Das Röhricht kehrt zurück

Die Seite wird erstellt Julia Benz
 
WEITER LESEN
Das Röhricht kehrt zurück
Fachbeiträge

Abb. 1: Fraßgeschützte Initialpflanzungen unterstützen die Wiederherstellung der Rohrkolbenröhrichte am Bienener Altrhein – insbesondere der
Röhrichte des Schmalblättrigen Rohrkolbens (Typha angustifolia). Foto: A. Vossmeyer

Achim Vossmeyer, Martin Brühne, Corinna Roers, Jennifer Piechowiak, Konrad Niehues

Das Röhricht kehrt zurück
Erste Ergebnisse aus dem LIFE-Projekt „Reeds for LIFE – Lebendige Röhrichte“
Das Naturschutzzentrum im Kreis Kleve e. V. führt im Rahmen des LIFE-Projektes „Reeds for LIFE –
Lebendige Röhrichte“ seit 2018 verschiedene Maßnahmen zur Förderung und Entwicklung der Röhricht-
bestände am Bienener Altrhein durch. Schwerpunkt ist dabei zum einen die Kontrolle der Nutria,
nachdem der negative Einfluss der invasiven Art auf die Rohrkolben-Röhrichte nachgewiesen wurde. Zum
anderen wurden fraßgeschützte Initialpflanzungen angelegt, um die Röhrichtbestände wiederherzu-
stellen. In diesem Beitrag werden erste Ergebnisse vorgestellt.

Altgewässer sind prägende Elemente der           warum sie meist als Naturschutzgebiete            ler Meer“. Dieses ist zudem wesentlicher
niederrheinischen Auen. Sie bereichern           (NSG) unter Schutz gestellt wurden.               Bestandteil des EU-Vogelschutzgebietes
die vielerorts ausgeräumte Landschaft,                                                             „Unterer Niederrhein“.
bieten vielen bedrohten Pflanzen- und            Der Bienener Altrhein ist eines dieser be-
Tierarten Lebensraum und zeichnen sich           sonderen Altgewässer. Er liegt am Unte-           Das FFH-Gebiet umfasst eine Fläche von
durch eine hohe Artenvielfalt aus. Infolge       ren Niederrhein im Kreis Kleve rechts­            circa 650 Hektar und ist aufgrund sei-
des Gewässerausbaus können am Rhein              rheinisch in den Gemeinden Rees und               ner hohen vegetationskundlichen Vielfalt
heute keine neuen Altgewässer mehr ent-          Emmerich. Zusammen mit seiner südli-              und seines faunistischen Artenreichtums
stehen. Gerade deshalb kommt dem Er-             chen Hochflutrinne „Rosau“ sowie dem              von gesamtstaatlich repräsentativer Be-
halt der Altarme in der Rheinaue mit ihren       im Deichhinterland liegenden Millin-              deutung. Prägender Bestandteil des Ge-
vielfältigen, aufgrund der Wasserstands-         ger und Hurler Meer bildet der Biene-             bietes sind die Gewässer des Bienener
dynamik oft sehr spezifischen und zuneh-         ner Altrhein den Kern des Flora-Fauna-­           Altrheines, der „Rosau“ und des Millinger
mend seltenen Biotopen eine besondere            Habitat-Gebietes (kurz FFH-Gebiet)                und Hurler Meeres mit dem FFH-­Lebens­
Bedeutung zu. Dies ist einer der Gründe,         „NSG Bienener Altrhein, Millinger                 raumtyp 3150 „Natürliche eutrophe Seen
                                                 Meer und Hurler Meer und NSG Empe-                und Altarme einschließlich ihrer Ufer-

22                                                                                                                            Natur in NRW 1/2021
Das Röhricht kehrt zurück
       Fachbeiträge

Abb. 2: Röhricht- und Schwimmblattvegetation am Bienener Altrhein 1995 (links) und 2017 (rechts). Ein Großteil der See- und Teichrosen sowie des
Röhrichts ist verschwunden – insbesondere auch die Inseln des Schmalblättrigen Rohrkolbens im Altrhein. Fotos: Naturschutzzentrum im Kreis Kleve
und A. Vossmeyer

