Niedrige Ölpreise: Ursachen, Wirkungen und Risiken
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
ZUKUNFTSFRAGEN Niedrige Ölpreise: Ursachen, Wirkungen und Risiken Manuel Frondel, Stephan Sommer, György Barabas und Torsten Schmidt Der Ölpreis hat sich innerhalb eines halben Jahres etwa halbiert. Von über 100 US$ pro Barrel (bbl) Mitte 2014 ist der Preis für die Sorte Brent im Januar auf unter 50 US$ gefallen. Auch die Preise für Heizöl und andere Energieträger sind infolgedessen gesunken, allerdings nicht im gleichen Maße. Was sind jedoch die Ursachen des Ölpreisverfalls und welche positiven Auswirkungen hat dies auf Wirtschaft und Verbraucher in Deutschland? Zudem steht die Frage im Raum, ob sich aus dem aktuellen Preistrend mögliche Risiken ergeben sowie Nebenwirkungen für den Klimaschutz und die Energiewende zu erwarten sind. Dass der Preis für Rohöl seit Mitte 2014 stark gesunken ist (Abb. 1), war für viele überraschend, am meisten wohl für die Peak Oil-Pessimisten, die das Maximum der glo- balen Ölförderung in sehr naher Zukunft er- reicht, wenn nicht gar bereits überschritten gesehen haben. Die innerhalb eines halben Jahres dramatisch gesunkenen Ölpreise wi- derlegen nun sowohl Peak Oil als auch Mut- maßungen über einen immer weiter steigen- den Rohölpreis. Ursachen Diese Theorien verwundern doch sehr, da sich Rohstoffmärkte bekanntermaßen zyk- lisch verhalten. Sind die Preise niedrig, wird wenig in die Exploration und Erschließung neuer Ölfelder investiert. Das war besonders Insbesondere Haushalte, die mit Öl heizen, können von den gesunkenen Rohölpreisen profitieren nach der Asienkrise 1998 der Fall, als der Foto: apops | Fotolia.com Preis vorübergehend unter 10 US$/bbl fiel (Abb. 1). Trifft ein daraus resultierendes niedriges Angebot auf eine stark steigende rer heimischen Ölproduktion stoppen und reagierte. Vor allem der weltweit größte weltwirtschaftliche Nachfrage, wie dies – ihre Nettoimporte zwischen 2003 und 2013 Ölproduzent, Saudi-Arabien, hat seine be- nicht zuletzt befeuert durch das Wachstum deutlich verringern, von rd. 11 auf 6,5 Mio. kannte Rolle als sog. Swing Producer vorerst Chinas – bis zur Finanzkrise 2008 der Fall bbl pro Tag [1]. Die dem Weltmarkt nun zu- aufgegeben und sein Angebot trotz fallender war (Abb. 2), steigen die Preise – bis zum sätzlich zur Verfügung stehenden 4,5 Mio. Preise nicht verringert. bisherigen Allzeithoch von knapp 150 US$ bbl bedeuten einen Anteil von rd. 5 % der im Jahr 2008. Wenn sich das Preisniveau täglichen weltweiten Förderung von aktuell Einsparungen der Verbraucher auf hohem Niveau als stabil erweist, wie rd. 91 Mio. bbl [2]. Somit sind sowohl die z. B. in den Jahren 2011 bis 2013 (Abb. 1), lange Zeit als richtig erachteten Vorhersa- Was die Staatshaushalte Russlands und werden immer mehr Investitionen und Pro- gen des Geologen Marion King Hubbert, vieler OPEC-Mitglieder derzeit massiv be- jekte zur Erhöhung der Ölproduktion getä- nach denen die Erdölproduktion in den USA einträchtigt, freut die Importländer, die von tigt. Die Ausweitung des Angebots ist die ihren Höhepunkt bereits Ende der 1960er den aktuell niedrigen Rohölnotierungen Voraussetzung für wieder sinkende Preise. Jahre erreicht hätte, als auch die sich darauf in enormem Maße profitieren: Verglichen stützende Peak Oil-Hypothese endgültig wi- mit dem früheren Preisniveau von über Neben hohen Preisen hat auch der tech- derlegt. 100 US$ werden beim derzeitigen Preis von nologische Fortschritt Auswirkungen. rd. 60 US$ über das Jahr gerechnet weltweit Dieser ermöglichte die wirtschaftliche Ungewöhnlich ist allerdings die Reaktion mehr als 1,33 Bio. US$ umverteilt – zulasten Gewinnung der als unkonventionelle Vor- der Organisation der erdölexportierenden der Produzenten [3]. Während bedeutende kommen bezeichneten Schieferölvorräte. Länder (OPEC), die auf nachhaltig fallende Ölproduzenten, insbesondere die russische Die USA konnten damit den Rückgang ih- Preise üblicherweise mit Förderkürzungen Wirtschaft, ins Schlingern geraten könnten, 26 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 65. Jg. (2015) Heft 5
ZUKUNFTSFRAGEN ZUKUNFTSFRAGEN Abb. 1 Monatliche Durchschnittspreise pro bbl Rohöl der Sorte Brent in US$ Abb. 2 Nominale und reale Preise der Rohöl-Sorte Brent pro bbl Quelle: [21] Quelle: [22] wirkt dies in den Importländern wie ein rie- Für einen besserverdienenden Haushalt mit rigen Preisen profitieren zu können. Ein siges Gratis-Konjunkturprogramm. einem Nettogehalt von 40 000 € jährlich und Haushalt, der über Heizöltanks mit einem einem Heizölverbrauch von 157 l pro Monat Fassungsvermögen von insgesamt 4 500 l Dies freut in Deutschland nicht zuletzt die ist die Ersparnis etwas höher: Statt 130 €, verfügt, hätte im Vergleich zum Vorjahr im privaten Haushalte. So können die mit Öl wie im Jahr 2014, sind monatlich nur noch besten Fall über 1 250 € an Einsparungen heizenden Haushalte in diesem Jahr massiv 86 € zu entrichten. Die jährliche Ersparnis erzielen können, wenn er seinen leeren an Heizkosten sparen. Gerade ärmere Haus- läge somit bei 523 €. Der Anteil der Heiz- Tank im Januar 2015 vollständig befüllt halte könnten profitieren: Ein Haushalt mit kosten am Nettoeinkommen sinkt damit von hätte. Bei einem Heizölpreis von 547,5 € je einem Jahresnettoeinkommen von 15 000 € knapp 4 % auf 2,6 %. Darüber hinaus ist auch 1 000 l [6] kosteten die 4 500 l, die nach könnte nach unseren Berechnungen auf Ba- mit Einsparungen für jene Haushalte zu der Erhebung von RWI und forsa [7] dem sis der Erhebungen des Energieverbrauchs rechnen, die kein Heizöl verwenden, denn durchschnittlichen Fassungsvermögen der privaten Haushalte von RWI und for- auch die Preise für andere Brennstoffe und der Heizöltanks in privaten Haushalten sa [4] gegenüber dem Vorjahr rd. 370 € spa- Energieträger, wie z. B. Erdgas, korrelieren entsprechen, im Januar 2015 lediglich ren, denn statt 825,5 €/1 000 l [5], wie im teilweise stark mit dem Heizölpreis und mit rd. 2 460, anstatt 3 715 €, wie im Januar Januar 2014, betrugen die Heizölpreise im den sinkenden Ölpreisen gehen auch deren 2014, als der Preis bei 825,5 € je 1 000 l Januar 2015 lediglich 547,5 €/1 000 l [6]. Preise zurück (Abb. 3). lag [5]. Ein Haushalt mit einem jährlichen Musste dieser Haushalt im Januar 2014 Nettoeinkommen von 40 000 €, der nach noch 92 € pro Monat für seinen Heizölver- Tatsächlich dürften die Einsparungen für RWI und forsa [7] einen Jahresverbrauch brauch von – über das Jahr gemittelt – 112 l Heizölnutzer wegen der Lagerbarkeit die- von 1 884 l aufweist, würde mit 4 500 l bei- zahlen, waren es im Januar 2015 nur noch ses Energieträgers noch deutlich höher nahe zweieinhalb Jahre lang seinen Heizöl- 61 €. Damit sank der Anteil der Heizkosten ausfallen als gerade dargestellt. So liegt es bedarf decken können. am Haushaltsnettoeinkommen von über 7 % nahe, dass Haushalte aufgrund der niedri- auf unter 5 %; auf das Jahr 2015 hochgerech- gen Preise Heizöl auf Vorrat kaufen, um so Nicht unerhebliche Einsparungen sind auch net könnte die Ersparnis 372 € betragen. über mehrere Jahre von den aktuell nied- bei den Ausgaben der privaten Haushalte Abb. 3 Preisindizes für leichtes Heizöl, Erdgas und Strom (Basisjahr 2010) Abb. 4 Nominale und reale Jahresdurchschnittspreise von Superbenzin in ct/l Quelle: [23] Quelle: [24] ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 65. Jg. (2015) Heft 5 27
