Chinas Debatte über Nordkorea - Stiftung Wissenschaft und Politik
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SWP-Zeitschriftenschau Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Chinas Debatte über Nordkorea Aus chinesischen Fachzeitschriften und sozialen Medien der Jahre 2013–2015 Luxin Liu / Nadine Godehardt Der nordkoreanische Machthaber Kim Jong-un hat seine Teilnahme an der chinesischen Gedenkfeier zum 70. Jahrestag des Sieges im Zweiten Weltkrieg im September 2015 ab- gesagt. Da er schon seine Reise zu den Moskauer Festlichkeiten im Mai nicht angetreten hatte, lässt das erste Treffen mit Chinas Präsident Xi Jinping weiter auf sich warten, und das, obwohl dieser schon zwei Jahre im Amt ist. Offenbar haben die chinesisch- nordkoreanischen Beziehungen, die sich seit dem dritten Nukleartest vom 12. Februar 2013 kontinuierlich verschlechterten, einen historischen Tiefpunkt erreicht. Irritiert sind viele chinesische Beobachter zudem von den brutalen innenpolitischen Säube- rungen in Nordkorea. So wurde im Dezember 2013 der langjährige China-Verbindungs- mann Jang Song-thaek binnen drei Tagen seines Amtes enthoben und zum Tode ver- urteilt. Verteidigungsminister Hyon Yong-chol wurde im April 2015 abgesetzt und hingerichtet – ein Schicksal, das auch zahlreiche andere Vertreter der nordkoreani- schen Führungselite ereilte. Diese Ereignisse wurden vom chinesischen Außenministe- rium eher vorsichtig als »innenpolitische Angelegenheiten Nordkoreas« bezeichnet oder oftmals – selbst bei direkter Nachfrage – nicht weiter kommentiert. Chinesische Wissenschaftler hingegen äußern in Fachzeitschriften zurückhaltende Kritik an Chinas Nordkoreapolitik. Der Blick in diese Medien macht deutlich, dass viele Experten eine härtere Linie in der chinesischen Außenpolitik gegenüber Nordkorea befürworten. Die Hinrichtungen, Säuberungen und mentatoren um die Regimestabilität des ständigen Revirements in Nordkoreas Nachbarlandes. Dass Xi Jinping Südkorea Führungselite haben die Aufmerksamkeit im Juli 2014 einen Staatsbesuch abstattete, chinesischer Nordkorea-Experten geweckt. ohne vorher Nordkorea bereist zu haben, In einer Reihe von Fachzeitschriften er- bestätigte viele in der Auffassung, dass sich örtern sie intensiv die Auswirkungen dieser die Beziehungen zwischen China und Nord- Ereignisse auf die bilateralen Beziehungen. korea in einer tiefen Krise befinden. Einige Im Gegensatz zur oft eher zurückhaltenden Beobachter wollen sogar eine Abwendung Reaktion der chinesischen Regierung sind der chinesischen Regierung vom alten die wissenschaftlichen Analysen offensicht- »Bruderstaat« Nordkorea und eine Bevor- lich Ausdruck der Sorge chinesischer Kom- zugung Südkoreas erkannt haben. Dr. Nadine Godehardt ist stellvertretende Leiterin der SWP-Forschungsgruppe Asien SWP-Zeitschriftenschau 2 Luxin Liu war Praktikantin in der SWP-Forschungsgruppe Asien August 2015 1
Angesichts des angespannten Verhält- von Jang Song-thaek, der politisch als stell- nisses zu China sucht die Kim-Jong-un- vertretender Vorsitzender der Nationalen Administration die Beziehungen zu den Verteidigungskommission und als angehei- anderen Nachbarstaaten zu verbessern. Im ratetes Mitglied der Kim-Familie eine Juli 2014 nahm Pjöngjang die Ermittlungen Schlüsselrolle einnahm. Jang habe zudem zu den Entführungen von Japanern durch direkte Beziehungen zu chinesischen nordkoreanische Agenten in den 1970er Staatsunternehmen aufgebaut. Liu Jia sieht und 1980er Jahren wieder auf und beschloss, Jang Song-thaek als Opfer von Kim Jong-uns eine Untersuchungskommission einzuset- Bestrebungen, seine zentrale Position im zen. Daraufhin lockerte die Regierung Abe politischen Regime zu