Corona-Tagebuch eines Trainers - Klaus Doll

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Corona-Tagebuch eines Trainers - Klaus Doll
training und coaching

  Corona-Tagebuch eines
  Trainers
  KRISENPROTOKOLL. In den zurückliegenden Monaten mussten die meisten (Solo-)
  Trainer coronabedingt ihr Business neu ausrichten. Der Organisationsberater und
  Managementtrainer Klaus Doll aus Neustadt an der Weinstraße hat seine persönliche
  Entwicklung, die er zwangsläufig durchlief, für „Wirtschaft + Weiterbildung“ mit einem
  Schuss Selbstironie beschrieben.

  24. Januar 2020: Ich sitze am Freitag-       Wohnort Neustadt an der Weinstraße ent-     senen Infektionen die Städte im Norden
  abend in meinem Büro und plane die           fernt.                                      ab und erlässt weitreichende Ausgangs-
  kommende Arbeitswoche. Im Hinter-            27. Januar: Die erste erfasste Corona-Er-   beschänkungen. Ich sage zu meiner Frau
  grund dudelt ein Radio-Sender. Beim          krankung in Deutschland wird aus dem        Nikola: „Das ist ja krass, was da in Italien
  Blick in meinen Kalender bin ich zufrie-     Landkreis Starnberg gemeldet, und ein       passiert.“ Nachdenklich schaue ich aus
  den: Meine Grundauslastung für das Jahr      Kunde spricht mich erstmals beim Telefo-    dem Fenster und registriere: In der „deut-
  stimmt. Außerdem sind ausreichend neue       nieren beiläufig auf Corona an.             schen Toskana“, also an der Deutschen
  Projekte in der Pipeline. Meine Kunden                                                   Weinstraße, blühen vermutlich bald die
  wollen mehr von mir und empfehlen            Das Unbekannte rückt auf                    ersten Mandelbäume.
  mich weiter.                                 einmal näher                                27. Februar: Der neu eingerichtete Co-
  Während ich in meinen Kalender blicke,                                                   rona-Krisenstab der Bundesregierung
  höre ich im Radio nebenbei: Das neuar-       15. Februar: Frankreich meldet den ersten   tagt erstmals. Die Reisemesse ITB wird
  tige Corona-Virus hat Europa erreicht. In    Todesfall in Europa. Größere Gedanken       abgesagt. Die Schweiz verbietet Veran-
  Frankreich gibt es die ersten bestätigten    mache ich mir darüber nicht. Schließlich    staltungen mit mehr als 1.000 Menschen.
  Erkrankungsfälle. Beunruhigen tut mich       stirbt permanent jemand auf dieser Welt.    Allmählich wird mir klar: Ein größeres
  dies nicht. Dabei ist die französische       23. Februar: Italien riegelt aufgrund der   Problem kommt auf uns zu, zumal inzwi-
  Grenze nur 30 Kilometer von meinem           rasant steigenden Zahl der nachgewie-       schen bei vielen Unternehmen – zum Bei-

      Klaus Doll. Drei
        Tage übte der
      Trainer intensiv
   mit einem Tool für
   Videokonferenzen
    bis er mit Online-
     Teamcoachings
             startete.
                         Fotos: privat

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spiel ZF, BMW und Wacker – die ersten           als Coach arbeitet, hat im Gegensatz zu
Mitarbeiter erkrankten und immer mehr           mir, keine Auftragsstornierungen. Im
Kunden das Thema im Gespräch mit mir            Gegenteil! Die Coaching-Anfragen schei-
erwähnen.                                       nen coronabedingt sogar zu steigen. Der
2. März: Der erste Kunde fragt bei mir an,      Grund: Sie coacht primär Einzelpersonen
ob wir einen für Ende April geplanten           und Paare – und diese häufig auch per Te-
Führungskräfte-Workshop corona-be-              lefon sowie mit solchen Tools wie Teams,
dingt verschieben können: Wir verschie-         Facetime und Zoom. Diese Arbeitsform
ben ihn.                                        ist deshalb weder für sie, noch ihre Kli-
9. März: Italien erklärt wegen der hohen        enten neu. Auch ich habe in den letzten
Zahl der Corona-Infizierten das ganze           Jahre schon „bei Bedarf“ Einzelcoachings
Land zur Sperrzone. Der Dax verzeichnet         per Telefon und Skype durchgeführt.
aufgrund dieser Nachricht den höchsten          Forciert habe ich dieses „Business“ aber
Tagesverlust seit den Terroranschlägen          nicht. Und inwieweit dies auch mit Grup-
vom 11. September 2001. Beunruhigt              pen klappt, was schließlich meine über-
frage ich mich: Was rollt da auf uns zu?        wiegende Arbeit ausmacht, das muss ich
Welche Auswirkungen hat dies auf meine          noch herausfinden.
