Christlicher Glaube und Islam - Die Evangelische Allianz in Deutschland
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Die Evangelische Allianz in Deutschland gemeinsam glauben, miteinander handeln. Christlicher Glaube und Islam 1
Einleitung Das Thema Islam ist heute in aller Munde. Nicht nur die Medien bringen täglich zahlreiche Meldungen aus der Welt des Islam und über die 4 Millionen Muslime in Deutschland, Auch für christliche Gemeinden, Gemeinschaften und Kirchen ist das Thema überaus relevant. Christen erkennen einerseits die Herausforderungen, die sich im Zusammenleben mit Ange- hörigen vieler Nationen, Kulturen und Religionen ergeben, in deren Herkunftsländern (bzw. den Herkunftsländern ihrer Eltern und Großeltern) eine freie Verkündigung des Evangeliums häufig unmöglich ist. Andererseits bestehen manche Unsicherheiten bei der Beurteilung des Islam aus christlicher Sicht. In den Medien überwiegen Berichte über politisch aktive islamische Gruppierungen. Obwohl sie nur eine von mehreren islamischen Strömungen ausmachen, erheben sie den Anspruch, den ‚wahren Islam‘ zu verkörpern. Das verstärkt bei vielen Menschen Unsicherheit und Angst. Gleichzeitig werden gerade engagierte Christen zum Dialog mit den anderen ‚abrahamischen Religionen‘ aufgerufen, zur Toleranz und zur Anerkennung des ‚islamischen Heilsweges‘. Sollen Christen deshalb aufhören, Muslimen Jesus Christus als den einzigen Weg zu Gott, dem himmlischen Vater, zu bezeugen? Glauben Christen und Muslime an einen ‚gemeinsamen Gott‘? Wie sollen Christen auf den stärker werdenden gesellschaftlichen Einfluss islamischer Gruppen reagieren? Auf diese Fragen möchte diese Erklärung Antworten geben. Sie wurde ursprünglich vom Stän- digen Islam-Arbeitskreis der Lausanner Bewegung Deutschland in Verbindung mit der Deut- schen Evangelischen Allianz und der Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste erarbeitet und nun vom Arbeitskreis Islam der Deutschen Evangelischen Allianz erneut überarbeitet. Sie möchte Christen unterschiedlicher Prägung aus Kirchen, Freikirchen und Gemeinschaften sowie Verantwortlichen in evangelistischen, missionarischen und diakonischen Werken Hil- fen zu einer biblischen Beurteilung des Islam geben. Sie will Mut machen, das Evangelium von Jesus Christus allen Menschen in unserem Land und weltweit zu bezeugen, denn auch Muslimen gilt die Botschaft von Jesus und sein Angebot der Erlösung. Die Erklärung will zu- dem angesichts der gesellschaftlichen Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Islam Hilfestellung leisten. Deshalb ist diese Erklärung in drei Teile gegliedert. 2
Der erste Teil versucht, Gemeinsamkeiten Gott gibt‘, haben von Gott aber sehr unter- und Gegensätze im Glauben von Christen schiedliche Auffassungen. Wir sprechen in und Muslimen aus biblischer Sicht aufzuzei- dieser Erklärung von ‚Gott‘, auch wenn wir gen. Er will deutlich machen, warum Chris- die islamische Auffassung von Gott meinen. ten in Deutschland auf den Islam und die Wir verzichten auf die Verwendung des ara- Thematik der Mission unter Muslimen so un- bischen, im Islam gebräuchlichen, Wortes terschiedlich reagieren. ‚Allah‘. Denn einerseits kann dieses Wort im Deutschen nur mit ‚der (eine) Gott‘ wieder- Der zweite Teil behandelt die christliche gegeben werden, und andererseits verwen- Mission unter Muslimen in Gegenüberstel- den arabische Christen ebenfalls den Begriff lung zu der islamischen Werbung unter ‚Allah‘. Die inhaltlichen Gegenüberstellungen Christen. Er will erläutern, dass auch der Is- machen deutlich, dass Christen und Musli- lam grundsätzlich auf Ausbreitung angelegt me nicht dieselbe Gottesvorstellung haben ist und gleichzeitig den göttlichen Auftrag und nicht dieselbe Offenbarung. Der Koran des christlichen Zeugnisses gegenüber Mus- verkündigt nicht den Dreieinigen Gott, Va- limen bekräftigen. ter, Sohn und Heiligen Geist, ja er lehnt die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus Der dritte Teil ist den Fragen gewidmet, die kategorisch ab (Sure 112). sich aus dem Zusammenleben von Christen und Muslimen in der deutschen Gesellschaft In den Herausforderungen, die der Islam für ergeben. die christliche Gemeinde darstellt, möchte diese Erklärung Christen helfen, geistlich zu Um die Brisanz der behandelten Fragen deut- unterscheiden, sie zum Zeugnis unter Mus- lich zu machen, haben wir in den meisten limen ermutigen und beim Zusammenleben Fällen nicht nur unsere christliche, sondern im Alltag Wegweisung geben. Wir beglei- auch eine allgemein verbreitete, traditionel- ten diese Erklärung mit unserem Gebet und le muslimische Auffassung zu Wort kommen bekräftigen, dass das folgende Wort Jesu lassen. Wir haben uns dabei um eine faire, Christi auch im Blick auf den Islam gilt: „Mir korrekte Darstellung der muslimischen Po- ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf sition bemüht. Um die Unterschiede in der Erden. Darum gehet hin und machet zu Jün- Textgestalt hervortreten zu lassen, haben gern alle Völker: Taufet sie auf den Namen wir die muslimische Sicht jeweils eingerückt des Vaters und des Sohnes und des Heiligen gedruckt. Geistes, und lehret sie halten alles, was ich Die Koranstellen sind nach der heute all- euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei gemein üblichen Kairoer Zählung genannt. euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ (Mat- Sofern koranische Ausdrücke zitiert werden, thäus 28, 18-20) geschieht das nach der Übersetzung von R. Paret (11. Aufl. Stuttgart 2012). Die Bibel- zitate sind der letzten Revision der Überset- zung Martin Luthers von 1984 entnommen. Auf ein Problem möchten wir besonders aufmerksam machen. Christen und Musli- me bekennen jeweils, dass es nur ‚einen 3
1. Teil Formale Gemeinsamkeiten und inhaltliche Gegensätze im Glauben von Christen und Muslimen - eine Beurteilung aus biblischer Sicht Eine angemessene Einschätzung des Islam wird durch den Umstand erschwert, dass angesichts ähnlicher Begriffe - oberflächlich betrachtet ‑ manche Gemeinsamkeiten zwischen christlichem und islamischem Glauben zu bestehen scheinen. Diese ähnlichen Begriffe und formalen Ge- meinsamkeiten können allzu leicht den Blick für die grundlegenden Unterschiede zwischen den Aussagen von Bibel und Koran verdecken. Einzelne biblische und koranische Aussagen müssen jedoch jeweils aus der Mitte ihrer Gesamtaussagen heraus verstanden werden. Die folgende Übersicht möchte das an den wichtigsten Themen des Glaubens deutlich machen. Dabei werden einleitend jeweils die formalen Gemeinsamkeiten genannt. 1.1 Offenbarung lah verbunden sind. Inhaltlich beziehen sich Sowohl Christen als auch Muslime gründen diese Offenbarungen zu einem erheblichen ihren Glauben auf Offenbarungsereignis- Teil auf Ereignisse, die Mohammed nicht se, die jeweils zur Abfassung eines Buches selbst erlebt hat. Der Koran enthält u. a. geführt haben. Die ‚Heilige Schrift‘ (Bibel) Texte, die - zumeist inhaltlich deutlich ab- und der ‚Edle Koran‘ gelten in der jeweiligen weichend - Themen der biblischen Heilsge- Religion bis heute als die wesentliche Weg- schichte aufgreifen. weisung für das Leben und den Glauben der Menschen. 