Niedrige Ölpreise: Ursachen, Wirkungen und Risiken

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Niedrige Ölpreise: Ursachen, Wirkungen und Risiken
ZUKUNFTSFRAGEN

Niedrige Ölpreise: Ursachen, Wirkungen und
Risiken
Manuel Frondel, Stephan Sommer, György Barabas und Torsten Schmidt

Der Ölpreis hat sich innerhalb eines halben Jahres etwa halbiert. Von über 100 US$ pro Barrel (bbl) Mitte 2014 ist der
Preis für die Sorte Brent im Januar auf unter 50 US$ gefallen. Auch die Preise für Heizöl und andere Energieträger sind
infolgedessen gesunken, allerdings nicht im gleichen Maße. Was sind jedoch die Ursachen des Ölpreisverfalls und welche
positiven Auswirkungen hat dies auf Wirtschaft und Verbraucher in Deutschland? Zudem steht die Frage im Raum, ob sich
aus dem aktuellen Preistrend mögliche Risiken ergeben sowie Nebenwirkungen für den Klimaschutz und die Energiewende
zu erwarten sind.

Dass der Preis für Rohöl seit Mitte 2014
stark gesunken ist (Abb. 1), war für viele
überraschend, am meisten wohl für die Peak
Oil-Pessimisten, die das Maximum der glo-
balen Ölförderung in sehr naher Zukunft er-
reicht, wenn nicht gar bereits überschritten
gesehen haben. Die innerhalb eines halben
Jahres dramatisch gesunkenen Ölpreise wi-
derlegen nun sowohl Peak Oil als auch Mut-
maßungen über einen immer weiter steigen-
den Rohölpreis.

Ursachen

Diese Theorien verwundern doch sehr, da
sich Rohstoffmärkte bekanntermaßen zyk-
lisch verhalten. Sind die Preise niedrig, wird
wenig in die Exploration und Erschließung
neuer Ölfelder investiert. Das war besonders
                                                         Insbesondere Haushalte, die mit Öl heizen, können von den gesunkenen Rohölpreisen profitieren
nach der Asienkrise 1998 der Fall, als der                                                                                  Foto: apops | Fotolia.com
Preis vorübergehend unter 10 US$/bbl fiel
(Abb. 1). Trifft ein daraus resultierendes
niedriges Angebot auf eine stark steigende       rer heimischen Ölproduktion stoppen und              reagierte. Vor allem der weltweit größte
weltwirtschaftliche Nachfrage, wie dies –        ihre Nettoimporte zwischen 2003 und 2013             Ölproduzent, Saudi-Arabien, hat seine be-
nicht zuletzt befeuert durch das Wachstum        deutlich verringern, von rd. 11 auf 6,5 Mio.         kannte Rolle als sog. Swing Producer vorerst
Chinas – bis zur Finanzkrise 2008 der Fall       bbl pro Tag [1]. Die dem Weltmarkt nun zu-           aufgegeben und sein Angebot trotz fallender
war (Abb. 2), steigen die Preise – bis zum       sätzlich zur Verfügung stehenden 4,5 Mio.            Preise nicht verringert.
bisherigen Allzeithoch von knapp 150 US$         bbl bedeuten einen Anteil von rd. 5 % der
im Jahr 2008. Wenn sich das Preisniveau          täglichen weltweiten Förderung von aktuell           Einsparungen der Verbraucher
auf hohem Niveau als stabil erweist, wie         rd. 91 Mio. bbl [2]. Somit sind sowohl die
z. B. in den Jahren 2011 bis 2013 (Abb. 1),      lange Zeit als richtig erachteten Vorhersa-          Was die Staatshaushalte Russlands und
werden immer mehr Investitionen und Pro-         gen des Geologen Marion King Hubbert,                vieler OPEC-Mitglieder derzeit massiv be-
jekte zur Erhöhung der Ölproduktion getä-        nach denen die Erdölproduktion in den USA            einträchtigt, freut die Importländer, die von
tigt. Die Ausweitung des Angebots ist die        ihren Höhepunkt bereits Ende der 1960er              den aktuell niedrigen Rohölnotierungen
Voraussetzung für wieder sinkende Preise.        Jahre erreicht hätte, als auch die sich darauf       in enormem Maße profitieren: Verglichen
                                                 stützende Peak Oil-Hypothese endgültig wi-           mit dem früheren Preisniveau von über
Neben hohen Preisen hat auch der tech-           derlegt.                                             100 US$ werden beim derzeitigen Preis von
nologische Fortschritt Auswirkungen.                                                                  rd. 60 US$ über das Jahr gerechnet weltweit
Dieser ermöglichte die wirtschaftliche           Ungewöhnlich ist allerdings die Reaktion             mehr als 1,33 Bio. US$ umverteilt – zulasten
Gewinnung der als unkonventionelle Vor-          der Organisation der erdölexportierenden             der Produzenten [3]. Während bedeutende
kommen bezeichneten Schieferölvorräte.           Länder (OPEC), die auf nachhaltig fallende           Ölproduzenten, insbesondere die russische
Die USA konnten damit den Rückgang ih-           Preise üblicherweise mit Förderkürzungen             Wirtschaft, ins Schlingern geraten könnten,

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Niedrige Ölpreise: Ursachen, Wirkungen und Risiken
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                                                                                                                           ZUKUNFTSFRAGEN

Abb. 1   Monatliche Durchschnittspreise pro bbl Rohöl der Sorte Brent in US$      Abb. 2   Nominale und reale Preise der Rohöl-Sorte Brent pro bbl
                                                                 Quelle: [21]                                                                        Quelle: [22]

wirkt dies in den Importländern wie ein rie-             Für einen besserverdienenden Haushalt mit             rigen Preisen profitieren zu können. Ein
siges Gratis-Konjunkturprogramm.                         einem Nettogehalt von 40 000 € jährlich und           Haushalt, der über Heizöltanks mit einem
                                                         einem Heizölverbrauch von 157 l pro Monat             Fassungsvermögen von insgesamt 4 500 l
Dies freut in Deutschland nicht zuletzt die              ist die Ersparnis etwas höher: Statt 130 €,           verfügt, hätte im Vergleich zum Vorjahr im
privaten Haushalte. So können die mit Öl                 wie im Jahr 2014, sind monatlich nur noch             besten Fall über 1 250 € an Einsparungen
heizenden Haushalte in diesem Jahr massiv                86 € zu entrichten. Die jährliche Ersparnis           erzielen können, wenn er seinen leeren
an Heizkosten sparen. Gerade ärmere Haus-                läge somit bei 523 €. Der Anteil der Heiz-            Tank im Januar 2015 vollständig befüllt
halte könnten profitieren: Ein Haushalt mit              kosten am Nettoeinkommen sinkt damit von              hätte. Bei einem Heizölpreis von 547,5 € je
einem Jahresnettoeinkommen von 15 000 €                  knapp 4 % auf 2,6 %. Darüber hinaus ist auch          1 000 l [6] kosteten die 4 500 l, die nach
könnte nach unseren Berechnungen auf Ba-                 mit Einsparungen für jene Haushalte zu                der Erhebung von RWI und forsa [7] dem
sis der Erhebungen des Energieverbrauchs                 rechnen, die kein Heizöl verwenden, denn              durchschnittlichen Fassungsvermögen
der privaten Haushalte von RWI und for-                  auch die Preise für andere Brennstoffe und             der Heizöltanks in privaten Haushalten
sa [4] gegenüber dem Vorjahr rd. 370 € spa-              Energieträger, wie z. B. Erdgas, korrelieren          entsprechen, im Januar 2015 lediglich
ren, denn statt 825,5 €/1 000 l [5], wie im              teilweise stark mit dem Heizölpreis und mit           rd. 2 460, anstatt 3 715 €, wie im Januar
Januar 2014, betrugen die Heizölpreise im                den sinkenden Ölpreisen gehen auch deren              2014, als der Preis bei 825,5 € je 1 000 l
Januar 2015 lediglich 547,5 €/1 000 l [6].               Preise zurück (Abb. 3).                               lag [5]. Ein Haushalt mit einem jährlichen
Musste dieser Haushalt im Januar 2014                                                                          Nettoeinkommen von 40 000 €, der nach
noch 92 € pro Monat für seinen Heizölver-                Tatsächlich dürften die Einsparungen für              RWI und forsa [7] einen Jahresverbrauch
brauch von – über das Jahr gemittelt – 112 l             Heizölnutzer wegen der Lagerbarkeit die-              von 1 884 l aufweist, würde mit 4 500 l bei-
zahlen, waren es im Januar 2015 nur noch                 ses Energieträgers noch deutlich höher                nahe zweieinhalb Jahre lang seinen Heizöl-
61 €. Damit sank der Anteil der Heizkosten               ausfallen als gerade dargestellt. So liegt es         bedarf decken können.
am Haushaltsnettoeinkommen von über 7 %                  nahe, dass Haushalte aufgrund der niedri-
auf unter 5 %; auf das Jahr 2015 hochgerech-             gen Preise Heizöl auf Vorrat kaufen, um so            Nicht unerhebliche Einsparungen sind auch
net könnte die Ersparnis 372 € betragen.                 über mehrere Jahre von den aktuell nied-              bei den Ausgaben der privaten Haushalte

