Christlicher Glaube und Islam - Die Evangelische Allianz in Deutschland

Die Seite wird erstellt Paul Merz
 
WEITER LESEN
Christlicher Glaube und Islam - Die Evangelische Allianz in Deutschland
Die Evangelische Allianz
  in Deutschland
  gemeinsam glauben, miteinander handeln.

Christlicher Glaube
und Islam

                                            1
Christlicher Glaube und Islam - Die Evangelische Allianz in Deutschland
Einleitung
Das Thema Islam ist heute in aller Munde. Nicht nur die Medien bringen täglich zahlreiche
Meldungen aus der Welt des Islam und über die 4 Millionen Muslime in Deutschland, Auch
für christliche Gemeinden, Gemeinschaften und Kirchen ist das Thema überaus relevant.
Christen erkennen einerseits die Herausforderungen, die sich im Zusammenleben mit Ange-
hörigen vieler Nationen, Kulturen und Religionen ergeben, in deren Herkunftsländern (bzw.
den Herkunftsländern ihrer Eltern und Großeltern) eine freie Verkündigung des Evangeliums
häufig unmöglich ist. Andererseits bestehen manche Unsicherheiten bei der Beurteilung des
Islam aus christlicher Sicht.

In den Medien überwiegen Berichte über politisch aktive islamische Gruppierungen. Obwohl
sie nur eine von mehreren islamischen Strömungen ausmachen, erheben sie den Anspruch,
den ‚wahren Islam‘ zu verkörpern. Das verstärkt bei vielen Menschen Unsicherheit und Angst.
Gleichzeitig werden gerade engagierte Christen zum Dialog mit den anderen ‚abrahamischen
Religionen‘ aufgerufen, zur Toleranz und zur Anerkennung des ‚islamischen Heilsweges‘.
Sollen Christen deshalb aufhören, Muslimen Jesus Christus als den einzigen Weg zu Gott,
dem himmlischen Vater, zu bezeugen? Glauben Christen und Muslime an einen ‚gemeinsamen
Gott‘? Wie sollen Christen auf den stärker werdenden gesellschaftlichen Einfluss islamischer
Gruppen reagieren?
Auf diese Fragen möchte diese Erklärung Antworten geben. Sie wurde ursprünglich vom Stän-
digen Islam-Arbeitskreis der Lausanner Bewegung Deutschland in Verbindung mit der Deut-
schen Evangelischen Allianz und der Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste erarbeitet
und nun vom Arbeitskreis Islam der Deutschen Evangelischen Allianz erneut überarbeitet.
Sie möchte Christen unterschiedlicher Prägung aus Kirchen, Freikirchen und Gemeinschaften
sowie Verantwortlichen in evangelistischen, missionarischen und diakonischen Werken Hil-
fen zu einer biblischen Beurteilung des Islam geben. Sie will Mut machen, das Evangelium
von Jesus Christus allen Menschen in unserem Land und weltweit zu bezeugen, denn auch
Muslimen gilt die Botschaft von Jesus und sein Angebot der Erlösung. Die Erklärung will zu-
dem angesichts der gesellschaftlichen Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Islam
Hilfestellung leisten. Deshalb ist diese Erklärung in drei Teile gegliedert.

2
Christlicher Glaube und Islam - Die Evangelische Allianz in Deutschland
Der erste Teil versucht, Gemeinsamkeiten         Gott gibt‘, haben von Gott aber sehr unter-
und Gegensätze im Glauben von Christen           schiedliche Auffassungen. Wir sprechen in
und Muslimen aus biblischer Sicht aufzuzei-      dieser Erklärung von ‚Gott‘, auch wenn wir
gen. Er will deutlich machen, warum Chris-       die islamische Auffassung von Gott meinen.
ten in Deutschland auf den Islam und die         Wir verzichten auf die Verwendung des ara-
Thematik der Mission unter Muslimen so un-       bischen, im Islam gebräuchlichen, Wortes
terschiedlich reagieren.                         ‚Allah‘. Denn einerseits kann dieses Wort im
                                                 Deutschen nur mit ‚der (eine) Gott‘ wieder-
Der zweite Teil behandelt die christliche        gegeben werden, und andererseits verwen-
Mission unter Muslimen in Gegenüberstel-         den arabische Christen ebenfalls den Begriff
lung zu der islamischen Werbung unter            ‚Allah‘. Die inhaltlichen Gegenüberstellungen
Christen. Er will erläutern, dass auch der Is-   machen deutlich, dass Christen und Musli-
lam grundsätzlich auf Ausbreitung angelegt       me nicht dieselbe Gottesvorstellung haben
ist und gleichzeitig den göttlichen Auftrag      und nicht dieselbe Offenbarung. Der Koran
des christlichen Zeugnisses gegenüber Mus-       verkündigt nicht den Dreieinigen Gott, Va-
limen bekräftigen.                               ter, Sohn und Heiligen Geist, ja er lehnt die
                                                 Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus
Der dritte Teil ist den Fragen gewidmet, die     kategorisch ab (Sure 112).
sich aus dem Zusammenleben von Christen
und Muslimen in der deutschen Gesellschaft       In den Herausforderungen, die der Islam für
ergeben.                                         die christliche Gemeinde darstellt, möchte
                                                 diese Erklärung Christen helfen, geistlich zu
Um die Brisanz der behandelten Fragen deut-      unterscheiden, sie zum Zeugnis unter Mus-
lich zu machen, haben wir in den meisten         limen ermutigen und beim Zusammenleben
Fällen nicht nur unsere christliche, sondern     im Alltag Wegweisung geben. Wir beglei-
auch eine allgemein verbreitete, traditionel-    ten diese Erklärung mit unserem Gebet und
le muslimische Auffassung zu Wort kommen         bekräftigen, dass das folgende Wort Jesu
lassen. Wir haben uns dabei um eine faire,       Christi auch im Blick auf den Islam gilt: „Mir
korrekte Darstellung der muslimischen Po-        ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf
sition bemüht. Um die Unterschiede in der        Erden. Darum gehet hin und machet zu Jün-
Textgestalt hervortreten zu lassen, haben        gern alle Völker: Taufet sie auf den Namen
wir die muslimische Sicht jeweils eingerückt     des Vaters und des Sohnes und des Heiligen
gedruckt.                                        Geistes, und lehret sie halten alles, was ich
Die Koranstellen sind nach der heute all-        euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei
gemein üblichen Kairoer Zählung genannt.         euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ (Mat-
Sofern koranische Ausdrücke zitiert werden,      thäus 28, 18-20)
geschieht das nach der Übersetzung von R.
Paret (11. Aufl. Stuttgart 2012). Die Bibel-
zitate sind der letzten Revision der Überset-
zung Martin Luthers von 1984 entnommen.
Auf ein Problem möchten wir besonders
aufmerksam machen. Christen und Musli-
me bekennen jeweils, dass es nur ‚einen

                                                                                             3
Christlicher Glaube und Islam - Die Evangelische Allianz in Deutschland
1. Teil
Formale Gemeinsamkeiten und inhaltliche Gegensätze im Glauben von
Christen und Muslimen - eine Beurteilung aus biblischer Sicht

Eine angemessene Einschätzung des Islam wird durch den Umstand erschwert, dass angesichts
ähnlicher Begriffe - oberflächlich betrachtet ‑ manche Gemeinsamkeiten zwischen christlichem
und islamischem Glauben zu bestehen scheinen. Diese ähnlichen Begriffe und formalen Ge-
meinsamkeiten können allzu leicht den Blick für die grundlegenden Unterschiede zwischen den
Aussagen von Bibel und Koran verdecken. Einzelne biblische und koranische Aussagen müssen
jedoch jeweils aus der Mitte ihrer Gesamtaussagen heraus verstanden werden. Die folgende
Übersicht möchte das an den wichtigsten Themen des Glaubens deutlich machen. Dabei werden
einleitend jeweils die formalen Gemeinsamkeiten genannt.

