Facetten des Nordkorea-Konflikts - SWP-Studie Hanns Günther Hilpert / Oliver Meier (Hg.) - Stiftung Wissenschaft und Politik
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SWP-Studie Hanns Günther Hilpert / Oliver Meier (Hg.) Facetten des Nordkorea-Konflikts Akteure, Problemlagen und Europas Interessen Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit SWP-Studie 18 September 2018
Kurzfassung Auch nach dem Gipfeltreffen von US-Präsident Donald Trump und Nord- koreas Staatschef Kim Jong Un am 12. Juni 2018 in Singapur zählt die Krise um Nordkoreas Atom- und Massenvernichtungswaffenprogramm zu den gefährlichsten und komplexesten der Welt. Im Zentrum des Konflikts steht das ungeklärte, angespannte Verhältnis zwischen Nordkorea und den USA, fokussiert auf das Thema Atomwaffenbesitz. Darum gruppieren sich weitere Konfliktlagen, die durch gegenläufige Interessen Chinas, Japans, Nordkoreas, Russlands, Südkoreas und der USA gekennzeichnet sind. Zudem gibt es etwa zwischen Konfliktlagen in der Sicherheits-, Menschenrechts- und Wirt- schaftspolitik vielfältige Wechselwirkungen. Für Deutschland und Europa ist eine friedliche Lösung des Konflikts – oder zumindest die Vermeidung einer militärischen Eskalation – von zen- traler Bedeutung. Europa kann und sollte darauf hinwirken, dass Nordkorea als Herausforderung für die globalen Ordnungsstrukturen behandelt wird. Eine Bearbeitung der unter den Begriff »Nordkorea-Konflikt« subsumierten Problemlagen, die darauf zielt, einen Krieg zu vermeiden, die globalen Ord- nungsstrukturen zu festigen und die Situation der Menschen in Nordkorea zu verbessern, erfordert einen langen Atem und wird nur schrittweise Erfolge zeitigen.
SWP-Studie Hanns Günther Hilpert / Oliver Meier (Hg.) Facetten des Nordkorea-Konflikts Akteure, Problemlagen und Europas Interessen Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit SWP-Studie 18 September 2018
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Inhalt 5 Problemstellung und Schlussfolgerungen 46 Nichtverbreitung: Einhegung eines Regelbrechers 7 Interessen, Interdependenzen und ein Oliver Meier gordischer Knoten Hanns Günther Hilpert / Oliver Meier 52 Menschenrechtspolitik: Kein Trade-off erforderlich 12 Nordkorea: Hanns Günther Hilpert / Frédéric Krumbein Zwischen Abwehrpolitik und Einflussstreben Eric J. Ballbach 57 Diplomatie: Immer wieder neu auf »Los«! 19 Südkorea: Volker Stanzel Zwischen allen Stühlen oder an allen Tischen? Hanns Günther Hilpert / Elisabeth Suh 63 Sanktionen: Entwicklung, Bedeutung, Ergebnisse 25 USA: Hanns W. Maull Zwischen den Extremen Marco Overhaus 69 Militärische Optionen: Risikoreich und (zu) wenig erfolgversprechend 30 China: Michael Paul Zwischen Schlüsselrolle und Marginalisierung Anny Boc / Gudrun Wacker 75 Cyberspace: Asymmetrische Kriegführung und digitale Raubzüge 35 Russland: Matthias Schulze Ein möglicher Vermittler? Margarete Klein 80 Mikado statt gordischer Knoten: Der Nordkorea-Konflikt und die Rolle Europas 41 Japan: Hanns Günther Hilpert / Oliver Meier Im Abseits Hanns Günther Hilpert / Elli Pohlkamp 92 Anhang 92 Abkürzungen 93 Die Autorinnen und Autoren Verzeichnis der Karten und Grafiken 4 Karte 1 Nord- und Südkorea im regionalen Umfeld 11 Grafik 1 Die Entwicklung des Konflikts um das nordkoreanische Nuklearprogramm 49 Grafik 2 Nordkoreanische Atomtests, Oktober 2006 bis September 2017 72 Grafik 3 Nordkoreas ballistische Raketen 83 Grafik 4 Nordkoreanische Raketentests 1984–2017 Online-Dossier zur SWP-Studie http://bit.ly/SWP18TDNK_Einleitung
Problemstellung und Schlussfolgerungen Facetten des Nordkorea-Konflikts. Akteure, Problemlagen und Europas Interessen Die Krise um Nordkoreas Atom- und Massenvernich- tungswaffenprogramm zählt auch nach dem Gipfel- treffen von US-Präsident Donald Trump und Nord- koreas Staatschef Kim Jong Un am 12. Juni 2018 in Singapur zu den gefährlichsten und komplexesten der Welt. Die Risiken einer militärischen Eskalation sind immens, angesichts der Involvierung von vier Atommächten ist der Einsatz von Kernwaffen nicht auszuschließen. Aber selbst unterhalb der Schwelle zur offenen Gewaltanwendung bleibt der Konflikt brisant. Nordkorea fordert die internationale Gemein- schaft offen und direkt heraus, indem es Beschlüsse des UN-Sicherheitsrats sowie andere globale Normen und Regeln ignoriert. Die Weiterverbreitung von Waffen und Waffentechnologie droht Instabilitäten in anderen Weltregionen zu verschärfen. Die Glaub- würdigkeit des nuklearen Nonproliferationsregimes steht infrage. Asymmetrische Strategien wie nord- koreanische Cyber-Angriffe und -Raubzüge stellen die Staatengemeinschaft vor neue Herausforderungen. Die Trump-Administration strebt eine nachhaltige Konfliktlösung auf der Grundlage einer Einigung auf höchster politischer Ebene zwischen Pyongyang und Washington an. Ein solcher Dialog ist eine wichtige, aber keine ausreichende Voraussetzung für eine nachhaltige Bearbeitung des Konflikts. Denn im Nord- korea-Konflikt verbinden sich verschiedene Problem- konstellationen zu einer unübersichtlichen Gemenge- lage. Diese zu entwirren erfordert ein schrittweises Vorgehen, bei dem die divergierenden Interessen der beteiligten Akteure und deren historische Sensitivi- täten zu berücksichtigen sind. Zwar steht im Zentrum des Konflikts die ungelöste Frage des Verhältnisses zwischen Nordkorea und den USA, fokussiert auf das Thema Atomwaffenbesitz. Pyongyang sieht seine eigene Sicherheit dadurch gewährleistet, dass es die Vereinigten Staaten nuklear abschrecken kann. Washington ist hingegen nicht bereit, eine gegenseitige Verwundbarkeit zu akzeptie- ren, und droht mit militärischer Eskalation. Um diesen Gegensatz gruppieren sich jedoch an- dere Konfliktlagen, die durch gegenläufige Interessen Chinas, Japans, Nordkoreas, Russlands, Südkoreas SWP Berlin Facetten des Nordkorea-Konflikts September 2018 5
