        gen“ (FAKSE) ärztliche Fortbil-   Welche Möglichkeiten gibt es,
von Arzt zu Arzt bis zur richtigen   dungsveranstaltungen, die einen   das ZSE zu unterstützen?
Diagnose. Zur emotionalen Be-        Überblick über bestimmte sel-
lastung hervorgerufen durch die      tene Erkrankungen geben. Nie-     Viele Teile unserer Arbeit sind
Ungewissheit kommt dann oft          dergelassene und Klinikums-       spendenfinanziert und nur mög-
Stigmatisierung und Vorverurtei-     ärzte werden so auf potenzielle   lich, weil wir konkrete Unterstüt-
lung durch die Umwelt hinzu.         Anzeichen für „etwas Seltenes“    zung für ein Projekt gefunden
                                     sensibilisiert. Zudem sind wir    haben. Wer unsere Arbeit unter-
Ist das ZSE Tübingen auch im         durch eine großzügige Spende      stützen möchte, kann sich sehr
Bereich der ärztlichen Weiter-       seit Mitte 2018 mit dem Pro-      gern auf den Seiten unseres
bildung aktiv?                       gramm „EDU-SE“ auch in der        Fördervereins über www.zse-
                                     Lage, eigene Lehrveranstaltun-    tuebingen.de informieren.
Seit 2011 bieten wir in der bun-     gen für Studierende sowie Rota-
desweit einzigen „Fortbildungs-      tionsangebote in der Weiterbil-   Was wünschen Sie sich für
akademie für seltene Erkrankun-      dung anzubieten.                  die Zukunft?

                                                                       Zum Ersten wünschen wir uns,
  Das Zentrum für Seltene Erkrankungen (ZSE) Tübingen ist eine         dass wir einer deutlich größeren
  Einrichtung des Universitätsklinikums Tübingen und der Eber-         Zahl unseren Patientinnen und
  hard-Karls-Universität Tübingen.                                     Patienten Therapien anbieten
                                                                       können, die zu einer verbesser-
  Kontakt zur Ärztelotsin                                              ten Lebensqualität führen. Dies-
               Jutta Eymann                                            bezüglich schöpfen wir beson-
  Telefon:     0 70 71 / 29 - 85 170                                   ders durch die jüngsten Entwick-
  E-Mail:      lotsin@zse-tuebingen.de                                 lungen der genetischen Thera-
                                                                       pieansätze     Hoffnung.     Diese
  Sprechzeiten: Montag, Mittwoch und Donnerstag                        Ansätze werden auch am ZSE
                jeweils 9:30 bis 11:30 Uhr                             erforscht. Zum Zweiten wünschen
                                                                       wir uns, dass wir nach fast 9 Jah-
  Kontakt zum Förderverein                                             ren endlich eine Finanzierung
              Julia Giehl                                              unserer Aktivitäten durch die
  Telefon:    0 70 71 / 29-72278                                       Krankenkassen erhalten.
  E-Mail:     julia.giehl@zse-tuebingen.de
  Internet:   www.zse-tuebingen.de                                     Vielen Dank für das Gespräch!   <

Der lange Weg bis zur Diagnose
Über das Leben mit Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS)