ZUKUNFTSFRAGEN für den Individualverkehr zu erwarten. So stoffkosten profitieren indes zumeist einkom- Prozentpunkte höheres Bruttoinlandspro- bezahlten Zweipersonenhaushalte, die sich mensstarke Haushalte, weniger jedoch Haus- dukt (BIP). Das BIP des kommenden Jahres im Besitz eines Otto-Pkw befinden, im Jahr halte mit geringeren Einkommen: Über die 2016 würde um 0,2 Prozentpunkte höher 2014 bei einem durchschnittlichen Benzin- Hälfte der Haushalte mit einem monatlichen ausfallen (siehe Tabelle). Gleichzeitig ist ein preis von 1,53 €/l (Abb. 4) ca. 1 404 € für Nettoeinkommen von unter 1 000 € hat unse- deutlicher Rückgang des Preisauftriebs zu Benzin, wenn man einen durchschnittlichen ren Daten zufolge kein Auto zur Verfügung [7]. erwarten. Durch die niedrigeren Ölpreise Benzinverbrauch von 8,8 l/100 km sowie könnte der Preisindex des privaten Kon- eine mittlere Fahrleistung von 10 441 km Auswirkungen auf die sums um 0,6 Prozentpunkte geringer aus- pro Jahr unterstellt, wie es in den Erhe- Volkswirtschaft fallen. Berücksichtigt man zusätzlich, dass bungen von RWI und forsa [7] für Zweiper- auch wichtige Handelspartner Deutschlands sonenhaushalte mit Diesel-Pkw ermittelt Das Geld, das die Verbraucher bei den von den niedrigeren Ölpreisen profitieren wurde. Wird für das gesamte Jahr 2015 ein Heiz- und Kraftstoffkosten sparen, geben und ihre Nachfrage nach deutschen Gütern durchschnittlicher Benzinpreis von 1,32 €/l sie in der Regel an anderer Stelle aus. Dies dadurch ausweiten, ergibt sich ein noch angenommen, wie er zu Jahresbeginn zu be- regt den privaten Konsum an. Darüber hin- höherer Effekt auf das deutsche BIP, das obachten war, ergäbe sich gegenüber 2014 aus sorgen sinkende Rohölpreise für einen 2015 um 0,5 Prozentpunkte höher ausfallen eine Ersparnis von knapp 200 € pro Jahr, Rückgang der Produktionskosten von Un- könnte als im Basis-Szenario. wenn man einen unveränderten Verbrauch ternehmen und somit für steigende Gewin- und dieselbe Fahrleistung unterstellt [8]. ne. Daher hat der Rückgang der Ölpreise Diese positiven Effekte sind angesichts der deutlich positive Effekte auf die gesamtwirt- enormen Bedeutung, die Erdöl für Deutsch- Eine etwas geringere Ersparnis von 183 € schaftliche Aktivität. Dies gilt nicht zuletzt land hat, nicht überraschend. Mit einem resultiert für einen Zweipersonenhaushalt, vor dem Hintergrund von Erfahrungen mit Anteil von recht genau einem Drittel stellte der im Besitz eines Diesel-Pkw ist. Für die- früheren Ölpreisschocks, die gezeigt haben, Erdöl im Jahr 2013 noch immer den bedeu- sen Haushaltstyp beliefen sich die Kraftstoff- dass die Wirkungen auf die Wirtschaftsak- tendsten Primärenergieträger für Deutsch- Ausgaben im Jahr 2014 bei einem mittleren tivität stärker sind, wenn die Ursachen, wie land dar [10]. Bei einem durchschnittlichen Dieselpreis von 1,35 €/l (Abb. 5) auf 1 263 €, in diesem Fall, auf Veränderungen des Ölan- Einfuhrpreis von 556,65 €/t Rohöl [11] gab wenn ein durchschnittlicher Verbrauch von gebots zurückzuführen sind. Tatsächlich Deutschland im Jahr 2014 ca. 49,7 Mrd. € für 7,5 l/100 km und eine Jahresfahrleistung von legen entsprechende Analysen nahe, dass seine Rohölimporte in Höhe von 89,3 Mio. t 12 471 km unterstellt wird, wie es in den Er- der überwiegende Teil des jüngsten Ölpreis- aus [12]. Das sind mehrere Milliarden Euro hebungen von RWI und forsa [7] für Zweiper- rückgangs auf angebotsseitige Faktoren zu- weniger als im Jahr 2013, als dieselbe Im- sonenhaushalte ermittelt wurde. Wird für das rückgeführt werden kann [9]. portmenge bei einem mittleren Einfuhrpreis ganze Jahr 2015 ein Dieselpreis von 1,16 €/l von 611,43 €/t noch 54,6 Mrd. € gekostet angenommen, betragen die entsprechenden Mithilfe einer Simulationsrechnung mit dem hätte. Angenommen, der Einfuhrpreis von Kraftstoffausgaben lediglich 1 080 €. RWI-Konjunkturmodell können die Wirkun- 412 €/t vom Dezember 2014 erwiese sich als gen eines Ölpreisrückgangs um 25 US$/bbl Durchschnittspreis für das Jahr 2015, wür- Bei Dreipersonenhaushalten, die eine durch- (auf 78 US$/bbl im Jahr 2015 und 80 US$/ de Deutschland bei seinen Ölimporten um schnittliche Jahresfahrleistung in Höhe von bbl im Jahr 2016) ermittelt werden. Im Ver- 12,9 Mrd. € entlastet. Statt 49,7 Mrd. €, wie 11 929 km (Otto-Pkw) bzw. 16 116 km (Die- gleich zum Basis-Szenario ohne einen sol- im Jahr 2014, müssten für die – als konstant sel-Pkw) aufweisen, betragen die Ersparnisse chen Preisrückgang ergibt sich für die deut- unterstellte – Importmenge von 89,3 Mio. t 220 bzw. 235 €. Von den gesunkenen Kraft- sche Wirtschaft in diesem Jahr ein um 0,3 nur noch 36,8 Mrd. € entrichtet werden. Abb. 5 Nominale und reale Jahresdurchschnittspreise von Diesel in ct/l Abb. 6 Anteile der bedeutendsten Lieferanten an den Rohölimporten Quelle: [24] Deutschlands im Jahr 2014 Quelle: [25] 28 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 65. Jg. (2015) Heft 5
ZUKUNFTSFRAGEN ZUKUNFTSFRAGEN Auswirkungen auf Tab.: Simulationen der Auswirkungen eines Rückgangs des Rohölprei- die Förderländer ses um 25 US$/bbl mit dem RWI-Konjunkturmodell [26] Rückgang des Rückgang des Ölpreises um 25 US$/ Des einen Freud ist des anderen Leid: Der Ölpreises um bbl sowie eine um 0,5 Prozentpunkte für Deutschland bedeutendste Energielie- 25 US$/bbl stärkere Expansion des Welthandels ferant, Russland, von dem im Jahr 2014 Zuwachsrate in Prozentpunkten 2014 2015 2016 2014 2015 2016 rund ein Drittel der Rohölimporte von fast BIP 0,0 0,3 0,2 0,1 0,5 0,3 90 Mio. t bezogen wurden (Abb. 6), würde Private Konsumausgaben 0,1 0,6 0,2 0,1 0,7 0,3 im Jahr 2015 bei den oben errechneten Ein- Bruttoanlageinvestitionen 0,0 0,5 0,3 0,1 0,8 0,6 sparungen Deutschlands bei den Ölimpor- Inlandsnachfrage 0,1 0,5 0,2 0,1 0,7 0,4 ten von 12,9 Mrd. € allein von Deutschland Exporte 0,0 -0,1 0,1 0,1 0,5 0,4 rd. 4 Mrd. € weniger an Devisen für seine Importe 0,1 0,6 0,3 0,1 1,1 0,6 Rohölexporte überwiesen bekommen. Zum Außenbeitrag (Wachstumsbeitrag) 0,0 -0,3 0,0 0,0 -0,2 0,0 Vergleich: Der Wert der heimischen För- Preisindizes derung, die im Jahr 2014 bei ca. 2,4 Mio. t Private Konsumausgaben -0,1 -0,6 0,0 -0,1 -0,6 -0,1 lag [13], entspricht unter Berücksichtigung Bruttoinlandsprodukt 0,0 0,1 -0,1 0,0 0,1 -0,1 des durchschnittlichen Einfuhrpreises von 556,65 €/t rd. 1,3 Mrd. €. Anmerkung: Dargestellte Werte sind Abweichungen vom Basis-Szenario. Insgesamt könnte Russland der Preisrück- Auf höhere Preise dürften wohl auch einige Als Grund für diesen Strategiewechsel gegen- gang bei Rohöl Mindereinnahmen