untermauern. teilweise Japans unilaterale Sanktionen Allerdings blieben Jangs Nachfolger gegenüber Nordkorea, etwa die Einreise- nicht lange im Amt. Im April 2014 wurde verbote für Nordkoreaner. Seit März 2013 Choe Ryong-hae als stellvertretender Vor- intensivierte Pjöngjang darüber hinaus sitzender der Nationalen Verteidigungs- den diplomatischen Austausch mit Moskau. kommission eingesetzt, aber schon einen Im März 2014 wurde ein Handelsabkom- Monat später von Hwang Pyong-so abgelöst. men geschlossen, das bis 2020 ein bilate- Diese schnellen Personalwechsel deuten rales Handelsvolumen von einer Milliarde aus Sicht von Liu darauf hin, dass keine US-Dollar anpeilt. Nur zwei Monate später einflussreichen Politiker neben Kim Jong- bewilligte der russische Präsident Putin un geduldet werden, vor allem nicht, wenn einen Schuldenschnitt in Höhe von 10 Mil- diese ähnlich wie Jang Song-thaek aufgrund liarden US-Dollar und erließ Nordkorea politischer Seniorität oder ihrer Familien- damit etwa 90% seiner Verbindlichkeiten. bande Kims Macht bedrohen könnten. Aus Diese außenpolitische Neuausrichtung der Perspektive des Autors gibt es kaum werteten chinesische Wissenschaftler als Anzeichen dafür, dass sich das politische Versuch der nordkoreanischen Regierung, Regime Nordkorea in Zukunft entscheidend das Land aus seiner internationalen Isola- verändern wird. tion und der Abhängigkeit von China zu Bian Jing, Dozentin am Forschungszent- befreien. rum für die Koreanische Halbinsel (Östliche Vor dem Hintergrund dieser Entwick- Liaoning-Universität), ist skeptisch im Hin- lungen wird in chinesischen Fachzeitschrif- blick auf Kim Jong-uns angeblich so starke ten eine Debatte geführt, die sich um die Stellung im politischen System. Laut Bian Regimestabilität Nordkoreas unter Kim seien die Machtstrukturen in Nordkorea Jong-un sowie das bilaterale Verhältnis zwi- »noch sehr unklar«, insbesondere nachdem schen China und Nordkorea dreht. Auch in Kim 2012 eine Reihe verdienter Stützen des den chinesischen sozialen Medien werden Regimes aus ihren Ämtern entfernt habe. diese Aspekte kommentiert. Zudem habe Kim Jong-un vor seiner Amtsübernahme im Dezember 2011 nur 15 Monate Zeit gehabt, um sich auf die Regimestabilität unter Kim Jong-un Rolle des »großartigen Nachfolgers« (so die offizielle nordkoreanische Bezeichnung für Liu Jia, Mitarbeiter am Institut für Moderne Kim Jong-un) vorzubereiten. Der interne Geschichte der Chinesischen Akademie Machtkampf sei äußerst intransparent und für Sozialwissenschaften (CASS), vertritt deute vor allem darauf hin, dass Kim seine die Ansicht, Kim Jong-un versuche, seine Macht noch nicht vollständig stabilisiert Machtposition als »oberster Führer des habe. Es sei daher schwierig einzuschätzen, Landes« massiv auszubauen. Daher könne wie unangefochten seine Position in Partei er keine erfahrenen Politiker neben sich und Armee tatsächlich ist. dulden. Dies begründe auch die zahlrei- Bian geht davon aus, dass Kim Jong-un chen Säuberungen und die Hinrichtung am Nuklearwaffenprogramm festhalten SWP-Zeitschriftenschau 2 August 2015 2
wird. Da er (wie sein Vater) versuche, den Kurs der nordkoreanischen Regierung. innerstaatlichen Zusammenhalt durch Ohne Zweifel halte Kim an den zentralen Aggression nach außen zu stärken, werde Richtlinien seines Vaters fest, nämlich der die militärische Bedrohung durch Nord- Juche-Ideologie, also der offiziellen politi- korea nicht abnehmen. Bian kommt zu schen Staatsideologie Nordkoreas, die zen- dem Schluss, dass politische Veränderun- tral auf die nationale Selbsterhaltung aus- gen in Nordkorea kurzfristig nicht möglich gerichtet ist, und der Military-First-Politik, sein werden. Mittel- und