vegetation mit Schwimm- und Wasser-              Röhricht (Phragmitetum australis) so-             Als Ursache für den Rückgang der Rohr-
pflanzenvegetation“. Hierunter versteht          wie das Wasserschwaden- (Glycerietum              kolben-Röhrichte konnte der Fraß durch
man den eigentlichen Wasserkörper mit            ­maximae) und das Schmalblatt-Rohr­               die Nutria (Myocastor coypus) eindeutig
seinen speziellen Pflanzengesellschaften          kolben-Röhricht (Typhetum ­angustifoliae)        nachgewiesen werden (Vossmeyer et al.
sowie den wechselnassen Uferbereich mit           (Woike 1986; Follmann & Kleikamp                 2016). Die Schädigung durch die Nutria
seinen Röhrichten und Seggenriedern.              1991). Bis auf das Schilf-Röhricht hat-          ist deshalb so nachhaltig, weil sie insbe-
                                                  ten jedoch alle übrigen Röhrichtgesell-          sondere die Rhizome und den Vegetati-
Die Vegetationszonierung des ­Altrheines          schaften in den letzten Jahrzehnten einen        onskegel frisst. Dadurch ist ein Neuaus-
war früher gut ausgeprägt. Es fanden              sehr starken Rückgang zu verzeichnen.            trieb der Pflanzen nicht mehr möglich.
sich Wasserpflanzen- und Röhrichtgesell-          So wiesen zwischen 1995 und 2011 die             In der Folge kommt es zusätzlich durch
schaften in beispielhafter Abfolge. Prä-          hochwüchsigen Röhrichte einen Verlust            Wind und Wellenschlag zur Erosion der
gende Wasserpflanzengesellschaften wa-            von 65 Prozent (16 Hektar) auf. Die Rohr-        Feinsedimente und zu einer Absenkung
ren beispielsweise die Seerosengesell-            kolben-Röhrichte waren nahezu vollstän-          der schlammigen Uferzone, in der somit
schaft (­Myriophyllo-Nupharetum) und              dig verschwunden (Abb. 2). Die ehemals           keine natürliche Wiederansiedlung durch
die Seekannen-Gesellschaft (Nymphoide-            ausgeprägten Röhrichtinseln im Altrhein,         Aussaat und Keimung stattfinden kann.
tum ­peltatae). In der Röhrichtzone fanden        bestehend aus Schmalblättrigem Rohrkol-          Da Röhrichte ein wichtiger Lebensraum
sich unter anderem das Teichbinsen-Röh-           ben (Typha angustifolia), sind heute nicht       für eine speziell angepasste Fauna wie In-
richt (Scirpetum lacustris), die Kalmusge-        mehr vorhanden.                                  sekten und Röhrichtvögel sind und auch
sellschaft (Acoretum calami), das Schilf-­                                                         für Fische als Rückzugsort und Laichplatz
                                                                                                   eine große Rolle spielen, wird durch ihren
                                                                                                   Rückgang das Schutzgebiet in seiner öko-
                                                                                                   logischen Funktion massiv negativ verän-
                                                                                                   dert. Dies führt letztlich zu einer Verrin-
                                                                                                   gerung der biologischen Vielfalt und ge-
                                                                                                   fährdet den Wert des Schutzgebietes ins-
                                                                                                   gesamt. Speziell an Röhrichte gebundene
                                                                                                   Tierarten haben in der Umgebung zudem
                                                                                                   so gut wie keine Ausweichmöglichkeiten.

                                                                                                   LIFE-Projekt „Lebendige
                                                                                                   Röhrichte – Reeds for LIFE“

                                                                                                   Um dem Rückgang der Röhrichte ent-
                                                                                                   gegenzuwirken, wurde 2017 im Rah-
                                                                                                   men des LIFE-Programmes der EU ein
                                                                                                   Projekt zum Schutz und zur Förderung
                                                                                                   der Röhrichte am Bienener Altrhein be-
                                                                                                   antragt. Dieses wurde 2018 bewilligt.
                                                                                                   Neben der EU fördern auch das Land
                                                                                                   ­Nordrhein-Westfalen, der Kreis Kleve, der
                                                                                                    Deichverband Bislich-Landesgrenze, die
                                                                                                    Stöckmann-Stiftung und die HIT-­Umwelt-
                                                                                                    Stiftung das Projekt. Die Laufzeit beträgt
                                                                                                    siebeneinhalb Jahre bis Ende 2025. Das
                                                                                                    Projektgebiet umfasst die beiden FFH-­
                                                                                                    Gebiete „NSG Grietherorter Altrhein“ und
                                                                                                    „NSG Bienener Altrhein mit Millinger
Abb. 3: Lage des Projektgebietes am rechten Unteren Niederrhein. Kartengrundlage: Land NRW          und ­Hurler Meer“ (Abb. 3).
(2020), Gewässerstationierungskarte gsk3c, TK25, dl-de/zero-2-0, Bezirksregierung Köln,
Geobasis NRW.