Abb. 3   Preisindizes für leichtes Heizöl, Erdgas und Strom (Basisjahr 2010)      Abb. 4   Nominale und reale Jahresdurchschnittspreise von Superbenzin in ct/l
                                                                   Quelle: [23]                                                                   Quelle: [24]

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 65. Jg. (2015) Heft 5                                                                                                      27
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für den Individualverkehr zu erwarten. So               stoffkosten profitieren indes zumeist einkom-        Prozentpunkte höheres Bruttoinlandspro-
bezahlten Zweipersonenhaushalte, die sich               mensstarke Haushalte, weniger jedoch Haus-          dukt (BIP). Das BIP des kommenden Jahres
im Besitz eines Otto-Pkw befinden, im Jahr              halte mit geringeren Einkommen: Über die            2016 würde um 0,2 Prozentpunkte höher
2014 bei einem durchschnittlichen Benzin-               Hälfte der Haushalte mit einem monatlichen          ausfallen (siehe Tabelle). Gleichzeitig ist ein
preis von 1,53 €/l (Abb. 4) ca. 1 404 € für             Nettoeinkommen von unter 1 000 € hat unse-          deutlicher Rückgang des Preisauftriebs zu
Benzin, wenn man einen durchschnittlichen               ren Daten zufolge kein Auto zur Verfügung [7].      erwarten. Durch die niedrigeren Ölpreise
Benzinverbrauch von 8,8 l/100 km sowie                                                                      könnte der Preisindex des privaten Kon-
eine mittlere Fahrleistung von 10 441 km                Auswirkungen auf die                                sums um 0,6 Prozentpunkte geringer aus-
pro Jahr unterstellt, wie es in den Erhe-               Volkswirtschaft                                     fallen. Berücksichtigt man zusätzlich, dass
bungen von RWI und forsa [7] für Zweiper-                                                                   auch wichtige Handelspartner Deutschlands
sonenhaushalte mit Diesel-Pkw ermittelt                 Das Geld, das die Verbraucher bei den               von den niedrigeren Ölpreisen profitieren
wurde. Wird für das gesamte Jahr 2015 ein               Heiz- und Kraftstoffkosten sparen, geben             und ihre Nachfrage nach deutschen Gütern
durchschnittlicher Benzinpreis von 1,32 €/l             sie in der Regel an anderer Stelle aus. Dies        dadurch ausweiten, ergibt sich ein noch
angenommen, wie er zu Jahresbeginn zu be-               regt den privaten Konsum an. Darüber hin-           höherer Effekt auf das deutsche BIP, das
obachten war, ergäbe sich gegenüber 2014                aus sorgen sinkende Rohölpreise für einen           2015 um 0,5 Prozentpunkte höher ausfallen
eine Ersparnis von knapp 200 € pro Jahr,                Rückgang der Produktionskosten von Un-              könnte als im Basis-Szenario.
wenn man einen unveränderten Verbrauch                  ternehmen und somit für steigende Gewin-
und dieselbe Fahrleistung unterstellt [8].              ne. Daher hat der Rückgang der Ölpreise             Diese positiven Effekte sind angesichts der
                                                        deutlich positive Effekte auf die gesamtwirt-        enormen Bedeutung, die Erdöl für Deutsch-
Eine etwas geringere Ersparnis von 183 €                schaftliche Aktivität. Dies gilt nicht zuletzt      land hat, nicht überraschend. Mit einem
resultiert für einen Zweipersonenhaushalt,              vor dem Hintergrund von Erfahrungen mit             Anteil von recht genau einem Drittel stellte
der im Besitz eines Diesel-Pkw ist. Für die-            früheren Ölpreisschocks, die gezeigt haben,         Erdöl im Jahr 2013 noch immer den bedeu-
sen Haushaltstyp beliefen sich die Kraftstoff-           dass die Wirkungen auf die Wirtschaftsak-           tendsten Primärenergieträger für Deutsch-
Ausgaben im Jahr 2014 bei einem mittleren               tivität stärker sind, wenn die Ursachen, wie        land dar [10]. Bei einem durchschnittlichen
Dieselpreis von 1,35 €/l (Abb. 5) auf 1 263 €,          in diesem Fall, auf Veränderungen des Ölan-         Einfuhrpreis von 556,65 €/t Rohöl [11] gab
wenn ein durchschnittlicher Verbrauch von               gebots zurückzuführen sind. Tatsächlich             Deutschland im Jahr 2014 ca. 49,7 Mrd. € für
7,5 l/100 km und eine Jahresfahrleistung von            legen entsprechende Analysen nahe, dass             seine Rohölimporte in Höhe von 89,3 Mio. t
12 471 km unterstellt wird, wie es in den Er-           der überwiegende Teil des jüngsten Ölpreis-         aus [12]. Das sind mehrere Milliarden Euro
hebungen von RWI und forsa [7] für Zweiper-             rückgangs auf angebotsseitige Faktoren zu-          weniger als im Jahr 2013, als dieselbe Im-
sonenhaushalte ermittelt wurde. Wird für das            rückgeführt werden kann [9].                        portmenge bei einem mittleren Einfuhrpreis
ganze Jahr 2015 ein Dieselpreis von 1,16 €/l                                                                von 611,43 €/t noch 54,6 Mrd. € gekostet
angenommen, betragen die entsprechenden                 Mithilfe einer Simulationsrechnung mit dem          hätte. Angenommen, der Einfuhrpreis von
Kraftstoffausgaben lediglich 1 080 €.                    RWI-Konjunkturmodell können die Wirkun-             412 €/t vom Dezember 2014 erwiese sich als
                                                        gen eines Ölpreisrückgangs um 25 US$/bbl            Durchschnittspreis für das Jahr 2015, wür-
Bei Dreipersonenhaushalten, die eine durch-             (auf 78 US$/bbl im Jahr 2015 und 80 US$/            de Deutschland bei seinen Ölimporten um
schnittliche Jahresfahrleistung in Höhe von             bbl im Jahr 2016) ermittelt werden. Im Ver-         12,9 Mrd. € entlastet. Statt 49,7 Mrd. €, wie
11 929 km (Otto-Pkw) bzw. 16 116 km (Die-               gleich zum Basis-Szenario ohne einen sol-           im Jahr 2014, müssten für die – als konstant
sel-Pkw) aufweisen, betragen die Ersparnisse            chen Preisrückgang ergibt sich für die deut-        unterstellte – Importmenge von 89,3 Mio. t
220 bzw. 235 €. Von den gesunkenen Kraft-               sche Wirtschaft in diesem Jahr ein um 0,3           nur noch 36,8 Mrd. € entrichtet werden.

   Abb. 5   Nominale und reale Jahresdurchschnittspreise von Diesel in ct/l       Abb. 6   Anteile der bedeutendsten Lieferanten an den Rohölimporten
                                                              Quelle: [24]                 Deutschlands im Jahr 2014                       Quelle: [25]

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Niedrige Ölpreise: Ursachen, Wirkungen und Risiken
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                                                                                                                        ZUKUNFTSFRAGEN

Auswirkungen auf                                  Tab.: Simulationen der Auswirkungen eines Rückgangs des Rohölprei-
die Förderländer                                  ses um 25 US$/bbl mit dem RWI-Konjunkturmodell [26]
                                                                                                 Rückgang des      Rückgang des Ölpreises um 25 US$/
Des einen Freud ist des anderen Leid: Der                                                        Ölpreises um      bbl sowie eine um 0,5 Prozentpunkte
für Deutschland bedeutendste Energielie-                                                         25 US$/bbl        stärkere Expansion des Welthandels
ferant, Russland, von dem im Jahr 2014            Zuwachsrate in Prozentpunkten          2014       2015    2016        2014         2015          2016
rund ein Drittel der Rohölimporte von fast        BIP                                     0,0        0,3     0,2         0,1           0,5           0,3
90 Mio. t bezogen wurden (Abb. 6), würde          Private Konsumausgaben                  0,1        0,6     0,2         0,1           0,7           0,3
im Jahr 2015 bei den oben errechneten Ein-        Bruttoanlageinvestitionen               0,0        0,5     0,3         0,1           0,8           0,6
sparungen Deutschlands bei den Ölimpor-           Inlandsnachfrage                        0,1        0,5     0,2         0,1           0,7           0,4
ten von 12,9 Mrd. € allein von Deutschland        Exporte                                 0,0       -0,1     0,1         0,1           0,5           0,4
rd. 4 Mrd. € weniger an Devisen für seine         Importe                                 0,1        0,6     0,3         0,1           1,1           0,6
Rohölexporte überwiesen bekommen. Zum
                                                  Außenbeitrag (Wachstumsbeitrag)         0,0       -0,3     0,0         0,0          -0,2           0,0
Vergleich: Der Wert der heimischen För-
                                                  Preisindizes
derung, die im Jahr 2014 bei ca. 2,4 Mio. t
                                                  Private Konsumausgaben                  -0,1      -0,6     0,0         -0,1         -0,6          -0,1
lag [13], entspricht unter Berücksichtigung
                                                  Bruttoinlandsprodukt                    0,0        0,1    -0,1         0,0           0,1          -0,1
des durchschnittlichen Einfuhrpreises von
556,65 €/t rd. 1,3 Mrd. €.                        Anmerkung: Dargestellte Werte sind Abweichungen vom Basis-Szenario.