Problemstellung und Schlussfolgerungen und der USA gekennzeichnet sind. Die Anrainer- würde ein militärischer Konflikt auch erhebliche staaten verfolgen den Konflikt zwischen Pyongyang sicherheitspolitische Verwerfungen mit sich bringen. und Washington nicht nur wegen der unmittelbaren Ostasien könnte dauerhaft zum Krisengebiet werden. Auswirkungen eines möglichen Kriegs, sondern auch Europas Allianzbeziehungen zu den USA wären tan- im Hinblick auf ihre eigenen außen- und sicherheits- giert, etwa wenn der Nato-Verteidigungsfall aktiviert politischen Interessen mit Sorge. Chinas Großmacht- wird. ambitionen werden durch ein nuklearisiertes Nord- Europa und Deutschland sind in Ostasien keine korea herausgefordert und würden durch eine mili- Akteure, die unmittelbar auf das Konfliktgeschehen tärische Eskalation mit anschließender Wieder- einwirken könnten. Europa hat aber Möglichkeiten, vereinigung unter südkoreanisch-amerikanischen indirekt auf die am Konflikt beteiligten Mächte Vorzeichen einen Rückschlag erleiden. Südkorea, das Einfluss zu nehmen. Es kann europäische Erfahrun- besonders exponiert ist und innerkoreanisch Aus- gen mit der Bewältigung von Konflikten einbringen, söhnung und Entspannung anstrebt, versucht einen es kann durch politische, ökonomische und huma- Dialog zwischen den USA und Nordkorea zu fördern, nitäre Angebote positive Anreize geben. Es sollte ohne gleichzeitig die Beziehungen zu anderen Par- die USA vor militärischen Antworten warnen und teien zu beschädigen. Russland ist zwar direkt in gegenüber China die Umsetzung der im UN-Sicher- Ostasien präsent, sieht seine Politik im Nordkorea- heitsrat vereinbarten Sanktionen anmahnen. Konflikt aber eher als abhängige Variable seiner Europa vermag seinen wirtschaftlichen und politi- Beziehungen zu den USA. Eine Vermittlerrolle strebt schen Einfluss geltend zu machen, um Drittstaaten Moskau wohl nur unter bestimmten Umständen an. zu einer strikten Umsetzung von Sanktionsbeschlüs- Die totalitäre Herrschaftsform Nordkoreas, die sen zu drängen. Europa kann und sollte darauf hin- katastrophale Menschenrechtslage in dem Land und wirken, dass Nordkorea als Herausforderung für die die mangelnde Transparenz sind weitere Hindernisse globalen Ordnungsstrukturen behandelt wird. Teil- für eine friedensfördernde Einbindung Nordkoreas in und Zwischenlösungen mit Pyongyang mögen not- internationale Zusammenhänge. wendig sein, um den Konflikt zu entschärfen. Dabei Auch historische Hypotheken erschweren eine muss aber vermieden werden, dass solche Lösungen Konfliktlösung. Altlasten aus Kolonialzeit, Korea- die in multilateralen Regimen vereinbarten Normen Krieg und Kaltem Krieg bestimmen noch heute die und Regeln beschädigen. Eine faktische Anerkennung Wahrnehmungen und beschränken die Handlungs- der Tatsache, dass Nordkorea über Atomwaffen ver- möglichkeiten wichtiger Akteure. So bringen bei- fügt, kann beispielsweise eine unvermeidliche Vor- spielsweise Japans historisch belastete Rolle in Korea, aussetzung für die Einigung auf einen Abrüstungs- die nicht abschließend geklärte Frage der von Nord- prozess sein. Eine formelle Aufwertung Nordkoreas korea verschleppten japanischen Staatsbürger und zum Atomwaffenstaat würde aber das Nichtverbrei- die sicherheitspolitische Abhängigkeit von den USA tungsregime dauerhaft in Mitleidenschaft ziehen. Tokio in eine prekäre Position. Auch in der Menschenrechtspolitik ist Europa gefor- Zudem gibt es zwischen den verschiedenen Kon- dert, den Druck auf Nordkorea sichtbar und nach- fliktlagen vielfältige Interferenzen. Solche Wechsel- haltig aufrechtzuerhalten, diesen Komplex aber zu- wirkungen, etwa zwischen Sicherheits-, Menschen- gleich von den sicherheitspolitischen Fragen strikt rechts- und Wirtschaftspolitik, können beabsichtigt zu trennen. sein (etwa wenn Sanktionserleichterungen als An- Es spricht viel dafür, dass eine Bearbeitung der reize für Abrüstungsbemühungen in Aussicht gestellt unter dem Begriff »Nordkorea-Konflikt« subsumierten werden) oder unbeabsichtigt (etwa wenn Sicherheits- Problemlagen, die darauf zielt, einen Krieg zu ver- garantien gegenüber Nordkorea zu einer Schwächung meiden, die globalen Ordnungsstrukturen zu festigen von Allianzen der USA mit Verbündeten führen). und die Situation der Menschen in Nordkorea zu ver- Für Deutschland und Europa ist eine friedliche bessern, langen Atem erfordert und nur schrittweise Lösung des Konflikts – oder zumindest die Vermei- erfolgreich sein wird. Der von der Trump-Administra- dung einer militärischen Eskalation – von zentraler tion in Singapur eröffnete politische Dialog mit Nord- Bedeutung. Die Folgen eines Kriegs in Korea wären in korea kann einen solchen Prozess befördern. Aus- Europa zu spüren. Neben den ökonomischen Impli- reichen dürfte er nicht. kationen einer militärischen Auseinandersetzung in einer der wirtschaftlich bedeutendsten Weltregionen SWP Berlin Facetten des Nordkorea-Konflikts September 2018 6
Interessen, Interdependenzen und ein gordischer Knoten Hanns Günther Hilpert / Oliver Meier Interessen, Interdependenzen und ein gordischer Knoten Am 12. Juni 2018 trafen in Singapur zum ersten Mal So bleibt zunächst nur die Hoffnung, dass der die Staats- und Regierungschefs der Demokratischen präzedenzlose Versuch, einen seit mehr als einem Volksrepublik Korea (DVRK) und der Vereinigten Staa- halben Jahrhundert andauernden Konflikt durch die ten von Amerika aufeinander. Die Einschätzungen Aufnahme von Gesprächen auf höchster Ebene zu über die Ergebnisse des historischen Gipfeltreffens entschärfen oder vielleicht sogar dauerhaft zu lösen, von Kim Jong Un und Donald Trump könnten weiter erfolgreich sein wird. Ein solcher Durchbruch käme nicht auseinanderklaffen. Während der US-Präsident dem sprichwörtlichen Durchschlagen eines gordi- von einem Durchbruch sprach und auf der Heimreise schen Knotens gleich. Denn bei dem gemeinhin als twitterte, dass es nun keine nukleare Bedrohung Nordkorea-Konflikt bezeichneten Problem handelt es durch Nordkorea mehr gebe, 1 vermissen andere in sich tatsächlich um einen ganzen Komplex vielfälti- der kargen Schlusserklärung des Gipfels 2 Substanz ger, ineinander verschachtelter Problemlagen. Die und Perspektive. Sie beklagen, dass Nordkorea ohne unterschiedlichen Interessen der beteiligten Akteure, eigene Gegenleistung eine immense politische Auf- die historischen Hypotheken zwischen ihnen kom- wertung erfahren habe, und verweisen darauf, dass plizieren die Auflösung dieser Konfliktlagen. Pyongyang keine konkreten Abrüstungsschritte in Bei all dem ist klar: Die Bedeutung dieses multi- Aussicht stellt. Wie der weitere politische Prozess dimensionalen Konflikts für Sicherheit und Welt- verlaufen solle, in dem solche Schritte vereinbart frieden ist kaum zu überschätzen. Zunächst geht es werden könnten, sei unklar. 