Natur in NRW 1/2021                                                                                                                          23
Das Röhricht kehrt zurück
Fachbeiträge

Projektziel und Maßnahmen

Ziel des LIFE-Projektes ist die F
                                ­ örderung
und Wiederherstellung von hoch­
wüchsigen Röhrichten, insbesondere der
Rohrkolben-Röhrichte als Bestandteil
des FFH-Lebensraumtyps 3150 „Natürli-
che eutrophe Seen und Altarme“ und als
wichtiger Lebensraum für viele s­ eltene
Pflanzen­arten, Röhricht- und Wasser­
vögel sowie weitere an Röhricht gebun-
dene Tierarten. Bis zum Projektende soll
eine Vergrößerung der hochwüchsigen
Röhrichtflächen um zwölf Hektar erreicht
werden.

Hierzu werden vier Maßnahmenkomplexe
umgesetzt:                                     Abb. 4: Nutriafalle in einem natürlich aufgewachsenen Röhricht des Breitblättrigen Rohrkolbens.
                                               Foto: K. Niehues
❱❱ Kontrolle der Nutria: Systematische
     Beseitigung der Nutria im Projektge-      derrhein, speziell am Bienener Altrhein,                                                                                       2. mithilfe eines Frühwarnsystems
     biet, um überhaupt eine Wiederher-        wurde ab den 2000er-Jahren eine deutli-                                                                                                eine Ausbreitung verhindert werden
     stellung insbesondere der Rohr­kolben-    che Zunahme beobachtet.                                                                                                                (Frühwarnung und schnelle Reak-
     Röhrichte zu ermöglichen.                                                                                                                                                        tion / Tilgung) und
                                               Nutrias können pro Jahr bis zu drei Würfe
❱❱ Fraßgeschützte Initialpflanzungen: An-      mit je fünf Jungen haben. Zudem sind                                                                                           3. Managementpläne für etablierte Arten
     lage von rund 1,5 Hektar umzäunter        Nutrias bereits mit fünf bis sechs Mona-                                                                                               erstellt und umgesetzt werden (lokale
     Anpflanzungen mit verschiedenen au-       ten geschlechtsreif, sodass sie in kurzer                                                                                              Kontrolle und Eindämmung).
     tochthonen Röhrichtarten, um hier Ini­    Zeit hohe Populationsdichten aufbauen
     tialen für eine weitere Ausbreitung zu    können.                                                                                                                        Für das Projektgebiet wurde im Rah-
     etablieren.                                                                                                                                                              men der Antragstellung ein solcher Ma-
                                               Die Nutria ist eine gebietsfremde Art, die                                                                                     nagementplan erstellt und wird im lau-
❱❱ Dynamisierung der Wasserstände:             nach der EU-Verordnung 1143/2014 „Prä-                                                                                         fenden LIFE-Projekt bereits erfolgreich
     Steuerung des Wasserstandes des Bie­      vention und Management der Einbringung                                                                                         umgesetzt.
     nener Altrheines im Hinblick auf eine     und Ausbreitung invasiver gebietsfremder
     optimale Röhrichtentwicklung und          Arten“ aufgrund ihrer negativen Auswir-                                                                                        Die Nutria ist in NRW keine jagdbare Art.
     Förderung der natürlichen Keimungs-       kungen als invasiv eingestuft wird. Nach                                                                                       Der Abschuss ist den Jagdausübungsbe-
     bedingungen für Röhrichtsamen bei         dieser dreistufigen Verordnung sollen                                                                                          rechtigten im Rahmen der ordnungsge-
     gleichzeitiger Berücksichtigung des                                                                                                                                      mäßen Jagdausübung jedoch erlaubt und
     Schutzzieles der Fischfauna. Der Was-     1. die Einbringung von invasiven Arten                                                                                         auch amtlich zugelassene Bisam- und Nu-
     serstand des Altrheines lässt sich über                    verhindert werden (Prävention),                                                                               triafänger dürfen die Tiere fangen und tö-
     eine Schleuse steuern.