Insgesamt könnte Russland der Preisrück-         Auf höhere Preise dürften wohl auch einige                Als Grund für diesen Strategiewechsel gegen-
gang bei Rohöl Mindereinnahmen im drei-          Mitglieder der OPEC hoffen. Schließlich sind               über der Vergangenheit, als vor allem Saudi-
stelligen Milliardenbereich bescheren, falls     auch die Mindereinnahmen der OPEC, die                    Arabien einem Preisverfall in der Regel mit
dieser Rückgang das ganze Jahr 2015 Be-          für ca. 40 % der weltweiten Erdölproduktion               Förderkürzungen entgegentrat, gibt der
stand haben sollte. Im Vergleich zum durch-      verantwortlich ist, (Abb. 7) mit 1,3 Mrd. US$             saudische Ölminister Sorgen um die Markt-
schnittlichen Preis des Jahres 2013 von          pro Tag immens. Bei einem täglichen Ex-                   anteile und die Marktmacht der OPEC an.
108,6 US$/bbl wäre die von Russland im           portvolumen von 27,4 Mio. bbl [1] und ei-                 Tatsächlich wird das aktuelle Verhalten der
Jahr 2013 exportierte Menge von 7,25 Mio.        nem mittleren Preis von 61,7 US$/bbl in                   OPEC häufig als Limit-Pricing-Strategie inter-
bbl pro Tag [1] heute rd. 340 Mio. US$ we-       den vergangenen Monaten (September 2014                   pretiert, mit der man durch Beschränkung
niger wert, wenn man den durchschnittli-         bis Februar 2015) gegenüber 108,6 US$/bbl                 des Rohölpreises weitere Investitionen in die
chen Preis der vergangenen Monate (Sep-          im Jahr 2013 ergäben sich auf das ganze                   Schieferölproduktion in den USA verhindern
tember 2014 bis Februar 2015) in Höhe            Jahr hochgerechnet Einnahmeverluste von                   und Marktanteile verteidigen möchte.
von 61,7 US$/bbl zugrunde legt. Auf ein          fast 470 Mrd. US$.
Jahr hochgerechnet würden Russland damit                                                                   Die Weigerung der OPEC, die Fördermenge
Einnahmen in Höhe von rd. 124 Mrd. US$           Nichtsdestotrotz betonte Ali Al-Naimi, der Öl-            zu reduzieren, wird manchmal jedoch auch
entgehen. Dies entspräche ca. 6 % des rus-       minister Saudi-Arabiens, welches mit einer                als stillschweigendes Eingeständnis der ei-
sischen BIP.                                     Fördermenge von rd. 10 Mio. bbl pro Tag das               genen Grenzen bei der Stabilisierung der
                                                 dominierende OPEC-Mitglied ist [1], im De-                Preise und der Beherrschung des Marktes
Angesichts der mit dem Ölpreis ebenfalls         zember 2014, dass die OPEC-Staaten die För-               gesehen. Schließlich hängt die Möglichkeit,
zurückgehenden Preise für Erdgas und             dermenge nicht kürzen würden, ganz gleich                 Marktmacht auszuüben, von der Fähigkeit
Steinkohle könnten die Einnahmeausfälle          auf welches Niveau der Ölpreis sinke [15].                der anderen Marktteilnehmer ab, eine För-
bei den Energieexporten Russland in ernst-
hafte wirtschaftliche Schwierigkeiten brin-
gen, wenn das Preistief über Jahre anhalten
würde – mit möglichen negativen Folgen
auch für die weltwirtschaftliche Entwick-
lung. Aus dieser Perspektive betrachtet ist
es beinahe tröstlich zu wissen, dass das
jetzige Preistief aufgrund der Zyklizität des
Marktes wohl nicht von Dauer sein dürfte.
Denn die niedrigen Preise von heute sind
auf Rohstoffmärkten bekanntermaßen die
Ursache für die hohen Preise von morgen.
Tatsächlich laufen die ersten Wetten, in
Form von Call Options, dass der Preis von
WTI (West Texas Intermediate) im Jahr 2018        Abb. 7    Anteile der bedeutendsten Produzenten an der weltweiten Erdölproduktion im Jahr 2013
                                                                                                                                              Quelle: [2]
die Marke von 100 US$ überspringt [14].

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 65. Jg. (2015) Heft 5                                                                                              29
Niedrige Ölpreise: Ursachen, Wirkungen und Risiken
ZUKUNFTSFRAGEN