langfristig stehe der zufolge das Militär höchste Priorität Nordkorea angesichts der schwachen im Staat genießt. Dies erleichtere es Kim, Regimestabilität aber vor großen politi- Unterstützung durch die Partei der Arbeit schen Herausforderungen. Koreas und die Koreanische Volksarmee zu In eine ähnliche Richtung argumentie- erhalten. Allerdings werde auch deutlich, ren Guo Rui und Liu Mengyu vom Institut dass unter Kim Jong-un kein Kurswechsel für Internationale Politik der Jilin-Universi- im Hinblick auf das Atomwaffenprogramm tät. Ihrer Ansicht nach ist Regimestabilität oder Wirtschaftsreformen zu erwarten sei. die größte Herausforderung und das Kern- Liu Hong und Chen Sihan vom Institut interesse des jungen Staatsführers. Ob Kim für Internationale Politik der Jilin-Universi- seine Herrschaft langfristig stabilisieren tät bewerten die personellen Veränderun- könne, hänge dabei vor allem von zwei gen in Nordkorea positiv. Sie betrachten Faktoren ab. Erstens sei er auf die Unter- diese nicht als Ausdruck eines politischen stützung durch das Militär angewiesen. Da Machtkampfs, sondern als Vorbedingung Kim Jong-un die meisten Vertrauten seines für die Umsetzung von Wirtschaftsrefor- Vaters im Militär abgesetzt oder entmach- men. Die großen Personalumstellungen tet habe, seien hier vor allem Probleme zu bahnten den Weg für wirtschaftliche Refor- beobachten, die vom System der kommu- men, so Liu und Chen. nistischen Erbmonarchie verursacht wür- Die Absetzung von Ri Yong-ho sei in den. Demnach müsse sich Kim Jong-un erst diesem Zusammenhang ein aussagekräfti- seine eigene treue Gefolgschaft aufbauen ges Beispiel, da Ri repräsentativ für den und versuche daher, sich zügig die absolute konservativen Flügel im nordkoreanischen Kontrolle über das Militär anzueignen. Erst Militär gestanden habe. Er habe zwar die wenn ihm dies gelungen sei, könne er die Military-First-Politik mitgetragen, Wirt- innenpolitische Situation im Land dauer- schaftsreformen jedoch abgelehnt. Liu und haft kontrollieren. Zweitens brauche Kim Chen argumentieren, seine Amtsenthebung die Anerkennung der heimischen politi- habe künftige Reformen in Nordkorea über- schen Elite. Um sich Respekt zu verschaf- haupt erst möglich gemacht. fen, habe Kim eine Reihe überraschender, Als weiteres Indiz für ihre Thesen werten drastischer Maßnahmen ergriffen. Dazu die Autoren auch die erneute Installierung gehörten die Ermordung von Jang Song- Pak Pong-jus als Vorsitzender des Minister- thaek oder die Absetzung vieler hochrangi- rats. Pak gilt als Reformer und unterstützt ger Politiker, beispielsweise des ehemaligen eine nachdrücklichere kapitalistische Aus- Stellvertretenden Marschalls der Koreani- richtung des Landes. Dies trug ihm im Jahr schen Volksarmee, Ri Yong-ho. 2007 harsche Kritik ein und führte zu sei- Dennoch vertreten Guo und Liu die Auf- ner Entlassung, denn Pak war für die auch fassung, Kims Macht über das Militär und im Ausland stark beachteten Preis- und die politischen Eliten reiche noch nicht Unternehmensreformen vom 1. Juli 2002 aus. Die Autoren vermuten, Kim werde sich verantwortlich gewesen. Seine abermalige um noch mehr Unterstützung bemühen Ernennung sei daher ein Zeichen für Kim müssen, sowohl im Militär als auch inner- Jong-uns Entschlossenheit, Wirtschafts- halb der politischen Elite. Dies sei entschei- reformen durchzusetzen, so die Autoren. dend für die Stabilität und den zukünftigen SWP-Zeitschriftenschau 2 August 2015 3
