Corona drückt auf viele Einkommen - Schwere Zeiten für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer - Arbeitnehmerkammer ...
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— 48 Jörg Muscheid Corona drückt auf viele Einkommen Schwere Zeiten für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer In aller Kürze: Kurzarbeitergeld für Niedrig verdiener: An der Grenze zum Existenzminimum Der massive Einsatz von Kurzarbeit infolge der wirtschaftlichen Fol- gen der Corona-Pandemie hat die Arbeitswelt im Jahr 2020 geprägt. Kurzarbeit sichert Arbeitsplätze, hat aber für die Erstmals seit Jahren gehen die Einkommen der Arbeitnehmerinnen betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Arbeitnehmer zurück: Im zweiten Quartal 2020 war ein Minus empfindliche Einbußen zur Folge. Angesichts der von 5,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zu verzeichnen. Vor allem überdurchschnittlich hohen Löhne im Land Bremen Beschäftigte mit niedrigen Löhnen sind erheblich betroffen. Es ist mag das auf den ersten Blick verkraftbar erschei- zu befürchten, dass 2020 nur den Beginn schwerer Zeiten für viele nen, doch ist das eben nur ein „Durchschnittswert“ Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer markiert. Daher bedarf es über alle Branchen und Qualifikationen. Dahinter unter anderem einer Stärkung der Tarifbindung, einer offensiven Min- verbergen sich massive Unterschiede zwischen den destlohnpolitik sowie einer Qualifizierungsoffensive zur Bewältigung Verdiensten in den einzelnen Branchen wie auch des Strukturwandels. zwischen hoch und niedrig qualifizierten Beschäf- tigten. Vor allem die vielen Tausend Beschäftig- ten in den schlecht bezahlten Branchen Gastrono- mie und Handel mussten Einkommenseinbußen hinnehmen. Ein Koch oder eine Köchin in Voll- zeitbeschäftigung verdient „normalerweise“ rund Das vergangene Jahr stand ganz im Zeichen 2.280 Euro, eine Servicekraft in der Gastronomie der Corona-Pandemie mit seinen schlimmen Aus- rund 1.840 Euro, ein Verkäufer oder eine Verkäufe- wirkungen. Auch in der Wirtschaft und auf dem rin im Einzelhandel rund 2.450 Euro.2 Bei solchen Arbeitsmarkt hat diese Pandemie bereits jetzt deut- Bruttoverdiensten verbleiben netto für einen Allein- liche Spuren hinterlassen, die ohne den massiven stehenden nur rund 1.330 Euro bis 1.670 Euro. Vor Einsatz von finanziellen Hilfen des Staates deut- diesem Hintergrund ist zu befürchten, dass mit dem lich gravierender ausgefallen wären. Arbeitsmarkt- Kurzarbeitergeld viele Niedrigverdienerinnen und politisch war Kurzarbeit das Mittel der Wahl: Über -verdiener an die Grenze des Existenzminimums 70.000 Beschäftigte waren im April und Mai im geraten. Land Bremen in Kurzarbeit. Für die Situation auf dem Arbeitsmarkt hat die Kurzarbeit, die 2020 Ein zweiter Aspekt kommt in diesem Zusammen- in einem historisch einmaligen Ausmaß genutzt hang zum Tragen: Nur wenige Unternehmen wie wurde, viele Tausend Arbeitsplätze zunächst erhal- Daimler oder Airbus stocken das Kurzarbeitergeld ten können.1 1 Vgl. zu den Auswirkungen ausführlich Jathe/ 2 Vgl. Entgeltatlas der Bundesagentur für Arbeit. Geraedts (2020). Jeweils Mittelwert, Stand Dezember 2019.