1.1.2 Für Christen ist die Bibel Gottes zuver- lässiges Wort. Der Heilige Geist überwachte 1.1.1 Der christliche Glaube gründet sich auf ihre Niederschrift und ihre Überlieferung. Offenbarungsereignisse, die geschichtlich Er macht dem Hörer das geschriebene Wort zugänglich sind, von vielen Augenzeugen jeweils neu als Gottes Wort lebendig. Zwar berichtet wurden, einen Zeitraum von rund wurde dem AT später das NT hinzugefügt, 2000 Jahren umfassen und eng mit der Ge- aber nach dessen Offenbarung kann die schichte des Volkes Israel verbunden sind. Bibel nicht mehr durch spätere Schriften In diesen Ereignissen hat sich Gott unmit- ergänzt oder korrigiert werden, sondern telbar, durch Engel, durch bevollmächtigte bleibt in Ewigkeit gültiges Gotteswort. Da Menschen und abschließend in seinem Sohn der Koran der Bibel an zentralen Punkten wi- Jesus Christus offenbart. derspricht, kann Mohammed nicht Prophet Der islamische Glaube gründet sich auf Of- Gottes und der Koran nicht eine Offenbarung fenbarungsereignisse, die einen Zeitraum Gottes sein. von weniger als 25 Jahren umfassen und Für Muslime ist der Koran das reine, unver- eng mit der Lebensgeschichte des Arabers fälschte, die früheren heiligen Schriften der Mohammed (arab. Muhammad) Ben Abdul- Juden und Christen korrigierende und über- 4
bietende, letztgültige Wort Gottes - eine ge- Menschen im Gericht zur Verantwortung zie- treue Wiedergabe der himmlischen Urschrift. hen wird. Wo immer die Bibel vom Koran abweicht, sei sie von Juden und Christen verfälscht wor- 1.2.1 Die Bibel bezeugt den einen Gott, den den. Herrn, als ewig, allmächtig, allwissend, hei- lig und vollkommen (vgl. z.B. 2. Mose 15,11; 1.1.3. Die Bibel ist das Zeugnis von Gottes Psalm 147,5), zugleich aber als gerecht, Offenbarungshandeln und zugleich selbst wahrhaftig, barmherzig, als Leben, Licht göttliche Offenbarung. Der Heilige Geist und Liebe (vgl. z.B. 1. Johannes 4,16). (vgl. 2. Petrus 1,21) hat die Persönlichkeit Auch der Koran spricht von Gott als dem der verschiedenen Schreiber nicht ausge- Ewigen, Einzigen, Allmächtigen, Allwissen- schaltet und sich beim Offenbarungsvor- den und Barmherzigen (vgl. z.B. Sure 2,255; gang Menschen unterschiedlicher Sprache 59,22-24), dessen Wesen aber letztlich ver- bedient. borgen bleibt, weil er zu erhaben ist, um Nach islamischem Glauben ist der Koran Mo- von Menschen erkannt zu werden. hammed durch Vermittlung des Engels Ga- briel direkt von Gott ohne Beteiligung der 1.2.2 Nach dem biblischen Zeugnis schuf Persönlichkeit Mohammeds in arabischer Gott, der Herr, den Menschen, um sich ihm Sprache eingegeben worden. Damit sei seine als seinem ‚Ebenbild‘ persönlich zuzuwen- Unverfälschtheit garantiert. den. Er hat sich in seinen Bundesschlüssen verbindlich festgelegt und schenkt dem 1.1.4 Die Heilige Schrift ist der alleinige Menschen, der an Jesus Christus glaubt, Ge- Maßstab für Glauben und Leben der Chris- wissheit des Heils. Er offenbart dem Men- ten. Sie verstehen die Bibel aber nicht ein- schen sein Wesen in der Schöpfung (Römer fach als ‚Gesetzbuch‘. Christen orientieren 1,18-20), in der biblischen Heilsgeschichte sich im Hören auf die Heilige Schrift und und abschließend in seinem Sohn Jesus unter der Leitung des Heiligen Geistes an Christus (Hebräer 1,1‑3). In der Menschwer- Jesus Christus. dung des Wortes Gottes in Jesus Christus ist Für Muslime hat neben dem Koran die „Sun- die - durch die Sünde entstandene - Tren- na“, d. h. die Summe der überlieferten Worte nung zwischen Gott und Mensch überwun- und Handlungen Mohammeds Verbindlich- den worden (Johannes 1,12‑17). keit für die Auslegung des Korans und für Nach islamischem Glauben ist Gott letztlich das Leben der muslimischen Gemeinschaft. eine unpersönliche Macht, die dem Men- schen zwar nahe sein kann, aber nicht in 1.2 Gott einer Ich-Du-Beziehung. Gott bleibt in sich Sowohl Christen als auch Muslime glauben, eins, in seiner Allmacht absolut frei und dass der eine Gott der Schöpfer des Himmels letztlich von seinen Geschöpfen getrennt. und der Erde und jedes einzelnen Menschen Er hat durch seine Propheten seinen Willen ist. Er ist deshalb von ihnen anzubeten und und das drohende Gericht verkünden lassen. zu loben. Sie glauben, dass er allein die Ant- Erst im Gericht erfährt der Mensch, welches wort auf die letzten Fragen des Menschseins ewige Schicksal ihm Gott bestimmt hat. und der Welt ist und am Ende der Zeiten alle 5
1.2.3 Für Christen ist Gott, der Herr, der eine te‘ und vereint die alttestamentlichen Ämter Gott, neben dem kein anderer Gott verehrt des Priesters, des Propheten und des Königs. werden darf (2. Mose 20, 1-3). Der eine Gott Dieser Christus ist Jesus von Nazareth, d.h. Israels hat sich durch den Heiligen Geist als „der rettende Herr“. Vater des Herrn Jesus Christus offenbart und Der Titel ‚Christus‘ (arab. al‑masih) wird im damit als der dreieinige Gott, Vater, Sohn Koran (z.B. Sure 3,45) in Verbindung mit Isa und Heiliger Geist. - Die Mutter Jesu, Maria, (gemeint ist Jesus) verwendet. Es ist unklar, war ein Mensch und hat nicht Teil an der was Mohammed unter diesem Titel verstan- Dreieinigkeit, wie der Koran den Christen den hat. Der Name Isa hat keine besondere fälschlicherweise unterstellt (Sure 5,116). Bedeutung. Im Koran wird Jesus im Allge- Muslime betonen die absolute Einheit Got- meinen als ‚Sohn der Maria‘ bezeichnet. tes. Für sie ist der Glaube an die Dreiei- nigkeit Gottes letztlich ‚Vielgötterei‘ und 1.3.2 Nach dem Zeugnis der Bibel wurde damit die schlimmste Sünde, deren sich der Jesus Christus durch den Heiligen Geist in Mensch schuldig machen kann (vgl. Sure Maria ‚empfangen‘ (Lukas 1,35) und während 5,72ff; 4,171). der Regierungszeit des römischen Kaisers Augustus in Bethlehem in einem Stall gebo- 1.2.4 Gottes ‚eingeborener‘ Sohn ist Jesus ren. Er kam als der im Alten Testament ver- Christus. Er ist Gottes lebendiges Wort und heißene Erlöser in die Welt, ist das Mensch als solches selbst Gott (Johannes 1,1). Wer gewordene Wort Gottes (Johannes 1,14) und Gott, den Herrn, als Vater anruft, ist durch deshalb ‚wahrer Gott und wahrer Mensch‘ den Tod und die Erlösung Jesu Christi Gottes zugleich. Kind geworden: „Der Geist selbst gibt Zeug- Gemäß dem Koran war Jesus nur Mensch nis unserm Geist, dass wir Gottes Kinder (Sure 5,116), wurde durch ein Befehls- sind.“ (Römer 8,16) wort Gottes (Sure 3,59) in Maria (Mirjam), Nach islamischem Glauben hat Gott als der der Schwester von Mose und Aaron (Sure Schöpfer weder geistliche noch leibliche 19,28), geschaffen und zu einer nicht nä- Kinder (vgl. Sure 10,68; 112) und kann des- her bestimmbaren Zeit unter einer Palme halb nicht der Vater Jesu Christi sein. Musli- geboren (Sure 19,16-33). Im Islam gilt Je- me verstehen sich nicht als Kinder, sondern sus als einer der bedeutendsten Propheten als Diener (Knechte, ‚Ergebene‘) Gottes. und Gesandten Gottes. Nur von ihm wird im Koran gesagt, dass er ‚sein Wort‘ (d.h. ‚Wort 1.3 Jesus Christus von Gott‘) und ‚ein Geist von ihm‘ (d.h. von Bibel und Koran berichten von Jesus Chris- Gott) sei (4,171). tus nur wenig Gemeinsames: Gott hat Je- sus (als Christus) zu den Juden gesandt; er 1.3.3 Die Evangelien berichten ausführlich wurde von der Jungfrau Maria geboren, hat über das Wirken und Lehren Jesu Christi. Es gepredigt und Wunder gewirkt. Er ist in den war ein beständiger Ruf zum Vertrauen auf Himmel aufgenommen worden. den Vater im Himmel und eine Einladung, Jesus nachzufolgen und seine Erlösung an- 1.3.1 Der biblische Titel ‚Christus‘ (‚Messias‘) zunehmen. In seinem heilenden und retten- bedeutet ‚der mit dem Heiligen Geist Gesalb- den Wirken gingen die Verheißungen der 6