im drei- Mitglieder der OPEC hoffen. Schließlich sind über der Vergangenheit, als vor allem Saudi- stelligen Milliardenbereich bescheren, falls auch die Mindereinnahmen der OPEC, die Arabien einem Preisverfall in der Regel mit dieser Rückgang das ganze Jahr 2015 Be- für ca. 40 % der weltweiten Erdölproduktion Förderkürzungen entgegentrat, gibt der stand haben sollte. Im Vergleich zum durch- verantwortlich ist, (Abb. 7) mit 1,3 Mrd. US$ saudische Ölminister Sorgen um die Markt- schnittlichen Preis des Jahres 2013 von pro Tag immens. Bei einem täglichen Ex- anteile und die Marktmacht der OPEC an. 108,6 US$/bbl wäre die von Russland im portvolumen von 27,4 Mio. bbl [1] und ei- Tatsächlich wird das aktuelle Verhalten der Jahr 2013 exportierte Menge von 7,25 Mio. nem mittleren Preis von 61,7 US$/bbl in OPEC häufig als Limit-Pricing-Strategie inter- bbl pro Tag [1] heute rd. 340 Mio. US$ we- den vergangenen Monaten (September 2014 pretiert, mit der man durch Beschränkung niger wert, wenn man den durchschnittli- bis Februar 2015) gegenüber 108,6 US$/bbl des Rohölpreises weitere Investitionen in die chen Preis der vergangenen Monate (Sep- im Jahr 2013 ergäben sich auf das ganze Schieferölproduktion in den USA verhindern tember 2014 bis Februar 2015) in Höhe Jahr hochgerechnet Einnahmeverluste von und Marktanteile verteidigen möchte. von 61,7 US$/bbl zugrunde legt. Auf ein fast 470 Mrd. US$. Jahr hochgerechnet würden Russland damit Die Weigerung der OPEC, die Fördermenge Einnahmen in Höhe von rd. 124 Mrd. US$ Nichtsdestotrotz betonte Ali Al-Naimi, der Öl- zu reduzieren, wird manchmal jedoch auch entgehen. Dies entspräche ca. 6 % des rus- minister Saudi-Arabiens, welches mit einer als stillschweigendes Eingeständnis der ei- sischen BIP. Fördermenge von rd. 10 Mio. bbl pro Tag das genen Grenzen bei der Stabilisierung der dominierende OPEC-Mitglied ist [1], im De- Preise und der Beherrschung des Marktes Angesichts der mit dem Ölpreis ebenfalls zember 2014, dass die OPEC-Staaten die För- gesehen. Schließlich hängt die Möglichkeit, zurückgehenden Preise für Erdgas und dermenge nicht kürzen würden, ganz gleich Marktmacht auszuüben, von der Fähigkeit Steinkohle könnten die Einnahmeausfälle auf welches Niveau der Ölpreis sinke [15]. der anderen Marktteilnehmer ab, eine För- bei den Energieexporten Russland in ernst- hafte wirtschaftliche Schwierigkeiten brin- gen, wenn das Preistief über Jahre anhalten würde – mit möglichen negativen Folgen auch für die weltwirtschaftliche Entwick- lung. Aus dieser Perspektive betrachtet ist es beinahe tröstlich zu wissen, dass das jetzige Preistief aufgrund der Zyklizität des Marktes wohl nicht von Dauer sein dürfte. Denn die niedrigen Preise von heute sind auf Rohstoffmärkten bekanntermaßen die Ursache für die hohen Preise von morgen. Tatsächlich laufen die ersten Wetten, in Form von Call Options, dass der Preis von WTI (West Texas Intermediate) im Jahr 2018 Abb. 7 Anteile der bedeutendsten Produzenten an der weltweiten Erdölproduktion im Jahr 2013 Quelle: [2] die Marke von 100 US$ überspringt [14]. ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 65. Jg. (2015) Heft 5 29
ZUKUNFTSFRAGEN derkürzung der OPEC durch eine Auswei- die entsprechende Belastung von 1,56 auf Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und tung der Produktion auszugleichen. Wenn 7,43 ct/kWh. Demnach trug ein Dreiperso- Technologie. Endbericht. Rheinisch-Westfälisches Ins- Förderkürzungen der OPEC durch die Pro- nenhaushalt mit durchschnittlichem Strom- titut für Wirtschaftsforschung und forsa GmbH, Essen, duktion von Schieferöl in den USA kompen- verbrauch von 4 040 kWh im Jahr 2014 ca. Berlin 2011; RWI und forsa: Erhebung des Energiever- siert werden könnten, würde dies die OPEC 300 € zur Förderung erneuerbarer Energien brauchs der privaten Haushalte der Jahre 2009-2010, Marktanteile kosten, ohne zu einer Stabili- bei; im Jahr 2009 waren es lediglich 63 €. Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirt- sierung der Preise beizutragen. schaft und Technologie. Endbericht. Rheinisch-West- Durch die gesunkenen Heizöl- und Kraft- fälisches Institut für Wirtschaftsforschung und forsa Ob aber die OPEC tatsächlich unter dem stoffkosten könnte die Akzeptanz für die GmbH, Essen, Berlin 2013; RWI und forsa: Erhebung Verlust von Marktmarkt leidet, ist derweil Klimaschutzbemühungen und Energiewen- des Energieverbrauchs der privaten Haushalte der Jahre in der Literatur umstritten. Laut Wirl [16] de in Deutschland bei vielen Verbrauchern 2011-2013, Studie im Auftrag des Bundesministeriums sowie Wirl und Caban [17] sind niedrige gestärkt worden sein, da die in jüngster Zeit für Wirtschaft und Energie. Endbericht. Rheinisch- Marktpreise nicht als Zeichen fehlender deutlich gestiegenen Belastungen bei Strom Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung und for- Marktmacht zu verstehen. Stattdessen kann dadurch teilweise wieder ausgeglichen sa GmbH, Essen, Berlin 2015. Die Studien sind abrufbar das Wechseln zwischen hohen und niedri- werden. Dem dürfte allerdings bei einkom- unter: www.rwi-essen.de/haushaltsenergieverbrauch, gen Preisen angesichts der Trägheit der mensschwachen Haushalten, die nicht mit zuletzt geprüft am 16.4.2015. Nachfrage und einem unsicheren Markt, Öl heizen und die mehrheitlich kein Auto [5] EID – Energieinformationsdienst: Heizölpreise. In: wie es der Weltmarkt für Rohöl ist, sogar besitzen, wohl nicht so sein. In der Tat sind EID Ausgabe 03/2014. gewinnmaximierend sein. Die Aussichten gerade die einkommensschwachen Haus- [6] EID – Energieinformationsdienst: Heizölpreise. In: für Rohöl, dem wohl auch in der heutigen halte von den in den vergangenen Jahren EID Ausgabe 04/2015. Zeit noch immer bedeutendsten Handelsgut, stark gestiegenen Stromkosten besonders [7] RWI/forsa: Erhebung des Energieverbrauchs der und die künftigen Ölpreise bleiben somit so betroffen: Während laut Frondel, Sommer privaten Haushalte der Jahre 2011-2013 (siehe Fn. [4]). unsicher wie eh und je. und Vance [20] ein einkommensschwacher [8] Unter der Annahme, dass Heizenergie und Mobili- Haushalt im Jahr 2006 ca. 4,5 % für Strom tät gewöhnliche Güter sind, kann ein Preisrückgang zu Nebenwirkungen ausgab, waren es 2012 rund ein Prozent- einer steigenden Nachfrage führen. So reagiert bspw. punkt mehr und damit fast viermal so viel der Individualverkehr in Deutschland ziemlich stark Weniger unsicher ist hingegen die künftige wie ein besser verdienender Haushalt mit auf Preisänderungen. Nach den Ergebnissen mehrerer Entwicklung der Strompreise in Deutsch- 5 167 € Nettoeinkommen. empirischer Studien liegt die Benzinpreiselastizität für land. Die Bemühungen, das nationale Kli- den Pkw-Verkehr in Deutschland bei -0,4 bis -0,7 (sie- maschutzziel für das Jahr 2020 zu erfüllen, Mit den im Gegensatz zu den Ölpreisen wohl he Frondel, M.; Vance C.: Re-Identifying the Rebound: nach dem die Treibhausgasemissionen ge- auch in Zukunft weiter steigenden Stromprei- What About Asymmetry? In: Energy Journal 34 (4) genüber 1990 um 40 % gemindert werden sen dürfte die Spreizung noch zunehmen. 