COMPLIANCE IST CHEFSACHE - Dr. Manfred Rack Rechtsanwalt

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COMPLIANCE
IST CHEFSACHE

Dr. Manfred Rack
Rechtsanwalt
Inhaltsverzeichnis

1. Verschärfte Haftung des Unternehmens nach dem neuen Verbandssanktionengesetz                                             3
2. Fortgeltung der persönlichen Strafbarkeit von Vorständen und Geschäftsführern trotz Verbandssanktionen                   3
3. Sanktionsvermeidung durch Compliance als „Vorkehrung“                                                                    4
4. Keine Konkretisierung von „Vorkehrungen“ im Gesetz                                                                       5
5. Die Sechs-Aufgaben-Struktur als gemeinsames Grundmuster in Compliance-Management-Systemen                                5
6. Die Indizwirkung der DIN ISO 19600                                                                                       6
7. Organisationsrecht als verbindliches Richterrecht                                                                        6
8. Sechs Organisationspflichten nach ständiger Rechtsprechung
   zum Organisationsverschulden nach höchstrichterlicher Rechtsprechung                                                     7
9. Compliance als Chefsache nach der geltenden Rechtslage                                                                   7
10. Einsatz und Auswahl von Rechtsberatern für Rechtsdienstleistung                                                         8
11. Legal-Tech erleichtert Compliance                                                                                       8
12. Die Pflicht des Vorstands zur eigenen Risikoanalyse                                                                     9
13. Die zehn rechtlichen Vorteile für Vorstände und Geschäftsführer durch den Einsatz eines Compliance-Management-Systems   9
    (13.1) Sanktionsminderungen nach der BGH Rechtsprechung im Panzerhaubitzen-Fall                                         9
    (13.2) Keine Haftung für Organisationsverschulden                                                                       9
    (13.3) Keine Aufsichtspflichtverletzung nach § 130 OWiG und kein Bußgeldrisiko                                          9
    (13.4) Entlastungsbeweis nach § 831 BGB durch die Oberaufsichtsmaske                                                    9
    (13.5) Entlastung durch den Tatbestandsirrtum nach § 16 StGB                                                            10
    (13.6) Entlastung durch den Verbotsirrtum nach § 17 StGB                                                                10
    (13.7) Senkung der Prämien zur D&O-Versicherung                                                                         10
    (13.8) Rechtsklarheit durch die Unterscheidung zwischen „rechtlich gebundenen“
    und „freien unternehmerischen“ Entscheidungen ohne Haftungsrisiko                                                       10
    (13.9) Die Erkennbarkeit offener Rechtsfragen                                                                           11
    (13.10) Drastisch gesenkter Complianceaufwand                                                                           11
14. Rechtsrat durch eigene digitale Datenbankrecherche                                                                      12
15. Unerklärlicher Widerstand gegen Compliancesysteme in der Praxis trotz aller rechtlicher Vorteile                        12
16. Die psychologische Erklärung des Widerstands gegen Compliance durch die Reaktanztheorie                                 12
17. Die Überwindung von Widerständen gegen Compliancemaßnahmen
    als Leitungsaufgabe und als Chefsache                                                                                   13
18. Reaktanz gegen Compliance auf Vorstandsebene                                                                            13
19. Folgeerwägungen zur Rechtfertigung von Compliancemaßnahmen als juristische Argumentationsform                           14
20. Das Präventionsparadox als Organisationsrisiko nach der bisherigen Rechtslage                                           14
    (20.1) Argumentation mit Vorständen zur gegenseitigen Überzeugung                                                       14
    (20.2) Argumentation gegenüber Mitarbeitern                                                                             15
21. Die Auflösung des Präventionsparadox durch das neue Verbandssanktionsgesetz                                             15
22. Compliance als Anlegerschutz oder die Börse als letzte Instanz                                                          16
23. Fazit:                                                                                                                  17
ENDNOTEN                                                                                                                    18

2
Compliance ist Chefsache

 Der aktuelle Anlass zum Thema “Compliance als             nur noch ruinös. Eine Verbandstat garantiert den si-
Chefsache“ ist der Entwurf des Verbandssanktionen-         cheren Verlust im Unternehmen. Auch das Prinzip,
gesetz, der in der Fassung vom 20.04.2020 vorliegt. Am     „Geschäft geht vor“ gilt nicht mehr. Alle bisherigen
16.06.2020 hat die Bundesregierung durch Karbinetts-       typischen Einwände gegen Compliance werden ent-
beschluss das Gesetzgebungsverfahren eingeleitet. Ziel     kräftet. Es kommt nicht mehr an auf die Akzeptanz
und Zweck des Gesetzes ist die Bekämpfung der Wirt-        der Mitarbeiter, nicht mehr auf das Verschulden
schaftskriminalität und die Förderung von Complian-        ihrer Vorstände und Geschäftsführer oder auf deren
ce-Management-Systemen, weil nach der bisherigen           Unkenntnis oder deren Unzuständigkeit oder auf die
Rechtslage nach Ansicht des Gesetzgebers rechtssi-         Frage, wer Täter oder nur Gehilfe ist. Alle diese bis-
chere Anreize für Investitionen in Compliance fehlen.1     her gegen Compliance genutzten Argumente spielen
                                                           keine Rolle mehr.

1. Verschärfte Haftung des Unterneh-
mens nach dem neuen Verbandssank-                        2. Fortgeltung der persönlichen Straf-
tionengesetz                                             barkeit von Vorständen und Geschäfts-
 Nach der aktuellen Rechtslage gilt unbestritten Com-
                                                         führern trotz Verbandssanktionen
pliance als Chefsache.2                                   Nicht aufgegeben ist allerdings die straf- und ord-
                                                         nungswidrigkeitenrechtliche Haftung der Organe der
 Umso mehr muss nach dem neuen Verbandssanktio-          Gesellschaft. Verbände, wie das Gesetz die Unterneh-
nengesetz Compliance als Angelegenheit behandelt         men bezeichnet, und ihre Organe haften nebenein-
werden, für die nur die Organe eines Unternehmens,       ander ohne etwaige wechselseitig Anrechnungen von
ihre Vorstände und Geschäftsführer schon im eigenen      Sanktionen. Vorstände und Geschäftsführer können
Interesse verantwortlich sein müssen.                    bei schuldhafter Verletzung ihre Aufsichtspflichten ge-
                                                         mäß § 130 OWiG in Verbindung mit §§ 9, 14 OWiG
• Erstens werden diese Sanktionen für das Unterneh-      mit einer Geldbuße belegt werden. Die Sanktion der
  men drastisch verschärft. Die Geldsanktionen für       natürlichen Personen, insbesondere der Führungs-
  vorsätzliche Verbandstaten betragen nach § 9 Ver-      kräfte bleiben neben einer Verbandssanktion gegen
  SanGE bis zu 10 % des Jahresumsatzes im Konzern.       das Unternehmen weiterhin möglich.3 Während für
                                                         die Verbandssanktionen gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 Ver-
• Zweitens gilt statt dem bisherigen Verfolgungser-      sanG-E kein Verschulden vorausgesetzt wird, verlangt
  messen in Zukunft Verfolgungszwang. Schon beim         § 130 Abs. 1 OWiG und § 14 StGB auch in Zukunft
  Anfangsverdacht müssen die Behörden ohne eigenes       ein vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten der Ge-
  Ermessen ermitteln.                                    schäftsleitung von Vorständen oder Geschäftsführern.
                                                         Voraussetzung nach § 130 OWiG ist eine subjektive
• Drittens wird es in Zukunft auf das Verschulden        Vorwerfbarkeit der Aufsichtspflichtverletzung. Vor-
  einzelner Personen im Unternehmen für die Haf-         ständen oder Geschäftsführern stehen Exculpations-
  tung des Verbandes nicht mehr ankommen. Schon          möglichkeiten zu, die im Unterschied dazu dem Un-
  der pflichtwidrige Rechtsverstoß reicht für die Ver-   ternehmen nach dem neuen Verbandssanktionsgesetz
  bandssanktionen aus. Es gelten weder Entlastungen      abgeschnitten sind.
  noch Entschuldigungen. Für die Annahme einer
  Verbandstat müssen in Zukunft auch keine Täter           Nach Art. 9 Abs. 1 VerSanGE wird § 21 OWiG er-
  oder Gehilfen aus der Belegschaft ermittelt werden.    gänzt. Liegt danach gleichzeitig eine Verbandstat nach
  Es reicht für die Annahme einer Verbandstat, dass      § 3 Abs. 1 Nr. 1 VerSanG als auch eine Ordnungswid-
  sie im Unternehmen begangen wurde, unabhängig          rigkeit nach § 30 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 130 OWiG
  davon, wer die Täter waren. Neu ist, dass Unterneh-    vor, gilt für die Sanktionierung des Verbandes nur die
  men sanktioniert werden. Das Unternehmensstraf-        Sanktion für die Verbandstat. Die strafrechtlichen Ri-
  recht ist damit eingeführt. Verbandstaten sind nach    siken für Vorstände und Geschäftsführer bleiben von
  den verhundertfachten Geldsanktionen auf 10 %          den Regelungen des VerSanG-E unberührt. Die Or-
  des Jahresumsatzes nicht mehr nützlich, sondern        gane des Unternehmens4 als auch die Compliancebe-