alttestamentlichen Propheten in Erfüllung. erwirkte stellvertretend Erlösung für alle Deshalb erwarten Christen keinen weiteren, Verlorenen, die im Glauben an ihn nun frei- ihn überbietenden Gesandten Gottes nach en Zugang zum himmlischen Vater haben Jesus Christus. (1. Petrus 1,18‑19; Epheser 2,18). Nach dem Koran sollte Jesus die Juden vor Jesus Christus regiert die Welt und wird am dem drohenden Gericht Gottes warnen. Sei- Ende der Zeit für alle Menschen sichtbar als ne Verkündigung habe sich grundsätzlich der Weltenrichter erscheinen. nicht von der Mohammeds und der früheren Nach dem Koran ist Jesus nicht gekreuzigt Gesandten unterschieden. Der Koran sagt, worden und nicht auferstanden. Eine Kreuzi- dass Jesus Wunder tat, Kranke heilte, Tote gung wäre eine schmachvolle Niederlage für zum Leben erweckte und übernatürliches Gott und seinen Gesandten gewesen. Jesus Wissen besaß (Sure 3,49). Jesus habe von hätte mit seinem Tod auch keine Erlösung Gott eine Schrift als Offenbarung erhalten erwirken können. - Über Jesu irdisches Ende (das Evangelium, arab. injil). Dennoch sei macht der Koran keine klaren Angaben. Ver- Jesus nur einer der Propheten, der von Mo- breitet ist die Deutung, dass Gott ihn vor hammed als dem letzten Propheten der Ge- seinem Tod vor seinen Feinden entrückt schichte an Bedeutung übertroffen werde. habe und einen anderen - genannt wird meistens Judas - an seiner Stelle kreuzigen 1.3.4 Gemäß dem Johannes-Evangelium ließ (vgl. Sure 4,157‑158). Die meisten Mus- (Kap. 14 und 16) kündigte Jesus Christus lime glauben, dass Jesus jetzt lebendig im das Kommen des Geistes Gottes als Tröster Himmel ist. Nach islamischen Überlieferun- an, der in den Gläubigen wohnt (Johannes gen werde Jesus vor dem Ende der Zeit auf 14,17). Christen können nicht anerkennen, die Erde zurückkehren, u.a. alle Kreuze ver- dass damit Mohammed gemeint sei (vgl. nichten und alle Menschen zum Islam rufen. dazu Sure 61,6). Dieser entspricht nicht den Er werde dann sterben und wie alle anderen biblischen Kriterien für einen Propheten Menschen zum Jüngsten Gericht auferweckt Gottes. werden. Der Koran nennt Mohammed das ‚Siegel der Propheten‘ (Sure 33,40) und erhebt ihn da- 1.4 Sünde, Glauben und Vergebung mit über Jesus Christus. Muslime glauben, Bibel und Koran betonen, dass es Gottes dass Mohammeds Kommen schon in der Willen entspreche, an Gott zu glauben und ‚Thora‘ (dem Alten Testament) und im ‚Evan- nach seinen Geboten zu leben. Vor Gott, gelium‘ (dem Neuen Testament) angekündigt dem Schöpfer, müssen sich alle Menschen wurde (Sure 7,157). verantworten. Durch die Übertretung der Ge- bote Gottes werden die Menschen vor Gott 1.3.5 Nach den biblischen Berichten war es schuldig und bedürfen seiner Barmherzigkeit Gottes Wille, dass Jesus Christus gekreuzigt und Vergebung. Bibel und Koran kennen so- wurde, starb, in ein Grab gelegt wurde, am wohl ewiges Heil als auch ewige Strafe. dritten Tag danach auferstand und nach 40 1.4.1 Die Bibel bezeugt, dass Adam und Eva Tagen zu seinem himmlischen Vater erhoben im Paradies Gottes Gebot übertraten und wurde. Dadurch errang er den Sieg über die damit die Sünde, die Trennung von Gott Macht der Sünde und den ewigen Tod und und den Tod für alle Menschen in die Welt 7
brachten. Da der Tod die Folge der Sünde ist, 1.4.3 Die Bibel bezeugt die Gerechtigkeit ist Versöhnung mit Gott nur durch den Süh- Gottes in Gnade und Gericht. Gott ist ge- netod des sündlosen Jesus Christus möglich recht und macht den an ihn glaubenden (2. Korinther 5,18‑21). Menschen gerecht. Er wendet sich in seiner Nach dem Koran haben Adam und seine Frau Liebe dem Menschen zu und schenkt ihm das wohl Gottes Gebot übertreten und deshalb ewige Leben. Nach dem Zeugnis des Alten das Paradies verloren, aber in ihrem Verhält- Testaments hat Gott seine heilschaffende nis zu Gott habe sich grundsätzlich nichts Gerechtigkeit zuerst an seinem Volk Israel geändert (vgl. Sure 2,35-39). Der Islam erwiesen. Endgültig und für alle Menschen kennt nicht die Tiefe des ‚Sündenfalls‘ und ist Gottes Gerechtigkeit offenbar geworden lehnt eine ‚Erbsünde‘ ab. Der Tod sei nicht im stellvertretenden Sühnetod Jesu Christi die Folge der Sünde, sondern im Willen Got- am Kreuz. Am Kreuz hat Gott die Sünde in tes begründet. ihrer unheilvollen Macht enthüllt und durch die in Jesu Tod und Auferstehung geschenk- 1.4.2 Die Bibel macht deutlich, dass der te Versöhnung überwunden. Die so bewirkte Mensch seit dem Sündenfall böse ist (vgl. Sühne und Erlösung wird im Evangelium al- Römer 3,10-12). Seine Sünden richten sich len Menschen angeboten. Wer sie im Glau- nicht nur gegen seine Mitmenschen, sondern ben annimmt, ist gerettet. Wer diese Gnade letztlich gegen Gott selbst (vgl. Psalm 51,6). ablehnt, ist verloren und verfällt dem Ge- Er kann deshalb seine Schuld nicht wieder richt Gottes. gut machen. Solche eigenmächtigen Versu- Nach islamischem Glauben kann der Mensch che führen zum Hochmut vor Gott (Epheser seine Sünden durch ‚gute Taten‘ ausglei- 2,9) und damit zu größerer Verfehlung. chen. Die Strafe Gottes im Gericht könne Muslime glauben, dass der Mensch stets in also davon abhängen, wie viele ‚gute und der Lage sei, sich zwischen dem Guten und schlechte Taten‘ der Mensch begangen habe. dem Bösen zu entscheiden. Er könne das Über den Ausgang von Gottes Gericht könne Gute tun und durch das Einhalten der Gebo- es dennoch keine Gewissheit geben, weil nur te auf Gottes Gunst und Belohnung hoffen. die Engel die menschlichen Taten gegenein- Wenn er jedoch gegen Gottes Gebote ver- ander abwiegen können und Gott im Verge- stoße, schade er in erster Linie sich selbst ben und Strafen letztlich frei sei. (Sure 7,23). 8