2013, S. 43-54). Das bedeutet, dass eine Senkung des sollen, sowie das unbeirrte Festhalten an Dies wirft die drängende Frage auf, wie man Benzinpreises um 10 % eine Erhöhung der Fahrleistung den Zielen für den Ausbau der erneuerbaren die Folgen steigender Stromkosten für ärme- um 4 bis 7 % nach sich ziehen würde. Energien im Zuge der Energiewende dürften re Haushalte lindern kann. Frondel, Sommer [9] Baumeister, C.; Kilian, L.: Understanding the Decli- auch weiterhin für einen Anstieg der Strom- und Vance [20] plädieren diesbezüglich für ne in the Price of Oil Since June 2014. CEPR Discussion preise sorgen – ebenso wie in der Vergan- eine Erhöhung von Transferleistungen an Paper 10404, 2015. genheit. So zeigt Abb. 3, dass der Strompreis einkommensschwache Haushalte sowie für [10] AGEB – Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen: grundsätzlich zu Jahresbeginn erhöht wird die Abschaffung des EEG zugunsten eines Energieverbrauch in Deutschland im Jahr 2013. Berlin, und besonders große Sprünge in den Jahren kosteneffizienteren, auf einem marktwirt- Köln 2014. 2010 und 2013 gemacht hat. schaftlichen Ansatz basierenden Fördersys- [11] 1 t Rohöl entspricht 7,33 bbl (so BPB – Bundes- tems für erneuerbare Energien. zentrale für Politische Bildung: Verteilung der nachge- Für einen durchschnittlichen Dreiperso- wiesenen Erdöl-Reserven. Bonn 2010, abrufbar unter: nenhaushalt, der laut RWI und forsa [7] Anmerkungen www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/globa- einen jährlichen Stromverbrauch in Höhe lisierung/52764/erdoel-reserven, zuletzt geprüft am von 4 040 kWh aufweist, ist die Stromkos- [1] Frondel, M.: Niedrige Preise – Ein Wunder? In: Wirt- 16.4.2015. tenbelastung zwischen 2009 und 2014 um schaftsdienst 95 (2), S. 84-85. [12] BAFA – Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkon- fast 240 € im Jahr gestiegen, wenn man eine [2] EIA – U. S. Energy Information Administration: Pro- trolle; Ausgewählte Statistiken. Entwicklung der Roh- Erhöhung des Strompreises von 23,21 auf files for Countries, 2015, abrufbar unter: www.eia.gov/ öleinfuhr. Eschborn 2015, abrufbar unter: www.bafa.de/ 29,13 ct/kWh [18] zugrunde legt [19]. Diese countries, zuletzt geprüft am 16.4.2015. bafa/de/energie/mineraloel_rohoel/ausgewaehlte_sta- Mehrausgaben fließen beinahe vollständig [3] Bei einem täglichen globalen Rohölverbrauch von tistiken/index.html, zuletzt geprüft am 16.4.2015. in die Förderung erneuerbarer Energien, 91 Mio. bbl bedeutet die Preisdifferenz von 40 US$/bbl [13] WEG – Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasge- denn zwischen 2009 und 2014 hat sich die eine Ersparnis für die Verbraucher von 3,64 Mrd. US$ winnung: Fakten und Trends. Statistischer Monatsbe- EEG-Umlage von 1,31 auf 6,24 ct/kWh er- am Tag bzw. rd. 1,33 Bio. US$ im Jahr. richt Dezember 2014. Hannover 2015. höht. Berücksichtigt man die auf die EEG- [4] RWI und forsa: Erhebung des Energieverbrauchs [14] EID – Energieinformationsdienst: Wetten: US-Preis Umlage anfallende Mehrwertsteuer, wuchs der privaten Haushalte der Jahre 2006-2008, Studie im 2018 über 100 $/b. In: EID Ausgabe 14/2015, S. 15. 30 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 65. Jg. (2015) Heft 5
ZUKUNFTSFRAGEN ZUKUNFTSFRAGEN [15] Maria Marquart: Preisverfall bei Öl: Saudischer WBSITE/EXTERNAL/EXTDEC/EXTDECPROSPECTS/0, [25] BAFA – Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkont- Minister schwört Opec auf Konkurrenzkampf ein. ,contentMDK:21574907~menuPK:7859231~pagePK:6 rolle: Amtliche Mineralöldaten. Eschborn 2015, aufrufbar In: Spiegel Online, 23.12.2014; abrufbar unter: www. 4165401~piPK:64165026~theSitePK:476883,00.html, unter: www.bafa.de/bafa/de/energie/mineraloel_rohoel/ spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/oelpreis-opec- zuletzt geprüft am 16.4.2015. amtliche_mineraloeldaten, zuletzt geprüft am 16.4.2015. will-preisverfall-nicht-stoppen-a-1010056.html, zuletzt [22] Eigene Berechnungen auf Basis von Weltbank [26] RWI – Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirt- geprüft am 16.4.2015. (siehe Fn. [21]); BLS – U.S. Bureau of Labor Statis- schaftsforschung: Die wirtschaftliche Entwicklung zum [16] Wirl, F.: OPEC’s Strategies. In: Zeitschrift für Ener- tics: Consumer Price Index US City Average. Boston Jahresende 2014. RWI Konjunkturbericht 65(4)/2014. giewirtschaft 36, 2012, S. 227-237. 2015; EZB – Europäische Zentralbank: Statistical Data [17] Wirl, F.; Caban, S.: A Rationalization of Ups and Warehouse. Bilateral Exchange Rates. Frankfurt am M. Frondel, Leiter der Kompetenzbereichs Downs of Oil Prices by Sluggish Demand, Uncertainty, Main 2015 und destatis – Statistisches Bundesamt: Umwelt und Ressourcen, Rheinisch-West- and Nonconcavity. In: Natural Resource Modeling 27 Verbraucherpreise – Jahresdurchschnitte. Wiesbaden fälisches Institut für Wirtschaftsforschung (2) 2014, S. 178-196. 2015. Brent-Preise sind erst seit 1979 verfügbar, die (RWI), Essen und Ruhr-Universität Bochum; [18] BDEW – Bundesverband der Energie- und Wasser- Preise davor stellen einen Durchschnitt verschiede- G. Barabas, Mitarbeiter, T. Schmidt, Stell- wirtschaft: BDEW-Strompreisanalyse Juni 2014. Haus- ner Sorten dar. vertretender Leiter des Kompetenzbereichs halte und Industrie. Berlin 2014. [23] destatis – Statistisches Bundesamt: Preise. Daten Wachstum, Konjunktur, Öffentliche Fi- [19] Die vom BDEW (siehe Fn. [18]) angegebenen Prei- zur Energiepreisentwicklung. Lange Reihen von Januar nanzen, S. Sommer, Mitarbeiter des Kom- se gelten für einen Dreipersonenhaushalt mit einem 2000-Januar 2015. Wiesbaden 2015. petenzbereichs Umwelt und Ressourcen, Jahresverbrauch von 3 500 kWh. Laut unseren Erhe- [24] MWV – Mineralölwirtschaftsverband: Statistisches Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirt- bungen (RWI/forsa, siehe Fn. [7]) liegt der Stromver- Datenmaterial. Berlin 2015, abrufbar unter: www.mwv. schaftsforschung (RWI), Essen brauch eines Dreipersonenhaushaltes jedoch etwas de/index.php/daten, zuletzt geprüft am 16.4.2015. frondel@rwi-essen.de höher, bei 4 040 kWh. [20] Frondel, M.; Sommer S.; Vance, C.: The Burden of Germany’s Energy Transition – An Empirical Analysis of Distributional Effects. In: Economic Policy and Ana- Die Autoren danken David Heine für wertvolle wissenschaftliche Vorarbeiten und lysis 45/2015, S. 89-99. dem Bundesministerium für Bildung und Forschung für die finanzielle Unterstüt- [21] Weltbank: Overview of Commodity Markets. Histo- zung im Rahmen des Projekts Akzeptanz (Förderkennzeichen 01 UN 1203C). rical Data, 2015, abrufbar unter: econ.worldbank.org/ 11. Juni 2015, Düsseldorf ie aten w a k t ive n Form Discussion, r l Mit inte itch, Fish Bow uvm. ie n ce P S e s s io n Sc o v ation n Open In Ein Event – alle Player: An diesen Themen K ER t reffen kommt kein Energieversorger vorbei! D E N ALS VOR S S I O N Future Living, Future City, Future Energy U N G PROFE YO ENKER Notwendigkeit intelligenter Energiesysteme und Infrastrukturen U E R D Megatrend Digitalisierung en Q treff Potenzial moderner IKT und Datenanalyse für neue Geschäftsmodelle Milliardenmarkt Smart Living Wer sind die Key Player? Und wo stehen die EVU? Infoline: Innovationskultur und Change Management +49 (0)2 11/96 86–33 48 Neue Strategien, Ressourcen und Prozesse [Ralf Ernst] ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 65. Jg. (2015) Heft 5 www.euroforum.de/nexen 31