1.1 Offenbarung                                 lah verbunden sind. Inhaltlich beziehen sich
Sowohl Christen als auch Muslime gründen        diese Offenbarungen zu einem erheblichen
ihren Glauben auf Offenbarungsereignis-         Teil auf Ereignisse, die Mohammed nicht
se, die jeweils zur Abfassung eines Buches      selbst erlebt hat. Der Koran enthält u. a.
geführt haben. Die ‚Heilige Schrift‘ (Bibel)    Texte, die - zumeist inhaltlich deutlich ab-
und der ‚Edle Koran‘ gelten in der jeweiligen   weichend - Themen der biblischen Heilsge-
Religion bis heute als die wesentliche Weg-     schichte aufgreifen.
weisung für das Leben und den Glauben der
Menschen.                                       1.1.2 Für Christen ist die Bibel Gottes zuver-
                                                lässiges Wort. Der Heilige Geist überwachte
1.1.1 Der christliche Glaube gründet sich auf   ihre Niederschrift und ihre Überlieferung.
Offenbarungsereignisse, die geschichtlich       Er macht dem Hörer das geschriebene Wort
zugänglich sind, von vielen Augenzeugen         jeweils neu als Gottes Wort lebendig. Zwar
berichtet wurden, einen Zeitraum von rund       wurde dem AT später das NT hinzugefügt,
2000 Jahren umfassen und eng mit der Ge-        aber nach dessen Offenbarung kann die
schichte des Volkes Israel verbunden sind.      Bibel nicht mehr durch spätere Schriften
In diesen Ereignissen hat sich Gott unmit-      ergänzt oder korrigiert werden, sondern
telbar, durch Engel, durch bevollmächtigte      bleibt in Ewigkeit gültiges Gotteswort. Da
Menschen und abschließend in seinem Sohn        der Koran der Bibel an zentralen Punkten wi-
Jesus Christus offenbart.                       derspricht, kann Mohammed nicht Prophet
Der islamische Glaube gründet sich auf Of-      Gottes und der Koran nicht eine Offenbarung
fenbarungsereignisse, die einen Zeitraum        Gottes sein.
von weniger als 25 Jahren umfassen und          Für Muslime ist der Koran das reine, unver-
eng mit der Lebensgeschichte des Arabers        fälschte, die früheren heiligen Schriften der
Mohammed (arab. Muhammad) Ben Abdul-            Juden und Christen korrigierende und über-

4
bietende, letztgültige Wort Gottes - eine ge-    Menschen im Gericht zur Verantwortung zie-
treue Wiedergabe der himmlischen Urschrift.      hen wird.
Wo immer die Bibel vom Koran abweicht, sei
sie von Juden und Christen verfälscht wor-       1.2.1 Die Bibel bezeugt den einen Gott, den
den.                                             Herrn, als ewig, allmächtig, allwissend, hei-
                                                 lig und vollkommen (vgl. z.B. 2. Mose 15,11;
1.1.3. Die Bibel ist das Zeugnis von Gottes      Psalm 147,5), zugleich aber als gerecht,
Offenbarungshandeln und zugleich selbst          wahrhaftig, barmherzig, als Leben, Licht
göttliche Offenbarung. Der Heilige Geist         und Liebe (vgl. z.B. 1. Johannes 4,16).
(vgl. 2. Petrus 1,21) hat die Persönlichkeit     Auch der Koran spricht von Gott als dem
der verschiedenen Schreiber nicht ausge-         Ewigen, Einzigen, Allmächtigen, Allwissen-
schaltet und sich beim Offenbarungsvor-          den und Barmherzigen (vgl. z.B. Sure 2,255;
gang Menschen unterschiedlicher Sprache          59,22-24), dessen Wesen aber letztlich ver-
bedient.                                         borgen bleibt, weil er zu erhaben ist, um
Nach islamischem Glauben ist der Koran Mo-       von Menschen erkannt zu werden.
hammed durch Vermittlung des Engels Ga-
briel direkt von Gott ohne Beteiligung der       1.2.2 Nach dem biblischen Zeugnis schuf
Persönlichkeit Mohammeds in arabischer           Gott, der Herr, den Menschen, um sich ihm
Sprache eingegeben worden. Damit sei seine       als seinem ‚Ebenbild‘ persönlich zuzuwen-
Unverfälschtheit garantiert.                     den. Er hat sich in seinen Bundesschlüssen
                                                 verbindlich festgelegt und schenkt dem
1.1.4 Die Heilige Schrift ist der alleinige      Menschen, der an Jesus Christus glaubt, Ge-
Maßstab für Glauben und Leben der Chris-         wissheit des Heils. Er offenbart dem Men-
ten. Sie verstehen die Bibel aber nicht ein-     schen sein Wesen in der Schöpfung (Römer
fach als ‚Gesetzbuch‘. Christen orientieren      1,18-20), in der biblischen Heilsgeschichte
sich im Hören auf die Heilige Schrift und        und abschließend in seinem Sohn Jesus
unter der Leitung des Heiligen Geistes an        Christus (Hebräer 1,1‑3). In der Menschwer-
Jesus Christus.                                  dung des Wortes Gottes in Jesus Christus ist
Für Muslime hat neben dem Koran die „Sun-        die - durch die Sünde entstandene - Tren-
na“, d. h. die Summe der überlieferten Worte     nung zwischen Gott und Mensch überwun-
und Handlungen Mohammeds Verbindlich-            den worden (Johannes 1,12‑17).
keit für die Auslegung des Korans und für        Nach islamischem Glauben ist Gott letztlich
das Leben der muslimischen Gemeinschaft.         eine unpersönliche Macht, die dem Men-
                                                 schen zwar nahe sein kann, aber nicht in
1.2 Gott                                         einer Ich-Du-Beziehung. Gott bleibt in sich
Sowohl Christen als auch Muslime glauben,        eins, in seiner Allmacht absolut frei und
dass der eine Gott der Schöpfer des Himmels      letztlich von seinen Geschöpfen getrennt.
und der Erde und jedes einzelnen Menschen        Er hat durch seine Propheten seinen Willen
ist. Er ist deshalb von ihnen anzubeten und      und das drohende Gericht verkünden lassen.
zu loben. Sie glauben, dass er allein die Ant-   Erst im Gericht erfährt der Mensch, welches
wort auf die letzten Fragen des Menschseins      ewige Schicksal ihm Gott bestimmt hat.
und der Welt ist und am Ende der Zeiten alle

                                                                                            5
1.2.3 Für Christen ist Gott, der Herr, der eine    te‘ und vereint die alttestamentlichen Ämter
Gott, neben dem kein anderer Gott verehrt          des Priesters, des Propheten und des Königs.
werden darf (2. Mose 20, 1-3). Der eine Gott       Dieser Christus ist Jesus von Nazareth, d.h.
Israels hat sich durch den Heiligen Geist als      „der rettende Herr“.
Vater des Herrn Jesus Christus offenbart und       Der Titel ‚Christus‘ (arab. al‑masih) wird im
damit als der dreieinige Gott, Vater, Sohn         Koran (z.B. Sure 3,45) in Verbindung mit Isa
und Heiliger Geist. - Die Mutter Jesu, Maria,      (gemeint ist Jesus) verwendet. Es ist unklar,
war ein Mensch und hat nicht Teil an der           was Mohammed unter diesem Titel verstan-
Dreieinigkeit, wie der Koran den Christen          den hat. Der Name Isa hat keine besondere
fälschlicherweise unterstellt (Sure 5,116).        Bedeutung. Im Koran wird Jesus im Allge-
Muslime betonen die absolute Einheit Got-          meinen als ‚Sohn der Maria‘ bezeichnet.
tes. Für sie ist der Glaube an die Dreiei-
nigkeit Gottes letztlich ‚Vielgötterei‘ und        1.3.2 Nach dem Zeugnis der Bibel wurde
damit die schlimmste Sünde, deren sich der         Jesus Christus durch den Heiligen Geist in
Mensch schuldig machen kann (vgl. Sure             Maria ‚empfangen‘ (Lukas 1,35) und während
5,72ff; 4,171).                                    der Regierungszeit des römischen Kaisers
                                                   Augustus in Bethlehem in einem Stall gebo-
1.2.4 Gottes ‚eingeborener‘ Sohn ist Jesus         ren. Er kam als der im Alten Testament ver-
Christus. Er ist Gottes lebendiges Wort und        heißene Erlöser in die Welt, ist das Mensch
als solches selbst Gott (Johannes 1,1). Wer        gewordene Wort Gottes (Johannes 1,14) und
Gott, den Herrn, als Vater anruft, ist durch       deshalb ‚wahrer Gott und wahrer Mensch‘
den Tod und die Erlösung Jesu Christi Gottes       zugleich.
Kind geworden: „Der Geist selbst gibt Zeug-        Gemäß dem Koran war Jesus nur Mensch
nis unserm Geist, dass wir Gottes Kinder           (Sure 5,116), wurde durch ein Befehls-
sind.“ (Römer 8,16)                                wort Gottes (Sure 3,59) in Maria (Mirjam),
Nach islamischem Glauben hat Gott als der          der Schwester von Mose und Aaron (Sure
Schöpfer weder geistliche noch leibliche           19,28), geschaffen und zu einer nicht nä-
Kinder (vgl. Sure 10,68; 112) und kann des-        her bestimmbaren Zeit unter einer Palme
halb nicht der Vater Jesu Christi sein. Musli-     geboren (Sure 19,16-33). Im Islam gilt Je-
me verstehen sich nicht als Kinder, sondern        sus als einer der bedeutendsten Propheten
als Diener (Knechte, ‚Ergebene‘) Gottes.           und Gesandten Gottes. Nur von ihm wird im
                                                   Koran gesagt, dass er ‚sein Wort‘ (d.h. ‚Wort
1.3 Jesus Christus                                 von Gott‘) und ‚ein Geist von ihm‘ (d.h. von
Bibel und Koran berichten von Jesus Chris-         Gott) sei (4,171).
tus nur wenig Gemeinsames: Gott hat Je-
sus (als Christus) zu den Juden gesandt; er        1.3.3 Die Evangelien berichten ausführlich
wurde von der Jungfrau Maria geboren, hat          über das Wirken und Lehren Jesu Christi. Es
gepredigt und Wunder gewirkt. Er ist in den        war ein beständiger Ruf zum Vertrauen auf
Himmel aufgenommen worden.                         den Vater im Himmel und eine Einladung,
                                                   Jesus nachzufolgen und seine Erlösung an-
1.3.1 Der biblische Titel ‚Christus‘ (‚Messias‘)   zunehmen. In seinem heilenden und retten-
bedeutet ‚der mit dem Heiligen Geist Gesalb-       den Wirken gingen die Verheißungen der