Arbeit? Mir wird bewusst, wie fragil un-                                                     Nikola Doll. Die Ehefrau arbeitet ebenfalls
sere Lebenskonstrukte sind und wie rasch        Erste eigene Online-Produkte                 als Trainer und Coach und hatte bereits
sich vieles in kurzer Zeit ändern kann.         erblicken das Licht der Welt                 gute Erfahrungen mit Online-Coaching.
Erstmals verspüre ich Sorgen um die Ge-
sundheit meiner Familie.                        16. März: Ich habe von der für Video-
13. März: Seit gestern moderiere ich            Konferenzen und Online-Trainings mit         raschend, wie gut Training und Beratung
einen Workshop bei einem meiner ältes-          mehreren Teilnehmern benötigten Tech-        über dieses Medium funktioniert.“ Völlig
ten Kunden im Schwabenland. „Corona“            nik noch wenig Ahnung. Also treffe ich       platt falle ich ins Bett.
ist sehr nahegerückt. Es werden keine           mich mit einem befreundeten IT-Dienst-       20. März: Meine ersten Online-Produkte
Hände mehr geschüttelt. Wie ungewohnt!          leister und lasse mich von ihm beraten.      stehen, auch ihre Beschreibungen sind
Zugleich wird jedoch viel spekuliert. Auf       Ich beauftrage ihn, das nötige Equipment     weitgehend formuliert. Aber auf meiner
der Heimreise suche ich gezielt ein lee-        für mein Büro zu besorgen, damit ich zu-     Webseite findet man von meinen digita-
res Zugabteil auf. Meine Frau ruft an und       mindest technisch einsatzfähig bin. Zeit-    len Angeboten noch keine Spur. Zudem
berichtet: Ab kommender Woche sind in           gleich entwerfe ich erste Konzepte, wie      weiß ich nicht, wie ich mit diesen außer
Rheinland-Pfalz die Schulen, Kitas und          ich meine Angebote online durchführen        meinen Stammkunden, eventuell auch
womöglich auch Geschäfte, die keine Le-         könnte. Ich verspüre eine große Unsicher-    einige Neukunden erreiche. Also kon-
bensmittel verkaufen, geschlossen.              heit. Und insbesondere nachts beschäfti-     taktiere ich Bernhard Kuntz von der
Also müssen meine Frau und ich mehr             gen mich Fragen wie: Kann ich meine          Marketingagentur „Die ProfilBerater“
Zeit für die Betreuung unserer fünf- und        Familie vor „Corona“ schützen? Kann ich      in Darmstadt. Er erwidert, nachdem ich
zehnjährigen Jungs aufbringen. Da wer-          sie weiter so gut wie in den letzten Jah-    mein Anliegen geschildert habe, lachend:
den wir ganz schön jonglieren müssen,           ren versorgen? Der intensive Austausch       „Na, dann sind Sie vermutlich der einzige
weil wir beide als Berater, Trainer und         mit meiner Frau, man könnte auch ihr         deutsche Berater, der die Krise tatsächlich
Coachs noch recht volle Terminkalen-            Coaching sagen, hilft mir, mich meinen       als Chance nutzt. Die meisten reagieren
der haben. Doch in der letzten Woche            Ängsten zu stellen und die notwendigen       auf die Auftragsstornos mit einem rigiden
stieg die Zahl der Anrufe und Mails von         Veränderungen anzupacken.                    Cost-Cutting.“ Ob die Krise wirklich eine
Kunden mit Auftragsstornierungen oder           17. März: Ich konnte kurzfristig einige      Chance für mich ist?
der Bitte, Termine zu verschieben. Mir          befreundete Manager und Unternehmer          23. März: Der Bund und die Länder ei-
schwant: Bald werde ich mehr Zeit als           dafür gewinnen, mit mir angedachte           nigen sich auf strenge Ausgangs- und
mir vielleicht lieb ist für die Kinderbetreu-   künftige Formate meiner Arbeit und die       Kontaktbeschränkungen: Der sogenannte
ung haben.                                      Konferenztechnik in „Live-Online-Ses-        Lockdown beginnt. Millionen Deutsche
                                                sions“ auszuprobieren. Ich will heraus-      werden über Nacht Kurzarbeiter. Andere
Allmählich bin ich im                           finden, ob ich die Qualität meiner Arbeit    sind nur noch im Homeoffice tätig. Ich
„Krisenmodus“                                   auch „online“ halten kann, bevor ich         bin froh, dass meine Frau und ich in den
                                                diese Angebote meinen Kunden unter-          letzten Jahren einige Euro zur Seite ge-
15. März: Übers Wochenende dachte ich           breite. Es folgen drei arbeitsreiche Tage.   legt haben: Hungern werden wir in den
intensiv darüber nach, wie ich einen Teil       Dann klappt der Umgang mit der Technik       nächsten Monaten nicht. Das ist beruhi-
meiner Trainings- und Beratungsleistun-         und ich verspüre Sicherheit beim Online-     gend.