ZUKUNFTSFRAGEN Wettbewerbsfähige Strompreise und Versorgungs- sicherheit für den Wirtschaftsstandort Bayern Bertram Brossardt Die Energiewende ist ein Mega-Projekt und wohl eines der größten wirtschaftspolitischen Vorhaben seit Bestehen der Bun- desrepublik Deutschland. Aber fast vier Jahre nach dem Beschluss über den beschleunigten Ausstieg aus der Kernkraft gibt es immer noch kein Gesamtkonzept zum Umbau der Energieversorgung in Deutschland, keinen Masterplan, der beschreibt, was bis wann passieren muss, um eine sichere Stromversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen auch über das Jahr 2022 hinaus zu garantieren. Für unseren technologisch hochentwickelten Wirtschaftsstandort ist das beunruhigend. Gerade die bayerische Wirtschaft mit ihrem hohen Industrieanteil ist auf eine sichere und bezahlbare Energieversorgung angewiesen. Die vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. beobachtet die Entwicklung deshalb mit Sorge. Wettbewerbsfähige Preise Versorgungssicherheit Viele Unternehmen haben in den letzten Jah- ren in Anlagen zur Stromerzeugung inves- Die Strompreise in Deutschland sind im in- In Deutschland und Bayern hat man nach tiert. Diese Eigeninitiative war von der Politik ternationalen Vergleich zu hoch. Die deut- wie vor eine hohe Versorgungssicherheit. jahrelang äußerst erwünscht. Inzwischen sche Industrie bezahlt für den Strom 50 % Die geplante Stilllegung vor allem der Kern- deckt allein die deutsche Industrie mehr mehr als ihre Konkurrenten in Frankreich kraftwerke führt jedoch in den nächsten Jah- als 10 % ihres Strombedarfs selbst. Die ver- und weit über das Doppelte der Unterneh- ren im Freistaat zu erheblichen Defiziten. brauchsnahe Eigenerzeugung trägt erheblich men in den USA. Der Strompreis ist ein Bis 2023 verliert Bayern etwa 5 Gigawatt zur Versorgungssicherheit und zur Netzstabi- zentraler Standortfaktor. Steigt er weiter, (GW) gesicherte Kernkraftwerksleistung lität bei. Sie geschieht auch in hocheffizienten werden Unternehmen verstärkt im günsti- und bei der Stromerzeugung rd. 40 TWh. Bis Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK) und geren Ausland investieren. Entsprechende Ende 2017 ist die Abdeckung der Höchstlast ist damit energiewirtschaftlich besonders Tendenzen zeigen sich schon in der Praxis. durch bereits kontrahierte Reservekapa- sinnvoll. Es war daher ein Fehler, die Eigen- zitäten gesichert. Bis 2022 wird mit einer stromerzeugung anteilig mit der EEG-Umlage Hauptkostentreiber ist das Erneuerbare- Verlängerung der Reservekraftwerksver- zu belasten. Die Investitionsbedingungen Energien-Gesetz (EEG). Die EEG-Umlage ist ordnung oder einem entsprechenden Nach- müssen wieder attraktiver gestaltet werden, in den letzten vier Jahren um nahezu 75 % folgemodell die Versorgung gewährleistet insbesondere über die zugesagte Kompensa- gestiegen, auf aktuell 6,17 ct/kWh. Die EEG- werden. tion der neuen Belastung mit der EEG-Umlage Reform vom Sommer 2014 konnte den An- durch eine höhere Förderung nach dem KWK- stieg der Kosten lediglich abschwächen; bis Um die Versorgungssicherheit nach 2022 zu Gesetz. Für Bestandsanlagen muss dauerhaft 2020 wird ein weiterer Anstieg auf rd. 8 ct/ gewährleisten, ist der Netzausbau auf allen Vertrauensschutz gewährleistet werden. kWh erwartet. Immerhin sind mit der ge- Spannungsebenen notwendig. Das vorhan- planten Ausschreibung und einer stärke- dene Stromnetz muss so ertüchtigt und aus- Klimaschutz und Energie- ren Direktvermarktung der erneuerbaren gebaut werden, dass der veränderte Trans- effizienz in Deutschland Energien aber marktwirtschaftliche Ansät- portbedarf abgewickelt werden kann. Dazu ze vorgesehen. Aufgrund der auf 20 Jahre sind bestehende Trassen mit neuen Leitun- Mit dem Anfang Dezember seitens der Bun- vereinbarten Förderzusagen für bestehende gen für eine höhere Transportleistung aus- desregierung beschlossenen Aktionspro- Erneuerbare-Energien-Anlagen kann die zurüsten, und es müssen zusätzliche Über- gramm Klimaschutz 2020 und dem Natio- EEG-Umlage jedoch erst ab 2021 nachhaltig tragungskapazitäten aus dem Norden in den nalen Aktionsplan Energieeffizienz sollen sinken. Derzeit beläuft sie sich insgesamt Süden Deutschlands gebaut werden. Über die in Deutschland gesteckten Ziele zur auf rd. 23 Mrd. € p. a. diese Verbindungen müssen die Verteilzent- CO2-Minderung von 40 % p. a. 2020 gegen- ren in Bayern angeschlossen werden. über 1990 und zur Energieeffizienzsteige- Zusätzliche Kosten sind durch den ge- rung erreicht werden. Um das zu schaffen, planten Netzausbau, die vorgesehene Gaskraftwerke werden als flankierende wurde Ende letzten Jahres festgelegt, dass CO2-Abgabe auf Kohlekraftwerke und Sicherheitsmaßnahme und zur Netzstabili- der Stromsektor bis 2020 zusätzlich zur die Vorhaltung konventioneller (Reser- sierung benötigt. Geeignet sind schnell star- erwarteten Treibhausgasvermeidung durch ve-)Kraftwerksleistung zu erwarten. Der tende Gasturbinen. Neue Gaskraftwerke im den Ausbau von erneuerbaren Energien Strompreis muss daher gedeckelt und mit- Dauerbetrieb von mehr als 5 000 Stunden sowie durch Effizienzsteigerungen weitere telfristig auf das Niveau vergleichbarer p. a. sind dagegen der falsche Weg. Durch 22 Mio. t CO2 weniger ausstoßen soll. Industriestaaten gesenkt werden. Rasche sie würden die Strompreise sowie die Men- Wirkung hätte das Streichen oder Absen- gen- und Preisabhängigkeit von Gasimpor- Nach den Vorstellungen des Bundeswirt- ken der Stromsteuer. ten weiter steigen. schaftsministeriums sollen Kohlekraftwer- 32 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 65. Jg. (2015) Heft 5
