NOCH AUSNAHME ODER SCHON NORMALFALL? DIE ZUSAMMENARBEIT MIT FRAGILEN STAATEN - POSITIONSPAPIER
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02 Noch Ausnahme oder schon Normalfall? – Die Zusammenarbeit mit fragilen Staaten POSITIONSPAPIER INHALT Unser Verständnis von Fragilität, Frieden und Sicherheit 4 Fragilität 4 Frieden 4 Sicherheit 5 Möglichkeiten und Grenzen der internationalen Zusammenarbeit mit lokalen Akteurinnen und Akteuren 6 Die Förderung der lokalen Zivilgesellschaft 8 Fragilität nicht weiter verschärfen – wie „konfliktsensibel“ ist die deutsche Politik? 9 Korruption bekämpfen 9 Rüstungsexportpolitik restriktiv gestalten 10 Rahmenbedingungen für Unternehmen in fragilen Staaten setzen 11 Digitalisierung und Datensicherheit in fragilen Kontexten 12 Sicherheitsmanagement und Fernsteuerung von Projekten 13 Die eigene Rolle reflektieren – langfristige Wirkungen im Blick behalten 16 VENRO-Mitglieder 18 Impressum 19
POSITIONSPAPIER Noch Ausnahme oder schon Normalfall? – Die Zusammenarbeit mit fragilen Staaten 03 NOCH AUSNAHME ODER SCHON NORMALFALL? DIE ZUSAMMENARBEIT MIT FRAGILEN STAATEN Weltweit nimmt die Anzahl der Konflikte und der vor allem soziale Basis- oder Nichtregierungsorganisationen, von Gewalt betroffenen Menschen zu. Vielerorts ver- religiöse Einrichtungen und Verbände, Gewerkschaften, aber hindern fehlende oder schwache staatliche Institutio- auch informelle Strukturen wie Ältestenräte oder Selbsthilfe- nen mit geringer Legitimität sowie direkte und struk- gruppen. Sie alle erbringen wichtige soziale Dienstleistungen turelle Gewalt und die damit verbundene Unsicherheit – und sie sind gleichzeitig Hoffnungsträger_innen für eine nachhaltige menschliche Entwicklung. Schätzungen gesellschaftliche Veränderung und eine demokratische Kon- zufolge werden im Jahr 2030 etwa 80 Prozent der Men- trolle schwacher oder korrupter staatlicher Institutionen. schen, die in absoluter Armut leben, in fragilen Staa- Allerdings spiegeln auch zivilgesellschaftliche Akteur_innen ten zu Hause sein.1 Staatliche und nichtstaatliche Ent- häufig ethnische, soziale und politische Konflikte wider und wicklungszusammenarbeit findet daher zunehmend in reproduzieren strukturelle Benachteiligungen. fragilen und von Gewalt geprägten Kontexten statt. Weltweit wird ihr Handlungsraum in einer wachsenden Zahl von Ländern eingeschränkt.2 Oftmals erschweren administrative Hürden die Arbeit. Hinzu kommen Kor- Die internationale Staatengemeinschaft hat sich mit der ruption, massive Einschüchterung und andere Formen der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und ihrem Kern- Repression. All diese Faktoren setzen die organisierte Zivil- prinzip „Niemanden zurücklassen“ ambitionierte Ziele gesellschaft unter Druck – gerade in fragilen Staaten. gesteckt – ganz besonders gilt das für fragile Staaten. Im Juli 2017 hat die Bundesregierung die Leitlinien „Kri- Von großer strategischer Bedeutung ist dabei das Nachhaltig- sen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ keitsziel 16 „Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen“ vorgelegt und eine „neue Phase deutscher Friedenspolitik“ – hier geht es insbesondere um den Aufbau effektiver, rechen- angekündigt. Die Leitlinien definieren Werte, Interessen und schaftspflichtiger und inklusiver staatlicher Institutionen. Schwerpunkte im Kontext von Krisen und Konflikten. Die Förderschwerpunkte der Entwicklungszusammenarbeit müs- Bundesregierung bekennt sich in den Leitlinien ausdrück- sen überprüft und die Analyseinstrumente und Planungsver- lich zur Stärkung nichtstaatlicher Akteur_innen. Sie sind die fahren sowie die Wirkungsbeobachtung verbessert werden. politische Absichtserklärung für einen deutschen B eitrag zur Business as usual, routinemäßiges Vorgehen, verbietet sich internationalen Friedensförderung, der sich an der Agenda unter den skizzierten Rahmenbedingungen. 2030 ausrichtet und zwischen den Bundesministerien abgestimmt ist. Um Fortschritte bei Ziel 16 sowie bei den anderen Zielen zu erreichen, bedarf es der nachhaltigen Förderung von und der Vor diesem Hintergrund fasst VENRO in dem vorliegenden Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen. Positionspapier die Herausforderungen für die Zusammen- In fragilen Zusammenhängen sind Ansprechpartner_innen arbeit mit fragilen Staaten zusammen. Wir formulieren dar- auf staatlicher Seite oft unwillig zu kooperieren oder fehlen auf aufbauend Forderungen an die Bundesregierung und den sogar gänzlich. Daher sind zivilgesellschaftliche Akteur_ Bundestag. innen als Partner_innen besonders gefragt. Dazu gehören 1 OECD (2018): States of Fragility Report, http://www.oecd.org/dac/states-of-fragility-2018-9789264302075-en.htm 2 CIVICUS/Brot für die Welt (2019): Atlas der Zivilgesellschaft, https://www.brot-fuer-die-welt.de/fileadmin/mediapool/2_Downloads/Fachinformationen/ Atlas_d_zivilgesellschaft/2019/AtlasDerZivilgesellschaft_2019-Online.pdf
04 Noch Ausnahme oder schon Normalfall? – Die Zusammenarbeit mit fragilen Staaten POSITIONSPAPIER United States of America Canada United States of America UNSER VERSTÄNDNIS Canada United States of America VON FRAGILITÄT, United States of America FRIEDEN UND SICHERHEIT Mexico Cuba Bahamas Haiti Dominican Republic Belize Puerto Rico Mexico JamaicaBahamas Antigua & Barbuda Honduras Guatemala Cuba El Salvador Nicaragua Haiti Barbados Dominican Grenada Republic Belize Puerto Rico Trinidad & Tobago Costa Rica Jamaica Antigua & Barbuda Honduras Guyana Guatemala Venezuela Barbados El Salvador Panama Suriname Nicaragua Grenada French Guiana Trinidad & Tobago Costa Rica Colombia Venezuela Guyana Panama Suriname Ecuador French Guiana Colombia FRAGILITÄT COUNTRY ABBREVIATIONS Ecuador Brazil AE U.A.E. DJ Djibouti LI Lithuania Peru COUNTRY ABBREVIATIONS AL Albania DK Denmark LV Latvia Brazil AE U.A.E. DJ Djibouti LI Lithuania Peru AM Armenia EE Estonia LX Luxembourg Bolivia Eine