❱❱ Rodungsmaßnahmen: Rodung von drei
     Hektar Weidengebüsch auf ehemaligen                                    80
     Röhrichtstandorten.
                                                                            70
Im Folgenden werden die Maßnahmen                                           60
                                                Anzahl gefangener Nutrias

„Kontrolle der Nutria“ und „Fraßge-
schützte Initialpflanzungen“ näher erläu-                                   50
tert und erste Entwicklungen aufgezeigt.
                                                                            40
Kontrolle der Nutria                                                        30
                                                                            20
Obwohl seit fast 100 Jahren zunächst nur
vereinzelt frei lebende Nutrias in Deutsch-                                 10
land angetroffen wurden, eta­blierten sie
sich erst zu Beginn der 1960er-Jahre                                        0
                                                                                 Jan 19

                                                                                          Feb 19
                                                                                                   Mär 19
                                                                                                            Apr 19
                                                                                                                     Mai 19
                                                                                                                              Jun 19
                                                                                                                                       Jul 19
                                                                                                                                                Aug 19
                                                                                                                                                         Sep 19
                                                                                                                                                                  Okt 19
                                                                                                                                                                           Nov 19
                                                                                                                                                                                    Dez 19
                                                                                                                                                                                             Jan 20
                                                                                                                                                                                                      Feb 20
                                                                                                                                                                                                               Mär 20
                                                                                                                                                                                                                        Apr 20
                                                                                                                                                                                                                                 Mai 20
                                                                                                                                                                                                                                          Jun 20
                                                                                                                                                                                                                                                   Jul 20
                                                                                                                                                                                                                                                            Aug 20
                                                                                                                                                                                                                                                                     Sep 20
                                                                                                                                                                                                                                                                              Okt 20
                                                                                                                                                                                                                                                                                       Nov 20

an mehreren Stellen. Mit Aufgabe der
Nutriafarmen in Deutschland seit den
1990er-Jahren nahmen die Freilandpopu-
lationen stark zu (Scheide 2013). Am Nie-      Abb. 5: Monatssummen der im Rahmen des LIFE-Projektes gefangenen Nutrias.

24                                                                                                                                                                                                                                                Natur in NRW 1/2021
Das Röhricht kehrt zurück
           Fachbeiträge

                                                                                              PFLANZPLAN / BEREIT-
ART                                                    BEREITSTELLUNG                         STELLUNGSJAHR DES
                                                                                 STÜCKZAHL
                                                       DES ­AUTOCHTHONEN                      PFLANZGUTES                         STÜCKZAHL GESAMT
                                                                                 GESAMT
                                                       AUSGANGS­                                                                  REAL GEPFLANZT
                                                                                 PLANUNG
DEUTSCHER NAME                LATEINISCHER NAME        MATERIALS ALS                          2018    2019    2020        2021

Schmalblättriger Rohrkolben   Typha angustifolia       Samen                     7.000        120     1.900   1.896       3.042   6.958

Breitblättriger Rohrkolben    Typha latifolia          Samen                     1.500                250     456         120     826

Wasserschwaden                Glyceria maxima          Samen                     1.500                528     264         600     1.392

Schilf                        Phragmites australis     Samen                     1.500                552     600         720     1.872

Schlank-Segge                 Carex gracilis           Samen/ggf. Triebe         500                  300     432         240     972

Ufer-Segge                    Carex riparia            Samen/ggf. Triebe         500                                      480     480

Summe                                                                            12.500       120     3.530   3.648       5.202   12.500

Tab. 1: Pflanzplan und bisher gepflanzte Röhrichtarten mit Stückzahlen (orange hinterlegt: bereits gepflanzt; gelb: geplante Pflanzung). Die Stück-
zahlen beziehen sich auf aus Samen oder Trieben vorgezogene Setzlinge mit einem Topfdurchmesser von neun Zentimetern.