derkürzung der OPEC durch eine Auswei-          die entsprechende Belastung von 1,56 auf                   Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und
tung der Produktion auszugleichen. Wenn         7,43 ct/kWh. Demnach trug ein Dreiperso-                   Technologie. Endbericht. Rheinisch-Westfälisches Ins-
Förderkürzungen der OPEC durch die Pro-         nenhaushalt mit durchschnittlichem Strom-                  titut für Wirtschaftsforschung und forsa GmbH, Essen,
duktion von Schieferöl in den USA kompen-       verbrauch von 4 040 kWh im Jahr 2014 ca.                   Berlin 2011; RWI und forsa: Erhebung des Energiever-
siert werden könnten, würde dies die OPEC       300 € zur Förderung erneuerbarer Energien                  brauchs der privaten Haushalte der Jahre 2009-2010,
Marktanteile kosten, ohne zu einer Stabili-     bei; im Jahr 2009 waren es lediglich 63 €.                 Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirt-
sierung der Preise beizutragen.                                                                            schaft und Technologie. Endbericht. Rheinisch-West-
                                                Durch die gesunkenen Heizöl- und Kraft-                    fälisches Institut für Wirtschaftsforschung und forsa
Ob aber die OPEC tatsächlich unter dem          stoffkosten könnte die Akzeptanz für die                    GmbH, Essen, Berlin 2013; RWI und forsa: Erhebung
Verlust von Marktmarkt leidet, ist derweil      Klimaschutzbemühungen und Energiewen-                      des Energieverbrauchs der privaten Haushalte der Jahre
in der Literatur umstritten. Laut Wirl [16]     de in Deutschland bei vielen Verbrauchern                  2011-2013, Studie im Auftrag des Bundesministeriums
sowie Wirl und Caban [17] sind niedrige         gestärkt worden sein, da die in jüngster Zeit              für Wirtschaft und Energie. Endbericht. Rheinisch-
Marktpreise nicht als Zeichen fehlender         deutlich gestiegenen Belastungen bei Strom                 Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung und for-
Marktmacht zu verstehen. Stattdessen kann       dadurch teilweise wieder ausgeglichen                      sa GmbH, Essen, Berlin 2015. Die Studien sind abrufbar
das Wechseln zwischen hohen und niedri-         werden. Dem dürfte allerdings bei einkom-                  unter:   www.rwi-essen.de/haushaltsenergieverbrauch,
gen Preisen angesichts der Trägheit der         mensschwachen Haushalten, die nicht mit                    zuletzt geprüft am 16.4.2015.
Nachfrage und einem unsicheren Markt,           Öl heizen und die mehrheitlich kein Auto                   [5] EID – Energieinformationsdienst: Heizölpreise. In:
wie es der Weltmarkt für Rohöl ist, sogar       besitzen, wohl nicht so sein. In der Tat sind              EID Ausgabe 03/2014.
gewinnmaximierend sein. Die Aussichten          gerade die einkommensschwachen Haus-                       [6] EID – Energieinformationsdienst: Heizölpreise. In:
für Rohöl, dem wohl auch in der heutigen        halte von den in den vergangenen Jahren                    EID Ausgabe 04/2015.
Zeit noch immer bedeutendsten Handelsgut,       stark gestiegenen Stromkosten besonders                    [7] RWI/forsa: Erhebung des Energieverbrauchs der
und die künftigen Ölpreise bleiben somit so     betroffen: Während laut Frondel, Sommer                     privaten Haushalte der Jahre 2011-2013 (siehe Fn. [4]).
unsicher wie eh und je.                         und Vance [20] ein einkommensschwacher                     [8] Unter der Annahme, dass Heizenergie und Mobili-
                                                Haushalt im Jahr 2006 ca. 4,5 % für Strom                  tät gewöhnliche Güter sind, kann ein Preisrückgang zu
Nebenwirkungen                                  ausgab, waren es 2012 rund ein Prozent-                    einer steigenden Nachfrage führen. So reagiert bspw.
                                                punkt mehr und damit fast viermal so viel                  der Individualverkehr in Deutschland ziemlich stark
Weniger unsicher ist hingegen die künftige      wie ein besser verdienender Haushalt mit                   auf Preisänderungen. Nach den Ergebnissen mehrerer
Entwicklung der Strompreise in Deutsch-         5 167 € Nettoeinkommen.                                    empirischer Studien liegt die Benzinpreiselastizität für
land. Die Bemühungen, das nationale Kli-                                                                   den Pkw-Verkehr in Deutschland bei -0,4 bis -0,7 (sie-
maschutzziel für das Jahr 2020 zu erfüllen,     Mit den im Gegensatz zu den Ölpreisen wohl                 he Frondel, M.; Vance C.: Re-Identifying the Rebound:
nach dem die Treibhausgasemissionen ge-         auch in Zukunft weiter steigenden Stromprei-               What About Asymmetry? In: Energy Journal 34 (4)
genüber 1990 um 40 % gemindert werden           sen dürfte die Spreizung noch zunehmen.                    2013, S. 43-54). Das bedeutet, dass eine Senkung des
sollen, sowie das unbeirrte Festhalten an       Dies wirft die drängende Frage auf, wie man                Benzinpreises um 10 % eine Erhöhung der Fahrleistung
den Zielen für den Ausbau der erneuerbaren      die Folgen steigender Stromkosten für ärme-                um 4 bis 7 % nach sich ziehen würde.
Energien im Zuge der Energiewende dürften       re Haushalte lindern kann. Frondel, Sommer                 [9] Baumeister, C.; Kilian, L.: Understanding the Decli-
auch weiterhin für einen Anstieg der Strom-     und Vance [20] plädieren diesbezüglich für                 ne in the Price of Oil Since June 2014. CEPR Discussion
preise sorgen – ebenso wie in der Vergan-       eine Erhöhung von Transferleistungen an                    Paper 10404, 2015.
genheit. So zeigt Abb. 3, dass der Strompreis   einkommensschwache Haushalte sowie für                     [10] AGEB – Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen:
grundsätzlich zu Jahresbeginn erhöht wird       die Abschaffung des EEG zugunsten eines                     Energieverbrauch in Deutschland im Jahr 2013. Berlin,
und besonders große Sprünge in den Jahren       kosteneffizienteren, auf einem marktwirt-                    Köln 2014.
2010 und 2013 gemacht hat.                      schaftlichen Ansatz basierenden Fördersys-                 [11] 1 t Rohöl entspricht 7,33 bbl (so BPB – Bundes-
                                                tems für erneuerbare Energien.                             zentrale für Politische Bildung: Verteilung der nachge-
Für einen durchschnittlichen Dreiperso-                                                                    wiesenen Erdöl-Reserven. Bonn 2010, abrufbar unter:
nenhaushalt, der laut RWI und forsa [7]         Anmerkungen                                                www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/globa-
einen jährlichen Stromverbrauch in Höhe                                                                    lisierung/52764/erdoel-reserven, zuletzt geprüft am
von 4 040 kWh aufweist, ist die Stromkos-       [1] Frondel, M.: Niedrige Preise – Ein Wunder? In: Wirt-   16.4.2015.
tenbelastung zwischen 2009 und 2014 um          schaftsdienst 95 (2), S. 84-85.                            [12] BAFA – Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkon-
fast 240 € im Jahr gestiegen, wenn man eine     [2] EIA – U. S. Energy Information Administration: Pro-    trolle; Ausgewählte Statistiken. Entwicklung der Roh-
Erhöhung des Strompreises von 23,21 auf         files for Countries, 2015, abrufbar unter: www.eia.gov/    öleinfuhr. Eschborn 2015, abrufbar unter: www.bafa.de/
29,13 ct/kWh [18] zugrunde legt [19]. Diese     countries, zuletzt geprüft am 16.4.2015.                   bafa/de/energie/mineraloel_rohoel/ausgewaehlte_sta-
Mehrausgaben fließen beinahe vollständig        [3] Bei einem täglichen globalen Rohölverbrauch von        tistiken/index.html, zuletzt geprüft am 16.4.2015.
in die Förderung erneuerbarer Energien,         91 Mio. bbl bedeutet die Preisdifferenz von 40 US$/bbl      [13] WEG – Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasge-
denn zwischen 2009 und 2014 hat sich die        eine Ersparnis für die Verbraucher von 3,64 Mrd. US$       winnung: Fakten und Trends. Statistischer Monatsbe-
EEG-Umlage von 1,31 auf 6,24 ct/kWh er-         am Tag bzw. rd. 1,33 Bio. US$ im Jahr.                     richt Dezember 2014. Hannover 2015.
höht. Berücksichtigt man die auf die EEG-       [4] RWI und forsa: Erhebung des Energieverbrauchs          [14] EID – Energieinformationsdienst: Wetten: US-Preis
Umlage anfallende Mehrwertsteuer, wuchs         der privaten Haushalte der Jahre 2006-2008, Studie im      2018 über 100 $/b. In: EID Ausgabe 14/2015, S. 15.

   30                                                                                          ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 65. Jg. (2015) Heft 5
Niedrige Ölpreise: Ursachen, Wirkungen und Risiken
ZUKUNFTSFRAGEN
                                                                                                                                    ZUKUNFTSFRAGEN

[15] Maria Marquart: Preisverfall bei Öl: Saudischer          WBSITE/EXTERNAL/EXTDEC/EXTDECPROSPECTS/0,                 [25] BAFA – Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkont-
Minister schwört Opec auf Konkurrenzkampf ein.                ,contentMDK:21574907~menuPK:7859231~pagePK:6              rolle: Amtliche Mineralöldaten. Eschborn 2015, aufrufbar
In: Spiegel Online, 23.12.2014; abrufbar unter: www.          4165401~piPK:64165026~theSitePK:476883,00.html,           unter: www.bafa.de/bafa/de/energie/mineraloel_rohoel/
spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/oelpreis-opec-              zuletzt geprüft am 16.4.2015.                             amtliche_mineraloeldaten, zuletzt geprüft am 16.4.2015.
will-preisverfall-nicht-stoppen-a-1010056.html, zuletzt       [22] Eigene Berechnungen auf Basis von Weltbank           [26] RWI – Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirt-
geprüft am 16.4.2015.                                         (siehe Fn. [21]); BLS – U.S. Bureau of Labor Statis-      schaftsforschung: Die wirtschaftliche Entwicklung zum
[16] Wirl, F.: OPEC’s Strategies. In: Zeitschrift für Ener-   tics: Consumer Price Index US City Average. Boston        Jahresende 2014. RWI Konjunkturbericht 65(4)/2014.
giewirtschaft 36, 2012, S. 227-237.                           2015; EZB – Europäische Zentralbank: Statistical Data
[17] Wirl, F.; Caban, S.: A Rationalization of Ups and        Warehouse. Bilateral Exchange Rates. Frankfurt am         M. Frondel, Leiter der Kompetenzbereichs
Downs of Oil Prices by Sluggish Demand, Uncertainty,          Main 2015 und destatis – Statistisches Bundesamt:         Umwelt und Ressourcen, Rheinisch-West-
and Nonconcavity. In: Natural Resource Modeling 27            Verbraucherpreise – Jahresdurchschnitte. Wiesbaden        fälisches Institut für Wirtschaftsforschung
(2) 2014, S. 178-196.                                         2015. Brent-Preise sind erst seit 1979 verfügbar, die     (RWI), Essen und Ruhr-Universität Bochum;
[18] BDEW – Bundesverband der Energie- und Wasser-            Preise davor stellen einen Durchschnitt verschiede-       G. Barabas, Mitarbeiter, T. Schmidt, Stell-
wirtschaft: BDEW-Strompreisanalyse Juni 2014. Haus-           ner Sorten dar.                                           vertretender Leiter des Kompetenzbereichs
halte und Industrie. Berlin 2014.                             [23] destatis – Statistisches Bundesamt: Preise. Daten    Wachstum, Konjunktur, Öffentliche Fi-
[19] Die vom BDEW (siehe Fn. [18]) angegebenen Prei-          zur Energiepreisentwicklung. Lange Reihen von Januar      nanzen, S. Sommer, Mitarbeiter des Kom-
se gelten für einen Dreipersonenhaushalt mit einem            2000-Januar 2015. Wiesbaden 2015.                         petenzbereichs Umwelt und Ressourcen,
Jahresverbrauch von 3 500 kWh. Laut unseren Erhe-             [24] MWV – Mineralölwirtschaftsverband: Statistisches     Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirt-
bungen (RWI/forsa, siehe Fn. [7]) liegt der Stromver-         Datenmaterial. Berlin 2015, abrufbar unter: www.mwv.      schaftsforschung (RWI), Essen
brauch eines Dreipersonenhaushaltes jedoch etwas              de/index.php/daten, zuletzt geprüft am 16.4.2015.         frondel@rwi-essen.de
höher, bei 4 040 kWh.
[20] Frondel, M.; Sommer S.; Vance, C.: The Burden of
Germany’s Energy Transition – An Empirical Analysis
of Distributional Effects. In: Economic Policy and Ana-         Die Autoren danken David Heine für wertvolle wissenschaftliche Vorarbeiten und
lysis 45/2015, S. 89-99.                                       dem Bundesministerium für Bildung und Forschung für die finanzielle Unterstüt-
[21] Weltbank: Overview of Commodity Markets. Histo-           zung im Rahmen des Projekts Akzeptanz (Förderkennzeichen 01 UN 1203C).
rical Data, 2015, abrufbar unter: econ.worldbank.org/