1.4.4 Nach christlicher Überzeugung heißt Gewissheit der Vergebung und des Eingangs Glauben zuallererst, dass der Mensch dem in das Paradies haben. Weil Gott allmächtig Handeln Gottes vertraut, seine eigene und frei ist, sei sein Handeln nicht eindeutig Schuld einsieht und die Erlösung durch Je- festzulegen. Nur die im Kampf (arab. djihad sus Christus als Geschenk für sich annimmt. und qital) für die Sache Gottes gefallenen Das Evangelium ist die Frohe Botschaft von Muslime (Märtyrer) können des Paradieses der Befreiung aus Sünde, Schuld und ewi- gewiss sein (vgl. Sure 2,154) – viele Musli- gem Tod (vgl. 1. Timotheus 1,15). Gott sieht me würden formulieren: vorausgesetzt, ihre den glaubenden Menschen an, als hätte er Motive sind aufrichtig und der Kampf gilt nicht gesündigt (Römer 8,1), und nimmt ihn wirklich der Sache Gottes. als sein Kind an. Die Glaubenden leben aus der Kraft des Heiligen Geistes, halten sich in Dankbarkeit an die Gebote Gottes und glau- 1.5 Der Heilige Geist ben an die in der Heiligen Schrift bezeug- Die formalen Gemeinsamkeiten zwischen ten Heilstaten Gottes (vgl. z.B. 1. Korinther Bibel und Koran sind an dieser Stelle sehr 15,3-5). gering. Im Islam bedeutet Glaube vor allem, Gottes Existenz anzuerkennen, sich ihm zu unter- 1.5.1 Die Bibel bezeugt Gottes Geist als den werfen (d.h. Muslim zu sein), ihm Dankbar- Heiligen Geist, der Menschen von Sünde und keit zu erweisen und die fünf Hauptpflichten Ungerechtigkeit überführt (Johannes 16,8). zu befolgen (Bekenntnis des Glaubens, Ge- Er ist Person in der göttlichen Dreieinigkeit. bet, Fasten, Almosen und Pilgerfahrt). Zum Er geht vom Vater und dem Sohn aus (Jo- Glauben gehört ferner die Anerkennung des hannes 15,26). Durch ihn werden die an Je- Prophetentums Mohammeds und der frühe- sus Christus Glaubenden zu Kindern Gottes ren Propheten, der heiligen Bücher, der En- (Römer 8,14), mit Geistesgaben ausgerüstet gel, des Gerichtes und des Lebens nach dem und mit der ‚Frucht des Geistes‘ beschenkt Tod (vgl. Sure 2,177) sowie der Einsatz für (Galater 5,22; 1. Korinther 12,4-9). Der Hei- ‚die Sache Gottes‘ bis hin zum bewaffneten lige Geist ist der von Jesus verheißene ‚Trös- Kampf. ter‘ (Johannes 16,7), der die Beter vor Gott vertritt (Römer 8,26). 1.4.5 Gemäß dem Evangelium gründet der Der Koran kennt einen ‚Geist der Heiligkeit‘ Gläubige, der seine Sünde bereut, die Ge- (der z.B. Jesus ‚gestärkt‘ habe, Sure 2,87). wissheit seines Heils auf die zuverlässigen Die Bedeutung des ‚Geistes der Heiligkeit‘ Zusagen Gottes in seinem Wort (vgl. 1. Jo- bleibt unklar und bezieht sich nicht auf die hannes 1,9; 3,1). Weil er sich in seinem Le- Sünde und deren Aufdeckung. ben auf den Sühnetod Jesu Christi verlässt und nicht auf seine Werke (Epheser 2,8f), 1.5.2 Der Geist Gottes wirkte in den Schrei- erfährt er im letzten Gericht seine endgül- bern der biblischen Bücher. Am Pfingstfest tige Rettung. wurde er als Zeichen der neuen Heilszeit Der seine Sünde bereuende Muslim hofft auf über Menschen aus vielen Völkern ‚ausgegos- Gottes Vergebung und Barmherzigkeit, die sen‘. Er begründete die Kirche Jesu Christi im Koran gerühmt wird (z.B. Sure 3,31). Er und wirkt in ihr bis heute. Nach islamischer kann jedoch im gegenwärtigen Leben keine Lehre begleitete der ‚Geist‘ die Offenbarung 9
der Schriften, die auf die Gesandten herab- und Christen Informationen über einzelne gesandt wurden (auf Mose die Torah, auf Da- biblische Personen und Inhalte erhielt. vid die Psalmen, auf Jesus das Evangelium Ähnliche Begriffe stehen jedoch nicht un- und auf Mohammed der Koran, vgl. 16,102). bedingt für gleiche Inhalte. Gerade an Jesus Für die Existenz der islamischen Weltge- Christus werden die zentralen Unterschiede meinschaft (arab. umma) spielt der ‚Geist‘ zwischen Bibel und Koran sichtbar. Die Er- keine Rolle. lösungsbedürftigkeit des Menschen, die Got- tessohnschaft Jesu, sein Sühnetod am Kreuz Zusammenfassung und die Dreieinigkeit Gottes sind unaufgeb- bare Eckpfeiler biblischen Glaubens, aus der Zwischen christlichem und islamischem Sicht des Islam aber gotteslästerliche Ver- Glauben gibt es formal Gemeinsamkeiten. irrungen. Aufgrund dieser zentralen Unter- Personen aus dem Alten Testament - z.B. schiede ist offensichtlich, dass der Glaube Adam, Noah, Abraham, Josef, Mose, Hiob, an den von der Heiligen Schrift bezeugten David, Salomo und Jona - begegnen uns im einen allmächtigen Schöpfer und Vater Jesu Koran. Selbst Jesus Christus und der ‚Geist Christi nicht mit der Unterwerfung unter den der Heiligkeit‘ werden dort erwähnt. Das von Muhammad verkündeten und im Koran hängt damit zusammen, dass Mohammed beschriebenen Gott vereinbar ist. Der Koran rund 600 Jahre nach Jesus Christus lebte lehnt den biblischen Glauben als falsch ab (etwa 570 bis 632 n.Chr.) und von Juden und betrachtet Christen als Irrende. 2. Teil Zum christlichen Zeugnis unter Muslimen in Deutschland 2.1 Das Wesen der Einladung zum Glauben eignis im Leben jedes einzelnen Menschen 2.1.1 Das Wesen der Mission im christlichen Wirklichkeit werden, der sich im Glauben Glauben Jesus Christus anvertraut. Darum gründet Gott „will, dass allen Menschen geholfen christliche Mission in dem Wesen des drei- werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit einigen Gottes, der seine Nachfolger be- kommen.“ (1. Timotheus 2,4) Deshalb hat auftragte, die Herrschaft Gottes und das der lebendige Gott sich in der Geschichte Evangelium allen Menschen zu verkündigen: dem Volk des Alten Bundes bekannt gemacht Denn „in keinem andern ist das Heil, auch und ihm seinen Heilswillen im Alten Testa- ist kein anderer Name unter dem Himmel ment offenbart. In der ‚Mitte der Zeit‘ ist er den Menschen gegeben, durch den wir sol- selbst in seinem Sohn Jesus Christus Mensch len selig werden.“ (Apostelgeschichte 4,12) geworden und hat in Kreuz und Auferste- Jesus Christus selbst bezeugte: „Das ist aber hung Jesu den Weg zum Heil eröffnet. das ewige Leben, dass sie dich, der du allein Der vom Vater und vom Sohn ausgegange- wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, ne Heilige Geist lässt dieses historische Er- Jesus Christus, erkennen.“ (Johannes 17,3) 10