Die Neuausrichtung der chinesisch- Atomraketen (act tough), andererseits suche nordkoreanischen Beziehungen sie danach meist sofort wieder den diplo- matischen Kontakt (talk soft). Allerdings ist Seit dem dritten Atomtest vom 12. Februar diese Strategie nicht sehr erfolgreich, denn 2013 verfolgt die nordkoreanische Regie- kein Staat hat bisher die Politik der Ent- rung einen neuen außenpolitischen Kurs nuklearisierung gegenüber Nordkorea auf- der vorsichtigen Öffnung gegenüber ihren gegeben – auch China nicht. Nachbarstaaten. Im Mai 2013 bereiste Kim Anfang Juli 2014 nahm Präsident Xi an Jong-uns Sonderbeauftragter Choe Ryong- der Jubiläumsfeier zum zwanzigjährigen hae mit einigen hochrangigen nordkorea- Bestehen der südkoreanisch-chinesischen nischen Politikern China und traf sich mit Beziehungen in Seoul teil. Zum ersten Mal Präsident Xi Jinping, um die Durchführung bereiste ein chinesischer Staatspräsident des dritten Atomtests zu begründen und nach seinem Amtsantritt zunächst Süd- um Verständnis für Nordkoreas Position zu korea, ohne vorher in Nordkorea gewesen werben. Einen Monat später schlug Nord- zu sein. Zheng Jiyong, Professor im For- korea dann den USA ein »hochrangiges schungszentrum für die Koreanische Halb- bilaterales Treffen« vor, das diese jedoch insel (Fudan-Universität), ist überzeugt, dass ablehnten. Aus Anlass des fünfundsechzig- Xis Südkoreabesuch großen Einfluss auf die jährigen Bestehens der mongolisch-nord- zukünftige Koreapolitik Chinas und die koreanischen Beziehungen besuchte der Lage in Ostasien haben werde. Diese Visite mongolische Präsident Elbegdordsch Nord- sei ein klares Zeichen für die Neubewer- korea im Oktober 2013. Bei seinem vier- tung der regionalen »Nachbarschaftspoli- tägigen Besuch sah er sich unter anderem tik« unter Xi und unterstreiche Chinas ein Fußballspiel im Kim-Il-sung-Stadion an Bemühungen, neue Wege beim Aufbau und hielt eine Rede an der Kim-Il-sung- einer nordostasiatischen Sicherheitsarchi- Universität. Beide Seiten unterzeichneten tektur zu gehen. Denn unter Xi Jinping eine Reihe von Wirtschaftsabkommen in verweise China nicht mehr beständig auf den Bereichen Landwirtschaft, Informations- das Bündnis mit Nordkorea, sondern kriti- industrie und Tourismus. Des Weiteren siere dessen Politik und gehe aktiv auf Süd- unterbreitete die Regierung in Pjöngjang korea zu. Die Situation in Nordostasien, so im Januar 2014 ihrem südkoreanischen Zheng, sei eskaliert, und deshalb könne Pendant in Seoul umfassende Vorschläge, sich China nicht länger auf seine alte Denk- sämtliche Propaganda und militärische weise verlassen. Schließlich habe diese bis Provokationen einzustellen. heute nichts an der Konfliktsituation ver- Zhang Liangui, Dozent am Institut für ändert. Internationale Strategie der Parteihoch- Zheng rät der chinesischen Regierung, schule, versteht diese neue außenpolitische ihre Politik gegenüber der Koreanischen Ausrichtung als Versuch Nordkoreas, ande- Halbinsel stärker an ihren eigenen Inter- re Staaten dazu zu bringen, den nordkorea- essen sowie der aktuellen Lage in Nord- nischen Nuklearstatus anzuerkennen. Sei- ostasien auszurichten. Seiner Meinung ner Meinung nach ist Nordkorea spätestens nach müssen Nord- und Südkorea in der seit dem dritten Atomtest 2013 de facto ein chinesischen Außenpolitik gleich behan- Nuklearstaat. Wenn nun andere Staaten delt werden. In diesem Zusammenhang außenpolitischen Kontakt mit Nordkorea erklärt Zheng, China verfolge schon heute aufnähmen, akzeptierten sie implizit auch eine pragmatische Außenpolitik. Denn die Nordkoreas Atomwaffen, so Zhang. Er cha- Entwicklungen der bilateralen Beziehun- rakterisiert Nordkoreas Strategie anhand gen zwischen China und Südkorea hätten des chinesischen Sprichworts »Act tough and gezeigt, dass Kooperation trotz unterschied- talk soft« (»ruan ying jian shi«): Einerseits licher politischer Systeme, Werte und Inter- teste die nordkoreanische Regierung essen möglich sei. SWP-Zeitschriftenschau 2 August 2015 4