viel genutzte Quelle für das weltweite Ausmaß und AT AL Austria AM Albania Armenia ER DK Eritrea EE Denmark Estonia ME LV LX Latvia Montenegro Luxembourg die Entwicklung von Fragilität ist der jährliche „States Bolivia AZ Azerbaijan GE Georgia MK Macedonia Copyright © 2019 The Fund for Peace AT Austria ER Eritrea ME Montenegro of Fragility Report“ der Organisation für wirtschaftliche Tonga Samoa BA GQ GE MW 100 110 120 Bosnia & Herz. AZ Azerbaijan Eq. Guinea Georgia MK Malawi Macedonia 60 70 80 90 Fiji Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD)3. Darin wer- BD BA Bosnia & Herz.GR GQ Bangladesh Greece Eq. Guinea NLMW Netherlands Malawi Chile Polynesia BE Belgium BD Bangladesh HU GR Hungary Greece QANL Qatar Netherlands den die politische, die gesellschaftliche, die wirtschaftliche, Solomon Islands French BE Chile BF BurkinaBelgium Faso HV HU Hungary Croatia RS QA Serbia Qatar Argentina Uruguay Vanuatu ALERT WARNING die umweltbezogene und die sicherheitsrelevante Dimension BG BF Burkina Faso IL Bulgaria HV IsraelCroatia RWRS Rwanda Serbia Argentina Uruguay New Zealand von Fragilität untersucht. Entsprechend werden die Ursachen BH BG Bahrain Bulgaria JO IL Jordan Israel SG RW Rwanda Singapore Papua New Guinea BH Bahrain JO Jordan SG Singapore sehr differenziert betrachtet. Eine andere Quelle ist der „Fra- BI BT Burundi BI Bhutan Burundi KG KH Kyrgyz Republic KG Kyrgyz Republic Cambodia SI SK SI Slovenia Slovenia Slovakia Micronesia gile States Index“ des Fund for Peace4. Dieser verbindet einen CG BT Bhutan Congo (Rep.) KH KW Kuwait Cambodia TJ SK Slovakia Tajikistan Datensatz aus Primärquellen mit qualitativen Analysen und CG Congo (Rep.) KW Kuwait TJ Tajikistan CY Cyprus LA Laos TN Tunisia CY Cyprus LA Laos TN Tunisia wertet beides in einem Ranking aus. Im Jahr 2018 standen in CZ Czechia CZ Czechia LB Lebanon LB Lebanon UG UG Uganda Uganda Japan beiden genannten Veröffentlichungen Staaten wie der Süd- Timor-Leste Australia Philippines sudan, Somalia, Jemen, Syrien und die Zentralafrikanische Republik an der Spitze. Beide Konzepte sind nützlich, um North Korea Taiwan Korea South die politische Aufmerksamkeit auf einzelne fragile Kontexte zu lenken und internationalen Handlungsdruck zu erzeugen. Vietnam Brunei Malaysia SG Indonesia Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik hat im Auftrag Alle Analysen werden bisher nur sehr begrenzt durch direkte KH LA des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit Befragungen der jeweils betroffenen Bevölkerung erstellt. China und Entwicklung (BMZ) ein Modell zur Beschreibung der Auch differenzieren sie in der Regel nicht nach Regionen Mongolia Myanmar Fragilität anhand verschiedener Dimensionen vorgeschlagen innerhalb eines Staates. Die Erfassung der Daten und Ana- BD BT Sri Lanka und dafür ein Online-Tool5 vorgestellt. Drei Dimensionen lysen muss daher durch neue Formen direkter Befragung und werden mit acht Indikatoren erfasst: durch den Dialog mit lokalen Akteur_innen, insbesondere Maldives India mit der organisierten Zivilgesellschaft, verbessert werden. XX Die Legitimitätsdimension beschreibt die Fähigkeit des KG Pakistan Staates, die Zustimmung der Bevölkerung zum staat- TJ Mauritius lichen Gewaltmonopol zu gewinnen. Kazakhstan Seychelles FRIEDEN AE Die Kapazitätsdimension beschreibt die Fähigkeit des Iran QA XX BH Comoros KW Staates, grundlegende öffentliche Dienstleistungen für AZ Yemen Arabia DJ Saudi seine Bevölkerung bereitzustellen. AM Iraq GE Ethiopia Kenya Ein positiver Frieden ist mehr als die Abwesenheit von ER Syria Eswatini Tanzania JO Turkey Lesotho Die Autoritätsdimension beschreibt die Fähigkeit des Waffengewalt. Auch kulturelle oder strukturelle Gewalt, etwa UG CY LB XX Zimbabwe IL MW BI Sudan South Sudan MD Egypt Staates, das Gewaltmonopol in seinem Hoheitsgebiet die Benachteiligung von Frauen oder die Diskriminierung Ukraine RW Zambia Republic of the Democratic Botswana Congo durchzusetzen. von Minderheiten, muss überwunden werden, um zu einem BG GR Africa South C.A.R. ME MK HV BA RS Chad Namibia Poland Angola AL AT HU SK Malta Libya CG CZ Gabon SI 3 Vgl. Fußnote 1 Niger TN Nigeria GQ CH 4 Fund for Peace (2019): Fragility in the World 2019, https://fragilestatesindex.org/ LX Benin France BE Sao Tome & Principe 5 Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (2018): Constellations of World Fragility, https://www.die-gdi.de/statefragility/ Algeria Togo Ghana BF Mali Spain Mauritania Portugal Guinea Liberia Leone stern ara sau
THE WORLD IN 2019 POSITIONSPAPIER Noch Ausnahme oder schon Normalfall? – Die Zusammenarbeit mit fragilen Staaten 05 Greenland SUSTAINABLE 10 20 Iceland Norway 30 Finland EE Russia STABLE 40 DK LV United Kingdom LI Ireland BE NL Poland Belarus 50 LX CZ SK AT HU Ukraine MD 60 CH Kazakhstan France Mongolia SI HV BA RS WARNING 70 BG ME MK GE KG North Portugal Spain AL GR Turkey AM AZ TJ Korea Japan 80 TN Malta Syria CY LB Iraq Iran China South 90 IL Korea JO KW Pakistan ALERT 100 Algeria BT Libya BH Western Egypt Saudi QA 110 Myanmar Sahara Arabia AE Taiwan India Mauritania BD LA 120 Mali Niger Cape Verde ER Yemen Chad Sudan The Gambia BF DJ KH Vietnam Philippines Guinea-Bissau Guinea Nigeria Ghana Sierra Leone South Ethiopia Sri Lanka C.A.R. Sudan Brunei Liberia Benin Micronesia Togo Maldives Malaysia GQ UG Sao Tome & Principe Kenya SG CG Gabon RW Democratic Papua New Guinea Republic of the BI Congo Seychelles Tanzania Solomon Islands Indonesia Timor-Leste Comoros Samoa Angola MW Zambia Vanuatu Fiji Zimbabwe Namibia Mauritius Tonga French Botswana Australia Polynesia Eswatini South Lesotho Africa New Zealand THE WORLD IN 2019 Greenland Copyright © 2019 The Fund for Peace SUSTAINABLE 10 United States Iceland Norway of America 20 Finland SICHERHEIT EE Russia 30 Canada United Kingdom DK LI LV NL Ireland Belarus STABLE 40 BE Poland Ukraine CZ LX SK AT HU MD 50 France CH SI Kazakhstan HV BA RS BG 60 ME MK