Die Nachfolger Jesu Christi werden in sei- Kampf auf (Sure 9,5). Dieser ‚Ruf‘, sich dem ne Sendung (= Mission) mit hineingenom- Willen Gottes zu unterwerfen, ist diesseitig men, denn Jesus sagte zu seinen Jüngern: orientiert und zielt darauf ab, die ganze Welt „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende der Herrschaft Gottes und seinem Gesetz un- ich euch.“ (Johannes 20,21) Im Gehorsam terzuordnen. Jeder Muslim wird als Glied der gegen Jesus Christus und in der Glaubens- islamischen Weltgemeinschaft (arab. umma) und Gewissensbindung an seine Gebote wis- angesehen, die zur Herrschaft über andere sen sich Christen aller Zeiten berufen, allen berufen ist. Menschen das Evangelium zu verkündigen. Daher erhält die christliche Mission ihre Der Islam versteht sich als eine auf Ausbrei- Berechtigung nicht durch hegemoniales Er- tung bedachte Religion mit einem letztgül- folgsdenken, kulturellen Imperialismus oder tigen und universalen Anspruch und teilt westliche Arroganz, sondern ist Gehorsam deshalb die Welt schon in der mittelalterli- gegen Gott, dessen Liebe uns drängt, sie chen Theologie in zwei Regionen ein: in das allen Menschen zu bezeugen. Diese Liebe ‚Haus des Islams‘, in dem die islamische Ord- Gottes ist geoffenbart in seinem Sohn Jesus nung aufgerichtet wurde und das islamische Christus und bestätigt durch den Heiligen Gesetz (arab. shari‘a) gilt, und in das ‚Haus Geist. Ihre wesentliche Aufgabe ist es, Men- des Krieges‘, das noch für den Islam gewon- schen in die lebendige Begegnung mit Jesus nen werden muss. Heute wird als dritte Ka- Christus zu führen. Wo immer es Menschen tegorie außerdem häufig das ‘Haus des Ver- gibt, die ihn noch nicht kennen oder falsche trages‘ genannt, das zwar kein islamisches Vorstellungen von ihm haben, gilt es, in Gebiet bezeichnet, in dem Muslime jedoch Treue, Liebe und Beharrlichkeit Jesus Chris- ihren Glauben ungehindert ausüben können. tus durch Wort und Tat zu bezeugen. Prinzipiell wird davon ausgegangen, dass Die Verpflichtung zum Zeugnis, auch unter das ‘Haus des Krieges‘ und das ‘Haus des Muslimen, gründet in der Zusage des aufer- Vertrages‘ in das ‘Haus des Islam‘ überführt standenen Herrn: „Mir ist gegeben alle Ge- werden müssen. Sowohl die friedliche Ein- walt im Himmel und auf Erden. Darum gehet ladung zur Hinwendung zum Islam als auch hin und machet zu Jüngern alle Völker: Tau- die gewaltsame Unterwerfung von Gebieten fet sie auf den Namen des Vaters und des unter die ‚islamische Ordnung‘ werden bis Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret heute von islamischen Theologen als prin- sie halten alles, was ich euch befohlen habe. zipiell berechtigt angesehen, um den Islam Und siehe: Ich bin bei euch alle Tage bis an aufzurichten. der Welt Ende.“ (Matthäus 28,18-20) Dafür gibt es zwei Begründungen. Muslime 2.1.2 Das Wesen der Einladung zum Islam glauben erstens, dass durch den Islam alle (arab. da‘wa = ‚Ruf‘) vorhergehenden göttlichen Offenbarungen Der ‚Ruf zum Islam‘ (vgl. z. B. Sure 61,11) (auch der jüdische und der christliche Glau- ist für Muslime ein Teil der ‚Bemühung für be und die aus ihnen entstandenen Gemein- Gott‘. Der Koran spricht einerseits von der schaften) korrigiert und als ‘verfälschte Bot- friedlichen Einladung (Sure 16,125) zum schaften‘ abgelöst worden sind. Islam an Nicht-Muslime, fordert aber ande- Zweitens lehnen die meisten islamischen rerseits auch entschieden zum bewaffneten Theologen und Juristen die Trennung von 11
Staat und Religion ab. Entsprechend dem schen, die in der Gemeinschaft mit Jesus Vorbild Mohammeds, der zugleich Prophet, Christus leben, werden in ihrem Herzen von Gesetzgeber und Heerführer war, versteht diesem Geist der Liebe Gottes bestimmt. die überwiegende Mehrheit der islamischen Er ist und bleibt das Fundament und die Gelehrten in der Geschichte wie auch heute treibende Kraft allen Engagements in der den Islam als eine Glaubens- und Lebens- Mission. Nur unter dieser Voraussetzung weise sowie eine Rechtsordnung, welche die kann die Kirche Jesu Christi ihrem Auftrag, Gesellschaften und Staaten umfassend prä- das Heilshandeln Gottes zu verkündigen, gen soll. Die islamische Theologie hält bis gerecht werden. heute daran fest, dass der Islam eine welt- Dabei hat sie sich solcher Methoden zu be- umspannende Gemeinschaft unter Gottes dienen, bei denen die Würde eines jeden Geboten (Theokratie) werden muss. Menschen gewahrt und seine freie Ent- Deshalb gründet die muslimische Ablehnung scheidung für oder gegen die christliche des biblischen Evangeliums nicht nur in Botschaft geachtet wird. Deshalb hat die der kämpferischen Auseinandersetzung mit christliche Mission nichts zu tun mit Über- dem Christentum in der Geschichte, sondern legenheitsdenken und -gefühl, mit irgend- ebenso in den tiefen Glaubensunterschie- einer Form von Militarismus und Unterdrü- den. Die Besonderheiten der islamischen ckung - wie sie z.B. in den Kreuzzügen und Theologie werden erst in der Gegenüberstel- teilweise in der Kolonialzeit praktiziert lung mit dem Evangelium klar ersichtlich. wurden - und mit jedweder Art von Aus- In der säkularisierten, westlichen Gesell- nutzung sozialer, wirtschaftlicher oder bil- schaft herrscht die Auffassung vor, dass dungsmäßiger Schwächen von Menschen, der christliche Glaube nur eines von vielen um sie zum christlichen Glauben zu nötigen gleichwertigen religiösen Phänomenen sei. oder zu verführen. Wo diese Auffassung als Ausdruck religiöser Vielmehr hat die christliche Gemeinde in Toleranz vertreten wird, werden Christen in ihrer Mission um der Wahrhaftigkeit und Europa im Blick auf die Einzigartigkeit des der Ehrlichkeit willen folgendes zu beach- Evangeliums verunsichert und bleiben mög- ten: licherweise ihren Mitmenschen das Evange- - Sie soll sich immer wieder neu auf die lium schuldig. Dazu besteht gerade in Bezug Grundlage und den Inhalt des ihr anver- auf den Islam in Europa keinerlei Veranlas- trauten christlichen Glaubens besinnen. sung, da viele Muslime in Europa kein ‚ge- - Sie muss die Menschen mit den Augen brochenes Verhältnis‘ zu ihrer Verpflichtung Jesu Christi sehen, sich von seiner Liebe haben, Menschen zur Annahme des Islam anleiten lassen und so die Mauern des Miss- aufzufordern und zudem an Glaubensgesprä- trauens überwinden. chen häufig interessiert sind. - Sie hat sich umfassend über Religion, Kultur, Gedankenwelt und Umfeld ihrer Mit- 2.2 Die Methoden der Werbung für den menschen aus erster Hand zu informieren Glauben und sich zu bemühen, diese zu verstehen. 2.2.1 Methoden der christlichen Mission - Die Evangeliumsverkündigung hat ihren „Es soll nicht durch Heer oder Kraft, son- unaufgebbaren Platz auch im gegenseitigen dern durch meinen Geist geschehen, spricht offenen Gespräch (Dialog) mit Menschen der HERR Zebaoth“ (Sacharja 4,6). Men- aller Religionen. 12
Weitere Broschüren Diese und weitere Arbeitshilfen werden herausgegeben von der Deutschen Evangelischen Allianz. Gerne senden wir Ihnen weitere Exemplare zu. Auf dieser und der nächsten Seite finden Sie eine aktuelle Liste der Auswahl von Arbeitsmaterialien, Broschüren und Schriften, die Sie bei uns bestellen können. Der Versand geschieht ohne Rechnungsstellung. Wir rechnen aber damit, dass uns viele Freunde mit freiwilligen Gaben und Spenden bei der Finanzierung dieser Schriften und der Verteilung unterstützen. Wir sind als gemeinnützig anerkennt und können Ihnen deshalb gerne steuerlich verwertbare Zuwendungsbestätigungen zustellen. Unsere Bankverbindung: 416800 bei der Evangelischen Kreditgenossenschaft Kassel, BLZ 520 604 10. Alle Broschüren und weitere Informationen finden Sie auch im Internet unter www.ead.de 30 Tage Gebet für die islamische Welt – jährliche Gebetsinformation während des Fastenmonats Ramadan 30 Tage Gebet für die islamische Welt – Kinder- und Familienausgabe Gemeinsam glauben – miteinander handeln Die Deutsche Evangelische Allianz stellt sich vor Tagungsprogramm des Evangelischen Allianzhaus Bad Blankenburg EiNS-Magazin – erscheint viermal jährlich mit unterschiedlichen thematischen Schwer- punkten und informiert über die aktuelle Arbeit der Deutschen Evangelischen Allianz Gebetskalender - erscheint viermal jährlich mit Gebetsanliegen für jeden Tag des Jahres Sucht der Stadt Bestes – Zur Verantwortung der Christen in Staat und Gesellschaft Die Würde des Menschen ist die Perle des Rechtsstaates Das Recht des Menschen auf Leben Die Familie braucht Zukunft Der Arbeitskreis für Religionsfreiheit stellt sich vor Migranten in Deutschland Informationen zur Micha-Initiative – Weltweit Armut halbieren PerspektivForum Behinderung Arbeitslosigkeit – Herausforderung für Christen und Gemeinden Meine Verpflichtung zur Förderung der Einheit Die Stiftungen der Evangelischen Allianz Ich bin dabei – Freundeskreis der Evangelischen Allianz