ZUKUNFTSFRAGEN ZUKUNFTSFRAGEN ke, die älter als 20 Jahre sind und mehr als Bestehende Effizienzpotenziale Steuerschuld in Betracht. Die steuerliche 7 Mio. t CO2 pro GW Kraftwerksleistung aus- Förderung wäre zudem ein Konjunktur- stoßen, bis zu 20 €\t CO2 zahlen. Das würde Bei den neuen Vorgaben werden die Erfolge, programm, denn jeder Euro Steuererleich- die Stromerzeugung aus Kohle in Deutsch- die die Wirtschaft in den letzten Jahren be- terung löst ein Vielfaches an Investitionen land unrentabel machen. Stromimporte aus reits erreicht hat, nicht ausreichend berück- und damit auch wieder Steuereinnahmen älteren Steinkohlekraftwerken aus dem Aus- sichtigt. Die Industrie in Deutschland und aus. Eine Gegenfinanzierung ist mit Blick land wären die Folge. Belastet würden zudem Bayern hat bereits Milliarden in die erfolg- auf diese Hebelwirkung deshalb nicht er- nicht nur Braunkohlekraftwerke, sondern reiche Verbesserung ihrer Energieeffizienz forderlich. Ebenso ist die Streichung des auch Industriekraftwerke zur Eigenerzeu- investiert. Dadurch ist die Energieintensität Handwerkerbonus als versteckte Steuerer- gung, z. B. in der Stahlindustrie. Besonders allein von 1990 bis 2010 um 35 % gesunken. höhung klar abzulehnen. energieintensive Industrien hätten Wettbe- Im gleichen Zeitraum stieg die Effizienz um werbsnachteile, denn ihre Strombezugskos- rd. 3 % p. a. Schlüssiges Gesamtkonzept ten stiegen durch diesen Klimaschutzbeitrag überfällig deutlich. Diese Kosten kämen zusätzlich Anders sieht es dagegen im privaten Ge- zu weiteren preistreibenden Effekten, z. B. bäudesektor aus. Hier gibt es einen großen Der Umbau der Energiesysteme im Rahmen durch die Reform des EU-Emissionshandels Nachholbedarf. In Deutschland entfallen der Energiewende ist eine ebenso gewaltige oder das Abschalten zahlreicher Kraftwerke, mehr als 40 % des Primärenergieverbrauchs wie komplexe Aufgabe, die sich nicht durch denen der Strommarkt kein betriebswirt- auf den Gebäudesektor, 85 % davon wer- eine Vielzahl einzelner Entscheidungen, die schaftliches Auskommen mehr bietet. den für die Erwärmung von Raumluft und unabhängig voneinander getroffen werden, Wasser verwendet. Bei der energetischen lösen lässt. Einzelfragen wie Reservekraft- Mit der Novelle des deutschen Energie- Gebäudesanierung bestehen enorme Poten- werke und Netzausbau dürfen nicht gegen- dienstleistungsgesetzes wird die Pflicht zur ziale. Der Freistaat hat mit 48 % im Bundes- einander ausgespielt werden. Durchführung von periodischen Energie- vergleich einen überdurchschnittlich hohen Audits für Unternehmen eingeführt. Die Anteil an Ein- und Zweifamilienhäusern. Wir brauchen ein schlüssiges Gesamt- Gesetzesänderung dient der Teilumsetzung Viele davon wurden in den 1960er und konzept für die Energiewende, das die der EU-Energieeffizienz-Richtlinie von 2012 1970er Jahren gebaut, d. h., in den nächsten Erzeugungsarten untereinander sowie Er- und soll ebenfalls dazu beitragen, die deut- Jahren stehen größere Instandhaltungsmaß- zeugung, Transport, Energieeffizienz und schen Energiesparziele zu erreichen. Alle nahmen an. Diese Chance für eine energeti- Speicherung intelligent verknüpft. Ein Unternehmen, die nicht unter die KMU- sche Sanierung von privaten Bestandsbau- marktwirtschaftlich ausgerichtetes Energie- Definition der EU fallen, werden verpflich- ten muss jetzt genutzt werden. Denn bei marktdesign muss auch Anreize zum Bau tet, erstmals bis zum 5.12.2015 und dann jeder Gebäudesanierung ohne energetische und Betrieb effizienter Gaskrafterzeugung mindestens alle vier Jahre ein Energie-Audit Verbesserung geht wertvolles Einsparpoten- und Speicher setzen, um Erzeugungslücken durchzuführen. Angesichts der verzögerten zial auf Jahre verloren. volatiler erneuerbarer Energien zu schlie- Umsetzung in deutsches Recht und der zu ßen. erwartenden großen Zahl betroffener Unter- Der inzwischen seit Jahren andauern- nehmen ist es für die Wirtschaft eine enor- de Streit über eine steuerliche Abschrei- Wann was wo und in welchem Umfang zu me Herausforderung, die ersten Audits bis bungslösung für die energetische Gebäu- erfolgen hat, muss in dem Gesamtkonzept zum Stichtag abzuschließen. desanierung hat dazu geführt, dass viele festgelegt werden. Die Vorlage dieses Ge- sanierungswillige Wohnungs- und Haus- samtkonzepts durch den Bund muss unver- Die vbw fordert eine praxisgerechte und eigentümer die Investitionsentscheidung züglich erfolgen. möglichst unbürokratische Umsetzung, die nach wie vor nicht treffen. Um die ambitio- den Unternehmen die Möglichkeit zur Auf- nierten Energie- und Klimaziele in Deutsch- Internationale Energie- lagenerfüllung lässt. Es muss verhindert land zu erreichen, muss es aber gelingen, und Klimapolitik werden, dass Unternehmen eine Ordnungs- den aktuellen Investitionsstau zu lösen und widrigkeit begehen oder Strafe zahlen müs- die Sanierungsquote von derzeit jährlich Die Energiewende in Deutschland kann na- sen, wenn sie wegen eines objektiven Eng- 1 % auf 3 % anzuheben. türlich nicht unabhängig von der internatio- passes an Auditoren nicht in der Lage sind, nalen Energie- und Klimapolitik betrachtet die Frist einzuhalten. Eine praxisgerechte Die energetische Gebäudesanierung werden. Erklärtes Ziel der bevorstehenden Umsetzung bedeutet auch, dass die Vorga- braucht klare und verlässliche Förderimpul- UN-Klimakonferenz in Paris ist die Verab- ben der EU nicht verschärft, sondern eins se, da sich Investitionen in diesem Bereich schiedung eines neuen Weltklimavertrages. zu eins umgesetzt werden. Z. B. muss es in nur über einen längeren Zeitraum amorti- Nur in einem globalen Kohlenstoffmarkt Fällen, in denen Unternehmen viele gleich- sieren. Die volle steuerliche Absetzbarkeit können die Klimaschutzlasten gerecht ver- artige Standorte mit ähnlichen Energiever- der energetischen Sanierungskosten über teilt werden und innovative und emissi- bräuchen haben, möglich sein, sich bei der zehn Jahre wäre der wirksamste Hebel, onsarme Technologien vermehrt dort zum Auditierung mehrerer Betriebe auf einen die Investitionsblockade zu lösen. Alterna- Einsatz kommen, wo dies aus ökonomischer Referenzbetrieb zu beschränken. tiv käme ein gleichwertiger Abzug von der und ökologischer Sicht sinnvoll ist. ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 65. Jg. (2015) Heft 5 33
ZUKUNFTSFRAGEN Nationale Alleingänge sind zu unterlassen. Die Klima- und Energiepolitik in Europa Baus von Leitungen für den Stromtransport Es muss verpflichtende Emissionsmin- muss einen Ausgleich im energiepolitischen von Nord nach Süd befassen. derungsziele für alle, für Industrie-, Ent- Zieldreieck, bestehend aus Versorgungs- wicklungs- und Schwellenländer, geben. sicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Um- Die anstehenden Entscheidungen müssen Andernfalls würden Produktionsstandorte weltverträglichkeit, herstellen. Zwischen Nachteile für die Wettbewerbsfähigkeit und damit Arbeitsplätze auch aus Bayern in den gegenwärtigen Instrumenten zur Zieler- der Unternehmen in Deutschland und Staaten mit geringeren oder gar keinen Kli- reichung der Treibhausgasminderung, dem Bayern vermeiden. Anhaltend hohe Strom- maschutzauflagen verlagert werden. Ausbau der erneuerbaren Energien und der preise und Ungewissheit bei der künftigen Steigerung der Energieeffizienz bestehen Versorgungssicherheit führen zu einem Auf europäischer Ebene haben sich die aber noch erhebliche Inkonsistenzen, die schleichenden Vertrauensverlust an un- Staats- und Regierungschefs Ende Oktober zur Beeinträchtigung der internationalen serem Standort. Gerade bei international 2014 auf Energie- und Klimaziele geeinigt, Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen operierenden Unternehmen, wie es vor die bis 2030 