6
alttestamentlichen Propheten in Erfüllung.     erwirkte stellvertretend Erlösung für alle
Deshalb erwarten Christen keinen weiteren,     Verlorenen, die im Glauben an ihn nun frei-
ihn überbietenden Gesandten Gottes nach        en Zugang zum himmlischen Vater haben
Jesus Christus.                                (1. Petrus 1,18‑19; Epheser 2,18).
Nach dem Koran sollte Jesus die Juden vor      Jesus Christus regiert die Welt und wird am
dem drohenden Gericht Gottes warnen. Sei-      Ende der Zeit für alle Menschen sichtbar als
ne Verkündigung habe sich grundsätzlich        der Weltenrichter erscheinen.
nicht von der Mohammeds und der früheren       Nach dem Koran ist Jesus nicht gekreuzigt
Gesandten unterschieden. Der Koran sagt,       worden und nicht auferstanden. Eine Kreuzi-
dass Jesus Wunder tat, Kranke heilte, Tote     gung wäre eine schmachvolle Niederlage für
zum Leben erweckte und übernatürliches         Gott und seinen Gesandten gewesen. Jesus
Wissen besaß (Sure 3,49). Jesus habe von       hätte mit seinem Tod auch keine Erlösung
Gott eine Schrift als Offenbarung erhalten     erwirken können. - Über Jesu irdisches Ende
(das Evangelium, arab. injil). Dennoch sei     macht der Koran keine klaren Angaben. Ver-
Jesus nur einer der Propheten, der von Mo-     breitet ist die Deutung, dass Gott ihn vor
hammed als dem letzten Propheten der Ge-       seinem Tod vor seinen Feinden entrückt
schichte an Bedeutung übertroffen werde.       habe und einen anderen - genannt wird
                                               meistens Judas - an seiner Stelle kreuzigen
1.3.4 Gemäß dem Johannes-Evangelium            ließ (vgl. Sure 4,157‑158). Die meisten Mus-
(Kap. 14 und 16) kündigte Jesus Christus       lime glauben, dass Jesus jetzt lebendig im
das Kommen des Geistes Gottes als Tröster      Himmel ist. Nach islamischen Überlieferun-
an, der in den Gläubigen wohnt (Johannes       gen werde Jesus vor dem Ende der Zeit auf
14,17). Christen können nicht anerkennen,      die Erde zurückkehren, u.a. alle Kreuze ver-
dass damit Mohammed gemeint sei (vgl.          nichten und alle Menschen zum Islam rufen.
dazu Sure 61,6). Dieser entspricht nicht den   Er werde dann sterben und wie alle anderen
biblischen Kriterien für einen Propheten       Menschen zum Jüngsten Gericht auferweckt
Gottes.                                        werden.
Der Koran nennt Mohammed das ‚Siegel der
Propheten‘ (Sure 33,40) und erhebt ihn da-     1.4 Sünde, Glauben und Vergebung
mit über Jesus Christus. Muslime glauben,      Bibel und Koran betonen, dass es Gottes
dass Mohammeds Kommen schon in der             Willen entspreche, an Gott zu glauben und
‚Thora‘ (dem Alten Testament) und im ‚Evan-    nach seinen Geboten zu leben. Vor Gott,
gelium‘ (dem Neuen Testament) angekündigt      dem Schöpfer, müssen sich alle Menschen
wurde (Sure 7,157).                            verantworten. Durch die Übertretung der Ge-
                                               bote Gottes werden die Menschen vor Gott
1.3.5 Nach den biblischen Berichten war es     schuldig und bedürfen seiner Barmherzigkeit
Gottes Wille, dass Jesus Christus gekreuzigt   und Vergebung. Bibel und Koran kennen so-
wurde, starb, in ein Grab gelegt wurde, am     wohl ewiges Heil als auch ewige Strafe.
dritten Tag danach auferstand und nach 40      1.4.1 Die Bibel bezeugt, dass Adam und Eva
Tagen zu seinem himmlischen Vater erhoben      im Paradies Gottes Gebot übertraten und
wurde. Dadurch errang er den Sieg über die     damit die Sünde, die Trennung von Gott
Macht der Sünde und den ewigen Tod und         und den Tod für alle Menschen in die Welt

                                                                                         7
brachten. Da der Tod die Folge der Sünde ist,    1.4.3 Die Bibel bezeugt die Gerechtigkeit
ist Versöhnung mit Gott nur durch den Süh-       Gottes in Gnade und Gericht. Gott ist ge-
netod des sündlosen Jesus Christus möglich       recht und macht den an ihn glaubenden
(2. Korinther 5,18‑21).                          Menschen gerecht. Er wendet sich in seiner
Nach dem Koran haben Adam und seine Frau         Liebe dem Menschen zu und schenkt ihm das
wohl Gottes Gebot übertreten und deshalb         ewige Leben. Nach dem Zeugnis des Alten
das Paradies verloren, aber in ihrem Verhält-    Testaments hat Gott seine heilschaffende
nis zu Gott habe sich grundsätzlich nichts       Gerechtigkeit zuerst an seinem Volk Israel
geändert (vgl. Sure 2,35-39). Der Islam          erwiesen. Endgültig und für alle Menschen
kennt nicht die Tiefe des ‚Sündenfalls‘ und      ist Gottes Gerechtigkeit offenbar geworden
lehnt eine ‚Erbsünde‘ ab. Der Tod sei nicht      im stellvertretenden Sühnetod Jesu Christi
die Folge der Sünde, sondern im Willen Got-      am Kreuz. Am Kreuz hat Gott die Sünde in
tes begründet.                                   ihrer unheilvollen Macht enthüllt und durch
                                                 die in Jesu Tod und Auferstehung geschenk-
1.4.2 Die Bibel macht deutlich, dass der         te Versöhnung überwunden. Die so bewirkte
Mensch seit dem Sündenfall böse ist (vgl.        Sühne und Erlösung wird im Evangelium al-
Römer 3,10-12). Seine Sünden richten sich        len Menschen angeboten. Wer sie im Glau-
nicht nur gegen seine Mitmenschen, sondern       ben annimmt, ist gerettet. Wer diese Gnade
letztlich gegen Gott selbst (vgl. Psalm 51,6).   ablehnt, ist verloren und verfällt dem Ge-
Er kann deshalb seine Schuld nicht wieder        richt Gottes.
gut machen. Solche eigenmächtigen Versu-         Nach islamischem Glauben kann der Mensch
che führen zum Hochmut vor Gott (Epheser         seine Sünden durch ‚gute Taten‘ ausglei-
2,9) und damit zu größerer Verfehlung.           chen. Die Strafe Gottes im Gericht könne
Muslime glauben, dass der Mensch stets in        also davon abhängen, wie viele ‚gute und
der Lage sei, sich zwischen dem Guten und        schlechte Taten‘ der Mensch begangen habe.
dem Bösen zu entscheiden. Er könne das           Über den Ausgang von Gottes Gericht könne
Gute tun und durch das Einhalten der Gebo-       es dennoch keine Gewissheit geben, weil nur
te auf Gottes Gunst und Belohnung hoffen.        die Engel die menschlichen Taten gegenein-
Wenn er jedoch gegen Gottes Gebote ver-          ander abwiegen können und Gott im Verge-
stoße, schade er in erster Linie sich selbst     ben und Strafen letztlich frei sei.
(Sure 7,23).