ten. Bei Ablieferung des Schwanzes er-               fangener Nutrias lagen im letzten Viertel-        Fraßgeschützte
halten sie dafür eine Prämie. Dieses Sys-            jahr unter zehn Tieren (Abb. 5). Regelmä-         Initialpflanzungen
tem reichte aber bisher nicht aus, um die            ßig werden nur noch aus der Umgebung
stark wachsenden Bestände der Nutria                 einwandernde Tiere am Rand des Gebie-
wirksam zu reduzieren, weil es eher zu ei-           tes gefangen.
ner nachhaltigen Bewirtschaftung führt                                                                 Im Rahmen des LIFE-Projektes ist ge-
als zu einer effektiven Reduzierung der              Zur Effizienzkontrolle des Nutriafangs            plant, auf insgesamt 1,5 Hektar Fläche
Population.                                          werden innerhalb des Schutzgebietes jähr-         Röhricht anzupflanzen und durch Zäune
                                                     lich revierübergreifende Streifjagden von         oder Gittermatten vor Fraß zu schützen.
Im LIFE-Projekt erfolgt die Kontrolle                etwa vier Stunden auf Nutria entlang des          Tabelle 1 gibt einen Überblick über die
und Beseitigung der Nutria mithilfe spe-             Altrheines durchgeführt. Die Streifjagd           bisher gepflanzten Arten und Stückzahlen.
zieller tierschutzgerechter Lebendfallen             dient zudem – wie auch die systematische          Das Artenspektrum konzentriert sich auf
aus blickdichten Kunststoffplatten (Kas-             Auswertung von Fotofallen – dem Moni-             die Arten, die früher am Bienener Altrhein
tenfallen, teilweise auf Flößen montiert,            toring und der Abschätzung der Popula-            die Röhrichtgesellschaften geprägt haben
Abb. 4). Alle Fallen sind mit Fallenmel-             tionsgröße der Nutria. Vor Projektbeginn          und in den letzten Jahren stark zurückge-
dern (MinkPolice) ausgestattet. Dies ge-             lag die Streckenhöhe bei 42 bis 50 Tieren.        gangen sind. Einzige Ausnahme ist hier
währleistet, dass die Fallen zeitnah kon­            Nach zwei Projektjahren liegt sie nun bei         das Schilf, das sich über die Jahre deutlich
trolliert und die Tiere mit einer Kurzwaffe          null.                                             ausgebreitet hat, jedoch fast ausschließ-
schnell und schmerzlos getötet werden                                                                  lich in Form des landwüchsigen Schilfs.
können. Dazu wurde ein Berufsjäger an-               Die getöteten Tiere werden nicht ent-             Dauerhaft im Wasser stehendes Schilf gibt
gestellt. Das Aufstellen der Fallen wurde            sorgt, sondern folgenden Verwertungen             es am Bienener Altrhein kaum. Um dieses
mit den Revierpächtern beziehungsweise               zugeführt:                                        zu etablieren, wurden einige Schilfpflan-
-inhabern abgestimmt. Weil die Tiere mit                                                               zungen im Wasser geplant.
einer Waffe getötet werden, wurde aus                ❱❱ Futter für die Tiere eines benachbarten
jagdrechtlichen Gründen von allen Re-                  Tierparks,
vierpächtern eine unentgeltliche Jagder-                                                               Umzäunungen helfen
laubnis erteilt. Die vertrauensvolle Zu-             ❱❱ Verbleib im Gebiet als Nahrung für
sammenarbeit mit der Jägerschaft vor Ort               Aasfresser (Greife, Raubsäuger, Insek-
ist eine wichtige Grundlage für die erfolg-            ten etc.),                                      Die Anpflanzungen innerhalb der Um-
reiche Umsetzung der Maßnahme.                                                                         zäunungen haben sich überwiegend posi-
                                                     ❱❱ nachhaltige Fellverwertung über das            tiv entwickelt (Tab. 2). Gepflanzt wurde
Derzeit wird mit bis zu 29 Fallen sieben               Projekt „Fellwechsel“,                          in den Jahren 2018 bis 2020 im Spätsom-
Tage pro Woche gefangen. Seit Januar                                                                   mer (August). 2020 wurde zusätzlich auch
2019 wurden bisher insgesamt 525 Nu-                 ❱❱ wissenschaftliche Untersuchungen.              eine Pflanzung mit Schilf im Mai durch-
trias mit einem Gesamtgewicht von 1,9                                                                  geführt, da diese Art als Einzige keine po-
Tonnen (Einzelgewicht 0,16 bis 8,93 kg)              Alternativen zum Töten der Nutria – wie           sitive Entwicklung nach einer Spätsom-
gefangen. Das Durchschnittsgewicht lag               zum Beispiel eine Sterilisation – wurden          merpflanzung zeigte. 99 Prozent der Setz-
bei 3,6 Kilogramm. Da die Tiere pro Tag              intensiv recherchiert und auf ihre Umsetz-        linge überlebten die Wintermonate nicht.
etwa ein Viertel ihres Körpergewichtes an            barkeit geprüft. Sie waren jedoch allesamt        Die Pflanzung im Mai 2020 hat sich dage-
Nahrung zu sich nehmen, entnimmt ein                 nicht praktikabel, hatten keine Aussicht          gen sehr positiv entwickelt, die Pflanzen
Tier dem Gebiet pro Jahr rund 330 Kilo-              auf ausreichenden Erfolg und wären teils          sind vital.
gramm Biomasse.                                      sogar eine größere Belastung für die Tiere
                                                     gewesen.                                          Neben dem Schutz vor Fraß haben die
Mittlerweile ist das Kerngebiet nahezu                                                                 Umzäunungen noch eine weitere wichtige
frei von Nutrias. Die Monatssummen ge-                                                                 Funktion. Sie beruhigen die Strömung