GE KG positiven Frieden zu gelangen. WARNING Nach diesem Verständnis Das Verständnis „menschlicher Sicherheit“7 als Freiheit von Portugal Spain AM AZ Mongolia 6 United States of America AL GR Turkey TJ 70 TN Malta Syria sind Frieden und Gerechtigkeit eng80miteinander verbunden. Not und Furcht baut auf dem Grundrecht der Menschen- KG North CY LB Iraq Iran Korea IL Japan JO KW Pakistan Die Achtung der Menschenrechte, der 90 Abbau von Ungleich- würde auf. Es entspricht den entwicklungspolitischen Vor- China Algeria South Libya BH Western Egypt Saudi QA Korea Mexico Bahamas Sahara Arabia AE ALERT 100 heiten und die Nachhaltigkeit im 110 Sinne der Agenda 2030 stellungen von VENRO, weil es die Sicherheit der Menschen kistan Cuba Haiti BT Dominican Republic Mauritania Belize Puerto Rico Mali Myanmar Jamaica Niger spielen dabei entscheidende Rollen.120 in fragilen Staaten in den Vordergrund rückt. Taiwan Antigua & Barbuda Cape Verde ER Yemen Honduras Chad Sudan India Guatemala BD El Salvador Barbados The Gambia Nicaragua Grenada BF DJ LA Guinea-Bissau Trinidad & Tobago Guinea Costa Rica Nigeria Ghana Guyana Sierra Leone South Ethiopia Panama Venezuela Suriname C.A.R. Sudan KH French Guiana Liberia Nachhaltige Kompromisslösungen auf unterschiedlichen Der ganzheitliche Ansatz „holistischer Sicherheit“ stellt eine Vietnam Philippines Benin Colombia Togo GQ UG Sao Tome & Principe Kenya Sri Lanka CG Ecuador Gabon RW Ebenen können nur dann erreicht werden, wenn alle Weiterentwicklung dar. Er entstammt der entwicklungs- Brunei Democratic Micronesia Republic of the Malaysia BI Maldives Congo Seychelles SG COUNTRY ABBREVIATIONS Tanzania Konfliktparteien und alle vom Konflikt Betroffenen am Papua New Guinea AE U.A.E. DJ Djibouti LI Lithuaniapolitischen und menschenrechtlichen Praxis.8 Der Begriff Peru Brazil Angola MW Comoros Aushandlungsprozess beteiligt sind. Nur auf diese Weise ist „holistische Sicherheit“ hat eine zweifache Bedeutung: In AL Albania DK Denmark LV Latvia Solomon Islands Zambia Indonesia Timor-Leste AM Armenia EE Estonia LX Luxembourg Bolivia Zimbabwe der Gewaltlogik eine Friedenslogik entgegenzusetzen, die seiner individuellen Dimension umfasst er die physische Samoa AT Austria ER Eritrea ME Montenegro Namibia Mauritius Vanuatu AZ Azerbaijan GE Georgia MK Macedonia Botswana Fiji auf Gleichberechtigung, Geschlechtergerechtigkeit, Mit- French Tonga BA BD Bosnia & Herz. Bangladesh GQ GR Eq. Guinea Greece MW NL Malawi und psychosoziale Sicherheit sowie Datensicherheit und in Netherlands South Lesotho Eswatini bestimmung und Inklusion aufbaut. Vorrang muss dabei eine seiner kollektiven Dimension den Schutz von Institutionen. Australia Polynesia Chile Africa BE Belgium HU Hungary QA Qatar BF Burkina Faso HV Croatia RS Serbia Argentina Uruguay frühe Vorbeugung von Gewalt haben – durch die rechtzeitige BG BH Bulgaria Bahrain IL JO Israel Jordan RW SG Rwanda Singapore Sicherheit kann nur für einen jeweils besonderen Kontext Bearbeitung der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und poli- New Zealand BI BT Burundi Bhutan KG KH Kyrgyz Republic Cambodia SI SK Slovenia Slovakia und von den betroffenen Menschen selbst definiert werden. tischen Konfliktursachen. VENRO ist der Überzeugung, dass CG CY Congo (Rep.) Cyprus KW Kuwait LA Laos TJ TN Dieser Begriff soll im Folgenden als Grundlage für die Ziel- Tajikistan Tunisia ein positiver Frieden immer wieder neu erarbeitet werden CZ Czechia LB Lebanon UG Uganda beschreibung operativer Maßnahmen in fragilen Zusammen- muss. hängen dienen. Copyright © 2019 The Fund for Peace 6 Die Begriffe „positiver Frieden“ und „strukturelle Gewalt“ gehen zurück auf den Friedensforscher Johan Galtung, vgl. https://www.galtung-institut.de/de/home/johan-galtung/. 7 UNDP (2012): Human Security, http://hdr.undp.org/sites/default/files/human_security_guidance_note_r-nhdrs.pdf 8 Tactical Tech in Zusammenarbeit mit verschiedenen NRO: Holistic Security Manual, https://holistic-security.tacticaltech.org/
06 Noch Ausnahme oder schon Normalfall? – Die Zusammenarbeit mit fragilen Staaten POSITIONSPAPIER MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN DER INTERNATIONALEN ZUSAMMENARBEIT MIT LOKALEN AKTEURINNEN UND AKTEUREN In fragilen Staaten ist eine gute Kenntnis der unterschied- gewaltbereiten Akteur_innen wichtige Ansprechpartner_ lichen Akteur_innen von besonderer Bedeutung, um über innen. Bei der Suche nach Konfliktlösungen und gesellschaft- die Auswahl von Partner_innen qualifiziert entscheiden und lichen Veränderungen spielen manchmal auch informelle friedliche Entwicklungsmöglichkeiten gezielt fördern zu Gremien wie Ältestenräte eine wichtige Rolle. können. Reformkräften, die an einer bedarfsorientierten humani- Friedenspotenziale gibt es in allen gesellschaftlichen Schich- tären Hilfe oder an einer nachhaltigen Entwicklung aller ten und politischen Gruppierungen. Wichtig ist es, besonders Bevölkerungsgruppen Interesse haben, stehen Akteur_innen die Beschränkungen durch herkömmliche soziale Rollen und entgegen, die mit ihrem Widerstand den Erfolg maßgeblich die ungenutzten Stärken von Frauen und Jugendlichen in den blockieren. Für eine wirkungsvolle Entwicklungszusammen- Blick zu nehmen. Frauenorganisationen und ihre Netzwerke arbeit und Friedensförderung müssen gerade solche Blockie- geben häufig einen entscheidenden Anstoß, um Gewalt zu rer in Projektaktivitäten eingebunden werden – aber ohne überwinden. Dazu bilden die Resolutionen des UN-Sicher- Konflikte zu verschärfen, ohne Korruption oder Vetternwirt- heitsrates zu Frauen, Frieden und Sicherheit einen geeigneten schaft zu befördern und ohne Projektinhalte so zu verändern, Rahmen.9 dass sie ihren eigentlichen Zweck verfehlen. Die aktive Einbindung von Jugendlichen in Friedensprozesse Besonders sensibel ist die Zusammenarbeit mit Polizei und ermöglicht es diesen, gewaltfreie Strategien zur Konflikt- Militär, wenn diese