gen digitalisieren kann, auch weil ich re-      arbeiten. Das Fazit meiner Feedbackpart-     25. März: Ein schon länger geplanter Ter-
gistrierte: Meine Frau Nikola, die primär       ner lautet: „Es ist ungewohnt, doch über-    min für ein Team-Coaching findet erst- R

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training und coaching

R mals per Videokonferenz statt. Ich freue
  mich, dass sich der Kunde, ein internatio-
  nal tätiger Mittelständler, ohne zu zögern,
  darauf eingelassen hat. Seine spontane
  Rückmeldung: „Für unsere Führungs-
  kräfte sind Videokonferenzen nicht neu.
  Warum sollte das Coachen so nicht klap-
  pen? Wir probieren das einfach mal!“.
  Ich bin ein bisschen aufgeregt und froh,
  dass ich mir im Vorfeld viel Zeit zum
  Üben nahm. „Alles lief bestens“, meldet                                                                             Abstimmung. Auch
  mir der Kunde anschließend zurück. Das                                                                              bei Doll wird dis-
  deckt sich mit meinem Gefühl. Puh, ein                                                                              kutiert bevor ent-
  Anfang ist gemacht.                                                                                                 schieden wird. Hier
  26. März: Meine ersten Online-Beratungs-                                                                            geht es um noch
  angebote stehen auf meiner Webseite.                                                                                mehr Social-Media-
  Zudem ist meine erste Pressemitteilung                                                                              Aktivitäten.
  versandt. Auf eine allzu große Reso-
  nanz soll ich jedoch nicht hoffen, warnt
  mich mein Berater. Die Fachzeitschriften       27. März: Heute steht das erste Online-       2. April: Der zweite, nun ganztägige, be-
  könnten die Meldung frühestens in ihren        Training mit einer größeren Gruppe per        zahlten Online-Workshop mit den Füh-
  Mai-Ausgaben veröffentlichen. Zudem            Videokonferenz an. Ich bot allen Teilneh-     rungskräften (!) eines Unternehmens
  sprängen zurzeit sehr viele Berater pa-        mern an, vor dem Termin die Technik           steht an – obwohl mir Kollegen davon
  nisch auf den Online-Zug auf. Deshalb          und die Handhabung mit mir zu checken.        abrieten. Doch ich dachte: Lass‘ es mich
  würden die Print- und Online-Medien mit        Die meisten nehmen das Angebot wahr.          mal ausprobieren. Das Risiko ist über-
  entsprechenden Pressemitteilungen über-        Es gibt Probleme, doch wir können sie         schaubar. Und wer nichts wagt, der
  schwemmt.                                      lösen. Das eigentliche Online-Training        nichts gewinnt. Also konzipierte ich ein
  Das merke ich auch in meinem Mail-Ein-         starten wir komplett und pünktlich. Je        Workshop-Design, bei dem auf Sessions
  gang: Täglich erhalte ich vier, fünf Ein-      länger es dauert, desto sicherer fühle ich    im Plenum Module folgen, bei denen die
  ladungen zu kostenlosen Webinaren von          mich in meiner neuen Rolle als Online-        Teilnehmer entweder allein oder in Grup-
  Beratern, die ich nicht kenne, die mir so      Moderator und -Trainer. Es fängt an, Spaß     penräumen (die gibt es bei „Zoom“) in
  ihre „Solidarität in der Krise“ beweisen       zu machen, und die Kunden sind mit            Zweier- oder Dreier-Teams etwas ausar-
  möchten. Wie werden potenzielle Neu-           dem Ergebnis sehr zufrieden.                  beiten. Und dazwischen gibt es Pausen.
  kunden angesichts dieser Angebotsflut                                                        Dieser Mix funktioniert. Das spüre ich
  auf meine kostenpflichtigen Beratungs-         Hurra: Jetzt bin ich auch ein                 und das bestätigen mir die Teilnehmer –
  angebote reagieren? Ich beschließe, auch       Online-Trainer                                auch wenn man am Design noch feilen
  meine Social-Media-Aktivitäten auszu-                                                        kann. Mein „Learning“ ist: Beim nächs-
  bauen. Von nix kommt nix – das ist klar.       30. März: Ich spreche mit meinem Steu-        tes Mal gibt es mehr (aber dafür kürzere)
                                                 erberater – unter anderem über die im         Pausen.