Natur in NRW 1/2021                                                                                                                                  25
Das Röhricht kehrt zurück
Fachbeiträge

DEUTSCHER NAME                LATEINISCHER NAME              GEPFLANZT IM       ENTWICKLUNG       grenzung der verschiedenen, auch klein-
                                                                                                  flächigen Röhrichtgesellschaften ermögli-
Schlank-Segge                 Carex gracilis                 August             positiv
                                                                                                  chen. Die Befliegungen finden jeweils im
Wasserschwaden                Glyceria maxima                August             positiv
                                                                                                  Spätsommer (August / September) statt,
Schilf                        Phragmites australis           August             negativ           wenn das Röhricht am weitesten entwi-
Schilf                        Phragmites australis           Mai                positiv           ckelt ist.
Schmalblättriger Rohrkolben   Typha angustifolia             August             positiv
                                                                                                  Tabelle 3 zeigt die Entwicklung der Röh-
Breitblättriger Rohrkolben    Typha latifolia                August             positiv
                                                                                                  richtbestände des Bienener Altrheines in
Tab. 2: Pflanzzeiten und Entwicklung der bisher gepflanzten Röhrichtarten von 2018 bis 2020.      den Jahren 2018 bis 2020 auf. Die Ge-
                                                                                                  samtentwicklung der hochwüchsigen
und fördern damit die Sedimentation und              der Fraßdruck durch die Nutria auch au-      Röhrichtbestände verläuft bisher sehr po-
Auflandung in diesem Bereich. Durch                  ßerhalb der Umzäunung fast nicht mehr        sitiv – insgesamt ist ein Zuwachs von
den Verlust des Röhrichts aufgrund der               vorhanden ist, können die Ursachen hier-     2,7 Hektar zu verzeichnen, was einer Zu-
Fraßtätigkeit der Nutria ist am Bienener             für im Fraßdruck durch Wasservögel oder      nahme von 27 Prozent entspricht. Beson-
Altrhein auch die Bodenoberfläche vieler-            auch in den hydrologischen Verhältnis-       ders erfreulich ist dabei, dass sich vier
orts zehn bis 20 Zentimeter abgesackt, da            sen zu suchen sein. So führt die Umzäu­      Röhrichtgesellschaften angesiedelt ha-
die Wurzelpakete des Röhrichts nach und              nung durch die Wasserberuhigung zu ei-       ben, die zu Projektbeginn nicht mehr
nach verrottet sind. Das hatte zur Folge,            ner verstärkten Verlandung innerhalb und     vorhanden waren. Während das Röh-
dass auch bei niedrigen Wasserständen                damit auch zu früherem Trockenfallen der     richt des Schmalblättrigen Rohrkolbens
keine Schlammflächen mehr trockenfielen              Flächen. Außerhalb der Umzäunung fal-        den Anpflanzungen geschuldet ist, ha-
und deshalb keine Flächen mehr für eine              len die Schlammflächen später trocken,       ben sich die drei anderen Gesellschaf-
natürliche Röhrichtkeimung vorhanden                 was die Ausbreitung eventuell verzögert.     ten – das Strand­simsen-, Teichbinsen- und
waren. Abbildung 6 zeigt diesen Effekt               Letztlich sind diese Fragen im Moment        Schwanenblumen-­Röhricht – auf natür-
sehr deutlich. Der rote Pfeil markiert eine          aber noch ungeklärt.                         lichem Weg wieder angesiedelt. Ihr Flä-
2020 entfernte Umzäunung – innerhalb                                                              chenanteil ist jedoch noch gering.
des Zaunes erfolgte die Auflandung der
jetzigen Schlammfläche. Außerhalb liegt              Entwicklung der Röhrichte                    Die größten Zuwächse verzeichnen im
die Bodenoberfläche noch einige Zenti-                                                            Moment das Schilfröhricht, das Röh-
meter unter Wasser.                                                                               richt des Breitblättrigen Rohrkolbens so-
                                                     Um den Erfolg des Projektes messen zu        wie das Wasserschwadenröhricht. Auch
Betrachtet man die Entwicklung der Ini-              können, werden jährliche Drohnenbeflie-      diese Zunahmen sind überwiegend auf
tialpflanzungen innerhalb und außerhalb              gungen der Teilgebiete Bienener Altrhein     eine natürliche Ausbreitung zurückzufüh-
der Umzäunungen, so ist aktuell bei al-              und Empeler Meer sowie flächendeckende       ren. Die Anpflanzungen dieser drei Ar-
len Arten festzustellen, dass vor allem              Befliegungen des gesamten Projektgebie-      ten umfassen jeweils nur ein paar Hundert
im fraßgeschützten inneren Bereich eine              tes in den Jahren 2018, 2021 und 2024        Quadratmeter.
Ausbreitung stattfindet, direkt außerhalb            durchgeführt. Dabei werden hochauflö-
angrenzend dagegen kaum (Abb. 7). Da                 sende Orthophotos erstellt, die eine Ab-     Insgesamt zeigt sich, dass vor allem der
                                                                                                  Schmalblättrige Rohrkolben aktuell die
                                                                                                  geringsten Ansiedlungs- und Ausbrei-
                                                                                                  tungstendenzen zeigt. Es macht deshalb
                                                                                                  Sinn, dass gerade diese Art bei den Ini-
                                                                                                  tialpflanzungen den größten Anteil ein-
                                                                                                  nimmt (Tab. 1) und besonders gefördert
                                                                                                  wird. Das Röhricht des Schmalblättri-
                                                                                                  gen Rohrkolbens nahm früher am Biene-
                                                                                                  ner Altrhein mit 2,3 Hektar einen erheb-
                                                                                                  lichen Flächenanteil ein und prägte das
                                                                                                  Landschaftsbild.