Bitte senden Sie mir die folgenden Hefte dieser Reihe zu: #01 Wenn Muslime zu Allah beten... #11 K önnen Muslime und Christen #02 M uslimischer Gebetsruf per Freunde sein? Lautsprecher? #12 Können Christen und Muslime #03 C hristen und Muslime leben gemeinsam beten? zusammen #13 Kindererziehung im Islam #04 B raucht der Mensch Erlösung? #14 Gemeinsames Zeugnis für Gott – Warum Muslime den Opfertod durch die abrahamitischen Jesu so schwer verstehen Religionen? #05 Was kommt nach dem Tod? – #15 Frauen in der islamischen Die Heilsungewissheit im Islam Gesellschaft #06 C hristliches und muslimisches #16 Der Ahmadiyya-Bewegung Gebet - ein Vergleich #17 Islamische „Mission“ (Da‘wa) #07 M enschenrechte – wie der #18 Schiiten und Sunniten – Islam sie versteht Unterschiede islamischer #08 C hristen in islamischen Gesell- „Konfessionen“ schaften #19 Moscheen in Europa #09 A bfall vom Islam nach Koran und Sharia #10 W enn Muslime Christen werden – Verfolgung und Strafe für Konvertiten Absender: Name | Vorname Straße | Hausnr. PLZ | Ort Telefon Fax E-Mail
Deutsche Evangelische Allianz e.V. 416800 8206080 AK Islam 19
- Eine einseitige Verteidigung des eigenen Betont werden dabei Friedfertigkeit und Glaubens (Apologetik) ist zu vermeiden, da Toleranz sowie Bereitschaft zur Integration sie leicht zu einer überheblichen Rechtha- und zum Dialog mit Nicht-Muslimen. Man- berei führt. che Konvertiten glauben daher, dass die Schattenseiten, wie etwa die weitgehende - Niemand darf als Objekt missionarischen grundsätzliche Bejahung des kämpferischen Eifers verstanden werden. djihad-Gedankens durch islamische Theo- Alle Menschen, auch Muslime, sind eingela- logen, reine Unterstellungen seien. Dabei den, in Ewigkeit in Gemeinschaft mit Gott zu wird ausgeblendet, dass Mohammed selbst leben und sich von der Liebe Gottes, die in zur Ausbreitung des Islam zur Waffe gegrif- Kreuz und Auferstehung Jesu Christi sichtbar fen hat. Manche Konvertiten empfinden den geworden ist, erfassen zu lassen. Islam als exotisch und faszinierend, ande- re suchen in den westlich-liberalen Gesell- 2.2.2 Methoden des Rufes zum Islam schaften nach Halt und Orientierung durch Die Einladung zum Islam zielt nicht vor al- klar definierte Werte. lem auf Einzelbekehrungen ab, sondern ist Von islamischen Apologeten werden die bestrebt, einen gesellschaftlichen Wandel Studien kritisch-westlicher Theologen und herbeizuführen, indem staatliche Organe, Philosophen benutzt, um den christlichen Institutionen und gesellschaftliche Struk- Glauben als fragwürdig zu „beweisen“. Dabei turen im Sinne des Islam beeinflusst, ge- gilt, dass der Islam die zentralen Aussagen prägt und in Dienst genommen werden. Die des biblischen Glaubens ablehnt, weil er finanziellen Mittel dafür kommen sowohl aus sich seit seinen Anfängen in der Auseinan- islamischen Ländern und Organisationen als dersetzung mit dem jüdischen und christli- auch aus Verbänden innerhalb Europas. chen Glauben entwickelt hat (s.o. Teil 1). In Europa bemühen sich Muslime nicht nur darum, die vorhandenen muslimischen Ge- Der Islam kann daher als eine - im inhaltli- meinschaften zu festigen und neue Muslime chen wie im chronologischen Sinne - nach- zu gewinnen, sondern vermitteln dort häufig biblische und nach-christliche Religion ausschließlich ein Bild vom Islam, das dem bezeichnet werden, die vordergründig zwar europäischen Kontext angepasst ist. eine dem Evangelium ähnlich klingende Botschaft verkündet, dieses Evangelium im 17
Koran aber entschieden ablehnt und dadurch in Saudi-Arabien und im Jemen verschwan- viele Menschen von Kind auf dagegen ein- den christliche Gemeinden ganz. nimmt. Nur der Geist des lebendigen Gottes Christen in den islamisch geprägten Ländern vermag das christliche Zeugnis zur Wirkung haben bis heute diesen benachteiligten Sta- zu bringen und auch Muslimen die Augen für tus inne und müssen dringend die Freiheit die „Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu erhalten, ihren Glauben in vollem Umfang Christi“ zu öffnen (2. Korinther 4,6). auszuüben. So wie der Übertritt vom christ- lichen Glauben zum Islam zulässig, geför- 2.3 Die Geschichte ist belastet dert, mit Vorteilen behaftet - und teilweise Im Namen des Christentums und durch weit verbreitet - ist, muss auch Muslimen ‚christliche‘ Staaten und ihre Politik ist Mus- die volle Gewissensfreiheit zugestanden limen viel Unrecht und Leid zugefügt wor- werden, sich für den christlichen Glauben den, z.B. durch die Kreuzzüge, den Kolonia- entscheiden zu können, ohne dafür diskri- lismus oder die Kriege des 20. Jahrhunderts miniert oder bestraft zu werden. im Nahen Osten. Trotz dieser menschlichen Verirrungen und Wenn der Islam eine Religion des Friedens anderen falschen Wegen ist das Evangelium und der Gerechtigkeit sein will, wie seine im Laufe der fast 2000-jährigen Kirchen- Vertreter nicht nur im Westen wiederholt geschichte geglaubt, gelebt und bezeugt, versichern, ist er verpflichtet, seinen An- sowie in viele Sprachen übersetzt und von hängern diese Entscheidungs- und Gewis- Generation zu Generation in vielen Kultu- sensfreiheit zu gewähren. Dies würde außer- ren weitergegeben worden. Gott selbst hat dem das friedliche Zusammenleben fördern. in der Geschichte seine Kirche immer wie- der erneuert und zum Zeugnis befähigt. Ihr 2.4 Muslime in Deutschland und die Glaube wurde zu allen Zeiten vor ernsthafte christliche Gemeinde Herausforderungen gestellt, zu denen auch Etwa 1,5 Milliarden Muslime leben auf der der Islam gehört. Welt, davon über 4 Millionen in Deutsch- Muslime haben die Ausbreitung der isla- land und 16 bis 20 Millionen in Europa. In mischen Ordnung und Herrschaft zunächst Deutschland leben vielleicht 2 Millionen größtenteils durch Kriegszüge betrieben Muslime mit deutscher Staatsangehörigkeit. und viele von Christen bewohnte Länder er- Unter den Deutschen, die zum Islam überge- obert. Die einheimischen Christen wurden zu treten sind, sind nicht mehr nur Frauen, die ‚Schutzbefohlenen‘ (arab. dhimmi) erklärt, mit Muslimen verheiratet sind. Gerade jun- was im Alltag mit vielen Benachteiligungen ge Menschen machen einen beträchtlichen wirtschaftlicher und gesellschaftlich-politi- Anteil der deutschen Konvertiten zum Islam scher Art verbunden war. aus. In dieser Situation sollten die christ- lichen Gemeinden und Kirchen folgende für Dadurch sowie durch eine gezielte Steuer- sie neue Aufgaben übernehmen: und Heiratspolitik sank die Zahl der Christen - Die Bemühungen um bessere christlich- innerhalb der islamischen Herrschaftsge- islamische Beziehungen dürfen nicht auf ein biete im Laufe der Jahrhunderte auf einen faires Verstehen und Beurteilen des Islam Bruchteil des ursprünglichen Bestandes. In reduziert werden; vielmehr ist es Aufgabe anderen Ländern wie in Teilen Nordafrikas, der Gemeinden und Kirchen, Christen ein 18