                                                 Hilfspaket für die Wirtschaft enthaltene      7. April: Interessiert verfolge ich seit Wo-
                                                 Soforthilfe. Die Bundesregierung hatte        chen die allabendlichen Corona-Talkrun-
                                                 sie am 22. März beschlossen. Ich hatte        den im Fernsehen. Fasziniert registriere
                                                 einen sehr guten Start ins Jahr 2020. Also    ich, wie weit die Meinungen und Ein-
                                                 beschließe ich, die Soforthilfe erst einmal   schätzungen solcher Experten wie der
                                                 nicht zu beantragen.                          Virologen bezüglich des „neuartigen“
                                                 Mein Auftragsbestand ist inzwischen           Corona-Virus auseinander gehen und
                                                 zwar drastisch eingebrochen, doch nicht       sich im Zeitverlauf ändern. Und einge-
                                                 alle Aufträge wurden endgültig abgesagt:      keilt zwischen diesen Experten sitzen
                                                 Einige Kunden haben sich auf eine On-         in den Talkshows stets Top-Politiker, die
                                                 line-Arbeit eingelassen und noch habe         aufgrund dieser unsicheren Faktenlage
                                                 ich finanzielle Reserven. Da hat es einige    so weitreichende Entscheidungen wie
                                                 Berufskollegen deutlich schlimmer er-         den Lockdown beschließen müssen: Sie
  Medienecho. Spätestens am 14. März als         wischt. Dass ich die entstandenen Löcher      haben in den zurückliegenden Wochen
  „Der Spiegel“ aufrüttelnd „Sind wir bereit?“   vollumfänglich durch Online-Beratungs-        gewiss mehr als sonst in zwei, drei Legis-
  fragte und auf 80 Seiten über Corona           angebote stopfen kann, daran glaube ich       laturperioden entschieden. Ich verspüre
  berichtete, war die Krise für alle da.         jedoch nicht.                                 parteiübergreifend Bewunderung für sie

  46   wirtschaft + weiterbildung 07/08_2020
Corona-Tagebuch eines Trainers - Klaus Doll
– egal, wie sie heißen. Respekt nötigt mir   entwickelt hat. Unsere Belastung ist           zent vom Bundeswirtschaftsministerium
auch ab, welche Ruhe sie nach einem          hoch, beruflich und privat. Wir können         (BMWi). Abgewickelt wird das Ganze
extrem arbeitsreichen Tag noch in den        aufgrund der fehlenden Kinderbetreuung         über das Bundesamt für Wirtschaft und
abendlichen Talkrunden ausstrahlen – im      nur versetzt arbeiten. Die Zeit, die ich an-   Ausfuhrkontrolle (BAFA). Ich stricke ein
Gegensatz zu einigen Experten und Be-        sonsten in Zügen und im Auto und bei           entsprechendes Beratungsangebot. Paral-
ratern.                                      Kunden verbracht habe, brauche ich für         lel versuche ich die BAFA zu erreichen,
17. April: In den Tagen vor und nach Os-     unsere Jungs, während meine Frau ar-           um zu erfahren, wie man von ihr als Be-
tern habe ich mit einigen Entscheidern in    beitet. Bei allem Improvisieren und aller      ratungsunternehmen akkreditiert wird.
Unternehmen per Videokonferenz „Stra-        Unsicherheit freuen wir uns aber sehr          Doch ich erreiche niemand. Den ganzen
tegieworkshops“ durchgeführt – sofern        darüber, dass wir als Familie und Klein-       Tag ist das Telefon besetzt. Also wühle
man die Workshops so nennen kann,            unternehmer recht gut mit der Situation        ich mich, wie sicher viele meiner Kolle-
denn aktuell haben fast alle Entschei-       klarkommen. Und apropos Jungs: Die             gen, durch die Informationen, die online
dungen eine extrem kurze Halbwertszeit.      spüren natürlich, dass uns viel bewegt.        erhältlich sind.