Chinas künftige Nordkoreapolitik sie gegenüber einzelnen Nachbarstaaten Gesprächsbereitschaft signalisierte. Zhang Guo und Liu vermuten, dass die Stärkung glaubt, dass die internationalen Sanktionen des Außenhandels mit China die wichtigste hier erste Früchte getragen und dabei ge- Bedingung für das Überleben des Regimes holfen haben, die Situation auf der Koreani- in Nordkorea ist. Angesichts der zunehmen- schen Halbinsel zu entschärfen. Allerdings den außenpolitischen und wirtschaftlichen dürfe man die Sanktionen und Gegenmaß- Isolation Nordkoreas (etwa durch weitere nahmen jetzt nicht lockern, sondern müsse Sanktionen) werde sich die Abhängigkeit sie aufrechterhalten, da man sich vom von China kurzfristig weiter erhöhen. Da- momentanen Scheinfrieden nicht täuschen her solle China die sich bietenden Gelegen- lassen solle. Zhangs Argumentation stützt heiten nutzen, um seine Nordkoreapolitik ohne Zweifel die Position, dass die chinesi- zu modifizieren und langfristig institutio- sche Regierung an einer interessengeleite- nell zu erneuern. ten Außenpolitik gegenüber Nordkorea Die Autoren erläutern zwar nicht, wie festhalten sollte. diese Modifikation genau aussehen könnte. Wang Junsheng, Forscher am Asien- Dennoch ist ihren Ausführungen zu ent- Pazifik-Institut der CASS, betont in seinem nehmen, dass Chinas nationales Interesse Aufsatz über Chinas Nordkoreapolitik nach Ausgangspunkt jedweder Nordkoreapolitik dem Kalten Krieg, Entnuklearisierung und sein müsse. Zum einen solle China Nord- Stabilität auf der Koreanischen Halbinsel koreas wirtschaftliche Selbständigkeit seien zwei gleichwertige Ziele der chinesi- fördern, zum anderen aber auch seinen schen Politik. Die friedliche Wiedervereini- wirtschaftlichen wie außenpolitischen gung beider Koreas sei langfristig anzustre- Einfluss auf den Nachbarn vergrößern. ben, was China aktiv unterstütze. Aller- Zhang Liangui dagegen sieht keinen dings habe es noch keins seiner Ziele er- Nutzen in der wirtschaftlichen Hilfe für reicht, da sein Einfluss auf Nordkorea und der Zusammenarbeit mit Nordkorea, beschränkt sei, so Wang. Das liege erstens erst recht nicht für die Lösung der Nuklear- daran, dass Nordkoreas Nuklearpolitik sich frage. Laut Zhang würden bessere Wirt- in erster Linie gegen die USA richte und schaftsbeziehungen das nordkoreanische China hierbei nur eine Nebenrolle spiele. Atomwaffenprogramm sogar indirekt Wang unterstreicht, nur die USA könnten unterstützen. Nur internationale Maßnah- Nordkoreas Sicherheit dauerhaft gewähr- men wie beispielsweise Handelssanktionen leisten. Zweitens besitze die nordkoreani- können laut Zhang langfristig verhindern, sche Führung ihre eigene politische Ideo- dass Nordkorea weitere Kernwaffen ent- logie (Juche) und ihr eigenes Ideal vom wickelt. Sozialismus, welche sich beide deutlich Anhand der Reaktionen auf den dritten vom politischen Kurs in China unterschei- Atomtest illustriert Zhang, wie Gegenmaß- den. Außerdem werde der Aufbau persön- nahmen erfolgreich durchgesetzt werden licher Kontakte zwischen beiden Ländern können. Sowohl chinesische als auch ameri- schwieriger, da die Generation der älteren kanische Politiker sandten damals unmiss- Politiker aus ihren Ämtern gedrängt wor- verständliche Warnungen an Pjöngjang. den sei oder nicht mehr lebe. Drittens Die amerikanische Regierung verstärkte könnten die USA womöglich strategische ihre militärischen Kapazitäten in Südkorea Vorteile aus einem Anschluss Nordkoreas und die beiden Staaten vereinbarten im an Südkorea ziehen, da in Südkorea rund März 2014 einen neuen Militärplan, um 28 000 amerikanische Soldaten stationiert künftig geschlossen auf die Provokationen seien. Aus diesem Grund habe China ein aus Pjöngjang reagieren zu können. Darauf- vitales Interesse an der Stabilität des nord- hin versuchte die nordkoreanische Regie- koreanischen Staates und könne daher rung die Stimmung zu beruhigen, indem nicht zu viel Druck auf Pjöngjang ausüben. SWP-Zeitschriftenschau 2 August 2015 5