geistliches Urteilsvermögen über den Islam für sich selbst nicht mehr als für andere un- zu vermitteln, sie für eine missionarische ter ähnlichen Umständen. Die Freiheit, ‚Re- Begegnung zu schulen und die Fähigkeit zu ligion zu bekennen, zu praktizieren und zu fördern, verständlich über den eigenen Glau- verbreiten‘, wie es in der Universalen Erklä- ben zu sprechen. rung der Menschenrechte heißt, sollte und muss ein Recht sein, das man sich gegen- - Es ist Aufgabe der Kirchen und Gemeinden, seitig einräumt.“ Da in islamisch geprägten Muslimen die Missverständnisse über den Ländern diese beiderseitige Glaubensfreiheit christlichen Glauben zu erläutern und sie nicht existiert und nach wie vor in manchen mit dem ursprünglichen biblischen Zeugnis Ländern Menschen, die den Islam verlassen bekannt zu machen. Dazu sollten vermehrt wollen, mit der Todesstrafe bedroht werden, Bibeln und Bibelteile in den Sprachen der sollte alles getan werden, um die Glaubens- in Mitteleuropa lebenden Muslime sowie den freiheit als universales Menschenrecht ein- christlichen Glauben erklärende Schriften, zufordern. Videos und Bibelfernkurse an diese Gruppen verbreitet werden. Auch die Nutzung von - In allen Gemeinden, Kirchen und christli- evangelistischen Internetbotschaften, Pod- chen Organisationen sollten sich Menschen casts und Videoclips ist zu empfehlen. der Mission unter Muslimen besonders an- nehmen. Dazu gehört der Aufbau eines Net- - In den letzten Jahren ist die Region des zes von Gebetskreisen, die sich der Fürbitte Nahen und Mittleren Ostens vermehrt in den für islamisch geprägte Länder verpflichtet Fokus der Weltöffentlichkeit gerückt, nicht wissen. Dies geschieht in der Gewissheit, zuletzt durch die „Arabischen Revolutionen“. dass Gott Gebete erhört und seine Botschaft Christen sollten vermehrt die globalen He- wirksam werden lässt. rausforderungen, gerade auch im Blick auf die christlichen Gemeinden in islamisch ge- - Die christlichen Gemeinden, besonders prägten Ländern, wahrnehmen und sich für ihre Verantwortlichen, Pastoren und Ältes- die Glaubensfreiheit und das Wohlergehen ten sollten an Jesus gläubig gewordene ehe- der christlichen Minderheiten dort einset- malige Muslime herzlich aufnehmen und sie zen. in christlicher Lehre und Ethik unterrichten. Dabei ist zu beachten, dass besonders Men- - Dies kann glaubwürdig wahrgenommen schen aus dem orientalischen Kulturraum das werden, wenn folgende Gesichtspunkte des Bedürfnis haben, liebevolle und ganzheitli- Manila-Manifestes der Lausanner Bewe- che Annahme und Gemeinschaft zu erfahren. gung (1989) Beachtung finden: „Christen Dies bedeutet einen kulturüberschreitenden verlangen ernsthafte Religionsfreiheit für Lernprozess für alle Beteiligten. alle Menschen, nicht nur die Freiheit für den christlichen Glauben. In überwiegend christlich geprägten Ländern gehören Chris- ten zu den ersten, die Freiheit für religiöse Minderheiten fordern. In überwiegend nicht- christlichen Ländern fordern Christen daher 19
3. Teil Christen und Muslime in der deutschen Gesellschaft 3.1 Einleitung nen Raum haben. Denn Gottes Wort mahnt 3.1.1 Muslime in Deutschland Christen, mit allen Menschen in Frieden zu Die für Christen aktuellen Fragen beziehen leben (Römer 12,18) und ihnen in solcher sich heute längst nicht mehr nur auf den Is- Liebe und Freundlichkeit (Philipper 4,5 und lam im Nahen und Mittleren Osten, sondern 8) zu begegnen, wie Jesus Christus sie vor- auch auf den Islam in Deutschland. Es ist gelebt hat. Dazu gehört das Verständnis für offensichtlich, dass die Mehrzahl der Musli- die Anliegen und Probleme der Muslime, me auf Dauer in Deutschland bleiben wird, nachbarschaftliche Hilfsbereitschaft und deren Zahl durch Konversion, Zuwanderung eine seelsorgerliche Haltung gegenüber dem und Geburtenrate weiter zunehmen wird. einzelnen Menschen. Deshalb sollten Chris- Mehr Muslime nehmen auch die deutsche ten von sich aus auf Muslime zugehen, das Staatsangehörigkeit an, sodass sowohl der Gespräch mit ihnen suchen, ihnen, wo im- Anteil der deutschen Muslime an der mus- mer möglich, helfen und dadurch ihre Inte- limischen Wohnbevölkerung als auch der gration in die deutsche Gesellschaft fördern. Anteil der Muslime an der deutschen Bevöl- Muslime der zweiten und dritten Generati- kerung wachsen wird. on, die in Deutschland aufgewachsen sind, Die meisten ausländischen Muslime konnten sprechen oft beide Sprachen und sind nicht sich zunächst nicht vorstellen, auf Dauer in selten als Wanderer zwischen beiden Kultu- Deutschland zu bleiben. Viele wollten zu ih- ren auf der Suche nach ihrer eigenen Iden- ren Familien zurückkehren, zudem war ihnen tität. Heute definiert ein beträchtlicher Teil die liberale, westliche Gesellschaft zu fremd. der Jugend diese Identität vor allem als Inzwischen wird von manchen islamischen islamisch, auch wenn das nicht heißt, dass Gruppen die Einbürgerung in Deutschland man sich an die einzelnen Gebote des Is- gefördert mit dem Ziel, eine dauerhafte lam hält. Freundschaften zu Deutschen ohne und einflussreiche muslimische Präsenz in Migrationshintergrund sind nicht überall Deutschland zu bewirken. selbstverständlich, und gerade bei den Frei- zeitbeschäftigungen der Jugendlichen gibt 3.1.2 Die Bemühung um ein friedliches Zu- es teilweise wenig Gemeinsames. Ein Teil sammenleben der muslimischen Migranten hat den Auf- Christen sollen ihren Mitmenschen unabhän- stieg in höhere Schulen, Universitäten und gig ihrer religiösen Zugehörigkeit zuallererst qualifizierte Berufsgruppen bewältigt, ein als von Gott geliebten Menschen begegnen. anderer Teil leidet unter Sprachdefiziten und Es ist deshalb zu bedauern, dass manche mangelnden Bildungserfolgen und demzufol- Christen sich durch Vorurteile und Ängste ge häufiger Arbeitslosigkeit. Manche jungen blockieren lassen und sich einem friedlichen Muslime prägt ein Gefühl der Fremdheit in Zusammenleben verweigern. Unter Christen Deutschland, das zwar ihr Geburtsland, ih- sollte die Diskriminierung Andersdenkender nen emotional jedoch nie ganz Heimat ge- und der Hass gegen fremde Menschen kei- worden ist. 20