Institutionen, wie oft in langanhaltenden lösung kennenzulernen und einzuüben. Gerade in fragilen Konflikten, nicht dem Schutz und Wohl der Bevölkerung die- Zusammenhängen haben sie einerseits oft prägende Kriegs- nen. Entweder sind sie gar nicht präsent, oder sie stehen als und Repressionserfahrungen gemacht und leiden besonders Konfliktpartei gesellschaftlichen Initiativen misstrauisch bis unter fehlenden Lebensperspektiven. Sie sind aber anderer- ablehnend gegenüber – wenn sie nicht sogar selbst schwere seits auch eher als Erwachsene in der Lage, Feindbilder zu Menschenrechtsverletzungen verüben. Akteur_innen der überwinden und neue Kontakte zu knüpfen – ungeachtet internationalen Zusammenarbeit stehen nicht selten vor der vorhandener Gegensätze und verinnerlichter Einstellungen. Herausforderung, Vereinbarungen über den eigenen Zugang Schlüsselpersonen mit hoher Glaubwürdigkeit können einen zu Projektregionen und über die Sicherheit der betroffenen positiven Einfluss auf sie ausüben. Dazu gehören beispiels- Bevölkerung auszuhandeln. Unter Umständen müssen dafür weise Vertreter_innen aus den Bereichen Religion und Kul- Kontakte mit nichtstaatlichen Gewaltakteur_innen genutzt tur, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Führungspersön- werden. Dabei setzen sich alle Beteiligten hohen Risiken lichkeiten, Mitglieder der Diaspora und Aktivist_innen durch Strafmaßnahmen der nationalen Regierung oder durch aus den sozialen Medien oder aus Transparenzinitiativen. internationale Sanktionen aus. Auch aus deutschen Minis- Gemäßigte Repräsentant_innen religiöser Gruppen sind terien kommen Vorgaben für entwicklungspolitische oder besonders im Umfeld von fundamentalistisch orientierten, humanitäre Organisationen im Umgang mit nichtstaatlichen 9 UN (2000): Resolution 1325 „Frauen, Frieden, Sicherheit“, https://www.un.org/depts/german/sr/sr_00/sr1325.pdf; UN-Security Council (2015): Resolution 2050 „Jugend, Frieden Sicherheit“, https://www.un.org/press/en/2015/sc12149.doc.htm sowie Resolution 2467 „Sexuelle Gewalt in Konflikten beenden“, https://documents-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/ GEN/N19/118/30/pdf/N1911830.pdf?OpenElement
POSITIONSPAPIER Noch Ausnahme oder schon Normalfall? – Die Zusammenarbeit mit fragilen Staaten 07 VENRO FORDERT DIE BUNDESREGIERUNG UND DEN BUNDESTAG AUF, XX dieResolution 1325 des UN-Sicherheitsrates zur Rolle von Frauen in Friedensprozessen und die Nachfolge- resolutionen im Rahmen des deutschen Aktionsplanes umzusetzen und diesen mit zusätzlichen Haushalts- mitteln auszustatten. XX den deutschen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu nutzen, um sowohl internationale Maßnahmen zur strafrecht- lichen Verfolgung geschlechterbasierter Gewalt anzu- stoßen als auch den überlebenszentrierten Ansatz (survivor-centred approach) der Resolution 2467 als internationalen Standard zu etablieren. Frauen demonstrieren gegen Gewalt in Kalkutta, Indien. © arindambanerjee/shutterstock.com XX dieUN-Resolution 1612 zum Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten und die UN-Resolution 2250 „Jugend, Frieden, Sicherheit“ mit Leben zu füllen sowie Gewaltakteur_innen, die sich teilweise widersprechen. Kon- aktiv einzutreten für die Umsetzung der Resolution krete Beispiele dafür sind die Situationen in Nordwestsyrien 2286 des UN-Sicherheitsrates zum Schutz von medizi- oder im Gazastreifen. nischen Einrichtungen und der „Guidelines for Protec- ting Schools and Universities from Military Use during Programme zur militärischen Ausbildung und Aus- Armed Conflict“. rüstung lokaler Sicherheitskräfte sind in ihrer Wirkung sehr XX den Dialog mit nicht traditionellen, informellen umstritten. Aus Sicht von VENRO erfordern solche Pro- gramme funktionierende staatliche Strukturen beziehungs- Akteure_innen – wie auch mit religiösen oder traditio- weise mindestens eine glaubwürdige Reformbereitschaft der nellen Repräsentant_innen – zu verstärken. staatlichen Akteur_innen sowie eine wirksame öffentliche XX die Regeln unterschiedlicher Ministerien für den Kontrolle. Maßnahmen der Ausbildung und Ausrüstung alleine können nicht zum Abbau von Fragilität beitragen. Umgang mit nichtstaatlichen bewaffneten Akteur_ Im ungünstigsten Fall erhöhen sie die Unsicherheit für die innen aufeinander abzustimmen und deren Notwendig- Bevölkerung noch weiter, weil sich Ausrüstung und Waffen keit transparent zu vermitteln. Regeln müssen immer unkontrolliert verbreiten und undemokratische Regime auf- eine Einzelfallprüfung vorsehen und so formuliert wer- gewertet werden. den, dass sie nicht zur Einstellung der humanitären Unterstützung für ganze Bevölkerungsgruppen führen. Auch die Grenzpolizei gehört zu den staatlichen Sicherheits- XX eineZusammenarbeit mit autokratischen und repressi- kräften – Grenzkontrollen sind Ausdruck des staatlichen Gewaltmonopols. Ohne ein Mindestmaß an rechtsstaat- ven Regimen beim Grenzmanagement auszuschließen. lichen Voraussetzungen können Kontrollen aber zu mas- Es dürfen keine bilateralen und europaweiten siven Menschenrechtsverletzungen führen, statt zu einem Abkommen, insbesondere mit Herkunfts- und Transit- Abbau von Fragilität beizutragen. Sie können sogar, wie im staaten, geschlossen werden, die einseitig auf die Ver- Fall Libyens, Menschenhandel und Korruption begünstigen. hinderung von Migration ausgerichtet sind. Für eine nomadisch lebende Bevölkerung, die mit ihren Tie- XX dieAusbildung und die Ausstattung von Sicherheits- ren durchs Land zieht, für Arbeitsmigrant_innen oder regio- nalen Handel haben neu eingeführte Grenzkontrollen nega- kräften nur dann zu unterstützen, wenn in dem jewei- tive Folgen. So hemmt die Einschränkung der Freizügigkeit ligen Land ein belastbarer politischer Reformwille, beispielsweise die regionale wirtschaftliche Entwicklung im rechtsstaatliche Mindestvoraussetzungen und öffentli- westafrikanischen Raum. che Kontrolle vorhanden sind.