11. Juni 2015, Düsseldorf

                                                                                                                                                                ie
                                                                                                                                                        aten w
                                                                                                                                     a k t ive n Form Discussion,
                                                                                                                                    r                       l
                                                                                                                          Mit inte itch, Fish Bow uvm.
                                                                                                                             ie n ce  P            S e s s io n
                                                                                                                          Sc            o  v ation
                                                                                                                                      n
                                                                                                                           Open In

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kommt kein Energieversorger vorbei!                                                                               D E N                       ALS
                                                                                                              VOR                   S S I O N
Future Living, Future City, Future Energy                                                                          U  N G  PROFE
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Notwendigkeit intelligenter Energiesysteme und Infrastrukturen
                                                                                                                           U E R D
Megatrend Digitalisierung                                                                                            en Q
                                                                                                                       treff
Potenzial moderner IKT und Datenanalyse für neue Geschäftsmodelle

Milliardenmarkt Smart Living
Wer sind die Key Player? Und wo stehen die EVU?                                                                                                          Infoline:
Innovationskultur und Change Management                                                                                                  +49 (0)2 11/96 86–33 48
Neue Strategien, Ressourcen und Prozesse                                                                                                              [Ralf Ernst]

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 65. Jg. (2015) Heft 5
                                                                                                                  www.euroforum.de/nexen
                                                                                                                                      31
Niedrige Ölpreise: Ursachen, Wirkungen und Risiken
ZUKUNFTSFRAGEN

Wettbewerbsfähige Strompreise und Versorgungs-
sicherheit für den Wirtschaftsstandort Bayern
Bertram Brossardt

Die Energiewende ist ein Mega-Projekt und wohl eines der größten wirtschaftspolitischen Vorhaben seit Bestehen der Bun-
desrepublik Deutschland. Aber fast vier Jahre nach dem Beschluss über den beschleunigten Ausstieg aus der Kernkraft gibt
es immer noch kein Gesamtkonzept zum Umbau der Energieversorgung in Deutschland, keinen Masterplan, der beschreibt,
was bis wann passieren muss, um eine sichere Stromversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen auch über das Jahr 2022
hinaus zu garantieren. Für unseren technologisch hochentwickelten Wirtschaftsstandort ist das beunruhigend. Gerade die
bayerische Wirtschaft mit ihrem hohen Industrieanteil ist auf eine sichere und bezahlbare Energieversorgung angewiesen.
Die vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. beobachtet die Entwicklung deshalb mit Sorge.

Wettbewerbsfähige Preise                       Versorgungssicherheit                           Viele Unternehmen haben in den letzten Jah-
                                                                                               ren in Anlagen zur Stromerzeugung inves-
Die Strompreise in Deutschland sind im in-     In Deutschland und Bayern hat man nach          tiert. Diese Eigeninitiative war von der Politik
ternationalen Vergleich zu hoch. Die deut-     wie vor eine hohe Versorgungssicherheit.        jahrelang äußerst erwünscht. Inzwischen
sche Industrie bezahlt für den Strom 50 %      Die geplante Stilllegung vor allem der Kern-    deckt allein die deutsche Industrie mehr
mehr als ihre Konkurrenten in Frankreich       kraftwerke führt jedoch in den nächsten Jah-    als 10 % ihres Strombedarfs selbst. Die ver-
und weit über das Doppelte der Unterneh-       ren im Freistaat zu erheblichen Defiziten.      brauchsnahe Eigenerzeugung trägt erheblich
men in den USA. Der Strompreis ist ein         Bis 2023 verliert Bayern etwa 5 Gigawatt        zur Versorgungssicherheit und zur Netzstabi-
zentraler Standortfaktor. Steigt er weiter,    (GW) gesicherte Kernkraftwerksleistung          lität bei. Sie geschieht auch in hocheffizienten
werden Unternehmen verstärkt im günsti-        und bei der Stromerzeugung rd. 40 TWh. Bis      Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK) und
geren Ausland investieren. Entsprechende       Ende 2017 ist die Abdeckung der Höchstlast      ist damit energiewirtschaftlich besonders
Tendenzen zeigen sich schon in der Praxis.     durch bereits kontrahierte Reservekapa-         sinnvoll. Es war daher ein Fehler, die Eigen-
                                               zitäten gesichert. Bis 2022 wird mit einer      stromerzeugung anteilig mit der EEG-Umlage
Hauptkostentreiber ist das Erneuerbare-        Verlängerung der Reservekraftwerksver-          zu belasten. Die Investitionsbedingungen
Energien-Gesetz (EEG). Die EEG-Umlage ist      ordnung oder einem entsprechenden Nach-         müssen wieder attraktiver gestaltet werden,
in den letzten vier Jahren um nahezu 75 %      folgemodell die Versorgung gewährleistet        insbesondere über die zugesagte Kompensa-
gestiegen, auf aktuell 6,17 ct/kWh. Die EEG-   werden.                                         tion der neuen Belastung mit der EEG-Umlage
Reform vom Sommer 2014 konnte den An-                                                          durch eine höhere Förderung nach dem KWK-
stieg der Kosten lediglich abschwächen; bis    Um die Versorgungssicherheit nach 2022 zu       Gesetz. Für Bestandsanlagen muss dauerhaft
2020 wird ein weiterer Anstieg auf rd. 8 ct/   gewährleisten, ist der Netzausbau auf allen     Vertrauensschutz gewährleistet werden.
kWh erwartet. Immerhin sind mit der ge-        Spannungsebenen notwendig. Das vorhan-
planten Ausschreibung und einer stärke-        dene Stromnetz muss so ertüchtigt und aus-      Klimaschutz und Energie-
ren Direktvermarktung der erneuerbaren         gebaut werden, dass der veränderte Trans-       effizienz in Deutschland
Energien aber marktwirtschaftliche Ansät-      portbedarf abgewickelt werden kann. Dazu
ze vorgesehen. Aufgrund der auf 20 Jahre       sind bestehende Trassen mit neuen Leitun-       Mit dem Anfang Dezember seitens der Bun-
vereinbarten Förderzusagen für bestehende      gen für eine höhere Transportleistung aus-      desregierung beschlossenen Aktionspro-
Erneuerbare-Energien-Anlagen kann die          zurüsten, und es müssen zusätzliche Über-       gramm Klimaschutz 2020 und dem Natio-
EEG-Umlage jedoch erst ab 2021 nachhaltig      tragungskapazitäten aus dem Norden in den       nalen Aktionsplan Energieeffizienz sollen
sinken. Derzeit beläuft sie sich insgesamt     Süden Deutschlands gebaut werden. Über          die in Deutschland gesteckten Ziele zur
auf rd. 23 Mrd. € p. a.                        diese Verbindungen müssen die Verteilzent-      CO2-Minderung von 40 % p. a. 2020 gegen-
                                               ren in Bayern angeschlossen werden.             über 1990 und zur Energieeffizienzsteige-
Zusätzliche Kosten sind durch den ge-                                                          rung erreicht werden. Um das zu schaffen,
planten Netzausbau, die vorgesehene            Gaskraftwerke werden als flankierende           wurde Ende letzten Jahres festgelegt, dass
CO2-Abgabe auf Kohlekraftwerke und             Sicherheitsmaßnahme und zur Netzstabili-        der Stromsektor bis 2020 zusätzlich zur
die Vorhaltung konventioneller (Reser-         sierung benötigt. Geeignet sind schnell star-   erwarteten Treibhausgasvermeidung durch
ve-)Kraftwerksleistung zu erwarten. Der        tende Gasturbinen. Neue Gaskraftwerke im        den Ausbau von erneuerbaren Energien
Strompreis muss daher gedeckelt und mit-       Dauerbetrieb von mehr als 5 000 Stunden         sowie durch Effizienzsteigerungen weitere
telfristig auf das Niveau vergleichbarer       p. a. sind dagegen der falsche Weg. Durch       22 Mio. t CO2 weniger ausstoßen soll.
Industriestaaten gesenkt werden. Rasche        sie würden die Strompreise sowie die Men-
Wirkung hätte das Streichen oder Absen-        gen- und Preisabhängigkeit von Gasimpor-        Nach den Vorstellungen des Bundeswirt-
ken der Stromsteuer.                           ten weiter steigen.                             schaftsministeriums sollen Kohlekraftwer-