                                                                                                               3
auftragten5 können durch Benennung und Pflichten-             Mit dem neuen Verbandssanktionsgesetz begrün-
übernahme in eine Garantenstellung nach § 13 Abs.           det der Gesetzgeber die Erforderlichkeit von Ver-
1 StGB kommen.6 Das bedeutet, dass sie zum Schutz           bandssanktionen als einen Ausgleich dafür, dass der
eines Rechtsguts verpflichtet sind, und sich wegen Un-      juristischen Person und damit den Aktionären und
terlassens strafbar machen können.                          Gesellschaftern die unternehmerischen Vorteile der
                                                            strafbaren Aktivitäten von Vorständen und Geschäfts-
 Compliancebeauftragten droht auch weiterhin das            führern zufließen. Bisher hatten Organe nur die Nach-
Risiko einer Strafbarkeit wegen Beihilfe, wenn sie nicht    teile aus nützlichen Verbandstaten, aber das Unterneh-
auf die Geschäftsleitung einwirken, um eine Straftat zu     men und ihre Anteilseigner nur die Vorteile. Nach dem
verhindern.7                                                Verbandssanktionsgesetz rechnen sich Verbandstaten
                                                            für den Verband nicht mehr. Verbandstaten sind nicht
  Schließlich gilt die zivilrechtliche Organhaftung von     mehr nützlich, sondern nur noch schädlich. Niemand
Vorständen und Geschäftsführern wie bisher unter der        im Unternehmen kann in Zukunft mit dem Prinzip
geltenden Rechtslage, ohne wechselseitige Anrechnung        argumentieren, „Geschäft geht vor“. Abgeschnitten sein
von Verbandssanktionen und persönlichen Regressan-          soll auch der Ausweg, Geldsanktionen gegen die Or-
sprüche gegen Organe. Vorstände und Geschäftsfüh-           gane durch Zahlungen und Leistungen des Unterneh-
rer haften nach § 93 AktG. Geschäftsführer nach §           mens zu kompensieren.9 Auch die Aktionäre und An-
43 GmbHG. Bußgeldzahlungen werden als ersetzbare            teilseigner von juristischen Personen müssen das größte
Schäden verstanden.8 Der Gesetzgeber hat in den Ent-        Interesse daran haben, Verbandstaten zu vermeiden,
wurf ausdrücklich keinen Regressausschluss zu Guns-         weil sämtliche Vorteile einer Verbandstat durch die
ten der Geschäftsleitung aufgenommen. In dem Kölner         Sanktionen mehr als abgeschöpft werden. Mit hoch-
Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes wurde in           sanktionierten Verbandstaten setzen Vorstände und
§ 10 noch auf einen Regressanspruch gegen die Ge-           Geschäftsführer ihre Organstellung aufs Spiel und ris-
schäftsleitung ausdrücklich verzichtet. Aus der Tatsa-      kieren durch ihr Regressrisiko ihr privates Vermögen.
che, dass in der Fassung des Verbandssanktionsgesetz
vom 20.04.2020 der Regressausschluss nicht mehr              Nach dieser drastischen Verschärfung der Haftung
übernommen wurde, ist der Schluss zu ziehen, dass der       für Verbände und ihre Organe muss es von größtem
Gesetzgeber in seinem Entwurf vom 20.04.2020 auf            Interesse für Vorstände und Geschäftsführer sein, wie
einen Regressausschluss nicht verzichtet hat. Das Re-       die Sanktionen zu vermeiden oder wenigstens zu min-
gressrisiko gegen die Geschäftsleitung wegen Schäden        dern sind.
durch das Verbandssanktionsgesetz besteht somit fort.
Zumindest muss die Frage als offen gelten, ob Vorstän-
de und Geschäftsführer für die Verbandsgeldsanktion         3. Sanktionsvermeidung durch
gegen das Unternehmen persönlich in Anspruch ge-            Compliance als „Vorkehrung“
nommen werden können. Auch deshalb ist zu empfeh-
len, Compliance als Chefsache zu behandeln, anstatt          Das Verbandssanktionsgesetz verweist in § 15 Abs. 3
die Abwendung dieses Regressrisikos Angestellten            Nr. 6 u. 7 VerSanG auf die Möglichkeit, bei der Be-
unterhalb der Organebene zu überlassen, die von dem         messung der Verbandsgeldsanktionen entlastende Um-
Compliancerisiko persönlich nicht bedroht sind.             stände zu berücksichtigen, zu denen vor, als auch nach
                                                            der Verbandstat getroffene „Vorkehrungen“ zur Vermei-
  Im Ergebnis verschärft der Entwurf das Verbandssank-      dung und Aufdeckung von Verbandstaten gehören. Die
tionengesetz die Sanktionen für das Unternehmen, ohne       Entwurfsbegründung10 nennt ein Compliance-Ma-
dass es auf das Verschulden eines Mitarbeiters oder eines   nagement-System als einziges Beispiel, um Sanktionen
Mitglieds der Geschäftsleitung ankommt und behält           zu mildern. Compliancemaßnahmen können somit
aber gleichzeitig die Möglichkeiten der zivilrechtlichen    sowohl die Verbandssanktionen, als auch die Sanktio-
als auch der strafrechtlichen Haftung für Geschäftsfüh-     nen nach OWiG und StGB gegen die Geschäftsleiter
rer und Vorstände nach der bisherigen Rechtslage auf-       vermindern. Mit den Vorkehrungen sollen rechtssiche-
recht. Die Verbandsgeldsanktionen werden im Vergleich       re Anreize für Investitionen in Compliance begrün-
zum bisherigen Strafrahmen verhundertfacht.                 det werden, die unter der geltenden Rechtslage bisher
                                                            nach zutreffender Ansicht des Gesetzgebers fehlen.11
  Je schärfer die Sanktionen ausfallen, umso mehr müs-      Rechtstreue Unternehmen sollen durch das Verbands-
sen Vorstände und Geschäftsführer daran interessiert        sanktionsgesetz vor Wettbewerbsvorteilen geschützt
sein, die Sanktionen gegen ihr Unternehmen zu ent-          werden, die sich konkurrierende Unternehmen durch
schärfen und damit gleichzeitig auch ihr eigenes persön-    das Einsparen von präventivem Aufwand für Com-
liches Regressrisiko zu vermeiden.                          pliancemaßnahmen verschaffen. Der Complianceauf-