— 01 Arbeit, Wirtschaft und Finanzen — 49 auf. Eine erste Auswertung des Wirtschafts- und die Bedeutung von Teilzeitbeschäftigung und Mini- Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) für die jobs für den Arbeitsmarkt wie auch gerade für den aktuelle Situation in Deutschland macht deutlich, Niedriglohnbereich verkannt werden: Betrach- dass vor allem Beschäftigte, die tarifvertraglich tet man die Stundenlöhne, reicht nach Berechnun- abgesichert sind, eine Aufstockung erhalten; rund gen des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ)4 die 58 Prozent im Vergleich zu lediglich 34 Prozent der Spanne von „nur“ 10,7 Prozent in Hamburg bis hin Beschäftigten in Unternehmen ohne Tarifbindung.3 zu 34,1 Prozent in Thüringen. Damit ist der Nied- Es ist zudem zu vermuten, dass vor allem größere riglohnsektor in Deutschland – unter Einbeziehung Unternehmen dazu in der Lage sind. Aber gerade aller Jobs – einer der größten in der Europäischen Branchen wie der Handel haben eine geringe Tarif- Union. Hinsichtlich der Verdienstunterschiede bei bindung und sind vor allem von kleinen und mittle- Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten wird daher auf ren Unternehmen geprägt. den Bericht zur Lage der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer 2019 verwiesen.5 Im Folgenden sollen daher kurz die allgemeine Ein- kommensentwicklung sowie die Branchenverdienste dargestellt werden, bevor der Aspekt der Niedrig- lohnbeschäftigung eingehender thematisiert wird. Der Fokus liegt dabei in diesem Artikel durchgän- gig auf den Vollzeitbeschäftigten. Damit soll nicht 4 Vgl. Institut Arbeit und Qualifikation (2020). Berech- net auf Basis des sozioökonomischen Panels SOEP für das Jahr 2018. 3 Vgl. WSI-Verteilungsbericht (2020). 5 Vgl. Muscheid (2019).
— 50 — Bericht zur Lage 2021 Im Ländervergleich ist Bremen nach Im Vergleich zu den anderen „alten“ Bundeslän- wie vor überdurchschnittlich dern liegen die bremischen Bruttomonatsverdienste der Vollzeitbeschäftigten in der unteren Hälfte; die Wie sieht die aktuelle Situation aus? Vollzeitbe- Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verdienen schäftigte mit Bremen als Arbeitsort verdienten im hier rund 230 Euro mehr als in Niedersachsen, aber zweiten Quartal 2020 durchschnittlich 3.898 Euro weniger als in den beiden anderen Stadtstaaten. monatlich. Hinzu kamen rund 422 Euro pro Monat an Sonderzahlungen. Im Ländervergleich zei- gen sich nach wie vor deutliche Unterschiede zwi- schen den „alten“ und den „neuen“ Bundesländern. Abbildung 1: Durchschnittliche Bruttomonatsverdienste von Vollzeitbeschäftigten im Bundesländervergleich 2. Quartal 2020 (ohne Sonderzahlungen) Hamburg 4.365 € Hessen 4.219 € Bayern 4.054 € Baden-Württemberg 4.050 € Berlin 4.013 € Nordrhein-Westfalen 3.946 € Bremen 3.898 € Deutschland 3.868 € Rheinland-Pfalz 3.715 € Niedersachsen 3.670 € Schleswig-Holstein 3.612 € Saarland 3.487 € Brandenburg 3.291 € Sachsen-Anhalt 3.259 € Sachsen 3.207 € Mecklenburg-Vorpommern 3.119 € Thüringen 3.097 € 0 500 1.000 1.500 2.000 2.500 3.000 3.500 4.000 4.500 5.000 Quelle: Statistisches Bundesamt © Arbeitnehmerkammer Bremen
— 01 Arbeit, Wirtschaft und Finanzen — 51 Enorme Verdienstunterschiede in den gut bezahlte Arbeitsplätze anbieten. Arbeitsplätze, Branchen die zudem überwiegend tarifvertraglich abgesi- chert sind. Im Durchschnitt aller Industriebranchen Hinter den „durchschnittlichen“ Bruttoverdiens- erzielen Vollzeitbeschäftigte ein Einkommen von ten verbergen sich deutliche Unterschiede zwi- 4.099 Euro. Das sind rund 270 Euro mehr als im schen den einzelnen Branchen. Im Bundesvergleich Durchschnitt der Dienstleistungsbranchen. Hier gibt ist das Land Bremen vor allem bei den industriel- es zwar auch Branchen mit hohen Löhnen, wie zum len Arbeitsplätzen stark aufgestellt: In der Industrie Beispiel die Finanzdienstleistungen, bei den Dienst- finden sich eine ganze Reihe von Global Playern leistungen sind aber auch viele Branchen mit deut- wie Daimler, Airbus, ArcelorMittal, OHB etc., die lich unterdurchschnittlicher Bezahlung.6 Abbildung 2: Durchschnittliche Bruttomonatsverdienste von Vollzeitbeschäftigten im Land Bremen nach Branchen im 2. Quartal 2020 (ohne Sonderzahlungen) Finanzen und Versicherungen 4.822 € Herstellung von Metallerzeugnissen 4.724 € Erziehung und Unterricht 4.644 € Information und Kommunikation 4.478 € Unternehmensnahe Dienstleistungen 4.403 € Gesundheits- und Sozialwesen 4.294 € Grundstücks- und Wohnungswesen 4.224 € Großhandel 4.198 € Öffentliche Verwaltung 4.143 € Verarbeitendes Gewerbe 4.099 € Insgesamt 3.898 € Dienstleistungsbereich 3.829 € Logistik 3.672 € Baugewerbe 3.604 € Herstellung von Glas und Keramik 3.198 € Herst. von Gummi- und Kunststoffwaren 2.898 € Post- und Kurierdienste 2.597 € 0 1.000 2.000 3.000 4.000 5.000 Quelle: Statistisches Landesamt Bremen © Arbeitnehmerkammer Bremen 6 In einzelnen Branchen gibt es auf Landesebene ver- gleichsweise wenige Fallzahlen, sodass die Aussagekraft zum Teil deutlich eingeschränkt ist, die betrifft zum Bei- spiel die Gastronomie, den Einzelhandel und sonstige Dienstleistungen. Diese Branchen werden hier nicht im Detail dargestellt.