Aus all dem zieht Wang den Schluss, Kim Jong-uns. Manche vermuten sogar, dass sich Chinas Regierung in ihrer Nord- China habe Nordkorea bereits im Stich koreapolitik stärker mit den USA abstim- gelassen. Deshalb suche das Regime unter men müsse. Jederzeit drohten dauerhafte Kim auch verstärkt den Kontakt mit Putins Isolation, Wirtschaftskrise und soziale Russland, das durch die Ukraine-Krise inter- Instabilität in Nordkorea, warnt der Autor. national ebenfalls immer mehr isoliert Diese Gefahren wögen schwerer und hätten werde. Wieder andere meinen, China solle direktere Auswirkungen auf China als die sich nicht voreilig von Nordkorea abwen- Entwicklung neuer Atomwaffen. Eine Alli- den. »Wir sollten möglichst umsichtig in anz zwischen China und den USA sei die der gegenwärtigen Situation sein, unsere einzige Lösung für die Probleme in Nord- Kontrolle bewahren und unsere drei Ziele korea. ›Kein Krieg, keine Instabilität und keine Atomwaffen‹ weiter Schritt für Schritt ver- folgen«, betonen Jin Canrong und Zhang Die Diskussion in (sozialen) Medien Lianggui. Andere Blogger verweisen auf Formate, In etlichen sozialen Medien (zum Beispiel die über die Wiederaufnahme der Sechs- Sina Mikroblog, Fenghuang Wang, Gongshi Parteien-Gespräche hinausgehen würden. Wang, Wangyi Xinwen) wird eine weitaus In diesen Gesprächen, die im Zeitraum von leidenschaftlichere Debatte über Chinas 2003 bis 2009 geführt wurden, verhandel- Nordkoreapolitik geführt. Hier wie auch in ten Nordkorea, Südkorea, China, Japan, Interviews mit internationalen Medien Russland und die USA in mehreren Runden äußern sich manche Experten unverblüm- über eine friedliche Lösung für die Korea- ter als in wissenschaftlichen Fachzeitschrif- nische Halbinsel. Fortan könnte auch die ten. Mongolei eine wichtige Rolle spielen, die So herrschte nach Jang Song-thaeks Er- seit 65 Jahren diplomatische Beziehungen mordung große Sorge um die Stabilität des mit Nordkorea unterhält. Im Juni 2014 fand nordkoreanischen Regimes. Einige Blogger der erste Ulan-Bator-Sicherheitsdialog statt. umschrieben Kim Jong-uns Handeln mit Außer den Mitgliedern der Sechs-Parteien- dem chinesischen Sprichwort »Kill the chicken Gespräche nahmen daran noch Deutsch- to scare the monkey« (»sha ji jing hou«). Das land, die Niederlande, Großbritannien und heißt, Kim habe mit Jangs Tötung ein Ex- die Mongolei teil. Themen waren die Sicher- empel statuieren wollen, so dass jeder in heitslage in Nordostasien und Möglich- seinem politischen Umfeld damit rechnen keiten für die künftige Zusammenarbeit müsse, das gleiche Schicksal wie dieser zu in den Bereichen Wirtschaft und Infra- erleiden. struktur. Einige Kommentatoren sind der Andere behaupteten, der staatliche Mord Ansicht, dass dieser Dialog dazu geeignet an Jang habe sich direkt gegen China ge- wäre, die Probleme auf der Koreanischen richtet, da dieser enge Verbindungen zu Halbinsel zielgerichtet zu diskutieren. dem Land gehabt habe und vor Gericht des »Elbegdordsch möchte einen asiatischen »Landesverrats« für schuldig befunden Helsinki-Prozess einleiten«, vermutet Shi worden sei. Der Fall Jang markiere einen Zhiyu. historischen Tiefpunkt in den chinesisch- nordkoreanischen Beziehungen. Xis Staatsbesuch in Südkorea nahmen Fazit einige Beobachter als Bestätigung dafür, dass die bilateralen Beziehungen zu Süd- Unter chinesischen Experten herrscht weit- korea wichtiger seien als die zu Nordkorea. gehend Einigkeit, dass die Situation in Xis Missachtung Nordkoreas sei ein klares Nordkorea seit Kim Jong-uns Amtsantritt Zeichen des Unmutes gegenüber der Politik nur äußerst schwierig zu bewerten ist. SWP-Zeitschriftenschau 2 August 2015 6