Manche kürzlich zugewanderten Muslime vertreten, ist der gesellschaftliche Friede suchen von sich aus den Kontakt zu ihren dem Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes alteingesessenen Nachbarn und setzen sich untergeordnet. Für sie ist deshalb das obers- für gute zwischenmenschliche Beziehungen te Ziel die Aufrichtung einer islamischen ein. Sie integrieren sich gerne und möch- Ordnung in der Gesellschaft. Für dieses Ziel ten ihren Kindern eine bessere Zukunft er- können soziale Spannungen in Kauf genom- möglichen. Andere Muslime sind in einer men werden. Bei islamistischen Gruppen westlichen Kultur mit christlich-jüdischen kann auch die Ausnutzung der Demokratie Wurzeln, die heute vor allem vom libera- mit dem Ziel ihrer Abschaffung bis hin zur len Säkularismus geprägt ist, offensichtlich Ausübung von Gewalt befürwortet werden. verunsichert und ziehen sich in die Ghettos ihrer Wohnbezirke, Familien und Moschee- 3.1.4. Die Unterscheidung mitmenschlicher, gemeinden zurück. Manche begründen ihren gesellschaftlicher und kirchlich-gemeindli- Rückzug mit der koranischen Aufforderung, cher Fragen Christen nicht zu Freunden zu nehmen (Sure Christen und Muslime begegnen einander 5,51). Andere reagieren mit Aggressivität in erster Linie als Mitmenschen im Alltag. auf die liberale Gesellschaft und propagie- Hier gilt für den einzelnen Christen zunächst ren vermehrt den Islam und das islamische schlicht das Gebot der Nächstenliebe. Davon Recht. Islamische Organisationen fordern sind die politisch-gesellschaftlichen Fragen heute vermehrt Rechte und eine staatliche zu unterscheiden, bei denen Christen als Anerkennung als Religionsgemeinschaft, Staatsbürger und in ihrer Verantwortung ohne allerdings bisher die rechtlichen Vor- für das Gemeinwohl gefragt sind. Zu Fragen aussetzungen dafür zu erfüllen. Durch Ab- dieser Art können Christen sich in der Öf- grenzung und Forderungskataloge werden fentlichkeit äußern, über gesellschaftliche normale mitmenschliche Beziehungen und Gruppen (z.B. Parteien) im demokratischen eine erfolgreiche Integration, leider aber Prozess meinungsbildend und bei Wahlen auch oft gesellschaftliches Fortkommen, er- an den Entscheidungsprozessen mitwirken. schwert. Davon wiederum sind Fragen zu unterschei- den, welche die christlichen Gemeinden und 3.1. 3. Friedliches Zusammenleben und Mis- Kirchen betreffen und theologisch begrün- sion dete Entscheidungen erfordern, die von den Christen werden in Verantwortung vor Gott Gemeinden und Kirchen getroffen werden dem Schöpfer dem sozialen Frieden in der müssen. Gesellschaft große Bedeutung beimessen und alles ihnen Mögliche dafür tun. Noch Im Islam wird traditionell nicht zwischen wichtiger ist ihnen aber das ewige Heil einem säkularen und einem sakralen Be- der Menschen. Deshalb können sie auf die reich und nicht zwischen einem Muslim als Verkündigung des Evangeliums auch unter Staatsbürger und einem Muslim als einem Muslimen nicht verzichten, selbst wenn dies glaubenden Menschen unterschieden. Weit- möglicherweise als Störung des sozialen gehend leben Muslime in ihren Herkunfts- Friedens empfunden wird. ländern bis heute in einer vom Islam ge- Für bekennende Muslime, die einen ganz- prägten Gesellschaft; nach den Wahlen im heitlich-gesellschaftlich-politischen Islam Anschluss an die „Arabischen Revolutionen“ 21
wird sich diese Ausrichtung noch verstärken. geringen Mitgliederzahlen nur eine Minder- In der Minderheitssituation muss sich der Is- heit der Muslime in Deutschland vertreten, lam zunächst notwendigerweise weitgehend Repräsentanten eines namhaften Teils der auf seine religiöse Seite beschränken. Ein- islamischen Gemeinschaft sein könnten. flussreiche muslimische Rechtsgelehrte wie Schwierigkeiten in Bezug auf die geforder- z. B. Yusuf al-Qaradawi (geb. 1926) fordern te Verfassungstreue ergeben sich etwa dort, jedoch heute, dass sich Muslime im Westen wo sich islamische Verbände nicht grund- dafür einsetzen, die jeweilige Gastgesell- sätzlich von der vollen Gültigkeit und dem schaft Schritt für Schritt in eine islamische Wunsch zur Umsetzung des Schariarechts Gesellschaft umzuwandeln. Bei islamischen distanzieren. So verlangen der Koran und Organisationen in Europa ist mehr und mehr das traditionelle islamische Strafrecht z. B. erkennbar, dass sie sich mit einer liberalen, körperliche Bestrafung wie Gliederamputa- säkularen Gesetzgebung dauerhaft nicht zu- tionen, Peitschenhiebe und Steinigungen frieden geben. Sie betrachten die Scharia, für bestimmte Vergehen wie Diebstahl und das islamische Recht, in seinem Kernbe- Ehebruch. Das islamische Familienrecht be- stand als ein von Gott gestiftetes und für nachteiligt Frauen durch die Polygamie und alle Zeiten unveränderliches und verbindli- das Scheidungs- und Erbrecht. Das Scharia- ches Gesetz, das auch in Europa aufgerichtet recht fordert bei Apostasie die Todesstrafe. werden muss. Auch wenn islamische Verbände derzeit die Umsetzung dieser Bestimmungen öffentlich 3.2. Gesellschaftliche Fragen nicht fordern, muss die Frage, wie sie sich 3.2.1 Anerkennung als Religionsgemein- grundsätzlich zum Schariarecht positionie- schaft ren, im Sinne des Grundgesetzes zunächst In Deutschland ist der Staat grundsätzlich eindeutig beantwortet werden. religionsneutral, gesteht aber den Religi- 3.2.2 Menschenrechte und Verfassungstreue onsgemeinschaften das Recht auf Entfal- Das Verhältnis des traditionellen Islam und tung, auf öffentliche Präsenz, friedliche des ideologischen Islam (Islamismus, Sala- Werbung und freie Religionsausübung zu. fismus) zum Grundgesetz und zu den Län- Darüberhinaus kann der Staat mit Religions- derverfassungen erscheint bisher als unklar gemeinschaften, die als Körperschaften des (vgl. die Charta des Zentralrats der Muslime öffentlichen Rechts (KdöR) verfasst sind, in in Deutschland). Wird der demokratische ein Vertragsverhältnis treten, von dem durch Staat nur vorübergehend anerkannt? Es Sondervereinbarungen beide Seiten profitie- wäre nötig, dass die islamischen Verbände ren. Dieser Weg zur KdöR steht auch dem Is- in Deutschland sich nicht nur eindeutig ar- lam offen. Voraussetzung sind unzweifelhaf- tikulieren, sondern auch auf die mit ihnen te Loyalität zur deutschen Verfassung und jeweils verbundenen islamischen Weltver- eine auf Dauer und Repräsentanz angelegte bände dementsprechend einwirken. Vor al- Struktur. In Bezug auf die bisher entstande- lem aber müssten die islamisch geprägten nen vier islamischen Dachverbände ist teil- Staaten das Menschenrecht auf freien Reli- weise die Frage ihres eindeutigen Bekennt- gionswechsel - in jede Richtung - ohne Vor- nisses zur deutschen Verfassung ungeklärt, behalte anerkennen und in der Praxis dulden bei allen Verbänden jedoch darüber hinaus und schützen. auch die Frage, inwiefern sie, die über ihre 22
Sie können auch lesen