— 52 — Bericht zur Lage 2021 Gender Pay Gap nach wie vor hoch Kinderbetreuung über familiäre Unterstützung bis hin zur häuslichen Pflege, was sich in beruflicher Der Gender Pay Gap liegt in Deutschland bei rund Hinsicht in einem hohen Anteil an Teilzeitbeschäf- 21 Prozent; im Land Bremen ist er aufgrund der tigung, Brüchen in der Berufsbiografie etc. nieder- Wirtschaftsstruktur mit 22 Prozent geringfügig schlägt. Der Blick auf die Branchen im Land Bremen höher. Insgesamt ist er in den letzten Jahren lang- zeigt deutliche Unterschiede bei den Stundenlöhnen sam gesunken, aber nach wie vor leisten Frauen den und damit beim Verdienst für Frauen und Männer: Hauptteil der sogenannten Care-Arbeit – von der Sie sind am höchsten bei den Unternehmensdienst- leistungen, am niedrigsten in der Gastronomie. Abbildung 3: Abstand der Stundenlöhne von Frauen zu Männern im Land Bremen, 2. Quartal 2020 nach Wirtschaftszweigen (ohne Sonderzahlungen) Unternehmensdienstleistungen −24,9 % Gesundheits- und Sozialwesen −23,1 % Erbringung von Finanz- und −22,1 % Versicherungsdienstleistungen Handel −20,2 % Information und Kommunikation −19,7 % Grundstücks- und Wohnungswesen −19,4 % Erbringung von sonstigen −17,1 % wirtschaftlichen Dienstleistungen Verarbeitendes Gewerbe −16,2 % Erziehung und Unterricht −15,2 % Dienstleistungsbereich insgesamt −14,8 % Verkehr und Lagerei −13,8 % Öffentliche Verwaltung, −6,0 % Verteidigung, Sozialversicherung Gastgewerbe −2,0 % −30 % −25 % −20 % −15 % −10 % −5 % 0% Quelle: Statistisches Landesamt Bremen © Arbeitnehmerkammer Bremen
— 01 Arbeit, Wirtschaft und Finanzen — 53 Ausgeprägter Niedriglohnsektor im und Arbeitnehmer im Niedriglohnbereich. Nach Land Bremen der Definition der OECD gilt als Beschäftigter im Niedriglohnbereich, wer bei einer Vollzeittätigkeit Wie bereits eingangs betont, sind niedrige Löhne in weniger als zwei Drittel des mittleren Entgelts aller Deutschland weitverbreitet. Aber auch wenn man sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten die Teilzeitbeschäftigten sowie Minijobberinnen erzielt. Der Schwellenwert für den Niedriglohn der und -jobber außer Acht lässt und nur die „Normal- Vollzeitbeschäftigten liegt aktuell bei 2.267 Euro im arbeitsverhältnisse“, also die Vollzeitarbeitsplätze, Monat. In Deutschland verdient nahezu jeder fünfte betrachtet, finden sich viele Arbeitnehmerinnen Beschäftigte (18,8 Prozent) weniger. Abbildung 4: Vollzeitbeschäftigte im Niedriglohnbereich 2019, Anteil an allen Vollzeitbeschäftigten in Prozent 22,0 % 20,9 % 20,0 % 18,8 % 18,0 % 16,4 % 16,0 % 14,0 % 12,0 % 10,0 % Deutschland Bremen Bremerhaven Quelle: Sonderauswertung der Bundesagentur für Arbeit © Arbeitnehmerkammer Bremen Auch im Hinblick auf Niedriglöhne zeigen sich im