8
1.4.4 Nach christlicher Überzeugung heißt        Gewissheit der Vergebung und des Eingangs
Glauben zuallererst, dass der Mensch dem         in das Paradies haben. Weil Gott allmächtig
Handeln Gottes vertraut, seine eigene            und frei ist, sei sein Handeln nicht eindeutig
Schuld einsieht und die Erlösung durch Je-       festzulegen. Nur die im Kampf (arab. djihad
sus Christus als Geschenk für sich annimmt.      und qital) für die Sache Gottes gefallenen
Das Evangelium ist die Frohe Botschaft von       Muslime (Märtyrer) können des Paradieses
der Befreiung aus Sünde, Schuld und ewi-         gewiss sein (vgl. Sure 2,154) – viele Musli-
gem Tod (vgl. 1. Timotheus 1,15). Gott sieht     me würden formulieren: vorausgesetzt, ihre
den glaubenden Menschen an, als hätte er         Motive sind aufrichtig und der Kampf gilt
nicht gesündigt (Römer 8,1), und nimmt ihn       wirklich der Sache Gottes.
als sein Kind an. Die Glaubenden leben aus
der Kraft des Heiligen Geistes, halten sich in
Dankbarkeit an die Gebote Gottes und glau-       1.5 Der Heilige Geist
ben an die in der Heiligen Schrift bezeug-       Die formalen Gemeinsamkeiten zwischen
ten Heilstaten Gottes (vgl. z.B. 1. Korinther    Bibel und Koran sind an dieser Stelle sehr
15,3-5).                                         gering.
Im Islam bedeutet Glaube vor allem, Gottes
Existenz anzuerkennen, sich ihm zu unter-        1.5.1 Die Bibel bezeugt Gottes Geist als den
werfen (d.h. Muslim zu sein), ihm Dankbar-       Heiligen Geist, der Menschen von Sünde und
keit zu erweisen und die fünf Hauptpflichten     Ungerechtigkeit überführt (Johannes 16,8).
zu befolgen (Bekenntnis des Glaubens, Ge-        Er ist Person in der göttlichen Dreieinigkeit.
bet, Fasten, Almosen und Pilgerfahrt). Zum       Er geht vom Vater und dem Sohn aus (Jo-
Glauben gehört ferner die Anerkennung des        hannes 15,26). Durch ihn werden die an Je-
Prophetentums Mohammeds und der frühe-           sus Christus Glaubenden zu Kindern Gottes
ren Propheten, der heiligen Bücher, der En-      (Römer 8,14), mit Geistesgaben ausgerüstet
gel, des Gerichtes und des Lebens nach dem       und mit der ‚Frucht des Geistes‘ beschenkt
Tod (vgl. Sure 2,177) sowie der Einsatz für      (Galater 5,22; 1. Korinther 12,4-9). Der Hei-
‚die Sache Gottes‘ bis hin zum bewaffneten       lige Geist ist der von Jesus verheißene ‚Trös-
Kampf.                                           ter‘ (Johannes 16,7), der die Beter vor Gott
                                                 vertritt (Römer 8,26).
1.4.5 Gemäß dem Evangelium gründet der           Der Koran kennt einen ‚Geist der Heiligkeit‘
Gläubige, der seine Sünde bereut, die Ge-        (der z.B. Jesus ‚gestärkt‘ habe, Sure 2,87).
wissheit seines Heils auf die zuverlässigen      Die Bedeutung des ‚Geistes der Heiligkeit‘
Zusagen Gottes in seinem Wort (vgl. 1. Jo-       bleibt unklar und bezieht sich nicht auf die
hannes 1,9; 3,1). Weil er sich in seinem Le-     Sünde und deren Aufdeckung.
ben auf den Sühnetod Jesu Christi verlässt
und nicht auf seine Werke (Epheser 2,8f),        1.5.2 Der Geist Gottes wirkte in den Schrei-
erfährt er im letzten Gericht seine endgül-      bern der biblischen Bücher. Am Pfingstfest
tige Rettung.                                    wurde er als Zeichen der neuen Heilszeit
Der seine Sünde bereuende Muslim hofft auf       über Menschen aus vielen Völkern ‚ausgegos-
Gottes Vergebung und Barmherzigkeit, die         sen‘. Er begründete die Kirche Jesu Christi
im Koran gerühmt wird (z.B. Sure 3,31). Er       und wirkt in ihr bis heute. Nach islamischer
kann jedoch im gegenwärtigen Leben keine         Lehre begleitete der ‚Geist‘ die Offenbarung

                                                                                             9
der Schriften, die auf die Gesandten herab-      und Christen Informationen über einzelne
gesandt wurden (auf Mose die Torah, auf Da-      biblische Personen und Inhalte erhielt.
vid die Psalmen, auf Jesus das Evangelium        Ähnliche Begriffe stehen jedoch nicht un-
und auf Mohammed der Koran, vgl. 16,102).        bedingt für gleiche Inhalte. Gerade an Jesus
Für die Existenz der islamischen Weltge-         Christus werden die zentralen Unterschiede
meinschaft (arab. umma) spielt der ‚Geist‘       zwischen Bibel und Koran sichtbar. Die Er-
keine Rolle.                                     lösungsbedürftigkeit des Menschen, die Got-
                                                 tessohnschaft Jesu, sein Sühnetod am Kreuz
Zusammenfassung                                  und die Dreieinigkeit Gottes sind unaufgeb-
                                                 bare Eckpfeiler biblischen Glaubens, aus der
Zwischen christlichem und islamischem            Sicht des Islam aber gotteslästerliche Ver-
Glauben gibt es formal Gemeinsamkeiten.          irrungen. Aufgrund dieser zentralen Unter-
Personen aus dem Alten Testament - z.B.          schiede ist offensichtlich, dass der Glaube
Adam, Noah, Abraham, Josef, Mose, Hiob,          an den von der Heiligen Schrift bezeugten
David, Salomo und Jona - begegnen uns im         einen allmächtigen Schöpfer und Vater Jesu
Koran. Selbst Jesus Christus und der ‚Geist      Christi nicht mit der Unterwerfung unter den
der Heiligkeit‘ werden dort erwähnt. Das         von Muhammad verkündeten und im Koran
hängt damit zusammen, dass Mohammed              beschriebenen Gott vereinbar ist. Der Koran
rund 600 Jahre nach Jesus Christus lebte         lehnt den biblischen Glauben als falsch ab
(etwa 570 bis 632 n.Chr.) und von Juden          und betrachtet Christen als Irrende.

2. Teil
Zum christlichen Zeugnis unter Muslimen in Deutschland

2.1 Das Wesen der Einladung zum Glauben          eignis im Leben jedes einzelnen Menschen
2.1.1 Das Wesen der Mission im christlichen      Wirklichkeit werden, der sich im Glauben
Glauben                                          Jesus Christus anvertraut. Darum gründet
Gott „will, dass allen Menschen geholfen         christliche Mission in dem Wesen des drei-
werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit        einigen Gottes, der seine Nachfolger be-
kommen.“ (1. Timotheus 2,4) Deshalb hat          auftragte, die Herrschaft Gottes und das
der lebendige Gott sich in der Geschichte        Evangelium allen Menschen zu verkündigen:
dem Volk des Alten Bundes bekannt gemacht        Denn „in keinem andern ist das Heil, auch
und ihm seinen Heilswillen im Alten Testa-       ist kein anderer Name unter dem Himmel
ment offenbart. In der ‚Mitte der Zeit‘ ist er   den Menschen gegeben, durch den wir sol-
selbst in seinem Sohn Jesus Christus Mensch      len selig werden.“ (Apostelgeschichte 4,12)
geworden und hat in Kreuz und Auferste-          Jesus Christus selbst bezeugte: „Das ist aber
hung Jesu den Weg zum Heil eröffnet.             das ewige Leben, dass sie dich, der du allein
Der vom Vater und vom Sohn ausgegange-           wahrer Gott bist, und den du gesandt hast,
ne Heilige Geist lässt dieses historische Er-    Jesus Christus, erkennen.“ (Johannes 17,3)