4
wand zur Sicherung legalen Verhaltens in rechtstreu        die DIN ISO 19600 bestimmt. Die DIN ISO 19600
geführten Unternehmen soll kein Wettbewerbsnachteil        ist eine freiwillige international geltende Selbstregulie-
werden.                                                    rung für Vorstände und Geschäftsführer, welche Sorg-
                                                           faltspflichten bei der Unternehmensführung einzuhal-
                                                           ten sind, um die Legalitätspflicht der Geschäftsleitung
4. Keine Konkretisierung                                   zu erfüllen, nämlich sicherzustellen, dass sich Vorstän-
von „Vorkehrungen“ im Gesetz                               de und Geschäftsführer selbst legal verhalten und dafür
                                                           sorgen, dass sich alle Mitarbeiter des Unternehmens
  Allerdings vermeidet der Gesetzgeber eine Konkre-        ebenfalls legal verhalten, nämlich alle Pflichten des
tisierung, was er unter „Vorkehrungen“ versteht und        Unternehmens einzuhalten und zu erfüllen.
was er vorgeben will, damit sich die Normadressaten
darauf einrichten können. Konkretisiert wird der un-
bestimmte Rechtsbegriff weder im Gesetzestext, noch        5. Die Sechs-Aufgaben-Struktur
in der Gesetzesbegründung. Der DIN Ausschuss wird          als gemeinsames Grundmuster
für das Gesetzgebungsverfahren vorschlagen, auf die
                                                           in Compliance-Management-Systemen
DIN ISO 19600 Bezug zu nehmen, wodurch Rechts-
sicherheit geschaffen werden könnte. Mindestens soll        Ziel und Zweck eines Compliance-Management-
erreicht werden, dass die DIN ISO 19600 als Selbst-        Systems ist das legale Verhalten aller Unternehmens-
regulierungsmaßstab für die Unternehmensführung bei        mitarbeiter, sowohl auf der Führungs- als auch auf der
der Erfüllung ihrer Legalitätspflicht in der Gesetzes-     Arbeitsebene aus der DIN ISO 19600 als Norm für
begründung genannt wird. Was unter „Vorkehrungen“          Compliance-Management-Systeme. Die DIN ISO
zu verstehen ist, sollte nicht den Gerichten überlassen    19600:2016 versteht sich als internationale Norm und
werden, die nach einer Verbandstat entsprechend der        als Maßstab. Sie richtet sich an die Führung des Unter-
Alltagsweisheit hinterher immer schlauer sind und in       nehmens (S. 15 der Norm). Das Ziel des legalen Ver-
Kenntnis des Tatverlaufs Pflichten formulieren, an die     haltens im Unternehmen setzt sechs unterscheidbare
vor der Tat niemand hätte denken können.12 Es droht        Organisationspflichten voraus. Sie ergeben sich
das Risiko des Rückschaufehlers (Hindsight-Bias).
Vielmehr sollte der Gesetzgeber für alle selbst regeln,    • erstens aus der DIN ISO 19600 als Norm für Com-
unter welchen Bedingungen die drastischen Sanktio-           pliance-Management-Systeme und
nen zu vermeiden sind. Die Normadressaten könnten
dann davon ausgehen, dass sie von den ruinösen Ver-        • zweitens auch aus der ständigen Rechtsprechung
bandssanktionen verschont werden und die Vorstände           zum Organisationsverschulden.
und Geschäftsführer könnten darauf vertrauen, dass
sie sich damit entlasten können, alle Voraussetzungen       Im Rahmen der Selbstregulierung der DIN ISO
der DIN ISO 19600 eingehalten zu haben. Dazu zäh-          19600 wird vorgeschrieben,
len das Ermitteln aller Risiken und Rechtspflichten
(4.1 und 4.6), einschließlich der Urteile und Beschei-     • erstens, alle Rechtspflichten des Unternehmens
de von Gerichten und Verwaltungsbehörden (4.5.1),            nach der DIN ISO 19600 4.1, 4.6 zu ermitteln,
die Delegation aller Pflichten auf Verantwortliche im
Unternehmen (5.3 und 9.12), die regelmäßige Aktu-          • zweitens nach 5.3, 9.1.2 DIN ISO 19600 die
alisierung (4.5.2 und 4.6), die Erfüllung und die Kon-       Rechtspflichten zu delegieren,
trolle und ihre Dokumentation (4.5.1 und 7.5). Wenn
es trotzdem zu einer Verbandstat kommen sollte, lässt      • drittens, nach 4.5.2, 4.6 DIN ISO 19600 die Rechts-
sich der Nachweis zu Gunsten des Unternehmens und            pflichten zu aktualisieren,
zu Gunsten der Geschäftsleiter führen, dass es nicht an
der Organisation der Legalitätspflicht gelegen hat, dass   • viertens nach der Einleitung zur DIN ISO 19600
es zu einem Rechtsverstoß gekommen ist. Vorkehrun-           zu erfüllen,
gen durch ein Compliance-Management-System wer-
den durch das neue Gesetz mit Sanktionsminderungen         • fünftens nach 8.2 DIN ISO 19600 zu kontrollieren
honoriert. Verhindert würde durch diese Konkreti-            und schließlich
sierung der Vorkehrungen, dass Gerichte nach § 13
Abs. 2 VerSanG-E den Verband zu bestimmten Vor-            • sechstens nach 4.5.1, 7.5 DIN ISO 19600 zu doku-
kehrungen anweisen, um Verbandstaten zu vermeiden.           mentieren.
Die Vorkehrungen würden nicht von einem Gericht,
sondern vom Gesetzgeber durch die Bezugnahme auf

                                                                                                                   5
Die gleiche Sechs-Aufgaben-Struktur lässt sich als       Gegenseite mit dem Nachweis widerlegt werden, war-
Muster aus weiteren untergesetzlichen DIN-Regelun-        um die Regeln zur Unternehmensführung nicht gelten
gen zur Unternehmensorganisation ablesen. Beispiel-       sollen.15 Die DIN ISO 19600 wird durch ihr Entste-
haft ist die DIN EN ISO 9001:2008-12 zum Quali-           hungsverfahren legitimiert.16
tätsmanagement, die DIN EN ISO 140001:2005-06
zum Umweltmanagement, die OHSAS 180001:2007,
die DIN EN ISO 5001:2012-2012 zum Arbeitsschutz           7. Organisationsrecht
zu nennen.                                                als verbindliches Richterrecht
                                                           Richterrecht galt bisher als unverbindliche Rechtser-
6. Die Indizwirkung                                       kenntnisquelle, die wie die private Normsetzung in
der DIN ISO 19600                                         DIN Norm eine geringere Verbindlichkeit als Gesetze
                                                          haben sollen.
  Nach herrschender Meinung hat die Einhaltung von
DIN Normen eine Indizwirkung dafür, dass die Ver-           Die sechs Organisationspflichten die sich aus den
antwortlichen ihre Sorgfaltspflichten eingehalten ha-     DIN Normen, insbesondere der DIN ISO 19600 ent-
ben. Die DIN ISO 19600 regelt die Sorgfaltspflichten      nehmen lassen, finden sich ebenfalls als Grundstruktur
bei der Unternehmensführung. Diese Vermutungswir-         in der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Bisher wur-
kung für sorgfältiges Verhalten der Verantwortlichen      den zwar Rechtsquellen eng definiert. Als Rechtsquelle
im Unternehmen müsste von Ermittlungsbehörden             wurden bisher nur Gesetze, Rechtsverordnungen und
oder Gegenanwälten widerlegt werden.13 Im Strafrecht      Satzungen anerkannt, die als primäre Rechtsquellen
wird die faktische Normsetzungskompetenz von pri-         bezeichnet werden. Höchstrichterliche Urteile galten
vaten Organisationen wie den DIN-Ausschüssen als          als Richterrecht, als unverbindliche Rechtserkenntnis-
Selbstnormierung zwar kritisiert. Die Normsetzung         quellen, die wie die private Normsetzung in DIN Nor-
müsste den verfassungsmäßigen Gesetzgebungsorga-          men eine geringere Verbindlichkeit als Gesetze haben
nen vorbehalten bleiben.Der Gesetzgeber ist allerdings    sollen. Diese bisherige Zweiteilung in zwingendes und
zur Regelung von konkreten Risiken in Unternehmen         nicht zwingendes Recht, in Rechtsquellen und bloße
immer weniger in der Lage, weil ihm das überlegene        Rechtserkenntnisquellen wird zunehmend aufgegeben.
Wissen und die Erfahrung beim Erfassen und bei der        Urteile des BGH, insbesondere die Grundsatzentschei-
Abwendung von Risiken in der Unternehmenspra-             dung, sind nämlich faktisch verbindlich. Dies ergibt
xis fehlt. Es zeigt sich insbesondere dadurch, dass der   sich aus den Prozessordnungen. Untere Gerichte sind
Gesetzgeber Lücken offen lässt und zur Selbstregulie-     regelmäßig an die Urteile höherer Gerichte aus und
rung durch untergesetzliche Regelwerke geradezu ein-      diese an ihrer früheren Rechtsprechung. Rein faktisch
lädt. Die Selbstregulierung durch die Normadressaten      zitiert die höchstrichterliche Rechtsprechung in über
wird zur Selbsthilfe. Selbstregulierung wie die DIN       90 % aller Entscheidungen ihre eigenen Urteile. Die
Normen schränken Rechtsunsicherheiten durch unbe-         unteren Gerichte sind nach ihren Prozessordnungen
stimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln ein. Beim      zur Vorlage bei oberen Gerichten verpflichtet, wenn sie
Verbandssanktionsgesetz konkretisiert der Gesetzge-       von BGH-Urteilen abweichen, das instanzliche Urteil
ber nicht, was er unter „Vorkehrungen“ nach § 15 Abs.     aufgehoben wird und die Sache mit entsprechenden
3 Nr. 6 u. 7 versteht. Er lässt damit offen, was er an    inhaltlichen Vorgaben zur erneuten Entscheidung zu-
Compliancemaßnahmen von Unternehmen erwartet,             rückverwiesen wird (§ 563 Abs. 2 ZPO). Ein Ober-
damit diese die Chance zur Sanktionsminderung und         landesgericht in Strafsachen hat eine Vorlagepflicht
zur Sanktionsvermeidung nutzen können.                    zum Bundesgerichtshof, wenn es von der Entscheidung
                                                          eines anderen OLG oder des Bundesgerichtshofs ab-
  Durch einen Bezug auf die DIN ISO 19600 würde           weichen will (§ 121 Abs. 2 GVG). Gerichte der zwei-
der Gesetzgeber diese für allgemeinverbindlich er-        ten Instanz müssen die Revision zu den obersten Bun-
klären. Die DIN Norm würde zur primären Rechts-           desgerichten immer dann zulassen, wenn es von einer
quelle.14 Die Vermutungswirkung für die Erfüllung der     Entscheidung der obersten Bundesgerichte des selben
Sorgfaltspflicht bei der Unternehmensführung ergibt       Gerichtszweigs abweicht. 17 Diese Prozessvorschriften
sich aus dem Verfahren, aus dem die DIN Norm entwi-       führen zu einer faktischen Bindung an die Rechtspre-
ckelt wird. Experten aus den Kreisen der Normadres-       chung des BGH. Sie gilt als stärker als die Bindung an
saten formulieren ihren eigenen Sorgfaltsmaßstab. Die     Gesetze. Gerichtsurteile enthalten konkrete Entschei-
Vermutungswirkung für sorgfältiges Verhalten bei der      dungen zwischen Parteien, während Gesetze abstrakt
Unternehmensführung durch die Einhaltung der Vor-         – generelle Regelung darstellen und im konkreten Fall
gaben der DIN ISO 19600 müsste von der jeweiligen         keine Bindung auslösen. Die Prozessordnung sichert