3 um die Situation der Menschen in Nordkorea, deren Recht auf ein sicheres und gutes Leben die eigene 1 Donald J. Trump, twitter.com, 13.6.2018, (Zu- Koreas ist zudem eine unbearbeitete Hinterlassen- griff am 10.8.2018). schaft des Kalten Kriegs, die nach wie vor Ursache für 2 The White House, »Joint Statement of President Donald J. Spannungen ist. Die koreanische Halbinsel ist eine Trump of the United States of America and Chairman Kim der am stärksten militarisierten Regionen der Welt. Jong Un of the Democratic People’s Republic of Korea at Nordkorea bedroht durch seine Raketen und Massen- the Singapore Summit«, Sentosa Island, Singapur, 12.6.2018, vernichtungswaffen zudem die Staaten in der Region. (Zugriff am 1.7.2018). nen ein Sicherheitsrisiko dar. Nordkoreanische Rake- 3 Siehe beispielsweise die Aussagen der Sachverständigen ten können auch Nordamerika und Europa erreichen. Michael Green (Center for Strategic and International Nordkoreas asymmetrische militärische Aktivitäten, Studies) und Bruce Klingner (The Heritage Foundation) in etwa im Cyber-Raum, stellen die globale Sicherheit einer Anhörung des Kongressausschusses für Auswärtige vor eine komplexe und neuartige Herausforderung. Angelegenheiten am 20.6.2018: House Foreign Affairs Schließlich droht die Gefahr, dass die fortgesetzten Subcommittee on Asia and the Pacific Hearing (Hg.), »The und schweren Verletzungen multilateraler Regel- Trump-Kim Summit: Outcomes and Oversight«, Testimony werke die Effektivität und Legitimität internationaler by Michael Green, Senior Vice President for Asia, Japan Ordnungsstrukturen unterminieren. Seit mehr als 20 Chair, Center for Strategic and International Studies, Testi- Jahren provoziert Pyongyang beispielsweise die inter- mony by Bruce Klingner, Senior Research Fellow for North- east Asia, Asian Studies Center, Washington D.C.: The Heri- nationale Gemeinschaft, indem es sich weigert, Be- tage Foundation, 20.6.2018. schlüssen des UN-Sicherheitsrats Folge zu leisten. SWP Berlin Facetten des Nordkorea-Konflikts September 2018 7
Hanns Günther Hilpert / Oliver Meier Dabei versucht Nordkorea immer wieder, den Kon- Dynamik geführt, deren Folgen momentan noch flikt zwischen China und USA zu seinen Gunsten schwer abzuschätzen sind. auszunutzen. Die Einigkeit der internationalen Ge- Angesichts der Vielschichtigkeit des Nordkorea- meinschaft, insbesondere ein koordiniertes Vorgehen Konflikts und der hier skizzierten Unterschiede im der relevanten Großmächte und der regionalen Nach- Gesellschafts- und Politikverständnis der Beteiligten barn Nordkoreas, ist aber Voraussetzung für eine ist es für die wissenschaftliche Analyse umso wich- friedliche Bearbeitung des Konflikts. tiger, die unterschiedlichen Interessen und Strategien der relevantesten Akteure im Blick zu behalten und den Konflikt nicht auf den Umgang mit Nordkoreas Der Blick auf Nordkorea Atomwaffen- und Raketenprogrammen zu verkürzen. Die hier versammelten Beiträge verschiedener Auto- Bei all dem ist Nordkorea nicht der irrationale rinnen und Autoren leuchten die Problemlagen, Eremitenstaat, als der er gelegentlich geschildert die unter dem Sammelbegriff »Nordkorea-Konflikt« wird. Mit seiner Politik versucht Pyongyang zwar, gebündelt werden, denn auch aus unterschiedlichen externe gesellschaftliche Einflüsse zu minimieren, Blickrichtungen aus. Sie betrachten die Problematik aber sie ist nicht isolationistisch. 4 Doch auch wenn des Umgangs mit Nordkorea zunächst aus der Per- Teile der politischen Führung immer wieder inter- spektive relevanter Staaten und deren Interessen. nationale Kontakte hatten und haben, sind die Ent- Der zweite Teil ist einzelnen Problem- und Konflikt- scheidungsträger anders sozialisiert als ihre Gegen- feldern gewidmet. über in den meisten anderen Staaten. Die DVRK, ein Dabei durchziehen zwei Fragen als rote Fäden die totalitäres Staats- und Gesellschaftssystem unter der jeweiligen Analysen: (1) Welche Interessen der betei- Herrschaft einer Familiendynastie, nunmehr in der ligten Akteure müssen berücksichtigt werden, um dritten Generation, hat eine einzigartige Regierungs- Fortschritte in Richtung einer nachhaltigen und um- form herausgebildet. fassenden friedlichen Konfliktlösung zu erreichen? Die politische Führung betrachtet die internatio- Und wie verlaufen die Konfliktlinien in den betref- nale Ordnung allein nach Maßgabe harter, macht- fenden Konfliktfeldern? (2) Welche europäischen politischer Kriterien. Militärische Fähigkeiten und Interessen sind betroffen und welche Instrumente ihre glaubwürdige Zurschaustellung genießen für kann Europa nutzen, um zu einer friedlichen Lösung Nordkorea eine Bedeutung, die vielen im Westen des Konflikts beizutragen? anachronistisch erscheint. Die Tatsache, dass Nord- Diese Studie wird ergänzt durch ein Themen- korea als erster und einziger Staat überhaupt aus dem dossier auf der SWP-Webseite (http://bit.ly/SWP18 nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV) und der TDNK_Einleitung). Dort finden sich die Beiträge dieser Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) Studie, andere Analysen aus der SWP und weiterfüh- austrat, ist ein Indiz dafür, dass Pyongyang zu inter- rende Informationen. Durch Einscannen der in den nationalen Absprachen und Verträgen ein instrumen- Beiträgen eingefügten QR-Codes ist es möglich, direkt telles Verhältnis hat. zu den entsprechenden Abschnitten des Themendos- Dem Schutz der Menschenrechte misst die Regie- siers zu gelangen. rung allenfalls eine untergeordnete Rolle zu. Sie ist aber durchaus an einer guten ökonomischen Ent- Online-Dossier zur SWP-Studie wicklung des eigenen Landes interessiert, sicherlich http://bit.ly/SWP18TDNK_Einleitung auch, um die eigene Machtposition zu stärken. 5 Dies hat zu einer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen 4 Eric J. Ballbach, »North Korea’s Engagement in Inter- Eine kurze Geschichte des national Institutions: The Case of the ASEAN Regional Nordkorea-Problems Forum«, in: International Journal of Korean Unification Studies, 26 (2017) 2, S. 35–65. Die Beiträge dieser Studie nehmen überwiegend 5 Rüdiger Frank, »Die Wirtschaft Nordkoreas: Status und Bezug auf die aktuelle Konflikt- und Interessen- Potenzial, Reformen und Gegenreformen«, in: Eun-Jeung Lee konstellation. Die Krise zwischen Pyongyang und (Hg.), Länderbericht Korea, Bonn 2015 (Schriftenreihe Bundes- Washington ist im Kern sicherheitspolitischer Natur: zentrale für politische Bildung, Bd. 1577), S. 551–573. SWP Berlin Facetten des Nordkorea-Konflikts September 2018 8