            Von Birgit Jaschke       DELN & HELFEN sprach die          In der Jugend kamen Schilddrü-
„Auch eine schwere Tür hat nur       heute 56-Jährige über ihr Leben   sen-Probleme sowie massive Al-
einen kleinen Schlüssel nötig“,      mit der Erkrankung und ihre       lergie-Symptome hinzu. Meh-
schrieb der Schriftsteller Charles   Suche nach anderen Betroffe-      rere ärztlich durchgeführte Aller-
Dickens. Doch was tun, wenn          nen, mit denen sie sich austau-   gie-Tests brachten statt Klarheit
alle verfügbaren Schlüssel nicht     schen kann.                       nur verschiedene Ergebnisse.
passen? Man macht sich selbst                                          Auch für ihre Schilddrüse erhielt
auf die Suche nach dem richti-       Unterschiedliche    Diagnosen     sie unterschiedliche Diagnosen:
gen Türöffner – so wie Julia Mül-                                      In ihrer Jugend wurde ihr gesagt,
ler*. Nach einem langen Weg,         Schon als Kindheit hat Julia      sie hätte Hashimoto, eine chro-
der von ärztlichen Fehleinschät-     Müller die ersten gesundheitli-   nische Entzündung des Organs.
zungen gesäumt war, erhielt sie      chen Probleme. Bereits damals     Vor drei Jahren erhielt sie von
vor rund 2 Jahren die Diagnose       hat sie unter anderem regelmä-    einem anderen Arzt die Diag-
MCAS. Die Abkürzung steht auf        ßig Bauchschmerzen. Immer         nose Morbus Basedow. Dabei
deutsch für das Mastzellaktivie-     wiederkehrendes      Erbrechen    handelt es sich um eine krank-
rungssyndrom, welches endlich        sorgte dafür, dass sie phasen-    hafte Schilddrüsenüberfunktion.
Antworten auf viele ihrer Be-        weise das Essen und Trinken       Ein weiterer Mediziner äußerte,
schwerden lieferte. Mit HAN-         ganz einstellte.                  dass es eine Kombination aus