6
durch diese Verfahrensregeln eine einheitliche Recht-     • Drittens müssen die einmal festgestellten ein-
sprechung. Deshalb sind alle Gerichtsurteile zum Or-        schlägigen Rechtspflichten eines Unternehmens
ganisationsverschulden und zu Organisationspflichten        aktualisiert werden. Ansonsten besteht das Risiko
für die Praxis der Unternehmensführung verbindlich.         von Verbandstaten durch überholte Rechtspflich-
Weichen Unternehmen von der Rechtsprechung ab               ten. Rechtspflichten ändern sich durch inhaltliche
und kommt es zum Schaden, können die Geschädig-             Änderungen, durch Außerkrafttreten, durch neue
ten sich auf die Rechtsprechung und die Verletzung          Rechtspflichten, durch Änderungen des Anwen-
der jeweiligen Organisationspflicht berufen. Vorstände      dungsbereichs und durch die Änderungen von Un-
und Geschäftsführern ist deshalb zu empfehlen, wenn         ternehmenssachverhalten, die neue Rechtspflichten
sie die Rechtslage nicht verkennen wollen, die Orga-        auslösen, die beim erstmaligen Erfassen nicht ge-
nisationspflichten aus der BGH-Rechtsprechung ein-          prüft wurden.20
zuhalten. Die DIN ISO 19600 enthält unter 4.5.1, die      • Viertens ist das Organisationsrisiko der Nichterfül-
Empfehlung, Urteile und Bescheide von Gerichten             lung von Rechtspflichten abzuwenden, durch die
oder Verwaltungsbehörden als bindende Verpflichtun-         Anordnung, alle Rechtspflichten ausnahmslos zu er-
gen zu beachten.                                            füllen.

                                                          • Fünftens besteht das Risiko von Verbandstaten
8. Sechs Organisationspflichten nach                        durch Rechtsverstöße, weil die delegierten Pflichten
ständiger Rechtsprechung zum Organi-                        auf ihre Erfüllung durch die Verantwortlichen nicht
                                                            kontrolliert wurden. Das Risiko der Kontrolllücken
sationsverschulden nach höchstrichter-
                                                            lässt sich nur durch systematische Kontrollen ab-
licher Rechtsprechung                                       wenden.21

  Die in der DIN ISO 19600 formulierten sechs Aufga-      • Sechstens besteht das Organisationsrisiko man-
ben ergeben sich auch aus der ständigen höchstrichter-      gelnder Dokumentationen. Nach § 93 AktG trägt
lichen Rechtsprechung zum Organisationsverschulden.         der Vorstand einer AG die Beweislast, was auch für
Danach lassen sich sechs typische Organisationsrisiken      GmbHs gilt. Fehlende oder lückenhafte Dokumen-
unterscheiden, die durch sechs Organisationspflichten       tationen über die Erfüllung der Legalitätspflicht, der
abzuwenden sind. Die BGH-Urteile zu Organisations-          Ermittlung, der Delegation, der Aktualisierung, der
pflichten und zum Organisationsverschulden sind für         Erfüllung und der Kontrolle bilden das Risiko der
Vorstände und Geschäftsführer verbindlich. Wer sie          Beweisnot. Die sekundäre Beweislast ist aktuell vom
nicht einhält, begründet den Vorwurf des Organisa-          BGH im VW-Diesel Urteil bestätigt worden.22
tionsverschuldens und haftet für die Schadensfolgen.

• Erstens wird mit der Organisationspflicht zur           9. Compliance als Chefsache
  Ermittlung aller Risiken und der einschlägigen          nach der geltenden Rechtslage
  Rechtspflichten zur Abwehr der Risiken das Or-
  ganisationsrisiko der Unkenntnis der einschlägigen        Konkrete Pflichten für Vorstände und Geschäftsfüh-
  Rechtspflichten des Unternehmens abgewendet.            rer ergeben sich aus dem Neubürgerurteil des Land-
  Wer die Ermittlung aller Rechtspflichten des Unter-     gerichts München.23 Dem langjährigen Finanzvorstand
  nehmens organisiert, vermeidet Verbandstaten aus        wurde das Unterlassen der Einrichtung eines effizien-
  Unkenntnis der einschlägigen Rechtspflichten.18         ten Compliancesystems und dessen Überprüfung als
                                                          Pflichtverletzung vorgeworfen. Festgestellt hat das
• Zweitens besteht das Organisationsrisiko von Ver-       Landgericht, dass sich der Finanzvorstand nicht auf
  bandstaten durch ungeregelte Verantwortlichkeiten,      eine Ressortverantwortlichkeit berufen kann. Die Ein-
  wer im Unternehmen die Rechtspflichten kennt, sie       richtung eines Systems zur Vermeidung von Gesetzes-
  aber nicht auf verantwortliche Mitarbeiter delegiert,   verstößen gehört zu den Aufgaben jedes Vorstands-
  begründet das Risiko, das allein der Vorstand für die   mitglieds, und zwar als Aufgabe des Gesamtvorstands,
  Erfüllung von tausenden von Rechtspflichten ver-        der zu überprüfen hat, ob das Compliancesystem ge-
  antwortlich ist und sie schon wegen der Vielzahl        eignet ist, Verstöße gegen zwingendes Gesetzesrecht zu
  nicht erledigen kann. Ohne Delegation besteht das       unterbinden. Er kann sich nicht darauf berufen, dass
  Organisationsrisiko von Verbandstaten durch unge-       dafür Bereichsvorstände zuständig seien. Ein Bereichs-
  regelte Verantwortlichkeiten und Unzuständigkei-        vorstand sei gerade nicht Vorstand im Sinne des § 76
  ten.19                                                  AktG. Eine Delegation dieser Complianceaufgabe auf
                                                          Mitarbeiter unterhalb der Vorstandsebene stelle eine