Interessen, Interdependenzen und ein gordischer Knoten Nordkorea sieht seine Sicherheit durch die USA nen und einen Friedensvertrag schließen. Die IAEO bedroht und glaubt, Angriffe auf die staatliche Sou- verifizierte das »Einfrieren« des Nuklearprogramms. veränität nur nuklear abschrecken zu können. Die Die zweite Nuklearkrise begann Anfang der 2000er USA und deren Verbündete in der Region sind nicht Jahre, nach der Wahl von George W. Bush zum US- bereit, Nordkorea eine solche Abschreckungsfähigkeit Präsidenten. Er zählte Nordkorea zusammen mit dem zuzugestehen. 6 Irak und dem Iran zu einer »Achse des Bösen« und Der gegenwärtige Konflikt hat seine Ursache im konfrontierte das Land 2002 mit der Anschuldigung, Korea-Krieg (1950–53). Dieser Konflikt zementierte es betreibe geheime Anlagen zur Urananreicherung. die Teilung Koreas in ein mit den USA verbündetes Nordkorea erklärte daraufhin erneut und letztmalig Südkorea (Republik Korea, RK) und das mit der So- seinen Austritt aus dem NVV. Um den Konflikt zu wjetunion verbündete, heute aber unabhängige entschärfen und friedlich zu lösen, trafen sich nebst Nordkorea. Anders als Deutschland konnte Korea die Nordkorea und den USA die Länder Südkorea, China, Teilung nach dem Ende des Ost-West-Konflikts nicht Japan und Russland zu mehrjährigen Sechsparteien- überwinden. 1992 ertappte die IAEO Nordkorea bei gesprächen (2003–2007). Die gemeinsamen Erklä- dem Versuch, die Abtrennung von Plutonium zu rungen vom September 2005 und Februar 2007 sahen verheimlichen. Pyongyang verweigerte Sonderinspek- mit der Vereinbarung der nuklearen Abrüstung Nord- tionen der Atombehörde und kündigte 1993 erstmals koreas im Austausch gegen Hilfslieferungen und seinen Austritt aus dem NVV an (den das Land dann Sicherheitsgarantien eine Beilegung des Konfliktes kurze Zeit später »suspendierte«). Die erste Nuklear- vor. Auch damals versuchten die Teilnehmer gar krise kulminierte 1994 in der nordkoreanischen nicht erst, Einvernehmen in der Frage des Atom- Drohung, Plutonium aus abgebrannten Brennstäben machtstatus Nordkoreas herzustellen. Dennoch wur- abzutrennen. 7 Der ehemalige US-Präsident Jimmy den die Vereinbarungen der sechs Parteien nicht um- Carter entschärfte den Konflikt bei einem Besuch in gesetzt. Die DVRK führte ihre Anstrengungen in der Pyongyang und bereitete damit den Abschluss des ballistischen und nuklearen Aufrüstung fort und Rahmenabkommens von 1994 (Agreed Framework) erklärte im April 2009 in Reaktion auf die Verurtei- vor. 8 Dieses Abkommen war nur möglich, weil die lung eines Raketentests durch den UN-Sicherheitsrat, USA nicht auf die Klärung des nordkoreanischen es werde nicht mehr an den Sechsparteiengesprächen Atommachtstatus drängten. Nordkorea verpflichtete teilnehmen. sich zum Verzicht auf nukleare Rüstung und erhielt Bereits mit dem ersten nordkoreanischen Atomtest im Gegenzug Zusagen für die Lieferung von 500 000 2006 war der Konflikt in eine neue Phase eingetreten, Tonnen Heizöl jährlich und für den Bau von zwei in der die internationale Gemeinschaft weiter auf Leichtwasserreaktoren, wozu eigens die Korean Pen- der umfassenden, irreversiblen und verifizierbaren insula Energy Development Organization (KEDO) nuklearen Abrüstung Nordkoreas bestand, sich die gegründet wurde. In langfristiger Perspektive wollten Aussichten für eine solche Lösung aber in dem Maße beide Seiten sich gegenseitig diplomatisch anerken- verschlechterten, wie das nordkoreanische Atom- programm Fortschritte machte. Die Politik der »stra- tegischen Geduld« von US-Präsident Barack Obama war faktisch das Eingeständnis, dass der internatio- 6 Siehe etwa Hanns Günther Hilpert/Oliver Meier, Kurs- nalen Gemeinschaft die Mittel fehlten, um die ge- korrektur im Umgang mit Nordkoreas Atomprogramm? Verhand- lungsoptionen im Lichte des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages, wünschte umfassende Abrüstung herbeizuführen. Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Juli 2013 (SWP- Wir befinden uns gegenwärtig in der dritten Aktuell 31/2013), (Zugriff eigenen Nuklearwaffenstatus forciert. Seitdem Kim am 6.6.2018). Jong Un 2011 die Macht in Nordkorea übernommen 7 Die Typologie der drei Krisen um das nordkoreanische hat, wurden die Atom- und Raketenprogramme Atomprogramm ist zu finden in: Robert S. Litwak, Preventing beschleunigt. 2017 erprobte das Land erfolgreich drei North Korea’s Nuclear Breakout, Washington, D.C.: Wilson Langstreckenraketen, die theoretisch US-amerika- Center, Februar 2017. 8 KEDO, Agreed Framework between the United States of Ame- rica and the Democratic People’s Republic of Korea, in: kedo.org, 21.10.1994, (Zugriff am 7.5.2018). SWP Berlin Facetten des Nordkorea-Konflikts September 2018 9
Hanns Günther Hilpert / Oliver Meier nisches Territorium treffen können. 9 Auf dieser Basis verkündete Kim Jong Un in seiner Neujahrsansprache am 1. Januar 2018, sein Ziel sei erreicht, die USA nuklear abschrecken zu können. 10 Die USA wollen eine solche nukleare Abschreckungskapazität nicht hinnehmen. Bis Jahresanfang 2018 verfolgte die Trump-Administration eine Politik des »maximalen Drucks«. Der Singapur-Gipfel markierte öffentlich- keitswirksam den Schwenk zur Diplomatie. Eröffnet diese Situation die Möglichkeit, die Lage auf der koreanischen Halbinsel zu stabilisieren? Oder droht im Gegenteil eine Verschärfung der Krise, falls die Diplomatie erneut scheitert? Was können wir in Europa dazu beitragen, einen Krieg in Korea zu vermei- den und die Abrüstung Nordkoreas voranzutreiben? Diese Fragen greifen die Autorinnen und Autoren aus unterschiedlichen Perspektiven immer wieder auf. 9 Hans M. Kristensen/Robert S. Norris, »North Korean Nuclear Capabilities, 2018«, in: Bulletin of the Atomic Scientists, 74 (2018) 1, S. 41–51. 10 Kim Jong Un, »New Year’s Address«, Pyongyang, nkleadershipwatch.org, 1.1.2018, (Zugriff am 6.6.2018). SWP Berlin Facetten des Nordkorea-Konflikts September 2018 10
Interessen, Interdependenzen und ein gordischer Knoten Die Entwicklung des Konflikts um das nordkoreanische Nuklearprogramm Grafik 1 Grafik 1 SWP Berlin Facetten des Nordkorea-Konflikts September 2018 11