Vergleichsstädten von Bremen reicht von 17,9 Pro- Übrigen deutliche Unterschiede zwischen Männern zent in Dortmund bis hin zu 9,2 Prozent in Stutt- und Frauen: Während bundesweit nur 15,5 Prozent gart. Im Vergleich mit den westdeutschen Großstäd- der vollzeitbeschäftigten Männer einen Niedriglohn ten liegt Bremen damit im oberen Drittel. erhalten, ist es bei den Frauen jede Vierte (25,8 Pro- zent), die für einen Niedriglohn arbeitet. Nur geringe Fortschritte beim Abbau von Niedrig- löhnen konnten in den vergangenen Jahren erzielt werden. Während die Entwicklung des Niedriglohn- Stand und Entwicklung: Bremen im bereichs in den letzten Jahren in Deutschland rück- Städtevergleich läufig war und die Quote von 21,1 Prozent 2011 auf 18,8 Prozent 2019 sank, verzeichnete die Stadt Beim Niedriglohnbereich gibt es große regionale Bremen in diesem Zeitraum nur einen leichten Unterschiede zwischen den Bundesländern wie Rückgang von 0,6 Prozentpunkten. Der Vergleich auch zwischen den Städten. Wie sieht die Situa- Bremens mit anderen Großstädten zeigt die unter- tion im Land Bremen aus? Die aktuelle Sonderaus- schiedliche Dynamik in den einzelnen Städte, wobei wertung der Bundesagentur für Arbeit zeigt für vor allem die Städte in den neuen Bundesländern die Stadt Bremen einen Niedriglohnbereich von profitieren konnten. 16,4 Prozent. Die Spanne bei den ähnlich großen
— 54 — Bericht zur Lage 2021 Abbildung 5: Bremen im Städtevergleich: Entwicklung des Niedriglohnbereichs seit 2011 in Prozentpunkten −8,8 % Leipzig −7,8 % Dresden −6,5 % Berlin −2,0 % Hamburg −1,9 % München −1,9 % Köln −1,7 % Stuttgart −0,7 % Nürnberg −0,7 % Frankfurt a. M. −0,6 % Bremen −0,4 % Düsseldorf 0,2 % Dortmund 0,6 % Essen 1,4 % Duisburg −10,0 % −8,0 % −6,0 % −4,0 % −2,0 % 0,0 % 2,0 % Quelle: Sonderauswertung der Bundesagentur für Arbeit 2020 © Arbeitnehmerkammer Bremen Stand und Entwicklung: Bremer haven im Städtevergleich Deutlich schlechter als in Bremen sieht die Situation in Bremerhaven aus. Bremerhaven verzeichnet aktu- ell 20,9 Prozent Beschäftigte mit Niedriglohn und liegt damit an der Spitze der ähnlich großen west- deutschen Vergleichsstädte. Wilhelmshaven liegt an zweiter Stelle mit einem Anteil von 20,8 Prozent; den niedrigsten Wert der Vergleichsstädte hat Salz- gitter mit einem Anteil von 10,3 Prozent. „Bei der Entwicklung des Auch bei der Entwicklung des Niedriglohnsek- tors kann keine Entwarnung gegeben werden. Die Niedriglohnsektors kann keine stärksten Rückgänge verzeichneten auch hier die Entwarnung gegeben werden.“ ostdeutschen Vergleichsstädte. Bei den westdeut- schen Städten war das Bild uneinheitlich, wie die Abbildung 6 zeigt. Bremerhaven verzeichnet hier sogar eine Zunahme des Niedriglohnbereichs um 1,6 Prozentpunkte seit 2011.