                                                                                                                7
Pflichtverletzung dar. Dies hat der BGH schon in sei-     zugelassene Rechtsanwälte oder zur eigenen Beratung
nem Presseangriffsurteil entschieden. Danach müssen       die Syndikusanwälte des Unternehmens befugt. Nicht-
Entscheidungen mit ruinösen Auswirkungen für das          anwälte dürfen nach § 3 RDG rechtlich nicht beraten.
Unternehmen dem Vorstand vorgelegt und vorbehal-          Das Rechtsdienstleistungsgesetz soll nach § 1 Abs. 1
ten werden. 24 Mit der Delegation von Pflichten der       Satz 2 RDG „die Rechtssuchenden, den Rechtsverkehr
Organe auf Führungskräfte unterhalb der Organebene        und die Rechtsordnung vor unqualif izierten Rechts-
könnte die Organhaftung nach § 93 AktG umgangen           dienstleistungen schützen.“ Weil juristische Laien die
werden. Auch auf die Ressortzuständigkeit anderer         Qualität von Rechtsdienstleistungen nicht einschät-
Vorstandskollegen zu seiner eigenen Entlastung kann       zen können, verbietet das Rechtsdienstleistungsge-
sich ein Vorstand nicht berufen. Kommt es wiederholt      setz nach § 3 RDG Rechtsdienstleistungen durch
zu Gesetzesverstößen, hat ein Vorstand im Rahmen          Nichtanwälte. Eine Rechtsdienstleistung liegt nach §
seiner Überwachungspflicht darauf hinzuwirken, dass       2 RDG dann vor, wenn im Einzelfall eine rechtliche
innerhalb des Vorstands ein funktionierendes Com-         Prüfung erforderlich ist. In einem Compliancesystem
pliancesystem beschlossen wird. Der Vorstand kann         werden Unternehmenssachverhalte daraufhin geprüft,
sich auch nicht damit entlasten, er sei als einzelnes     ob sie Rechtspflichten auslösen. Dabei handelt es sich
Mitglied des Vorstands überstimmt worden und an           um Rechtsberatung in Einzelfällen. Abstrakte Rechts-
die Umsetzung von Vorstandsbeschlüssen gebunden.          pflichten aus Gesetzen ohne Bezug auf Sachverhalte
Klargestellt hat das Landgericht in diesem Zusam-         des Unternehmens wären in einem Compliancesystem
menhang, dass die Bindung von Vorstandsbeschlüssen        ohne jeglichen Nutzen. Zugelassene Rechtsanwälte
nicht gelten, wenn sie rechtswidrig sind. Kommt es zu     sind gegen Schadensersatz durch ihre Falschberatung
Rechtsverstößen, besteht die Pflicht zur Verbesserung     obligatorisch berufshaftpflichtversichert. Das beratene
der Complianceorganisation. Jeder Vorstand ist zur        Unternehmen könnte neben dem Anwalt als zweiten
Überzeugungsarbeit bei seinen Kollegen verpflichtet       Schuldner auch dessen Versicherung in Anspruch neh-
und hat den Aufsichtsrat einzuschalten, sollte er sei-    men. Nichtanwälte werden zu einer Berufshaftpflicht-
ne Vorstandskollegen nicht umstimmen können. Diese        versicherung und damit zur Rechtsanwaltschaft erst
Beschreibung der Vorstandspflichten des Landgerichts      garnicht zugelassen.28
München I hat breite Zustimmung erfahren und wird
ohne Gegenmeinung von der Kommentarliteratur ge-           Mit der Einholung von Rechtsrat vermeidet ein
teilt.25                                                  Vorstand oder Geschäftsführer das Risiko nach dem
                                                          Dunning-Kruger-Effekt. Es gilt dadurch das Risi-
 Mit einem Compliance-Management-System wird              ko abzuwenden, die eigene rechtliche Urteilsfähigkeit
gesetzeskonformes Verhalten im Unternehmen gesi-          zu überschätzen und den eigenen rechtlichen Bera-
chert. Vorstände und Geschäftsführer tragen das Risi-     tungsbedarf zu unterschätzen, weil den Vorständen
ko, die Rechtslage zu verkennen.26 Deshalb müssen Sie     und Geschäftsführern als juristischen Laien dazu die
im eigenen Interesse auch entscheiden, wie ihr Risiko     Kompetenz fehlt, im Ergebnis die Rechtslage verkannt
abzuwenden ist.                                           wird und es zum Rechtsverstoß mit Schadensfolgen
                                                          kommen kann.29 Zu empfehlen ist deshalb, im Zwei-
                                                          fel Rechtsrat von unabhängigen fachlich qualifizierten
10. Einsatz und Auswahl von Rechts-                       Rechtsanwälten oder Syndikusanwälten einzuholen
beratern für Rechtsdienstleistung                         und das Risiko zu vermeiden, die Rechtslage durch die
                                                          eigene rechtliche Selbstüberschätzung zu verkennen.30
  Fehlen Geschäftsleitern eigene Rechtskenntnisse,
sind sie nach der BGH Rechtsprechung des ISION-             Kein Sachverhalt im Unternehmen lässt für juristi-
Urteils verpflichtet, Rechtsrat von qualifizierten Be-    sche Laien erkennen, ob er rechtlich relevant ist, insbe-
rufsträgern, einzuholen und das Beratungsergebnis         sondere ob er ein Risiko für ein geschütztes Rechtsgut
einer eigenen Plausibilitätskontrolle zu unterziehen.27   darstellt und ob und wie dieses Risiko durch Schutz-
Zur Vermeidung ihres Haftungsrisikos durch eine ver-      maßnahmen in Form von Rechtspflichten abzuwenden
kannte Rechtslage müssen Vorstände und Geschäfts-         ist. Um sicher zu gehen, empfiehlt es sich deshalb, aus-
führer auch aus diesem Grund daran interessiert sein,     nahmslos alle Sachverhalte im Unternehmen, auf Risi-
Compliance zur Chefsache zu machen.                       ken und Rechtspflichten zu prüfen. Damit erfüllen Or-
                                                          gane ihre Pflicht nach der BGH-Rechtsprechung im
 Bei der Auswahl von Rechtsberatern müssen Vor-           ISION-Urteil, bei eigener Rechtsunkenntnis Rechtsrat
stände und Geschäftsführer ein eventuelles Auswahl-       einzuholen.31
verschulden vermeiden. Nach § 3 RDG i. V. m. § 3
BRAO und § 46 BRAO sind zur Rechtsberatung nur

8
11. Legal-Tech erleichtert Compliance                      13. Die zehn rechtlichen Vorteile
                                                           für Vorstände und Geschäftsführer
  Verwendete Stoffe, Verfahren, Anlagen, Produktions-
prozesse, Rollen von Mitarbeitern im Unternehmen
                                                           durch den Einsatz eines Compliance-
zählen zu den Sachverhalten, die ein Risiko begründen      Management-Systems
können, was kein Sachverhalt ohne vorherige recht-
liche Prüfung erkennen lässt. Alle Sachverhalte auf        (13.1) Sanktionsminderungen nach der BGH
Risiken zu prüfen, wird erst durch den Einsatz von         Rechtsprechung im Panzerhaubitzen-Fall
Legal-Tech möglich. Die gleichzeitige Suche einer            Der BGH hat zuletzt in seinem Urteil vom 09.05.2017
Vielzahl von Sachverhalten in einer Datenbank, in der      – 1 StR 265/16 dem Pan­zerhaubitzen Fall34, in einem
möglichst viele Gesetze und Regelwerke gespeichert         obiter dictum den Einsatz eines Compliance-Manage­
sind, wird durch die Technik der Sammelrecherchen          ment-Systems
möglich. In Sekunden findet man mit der Recherche-
technik Regelungen in einer Vielzahl von Vorschriften.     • erstens als „Pflicht“ bezeichnet,
Die Datenbank „Recht im Betrieb“ enthält im Übri-
gen inzwischen 3,5 Millionen Links zwischen Sach-          • zweitens erstmals auf dessen bußgeldmindernde
verhalten aus Unternehmen und den Rechtspflichten,           Wirkung vor und
die sie aus unterschiedlichen Rechtsgebieten auslösen.     • drittens vor allem auch noch nach einem Rechtsver-
Nach der Prüfung eines Sachverhalts wird das Prüf-           stoß hingewiesen.
ergebnis, nämlich die einschlägigen Rechtspflichten
einmal verlinkt, einmal gespeichert, um mehrfach ge-         Wörtlich führt der BGH aus, „die Geldbuße soll den
nutzt werden zu können. Der gespeicherte Lösungs-          wirtschaftlichen Vorteil übersteigen der aus der Ord-
vorrat lässt sich sekundenschnell durchsuchen. Einmal      nungswidrigkeit gezogen worden ist“.
gelöste Rechtsfragen können immer wieder aufs Neue           Danach droht bei einer Ordnungswidrigkeit dem Un-
genutzt werden. Höchste Rechtssicherheit wird durch        ternehmen, dass der wirt­schaftliche Vorteil durch die
geringstmöglichen Aufwand organisiert. Compliance          Geldbuße abgeschöpft wird und ein eventuell erhoffter
wird machbar.                                              Vorteil nach dem Grundsatz „Geschäft geht vor“ sich zu
                                                           einem echten Nachteil entwickelt. Bei der Bußgeldbe-
                                                           messung will der BGH berücksichtigt wissen,
12. Die Pflicht des Vorstandes                               „ob die Beteiligten in der Folge des Verfahrens entspre-
zur eigenen Risikoanalyse                                  chende Regelungen optimiert und ihre betriebsinternen
                                                           Abläufe so gestaltet haben, dass vergleichbare Normver-
                                                           letzungen zukünftig jedenfalls deutlich erschwert wer-
  Nach der Rechtsprechung des BGH im IKB-Urteil            den“.
ist ein Geschäftsführer zur eigenen Risikoanalyse ver-
pflichtet. Er kann sie weder delegieren noch unterneh-     (13.2) Keine Haftung für Organisationsverschulden
mensfremde Dritte wie etwa Ratingagenturen damit              Zweitens ist der größte Vorteil für Geschäftsführer
beauftragen. Die Risikoanalyse ist der erste Prüfschritt   und Vorstände, dass sie ihr persönliches Risiko straf-
in einem Compliance-Management-System. Ohne die            rechtlicher Sanktionen und das Risiko der zivilrecht-
Annahme eines Risikos, das eine Schadensprogno-            lichen Haftung wegen Organisationverschuldens mit
se darstellt, gibt es keinen Anlass, nach einer Rechts-    dem Einsatz des Compliance-Management-Systems
pflicht zu recherchieren, die ein Risiko abwendet. Zur     vermeiden. Praktiziert ein Unternehmen auf Anord-
Risikoanalyse muss ein Geschäftsleiter sich alle verfüg-   nung ihrer Geschäftsleiter ein Compliance-Manage-
baren Informationen beschaffen und alle Quellen nach       ment-System und kommt es trotz allem zu einem
der Entscheidung des BGH im IKB-Fall erschöpfen.32         Schaden durch einen Rechtsverstoß, kann es nicht
                                                           an der Organisation gelegen haben. Dann handelt es
 Das Compliance-Management-System „Recht im                sich nach Behördenpraxis der BaFin um ein nichtahn-
Betrieb“ enthält ein Prüfschema, mit dem die Vor-          dungsbedürftiges Einmalversagen und nicht um ein
gaben des IKB-Urteils des BGH erfüllt werden.              Systemversagen mit Organisationsverschulden und
Informationen sind unternehmensintern und ex-              Haftungsfolgen für Vorstände und Geschäftsführer.35
tern zu erfassen. Widersprechen sich Schadens-
prognosen und Erfahrungssätze, sind die Erfah-             (13.3) Keine Aufsichtspflichtverletzung nach § 130
rungssätze auf ihre Geltung hin zu überprüfen.33           OWiG und kein Bußgeldrisiko
                                                            Drittens vermeiden Geschäftsführer und Vorstände
                                                           das Risiko der Geldbußen wegen Pflichtverletzung