In ihnen ging es meist darum, wie es in      Ich bin sicher nicht immer der präsente        27. April: Ich habe die nötigen Unterlagen
den Unternehmen weitergeht, nachdem          Vater, der ich gerne wäre, weil mir so         bei der BAFA eingereicht. Wie lange das
die erforderlichen Akut-Maßnahmen,           viele Sorgen im Kopf herumgehen.               Genehmigungsverfahren dauert, kann
zum Beispiel zur Sicherung von deren         20. April: In Deutschland treten die ersten    mir niemand sagen. Schade, ich hätte
                                                                                            das kostenlose Beratungsangebot gerne
                                                                                            als „Goodie“ für einige Stammkunden
„Die wichtigste Frage der Führungskräfte war oft:                                          und Akquiseinstrument bei Neukunden
  Wie gehen wir bloß mit dieser Unsicherheit um?“                                           genutzt.
                                                                                            4. Mai: Ich halte bei meinem Neukun-
                                                                                            den das firmeninterne Online-Training
Liquidität, ergriffen sind. Immer seltener   vorsichtigen Lockerungen der Corona-           „Führung und Zusammenarbeit in Co-
wird von der Zeit „nach der Krise“ ge-       Schutzmaßnahmen in Kraft. Viele Bun-           rona-Zeiten“. Während der Veranstaltung
sprochen, weil klar wird: Ihre Dauer ist     desländer erlauben wieder das Einkaufen        kommt zufällig zur Sprache, dass es bei
unbestimmt. Und häufig taucht die Frage      in Geschäften mit bis zu 800 Quadratme-        der genutzten Software jedem Teilneh-
auf: Wie gehen wir als Führungskräfte        tern Verkaufsfläche. Erschreckt habe ich       mer möglich ist, Mitschnitte zu machen.
mit Unsicherheit um – der eigenen und        in den letzten Tagen registriert, wie all-     Verdammt, das hatte ich nicht auf dem
der von Mitarbeitern? Mir wird zuneh-        mählich wieder das gewohnte inner- und         Radar! Wir versichern uns gegenseitig
mend bewusst, wie weit die Ist-Situation     zwischenparteiische Gezänk beginnt und         nachträglich, davon keinen Gebrauch
bei meinen Kunden auseinander klafft:        die Lobbyisten immer lauter ihre Forde-        zu machen, doch künftig muss ich die-
Während in einer Klinik die Mitarbeiter      rungen artikulieren. Dabei sind seit dem       ses heikle Thema aktiv ansprechen und
aufgrund der vielen Arbeit nicht wissen,     Lockdown gerade mal vier Wochen ver-           klären.
wo ihnen der Kopf steht, und ein Medi-       gangen und zu Recht warnt unsere Bun-          7. Mai: Bei meinen wöchentlichen Video-
zintechnik-Hersteller seine Produktion       deskanzlerin vor allzu voreiligen Locke-       Calls mit einigen Stammkunden merke
hochfuhr, ist bei anderen Unternehmen        rungen.                                        ich, wie sich angesichts des sich abzeich-
Kurzarbeit angesagt. Bei wieder anderen      22. April: Ich plane ein firmeninternes On-    nenden Endes des Lockdowns und der
läuft alles weiter wie gehabt, außer dass    line-Training „Führung und Zusammen-           allmählichen Rückkehr in den Regelbe-
die Arbeitsprozesse den nun geltenden        arbeit in Corona-Zeiten“ für einen Neu-        trieb die Themen ändern, die den Teilneh-
Hygieneregeln angepasst wurden. Alle         kunden. Dass in Krisenzeiten so schnell        mern auf den Nägeln brennen. So sorgt
Unternehmen beschäftigt jedoch die           aus einem neuen Kontakt ein Auftrag ent-       es in einigen Betrieben für Spannungen,
Frage: Wie sehen in einem halben Jahr        stand, freut mich sehr. Mein Aufraggeber       dass ein Teil der Mitarbeiter es kaum er-
die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen       nutzt eine Software, die ich zwar getestet,    warten kann, wieder live zusammen zu
aus? Bricht zum Beispiel die EU ausein-      aber wegen ihres wenig nutzerorientier-        arbeiten, ein anderer möchte lieber wei-
ander? Erhöhen die Staaten ihre Handels-     ten Handlings für mich verworfen habe.         terhin – zumindest partiell – zu Hause ar-
barrieren? Sind die nötigen Vorprodukte      Nun muss ich mich doch intensiver mit          beiten. In anderen Unternehmen ist Kurz-
und Rohstoffe noch lieferbar? Hierüber       ihr befassen und mir auf die Schnelle eine     arbeit ein großes Thema. Es wird in der
lässt sich aktuell nur spekulieren.          gewisse Routine im Umgang mit ihr an-          Belegschaft lebhaft darüber diskutiert,
                                             eignen.                                        wieso einige Kollegen voll arbeiten und
Es gibt tatsächlich einen Alltag             24. April: Über Umwege erfuhr ich, dass        100 Prozent Gehalt bekommen, während
in der Krise                                 von der Corona-Krise betroffene KMU            andere daheimbleiben und mit dem Kurz-
                                             kostenlos Beratungsleistungen im Wert          arbeiter-Geld auskommen müssen.