                                                                                                  Ausblick

                                                                                                  Die ersten Ergebnisse stimmen zuver-
                                                                                                  sichtlich, dass das Projekt seine Zielset-
                                                                                                  zungen erreichen kann. Die letzten Initi-
                                                                                                  alpflanzungen sind bereits für 2021 vor-
                                                                                                  gesehen und werden damit ein Jahr früher
                                                                                                  als geplant fertiggestellt. Noch schlep-
                                                                                                  pend verläuft die Etablierung des Schmal­
Abb. 6: Luftbild mit Initialpflanzungen im September 2020 – 0: Rohrkolben-Anpflanzungen beider    blättrigen Rohrkolbens. Hierauf wird in
Arten von 2015 bis 2017 – inzwischen flächige Bestände. 1: Anpflanzung mit Schmalblättrigem       den nächsten Jahren besonders zu achten
Rohrkolben 2018. 2: Schilf-Anpflanzung vom Mai 2020. 3: Anpflanzungen mit Schmalblättrigem
Rohrkolben 2020. Roter Pfeil: Zaunverlauf bis August 2020, der die verstärkte Sedimentation und   sein. Zudem gibt es stellenweise ein star-
Auflandung durch die Umzäunung verdeutlicht. Foto: AG Drones                                      kes Aufkommen von Weiden (Salix sp.) –

26                                                                                                                       Natur in NRW 1/2021
Das Röhricht kehrt zurück
        Fachbeiträge

Abb. 7: Mit Gittermatten geschützte Initialpflanzung mit Schmalblättrigem Rohrkolben im September 2018 (links) sowie im Juli 2020 (rechts). Inner-
halb der Umzäunung hat sich der Bestand flächig entwickelt. Außerhalb ist noch keine wesentliche Ausbreitung feststellbar. Fotos: A. Vossmeyer