Zugleich stimmen die meisten von ihnen Wang Junsheng, »Lengzhanhou zhongguo darin überein, dass die chinesisch-nord- de duichaozhengce – Meiguo de jiedu yu koreanischen-Beziehungen derzeit eine fenqi« (Chinas Nordkoreapolitik nach heikle Phase durchlaufen. Der Großteil der dem Kalten Krieg – unterschiedliche Kommentatoren betont, China betreibe Ansichten über die Position der USA), in: mittlerweile eine realistische Außenpolitik Dongbeiya Luntan, (2013) 4, S. 19–26. und spiele eine konstruktive Rolle in der Zhang Liangui, »Dangqian chaohanguanxi Auseinandersetzung mit dem Regime in santi« (Drei gegenwärtige Probleme Nordkorea. Unterschiedlich fallen jedoch zwischen Nordkorea und Südkorea), in: die Einschätzungen darüber aus, wie stabil Zhongguo Zhoubian, (2014) 16, S. 29–31. das nordkoreanische Regime ist und welche Zhang Liangui, »Cong Zhanzheng jiaoxiao Nordkoreapolitik China ausdrücklich ver- dao hetan gongshi – Jinnian yilai de folgen soll. Während einige Beobachter sich chaoxianbandao jushi« (Von kriegeri- unmissverständlich für eine Neuausrich- scher Aggression bis Verhandlungen – tung der chinesischen Nordkoreapolitik die Lage auf der Koreanischen Halbinsel stark machen und fordern, China möge in diesem Jahr), in: Zhongguo Zhoubian, Süd- und Nordkorea gleich behandeln, ver- (2013) 20, S. 24–26. treten andere die Auffassung, China müsse Zheng Jiyong, »Zhonghan hezuo: xinfanshi, weiterhin Vorsicht gegenüber Nordkorea xintiaozhan, xinfangxiang« (Nordkorea- walten lassen. In diesem Zusammenhang China-Kooperation: neue Paradigmen, wird darauf hingewiesen, dass Chinas neue Herausforderung, neue Richtung), tatsächlicher Einfluss auf Nordkorea sich in: Dangdai Shijie, (2014) 8, S. 34–36. auch künftig in engen Grenzen halten werde, da externe Faktoren wie die Rolle der USA und die amerikanisch-südkoreani- Quellen der Diskussion in schen Beziehungen hier nicht zu unter- chinesischen (sozialen) Medien schätzen seien. An Yongxuan, »Beihan chujue Zhang Chengze, Zhongchao guanxi ruhe Besprochene Aufsätze fazhan« (Nordkorea ermordet Jang Song- thaek – wie werden sich die China-Nord- Liu Jia, »Chaoxian de ›Erhao Renwu‹ doushi korea-Beziehungen weiter entwickeln?), fuyun« (Nordkoreas »Nummer Zwei« sind Interview in: Chaoxian Ribao Wang, 16.12. wie vorbeiziehende Wolken), in: Huanqiu 2013, ˂https://cnnews.chosun.com/client/ Shiye, (2014) 2, S. 68–69. news/viw.asp?cate=C01&mcate=M1003 Bian Jing, »Gouzhu chaoxian bandao heping &nNewsNumb=20141219687&nidx=19 de zhonghan hezuo xinfangxiang« (Die 688˃ (eingesehen am 25.7.2015). konstruktive neue Richtung der China- Jin Canrong, »Chaoxian bandao weiju« (Die Südkorea-Zusammenarbeit für den Krise auf der Koreanischen Halbinsel), Frieden auf der koreanischen Halbinsel), in: Gongshi Wang, 23.4.2013, ˂www.21c in: Zhanlüe Juece Yanjiu, (2014) 5, S. 48–57. com.net/plus/wapview.php?aid=81951˃ Guo Rui, Liu Mengyu, »Chaoxian neiwai (eingesehen am 10.8.2015). zhengce de tiaozheng jiqi zouxiang« Zhang Han, Lin Lin, »Zhongmei shenru (Nordkoreas innen- und außenpolitische taolun hou Zhang Chengze shidai« (USA Modifikationen und deren Richtungen), und China diskutieren über die Ära nach in: Dongbeiya Xuekan, (2014) 3, S. 21–26. Jang Song-thaek), Interview in: Qiaobao Liu Hong, Chen Sihan, »Chaoxian xinyilun wang, 28.1.2014, ˂http://news.uschina gaige pingxi« (Bewertung der neuen press.com/2014/0128/967726.shtml˃ Wirtschaftsreformen Nordkoreas), in: (eingesehen am 28.7.2015). Dongbeiya Xuekan, (2014) 7, S. 24–30. SWP-Zeitschriftenschau 2 August 2015 7