19. April: Es ist Wochenende. Meine Frau     von bis zu 4.000 Euro in Anspruch neh-         Auch die Frage muss geklärt werden: Wie
und ich stellen fest, dass sich inzwischen   men können – branchenübergreifend.             kann man bei Aufnahme des Regelbe-
bei uns ein gewisser Alltag in der Krise     Finanziert wird die Beratung zu 100 Pro-       triebs die vorgeschriebenen Hygiene- und R

                                                                                             wirtschaft + weiterbildung 07/08_2020   47
Corona-Tagebuch eines Trainers - Klaus Doll
training und coaching

R Infektionsschutzmaßnahmen einhalten?          ich bin mir sicher: Das wird künftig so       Stammkunden vor, der in einer halben
  Zunehmend wird mir klar: Die Rückkehr         sein.                                         Stunde beginnt.
  zum Regelbetrieb stellt die Führungs-         23. Mai: Ich ziehe im Gespräch mit mei-       30. Mai: Heute startet das Pfingstwochen-
  mannschaften vor viele neue, bisher un-       ner Frau eine Art Zwischenbilanz. Ich         ende. Bevor mich gleich meiner Familie
  gekannte Fragen und Herausforderungen.        muss gestehen: Meine Umsätze sind,            widme, checke ich in meinem Büro den
  14. Mai: Ich spreche mit einem Kunden,        Stand heute, deutlich niedriger als vor       Maileingang. Im Spamordner finde ich
  dessen Unternehmen am 20. Mai wieder          Ausbruch der Corona-Krise. Es hat sich        zahlreiche Mails, in denen mir Gesichts-
  in den Regelbetrieb zurückkehrt, ob wir       jedoch auf alle Fälle gelohnt, dass ich       schutzmasken zum „Sonder-Dumping-
  künftig die zweiwöchentlichen Führungs-       recht früh, noch vor dem Lockdown,            Preis“ angeboten werden. Da haben sich
  kreis-Treffen, die ich moderiere, wieder      Zeit und Geld in den Auf- und Ausbau          anscheinend einige „clevere Geschäftle-
  als Präsenzveranstaltung durchführen          meiner Online-Trainings- und -Beratungs-      macher“ verzockt. Das hoffe ich zumin-
  sollen. Seine Antwort: „Ach nein, lassen      kompetenz investierte: Einige für meine       dest! Die Mails zeigen mir, wie viel sich
  sie uns diese vorläufig mal, wie in den       Kunden wichtige Prozesse – und für mich       aktuell in unserer Gesellschaft in kürzes-
  letzten zwei Monaten als Video-Konfe-         wichtige Aufträge – konnten deshalb fast      ter Zeit ändert. Wurden vor wenigen Wo-
  renz durchführen.“ Ich merke, dass ich        nahtlos weitergehen. Zum Glück! Mir           chen Masken noch in Gold aufgewogen,
  über diese Antwort nicht unerfreut bin.       war zwar auch schon vor der Corona-           so mutieren sie inzwischen wieder zur
  Schließlich entfallen dadurch für mich        Krise klar: Die digitale Transformation       Cent-Ware. Ich bin gespannt, was uns Co-
  zwei Stunden Reisezeit. Zudem sind die        der Wirtschaft macht auch vor der Bera-       rona noch bringt. Gehe jetzt erst mal mit
  Kitas und Schulen noch geschlossen, also      terbranche nicht Halt, doch denken und        meinen Jungs spielen.
  bin ich weiterhin verstärkt als „Erzieher“    handeln sind auch bei Beratern zuweilen       4. Juni: Gestern verständigten sich die
  gefragt.                                      zweierlei. Um zu entscheiden, was dieses      Spitzen der Koalition auf ein Konjunk-
                                                Wissen für meine Arbeit bedeutet und die      turpaket – nach 21 Stunden Verhandlun-
  Toll, Präsenzseminare sind                    Beschlüsse konsequent umzusetzen, be-         gen, was für ein Stress. Unter anderem
  wieder möglich                                durfte es den Anstoßes „Corona-Virus“.        wird bis Jahresende die Mehrwertsteuer
                                                Dankbar bin ich dem Virus hierfür nicht.      gesenkt. Die Kaufprämien für klima-
  15. Mai: Ich führe in einem Tagungshotel      Dafür ist der gesellschaftliche und wirt-     und umweltfreundliche Elektroautos
  mein erstes firmeninternes Präsenzse-         schaftliche Preis zu hoch. Dass ich mich      werden verdoppelt. Auch der Kauf von
  minar seit dem Lockdown durch. Im Ta-         aber, als es anfing, brenzlig zu werden,      klimafreundlichen Lastwagen, Flugzeu-
  gungsraum trägt niemand Mundschutz,           so schnell auf die neue Herausforderung       gen und Schiffen wird gefördert. Zudem
  doch alle Anwesenden achten genau             einstellte, macht mich stolz.                 sind weitere „Überbrückungshilfen“ im
  darauf, den vorgeschriebenen Sicher-          25. Mai: Eine neue Arbeitswoche beginnt.      Umfang von 25 Milliarden Euro für co-
  heitsabstand einzuhalten. Entsprechend        Über die BAFA-Förderung gibt es inzwi-        ronabedingt notleidende Betrieb geplant.