* Name von der Redaktion geändert       Fortsetzung nächste Seite >>   Handeln & Helfen – Ausgabe 2/2018    13
Abenteuer Diagnose
     Hashimoto und Morbus Base-
     dow gar nicht gibt. „Unterschied-      Unter https://mastzellaktivierung.info/ finden Sie eine umfang-
     liche Meinungen von verschie-          reiche Informationssammlung zu systemischen Mastzellerkran-
     denen Ärzten zum gleichen              kungen (Mastozytose, Mastzellaktivierungssyndrom MCAS).
     Thema bin ich mittlerweile leider
     sehr gewohnt“, fasst Julia Müller
     ihre bisherigen Erfahrungen zu-      buch zu führen, wodurch eine          nungsambulanz der Uniklinik
     sammen.                              Histamin- sowie eine Fruktose-        Bonn. Dort stellte man fest, dass
                                          Intoleranz ans Licht kamen. Da        sie zuviel Heparin im Blut hatte
     Keine Ursache gefunden               die Beschwerden nicht weniger         und empfahl ihr einen Experten
                                          wurden, forschte sie weiter. Es       im Krankenhaus in Kirchheim.
     Mit Mitte 20 hieß es, sie habe       wurde zudem eine Salicylat-In-        Mittels eines speziellen Frage-
     Neurodermitis. Manche Symp-          toleranz festgestellt. Als sie auf-   bogens stellte dieser die Diag-
     tome wie Rötungen und Schup-         hört histaminreiches Obst und         nose MCAS, welche, stark ver-
     pungen passten, andere wie-          Gemüse zu essen, fing ihr Zu-         einfacht ausgedrückt, ein Zuviel
     derum nicht. Angeordnete Blut-       stand an sich zu verbessern.          an Botenstoffen bedeutet.
     tests brachten keine Ergebnisse.     Die Liste der Nahrungsmittel,
     Auch für die wiederkehrenden         die sie ohne Probleme zu sich         Austausch gewünscht
     Blasen- und Nierenbeckenent-         nehmen kann, ist kurz.
     zündungen fand man keine Ur-         Es war Julia Müller selbst, die im    „Anfangs verspürte ich Euphorie
     sache. In der Folge erklärte man     Internet auf das Mastzellaktivie-     und Erleichterung“, erinnert sich
     Julia Müller regelmäßig als psy-     rungssyndrom (MCAS) stieß.            Julia Müller an den Tag, an dem
     chosomatisch krank. Mehrmals         Mastzellen sind körpereigene          sie die richtige Diagnose bekam.
     musste sich die Altenpflegerin       Abzwehrzellen, die über 200 Bo-       „Viele Ärzte sehen nur einen
     als „Simulantin“ bezeichnen las-     tenstoffe – unter anderem Hista-      kleinen Teil. Zum ersten Mal sah
     sen. Dazu mag beigetragen            min und Heparin – gespeichert         jemand das Gesamtbild.“ Heute
     haben, dass Antibiotika, die sie     haben. Im Immunsystem sind            ist die Altenpflegerin selbst eine
     aufgrund der Beschwerden er-         sie für das Erkennen von Para-        Expertin in Bezug auf ihre Er-
     hielt, oft keinen Erfolg brachten.   siten, Allergenen und Fremdstof-      krankung. Sie kennt einige eng-
     Auch mehrere Operationen hal-        fen verantwortlich. Bei Bedarf        lischsprachige Fachliteratur und
     fen nur bedingt. Dazu zählen         alarmieren sie das umliegende         kann so auf Anhieb reagieren,
     unter anderem eine Erweiterung       Gewebe durch die Freisetzung          wenn sie mit neuen Symptomen
     der Harnröhre wegen chroni-          von Botenstoffen. Bei Menschen        konfrontiert ist. Auf der Suche
     scher Nierenbeckenentzündung         mit MCAS reichen durch die            nach relevanten Informationen
     sowie eine Erweiterung des           Überaktivität der Mastzellen          hat sie ganze Online-Foren
     Muttermundes wegen massiver          kleinste Umweltreize aus, um          durchkämmt.
     Menstruationsbeschwerden.            diesen Alarm auszulösen. Die          Was ihr bisher jedoch fehlt, ist
     In ihren Dreißigern bekam sie        Folge sind        allergieähnliche    der Austausch mit anderen Be-
     am ganzen Körper Schmerzen,          Symptome bis hin zum allergi-         troffenen. Im Gegensatz zu an-
     die sie bis heute hat und die ihr    schen Schock. MCAS ist im-            deren Mastzellerkrankungen wie
     die Diagnose Fibromyalgie be-        munspezifisch nicht nachweis-         der Mastozytose existiert bisher
     scherten. Was jede Behandlung        bar, was die Diagnostik sehr          kein bundesweiter Selbsthilfe-
     erschwert, ist die Tatsache, dass    schwierig macht.                      verband für Menschen mit
     sie Medikamente schlecht ver-        Plötzlich ergaben zwar nicht          MCAS. Für die Gründung einer
     trägt. Nach einer Operation lan-     alle, aber sehr viele ihrer Symp-     Selbsthilfegruppe ist Julia Müller
     dete sie wegen Herzrhythmus-         tome einen Sinn. Ihre Suche           auf der Suche nach weiteren
     störungen auf der Intensivsta-       nach Fachleuten, die sich mit         Gleichgesinnten, mit denen sie
     tion. Auch lokale Betäubungs-        MCAS auskennen, führte Julia          Erfahrungen austauschen kann
     mittel verursachen Probleme.         Müller zunächst in die Gerin-         (Kontakt siehe Kasten).          <
     So wird sie heute teilweise ohne
     jegliche Betäubung behandelt,
     nachdem sie mehrmals in Ohn-
     macht gefallen war.                    Sie haben auch MCAS und möchten andere Betroffene kennen-
                                            lernen zwecks Erfahrungstausch und gegenseitiger Unterstüt-
     Der Krankheit auf der Spur             zung? Dann melden Sie sich bei der Kontaktstelle für Selbsthilfe
                                            für die Gründung einer Selbsthilfegruppe.
     Nach unterschiedlichen Diagno-
     sen, die keine Verbesserung                                      Name: Barbara Herzog
     brachten, fing Julia Müller                                      Telefon: 0 70 71 / 3 83 63
     selbst an zu recherchieren. Sie                                  Mail: herzog@sozialforum-tuebingen.de
     begann, ein Ernährungstage-

14 Handeln & Helfen – Ausgabe 2/2018
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                                                                        Abenteuer Diagnose