Eric J. Ballbach Eric J. Ballbach Nordkorea: Zwischen Abwehrpolitik und Einflussstreben Nordkoreas Nuklearstreben zählt zweifelsohne zu den obwohl Pyongyangs Versuche, die Unterhaltung eines drängendsten Problemen der internationalen Politik. Nuklearprogramms zu legitimieren, einen stetigen Will man dieser Herausforderung realistisch begeg- Wandlungsprozess durchlaufen. nen, ist es essenziell, die Motive zu kennen, die Pyongyangs außenpolitischem Vorgehen zugrunde Diskurswandel im Zuge des liegen. Da es keine offizielle Nukleardoktrin Nord- Irakkriegs 2003 koreas gibt, lassen sich diese Triebkräfte am ehesten durch eine sorgfältige Analyse jenes dynamischen Bis in die frühen 2000er Jahre betonen nordkorea- Diskurses ermitteln, in dem sie zum Tragen kommen. nische Quellen da capo, dass das Nuklearprogramm Welche Grundzüge – und vor allem Wandlungen – lediglich der Energiegewinnung diene und man nicht kann man darin ausmachen? Die Bedeutung des nach dem Besitz von Nuklearwaffen trachte. Erst der Nuklearprogramms für die Machthaber in Pyongyang, Irakkrieg 2003 markierte hier einen erkennbaren das wird dabei deutlich, geht weit über sicherheits- Wendepunkt, als sich dieses Legitimationsargument politische Erwägungen hinaus; es fungiert vielmehr parallel zur generellen außen- und sicherheitspoli- als zentraler Bestandteil sowohl der nationalen Iden- tischen Strategie des Landes wandelte. Denn seitdem titätsbildung als auch der Herrschaftsstabilisierung. verwies Nordkorea vermehrt auf das »naturgegebene Die Regierung in Pyongyang folgt also – entgegen Recht« zur Produktion von Nuklearwaffen, um den der noch immer weit verbreiteten Wahrnehmung Staat und die Nation vor der »feindlichen Politik« Nordkoreas als eines »inhärenten Anderen« – einer (hostile policies) der USA zu schützen. 1 In einem ent- so rationalen wie konsistenten und auf außen- und sprechenden Agenturbericht aus dem Jahr 2003 wurde innenpolitischen Beweggründen basierenden Argu- ausgeführt, die zentrale Lektion aus dem Irakkrieg mentation. laufe auf die Feststellung hinaus, dass ausschließlich eine »gewaltige militärische Abschreckungskraft« einen Krieg auf der koreanischen Halbinsel verhin- Nordkoreas Legitimationslinien dern und die Sicherheit der koreanischen Nation im Wandel wahren könne. 2 Um Nordkoreas Motive in der Nuklearfrage nachzu- Nordkoreas nuklearer Durchbruch vollziehen, ist es unerlässlich, zuvorderst die von Pyongyang selbst postulierten Legitimationslinien im Einen weiteren wichtigen Wendepunkt sowohl in Hinblick auf die eigene Nuklearisierungs-Strategie zu Nordkoreas außen- und sicherheitspolitischer Stra- identifizieren. Dies ist möglich, da Nordkorea in Form von Statements der Führung sowie durch konkrete 1 Vgl. etwa Institut für die Wiedervereinigung des Vater- Gesetzesinitiativen und Rechtsvorschriften regel- landes, »Nordkorea: Zur militärischen Abschreckung berech- mäßig über das Nuklearprogramm informiert und die tigt«, in: Hyondok Choe/Du-Yul Song/Rainer Werning (Hg.), eigenen diesbezüglichen Triebfedern zu erkennen Quo Vadis North Korea? Social Conditions, Development Tendencies, gibt. Denn Nordkoreas Erklärungen sind keineswegs, Perspectives, Köln: PapyRossa, 2003, S. 30, 36. wie weithin angenommen, lediglich Propaganda ohne 2 Vgl. »Statement of FM Spokesman Blasts UNSCs Discus- analytischen Wert. Stattdessen zeigt sich in diesen sion of Korean Nuclear Issue«, Korean Central News Agency Ausführungen ein hohes Maß an Kohärenz, und dies, (KCNA), 6.4.2003. SWP Berlin Facetten des Nordkorea-Konflikts September 2018 12
Nordkorea: Zwischen Abwehrpolitik und Einflussstreben tegie als auch in dessen zentralen Legitimationsversu- mals in einem Erstschlag einsetzen oder weiter- chen stellte Nordkoreas erster Nukleartest im Oktober verbreiten werde. 4 2006 dar. In einer an nationale wie internationale Nach dem ersten Atomtest strich Nordkorea die Beobachter gerichteten Meldung des nordkoreani- historische Signifikanz des Nuklearmachtstatus schen Außenministeriums präsentierte sich die DVRK immer wieder heraus. Der Test wurde entsprechend als Opfer einer permanenten ausländischen Aggres- als nationales Ereignis von größter Bedeutung dar- sionspolitik, die eine schlagkräftige Verteidigung gestellt – als Erfüllung des lange gehegten Wunsches unabdingbar mache: nach nationaler und militärischer Stärke. 5 Gleich- wohl – und dies ist eine zentrale Feststellung »Ein Volk ohne glaubwürdige militärische Ab- hinsichtlich der prinzipiellen Möglichkeit einer schreckung wird einen tragischen Tod erleiden diplomatischen Lösung der Nuklearfrage – maxi- müssen, und die Souveränität seines Landes wird mierte Nordkorea den diplomatischen Spielraum zwangsläufig mutwillig verletzt werden. [...] Das durch wiederholte Verweise darauf, dass man dem Atomprogramm der DVRK wird als glaubwürdige ultimativen Ziel einer vollständig entnuklearisierten militärische Abschreckung dienen, um die höchs- koreanischen Halbinsel grundsätzlich verpflichtet ten Interessen des Staates und der Sicherheit der bleibe. 6 koreanischen Nation vor dem drohenden Angriff der USA zu schützen, einen neuen Krieg zu verhü- Die Institutionalisierung des ten und Frieden und Sicherheit auf der koreani- Nuklearmachtstatus schen Halbinsel unter allen Umständen standhaft sicherzustellen. Die DVRK wird als verantwor- Während nordkoreanische Ausführungen bis 2008 tungsbewusste Atommacht ihrer internationalen nahelegen, dass der Übergang Nordkoreas zur Verpflichtung im Bereich der nuklearen Nicht- Nuklearmacht bis zu jener Periode noch revidierbar verbreitung jederzeit aufrichtig nachkommen.« 3 war, so hat sich der interne Diskurs parallel zum außenpolitischen Verhalten des Landes seither maß- Wie in dem Zitat ersichtlich wird, spielt das Image geblich verändert. einer verantwortungsvollen Atommacht neben dem Zum einen forcierte Pyongyang die Selbstdarstel- Bedrohung/Verteidigungs-Nexus eine zentrale Rolle in lung als »nuclear outlaw«. Nordkorea, so ein Sprecher Nordkoreas Versuchen, das eigene Nuklearprogramm des Außenministeriums, strebe gar nicht danach, von zu legitimieren. Angesichts der Tatsache, dass sich der internationalen Gemeinschaft als Atommacht Nordkoreas Übergang zur Nuklearmacht durch des- anerkannt zu werden. Vielmehr gebe man sich mit sen Austritt aus dem NVV außerhalb internationaler dem Stolz und dem Selbstbewusstsein zufrieden, die Ordnungsstrukturen vollzog, versicherten nordkorea- Sicherheit der Nation und die Souveränität des Landes nische Offizielle wiederholt, das Land werde den zuverlässig verteidigen zu können. 7 Diese Argumen- internationalen Nonproliferationsverpflichtungen nachkommen. Ferner betonte etwa das nordkorea- 4 »DPRK Foreign Ministry Spokesman Totally Refutes UNSC nische Außenministerium im November 2006, dass Resolution«, KCNA, 17.10.2006. das Nuklearprogramm ausschließlich defensiv aus- 5 Vgl. Rodong Sinmun, zitiert in: Jongwoo Nam, The Geo- gerichtet sei und das Land Nuklearwaffen somit nie- graphical Construction of National Identity and State Interests by a Weak Nation-State: The Dynamic Geopolitical Codes and Stable 3 »DPRK Foreign Ministry Clarifies Stand on New Measure Geopolitical Visions of North Korea, 1948–2010, Ph.D. Disser- to Bolster War Deterrent«, KCNA, 3.10.2006: »A people with- tation, University of Illinois, 2012, S. 186. out reliable war deterrent are bound to meet a tragic death 6 So betonten etwa auch hochrangige nordkoreanische and the sovereignty of their country is bound to be wantonly Diplomaten, dass eine vollständig entnuklearisierte Halb- infringed upon. […] The DPRK’s nuclear weapons will serve insel zum letzten Wunsch sowohl von Kim Il Sung als auch as reliable war deterrent for protecting the supreme interests von Kim Jong Il zählte. Vgl. »North Korea Repeats Offer for of the state and the security of the Korean nation from the Nuclear Talks«, Reuters, 19.6.2013, (Zugriff am 19.3.2018). plement its international commitment in the field of nuclear 7 KCNA, 24.5.2010, zitiert in: Peter Hayes/Scott Bruce, non-proliferation as a responsible nuclear weapons state.« »North Korean Nuclear Nationalism and the Threat of SWP Berlin Facetten des Nordkorea-Konflikts September 2018 13