10
Die Nachfolger Jesu Christi werden in sei-      Kampf auf (Sure 9,5). Dieser ‚Ruf‘, sich dem
ne Sendung (= Mission) mit hineingenom-         Willen Gottes zu unterwerfen, ist diesseitig
men, denn Jesus sagte zu seinen Jüngern:        orientiert und zielt darauf ab, die ganze Welt
„Wie mich der Vater gesandt hat, so sende       der Herrschaft Gottes und seinem Gesetz un-
ich euch.“ (Johannes 20,21) Im Gehorsam         terzuordnen. Jeder Muslim wird als Glied der
gegen Jesus Christus und in der Glaubens-       islamischen Weltgemeinschaft (arab. umma)
und Gewissensbindung an seine Gebote wis-       angesehen, die zur Herrschaft über andere
sen sich Christen aller Zeiten berufen, allen   berufen ist.
Menschen das Evangelium zu verkündigen.
Daher erhält die christliche Mission ihre       Der Islam versteht sich als eine auf Ausbrei-
Berechtigung nicht durch hegemoniales Er-       tung bedachte Religion mit einem letztgül-
folgsdenken, kulturellen Imperialismus oder     tigen und universalen Anspruch und teilt
westliche Arroganz, sondern ist Gehorsam        deshalb die Welt schon in der mittelalterli-
gegen Gott, dessen Liebe uns drängt, sie        chen Theologie in zwei Regionen ein: in das
allen Menschen zu bezeugen. Diese Liebe         ‚Haus des Islams‘, in dem die islamische Ord-
Gottes ist geoffenbart in seinem Sohn Jesus     nung aufgerichtet wurde und das islamische
Christus und bestätigt durch den Heiligen       Gesetz (arab. shari‘a) gilt, und in das ‚Haus
Geist. Ihre wesentliche Aufgabe ist es, Men-    des Krieges‘, das noch für den Islam gewon-
schen in die lebendige Begegnung mit Jesus      nen werden muss. Heute wird als dritte Ka-
Christus zu führen. Wo immer es Menschen        tegorie außerdem häufig das ‘Haus des Ver-
gibt, die ihn noch nicht kennen oder falsche    trages‘ genannt, das zwar kein islamisches
Vorstellungen von ihm haben, gilt es, in        Gebiet bezeichnet, in dem Muslime jedoch
Treue, Liebe und Beharrlichkeit Jesus Chris-    ihren Glauben ungehindert ausüben können.
tus durch Wort und Tat zu bezeugen.             Prinzipiell wird davon ausgegangen, dass
Die Verpflichtung zum Zeugnis, auch unter       das ‘Haus des Krieges‘ und das ‘Haus des
Muslimen, gründet in der Zusage des aufer-      Vertrages‘ in das ‘Haus des Islam‘ überführt
standenen Herrn: „Mir ist gegeben alle Ge-      werden müssen. Sowohl die friedliche Ein-
walt im Himmel und auf Erden. Darum gehet       ladung zur Hinwendung zum Islam als auch
hin und machet zu Jüngern alle Völker: Tau-     die gewaltsame Unterwerfung von Gebieten
fet sie auf den Namen des Vaters und des        unter die ‚islamische Ordnung‘ werden bis
Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret      heute von islamischen Theologen als prin-
sie halten alles, was ich euch befohlen habe.   zipiell berechtigt angesehen, um den Islam
Und siehe: Ich bin bei euch alle Tage bis an    aufzurichten.
der Welt Ende.“ (Matthäus 28,18-20)
                                                Dafür gibt es zwei Begründungen. Muslime
2.1.2 Das Wesen der Einladung zum Islam         glauben erstens, dass durch den Islam alle
(arab. da‘wa = ‚Ruf‘)                           vorhergehenden göttlichen Offenbarungen
Der ‚Ruf zum Islam‘ (vgl. z. B. Sure 61,11)     (auch der jüdische und der christliche Glau-
ist für Muslime ein Teil der ‚Bemühung für      be und die aus ihnen entstandenen Gemein-
Gott‘. Der Koran spricht einerseits von der     schaften) korrigiert und als ‘verfälschte Bot-
friedlichen Einladung (Sure 16,125) zum         schaften‘ abgelöst worden sind.
Islam an Nicht-Muslime, fordert aber ande-      Zweitens lehnen die meisten islamischen
rerseits auch entschieden zum bewaffneten       Theologen und Juristen die Trennung von

                                                                                           11
Staat und Religion ab. Entsprechend dem        schen, die in der Gemeinschaft mit Jesus
Vorbild Mohammeds, der zugleich Prophet,       Christus leben, werden in ihrem Herzen von
Gesetzgeber und Heerführer war, versteht       diesem Geist der Liebe Gottes bestimmt.
die überwiegende Mehrheit der islamischen      Er ist und bleibt das Fundament und die
Gelehrten in der Geschichte wie auch heute     treibende Kraft allen Engagements in der
den Islam als eine Glaubens- und Lebens-       Mission. Nur unter dieser Voraussetzung
weise sowie eine Rechtsordnung, welche die     kann die Kirche Jesu Christi ihrem Auftrag,
Gesellschaften und Staaten umfassend prä-      das Heilshandeln Gottes zu verkündigen,
gen soll. Die islamische Theologie hält bis    gerecht werden.
heute daran fest, dass der Islam eine welt-    Dabei hat sie sich solcher Methoden zu be-
umspannende Gemeinschaft unter Gottes          dienen, bei denen die Würde eines jeden
Geboten (Theokratie) werden muss.              Menschen gewahrt und seine freie Ent-
Deshalb gründet die muslimische Ablehnung      scheidung für oder gegen die christliche
des biblischen Evangeliums nicht nur in        Botschaft geachtet wird. Deshalb hat die
der kämpferischen Auseinandersetzung mit       christliche Mission nichts zu tun mit Über-
dem Christentum in der Geschichte, sondern     legenheitsdenken und -gefühl, mit irgend-
ebenso in den tiefen Glaubensunterschie-       einer Form von Militarismus und Unterdrü-
den. Die Besonderheiten der islamischen        ckung - wie sie z.B. in den Kreuzzügen und
Theologie werden erst in der Gegenüberstel-    teilweise in der Kolonialzeit praktiziert
lung mit dem Evangelium klar ersichtlich.      wurden - und mit jedweder Art von Aus-
In der säkularisierten, westlichen Gesell-     nutzung sozialer, wirtschaftlicher oder bil-
schaft herrscht die Auffassung vor, dass       dungsmäßiger Schwächen von Menschen,
der christliche Glaube nur eines von vielen    um sie zum christlichen Glauben zu nötigen
gleichwertigen religiösen Phänomenen sei.      oder zu verführen.
Wo diese Auffassung als Ausdruck religiöser    Vielmehr hat die christliche Gemeinde in
Toleranz vertreten wird, werden Christen in    ihrer Mission um der Wahrhaftigkeit und
Europa im Blick auf die Einzigartigkeit des    der Ehrlichkeit willen folgendes zu beach-
Evangeliums verunsichert und bleiben mög-      ten:
licherweise ihren Mitmenschen das Evange-      - Sie soll sich immer wieder neu auf die
lium schuldig. Dazu besteht gerade in Bezug    Grundlage und den Inhalt des ihr anver-
auf den Islam in Europa keinerlei Veranlas-    trauten christlichen Glaubens besinnen.
sung, da viele Muslime in Europa kein ‚ge-     - Sie muss die Menschen mit den Augen
brochenes Verhältnis‘ zu ihrer Verpflichtung   Jesu Christi sehen, sich von seiner Liebe
haben, Menschen zur Annahme des Islam          anleiten lassen und so die Mauern des Miss-
aufzufordern und zudem an Glaubensgesprä-      trauens überwinden.
chen häufig interessiert sind.                 - Sie hat sich umfassend über Religion,
                                               Kultur, Gedankenwelt und Umfeld ihrer Mit-
2.2 Die Methoden der Werbung für den           menschen aus erster Hand zu informieren
Glauben                                        und sich zu bemühen, diese zu verstehen.
2.2.1 Methoden der christlichen Mission        - Die Evangeliumsverkündigung hat ihren
„Es soll nicht durch Heer oder Kraft, son-     unaufgebbaren Platz auch im gegenseitigen
dern durch meinen Geist geschehen, spricht     offenen Gespräch (Dialog) mit Menschen
der HERR Zebaoth“ (Sacharja 4,6). Men-         aller Religionen.

12
Weitere Broschüren

Diese und weitere Arbeitshilfen werden herausgegeben von der Deutschen Evangelischen
Allianz. Gerne senden wir Ihnen weitere Exemplare zu. Auf dieser und der nächsten Seite
finden Sie eine aktuelle Liste der Auswahl von Arbeitsmaterialien, Broschüren und Schriften,
die Sie bei uns bestellen können. Der Versand geschieht ohne Rechnungsstellung.

Wir rechnen aber damit, dass uns viele Freunde mit freiwilligen Gaben und Spenden bei der
Finanzierung dieser Schriften und der Verteilung unterstützen.
Wir sind als gemeinnützig anerkennt und können Ihnen deshalb gerne steuerlich verwertbare
Zuwendungsbestätigungen zustellen. Unsere Bankverbindung: 416800 bei der Evangelischen
Kreditgenossenschaft Kassel, BLZ 520 604 10.