— 01 Arbeit, Wirtschaft und Finanzen — 55 Abbildung 6: Bremerhaven im Städtevergleich: Entwicklung des Niedriglohnbereichs seit 2011 in Prozentpunkten −9,5 % Jena −6,5 % Schwerin −5,6 % Cottbus −1,6 % Osnabrück −1,1 % Oldenburg −1,0 % Fürth −1,0 % Koblenz −0,7 % Salzgitter −0,6 % Pforzheim −0,6 % Remscheid 0,2 % Wilhelmshaven 0,7 % Würzburg 1,6 % Bremerhaven 3,1 % Offenbach 3,4 % Bottrop −12,0 % −10,0 % −8,0 % −6,0 % −4,0 % −2,0 % 0,0 % 2,0 % 4,0 % 6,0 % Quelle: Sonderauswertung der Bundesagentur für Arbeit 2020 © Arbeitnehmerkammer Bremen 2020 erstmals deutlicher Rückgang Teil durch das Kurzarbeitergeld abgefedert. Betrof- der Löhne fen davon waren im Land Bremen im April und Mai rund 70.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen also jeder fünfte Beschäftigte. Sie befanden sich der letzten Jahre waren günstig für die Lohnent- mindestens teilweise in Kurzarbeit.7 wicklung. Neben der stabilen Konjunkturentwick- lung hatten vor allem die niedrige Inflation und In diesem Zusammenhang muss allerdings berück- gute Tarifabschlüsse dazu geführt, dass der Trend sichtigt werden, dass es sich beim Lohnrückgang wieder nach oben gezeigt hat. von 4,9 Prozent um einen Durchschnittswert han- delt. Wie bereits eingangs betont, sind Branchen Vor diesem Hintergrund waren in den letzten Jah- wie die Gastronomie, der Einzelhandel, die Kultur ren stets Verdienstzuwächse zu verzeichnen. Auch etc. besonders betroffen; andere dagegen kaum, wie noch im ersten Quartal 2020 war die Entwicklung der Blick auf die unterschiedlichen Leistungsgrup- positiv. Der Lockdown im Zusammenhang mit der pen deutlich macht. Corona-Pandemie hat im zweiten Quartal 2020 im Land Bremen wie in Deutschland insgesamt zu einem Rückgang der Löhne geführt: nominal um 4,9 Prozent. Der Hauptgrund für diese Entwicklung ist der Rückgang der bezahlten Wochenstunden. Die finanziellen Verluste werden dabei nur zum 7 Zahlen für den Herbst/Winter 2020 lagen bei Redak- tionsschluss noch nicht vor.
— 56 — Bericht zur Lage 2021 Abbildung 7: Lohnentwicklung 2016 bis 2020 Veränderung des Nominallohnindex (2015 = 100) gegenüber dem Vorjahreszeitraum in Prozent 6,0 % 4,4 % 4,0 % 3,0 % 2,6 % 1,7 % 2,0 % 0,0 % 2016 2017 2018 2019 2020 −2,0 % −4,0 % −6,0 % −4,9 % Quelle: Statistisches Landesamt Bremen; 2020: 2. Quartal © Arbeitnehmerkammer Bremen Vor allem Niedriglohnbezieher ver- Ausblick: Die Krise hat erst begonnen dienen weniger Nach den Lockerungen im Sommer 2020 gibt es Besonders betroffen sind die unteren Leistungs- aktuell wieder weitreichende Kontaktbeschränkun- gruppen: die Ungelernten und Angelernten. Bei den gen, die sich letztlich auch bei den Einkommen der Ungelernten betrug der Rückgang der nominalen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer niederschla- Löhne im zweiten Quartal 2020 14,2 Prozent gegen- gen werden. Nach einem weiteren leichten Rück- über dem Vorjahr, bei den angelernten Arbeitneh- gang im dritten Quartal ist schon jetzt absehbar, merinnen und Arbeitnehmern sogar 17,9 Prozent. dass die negative Lohnentwicklung sich verstärkt Die Werte sind fast doppelt so hoch wie im Bun- auch im vierten Quartal 2020 und im ersten Quartal desdurchschnitt (minus 7,4 Prozent bei den Unge- 2021 fortsetzen wird, von den mittel- und langfristi- lernten beziehungsweise minus 8,9 Prozent bei den gen Folgen ganz abgesehen. Angelernten). Der negativen Lohnentwicklung und der sich Fachkräfte haben einen Rückgang von 3,9 Pro- abzeichnenden Zunahme der Lohnungleichheit zent (Bund: minus 4,8 Prozent) zu verzeichnen. Am sollte entgegengewirkt werden. Wichtigstes Instru- geringsten waren die Lohneinbußen bei den heraus- ment zur Reduzierung von Lohnungleichheit ist die gehobenen Fach- und Führungskräften mit minus Stärkung der Tarifbindung. Sie sollte durch umfas- 2,7 Prozent (Bund: minus 2,4 Prozent beziehungs- sende Tariftreueregelungen bei öffentlicher Auf- weise minus 2,0 Prozent). tragsvergabe und erleichterten Voraussetzungen für die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarif- verträgen gestützt werden (siehe Artikel „Erosion der Tarifbindung im Land Bremen“ in diesem Band). Außerdem gilt es, durch eine offensive Mindest- lohnpolitik auf Bundes- und Landesebene die Löhne im unteren Einkommensbereich zu stützen. Daher ist die Erhöhung des Landesmindestlohns auf 12 Euro ein richtiger Schritt. Die Dynamik bei der Entwicklung des Bundesmindestlohns lässt aller- dings deutlich zu wünschen übrig.