08 Noch Ausnahme oder schon Normalfall? – Die Zusammenarbeit mit fragilen Staaten POSITIONSPAPIER DIE FÖRDERUNG DER LOKALEN ZIVILGESELLSCHAFT Internationale zivilgesellschaftliche Organisationen ver- anstatt auf landesweite Kampagnen mit hohem Provokations- fügen über vielfältige und belastbare Beziehungen zu Orga- potenzial zu setzen. Gleichzeitig sind Vorkehrungen wich- nisationen der Zivilgesellschaft in fragilen Kontexten. Das tig, die eine Unterstützung verhafteter Aktivist_innen Machtungleichgewicht zwischen zivilgesellschaftlichen Part- ermöglichen – beispielsweise eine juristische Vertretung ner_innen ist geringer ausgeprägt als im Fall der direkten oder finanzielle Überbrückungshilfen für die Familien der staatlichen Förderung lokaler Organisationen. Eine länger- Betroffenen. Einige Organisationen legen dafür in fragilen fristige Beziehung ermöglicht institutionelle Unterstützung und von Konflikten betroffenen Ländern entsprechende mit dem Ziel der finanziellen Unabhängigkeit des Süd- Fonds an. partners und gegenseitiges Lernen. Interessengegensätze können in fragilen Staaten selten durch gesetzliche Vorgaben reguliert werden, und für gesellschaft- liche Aushandlungsprozesse gibt es weniger akzeptierte VENRO FORDERT DIE BUNDESREGIERUNG Mechanismen als in stabilen Staaten. Der willkürliche Ein- UND DEN BUNDESTAG AUF, satz von Polizei- oder Waffengewalt zur Durchsetzung von Partikularinteressen erschwert in fragilen Kontexten häufiger XX dieEntwicklung eigenständiger zivilgesellschaftlicher als sonst die Umsetzung von Projekten, die den marginali- Organisationen in fragilen Staaten politisch zu unter- sierten und besonders verwundbaren Bevölkerungsgruppen stützen. Akteur_innen der Zivilgesellschaft sollten zugutekommen und die zivilgesellschaftliche Beteiligung nicht wie Subunternehmer_innen behandelt werden, stärken sollen. die internationale Aufträge kostengünstig durchführen können. In Projekte mit lokalen zivilgesellschaftlichen Organisatio- nen müssen die staatlichen Amtsträger_innen eingebunden XX einen angemessenen Anteil von Capacity Develop- werden – es sei denn, sie haben direkte Gewalt zu ver- ment-Maßnahmen für lokale zivilgesellschaftliche antworten und die Zusammenarbeit könnte lokale Partner- Akteur_innen als förderfähig anzuerkennen. Hierunter organisationen gefährden. Die Einbeziehung staatlicher Ver- fallen auch das Sicherheitsmanagement und die Selbst- treter_innen kann dazu beitragen, ihr Pflichtbewusstsein zu fürsorge von lokalen Partnerorganisationen im Sinne stärken. Sensible Themen wie die Umsetzung von Frauen- einer „holistischen Sicherheit“. rechten können manchmal nur indirekt angesprochen wer- den. Zivilgesellschaftliche Organisationen bieten zunehmend XX beider Zusammenarbeit mit lokalen und nationalen auch für öffentliche Amtsträger_innen Kapazitätsaufbau Behörden den Aufbau öffentlicher Dienstleistungen, (Capacity Development) an. Wenn staatliche Vertreter_ die Menschenrechtsorientierung, die Gewaltprävention innen positive Erfahrungen mit konkreten Maßnahmen und die Transparenz in den Vordergrund zu stellen. machen, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass es bei ihnen zu Haltungsänderungen kommt, die auch außerhalb XX dieEU-Richtlinie zum Schutz von Menschenrechtsver- von geförderten Projekten Wirkung zeigen. teidiger_innen in deutschen Auslandsvertretungen umzusetzen und dafür diplomatische Beziehungen Bei der Zusammenarbeit mit gefährdeten Menschenrechts- gezielt zu nutzen. verteidiger_innen ist es für zivilgesellschaftliche Organisatio- nen notwendig, Gefährdungspotenziale auf unterschiedlichen XX existierendeFonds für die juristische Vertretung oder politischen Ebenen zu erkennen und die Advocacy-Arbeit für die vorübergehende Ausreise bedrohter Menschen- entsprechend auszurichten. Das kann zum Beispiel bedeuten, rechtsverteidiger_innen finanziell zu unterstützen. zunächst mit Aktivitäten auf Gemeindeebene zu beginnen
POSITIONSPAPIER Noch Ausnahme oder schon Normalfall? – Die Zusammenarbeit mit fragilen Staaten 09 FRAGILITÄT NICHT WEITER VERSCHÄRFEN – WIE „KONFLIKTSENSIBEL“ IST DIE DEUTSCHE POLITIK? Länderanalysen zu Konfliktakteur_innen und Friedens- potenzialen sind die Voraussetzung für konfliktsensibles Handeln. Bisher werden diese nur in einzelnen der inter- national orientierten Ressorts der Bundesregierung erstellt. Um Fragilität verringern zu können, müssten solche Ana- lysen künftig zwischen den Ressorts geteilt und die ressort- spezifischen Ansätze gemeinsam in Bezug auf ihre Wirkung geprüft werden, beispielsweise im Rahmen länderbezogener Task Forces. Die Leitlinien der Bundesregierung „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ sehen vor, die Analyse und Wirkungsbeobachtung der Ressorts zu verbessern. Bisher fehlen aber konkrete Instrumente zur Umsetzung. VENRO FORDERT DIE BUNDESREGIERUNG Proteste gegen die Korruption in Guatemala am Unabhängigkeitstag © Lucy Brown – loca4motion/shutterstock.com UND DEN BUNDESTAG AUF, XX einenUmsetzungsplan für die Leitlinien „Krisen ver- hindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ vor- zulegen. Darin sollten konkrete Zwischenziele gesetzt und ein Prüfmechanismus festgeschrieben werden, um KORRUPTION BEKÄMPFEN Maßnahmen auf ihre Konfliktsensibilität zu überprüfen. XX zu veranlassen, dass die Risikoanalysen und Erkenntnisse Auf staatlicher Ebene ist Korruption eines der größten der Frühwarnung verschiedener Bundesministerien Hindernisse für die Entwicklung verlässlicher Regierungen untereinander und mit international tätigen Organisa- und den Aufbau demokratischer und zivilgesellschaftlicher tionen geteilt werden. Strukturen. Korruption ist in fragilen Kontexten besonders ausgeprägt – etwa in Somalia, im Südsudan, in Syrien und in XX das Instrument der länderspezifischen Analyse von Afghanistan.10 Der Transfer von öffentlichen Mitteln und von Konflikten und der Auslotung von Friedenspotenzialen Kapital für Privatinvestitionen birgt große Risiken. Es fehlen für die verschiedenen Ressorts als Standardinstrument Mechanismen der Rechenschaftslegung und der öffentlichen einzuführen. Die Analyseergebnisse sollten fortan die Kontrolle. Korruption kommt auch in zivilgesellschaftlichen gemeinsame Grundlage für die weitere strategische Pla- Strukturen vor. Sie durchdringt die ganze Gesellschaft und nung sein. schwächt die Glaubwürdigkeit öffentlicher und gemeinwohl- orientierter Organisationen – und damit deren Fähigkeit zur 10 Transparency International (2018): Corruption Perception Index 2018, https://www.transparency.org/whatwedo/publication/corruption_perceptions_index_2018