Alle Broschüren und weitere Informationen finden Sie auch im Internet unter www.ead.de

       30 Tage Gebet für die islamische Welt – jährliche Gebetsinformation
      	
       während des Fastenmonats Ramadan
       30 Tage Gebet für die islamische Welt – Kinder- und Familienausgabe
      	
       Gemeinsam glauben – miteinander handeln
        Die Deutsche Evangelische Allianz stellt sich vor
        Tagungsprogramm des Evangelischen Allianzhaus Bad Blankenburg
       EiNS-Magazin – erscheint viermal jährlich mit unterschiedlichen thematischen Schwer-
      	
       punkten und informiert über die aktuelle Arbeit der Deutschen Evangelischen Allianz
       Gebetskalender - erscheint viermal jährlich mit Gebetsanliegen für jeden Tag des Jahres
      	
       Sucht der Stadt Bestes – Zur Verantwortung der Christen in Staat und Gesellschaft
      	
        Die Würde des Menschen ist die Perle des Rechtsstaates
        Das Recht des Menschen auf Leben
        Die Familie braucht Zukunft
        Der Arbeitskreis für Religionsfreiheit stellt sich vor
        Migranten in Deutschland
        Informationen zur Micha-Initiative – Weltweit Armut halbieren
        PerspektivForum Behinderung
        Arbeitslosigkeit – Herausforderung für Christen und Gemeinden
        Meine Verpflichtung zur Förderung der Einheit
        Die Stiftungen der Evangelischen Allianz
        Ich bin dabei – Freundeskreis der Evangelischen Allianz
Bitte senden Sie mir die folgenden Hefte dieser Reihe zu:

            #01 Wenn Muslime zu Allah beten...      #11 K  önnen Muslime und Christen
            #02 M uslimischer Gebetsruf per              Freunde sein?
                Lautsprecher?                       #12 Können Christen und Muslime
            #03 C hristen und Muslime leben             gemeinsam beten?
                zusammen                            #13 Kindererziehung im Islam
            #04 B raucht der Mensch Erlösung?      #14 Gemeinsames Zeugnis für Gott
                – Warum Muslime den Opfertod              durch die abrahamitischen
                Jesu so schwer verstehen                  Religionen?
            #05 Was kommt nach dem Tod? –           #15 Frauen in der islamischen
                Die Heilsungewissheit im Islam            Gesellschaft
            #06 C hristliches und muslimisches     #16 Der Ahmadiyya-Bewegung
                Gebet - ein Vergleich               #17 Islamische „Mission“ (Da‘wa)
            #07 M enschenrechte – wie der          #18 Schiiten und Sunniten –
                Islam sie versteht                        Unterschiede islamischer
            #08 C hristen in islamischen Gesell-         „Konfessionen“
                schaften                            #19 Moscheen in Europa
            #09 A bfall vom Islam nach Koran
                und Sharia
            #10 W enn Muslime Christen werden
                – Verfolgung und Strafe für
                Konvertiten

Absender:

Name | Vorname

Straße | Hausnr.

PLZ | Ort

Telefon			Fax

E-Mail
Deutsche Evangelische Allianz e.V.

416800                                   8206080

                                     AK Islam

                                                   19
- Eine einseitige Verteidigung des eigenen     Betont werden dabei Friedfertigkeit und
Glaubens (Apologetik) ist zu vermeiden, da     Toleranz sowie Bereitschaft zur Integration
sie leicht zu einer überheblichen Rechtha-     und zum Dialog mit Nicht-Muslimen. Man-
berei führt.                                   che Konvertiten glauben daher, dass die
                                               Schattenseiten, wie etwa die weitgehende
- Niemand darf als Objekt missionarischen      grundsätzliche Bejahung des kämpferischen
Eifers verstanden werden.                      djihad-Gedankens durch islamische Theo-
Alle Menschen, auch Muslime, sind eingela-     logen, reine Unterstellungen seien. Dabei
den, in Ewigkeit in Gemeinschaft mit Gott zu   wird ausgeblendet, dass Mohammed selbst
leben und sich von der Liebe Gottes, die in    zur Ausbreitung des Islam zur Waffe gegrif-
Kreuz und Auferstehung Jesu Christi sichtbar   fen hat. Manche Konvertiten empfinden den
geworden ist, erfassen zu lassen.              Islam als exotisch und faszinierend, ande-
                                               re suchen in den westlich-liberalen Gesell-
2.2.2 Methoden des Rufes zum Islam             schaften nach Halt und Orientierung durch
Die Einladung zum Islam zielt nicht vor al-    klar definierte Werte.
lem auf Einzelbekehrungen ab, sondern ist      Von islamischen Apologeten werden die
bestrebt, einen gesellschaftlichen Wandel      Studien kritisch-westlicher Theologen und
herbeizuführen, indem staatliche Organe,       Philosophen benutzt, um den christlichen
Institutionen und gesellschaftliche Struk-     Glauben als fragwürdig zu „beweisen“. Dabei
turen im Sinne des Islam beeinflusst, ge-      gilt, dass der Islam die zentralen Aussagen
prägt und in Dienst genommen werden. Die       des biblischen Glaubens ablehnt, weil er
finanziellen Mittel dafür kommen sowohl aus    sich seit seinen Anfängen in der Auseinan-
islamischen Ländern und Organisationen als     dersetzung mit dem jüdischen und christli-
auch aus Verbänden innerhalb Europas.          chen Glauben entwickelt hat (s.o. Teil 1).
In Europa bemühen sich Muslime nicht nur
darum, die vorhandenen muslimischen Ge-        Der Islam kann daher als eine - im inhaltli-
meinschaften zu festigen und neue Muslime      chen wie im chronologischen Sinne - nach-
zu gewinnen, sondern vermitteln dort häufig    biblische und nach-christliche Religion
ausschließlich ein Bild vom Islam, das dem     bezeichnet werden, die vordergründig zwar
europäischen Kontext angepasst ist.            eine dem Evangelium ähnlich klingende
                                               Botschaft verkündet, dieses Evangelium im

                                                                                        17
Koran aber entschieden ablehnt und dadurch        in Saudi-Arabien und im Jemen verschwan-
viele Menschen von Kind auf dagegen ein-          den christliche Gemeinden ganz.
nimmt. Nur der Geist des lebendigen Gottes        Christen in den islamisch geprägten Ländern
vermag das christliche Zeugnis zur Wirkung        haben bis heute diesen benachteiligten Sta-
zu bringen und auch Muslimen die Augen für        tus inne und müssen dringend die Freiheit
die „Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu        erhalten, ihren Glauben in vollem Umfang
Christi“ zu öffnen (2. Korinther 4,6).            auszuüben. So wie der Übertritt vom christ-
                                                  lichen Glauben zum Islam zulässig, geför-
2.3 Die Geschichte ist belastet                   dert, mit Vorteilen behaftet - und teilweise
Im Namen des Christentums und durch               weit verbreitet - ist, muss auch Muslimen
‚christliche‘ Staaten und ihre Politik ist Mus-   die volle Gewissensfreiheit zugestanden
limen viel Unrecht und Leid zugefügt wor-         werden, sich für den christlichen Glauben
den, z.B. durch die Kreuzzüge, den Kolonia-       entscheiden zu können, ohne dafür diskri-
lismus oder die Kriege des 20. Jahrhunderts       miniert oder bestraft zu werden.
im Nahen Osten.
Trotz dieser menschlichen Verirrungen und         Wenn der Islam eine Religion des Friedens
anderen falschen Wegen ist das Evangelium         und der Gerechtigkeit sein will, wie seine
im Laufe der fast 2000-jährigen Kirchen-          Vertreter nicht nur im Westen wiederholt
geschichte geglaubt, gelebt und bezeugt,          versichern, ist er verpflichtet, seinen An-
sowie in viele Sprachen übersetzt und von         hängern diese Entscheidungs- und Gewis-
Generation zu Generation in vielen Kultu-         sensfreiheit zu gewähren. Dies würde außer-
ren weitergegeben worden. Gott selbst hat         dem das friedliche Zusammenleben fördern.
in der Geschichte seine Kirche immer wie-
der erneuert und zum Zeugnis befähigt. Ihr        2.4 Muslime in Deutschland und die
Glaube wurde zu allen Zeiten vor ernsthafte       christliche Gemeinde
Herausforderungen gestellt, zu denen auch         Etwa 1,5 Milliarden Muslime leben auf der
der Islam gehört.                                 Welt, davon über 4 Millionen in Deutsch-
Muslime haben die Ausbreitung der isla-           land und 16 bis 20 Millionen in Europa. In
mischen Ordnung und Herrschaft zunächst           Deutschland leben vielleicht 2 Millionen
größtenteils durch Kriegszüge betrieben           Muslime mit deutscher Staatsangehörigkeit.
und viele von Christen bewohnte Länder er-        Unter den Deutschen, die zum Islam überge-
obert. Die einheimischen Christen wurden zu       treten sind, sind nicht mehr nur Frauen, die
‚Schutzbefohlenen‘ (arab. dhimmi) erklärt,        mit Muslimen verheiratet sind. Gerade jun-
was im Alltag mit vielen Benachteiligungen        ge Menschen machen einen beträchtlichen
wirtschaftlicher und gesellschaftlich-politi-     Anteil der deutschen Konvertiten zum Islam
scher Art verbunden war.                          aus. In dieser Situation sollten die christ-
                                                  lichen Gemeinden und Kirchen folgende für
Dadurch sowie durch eine gezielte Steuer-         sie neue Aufgaben übernehmen:
und Heiratspolitik sank die Zahl der Christen     - Die Bemühungen um bessere christlich-
innerhalb der islamischen Herrschaftsge-          islamische Beziehungen dürfen nicht auf ein
biete im Laufe der Jahrhunderte auf einen         faires Verstehen und Beurteilen des Islam
Bruchteil des ursprünglichen Bestandes. In        reduziert werden; vielmehr ist es Aufgabe
anderen Ländern wie in Teilen Nordafrikas,        der Gemeinden und Kirchen, Christen ein