                                                                                                                   9
nach § 130 OWiG, wenn sie durch das Compliance-            die Kontrolle des Compliance-Management-Systems
Management-System „Zuwiderhandlungen durch Auf-            können Geschäftsleiter davon ausgehen, dass ihr Ver-
sichtsmaßnahmen gegen betriebsbezogene Pflichten ver-      halten nicht gegen gesetzliche Bestimmungen verstößt
hindern oder wesentlich erschweren.“ Selbst wenn sich      und sie nicht mit der Möglichkeit rechnen müssen,
trotz aller Bemühungen durch das Compliance-Ma-            Unrecht zu tun. Unvermeidbar ist der Verbotsirrtum,
nagement-System ein Rechtsverstoß nicht verhindern         wenn kein Anlass bestand, die Rechtswidrigkeit auf-
lässt, kann der Vorstand oder der Geschäftsführer auf      zuklären. Vorstände und Geschäftsführer als juristische
jeden Fall den Nachweis führen, dass der Rechtsverstoß     Laien müssen Rechtsrat einholen und ihre Erkundi-
durch das System „wesentlich erschwert“ wurde. Nach §      gungspflicht erfüllen, alle Unternehmenssachverhal-
130 OWiG wird schon das Erschweren einer Rechts-           te nach der vorgestellten Methode des Compliance-
widrigkeit sanktionsmindernd berücksichtigt.               Management-Systems „Recht im Betrieb“ als offene
                                                           Rechtsfragen behandeln und alle ihre Erkenntniskräfte
(13.4) Entlastungsbeweis nach § 831 BGB durch              und Wertvorstellungen einsetzen, wie es der BGH in
die Oberaufsichtsmaske                                     ständiger Rechtsprechung verlangt37. Die Untersu-
 Viertens können Geschäftsführer und Vorstände den         chungsmethode gewährleistet durch Recherchetechnik
Entlastungsbeweis nach § 831 BGB führen, wenn Mit-         und den Einsatz von 18.000 Regelwerken, dass kein
arbeiter gegen Rechtspflichten verstoßen haben und         Unternehmenssachverhalt ungeprüft bleibt.
Schadensersatz gefordert wird. Mit dem Compliance-         (13.7) Senkung der Prämien zur D&O-Versicherung
Management-System können Geschäftsleiter jederzeit           Siebtens begründet der Einsatz eines Compliance-
für jeden Zeitpunkt eines eventuellen Schadeneintritts     Management-Systems die Chance, Versicherungsprä-
beweisen, dass die Erfüllung aller Pflichten durch ihre    mien zu senken, weil die Haftungsrisiken auch für Ver-
Angestellten mit der Oberaufsichtsmaske kontrolliert       sicherungen gesenkt werden und verhaltensabhängige
wurde.                                                     Tarifierungen mit D&O-Versicherungen verhandelt
                                                           werden können.38 Wer Risiken durch Rechtspflichten
(13.5) Entlastung durch den Tatbestandsirrtum              präventiv abwendet, muss sie nicht versichern. Auf je-
nach § 16 StGB                                             den Fall kann die Senkung der Versicherungsprämie
 Fünftens können sich Vorstände und Geschäftsführer        verhandelt werden.
auf einen Tatbestandsirrtum nach § 16 StGB berufen
und den Vorwurf des Vorsatzes widerlegen, wenn sie         (13.8) Rechtsklarheit durch die Unterscheidung
im Compliancesystem die Prüfung sämtlicher Unter-          zwischen „rechtlich gebundenen“ und „freien
nehmenssachverhalte nach Rechtspflichten veranlasst        unternehmerischen“ Entscheidungen ohne Haf-
haben und trotzdem einen Umstand eines gesetzlichen        tungsrisiko
Tatbestands bei Begehung einer Straftat nicht kannten.       Die Unterscheidung von „rechtlich gebundener“ und
                                                           „freier unternehmerischer“ Entscheidung ist eine Vor-
(13.6) Entlastung durch den Verbotsirrtum nach             frage zur Geltung der Business-Judgement-Rule.
§ 17 StGB                                                    Nach § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG haftet ein Vorstand
 Sechstens können sich Geschäftsleiter zu ihrer Entlas-    nicht für geschäftliche Misser­  folge bei einer unter-
tung auf einen Verbotsirrtum nach § 17 StGB berufen,       nehmerischen Entscheidung, wenn er vernünftiger-
wenn sie durch das Compliance-Management-System            weise an­nehmen durfte, auf der Grundlage angemes-
alle Rechtspflichten einhalten und kontrollieren lassen.   sener Informationen zum Wohl seiner Gesellschaft zu
Wenn es trotz allem zu einer strafbaren Pflichtverlet-     handeln. Bevor sich allerdings ein Vorstand rechtlich
zung kommt, können sie sich auf die Unvermeidbarkeit       frei in seiner Entscheidung „im sicheren Hafen“ fühlen
eines Verbotsirrtums berufen, wodurch die Schuld und       kann, weil er eine „unternehmerische Entscheidung“ zu
die Strafbarkeit der Pflichtwidrigkeit ausgeschlossen      treffen glaubt, muss er als Vorfrage klären lassen, ob er
werden kann.                                               in seiner Entscheidung „rechtlich gebunden“ ist, insbe-
 Ohne Schuld handelt ein Täter nach § 17 StGB, wenn        sondere ob der zu entscheidende Sachverhalt rechtlich
er diesen Irrtum nicht ver­meiden konnte, weil ihm bei     geregelt oder gerichtlich schon in letzter Instanz ent-
Begehung der Tat die Einsicht Unrecht zu tun fehlt.        schieden ist. Das Gesetz zur Unternehmensintegrität
Unkenntnis schützt nicht vor Strafe. Dieser Grund-         und Modernisierung des Anfech­tungsrechts (UMAG)
satz gehört zum Allgemeingut. Geschäftsleiter haben        unterscheidet die unternehmerische Entscheidung
die Pflicht, sich über die Rechtslage zu erkundigen,       von der rechtlich gebundenen Entscheidung39. Jeder
um ein Verbotsirrtum zu vermeiden. Dazu müssen sie         zu entscheidende Sachverhalt ist von Vorständen und
Rechtsrat einholen und ihr Gewissen mit der Frage          Geschäftsführern daraufhin rechtlich prüfen zu lassen,
angespannt haben, ob sie selbst ihr Verhalten als le-      ob ein rechtliches Risiko bei seinem geplanten unter-
gal oder illegal einschätzen36 Durch den Einsatz und       nehmerischen Verhalten sich verwirklichen kann. In