   32                                                                                ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 65. Jg. (2015) Heft 5
Niedrige Ölpreise: Ursachen, Wirkungen und Risiken
ZUKUNFTSFRAGEN
                                                                                                           ZUKUNFTSFRAGEN

ke, die älter als 20 Jahre sind und mehr als     Bestehende Effizienzpotenziale                    Steuerschuld in Betracht. Die steuerliche
7 Mio. t CO2 pro GW Kraftwerksleistung aus-                                                      Förderung wäre zudem ein Konjunktur-
stoßen, bis zu 20 €\t CO2 zahlen. Das würde      Bei den neuen Vorgaben werden die Erfolge,      programm, denn jeder Euro Steuererleich-
die Stromerzeugung aus Kohle in Deutsch-         die die Wirtschaft in den letzten Jahren be-    terung löst ein Vielfaches an Investitionen
land unrentabel machen. Stromimporte aus         reits erreicht hat, nicht ausreichend berück-   und damit auch wieder Steuereinnahmen
älteren Steinkohlekraftwerken aus dem Aus-       sichtigt. Die Industrie in Deutschland und      aus. Eine Gegenfinanzierung ist mit Blick
land wären die Folge. Belastet würden zudem      Bayern hat bereits Milliarden in die erfolg-    auf diese Hebelwirkung deshalb nicht er-
nicht nur Braunkohlekraftwerke, sondern          reiche Verbesserung ihrer Energieeffizienz        forderlich. Ebenso ist die Streichung des
auch Industriekraftwerke zur Eigenerzeu-         investiert. Dadurch ist die Energieintensität   Handwerkerbonus als versteckte Steuerer-
gung, z. B. in der Stahlindustrie. Besonders     allein von 1990 bis 2010 um 35 % gesunken.      höhung klar abzulehnen.
energieintensive Industrien hätten Wettbe-       Im gleichen Zeitraum stieg die Effizienz um
werbsnachteile, denn ihre Strombezugskos-        rd. 3 % p. a.                                   Schlüssiges Gesamtkonzept
ten stiegen durch diesen Klimaschutzbeitrag                                                      überfällig
deutlich. Diese Kosten kämen zusätzlich          Anders sieht es dagegen im privaten Ge-
zu weiteren preistreibenden Effekten, z. B.       bäudesektor aus. Hier gibt es einen großen      Der Umbau der Energiesysteme im Rahmen
durch die Reform des EU-Emissionshandels         Nachholbedarf. In Deutschland entfallen         der Energiewende ist eine ebenso gewaltige
oder das Abschalten zahlreicher Kraftwerke,      mehr als 40 % des Primärenergieverbrauchs       wie komplexe Aufgabe, die sich nicht durch
denen der Strommarkt kein betriebswirt-          auf den Gebäudesektor, 85 % davon wer-          eine Vielzahl einzelner Entscheidungen, die
schaftliches Auskommen mehr bietet.              den für die Erwärmung von Raumluft und          unabhängig voneinander getroffen werden,
                                                 Wasser verwendet. Bei der energetischen         lösen lässt. Einzelfragen wie Reservekraft-
Mit der Novelle des deutschen Energie-           Gebäudesanierung bestehen enorme Poten-         werke und Netzausbau dürfen nicht gegen-
dienstleistungsgesetzes wird die Pflicht zur     ziale. Der Freistaat hat mit 48 % im Bundes-    einander ausgespielt werden.
Durchführung von periodischen Energie-           vergleich einen überdurchschnittlich hohen
Audits für Unternehmen eingeführt. Die           Anteil an Ein- und Zweifamilienhäusern.         Wir brauchen ein schlüssiges Gesamt-
Gesetzesänderung dient der Teilumsetzung         Viele davon wurden in den 1960er und            konzept für die Energiewende, das die
der EU-Energieeffizienz-Richtlinie von 2012        1970er Jahren gebaut, d. h., in den nächsten    Erzeugungsarten untereinander sowie Er-
und soll ebenfalls dazu beitragen, die deut-     Jahren stehen größere Instandhaltungsmaß-       zeugung, Transport, Energieeffizienz und
schen Energiesparziele zu erreichen. Alle        nahmen an. Diese Chance für eine energeti-      Speicherung intelligent verknüpft. Ein
Unternehmen, die nicht unter die KMU-            sche Sanierung von privaten Bestandsbau-        marktwirtschaftlich ausgerichtetes Energie-
Definition der EU fallen, werden verpflich-      ten muss jetzt genutzt werden. Denn bei         marktdesign muss auch Anreize zum Bau
tet, erstmals bis zum 5.12.2015 und dann         jeder Gebäudesanierung ohne energetische        und Betrieb effizienter Gaskrafterzeugung
mindestens alle vier Jahre ein Energie-Audit     Verbesserung geht wertvolles Einsparpoten-      und Speicher setzen, um Erzeugungslücken
durchzuführen. Angesichts der verzögerten        zial auf Jahre verloren.                        volatiler erneuerbarer Energien zu schlie-
Umsetzung in deutsches Recht und der zu                                                          ßen.
erwartenden großen Zahl betroffener Unter-        Der inzwischen seit Jahren andauern-
nehmen ist es für die Wirtschaft eine enor-      de Streit über eine steuerliche Abschrei-       Wann was wo und in welchem Umfang zu
me Herausforderung, die ersten Audits bis        bungslösung für die energetische Gebäu-         erfolgen hat, muss in dem Gesamtkonzept
zum Stichtag abzuschließen.                      desanierung hat dazu geführt, dass viele        festgelegt werden. Die Vorlage dieses Ge-
                                                 sanierungswillige Wohnungs- und Haus-           samtkonzepts durch den Bund muss unver-
Die vbw fordert eine praxisgerechte und          eigentümer die Investitionsentscheidung         züglich erfolgen.
möglichst unbürokratische Umsetzung, die         nach wie vor nicht treffen. Um die ambitio-
den Unternehmen die Möglichkeit zur Auf-         nierten Energie- und Klimaziele in Deutsch-     Internationale Energie-
lagenerfüllung lässt. Es muss verhindert         land zu erreichen, muss es aber gelingen,       und Klimapolitik
werden, dass Unternehmen eine Ordnungs-          den aktuellen Investitionsstau zu lösen und
widrigkeit begehen oder Strafe zahlen müs-       die Sanierungsquote von derzeit jährlich        Die Energiewende in Deutschland kann na-
sen, wenn sie wegen eines objektiven Eng-        1 % auf 3 % anzuheben.                          türlich nicht unabhängig von der internatio-
passes an Auditoren nicht in der Lage sind,                                                      nalen Energie- und Klimapolitik betrachtet
die Frist einzuhalten. Eine praxisgerechte       Die energetische Gebäudesanierung               werden. Erklärtes Ziel der bevorstehenden
Umsetzung bedeutet auch, dass die Vorga-         braucht klare und verlässliche Förderimpul-     UN-Klimakonferenz in Paris ist die Verab-
ben der EU nicht verschärft, sondern eins        se, da sich Investitionen in diesem Bereich     schiedung eines neuen Weltklimavertrages.
zu eins umgesetzt werden. Z. B. muss es in       nur über einen längeren Zeitraum amorti-        Nur in einem globalen Kohlenstoffmarkt
Fällen, in denen Unternehmen viele gleich-       sieren. Die volle steuerliche Absetzbarkeit     können die Klimaschutzlasten gerecht ver-
artige Standorte mit ähnlichen Energiever-       der energetischen Sanierungskosten über         teilt werden und innovative und emissi-
bräuchen haben, möglich sein, sich bei der       zehn Jahre wäre der wirksamste Hebel,           onsarme Technologien vermehrt dort zum
Auditierung mehrerer Betriebe auf einen          die Investitionsblockade zu lösen. Alterna-     Einsatz kommen, wo dies aus ökonomischer
Referenzbetrieb zu beschränken.                  tiv käme ein gleichwertiger Abzug von der       und ökologischer Sicht sinnvoll ist.