Eric J. Ballbach tationslinie findet sich auch im ersten ausführlichen Nordkorea seinen selbsternannten Status als Nu- Beitrag zu einer sich sukzessive herauskristallisieren- klearmacht dann auch konstitutionell. So heißt es in den Nukleardoktrin. In einem am 21. April 2010 der neuen Präambel, dass Kim Jong Il die DVRK in veröffentlichten Memorandum, das zudem Auf- einen politisch und ideologisch mächtigen Nuklear- schluss über Nordkoreas Perzeption der Abschre- staat transformiert habe – eine Einschätzung, die ckungsdynamik auf der koreanischen Halbinsel gibt, sich ebenfalls in »Nuklearwaffen und Frieden« findet, heißt es, Nordkorea sei nicht durch die Bestimmun- einem der bedeutendsten Texte zu Nordkoreas Nu- gen des NVV oder des internationalen Rechts gebun- klearstrategie aus der jüngeren Vergangenheit. 11 Die den. Als primäre Mission der nuklearen Bewaffnung Kernaussage des Textes ist unmissverständlich: Nord- wird deutlich die Abwehr von Aggressionen und korea hat den Übergang zur Nuklearmacht erfolg- Angriffen auf die Nation genannt. Gleichwohl halte reich vollzogen, was auch zu einem grundlegenden die DVRK ausnahmslos an der Politik fest, Nuklear- Wandel von Nordkoreas Status innerhalb der inter- waffen nicht gegen Nicht-Atommächte einzusetzen nationalen Gemeinschaft geführt habe. In einem von bzw. damit zu drohen, solange diese sich nicht in der nordkoreanischen Nachrichtenagentur KCNA Kooperation mit Nuklearstaaten an einer Invasion veröffentlichten Bericht heißt es entsprechend: »Falls beteiligen. 8 die DVRK sich mit den USA an einen Tisch setzt, dann zu einem Dialog zwischen Atommächten, nicht, Seit 2008 verband die interne Propa- damit eine Seite die andere dazu zwingt, Atomwaffen ganda Nordkoreas Identität mit dem abzubauen.« 12 Diese Darstellungen legen nahe, dass Image eines starken Nuklearstaats. der Weg zur Denuklearisierung Nordkoreas aller Voraussicht nach beschwerlich, komplex und (poli- Zum zweiten betonte Pyongyang nun zusehends tisch wie auch ökonomisch) außerordentlich kost- die über das Motiv der Sicherheit hinausgehende spielig werden wird. Bedeutung des Nuklearprogramms. Die interne Pro- Seit 2015/16 hat ein weiterer Schlüsselbegriff Ein- paganda verband in den kritischen Jahren seit 2008 zug in den nordkoreanischen Nuklearstaatsdiskurs die Identität des nordkoreanischen Staates eng mit gehalten: der Präventivschlag. Solche atomaren An- dem Image einer starken Nuklearmacht. Insbesondere griffe seien demnach eine Option, wenn »imminente nach dem Tod Kim Jong Ils 2011 wurde dessen poli- Versuche zur Zerstörung Nordkoreas« festgestellt tisches Erbe unmittelbar mit dem Status als Atom- würden. Li Yong Pil, der Direktor eines dem nord- macht fusioniert. 9 Bereits in einem kurz nach Kims koreanischen Außenministerium angeschlossenen Tod in der Parteizeitung Rodong Sinmun veröffentlich- Forschungsinstituts zu Fragen der Beziehungen zur ten Beitrag wurde Nordkoreas Übergang zur Nuklear- USA, führte etwa aus, dass nukleare Präventivschläge macht nicht nur als epochales Ereignis bezeichnet, kein Monopol der USA seien: »Sollten wir sehen, dass welches in seiner historischen Signifikanz in einer die USA uns dies antun, würden wir ihnen zuvorkom- Reihe mit dem revolutionären Befreiungskampf von men. […] Die Technologie dazu haben wir.« 13 Kim Il Sung stehe, sondern als ausschließliches und bedeutendstes Verdienst Kim Jong Ils gewürdigt. 10 In einer von der Obersten Volksversammlung 2012 verabschiedeten Verfassungsänderung kodifizierte 11 Vgl. »Haekkwa p’yŏnghwa« [Nukes and Peace], in: Rodong Sinmun, 24.4.2013. Nuclear War in Korea«, in: NAPSNet Policy Forum, 21.4.2011, 12 »Rodong Sinmun Urges U.S. to Give Clear Answer to Just (Zugriff am 23.3.2018). table with the U.S., it has to be a dialogue between nuclear 8 »Foreign Ministry Issues Memorandum on N-Issue«, KCNA, weapon states, not one side forcing the other to dismantle 21.4.2010. nuclear weapons.« 9 Hayes/Bruce, »North Korean Nuclear Nationalism« [wie 13 »North Korea Warns It Would Use Nuclear Weapons Fn. 7]; vgl. auch Eric J. Ballbach, »North Korea’s Emerging First If Threatened«, NBC News, 16.10.2016, (Zugriff am 22.3.2018): Studies, 14 (2016) 3, S. 391–414. »A preemptive nuclear strike is not something the U.S. has 10 »Kim Jong Il tongjiŭi hyŏngmyŏngyusan« [The Revolu- a monopoly on. If we see that the US would do it to us, we tionary Legacy of Kim Jong Il], in: Rodong Sinmun, 28.12.2011. would do it first. […] We have the technology«. SWP Berlin Facetten des Nordkorea-Konflikts September 2018 14
Nordkorea: Zwischen Abwehrpolitik und Einflussstreben Nordkoreas Nuklearstreben zwischen hung des Landes durch die als aggressiv bezeichnete innen- und außenpolitischen Motiven Außenpolitik der USA betonte Pyongyang immer wieder, dass letztlich nur die eigene nukleare Ab- Die Erfassung von Nordkoreas Motiven im Kontext schreckungskraft Nordkorea vor einem ähnlichen der Nuklearfrage wird dadurch erschwert, dass diese Schicksal wie jenem des Irak oder Libyens bewahrt Motive augenscheinlich nicht statisch sind. Ungeach- habe. 14 So betrachtet, sind die regelmäßigen Raketen- tet dessen erlaubt eine sorgfältige Analyse nord- und Nuklearwaffentests keine Provokationen, die jeg- koreanischer Publikationen und Statements die Iden- licher Rationalität entbehren, sondern ein unverzicht- tifizierung einiger zentraler Beweggründe, die im barer und inhärenter Bestandteil dieser Abschre- Folgenden zusammengefasst werden. ckungslogik. Eine glaubhafte Demonstration des eige- nen Abschreckungspotenzials nach innen und außen Das Nuklearprogramm als ist