  Hätten Sie’s gewusst?
                        Von Birgit Jaschke
  Haben Sie sich beim Blick auf Ihr ärztli-
  ches Attest schon mal gefragt, was es
  mit den dort angegebenen Ziffern auf
  sich hat? Auf der Arbeitsunfähigkeitsbe-
  scheinigung wird die Krankheit mit ICD-
  10-GM-Codes verschlüsselt. ICD steht
  für „Internationale statistische Klassifika-
  tion der Krankheiten und verwandter Ge-
  sundheitsprobleme“.
  Herausgeber des weltweit anerkannten
  Klassifikationssystems für medizinische
  Diagnosen ist die Weltgesundheitsorga-
  nisation WHO. Die aktuell gültige Aus-
  gabe ist die ICD-10. Das „GM“ bedeutet
  „German Modification“. Zuständig für die
  „deutsche Version“ ist das „„Deutsche In-
  stitut für Medizinische Dokumentation
  und Information“ (DIMDI). Auf seiner In-
  ternetseite www.dimdi.de stellt die Be-
  hörde im Ressort des Bundesministeri-
  ums für Gesundheit seriöse Informatio-
  nen aus allen Bereichen des Gesund-
  heitswesens zur Verfügung.                 <

Für psychisch Erkrankte und Angehörige
Die Informations-, Beratungs- und Beschwerdestelle Tübingen
           Von Andreas Stocker
Mit einem kleinen Team hat es          Kontakt
angefangen: Im September 2016          Informations-, Beratungs-, und Beschwerdestelle für Menschen
bot die Informations-, Bera-           mit psychischer Erkrankung und ihre Angehörigen (IBB-Stelle)
tungs- und Beschwerdestelle            Europaplatz 3 (in Räumen des SOZIALFORUM TÜBINGEN e.V.)
(IBB) für Menschen mit psy-            72072 Tübingen
chischer Erkrankung und ihre
Angehörigen mit einem Zweier-          Telefon: 0 70 71 / 407 84 95 / Fax: 0 70 71 / 791 54 39
Team die ersten Beratungen an.         E-Mail: ibb@kreistuebingen.de
Nun gibt es die IBB-Stelle seit
zwei Jahren. Inzwischen arbei-         Offene Sprechstunde:
ten vier Personen in einem „ge-        Jeden 1. und 3. Freitag im Monat von 15.00 bis 17.00 Uhr
mischten“ Team aus Frauen und
Männern, Betroffenen und Profis      Beschwerden im Zusammen-            Die IBB-Stelle arbeitet nieder-
in der Stelle mit.                   hang mit einer Unterbringung,       schwellig, unabhängig und kos-
Die Anlaufstelle in den Räumen       ärztlichen Behandlung oder          tenfrei. In die Stelle integriert ist
des SOZIALFORUM TÜBIN-               einer psychosozialen Betreu-        der Patientenfürsprecher des
GEN e.V. steht Ratsuchenden          ung, aber auch mit Anregungen       Landkreises Tübingen.
bei der Wahrnehmung ihrer Inte-      an uns wenden. Unsere Auf-          Zuständig ist die IBB-Stelle für
ressen zur Seite. Wir geben          gabe ist, sie bei der Wahrung       die Bevölkerung des Landkrei-
Auskunft über Hilfs- und Unter-      ihrer Interessen und Rechte zu      ses Tübingen. Ebenso zustän-
stützungsangebote, die für eine      unterstützen. Bei Bedarf vermit-    dig sind wir, wenn sich Aus-
möglichst wohnortnahe Versor-        teln wir auf Wunsch der/des Be-     künfte, Anregungen und Be-
gung in Betracht kommen.             troffenen zwischen ihr/ihm und      schwerden auf Einrichtungen,
Betroffene und Angehörige kön-       der ambulanten, teilstationären     Dienste und Angebote im Land-
nen sich mit ihren Fragen und        oder stationären Einrichtung.       kreis Tübingen beziehen.         <

                                                                         Handeln & Helfen – Ausgabe 2/2018       15
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