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 65. Jg. (2015) Heft 5                                                                               33
Niedrige Ölpreise: Ursachen, Wirkungen und Risiken
ZUKUNFTSFRAGEN

Nationale Alleingänge sind zu unterlassen.    Die Klima- und Energiepolitik in Europa                     Baus von Leitungen für den Stromtransport
Es muss verpflichtende Emissionsmin-          muss einen Ausgleich im energiepolitischen                  von Nord nach Süd befassen.
derungsziele für alle, für Industrie-, Ent-   Zieldreieck, bestehend aus Versorgungs-
wicklungs- und Schwellenländer, geben.        sicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Um-                    Die anstehenden Entscheidungen müssen
Andernfalls würden Produktionsstandorte       weltverträglichkeit, herstellen. Zwischen                   Nachteile für die Wettbewerbsfähigkeit
und damit Arbeitsplätze auch aus Bayern in    den gegenwärtigen Instrumenten zur Zieler-                  der Unternehmen in Deutschland und
Staaten mit geringeren oder gar keinen Kli-   reichung der Treibhausgasminderung, dem                     Bayern vermeiden. Anhaltend hohe Strom-
maschutzauflagen verlagert werden.            Ausbau der erneuerbaren Energien und der                    preise und Ungewissheit bei der künftigen
                                              Steigerung der Energieeffizienz bestehen                      Versorgungssicherheit führen zu einem
Auf europäischer Ebene haben sich die         aber noch erhebliche Inkonsistenzen, die                    schleichenden Vertrauensverlust an un-
Staats- und Regierungschefs Ende Oktober      zur Beeinträchtigung der internationalen                    serem Standort. Gerade bei international
2014 auf Energie- und Klimaziele geeinigt,    Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen                        operierenden Unternehmen, wie es vor
die bis 2030 erreicht werden sollen. Dazu     führen.                                                     allem bei Industriebetrieben zumeist der
gehören eine Reduktion des Treibhausgas-                                                                  Fall ist, besteht die Gefahr der Verlage-
ausstoßes bis 2030 um 40 % gegenüber          Wirtschaftsstandort                                         rung. Und ein Unternehmen, das unserem
1990, die Steigerung des Anteils der erneu-   wettbewerbsfähig erhalten                                   Standort einmal den Rücken gekehrt hat,
erbaren Energien am Energieverbrauch in                                                                   lässt sich nur sehr schwer wieder zurück-
der EU bis 2030 auf mindestens 27 % sowie     2015 stehen wesentliche politische Entschei-                gewinnen.
Verbesserung der Energieeffizienz bis 2030      dungen an. Im Juni wird die Bundesregie-
um 27 % gegenüber dem derzeitig prognosti-    rung ihre Vorstellungen für ein zukünftiges
zierten zukünftigen Energieverbrauch. Die-    Strommarktmodell, einen Kraftwerkspark                      B. Brossardt, Hauptgeschäftsführer, vbw –
se Zielsetzung wurde Ende März 2015 im        und die künftige KWK-Förderung konkreti-                    Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft
Rahmen eines EU-Gipfels zur europäischen      sieren. Ebenfalls im Juni will sich der Koali-              e. V., München
Energieunion erneut bestätigt.                tionsausschuss mit der wichtigen Frage des                  info@vbw-bayern.de

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Niedrige Ölpreise: Ursachen, Wirkungen und Risiken
ZUKUNFTSFRAGEN
                                                                                                            ZUKUNFTSFRAGEN

Wirtschaftliche Eliten – wie stehen sie zu Politik und
Gesellschaft?
Die Frage nach dem Weltbild und Selbstverständnis der deutschen Wirtschaftselite erscheint vordergründig rasch beantwortet.
Entgegen des in der Außenperspektive vorherrschenden allgemeinen Vorurteils, welches Gesellschafter, Vorstände, Geschäfts-
führer und Unternehmer gerne als gierig, egoistisch und gesellschaftlich rücksichtslos charakterisiert, ist über die tatsächli-
chen Personen und ihre charakteristischen Ausprägungen jedoch relativ wenig bekannt. Die aktuelle BP-Gesellschaftsstudie
eröffnet erstmals differenzierte Einblicke in das politische und gesellschaftliche Denken sowie die Sorgen der Unternehmer.

Nach „Die neue Macht der Bürger“, die sich       In Rückführung auf die von Gerhard Schrö-        samt skeptisch wird die Volkssouveränität
der Frage der Motivation bürgerlicher Protest-   der geprägte Politik der Agenda 2010 werden      als primäre staatliche Legitimationsquelle
bewegungen widmete, hat das Göttinger Ins-       sowohl Sozialdemokraten als auch Gewerk-         gesehen. Große Wertschätzung wird hinge-
titut für Demokratieforschung unter der Fe-      schaften von den Unternehmern nicht mehr als     gen dem Rechtsstaat entgegengebracht, er
derführung von Franz Walter und Stine Marg       Bedrohung empfunden. Während die Agenda          ist den Unternehmern Garant für das Wirt-
nun ihre zweite von BP Europa SE initiierte      2010 und ihre Akteure als politisch mutig gel-   schaften auf berechenbaren Grundlagen in-
Gesellschaftsstudie veröffentlicht, die auf ei-   ten, bezieht sich die Wertschätzung gegenüber    nerhalb verlässlicher Rahmenbedingungen.
ner repräsentativen Basis von 160 Interviews     den Gewerkschaften darauf, dass diese die Be-
mit Personen der deutschen Wirtschaftselite      deutung der industriellen Produktion für die     Zwar werden totalitäre Diktaturen abgelehnt
deren Innenperspektive zur politischen Agen-     Wertschöpfung anerkennen. Die wirtschaftli-      – sowohl vor dem Hintergrund des frühen
da und gesellschaftlichen Entwicklung zu er-     chen Eliten sprechen den Gewerkschaften da-      20. Jahrhunderts als auch aus Furcht vor Will-
fassen versucht. Zielsetzung der Studien ist     mit deutliche Kompetenz in der Kenntnis der      kür –, dennoch zeigt die unternehmerische
es, über einzelne Gruppen gesicherte sozial-     Grundlagen gesellschaftlichen Wohlstands zu.     Elite eine ambivalente Haltung insbesondere
wissenschaftliche Erkenntnisse zu sammeln,                                                        hinsichtlich der Entwicklung Chinas. Da das
an denen bisher vorherrschende Einschät-         Insgesamt fühlen sich die wirtschaftlichen       dortige politische System mit seiner auto-
zungen überprüft, ergänzt und korrigiert         Eliten aber politisch heimatlos, seitdem die     ritativen Ausrichtung stringente politische
werden können und sich der Dialog zwischen       FDP nicht mehr im deutschen Bundestag            Entscheidungen ermöglicht, befürchten die
den Akteuren entfalten kann.                     vertreten ist. Hinsichtlich der Regierungs-      Unternehmer, dass Chinas System zukünftig
                                                 politik wird insbesondere der „sozialdemo-       überlegen sein könnte. Sollte die Dynamik
Aussöhnung mit                                   kratische“ Kurs der CDU/CSU bemängelt.           wirtschaftlichen Erfolgs nicht-demokrati-
dem Sozialstaat                                  Der Bundeskanzlerin Angela Merkel wird           scher Gesellschaften anhalten, schließen die
                                                 politische Unschärfe und programmatische         Unternehmer eine emphatische Diskussion
Auffälliges Studienergebnis ist, dass seitens     Indifferenz vorgeworfen. Die journalistische      über einen auf weniger Demokratie basie-
der Eliten eine marktradikale Rhetorik weni-     Darstellung ihrer Gruppe empfinden die           renden modernen Kapitalismus nicht aus.
ger stark verwendet wird. Erklärbar ist dies     wirtschaftlichen Eliten als beklagenswert.       Grundlage für ihn sei jedoch eine stabile und
mit den wirtschaftlichen Einbrüchen und Fi-      Auch sie - wie aktuell viele andere Gruppen      transnational konstituierte Rechtstaatlichkeit.
nanzmarktverwerfungen, von denen zuletzt         - kritisieren in den Interviews die als skan-
insbesondere neoliberal orientierte Ökono-       dalisierend und pauschalisierend wahrge-         Klassische interne Strukturen
mien betroffen waren. Die Verfasser konsta-       nommene Berichterstattung der Medien.
tieren daher eine moderate Aussöhnung der                                                         Eine weitere interessante Beobachtung der
Unternehmer mit dem Sozialstaatsmodell           Rechtsstaatlichkeit steht                        Studie betrifft die Sicht der Eliten auf die in-
des „Rheinischen Kapitalismus“.                  im Vordergrund                                   dividuellen Anstrengungen des Aufstiegs in
                                                                                                  Führungsrollen. Die industriegeschichtliche
 Die BP-Gesellschaftsstudie ist im Rowohlt-      Zur politischen Entscheidungskultur selbst       Phase scheint Geschichte zu sein, in der ur-
 Verlag erschienen:                              liefert die Studie ein ausgesprochen diffe-       sprüngliche soziale oder kulturelle Benachtei-
                                                 renziertes Bild. Den Unternehmen bereitet        ligungen Triebfeder des individuellen Erfolgs-
                     Franz Walter u. Stine       der Willensbildungsprozess der parlamenta-       strebens waren. Die aktuellen ökonomischen
                     Marg (Hrsg.): Sprach-       rischen Demokratie Unbehagen. Bemängeln          Eliten verorten sich selbst in intakten Le-
                     lose Elite? Wie Unter-      sie am repräsentativen System die lange          bensgeschichten, was bei einigen Teilen der
                     nehmer Politik und          Dauer der Willensbildungsprozesse mit zu         Interviewten die Sorge hervorruft, dass dem
                     Gesellschaft    sehen.      schlechten Kompromissen und zu geringer          Führungsnachwuchs elementare Energien
                     Reinbek bei Hamburg,        Rücksicht auf sachrationale Erfordernisse,       und auch für zukünftige Konflikte als nötig
                     Rowohlt 2015, 352           lehnen sie andererseits Referendumsdemo-         charakterisierte Härten fehlen könnten.
                     Seiten, 16,95 €, ISBN:      kratien aufgrund befürchteter irrationaler
                     978–3–498–04213–4           und sprunghafter Entscheidungen ab. Insge-                                      „et“-Redaktion