10 Noch Ausnahme oder schon Normalfall? – Die Zusammenarbeit mit fragilen Staaten POSITIONSPAPIER Vertretung kollektiver Interessen. Auch die vielfach beklagte Rückkehr von Vertriebenen nach dem Krieg verhindern und Perspektivlosigkeit junger Menschen in den betroffenen Län- den Wiederaufbau und die Entwicklung hemmen. dern hat mit der tief verwurzelten Korruption zu tun. Deutschland gehört seit Jahren zu den drei bis fünf weltweit größten Exporteuren von Rüstungsgütern. Mehr als die Hälfte solcher deutschen Lieferungen geht an Drittstaaten – also jenseits von EU und NATO, einschließlich der NATO-gleich- VENRO FORDERT DIE BUNDESREGIERUNG gestellten Staaten.11 Doch auch andere NATO- oder EU-Staa- UND DEN BUNDESTAG AUF, ten exportieren Waffen häufig in Drittstaaten oder verkaufen sie an bewaffnete Gruppen in Krisengebieten weiter, die XX im Rahmen bilateraler Zusammenarbeit die von Deutschland selbst nicht beliefert würden. Zwar gelten Anti-Korruptionsgesetzgebung und den Aufbau ent- grundsätzlich auf EU-Ebene einheitliche Kontrollstandards sprechender Einheiten bei den Finanz- und Polizei- für Rüstungsexporte. Jedoch wenden einzelne Mitglieds- behörden zu fördern. staaten die Regeln nicht strikt an. XX eine freie Presse und vor allem jene zivilgesellschaft- Deutschland hat das rechtsverbindliche internationale lichen Organisationen zu fördern und zu schützen, die Waffenhandelsabkommen (Arms Trade Treaty) ratifiziert, das sich der Korruption in ihren Ländern entgegenstellen. Ende 2014 in Kraft getreten ist. Erstmals werden darin welt- weit gültige Kriterien für die Genehmigung von Rüstungs- XX Unternehmen, die nachweislich Korruption praktizie- transfers festgeschrieben, um insbesondere Kriegsverbrechen ren, von der öffentlichen Beschaffung und von der För- und andere schwere Völkerrechtsbrüche sowie Menschen- derung durch Exportbürgschaften auszuschließen. rechtsverletzungen als Folge des Missbrauchs konventioneller Waffen zu verhindern. VENRO FORDERT DIE BUNDESREGIERUNG RÜSTUNGSEXPORTPOLITIK UND DEN BUNDESTAG AUF, RESTRIKTIV GESTALTEN XX ein Rüstungsexportkontrollgesetz zu verabschieden, das die bestehenden politischen Grundsätze der Ein anderes Entwicklungshemmnis sind Rüstungsexporte, Bundesregierung integriert und rechtlich verbindliche, die vor allem in fragilen Staaten ein massives Risiko für die überprüfbare Genehmigungskriterien auf Basis der menschliche Sicherheit bergen. Dies trifft in hohem Maß Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts für das Geschäft mit Kleinwaffen zu. Diese sind sehr ein- enthält. fach zu tragen, zu bedienen und zu transportieren und wer- den daher oft auf illegalen Waffenmärkten gehandelt. Häufig XX den Export von Kleinwaffen und leichten Waffen in werden Kindersoldat_innen dazu gezwungen, diese Waffen Drittstaaten generell zu verbieten. zu benutzen. Eine leichte Verfügbarkeit von Schusswaffen begünstigt die Herausbildung einer gewalttätigen Alltags- XX sich in Zusammenarbeit mit gleichgesinnten EU-Staa- kultur. Dies erhöht auch das Risiko von genderbasierter ten für eine gemeinsame europäische Rüstungsexport- Gewalt gegen Frauen vor allem im häuslichen Bereich – bis hin politik einzusetzen, die sich primär an den Kriterien zur Ermordung. Explosivwaffen treffen bei Einsätzen über- der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts wiegend die Zivilbevölkerung und hinterlassen meist zahl- orientiert. reiche hochgefährliche Überreste. Diese können eine sichere 11 BMWI (2018): Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahr 2017, https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/ Aussenwirtschaft/ruestungsexportbericht-2017.html
POSITIONSPAPIER Noch Ausnahme oder schon Normalfall? – Die Zusammenarbeit mit fragilen Staaten 11 RAHMENBEDINGUNGEN internationaler Ebene Vereinbarungen voranzutreiben, die es ermöglichen, Menschenrechtsverstöße und Umwelt- FÜR UNTERNEHMEN IN zerstörung durch Unternehmen zu ahnden. Die Bundes- FRAGILEN STAATEN SETZEN regierung sollte sich außerdem in bilateralen Gesprächen mit Vertreter_innen fragiler und von Konflikten betroffener Län- der dafür einsetzen, dass Gesetze für internationale Investor_ Der Einfluss global agierender Unternehmen und Investor_ innen entwickelt werden und für deren Umsetzung gesorgt innen auf Entwicklungs- und Konfliktkontexte ist in den wird. letzten Jahren gestiegen. In fragilen Staaten sind private Investitionen für Unternehmen zwar mit großen Risiken ver- bunden. Die zu erwartenden Profite sind aber oftmals ver- lockend hoch.12 Viele politische Entscheidungsträger_innen hoffen, dass der private Sektor einen Beitrag zur Zurück- VENRO FORDERT DIE BUNDESREGIERUNG drängung von Gewaltverhältnissen leisten kann – indem UND DEN BUNDESTAG AUF, er beispielsweise Beschäftigung gerade für junge Menschen schafft und ihnen damit neue Lebensperspektiven eröffnet. XX Kleinst-,Klein- und mittelständische Unternehmen in In der Kooperation deutscher staatlicher Durchführungs- Partnerländern zu fördern, die langfristige und konflikt- organisationen mit Wirtschaftsakteur_innen werden aller- sensible Beschäftigungskonzepte umsetzen. dings selten konkrete Ziele zur Einkommenssituation bestimmter Bevölkerungsgruppen vereinbart. XX den Grundsatz zu verankern, dass Unternehmen dort Steuern zahlen, wo sie Gewinne erzielen. Die Bundesregierung verfolgt das Ziel, über private Akteur_ innen zusätzliche Finanzmittel zu mobilisieren und so die XX in der bilateralen staatlichen Entwicklungszusammen- Ressourcen der bilateralen und multilateralen Entwicklungs- arbeit mit Partnerregierungen in fragilen Kontexten zusammenarbeit zu ergänzen. Dazu werden sogenannte mehr Programme zur Unterstützung der Steuer- und Multi-Akteurs-Partnerschaften (MAP) angestrebt. MAP Finanzverwaltung zu entwickeln. sind freiwillige Partnerschaften zwischen Regierungen, Zivilgesellschaft, Privatsektor und wissenschaftlichen Insti- XX internationaltätige Unternehmen für Menschenrechts- tuten sowie anderen Interessengruppen.13 Für diese Partner- verstöße und Umweltschäden rechenschaftspflichtig zu schaften sind die bisherigen Überprüfungsmechanismen in machen. Dafür bedarf es einer expliziten gesetzlichen fragilen Ländern nicht ausreichend. Regelung, wie sie der „Nationale Aktionsplan Wirt- schaft und Menschenrechte“ bisher nur als Option vor- Insbesondere bei großen Infrastrukturvorhaben oder der sieht. Erschließung von Rohstoffvorkommen, fehlt es gerade in Konfliktkontexten an einer echten, freien und informier- XX zügig die Vollmitgliedschaft bei der internationalen ten Beteiligung der Betroffenen. Lokale Initiativen der Extractive Industries Transparency Initiative anzustreben Bevölkerung werden von international tätigen Unternehmen und bei den jährlichen Berichten zivilgesellschaftliche und der lokalen Regierung häufig massiv unter Druck gesetzt. Organisationen einzubeziehen. Bestehende Instrumente, wie die Extractive Industries Trans- XX Überprüfungsmechanismen für Multi-Akteurs-Partner- parency Initiative14, sind sinnvoll, um die Transparenz und schaften in fragilen Staaten einzurichten. Akteur_innen, Kontrolle über Einkünfte und Steuerleistungen von Unter- die international vereinbarte Umwelt-, Arbeits- und nehmen zu erhöhen, werden aber bisher von der Bundes- Menschenrechtsstandards oder andere UN-Prinzipien regierung nicht ausreichend genutzt. Sie sind auch in der verletzen, sollten von jeder öffentlichen Auftragsver- Öffentlichkeit wenig bekannt. Deutschland als wichti- gabe ausgeschlossen werden. ges Geberland verfügt über politischen Einfluss, um auf 12 Globale Daten der „Landmatrix“ zeigen, dass auch fragile Staaten und Konfliktkontexte wie Südsudan, Myanmar oder Kolumbien interessante Zielländer für Investoren und In- vestorinnen sind, www.landmatrix.org. 13 Vgl. Definition des Committee on World Food Security, High-Level Panel of Experts (CFS-HLPE): Multi-Stakeholder Partnerships to Finance and Improve Food and Nutrition Security in the Context of the 2030 Agenda, June 2018, S. 15 14 Konkrete Initiativen von Unternehmen, wie die Extractive Industries Transparency Initiative, https://eiti.org/, machen die Einnahmen von Entwicklungsländern aus dem Abbau von Rohstoffen transparent.