erreicht werden sollen. Dazu führen. allem bei Industriebetrieben zumeist der gehören eine Reduktion des Treibhausgas- Fall ist, besteht die Gefahr der Verlage- ausstoßes bis 2030 um 40 % gegenüber Wirtschaftsstandort rung. Und ein Unternehmen, das unserem 1990, die Steigerung des Anteils der erneu- wettbewerbsfähig erhalten Standort einmal den Rücken gekehrt hat, erbaren Energien am Energieverbrauch in lässt sich nur sehr schwer wieder zurück- der EU bis 2030 auf mindestens 27 % sowie 2015 stehen wesentliche politische Entschei- gewinnen. Verbesserung der Energieeffizienz bis 2030 dungen an. Im Juni wird die Bundesregie- um 27 % gegenüber dem derzeitig prognosti- rung ihre Vorstellungen für ein zukünftiges zierten zukünftigen Energieverbrauch. Die- Strommarktmodell, einen Kraftwerkspark B. Brossardt, Hauptgeschäftsführer, vbw – se Zielsetzung wurde Ende März 2015 im und die künftige KWK-Förderung konkreti- Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft Rahmen eines EU-Gipfels zur europäischen sieren. Ebenfalls im Juni will sich der Koali- e. V., München Energieunion erneut bestätigt. tionsausschuss mit der wichtigen Frage des info@vbw-bayern.de Vertragshandbuch Stromwirtschaft Praxisgerechte Gestaltung und rechtssichere Anwendung te arbeite 2. über 2014 Auflage Schöne (Hrsg.) 2. überarbeitete Auflage 2014 LXVIII Seiten und 1.252 Seiten, Format 16,8 x 24,5 cm, Hardcover ISBN-Nr. 978-3-8022-1122-5 Buch 198,– e (E-Book 198,– e) Bestell-Nr. 8671 60 Kombi-Preis: Buch und E-Book 297,– e Auch als E-Book erhältlich! Wissen ist unsere Energie. Alles, was Sie zur Vertragspraxis in der Stromwirtschaft wissen sollten! Neu mit UWG und Konzessionsverträgen Unabdingbare Voraussetzung für erfolgreiches Verhandeln Sie finden hier das komplette Rüstzeug, um interessenge- und Anwenden der Verträge in der Praxis ist die Kenntnis der rechte, kundenfreundliche und juristisch belastbare Verträge verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten sowie deren Hand- in der Unternehmenspraxis zu entwerfen. In der nun bereits habung. Dieses Vertragshandbuch befasst sich umfassend zweiten Auflage wurden die jüngsten Rechts- und Vertrags- und grundlegend mit der Praxis der Vertragsgestaltung in der entwicklungen eingearbeitet sowie die aktuelle Rechtspre- Stromwirtschaft, denn die Stromwirtschaft weist zahlreiche chung, nicht zuletzt zum komplexen Recht der Allgemeinen vertragliche Besonderheiten auf. Geschäftsbedingungen (AGB), berücksichtigt. EW Medien und Kongresse GmbH Buchverlag I Fachinformationen Montebruchstraße 20 | 45219 Essen Weitere Informationen erhalten Sie unter Telefon: 0 20 54.9 24 -123 | Telefax: 0 20 54.9 24 -139 www.energie-fachmedien.de E-Mail: vertrieb@ew-online.de | www.ew-online.de 34 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 65. Jg. (2015) Heft 5
ZUKUNFTSFRAGEN ZUKUNFTSFRAGEN Wirtschaftliche Eliten – wie stehen sie zu Politik und Gesellschaft? Die Frage nach dem Weltbild und Selbstverständnis der deutschen Wirtschaftselite erscheint vordergründig rasch beantwortet. Entgegen des in der Außenperspektive vorherrschenden allgemeinen Vorurteils, welches Gesellschafter, Vorstände, Geschäfts- führer und Unternehmer gerne als gierig, egoistisch und gesellschaftlich rücksichtslos charakterisiert, ist über die tatsächli- chen Personen und ihre charakteristischen Ausprägungen jedoch relativ wenig bekannt. Die aktuelle BP-Gesellschaftsstudie eröffnet erstmals differenzierte Einblicke in das politische und gesellschaftliche Denken sowie die Sorgen der Unternehmer. Nach „Die neue Macht der Bürger“, die sich In Rückführung auf die von Gerhard Schrö- samt skeptisch wird die Volkssouveränität der Frage der Motivation bürgerlicher Protest- der geprägte Politik der Agenda 2010 werden als primäre staatliche Legitimationsquelle bewegungen widmete, hat das Göttinger Ins- sowohl Sozialdemokraten als auch Gewerk- gesehen. Große Wertschätzung wird hinge- titut für Demokratieforschung unter der Fe- schaften von den Unternehmern nicht mehr als gen dem Rechtsstaat entgegengebracht, er derführung von Franz Walter und Stine Marg Bedrohung empfunden. Während die Agenda ist den Unternehmern Garant für das Wirt- nun ihre zweite von BP Europa SE initiierte 2010 und ihre Akteure als politisch mutig gel- schaften auf berechenbaren Grundlagen in- Gesellschaftsstudie veröffentlicht, die auf ei- ten, bezieht sich die Wertschätzung gegenüber nerhalb verlässlicher Rahmenbedingungen. ner repräsentativen Basis von 160 Interviews den Gewerkschaften darauf, dass diese die Be- mit Personen der deutschen Wirtschaftselite deutung der industriellen Produktion für die Zwar werden totalitäre Diktaturen abgelehnt deren Innenperspektive zur politischen Agen- Wertschöpfung anerkennen. Die wirtschaftli- – sowohl vor dem Hintergrund des frühen da und gesellschaftlichen Entwicklung zu er- chen Eliten sprechen den Gewerkschaften da- 20. Jahrhunderts als auch aus Furcht vor Will- fassen versucht. Zielsetzung der Studien ist mit deutliche Kompetenz in der Kenntnis der kür –, dennoch zeigt die unternehmerische es, über einzelne Gruppen gesicherte sozial- Grundlagen gesellschaftlichen Wohlstands zu. Elite eine ambivalente Haltung insbesondere wissenschaftliche Erkenntnisse zu sammeln, hinsichtlich der Entwicklung Chinas. Da das an denen bisher vorherrschende Einschät- Insgesamt fühlen sich die wirtschaftlichen dortige politische System mit seiner auto- zungen überprüft, ergänzt und korrigiert Eliten aber politisch heimatlos, seitdem die ritativen Ausrichtung stringente politische werden können und sich der Dialog zwischen FDP nicht mehr im deutschen Bundestag Entscheidungen ermöglicht, befürchten die den Akteuren entfalten kann. vertreten ist. Hinsichtlich der Regierungs- Unternehmer, dass Chinas System zukünftig politik wird insbesondere der „sozialdemo- überlegen sein könnte. Sollte die Dynamik Aussöhnung mit kratische“ Kurs der CDU/CSU bemängelt. wirtschaftlichen Erfolgs nicht-demokrati- dem Sozialstaat Der Bundeskanzlerin Angela Merkel wird scher Gesellschaften anhalten, schließen die politische Unschärfe und programmatische Unternehmer eine emphatische Diskussion Auffälliges Studienergebnis ist, dass seitens Indifferenz vorgeworfen. Die journalistische über einen auf weniger Demokratie basie- der Eliten eine marktradikale Rhetorik weni- Darstellung ihrer Gruppe empfinden die renden modernen Kapitalismus nicht aus. ger stark verwendet wird. Erklärbar ist dies wirtschaftlichen Eliten als beklagenswert. Grundlage für ihn sei jedoch eine stabile und mit den wirtschaftlichen Einbrüchen und Fi- Auch sie - wie aktuell viele andere Gruppen transnational konstituierte Rechtstaatlichkeit. nanzmarktverwerfungen, von denen zuletzt - kritisieren in den Interviews die als skan- insbesondere neoliberal orientierte Ökono- dalisierend und pauschalisierend wahrge- Klassische interne Strukturen mien betroffen waren. Die Verfasser konsta- nommene Berichterstattung der Medien. tieren daher eine