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 65. Jg. (2015) Heft 5                                                                                  35
ZUKUNFTSFRAGEN
   INTERVIEW

„Auf einem Kapazitätsmarkt könnte Marktmacht wieder
zum Thema werden“
Die Transformation des Energiesektors verändert auch die Marktstrukturen. Die Platzhirsche von gestern verlieren Markt-
anteile und die Erzeugungslandschaft wird vielfältiger. Überkapazitäten in Deutschland und Europa sowie der Ausbau der
Grenzkuppelkapazitäten führten dazu, dass der aggregierte Marktanteil der vier größten Anbieter bei der konventionellen
Stromerzeugung hierzulande deutlich gesunken ist. Ist Marktbeherrschung damit Geschichte? Und: Wie ist die Wettbewerbs-
situation beim Gas, was ist dort bezüglich der Marktmacht festzustellen? „et“ fragte bei Andreas Mundt, Präsident des
Bundeskartellamtes, nach.

Zur Wettbewerbssituation auf                         Mundt: Im Rahmen des jährlichen Monitorings,          Unternehmen ab. Aufgrund der aktuell bestehen-
dem deutschen Strommarkt                             das wir gemeinsam mit der Bundesnetzagen-             den Überkapazitäten dürfte es den Erzeugungsun-
                                                     tur durchführen, konnten wir einen spürbaren          ternehmen derzeit schwer fallen, die Strompreise
„et“: Ist das Thema Marktbeherrschung im deut-       Rückgang der Marktkonzentration feststellen.          missbräuchlich in die Höhe zu treiben. Das kann
schen Strommarkt heute neu zu bewerten?              Der aggregierte Marktanteil der vier absatzstärks-    sich aber nach einem Abbau der Überkapazitäten
                                                     ten Erzeugungsunternehmen betrug auf dem              wieder ändern. Auch vor dem Hintergrund der
Mundt: Der Wettbewerb auf dem Strommarkt             deutsch-österreichischen Stromerstabsatzmarkt         aktuellen Debatte um die Einführung von Kapa-
unterlag in den letzten Jahren in der Tat vielen     2013 rund 67 %. Im Vergleich mit 2010 ist der         zitätsmärkten mahne ich zur Vorsicht: Auf einem
Veränderungen. Zuletzt hat das Bundeskartell-        Wert um 6 Prozentpunkte zurückgegangen. Ge-           Kapazitätsmarkt könnte Marktmacht wieder zum
amt die Frage der Marktbeherrschung auf dem          genüber der von uns zuletzt untersuchten Jahre        Thema werden. Denn ein Kapazitätsmarkt wäre
Stromerstabsatzmarkt in der Anfang 2011 veröf-       2007/2008 ist der Rückgang noch deutlicher.           aus verschiedenen Gründen – etwa weil auslän-
fentlichten Sektoruntersuchung Stromerzeugung/                                                             dische Anbieter und erneuerbare Energien nur
Stromgroßhandel detailliert untersucht. Diese        Über den Rückgang der Marktanteile hinaus sehen       schwer teilnehmen könnten – vermutlich enger
Untersuchung bezog sich auf die Jahre 2007 und       wir auch noch weitere Anhaltspunkte dafür, dass       als der Arbeitsmarkt und würde großen Erzeu-
2008. Damals haben wir eine marktbeherrschende       die Marktmacht der großen Erzeugungsunterneh-         gungsunternehmen eine stärkere Marktstellung
Stellung von drei bzw. vier Unternehmen ermittelt.   men deutlich zurückgegangen sein dürfte. In Zu-       vermitteln. Hier könnten Marktmachtprobleme
                                                     kunft werden wir mit der Markttransparenzstelle       und damit Potenziale zu missbräuchlichem Ver-
Seitdem hat sich viel getan. Wir hatten jedoch       für den Großhandel mit Strom und Gas die Möglich-     halten wieder virulent werden.
keinen Anlass mehr, uns mit der Frage der Markt-     keit haben, kontinuierlich die Marktstruktur auf
beherrschung zu beschäftigen. Ob eine marktbe-       dem Stromerstabsatzmarkt zu untersuchen.              „et“: Das vom Bundeskartellamt ausgesprochene
herrschende Stellung eines oder mehrerer Un-                                                               Mark-up-Verbot untersagt Unternehmen mit einer
ternehmen vorliegt, prüft das Bundeskartellamt       „et“: Die Vollendung des Strombinnenmarkts ist        marktbeherrschenden Stellung, zu einem Preis
immer nur anlassbezogen im Rahmen konkreter          ein zentrales Ziel der europäischen Energiepolitik.   oberhalb ihrer Grenzkosten anzubieten.
Verfahren. Eine kontinuierliche Marktbeob-           Durch zunehmende Kopplung des europäischen
achtung durch das Bundeskartellamt ist bisher        Strommarkts wird sich der Wettbewerbsdruck auf        Mundt: Hierzu möchte ich klarstellen, dass die
nicht vorgesehen. Eine Aussage, ob und welche        inländische Erzeuger immer weiter erhöhen. Wie        kartellrechtliche Missbrauchsaufsicht weder de
Unternehmen aktuell marktbeherrschend sind,          beurteilen Sie vor diesem Hintergrund das Potenzi-    jure noch de facto zu einem „Mark-up-Verbot“
können wir daher nicht machen.                       al zu missbräuchlichem Verhalten?                     führt. Kartellrechtlich gibt es kein grundsätzli-
                                                                                                           ches Verbot, Kapazitäten mit einem Aufschlag
„et“: Wie lassen sich die jüngsten Entwicklungen     Mundt: Die Fähigkeit, missbräuchlich zu han-          auf die Grenzkosten anzubieten. Nur bei markt-
konkret beurteilen?                                  deln, hängt stark von der Marktstellung einzelner     beherrschenden Unternehmen können Mark-ups

  „Aufgrund der aktuell bestehenden Überkapazitäten dürfte es den Erzeugungsunter-
  nehmen derzeit schwer fallen, die Strompreise missbräuchlich in die Höhe zu treiben.
  Das kann sich aber nach einem Abbau der Überkapazitäten wieder ändern. Auch vor
  dem Hintergrund der aktuellen Debatte um die Einführung von Kapazitätsmärkten
  mahne ich zur Vorsicht: Auf einem Kapazitätsmarkt könnte Marktmacht wieder zum
  Thema werden. Denn ein Kapazitätsmarkt wäre aus verschiedenen Gründen – etwa
  weil ausländische Anbieter und erneuerbare Energien nur schwer teilnehmen könnten
                                                                                                                                                         Foto: Bundeskartellamt

  – vermutlich enger als der Arbeitsmarkt und würde großen Erzeugungsunternehmen
  eine stärkere Marktstellung vermitteln.“

  Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes, Bonn

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