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der Frage der Unterscheidung der unternehmerischen        ment-System mit seiner Datenbank eine Hilfe, weil
von der rechtlich gebundenen hat der Vorstand keiner-     Geschäftsleiter auch ohne eigene Rechtskenntnisse
lei Spielraum40.                                          Unternehmenssachverhalte eingeben und nach schon
                                                          geprüften Rechtspflichten recherchieren können, ohne
  Im Rahmen des Compliance-Management-Systems             einen unternehmensinternen Syndikusanwalt oder
„Recht im Betrieb“ werden ausnahmslos alle Sachver-       einen externen Rechtsanwalt einschalten zu müssen.
halte danach überprüft, ob sie Rechtspflichten auslö-     Auch als juristischer Laie ist er in der Lage, mit dem
sen. Hat ein Sachverhalt die sieben Prüfschritte durch-   System offene Rechtsfragen im Unternehmen zu er-
laufen und hat sich daraus ergeben, dass er weder in      kennen und seine Organisationspflicht einzuhalten,
einem Genehmigungsbescheid, noch gesetzlich, noch         Rechtsrat einzuholen. Das Risiko des Dunning-Kru-
gerichtlich verbindlich geregelt wurde und hat die „ei-   ger-Effekts, mangels eigener juristischer Kompetenz
gene Risikoanalyse“ bei den verbleibenden Sachverhal-     offene Rechtsfragen nicht zu erkennen, wird damit ab-
ten ergeben, dass von den Unternehmenssachverhalten       gewendet. Geschäftsleiter können nämlich klar unter-
keine Rechtsrisiken ausgehen, insbesondere auch keine     scheiden, ob eine Rechtsfrage schon einmal geprüft,
Verkehrssicherungsp­flichten zur Risikoabwehr zu be-      gespeichert wurde und sich abfragen lässt oder ob die
stimmen sind, ist anzunehmen, dass eine Entscheidung      Rechtsfrage offen ist und die Pflicht des Geschäfts-
über diesen Sachverhalt eine unternehmerische ist. Für    leiters auslöst, sich rechtlich beraten zu lassen und das
einen eventuellen unternehmerischen Misserfolg haf-       Beratungsergebnis auf Plausibilität kontrollieren zu
tet der Vorstand nach § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht,      müssen.
wenn er alle angemessenen Informationen berücksich-
tigt und annehmen durfte, zum Wohle der Gesellschaft      (13.10) Drastisch gesenkter Complianceaufwand
zu handeln. Für jeden zu entscheidenden Sachverhalt          Durch die Legal-Tech-Lösung, insbesondere durch
im Unternehmen kann der Vorstand im Compliance-           Arbeitsteilung, Standardisierung und Digitalisierung,
system routinemäßig abfragen lassen, ob er in der je-     wird der Complianceaufwand und die Kosten gesenkt.
weiligen Situation rechtlich gebunden oder unterneh-      Mit geringstmöglichem Aufwand wird höchstmögli-
merisch frei ist.                                         che Rechtssicherheit erreicht. Wenn alle Sachverhalte
                                                          des Unternehmens nur einmal geprüft und nur ein-
(13.9) Die Erkennbarkeit offener Rechtsfragen             mal gespeichert, mit Rechtspflichten verlinkt und im-
  Jederzeit abfragen lassen kann der Vorstand oder Ge-    mer wiederholt mehrfach genutzt werden, sinken die
schäftsführer im Compliance-Management-System,            Grenzkosten. Bei der Standardisierung wird berück-
ob eine Entscheidung von einer „offenen Rechtsfrage“      sichtigt, dass sich die Unternehmenssachverhalte im
abhängt, und er sich rechtlich beraten lassen muss.41     Unternehmen und in einer Branche als auch in der ge-
Ergeben sich aus dem System klare gesetzliche oder        samten Industrie wiederholen, weil Unternehmen se-
gerichtliche Regelungen erübrigt sich eine Rechtsbera-    rienmäßig eingerichtet sind und die gleichen Produkti-
tung. Insbesondere kann auf das Einholen von Rechts-      onsverfahren und Techniken nutzen. Die Pflichten von
rat bei Anwälten dann verzichtet werden, wenn ein         Schweißen, Sintern, Umformen, Lagern, Beschichten
Sachverhalt im Unternehmen bei der Erstprüfung im         und Lackieren lassen sich einmal prüfen und sowohl
Rahmen der Einrichtung des Compliance-Manage-             im Unternehmen als auch in der gesamten Industrie
ment-Systems zur Feststellung aller Rechtspflichten       mehrfach verwenden. Sachverhalte wiederholen sich
schon einmal rechtlich geprüft wurde. Die erstmalige      und es wiederholen sich die von ihnen ausgelösten
Prüfung wird so gespeichert, dass alle mit Sachverhal-    Pflichten, sodass mit jeder rechtlichen Prüfung eines
ten des Unternehmens verbundenen Pflichten jederzeit      Sachverhalts, sobald er gespeichert ist, der Lösungsvor-
abgefragt werden können. Die Rechtsfragen werden          rat wächst.
einmal geprüft, gespeichert und mehrfach wiederholt         Aktuell sind in der Datenbank des Compliance-Ma-
genutzt, wenn sich der Sachverhalt nicht geändert hat.    nagement-Systems „Recht im Betrieb“
Über alle Rechtsfragen, über die das Compliance-Ma-
nagement-System aus dem gespeicherten Lösungsvor-                      3 MILLIONEN LINKS
rat Auskunft geben kann, muss nicht erneut rechtlich                   ZWISCHEN SACHVERHALT
geprüft werden. Mit dem Compliance-Management-                         UND RECHTSPFLICHTEN
System erfüllen Geschäftsleiter ihre Pflicht zum Infor-
mationsmanagement, nämlich alle rechtlich relevanten       gespeichert, auf den die unterschiedlichen Nutzer der
Informationen, insbesondere die Rechtspflichten zu        gleichen Plattform zurückgreifen und profitieren kön-
speichern, an Verantwortliche weiterzuleiten und ab-      nen.
fragen zu lassen.42 Vor allem für Geschäftsleiter ohne
eigene Rechtskenntnisse ist das Compliance-Manage-