18
geistliches Urteilsvermögen über den Islam      für sich selbst nicht mehr als für andere un-
zu vermitteln, sie für eine missionarische      ter ähnlichen Umständen. Die Freiheit, ‚Re-
Begegnung zu schulen und die Fähigkeit zu       ligion zu bekennen, zu praktizieren und zu
fördern, verständlich über den eigenen Glau-    verbreiten‘, wie es in der Universalen Erklä-
ben zu sprechen.                                rung der Menschenrechte heißt, sollte und
                                                muss ein Recht sein, das man sich gegen-
- Es ist Aufgabe der Kirchen und Gemeinden,     seitig einräumt.“ Da in islamisch geprägten
Muslimen die Missverständnisse über den         Ländern diese beiderseitige Glaubensfreiheit
christlichen Glauben zu erläutern und sie       nicht existiert und nach wie vor in manchen
mit dem ursprünglichen biblischen Zeugnis       Ländern Menschen, die den Islam verlassen
bekannt zu machen. Dazu sollten vermehrt        wollen, mit der Todesstrafe bedroht werden,
Bibeln und Bibelteile in den Sprachen der       sollte alles getan werden, um die Glaubens-
in Mitteleuropa lebenden Muslime sowie den      freiheit als universales Menschenrecht ein-
christlichen Glauben erklärende Schriften,      zufordern.
Videos und Bibelfernkurse an diese Gruppen
verbreitet werden. Auch die Nutzung von         - In allen Gemeinden, Kirchen und christli-
evangelistischen Internetbotschaften, Pod-      chen Organisationen sollten sich Menschen
casts und Videoclips ist zu empfehlen.          der Mission unter Muslimen besonders an-
                                                nehmen. Dazu gehört der Aufbau eines Net-
- In den letzten Jahren ist die Region des      zes von Gebetskreisen, die sich der Fürbitte
Nahen und Mittleren Ostens vermehrt in den      für islamisch geprägte Länder verpflichtet
Fokus der Weltöffentlichkeit gerückt, nicht     wissen. Dies geschieht in der Gewissheit,
zuletzt durch die „Arabischen Revolutionen“.    dass Gott Gebete erhört und seine Botschaft
Christen sollten vermehrt die globalen He-      wirksam werden lässt.
rausforderungen, gerade auch im Blick auf
die christlichen Gemeinden in islamisch ge-     - Die christlichen Gemeinden, besonders
prägten Ländern, wahrnehmen und sich für        ihre Verantwortlichen, Pastoren und Ältes-
die Glaubensfreiheit und das Wohlergehen        ten sollten an Jesus gläubig gewordene ehe-
der christlichen Minderheiten dort einset-      malige Muslime herzlich aufnehmen und sie
zen.                                            in christlicher Lehre und Ethik unterrichten.
                                                Dabei ist zu beachten, dass besonders Men-
- Dies kann glaubwürdig wahrgenommen            schen aus dem orientalischen Kulturraum das
werden, wenn folgende Gesichtspunkte des        Bedürfnis haben, liebevolle und ganzheitli-
Manila-Manifestes der Lausanner Bewe-           che Annahme und Gemeinschaft zu erfahren.
gung (1989) Beachtung finden: „Christen         Dies bedeutet einen kulturüberschreitenden
verlangen ernsthafte Religionsfreiheit für      Lernprozess für alle Beteiligten.
alle Menschen, nicht nur die Freiheit für
den christlichen Glauben. In überwiegend
christlich geprägten Ländern gehören Chris-
ten zu den ersten, die Freiheit für religiöse
Minderheiten fordern. In überwiegend nicht-
christlichen Ländern fordern Christen daher

                                                                                          19
3. Teil
Christen und Muslime in der deutschen Gesellschaft

3.1 Einleitung                                   nen Raum haben. Denn Gottes Wort mahnt
3.1.1 Muslime in Deutschland                     Christen, mit allen Menschen in Frieden zu
Die für Christen aktuellen Fragen beziehen       leben (Römer 12,18) und ihnen in solcher
sich heute längst nicht mehr nur auf den Is-     Liebe und Freundlichkeit (Philipper 4,5 und
lam im Nahen und Mittleren Osten, sondern        8) zu begegnen, wie Jesus Christus sie vor-
auch auf den Islam in Deutschland. Es ist        gelebt hat. Dazu gehört das Verständnis für
offensichtlich, dass die Mehrzahl der Musli-     die Anliegen und Probleme der Muslime,
me auf Dauer in Deutschland bleiben wird,        nachbarschaftliche Hilfsbereitschaft und
deren Zahl durch Konversion, Zuwanderung         eine seelsorgerliche Haltung gegenüber dem
und Geburtenrate weiter zunehmen wird.           einzelnen Menschen. Deshalb sollten Chris-
Mehr Muslime nehmen auch die deutsche            ten von sich aus auf Muslime zugehen, das
Staatsangehörigkeit an, sodass sowohl der        Gespräch mit ihnen suchen, ihnen, wo im-
Anteil der deutschen Muslime an der mus-         mer möglich, helfen und dadurch ihre Inte-
limischen Wohnbevölkerung als auch der           gration in die deutsche Gesellschaft fördern.
Anteil der Muslime an der deutschen Bevöl-       Muslime der zweiten und dritten Generati-
kerung wachsen wird.                             on, die in Deutschland aufgewachsen sind,
Die meisten ausländischen Muslime konnten        sprechen oft beide Sprachen und sind nicht
sich zunächst nicht vorstellen, auf Dauer in     selten als Wanderer zwischen beiden Kultu-
Deutschland zu bleiben. Viele wollten zu ih-     ren auf der Suche nach ihrer eigenen Iden-
ren Familien zurückkehren, zudem war ihnen       tität. Heute definiert ein beträchtlicher Teil
die liberale, westliche Gesellschaft zu fremd.   der Jugend diese Identität vor allem als
Inzwischen wird von manchen islamischen          islamisch, auch wenn das nicht heißt, dass
Gruppen die Einbürgerung in Deutschland          man sich an die einzelnen Gebote des Is-
gefördert mit dem Ziel, eine dauerhafte          lam hält. Freundschaften zu Deutschen ohne
und einflussreiche muslimische Präsenz in        Migrationshintergrund sind nicht überall
Deutschland zu bewirken.                         selbstverständlich, und gerade bei den Frei-
                                                 zeitbeschäftigungen der Jugendlichen gibt
3.1.2 Die Bemühung um ein friedliches Zu-        es teilweise wenig Gemeinsames. Ein Teil
sammenleben                                      der muslimischen Migranten hat den Auf-
Christen sollen ihren Mitmenschen unabhän-       stieg in höhere Schulen, Universitäten und
gig ihrer religiösen Zugehörigkeit zuallererst   qualifizierte Berufsgruppen bewältigt, ein
als von Gott geliebten Menschen begegnen.        anderer Teil leidet unter Sprachdefiziten und
Es ist deshalb zu bedauern, dass manche          mangelnden Bildungserfolgen und demzufol-
Christen sich durch Vorurteile und Ängste        ge häufiger Arbeitslosigkeit. Manche jungen
blockieren lassen und sich einem friedlichen     Muslime prägt ein Gefühl der Fremdheit in
Zusammenleben verweigern. Unter Christen         Deutschland, das zwar ihr Geburtsland, ih-
sollte die Diskriminierung Andersdenkender       nen emotional jedoch nie ganz Heimat ge-
und der Hass gegen fremde Menschen kei-          worden ist.