12 Noch Ausnahme oder schon Normalfall? – Die Zusammenarbeit mit fragilen Staaten POSITIONSPAPIER Die Speicherung personensensibler Daten beim Cash Transfer birgt in Ländern ohne Datenschutzregeln ein großes Gefährdungspotenzial. @ Welthungerhilfe wirksam. Ein ungleicher Zugang zu Technologien kann dazu führen, dass Gruppen wie Flüchtlinge, Menschen mit Behinderungen oder Ältere weiter benachteiligt werden. Daher sind partizipative Programmansätze zu bevorzugen, die digitale und analoge Möglichkeiten kombinieren. Die Aufklärung der Betroffenen über die Chancen und die Risiken digitaler Innovationen muss daher im Vordergrund stehen. Insbesondere in Zusammenhängen, in denen der Datenschutz nicht gewährleistet werden kann, dürfen Perso- nen, die die Erfassung sensibler personenbezogener Daten ablehnen, nicht von Unterstützungsleistungen oder von der Teilnahme an Programmen ausgeschlossen werden. Um sicherzustellen, dass Technik sinnvoll, ethisch einwandfrei und zum Vorteil der Betroffenen entwickelt oder genutzt wird, wurden bereits Instrumente erstellt und positive Bei- spiele (Good Practices) gesammelt.15 DIGITALISIERUNG VENRO FORDERT DIE BUNDESREGIERUNG UND DATENSICHERHEIT UND DEN BUNDESTAG AUF, IN FRAGILEN KONTEXTEN XX vor der Einführung digitaler Innovationen den Nutzen und das Risiko für die betroffene Bevölkerung in fragi- len Kontexten sorgfältig abzuwägen. Der Gesamtnutzen Die Nutzung digitaler Innovationen erleichtert die Durch- muss im Vordergrund stehen, nicht der rein rechnerisch führung humanitärer oder entwicklungspolitischer Pro- mögliche oder vermeintliche Effizienzgewinn durch jekte in fragilen Kontexten und kann deren Wirksamkeit eine neue Technik. erhöhen. So ist humanitärer Bedarf durch Einsatz von Mobil- geräten, GPS-Systemen oder Drohnen genauer zu erfassen XX den Schutz von personenbezogenen Daten zur Auf- und schwer erreichbare Gebiete können schneller versorgt lage für eine öffentliche Förderung zu machen und werden. Der Nachweis von Mittelverwendung unter Einsatz den Erfahrungsaustausch zwischen international täti- der Blockchain-Technologie ist geeignet, Transparenz herzu- gen Akteur_innen über einen verantwortungsvollen stellen und Korruption vorzubeugen. Große internationale Umgang mit Daten zu fördern. Betroffene müssen über Unternehmen bieten heute schon technische Lösungen für die genutzte Technik und die Freiwilligkeit der Teil- Cash-Transfer-Programme an, bei denen biometrische Daten nahme informiert werden. der Betroffenen gespeichert und bei der Verteilung von Gel- dern genutzt werden. Hierbei werden große Datenmengen XX sich gegen digitale Zensur, staatliche und kommerzielle erfasst, doch der Schutz sensibler personenbezogener Daten Überwachung, Sperrung von Social-Media-Plattformen ist oft nicht gewährleistet. In repressiven Kontexten oder und Abschaltung des Internets einzusetzen. Kriegssituationen kann die unbedachte Verwendung digitaler Mittel und Kommunikationsformen sogar neue Gefahren für XX sicherzustellen, dass technische Lösungen unter breiter die physische Sicherheit bestimmter Bevölkerungsgruppen Beteiligung entwickelt werden, um den Nutzen für die bergen. Betroffenen zu erhöhen, Eigenverantwortung (Owner- ship) zu gewährleisten und einen Technologietransfer Rechtliche Grundlagen, wie Datenschutzregelungen, sind zu ermöglichen. in fragilen Staaten zumeist nicht vorhanden oder wenig 15 Vgl. Code of Conduct für die Nutzung von Drohnen: https://uavcode.org/code-of-conduct/ oder Prinzipien für digitale Entwicklung: https://digitalprinciples.org/
POSITIONSPAPIER Noch Ausnahme oder schon Normalfall? – Die Zusammenarbeit mit fragilen Staaten 13 SICHERHEITSMANAGEMENT UND FERNSTEUERUNG VON PROJEKTEN In fragilen Kontexten ist die Verwendung öffentlicher Mit- nicht von allen Akteur_innen akzeptiert. Auch die Unter- tel durch Organisationen der Zivilgesellschaft als Beitrag stützung der lokalen Bevölkerung und ein enges Verhält- zu humanitärer Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und nis zu ihr geben nicht immer Schutz. Denn die Bevölkerung Friedensförderung politisch gewollt. Bisher tragen alleine die selbst ist Ziel von Gewaltakteur_innen. Für zivilgesellschaft- durchführenden Organisationen das Risiko gegenüber deut- liche Organisationen werden zusätzlich Schutzmaßnahmen schen oder internationalen öffentlichen Geldgeber_innen. wie hohe Zäune und Wachpersonal nötig (Schutzansatz). Dies gilt ebenso für die erhöhten Sicherheitsanforderungen In Ausnahmesituationen akzeptieren zivilgesellschaftliche und die Fürsorgepflicht für das eigene Personal. Es schließt Organisationen bewaffnete Eskorten, um sich vor Dieb- zudem das Risiko der lokalen Partnerorganisationen ein, das stahl von Hilfsgütern bis hin zu Kidnapping des Personals in bestimmten Kontexten durch die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen noch steigt. Angesichts die- ser Ausgangslage kann die Ausübung eines zu großen Drucks mit dem Ziel einer exakten, wirkungsorientierten Messung oder die Finanzierung nur bei Erreichung eines bestimmten Projektziels (results-based financing) sogar kontraproduktiv sein und zum weiteren Rückzug engagierter Organisationen und Initiativen aus fragilen Kontexten führen. Der Aufbau belastbarer Partnerschaften ist aus Sicht von VENRO eine zentrale und langfristige Aufgabe – mit dem Ziel, fragile Ver- hältnisse zu stabilisieren und ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Drei Faktoren gefährden in fragilen Kontexten die Sicher- heit von Mitarbeitenden international tätiger Organisationen sowie lokaler Partnerorganisationen: eine hohe Kriminali- tätsrate, offene Gewalt in schnell wechselnden Formen und politisch oder religiös motivierter Extremismus. Aus Sicht von VENRO ist für die Projektarbeit ein ganzheitliches Sicherheitsverständnis (siehe Seite 5) Voraussetzung, um darauf angemessen zu reagieren. Das Sicherheitsmanagement kann auf verschiedene Arten erfolgen. Internationale oder lokale zivilgesellschaftliche Organisationen ziehen es vor, mittels vertrauensbildender Maßnahmen die lokale Bevölkerung für sich zu gewinnen und den Schutz der herrschenden Autoritäten zu erlangen (Akzeptanzansatz). Häufig werden die Organisationen jedoch Ein Mitarbeiter der Organisation Nonviolent Peaceforce im Gespräch mit Soldaten der philippinischen Armee in Malabang, Philippinien @ Nonviolent Peaceforce