                                                                                                                11
15. Unerklärlicher Widerstand gegen
         Statistik Update 5/2020                           Compliancesysteme in der Praxis trotz
                                       79.440              aller rechtlicher Vorteile
                                       Pflichten
                                                            Trotz aller Vorteile eines eingerichteten und prakti-
         18.768        enthalten       17.126              zierten Compliance-Management-Systems ist in der
       Vorschriften                 Strafbewehrte          Praxis regelmäßig Widerstand zu beobachten. Ein
        im Volltext                   Pflichten            Compliance-Management-System ist keine Selbstver-
                                       61.167              ständlichkeit. Zu beobachten ist aktiver und passiver
                                    Vorformulierte         Widerstand.
                                      Pflichten
                                                            Der aktive Widerstand äußert sich offen oder ver-
                       3.248.851                           deckt. Der aktive Widerständler nimmt sich seine Frei-
     45.585 riskante   Verknüpfungen mit
     Unternehmens-                                         heit, indem er die Norm verletzt und deren Akzeptanz
      sachverhalte                     61.863              durch Protest verweigert.43 Daneben ist verdeckter in-
                                       Pflichten           direkter Widerstand zu beobachten, der sich in Form
                                                           von unhaltbaren oft widerlegten Gegenargumenten
                                                           äußert.
  Durch die Digitalisierung sinkt der Aufwand, indem
die Technik der Sammelrecher­che in möglichst großen         Unternehmen seien überreguliert, Produktion und
digitalen Bibliotheken eingesetzt wird. Aktuell umfasst    Geschäfte haben immer vorzugehen, es fehle an der
der Vorschriftenspeicher der Datenbank „Recht im Be-       Akzeptanz der Mitarbeiter, die unternehmerischen
trieb“ 18.000 Regelwerke im Volltext und 9.000 Ge-         Aktivitäten würden durch rechtliche Bedenken behin-
richtsurteile, sowie 60.000 Kurzfassungen zu Fachauf-      dert, Compliance sei Aufwand für nichts, Kosten ohne
sätzen. Aufgelistete Sachverhalte lassen sich in einem     Ertrag, die Risikoabwendung als Erfolg von Compli-
Suchvorgang recherchieren. Verlinkt werden Sachver-        ance sei weder messbar, noch nachweisbar, noch sicht-
halte mit Pflichten. Bei der Aktualisierung werden 60      bar.44 Delegationen von Pflichten seien nicht nötig,
% des Aufwands durch einen Algorithmus eingespart,         weil alle Mitarbeiter im Unternehmen wüssten, was sie
mit dem automatisch die Gesamtmenge aller monat-           zu tun hätten. Dokumentationen seien überflüssig und
lichen rechtlichen Neuinformationen so gefiltert wer-      lieferten nur unnötige Hinweise für Ermittlungsbehör-
den, dass nur die Informationen erscheinen, die im         den. Im Übrigen sei es in der Vergangenheit im eigenen
Unternehmen einschlägig und anzuwenden sind. Alle          Unternehmen nicht zu Rechtsverstößen gekommen.
rechtlichen Informationen werden auf die jeweils Ver-
antwortlichen weitergeleitet.                                Der aktive Widerstand durch Rechtsverstöße wird
                                                           durch die Wirtschaftskriminalitätsstatistik quantifi-
                                                           ziert. Im Durchschnitt der letzten fünf Jahre betrug die
14. Rechtsrat durch eigene                                 Gesamtschadenssumme 3,519 Milliarden Euro.45 Im
digitale Datenbankrecherche                                Jahr 2018 wurden in der polizeilichen Kriminalstatis-
                                                           tik insgesamt 50.550 Fälle der Wirtschaftskriminalität
 Weil kein Sachverhalt vor einer rechtlichen Prüfung       registriert. Der Schaden pro Fall steigt, während die
erkennen lässt, ob er rechtlich relevant ist und Risiken   Gesamtschadenssumme sinkt.
und Rechtspflichten zu ihrer Abwehr auslöst, empfiehlt
es sich auch im Alltag, Sachverhalte aus der Unterneh-
menspraxis in der Datenbank zur Recherche einzu-           16. Die psychologische Erklärung des
geben. Die Recherche wird in der Datenbank „Recht          Widerstands gegen Compliance durch
im Betrieb“ protokolliert, sodass jederzeit der Nach-
                                                           die Reaktanztheorie
weis erbracht werden kann, dass der Verantwortliche
Rechtsrat eingeholt hat und das Rechercheergebnis            Mit Compliance-Management-Systemen werden
einer Plausibilitätskontrolle unterzogen hat. Die emp-     tausende von Rechtspflichten des Unternehmens ermit-
fohlene Recherche in der Datenbank ist einfach und         telt, die einzuhalten sind und den Handlungsspielraum
zumutbar. Bei über drei Millionen Links wächst die         aller Mitarbeiter erheblich einschränken, einschließ-
Wahrscheinlichkeit, einen Hinweis auf die rechtliche       lich der Freiheiten von Vorstand und Geschäftsführern.
Relevanz eines Sachverhalts zu erhalten. Es lässt sich     Die Theorie der Reaktanz erklärt den Widerstand als
durch das Protokoll der Recherche nachweisen, wel-         reflexartige urmenschliche Reaktion auf jede Art von
cher Datenbankinhalt durchsucht wurde.                     Freiheitseinschränkung. Unter Freiheit versteht die

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Theorie, Verhaltensalternativen und Meinungen frei         • erstens angeordnet,
wählen zu können. Dabei kommt es nicht darauf an,
dass man diese Freiheiten wirklich hat. Schon die Il-      • zweitens angewendet,
lusion, Freiheiten zu haben, ist psychologisch relevant.
Werden Freiheitspielräume eingeschränkt, entsteht          • drittens nachgewiesen und
die Motivation, den eingeschränkten oder verlorenen
Freiheitspielraum zu erweitern oder wieder ganz her-       • viertens ständig verbessert werden.48
zustellen.46 Werden Personen Verhaltensmöglichkeiten
verboten oder eingeschränkt, reagieren sie mit Reak-
tanz, mit Blindwiderstand, zeigen Trotzreaktionen in
unterschiedlichsten Formen und leisten offen oder          18. Reaktanz gegen Compliance
verdeckt aktiven oder passiven Widerstand.47 Mit der       auf Vorstandsebene
Reaktanztheorie lässt sich der Widerstand erkennen,
erklären und vor allem überwinden.                          Vorstände und Geschäftsführer haben die Legalitäts-
 Auf allen Ebenen im Unternehmen schränken Rechts-         pflicht zu erfüllen. Sie müssen sich
pflichten Handlungsfreiheiten ein. Vorstände und Ge-
schäftsführer, Betriebsleiter, Führungskräfte, weisungs-   • erstens selbst legal verhalten und
befugte und weisungsabhängige Mitarbeiter werden
dem gleichen Reflex ausgesetzt, den alle Pflichtenträ-     • zweitens dafür sorgen, dass sich ihre Mitarbeiter
ger für ihre jeweiligen speziellen Pflichten empfinden       ebenfalls legal verhalten.49
müssen. Bei allen Pflichtenträgern unabhängig von der
Art ihrer Pflichten wird die gleiche Motivation ge-         Selbst Vorstände und Geschäftsführer sind dem ur-
weckt, sich gegen einschränkende Pflichten zu wehren,      menschlichen Reflex der Reaktanz gegen die Vielzahl
ihre Freiheiten ganz oder zum Teil wiederherzustellen,     von einengenden Rechtspflichten ausgesetzt, die ein
indem sie aktiven Widerstand leisten und Rechts-           Unternehmen einzuhalten hat.
pflichten nicht einhalten oder durch passiven Wider-
stand Pflichten umgehen, vermeiden, ihre Geltung be-         Trotz der zu erwartenden natürlichen, menschlichen,
streiten, die Akzeptanz verweigern, die Ausnahme von       inneren Widerstände haben Vorstände die Pflicht, ein
der Regel suchen, Compliance nachrangig betreiben,         Compliance-Management-System im Unternehmen
andere Prioritäten setzen, Compliancemaßnahmen aus         einzuführen und zu praktizieren. Alle Entscheidungen
vorgeschobenen Gründen aufschieben, statt die Pflich-      zu Compliancemaßnahmen sind von Vorständen und
ten des Unternehmens konsequent und systematisch zu        Geschäftsführern zu treffen.50 Sie sind verpflichtet, alle
erfüllen und erfüllen zu lassen.                           Informationen über Risiken und die Rechtspflichen
                                                           zur Risikoabwehr sich selbst zu beschaffen und dabei
                                                           alle verfügbaren Informationsquellen auzuschöpfen.51
17. Die Überwindung von Widerstän-                         Sie sind außerdem verpflichtet, das Pflichtwissen im
den gegen Compliancemaßnahmen                              Unternehmen zu Risiken und Rechtspflichten zu er-
                                                           mitteln, zu speichern und zur Abfrage durch alle Mit-
als Leitungsaufgabe und als Chefsache
                                                           arbeiter verfügbar zu halten.52 Sie haben schließlich die
  Widerstände gegen Compliance müssen überwun-             Organisationspflicht, alle Rechtspflichten des Unter-
den werden, nachdem sie als urmenschlichen Reflex          nehmens auf Mitarbeiter zu delegieren, deren Erfül-
nach der Reaktanztheorie erkannt werden können.            lung anzuordnen, zu kontrollieren und zu dokumen-
Mit Widerstand müssen Vorstände und Geschäfts-             tieren.
führer rechnen und als Organisationsrisiko einkal-
kulieren. Reaktanz darf nicht passiv hingenommen,           Sechs unverzichtbare Organisationspflichten sind
sondern muss aktiv überwunden werden. Die organi-          systematisch ausführen zu lassen. Der BGH hat in
satorischen Mittel sind die Organisationspflichten aus     etwa 60 Entscheidungen zum Organisationsverschul-
der Rechtsprechung zum Organisationsverschulden.           den Organisationspflichten in Einzelfällen formuliert.
Aus einer Vielzahl von Einzelfällen ergeben sich Or-       Sie sind in einem Compliance-Management-System
ganisationspflichten, deren Verletzung zum Organisa-       einzuhalten.53
tionsverschulden führt. Nach ständiger und einhelliger
Rechtsprechung müssen Organisationspflichten vom            Vorstände und Geschäftsführer müssen als Vorbilder
Unternehmen, vertreten durch ihre Vorstände und Ge-        für legales Verhalten mit gutem Beispiel vorangehen
schäftsführer                                              und dürfen dem Reflex der Reaktanz gegen Compliance
                                                           nicht nachgeben, sondern müssen ihn erkennen und für

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