für die Machthaber in Pyongyang umso bedeut- Sicherheitsprojekt samer, als die Abschreckungslogik nicht mit einer externen Anerkennung Nordkoreas als Nuklearmacht Wie für alle Nuklearmächte ist der Faktor Sicherheit, einhergeht. verstanden als Schutz vor militärischen Interventio- nen und Aufrechterhaltung staatlicher Souveränität Das Nuklearprogramm als und Regimestabilität, auch für Nordkorea wesentlich Identitätsprojekt für das Streben nach eigener nuklearer Bewaffnung. Denn in Nordkorea herrscht eine allumfassende und Die Tatsache, dass immaterielle Faktoren wie natio- historisch konsistente Bedrohungsperzeption. So sieht nales Selbstbewusstsein, Prestige und Stolz in den die Führung das Land in einem Zustand kontinuier- Texten mehrfach angesprochen werden, lässt bereits licher Bedrohung von außen, verbunden mit einem erkennen, dass die Bedeutung der Nuklearwaffen existenziellen und unablässigen anti-imperialistischen für die Machthaber in Pyongyang weit über die mili- Kampf. Neben historischen Erfahrungen wie der japa- tärische bzw. sicherheitspolitische Dimension hinaus- nischen Kolonialherrschaft oder des Korea-Krieges reicht. Bezieht man neben den offiziellen Verlaut- stützt(e) sich diese Bedrohungsperzeption insbesonde- barungen die Äußerungen nordkoreanischer Vertre- re auf die Stationierung taktischer US-amerikanischer ter in direkten Verhandlungen zum Nuklearprojekt Nuklearwaffen in Südkorea (zwischen 1958 und 1991), in die Analyse ein, wird offenkundig, dass die ato- die seit 1976 (nahezu) jährlich stattfindenden gemein- mare Bewaffnung für den nordkoreanischen Staat samen Militärmanöver der USA und Südkoreas sowie heute als zentrales Identitätsprojekt fungiert – auch auf die Präsenz von US-Truppen in Ostasien. wenn dessen Selbstwahrnehmung als »große und Die Perzeption einer solchen Bedrohung hat sich starke Nation« sich zunehmend von der Realität ent- nach dem Ende des Kalten Kriegs weiter verstärkt. fernt. Basierend auf der Perzeption, das Land werde Zum einen führten die Entwicklungen in den späten seit jeher von allen Seiten bedroht und sei daher in 1980er und frühen 1990er Jahren zum De-facto- einen dauerhaften anti-imperialistischen Kampf Kollaps der in den 1960er Jahren abgeschlossenen eingebunden, ist diese Identitätsbildung für die nord- Verteidigungsbündnisse Nordkoreas mit Moskau und koreanischen Machthaber aus mehreren Gründen Peking. Zum anderen trugen die immer wieder von herausragender Relevanz. rhetorisch aufgeheizten (und 1994 sogar bis an den Rand eines neuerlichen Krieges eskalierenden) Bezie- hungen zu den USA dazu bei, dass Nordkorea den Besitz einer nuklearen Abschreckungskraft als un- abdingbaren Garanten souveräner Existenz betrach- 14 So machten etwa nordkoreanische Unterhändler gegen- tet, angesichts der militärischen Überlegenheit der über den USA nach deren Invasion im Irak deutlich, dass USA und ihrer regionalen Verbündeten. man deren dortiges Verhalten genau beobachte: »Die Lek- Im Umkehrschluss verwies Nordkorea seit 2012 tion, die wir [aus dem Irakkrieg] lernen, lautet, dass […] nur regelmäßig darauf, dass das Nuklearprogramm »unter der Besitz einer nuklearen Abschreckungswaffe eine Inva- den gegebenen Rahmenbedingungen in Ostasien« sion verhindern kann.« Vgl. Jonathan D. Pollack, No Exit: für die nordkoreanische Führung nicht (mehr) ver- North Korea, Nuclear Weapons, and International Security, New handelbar sei. Angesichts der existenziellen Bedro- York: Routledge, 2011, S. 141. SWP Berlin Facetten des Nordkorea-Konflikts September 2018 15
Eric J. Ballbach Diese Konstruktionen dienen dazu, fristig aufrechterhalten werden könnte. Denn auch in dauerhafte Grenzen zwischen dem einem totalitären Staat erfordert die Umsetzung und Selbst und dem Anderen zu ziehen. Aufrechterhaltung eines solch kosten- und ressour- cenintensiven Projekts ein Mindestmaß an innen- Zum einen dienen diese Konstruktionen dem politischer Legitimation – insbesondere angesichts Zweck, dauerhafte Grenzen zwischen Innen und einer Vielzahl dringlicher wirtschaftlicher und Außen, dem Selbst und dem Anderen zu ziehen – sozialer Herausforderungen. sie »schreiben« nordkoreanische Identität und for- cieren im Angesicht äußerer Feinde innenpolitische Das Nuklearprogramm als Geschlossenheit. Solche historisch konsistenten historisches Projekt Bedrohungsdiskurse durchziehen nach wie vor die gesamte staatliche Rhetorik über die USA und tragen Dem Nuklearprogramm wird im nordkoreanischen so dazu bei, öffentliche Ängste zu normalisieren und Diskurs eine herausragende historische Bedeutung zu institutionalisieren. Insbesondere in autoritären beigemessen. Der Ursprung dieses Motivs liegt in der Staaten wie Nordkorea, in denen Bedrohungsdiskurse Erfahrung des »nationalen Ruins«, des vollständigen strikt hegemonial kontrolliert werden und gleichzei- Verlustes staatlicher Unabhängigkeit, Souveränität tig die Möglichkeiten freier Informationsgewinnung und koreanischer Identität durch die japanische Kolo- stark beschränkt sind, entfalten solche Diskurse nialherrschaft in Korea (1910–1945). Diese Erfahrung Wirkungsmacht. Auf gesellschaftlicher Ebene begün- stellt den Ausgangspunkt des nordkoreanischen stigen sie die Herausbildung einer »permanenten »nation building« dar: Denn neben die Abgrenzung Belagerungsmentalität«, welche die nordkoreanische von externen Anderen tritt damit jene von der Führung als strategischen Bestandteil ihrer Bemühun- eigenen Geschichte als ehedem kolonialisierter und gen betrachtet, die Gesellschaft und die politische militärisch unterlegener Staat. 16 Folglich wird die Klasse zusammenzuhalten. 15 Nordkorea kann dem- Verhinderung des Verlusts nationaler Unabhängig- nach durchaus als »camp society« im Sinne Giorgio keit und Souveränität, und zwar mit allen dafür Agambens betrachtet werden – als eine Gesellschaft, notwendigen Mitteln, als zentrale Lektion aus dem in welcher der Ausnahmezustand zum Paradigma des Erleben des nationalen Ruins betrachtet, der im Regierens wird und ein der Legitimationsstrategie der gesellschaftlichen und politischen Diskurs die Rolle Führung inhärentes Element darstellt. von Nordkoreas »Nie wieder« einnimmt. Zum anderen werden durch die omnipräsenten Von dieser historischen Erfahrung wird eine direkte Bedrohungsszenarien angemessene staatliche Reak- Linie zu den gegenwärtigen Auseinandersetzungen tionen nahegelegt. Repräsentationen von Gefahren mit den USA um Nordkoreas Nuklearprogramm und Konflikten dienen damit der Rechtfertigung gezogen, die von Nordkorea immer wieder als »show- politischer Maßnahmen, die darauf abzielen, diese down« bezeichnet wird, der über die Souveränität Bedrohungen einzuhegen. Der entsprechende Diskurs und Unabhängigkeit Nordkoreas entscheide. 