                                                                                                         Kreis Kleve. Natur und Landschaft, 61. Jg. (1986)
bedingt durch die niedrigen Wasserstände.             web/babel/media/biotop_lrt_katalog_
                                                                                                         Heft 3: 79–84.
Dies kann sich negativ auf die Röhricht­              30mai2014_neu.pdf.
entwicklung auswirken und erhebliche                  Scheide, D. (2012): Ökologie, Verbreitung, Schä-
Pflegemaßnahmen nach sich ziehen. Auch                den und Management von „Myocastor coypus“ in
hier muss man die Entwicklung im Auge                 Deutschland im internationalen Vergleich. Mün-     ZUSAMMENFASSUNG
behalten und rechtzeitig gegensteuern.                chen, GRIN Verlag. Link: https://www.grin.com/
                                                      document/205074, Diplomarbeit an der Univer-
                                                                                                         Zur Wiederherstellung der Röhrichte –
                                                      sität Trier: 123 S.
LITERATUR                                                                                                insbesondere der Rohrkolbenröhrichte –
                                                      Vossmeyer, A., Ahrendt, W., Brühne, M. &           am Bienener Altrhein wird aktuell ein LIFE-­
Follmann, G. & M. Kleikamp (1991): Floren-            M. Büdding (2016): Der Einfluss der Nutria auf
wandel und Vegetationsentwicklung im Bereich                                                             Projekt durchgeführt, dessen Schwer-
                                                      die Entwicklung von Rohrkolben-Röhrichten – Er-
des Bienener Altrheins (Kreis Kleve, Nordrhein-­      gebnisse eines Anpflanzversuches von Rohrkol-
                                                                                                         punkt zum einen die Kontrolle und Be-
Westfalen). Natur und Landschaft, 66. Jg. (1991)      ben in einem Altrhein am Unteren Niederrhein.      seitigung der Nutria ist, zum anderen die
Heft 3: 141–145.                                      Natur in NRW Heft 3/2016: 36–40.                   Anlage von fraßgeschützten Initialpflan-
LANUV (2014): Biotop- und Lebensraumtypen-                                                               zungen verschiedener Röhrichtarten. Ziel
                                                      Woike, M. (1986): Errichtung und Sicherung
katalog Stand 2014. Link: http://methoden.­           schutzwürdiger Teile von Natur und Landschaft      ist es, innerhalb der Projektlaufzeit rund
naturschutzinformationen.nrw.de/­methoden/            mit gesamtstaatlicher repräsentativer Bedeu-       zwölf Hektar Röhricht zu entwickeln. Die
                                                      tung – Beispiel: Alter Rhein bei Bienen-Praest,    bisher umgesetzten Maßnahmen zeigen
                                                                                                         nun erste Erfolge. So konnte der Nutria-­
                                                                                                         Bestand am Altrhein auf sporadische
                                            FLÄCHE [M²]
RÖHRICHTGESELLSCHAFT
                                                                  VERÄNDERUNG VERÄNDERUNG                Einzeltiere reduziert werden, gleichzeitig
                                                                  ABSOLUT [M²] PROZENTUAL [%]
                                            2018        2020                                             setzt inzwischen eine deutliche Röhricht­
                                                                                                         entwicklung ein. Bisher haben sich rund
Schilfröhricht (Phragmitetum australis)     59.517      67.467    7.950             13
                                                                                                         2,7 Hektar Röhricht neu entwickelt, wobei
Wasserschwadenröhricht
                                            27.389      34.203    6.814             25                   die größten Zuwächse das Schilfröhricht,
(Glycerietum maximae)
                                                                                                         das Röhricht des Breitblättrigen Rohr-
Rohrglanzgrasröhricht
                                            8.853       11.179    2.326             26                   kolbens und das Wasserschwadenröh-
(Phalaridetum arundinaceae)
Rohrkolbenröhricht aus Breitblättrigem                                                                   richt zeigen. Es konnten sich zudem vier
                                            4.408       12.291    7.883             179
Rohrkolben ( Typhetum latifoliae)                                                                        Röhrichtgesellschaften etablieren, die am
Kalmusröhricht (Acoretum calami)            1.945       2.102     157               8                    Altrhein zwischenzeitlich verschwunden
Igelkolbenröhricht (Sparganietum erecti)    17          884       867               5.100                waren.
Rohrkolbenröhricht aus Schmalblättrigem
Rohrkolbenröhricht                          0           760       760               /                    AUTOREN
( Typhetum angustifoliae)
                                                                                                         Dipl.-Biol. Achim Vossmeyer
Strandsimsenröhricht
                                            0           482       482               /                    Dipl.-Biol. Martin Brühne
(Bolboschoenetum martimi)
                                                                                                         B. Sc. Landschaftsökologie Corinna Roers
Teichbinsenröhricht (Scirpetum lacustris)   0           191       191               /                    M. Sc. Landschaftsökologie Jennifer Piecho-
Schwanenblumenröhricht                                                                                   wiak
                                            0           168       168               /
(Butometum umbellati)                                                                                    Revieroberjäger Konrad Niehues
Gesamt                                      102.129     129.727   27.598            27                   Naturschutzzentrum im Kreis Kleve e. V.
                                                                                                         Rees-Bienen
Tab. 3: Entwicklung der hochwüchsigen Röhrichte (CF2 des Biotoptypenschlüssels NRW – LANUV               vossmeyer@nz-kleve.de
2014) im Teilgebiet Bienener Altrhein sowie Empeler Meer zwischen 2018 und 2020.

Natur in NRW 1/2021                                                                                                                                    27
Das Röhricht kehrt zurück Das Röhricht kehrt zurück
Sie können auch lesen