Yu Yingli, »Chaoxian gaige huo yin Zhang Yanyu, »E chao jiejin, huxiang qunuan?« Chengze bei jiezhi xianru dichao« (Jang (Nähern sich Nordkorea und Russland Song-thaeks Beseitigung markiert Tief- einander an?), in: Renmin Ribao Haiwaiban, punkt in Nordkoreas Reformbemühun- 23.12.2014, ˂http://paper.people.com.cn/ gen), Interview in: Weitianxia, Sina Xinwen, rmr bhwb/html/2014-12/23/content_1513 9.12.2013, ˂http://news.sina.com.cn/ 321.htm˃ (eingesehen am 11.7.2015). w/sd/2013-12-09/171828926397.shtml˃ Yuan yuan, »Jin Zhengen waijiao shouxiu (eingesehen am 25.7.2015). geishui« (Wo findet Kim Jong-uns erster Wang Jing, »Zhang Chengze shijian dui diplomatischer Auftritt statt?), in: Renmin zhongchao guanxi de yingxiang« (Der Wang Guoji Jinrong Bao, 9.2.2015, ˂http:// Einfluss von Jang Song-thaeks Ermordung paper.people.com.cn/gjjrb/html/ 2015-02/ auf die Beziehungen zwischen China 09/content_1531577.htm˃ (eingesehen und Nordkorea), in: Gongshiwang, 21.12. am 11.7.2015). 2013, ˂www.21ccom.net/articles/qqsw/ Zhang Liangui, »Jingti Chaoxian zai © Stiftung Wissenschaft und zlwj/article_2013122197386.html˃ (ein- zhongguo yu eluosi zhijian zuoyoufen- Politik, 2015 gesehen am 26.7.2015). gyuan« (Achtung, Nordkorea pendelt Alle Rechte vorbehalten Liu Jian, »Jin Zhengen shaji gei hou kan« zwischen Russland und China hin und SWP (Kim Jong-un kills the chicken to scare her), in: Gongshi Wang, 21.11.2014, Stiftung Wissenschaft und the monkey [Sprichwort]), in: Wangyi ˂www.21ccom.net/articles/world/zlwj/ Politik Deutsches Institut für Xinwen, 12.12.2013, ˂http://news.163.com 20141121116447_all.html˃ (eingesehen Internationale Politik und /13/1231/09/9HDP F7JD00014Q4P.html˃ am13.7.2015). Sicherheit (eingesehen am 26.7.2015). Qin Xuan, »Chaoxian waijiao jinru xiaolian Ludwigkirchplatz 34 Yang yang, »Xi Jinping fanghan you moshi« (Nordkoreas Diplomatie tritt in 10719 Berlin Telefon +49 30 880 07-0 zhendui chaoxian yiwei« (Xi besucht eine Phase des »lächelnden Gesichts« ein), Fax +49 30 880 07-100 Südkorea mit Unmut gegenüber Nord- in: Nanfang Zhoumo, 22.11.2013, ˂www.in www.swp-berlin.org swp@swp-berlin.org korea), Interview in: Dagong wang, 7.7. fzm.com/content/96089˃ (eingesehen am 2014, ˂http://zy.takungpao.com/2014/ 28.7.2015). ISSN 1611-6380 0707/140329.html˃ (eingesehen am Shi Zhiyu, »Menggu kedang yazhou Hel- 26.7.2015). sinki?« (Kann die Mongolei ein asiatisches Sun Xingjie, »Diandao de dongbeiya« Helsinki werden?), in: Gongshi Wang, 26.4. (Auf den Kopf gestelltes Nordostasien), 2013, ˂www.21ccom.net/articles/qqsw/ in: FT China, 4.7.2014, ˂http://m.ftchi zlwj/article_2013042682209.html˃ (ein- nese.com/story/001057088˃ (eingesehen gesehen am 28.7.2015). am 28.7.2015). Sun Xingjie, »Chaoxian yi daguo ziju, jujian Wang Junsheng, »Xi Jinping fanghan juyou menggu zongtong« (Nordkorea bezeich- lichengbei yiyi« (Xis Besuch in Südkorea net sich als Großmacht und Kim hat sich ist ein Meilenstein), in: Zhongguo Wang, nicht mit mongolischem Präsidenten 3.7.2014, ˂http://news.china.com.cn/wo getroffen), in: Souhu Wang, 5.11.2013, rld/2014-07/03/content_32841278.htm˃ ˂http://star.news.sohu.com/20131105/ (eingesehen am 10.7.2015). n389580916.shtml˃ (eingesehen am Deng Yuwen, »Zhonghan weihe bochao er 13.7.2015). houri« (Warum bevorzugen China und Südkorea Japan und vernachlässigen Nordkorea?), in: FT China, 7.7.2014, ˂http://m.ftchinese.com/story/001057108˃ (eingesehen am 10.8.2015). SWP-Zeitschriftenschau 2 August 2015 8
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