17 Da betont die Signifikanz sicherheitspolitischer Maß- Friede nie garantiert und Krieg nur über Abschre- nahmen sowie den Status von Sicherheitsakteuren, ckung verhindert werden könne, stelle militärische stellt die präferierte Versorgung dieser Akteure mit Schlagkraft die einzige Option dar, diese primären Ressourcen für bestimmte nationale Projekte – seien nordkoreanischen Staatsziele sicherzustellen. 18 sie ideologisch und/oder politisch – sicher und lenkt Indem das Nuklearprogramm innerhalb dieses die Öffentlichkeit gleichzeitig von drängenderen sozia- übergreifenden historischen Bezugssystems verortet len Problemen ab. So betrachtet, lassen die Bedro- wird, wird die Auseinandersetzung mit den USA zum hungskonstruktionen Nordkoreas Nuklearprogramm innenpolitisch angemessen und logisch erscheinen. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass ohne derlei aus- 16 Vgl. Eric J. Ballbach, »The History of the Present: Foun- geprägte Bedrohungs- und Konfliktkonstruktionen dational Meta-Narratives in Contemporary North Korean das Nuklearprogramm auch in Nordkorea nicht lang- Discourse«, in: S/N Korean Humanities, 1 (2015) 2, S. 79–100. 17 Vgl. etwa Ri Jong Chol, Songun Politics in Korea, Pyong- yang: Foreign Languages Publishing House, 2012, S. 41. 15 Selig Harrison, Korean Endgame: A Strategy for Reunification 18 Song Baek Jo, The Leadership Philosophy of Kim Jong Il, and U.S. Disengagement, Princeton: Princeton University Press, Pyongyang: Foreign Languages Publishing House, 1999, 2002, S. xvii. S. 200. SWP Berlin Facetten des Nordkorea-Konflikts September 2018 16
Nordkorea: Zwischen Abwehrpolitik und Einflussstreben gegenwärtigen Kapitel in den Bemühungen Koreas politik verstanden werden. 21 Während eine Auto- um Unabhängigkeit und Souveränität erklärt. nomie- oder auch Abwehrpolitik »der Bewahrung oder Stärkung der eigenen Unabhängigkeit von ande- Das Nuklearprogramm als ren Staaten« bzw. einer »Abwehr neuer oder der Ver- Verhandlungsmasse minderung bestehender Abhängigkeiten von anderen Staaten« dient, versuchen Staaten, durch eine Ein- In der Vergangenheit diente das Nuklearprogramm flusspolitik »bestimmte Interaktionsprozesse mit den Machthabern in Pyongyang zudem als Möglich- anderen Staaten und die daraus hervorgehenden keit, der internationalen Gemeinschaft Zugeständnisse Politikergebnisse in ihrem Sinne zu lenken«. 22 In der abzuringen. Angewiesen auf externe Hilfe, hat Nord- Praxis setzt Nordkorea also dann auf eine Abwehr- korea wiederholt solche Hilfen mittels außenpoli- politik, wenn die Sicherheit des Landes bzw. das tischer Konfrontation und nuklearer Drohungen Überleben des Regimes als gefährdet betrachtet vom Ausland zu erpressen versucht. Zuletzt hatte sich werden oder wenn gegenüber anderen Staaten Auto- Nordkorea im Februar 2012 im sogenannten Leap Day nomiegewinne möglich sind bzw. Autonomieverluste Agreement zu einem Raketen- und Nukleartestmora- drohen. Die wiederholte Nichteinhaltung oder die torium sowie zur Rückkehr an den Verhandlungs- Auflösung bestehender Verpflichtungen aus bi- oder tisch verpflichtet und dafür im Gegenzug Nahrungs- multilateralen Vereinbarungen sowie die Ablehnung mittelhilfen bekommen. 19 Gleichwohl haben sich die neuer Verpflichtungen fallen ebenso darunter wie die Vorzeichen durch Nordkoreas faktischen Übergang grundlegend skeptische Haltung gegenüber Koopera- zur Nuklearmacht grundlegend verändert. Mehrfach tion, welche asymmetrische Interdependenzen, das betonte Pyongyang seither, dass die nordkoreanischen heißt Abhängigkeiten zuungunsten Pyongyangs, zu Nuklearwaffen nicht mehr verhandelbar seien. Den- schaffen oder zu verstärken droht. noch hat es exakt dies nun im Zuge der jüngsten An- Wenn Nordkorea im Kontext der Nuklearfrage näherung an die internationale Gemeinschaft in Aus- hingegen eine Einflusspolitik betreibt, sucht es nach sicht gestellt, was die Frage aufwirft, wie sich diese Mitteln, die geeignet sind, die gewünschte Beeinflus- wechselhafte Politik erklären lässt. sung zu ermöglichen, zu gewährleisten und auszu- bauen. Gegenüber den mächtigeren Staaten Ostasiens trachtet Pyongyang daher sowohl bilateral als auch Nordkoreas Außenpolitik in der im Rahmen multilateraler Institutionen danach, sich Nuklearfrage: Zwischen Autonomie- Mitsprachemöglichkeiten zu sichern. 23 streben und Einflusspolitik Nordkoreas Außenpolitik in der Nuklearfrage deckt sich in vielerlei Hinsicht mit der generellen außen- politischen Strategie des Landes, die auf einer »deut- 21 Vgl. Eric J. Ballbach, »Between Autonomy and Influ- lich realpolitischen Sichtweise der Staatenwelt« ence? Multilateralism and North Korean Foreign Policy in the Six-Party Talks«, in: Rüdiger Frank u. a. (Hg.), Korea basiert und in welcher Souveränität und Macht »die 2013 – Politics, Economy and Society, Leiden/Boston: Brill, 2013, zentralen Kategorien in der kognitiven Wahrneh- S. 215–239; Paik Hak-soon, »Die Außenpolitik Nordkoreas: mung und Bewertung internationaler Zusammen- Autonomie oder Annäherung«, in: Eun-Jeung Lee/Hannes B. hänge« darstellen. 20 Konkret schlägt sich dies in einer Mosler (Hg.), Länderbericht Korea, Bonn: Bundeszentrale für dualen Strategie aus Autonomiestreben und Einfluss- politische Bildung, 2015, S. 497–507. maximierung nieder, die als zwei Formen von Macht- 22 Vgl. Rainer Baumann/Volker Rittberger/Wolfgang Wagner, Macht und Machtpolitik: Neorealistische Außenpolitik- theorie und Prognosen für die deutsche Außenpolitik nach der 19 Vgl. etwa Hanns Günther Hilpert/Oliver Meier, Kurs- Vereinigung, Tübingen 1998 (Tübinger Arbeitspapiere zur korrektur im Umgang mit Nordkoreas Atomprogramm? Verhand- internationalen Politik und Friedensforschung, Nr. 30), lungsoptionen im Lichte des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages, (Zugriff am 6.6.2018). Aktuell 31/2013). 23 Vgl. grundlegend auch Joseph M. Grieco, »The Maas- 20 Patrick Köllner, »Nordkoreas Außen- und Sicherheits- tricht Treaty, Economic and Monetary Union and the Neo- politik im Zeichen der Krisen«, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Realist Research Programme«, in: Review of International 53 (25.8.2003) 35/36, S. 25–31 (26). Studies, 21 (1995) 1, S. 21–40. SWP Berlin Facetten des Nordkorea-Konflikts September 2018 17
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