moderate Aussöhnung der Eine weitere interessante Beobachtung der Unternehmer mit dem Sozialstaatsmodell Rechtsstaatlichkeit steht Studie betrifft die Sicht der Eliten auf die in- des „Rheinischen Kapitalismus“. im Vordergrund dividuellen Anstrengungen des Aufstiegs in Führungsrollen. Die industriegeschichtliche Die BP-Gesellschaftsstudie ist im Rowohlt- Zur politischen Entscheidungskultur selbst Phase scheint Geschichte zu sein, in der ur- Verlag erschienen: liefert die Studie ein ausgesprochen diffe- sprüngliche soziale oder kulturelle Benachtei- renziertes Bild. Den Unternehmen bereitet ligungen Triebfeder des individuellen Erfolgs- Franz Walter u. Stine der Willensbildungsprozess der parlamenta- strebens waren. Die aktuellen ökonomischen Marg (Hrsg.): Sprach- rischen Demokratie Unbehagen. Bemängeln Eliten verorten sich selbst in intakten Le- lose Elite? Wie Unter- sie am repräsentativen System die lange bensgeschichten, was bei einigen Teilen der nehmer Politik und Dauer der Willensbildungsprozesse mit zu Interviewten die Sorge hervorruft, dass dem Gesellschaft sehen. schlechten Kompromissen und zu geringer Führungsnachwuchs elementare Energien Reinbek bei Hamburg, Rücksicht auf sachrationale Erfordernisse, und auch für zukünftige Konflikte als nötig Rowohlt 2015, 352 lehnen sie andererseits Referendumsdemo- charakterisierte Härten fehlen könnten. Seiten, 16,95 €, ISBN: kratien aufgrund befürchteter irrationaler 978–3–498–04213–4 und sprunghafter Entscheidungen ab. Insge- „et“-Redaktion ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 65. Jg. (2015) Heft 5 35
ZUKUNFTSFRAGEN INTERVIEW „Auf einem Kapazitätsmarkt könnte Marktmacht wieder zum Thema werden“ Die Transformation des Energiesektors verändert auch die Marktstrukturen. Die Platzhirsche von gestern verlieren Markt- anteile und die Erzeugungslandschaft wird vielfältiger. Überkapazitäten in Deutschland und Europa sowie der Ausbau der Grenzkuppelkapazitäten führten dazu, dass der aggregierte Marktanteil der vier größten Anbieter bei der konventionellen Stromerzeugung hierzulande deutlich gesunken ist. Ist Marktbeherrschung damit Geschichte? Und: Wie ist die Wettbewerbs- situation beim Gas, was ist dort bezüglich der Marktmacht festzustellen? „et“ fragte bei Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes, nach. Zur Wettbewerbssituation auf Mundt: Im Rahmen des jährlichen Monitorings, Unternehmen ab. Aufgrund der aktuell bestehen- dem deutschen Strommarkt das wir gemeinsam mit der Bundesnetzagen- den Überkapazitäten dürfte es den Erzeugungsun- tur durchführen, konnten wir einen spürbaren ternehmen derzeit schwer fallen, die Strompreise „et“: Ist das Thema Marktbeherrschung im deut- Rückgang der Marktkonzentration feststellen. missbräuchlich in die Höhe zu treiben. Das kann schen Strommarkt heute neu zu bewerten? Der aggregierte Marktanteil der vier absatzstärks- sich aber nach einem Abbau der Überkapazitäten ten Erzeugungsunternehmen betrug auf dem wieder ändern. Auch vor dem Hintergrund der Mundt: Der Wettbewerb auf dem Strommarkt deutsch-österreichischen Stromerstabsatzmarkt aktuellen Debatte um die Einführung von Kapa- unterlag in den letzten Jahren in der Tat vielen 2013 rund 67 %. Im Vergleich mit 2010 ist der zitätsmärkten mahne ich zur Vorsicht: Auf einem Veränderungen. Zuletzt hat das Bundeskartell- Wert um 6 Prozentpunkte zurückgegangen. Ge- Kapazitätsmarkt könnte Marktmacht wieder zum amt die Frage der Marktbeherrschung auf dem genüber der von uns zuletzt untersuchten Jahre Thema werden. Denn ein Kapazitätsmarkt wäre Stromerstabsatzmarkt in der Anfang 2011 veröf- 2007/2008 ist der Rückgang noch deutlicher. aus verschiedenen Gründen – etwa weil auslän- fentlichten Sektoruntersuchung Stromerzeugung/ dische Anbieter und erneuerbare Energien nur Stromgroßhandel detailliert untersucht. Diese Über den Rückgang der Marktanteile hinaus sehen schwer teilnehmen könnten – vermutlich enger Untersuchung bezog sich auf die Jahre 2007 und wir auch noch weitere Anhaltspunkte dafür, dass als der Arbeitsmarkt und würde großen Erzeu- 2008. Damals haben wir eine marktbeherrschende die Marktmacht der großen Erzeugungsunterneh- gungsunternehmen eine stärkere Marktstellung Stellung von drei bzw. vier Unternehmen ermittelt. men deutlich zurückgegangen sein dürfte. In Zu- vermitteln. Hier könnten Marktmachtprobleme kunft werden wir mit der Markttransparenzstelle und damit Potenziale zu missbräuchlichem Ver- Seitdem hat sich viel getan. Wir hatten jedoch für den Großhandel mit Strom und Gas die Möglich- halten wieder virulent werden. keinen Anlass mehr, uns mit der Frage der Markt- keit haben, kontinuierlich die Marktstruktur auf beherrschung zu beschäftigen. Ob eine marktbe- dem Stromerstabsatzmarkt zu untersuchen. „et“: Das vom Bundeskartellamt ausgesprochene herrschende Stellung eines oder mehrerer Un- Mark-up-Verbot untersagt Unternehmen mit einer ternehmen vorliegt, prüft das Bundeskartellamt „et“: Die Vollendung des Strombinnenmarkts ist marktbeherrschenden Stellung, zu einem Preis immer nur anlassbezogen im Rahmen konkreter ein zentrales Ziel der europäischen Energiepolitik. oberhalb ihrer Grenzkosten anzubieten. Verfahren. Eine kontinuierliche Marktbeob- Durch zunehmende Kopplung des europäischen achtung durch das Bundeskartellamt ist bisher Strommarkts wird sich der Wettbewerbsdruck auf Mundt: Hierzu möchte ich klarstellen, dass die nicht vorgesehen. Eine Aussage, ob und welche inländische Erzeuger immer weiter erhöhen. Wie kartellrechtliche Missbrauchsaufsicht weder de Unternehmen aktuell marktbeherrschend sind, beurteilen Sie vor diesem Hintergrund das Potenzi- jure noch de facto zu einem „Mark-up-Verbot“ können wir daher nicht machen. al zu missbräuchlichem Verhalten? führt. Kartellrechtlich gibt es kein grundsätzli- ches Verbot, Kapazitäten mit einem Aufschlag „et“: Wie lassen sich die jüngsten Entwicklungen Mundt: Die Fähigkeit, missbräuchlich zu han- auf die Grenzkosten anzubieten. Nur bei markt- konkret beurteilen? deln, hängt stark von der Marktstellung einzelner beherrschenden Unternehmen können Mark-ups „Aufgrund der aktuell bestehenden Überkapazitäten dürfte es den Erzeugungsunter- nehmen derzeit schwer fallen, die Strompreise missbräuchlich in die Höhe zu treiben. Das kann sich aber nach einem Abbau der Überkapazitäten wieder ändern. Auch vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte um die Einführung von Kapazitätsmärkten mahne ich zur Vorsicht: Auf einem Kapazitätsmarkt könnte Marktmacht wieder zum Thema werden. Denn ein Kapazitätsmarkt wäre aus verschiedenen Gründen – etwa weil ausländische Anbieter und erneuerbare Energien nur schwer teilnehmen könnten Foto: Bundeskartellamt – vermutlich enger als der Arbeitsmarkt und würde großen Erzeugungsunternehmen eine stärkere Marktstellung vermitteln.“ Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes, Bonn 36 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 65. Jg. (2015) Heft 5
Sie können auch lesen