  wurde auch der Tagungsraum bestuhlt.          schen Meldungen aus seriöser Quelle,          Insgesamt 130 Milliarden Euro zur Sti-
  Nach den vielen Wochen mit Kontakt-           dass dieses Programm eingefroren wurde        mulierung der Konjunktur will der Staat
  Einschränkung vermittelt das Präsenz-         – weil die Flut der Anträge, worunter         nochmals locker machen. Mir wird bei
  seminar ein Gefühl der „Normalität“.          auch viele unseriöse waren, das vorge-        solchen Summen schwindelig. Doch der
  Und für die Hotelinhaber bedeutet es die      sehene Budget bei Weitem sprengte und         Wirtschaft wird das gut tun. Und der
                                                                                              DAX? Er hat mit fast 12.500 Punkten na-
                                                                                              hezu alte Höchststände erreicht.
 „Dass ich als Trainer und Coach endlich digitaler                                           5. Juni: Verrückte Welt! Heute Morgen
   wurde – dazu bedurfte es der Corona-Krise!“                                                sprach ich mit einem Top-Manager bei
                                                                                              einem Medizintechnikhersteller. Er sagte
                                                                                              mir auf den Punkt gebracht, er könne
  ersten Einnahmen seit Mitte März. Alles       das BAFA personell für diesen Ansturm         das Krisengebabbel nicht mehr hören.
  in allem klappt es recht gut, wenn auch       nicht gerüstet war. Verständlich, aber        Seinem Unternehmen habe die Corona-
  manche Situationen ein „spooky“ wirken:       auch schade, weil viele Unternehmen           Krise bisher nur randvolle Auftragsbücher
  Beim Mittagessen sitzt jeder Teilnehmer       in Krisenzeiten, die Marktumbruch-            beschert, wenn man davon absähe, dass
  an einem separaten Tisch. Auch das ge-        zeiten sind, einen Blick von außen und        es aufgrund der nun geltenden Infekti-
  meinsame Feierabendbier in der Hotelbar       eine gute Beratung brauchen. Das weiß         onsschutz- und Hygieneregelungen ei-
  entfällt. Ich stelle mir vor, der der Work-   ich aus eigener Erfahrung. Zum Glück          nige Arbeitsabläufe „leicht modifizieren“
  shop hätte online stattgefunden, und bin      waren die subventionierten Beratungen         musste. Heute Nachmittag telefonierte ich
  mir sicher: Auch das hätte gut funktio-       nicht das einzige Pferd, auf das ich in den   dann mit einer oberen Führungskraft bei
  niert. Hierüber spreche ich in der Ab-        letzten Wochen setzte. Ansonsten würde        einem Automobilindustriezulieferer. Er
  schlussrunde mit den Teilnehmern. Auch        ich jetzt innerlich zittern. So bereite ich   stand unter Strom. Er klagte unter ande-
  sie können sich vorstellen, dass künftig      mich aber ruhig auf den wöchentlichen         rem darüber, welche Spannungen in sei-
  mehr Trainings online stattfinden. Und        Video-Call mit den Führungskräften eines      nem Unternehmen dadurch entstünden,

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Corona-Tagebuch eines Trainers - Klaus Doll
Wochen, wenn meine Reisetätigkeit wie-
                                                                                         der zunimmt, wird sie dies werden. Auf
                                                                                         meine Frau kommt definitiv eine stressige
                                                                                         Woche zu. Also schnappe ich mir unsere
                                                                                         Jungs und gehe mit ihnen auf den Neu-
                                                                                         stadter Hausberg, damit meine Frau einen
                                                                                         ruhigen Nachmittag hat.

                                                                                         Haben wir eigentlich
                                                                                         „Geschichte“ erlebt?