14 Noch Ausnahme oder schon Normalfall? – Die Zusammenarbeit mit fragilen Staaten POSITIONSPAPIER Ein zerstörter Panzer, hergestellt in den USA, steht in Rumbek im heutigen Südsudan. @ Jörg Böthling/ Brot für die Welt zu schützen. Dies reicht von einem privaten Wachdienst bis der Personalfürsorge ist die Bewahrung der mentalen und hin zu staatlich verordneten Polizei- oder Militäreskorten psychosozialen Gesundheit von Mitarbeitenden: Besondere (Abschreckungsansatz). Damit verschwimmen allerdings in Belastungen des Personals vor Ort nehmen zu. Dies drückt der Wahrnehmung der lokalen Bevölkerung die Unterschiede sich in posttraumatischen Belastungsstörungen und Burn- zwischen lokalen oder internationalen zivilgesellschaftlichen outs durch akkumulierten Stress aus. Bei der Auswahl von Organisationen, staatlichen Autoritäten und Militär. Dann Personal für die Arbeit in fragilen Staaten werden daher von stehen die Neutralität und Unabhängigkeit der Organisatio- den Verantwortlichen zusätzliche Qualifikationen verlangt. nen auf dem Spiel, die beim beschriebenen Akzeptanzansatz wichtige Schutzfaktoren sind. Die Zahl der Regionen nimmt zu, in denen zivilgesellschaft- liche Organisationen auf Grund einer sehr schlechten Sicher- In vielen Kontexten mit politisch motivierter Gewalt ist darum heitssituation nur eingeschränkt oder gar nicht arbeiten kön- der Versuch, Gefahren vor allem mit harten Sicherheitsmaß- nen. Für die notleidende Bevölkerung bedeutet dies häufig, nahmen zu begegnen, nicht ausreichend. Es kommt mehr keinen Zugang zu einer Notversorgung zu erhalten. Damit darauf an, die humanitäre Diplomatie und Advocacy-Arbeit einher geht die Zunahme des sogenannten Remote Pro- von zivilgesellschaftlichen Akteur_innen zu unterstützen, die gramming – damit ist die Planung, Begleitung und Evaluie- Bedrohungslage kontinuierlich zu analysieren und ein solides rung von Projekten aus der Ferne und ohne eigenes Personal Sicherheitsmanagement zu entwickeln. Diese Herangehens- vor Ort gemeint – sowie des Third Party Monitoring: Projekt- weise ist aber wiederum zeitintensiv und erfordert ein gut begleitung durch externe oder lokale Akteur_innen. vorbereitetes und vernetztes Personal sowie die Einplanung höherer Kosten. Die humanitäre Hilfe in Syrien ist ein Beispiel dafür, dass Remote Programming unvermeidlich sein kann: Zum Steigende Projektkosten entstehen auch durch die Personal- einen verbietet die syrische Regierung humanitäre Hilfe in fürsorge: Die vermehrten politisch motivierten Übergriffe auf Oppositionsgebieten. Zivilgesellschaftliche Organisationen, zivilgesellschaftliche Organisationen unterstreichen deren die dort arbeiten, bekommen keine Genehmigung, in staat- Verantwortung für ihre Mitarbeitenden. Die Fürsorge für lich kontrollierten Gebieten tätig zu werden. Zum ande- das Personal ist Teil ihres Selbstverständnisses. Bei Nach- ren ist das Sicherheitsrisiko insbesondere für Ausländer_ lässigkeiten in diesem Bereich drohen aber auch Gerichts- innen sehr hoch, da zivilgesellschaftliche Organisationen verfahren und teilweise hohe Schadensersatzforderungen, ein direktes Ziel von Angriffen und Entführungen sind. Die die existenzgefährdend sein können. Ein besonderer Aspekt einzige Lösung für viele internationale Organisationen ist
POSITIONSPAPIER Noch Ausnahme oder schon Normalfall? – Die Zusammenarbeit mit fragilen Staaten 15 die Unterstützung lokaler Helfer_innen durch grenzüber- VENRO FORDERT DIE BUNDESREGIERUNG schreitende Aktivitäten und Remote Programming. UND DEN BUNDESTAG AUF, Remote Programming birgt eine Reihe von Risiken: XX anzuerkennen, dass Risiken gemeinsam von dass dringend notwendige Hilfe zu spät ankommt, dass Zuwendungsgeber_innen und projektdurchführenden unerfahrene lokale Mitarbeitende im Projektgebiet über- Organisationen getragen werden müssen und dass Ziele fordert sind, dass die Korruptionsgefahr mangels adäquater in fragilen Kontexten nicht immer vertrags- und plan- Kontrollmechanismen zunimmt und dass die Rechenschafts- gemäß erreicht werden können. legung gegenüber den Begünstigten und Geber_innen nicht ausreichend gewährleistet werden kann. Öffentliche Geber- XX flexiblere Finanzierungsinstrumente zu schaffen, die organisationen wie das Auswärtige Amt oder das BMZ langfristig angelegt sind und es auch erlauben, lokale stellen oft die für Projekt- oder Programmfinanzierung zivilgesellschaftliche Partner_innen strukturell zu för- erforderlichen Mittel zur Verfügung, sind aber an die dern. engen Vorgaben der Bundeshaushaltsordnung und deren Bestimmungen gebunden. Ausnahmen muss das Bundes- XX bei projektbezogener Förderung flexibles Projekt- finanzministerium ausdrücklich genehmigen. Die Ver- management zu ermöglichen. Die Förderrichtlinien wendung von Mitteln in fragilen Kontexten wie in Somalia müssen einen erhöhten Anteil indirekter Projektkosten wird dabei durch den Bundesrechnungshof im Prinzip nach für zusätzlichen Personal- und Zeitaufwand berück- denselben Bestimmungen geprüft wie für stabile EU-Nach- sichtigen – zum Beispiel für Monitoring- und Sicher- barländer. Daher greifen internationale zivilgesellschaft- heitsmaßnahmen oder für psychosoziale Angebote an liche Organisationen zunehmend auf kommerzielle Dienst- Mitarbeitende lokaler Partner_innen. leister_innen (Consultants) zurück, die die Aufgabe des Monitorings übernehmen und die Sicherheitsrisiken nicht XX gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Organisationen scheuen. Dieses sogenannte Third Party Monitoring, bei Remote-Monitoring-Instrumente zu entwickeln und die dem Risiken letztlich verlagert werden, ist in bestimmten Möglichkeiten von Digitalisierung und neuen Techno- Situationen notwendig. Es löst aber nicht das Problem, dass logien zu nutzen. Die Kosten der Entwicklung können in fragilen Kontexten die Zugänge und Arbeitsumfelder für nicht alleine von den Organisationen getragen werden. zivilgesellschaftliche Organisationen immer unsicherer wer- den. Außerdem fördert es einen kommerziellen Sektor für XX sich für den Handlungsraum zivilgesellschaftlicher Beratungsleistungen, der nicht gemeinwohlorientiert ist. Organisationen in fragilen Staaten einzusetzen, unan- gemessenen Kontrollen entgegenzutreten und sich Sanktionen gegen die Zielländer oder auch kriegerische Aus- im Einzelfall gegen unverhältnismäßige Auflagen zu einandersetzungen können dazu führen, dass keine Projekt- wenden (Einreisebestimmungen, Arbeitserlaubnisse, gelder mehr in betroffene Länder geschickt werden können, Registrierungspflicht, Einführungsbestimmungen). weil Geschäftsbanken sich weigern, Geld dorthin zu über- weisen. Dann müssen zivilgesellschaftliche Organisationen XX dafür zu sorgen, dass internationale Richtlinien andere Finanzdienstleister_innen in Anspruch nehmen, zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismus- die teils hohe Gebühren verlangen – oder sie müssen auf finanzierung die legitime Arbeit von zivilgesellschaft- informelle Serviceprovider ausweichen, wie das Hawala-Sys- lichen Organisationen in fragilen Kontexten nicht ein- tem16 im islamisch geprägten Raum. Eine Alternative ist der schränken. Die Bundesregierung sollte sich dafür Transport hoher Summen von Bargeld in das Projektgebiet. einsetzen, dass Bankgeschäfte für zivilgesellschaftliche Ein solches Vorgehen stellt aber gerade in fragilen Staaten ein Organisationen auch in fragilen Kontexten ohne unan- enormes Sicherheitsrisiko für Mitarbeitende zivilgesellschaft- gemessene bürokratische Hürden oder hohe Kosten mög- licher Organisationen dar. lich sind. Bestehende Ausnahmeregeln bei Sanktionsre- gimen der EU oder der UN müssen ausgeweitet werden. 16 Ein informelles, traditionelles Zahlungssystem in islamischen Ländern, das auf persönlichen Beziehungen und Vertrauen beruht.
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