20
Manche kürzlich zugewanderten Muslime          vertreten, ist der gesellschaftliche Friede
suchen von sich aus den Kontakt zu ihren       dem Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes
alteingesessenen Nachbarn und setzen sich      untergeordnet. Für sie ist deshalb das obers-
für gute zwischenmenschliche Beziehungen       te Ziel die Aufrichtung einer islamischen
ein. Sie integrieren sich gerne und möch-      Ordnung in der Gesellschaft. Für dieses Ziel
ten ihren Kindern eine bessere Zukunft er-     können soziale Spannungen in Kauf genom-
möglichen. Andere Muslime sind in einer        men werden. Bei islamistischen Gruppen
westlichen Kultur mit christlich-jüdischen     kann auch die Ausnutzung der Demokratie
Wurzeln, die heute vor allem vom libera-       mit dem Ziel ihrer Abschaffung bis hin zur
len Säkularismus geprägt ist, offensichtlich   Ausübung von Gewalt befürwortet werden.
verunsichert und ziehen sich in die Ghettos
ihrer Wohnbezirke, Familien und Moschee-       3.1.4. Die Unterscheidung mitmenschlicher,
gemeinden zurück. Manche begründen ihren       gesellschaftlicher und kirchlich-gemeindli-
Rückzug mit der koranischen Aufforderung,      cher Fragen
Christen nicht zu Freunden zu nehmen (Sure     Christen und Muslime begegnen einander
5,51). Andere reagieren mit Aggressivität      in erster Linie als Mitmenschen im Alltag.
auf die liberale Gesellschaft und propagie-    Hier gilt für den einzelnen Christen zunächst
ren vermehrt den Islam und das islamische      schlicht das Gebot der Nächstenliebe. Davon
Recht. Islamische Organisationen fordern       sind die politisch-gesellschaftlichen Fragen
heute vermehrt Rechte und eine staatliche      zu unterscheiden, bei denen Christen als
Anerkennung als Religionsgemeinschaft,         Staatsbürger und in ihrer Verantwortung
ohne allerdings bisher die rechtlichen Vor-    für das Gemeinwohl gefragt sind. Zu Fragen
aussetzungen dafür zu erfüllen. Durch Ab-      dieser Art können Christen sich in der Öf-
grenzung und Forderungskataloge werden         fentlichkeit äußern, über gesellschaftliche
normale mitmenschliche Beziehungen und         Gruppen (z.B. Parteien) im demokratischen
eine erfolgreiche Integration, leider aber     Prozess meinungsbildend und bei Wahlen
auch oft gesellschaftliches Fortkommen, er-    an den Entscheidungsprozessen mitwirken.
schwert.                                       Davon wiederum sind Fragen zu unterschei-
                                               den, welche die christlichen Gemeinden und
3.1. 3. Friedliches Zusammenleben und Mis-     Kirchen betreffen und theologisch begrün-
sion                                           dete Entscheidungen erfordern, die von den
Christen werden in Verantwortung vor Gott      Gemeinden und Kirchen getroffen werden
dem Schöpfer dem sozialen Frieden in der       müssen.
Gesellschaft große Bedeutung beimessen
und alles ihnen Mögliche dafür tun. Noch       Im Islam wird traditionell nicht zwischen
wichtiger ist ihnen aber das ewige Heil        einem säkularen und einem sakralen Be-
der Menschen. Deshalb können sie auf die       reich und nicht zwischen einem Muslim als
Verkündigung des Evangeliums auch unter        Staatsbürger und einem Muslim als einem
Muslimen nicht verzichten, selbst wenn dies    glaubenden Menschen unterschieden. Weit-
möglicherweise als Störung des sozialen        gehend leben Muslime in ihren Herkunfts-
Friedens empfunden wird.                       ländern bis heute in einer vom Islam ge-
Für bekennende Muslime, die einen ganz-        prägten Gesellschaft; nach den Wahlen im
heitlich-gesellschaftlich-politischen Islam    Anschluss an die „Arabischen Revolutionen“

                                                                                         21
wird sich diese Ausrichtung noch verstärken.    geringen Mitgliederzahlen nur eine Minder-
In der Minderheitssituation muss sich der Is-   heit der Muslime in Deutschland vertreten,
lam zunächst notwendigerweise weitgehend        Repräsentanten eines namhaften Teils der
auf seine religiöse Seite beschränken. Ein-     islamischen Gemeinschaft sein könnten.
flussreiche muslimische Rechtsgelehrte wie      Schwierigkeiten in Bezug auf die geforder-
z. B. Yusuf al-Qaradawi (geb. 1926) fordern     te Verfassungstreue ergeben sich etwa dort,
jedoch heute, dass sich Muslime im Westen       wo sich islamische Verbände nicht grund-
dafür einsetzen, die jeweilige Gastgesell-      sätzlich von der vollen Gültigkeit und dem
schaft Schritt für Schritt in eine islamische   Wunsch zur Umsetzung des Schariarechts
Gesellschaft umzuwandeln. Bei islamischen       distanzieren. So verlangen der Koran und
Organisationen in Europa ist mehr und mehr      das traditionelle islamische Strafrecht z. B.
erkennbar, dass sie sich mit einer liberalen,   körperliche Bestrafung wie Gliederamputa-
säkularen Gesetzgebung dauerhaft nicht zu-      tionen, Peitschenhiebe und Steinigungen
frieden geben. Sie betrachten die Scharia,      für bestimmte Vergehen wie Diebstahl und
das islamische Recht, in seinem Kernbe-         Ehebruch. Das islamische Familienrecht be-
stand als ein von Gott gestiftetes und für      nachteiligt Frauen durch die Polygamie und
alle Zeiten unveränderliches und verbindli-     das Scheidungs- und Erbrecht. Das Scharia-
ches Gesetz, das auch in Europa aufgerichtet    recht fordert bei Apostasie die Todesstrafe.
werden muss.                                    Auch wenn islamische Verbände derzeit die
                                                Umsetzung dieser Bestimmungen öffentlich
3.2. Gesellschaftliche Fragen                   nicht fordern, muss die Frage, wie sie sich
3.2.1 Anerkennung als Religionsgemein-          grundsätzlich zum Schariarecht positionie-
schaft                                          ren, im Sinne des Grundgesetzes zunächst
In Deutschland ist der Staat grundsätzlich      eindeutig beantwortet werden.
religionsneutral, gesteht aber den Religi-      3.2.2 Menschenrechte und Verfassungstreue
onsgemeinschaften das Recht auf Entfal-         Das Verhältnis des traditionellen Islam und
tung, auf öffentliche Präsenz, friedliche       des ideologischen Islam (Islamismus, Sala-
Werbung und freie Religionsausübung zu.         fismus) zum Grundgesetz und zu den Län-
Darüberhinaus kann der Staat mit Religions-     derverfassungen erscheint bisher als unklar
gemeinschaften, die als Körperschaften des      (vgl. die Charta des Zentralrats der Muslime
öffentlichen Rechts (KdöR) verfasst sind, in    in Deutschland). Wird der demokratische
ein Vertragsverhältnis treten, von dem durch    Staat nur vorübergehend anerkannt? Es
Sondervereinbarungen beide Seiten profitie-     wäre nötig, dass die islamischen Verbände
ren. Dieser Weg zur KdöR steht auch dem Is-     in Deutschland sich nicht nur eindeutig ar-
lam offen. Voraussetzung sind unzweifelhaf-     tikulieren, sondern auch auf die mit ihnen
te Loyalität zur deutschen Verfassung und       jeweils verbundenen islamischen Weltver-
eine auf Dauer und Repräsentanz angelegte       bände dementsprechend einwirken. Vor al-
Struktur. In Bezug auf die bisher entstande-    lem aber müssten die islamisch geprägten
nen vier islamischen Dachverbände ist teil-     Staaten das Menschenrecht auf freien Reli-
weise die Frage ihres eindeutigen Bekennt-      gionswechsel - in jede Richtung - ohne Vor-
nisses zur deutschen Verfassung ungeklärt,      behalte anerkennen und in der Praxis dulden
bei allen Verbänden jedoch darüber hinaus       und schützen.
auch die Frage, inwiefern sie, die über ihre

22
Sie können auch lesen