                                                                                         17. Juni: Dieser Tag ist ein historischer
                                                                                         Tag. Er war bis 1990 (also bis ein Jahr
                                                                                         nach dem Mauerfall) der Tag der deut-
                                                                                         schen Einheit. Es ist fast elf Uhr abends.
                                                                                         Ich bin von meiner Seminartour gerade
Endlich Präsenz? Am Ende des ersten Präsenztraining nach dem Lockdown                    zurückgekehrt. Das Seminar lief gut, und
meinten Dolls Teilnehmer: „Das hätte wir auch online gut hingebracht“.                   es hat Spaß gemacht, meine Kunden mal
                                                                                         wieder „live“ zu treffen. Ich sitze mit
                                                                                         meiner Frau auf dem Sofa bei einem Glas
dass manche Mitarbeitergruppen „schon       den coronabedingten beruflichen und un-      Wein. Unsere Jungs schlafen. Wir sind
wieder regulär arbeiten dürfen und ihr      ternehmerischen Problemen auch private       beide hundemüde – ich auch aufgrund
volles Gehalt nebst Schichtzulagen be-      Probleme – zum Beispiel im Beziehungs-       der 3,5-stündigen Autofahrt nach dem
kommen, während andere noch zuhause         bereich.                                     Seminar. „Wie gemütlich war doch die
Däumchen drehen und nur Kurzarbei-          14. Juni: Es ist Sonntag. Meine Frau hirnt   Lockdown-Zeit, als wir beide abends fast
tergeld beziehen“. Sein Fazit: „Die Leute   mit mir darüber, wie wir in der kommen-      regelmäßig gemeinsam zur Tagesschau
brauchen das Geld; sie wollen arbei-        den Woche die Betreuung unserer Jungs        vor dem Fernseher saßen“, sage ich halb
ten.“ Nach dem Telefonat berichte ich       gewährleisten können. Sie hat zahlreiche     ironisch, halb ernst zu meiner Frau. Wir
meiner Mitarbeiterin und Kollegin, der      Coaching-Termine und ich falle von Mon-      lachen beide. „Wie werden wir als Ge-
Wirtschaftspsychologin Meike Silaghi,       tag bis Mittwoch als „Betreuer“ aus. Der     sellschaft in 30 Jahren über Corona den-
die mich auch beim Marketing und der        Grund: Ich halte dann mein erstes drei-      ken“, frage ich mich. Die Antwort weiß
Kundenbetreuung unterstützt, von den        tägiges Seminar für einen Stammkunden        ich nicht. Ich weiß nur, die Zeit nach dem
beiden Gesprächen. Ihre Antwort: „Das       nach dem Lockdown, bei dem ich auf-          Mauerfall und der deutschen Wiederver-
deckt sich mit meinen Erfahrungen in        grund der Entfernung auch im Tagungs-        einigung sowie die staatlichen Maßnah-
den vergangenen Wochen. Echt wichtig,       hotel übernachte. In den zurückliegenden     men, die damals ergriffen wurden, wer-
dass wir bei der Kundenansprache stets      Monaten, in denen ich weitgehend in un-      den auch heute noch sehr unterschiedlich
im Hinterkopf haben, wie unterschiedlich    serem Büro arbeitete, war die Kinderbe-      bewertet. Ähnlich wird es vermutlich
aktuell deren Situation und somit Bedarf    treuung nach gewissen Startschwierigkei-     auch beim Thema Corona sein.
ist.“ Wie Recht sie damit hat!              ten kein Problem. Doch in den nächsten                                      Klaus Doll
8. Juni: Ich kümmere mich zuhause mal
wieder um unsere Jungs. Jakob, 10 Jahre,
geht zwar wieder zur Schule, doch eine
Nachmittagsbetreuung gibt es nicht. Und
die Kita unseres Jüngsten? Sie ist noch
geschlossen. Also halte ich die Stellung,
wenn meine Frau als Coach im Einsatz
ist. Ihr Business läuft gut. Fast könnte
man sagen, sie ist eine Krisengewinn-
lerin. Durch die Krise gewann sie neue
Kunden in der regionalen Hotellerie und
Gastronomie sowie in der Tourismusin-
dustrie, die in einer Zeit, in der es zum
Beispiel keine Weinfeste mehr gibt, ihre                                                                              Papa kocht. Den
Geschäfts- und Vermarktungsstrategien                                                                                 beiden Jungs
überdenken müssen. Außerdem erwuch-                                                                                   scheint es zu
sen bei einigen ihrer Stammkunden aus                                                                                 schmecken.

                                                                                          wirtschaft + weiterbildung 07/08_2020   49
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