— 01 Arbeit, Wirtschaft und Finanzen — 57 Abbildung 8: Lohnenwicklung im 2. Quartal 2020 nach Leistungsgruppen Nominallohnindex, Veränderungsrate gegenüber dem Vorjahresquartal Arbeitnehmer in −2,7 leitender Stellung −2,7 Herausgehobene Fachkräfte −3,9 Fachkräfte −17,9 Angelernter Arbeitnehmer −14,2 Ungelernte Arbeitnehmer −20,0 −18,0 −16,0 −14,0 −12,0 −10,0 −8,0 −6,0 −4,0 −2,0 0,0 Quelle: Eigene Berechnung © Arbeitnehmerkammer Bremen Zudem muss gesehen werden, dass die wirtschaft- Gleichwohl darf die Frage nicht aus dem Blickfeld lichen Ausgangsbedingungen in der Corona-Pan- geraten, ob die aktuellen wirtschaftlichen Auswir- demie zwischen den Bundesländern ungleich kungen nur eine kurzfristige Zäsur darstellen, wie verteilt sind. Das Land Bremen hat seine struktu- es in einigen Modellrechnungen bislang angenom- rellen Schwächen in den letzten Jahren nur teil- men wird. Vor dem Hintergrund der weltweiten weise überwunden. Einzelne positive Entwicklun- Betroffenheit und der nach wie vor unzureichenden gen haben im Ergebnis nicht zu einer nachhaltigen Kenntnis über die Dauer der Pandemie sind auch Erholung geführt. Der Blick auf den Zeitraum der längerfristige Probleme denkbar, zumal der lang Finanzkrise 2008 bis 2019 macht deutlich: Bremen anhaltende konjunkturelle Aufschwung bereits 2019 ist abgekoppelt von der durchschnittlichen Entwick- sein Ende gefunden hat. Ein wichtiges Instrument lung bei Wirtschaft und Beschäftigung; im Vergleich zur Flankierung der Pandemie und des Struktur- der Bundesländer belegt Bremen einen der hinte- wandels wäre eine präventive und proaktive Wei- ren Plätze. Zudem ist der Anteil prekärer Beschäfti- terbildungsoffensive für Beschäftigte und Arbeits- gung im Land Bremen besonders hoch, wie auch die lose, die insbesondere Geringqualifizierte und Abhängigkeit der Wirtschaft von der weltwirtschaft- Beschäftigte in Krisenbranchen adressiert. lichen Lage. Mit den beschlossenen Hilfsprogrammen von Bund und Ländern ist ein wichtiger Schritt vollzogen worden, um den Angebots- und Nachfrageschock infolge der Corona-Pandemie zu mindern und Per- spektiven auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen.8 8 Dazu ausführlich „Arbeitnehmerorientierte Politik in und nach der Krise – Impulse für einen Bremen-Fonds“; Stellungnahme der Arbeitnehmerkammer Bremen, Mai 2020.
— 58 Literatur Institut Arbeit und Qualifikation (2020): IAQ zum Nied- riglohnsektor in Deutschland. Enorme Spanne zwischen den Ländern. Pressemit- teilung vom 11.11.2020. Jathe, Jan/Geraedts, Regine (2020): Corona und die Fol- gen – Auswirkungen auf die Arbeitswelt im Land Bremen. KammerKompakt Nr. 4 Ausgabe Dezember 2020, Arbeitnehmerkammer Bremen (Hrsg.). Muscheid, Jörg (2019): Niedrige Inflation, steigende Tarifabschlüsse: 2018 war ein gutes Jahr. In: Arbeit- nehmerkammer Bremen (Hrsg.), Bericht zur Lage der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Land Bre- men 2019, S. 43–50. https://arbeitnehmerkammer.de /fileadmin/user_upload/Downloads/Jaehrliche_Publi kationen/Lagebericht_2019_Muscheid_Jahr_2018.pdf. Zugriff am 17.02.2021. WSI-Verteilungsbericht (2020): Die Einkommensun- gleichheit wird durch die Corona-Krise noch weiter verstärkt.
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