Corona-Tagebuch eines Trainers - Klaus Doll
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training und coaching Corona-Tagebuch eines Trainers KRISENPROTOKOLL. In den zurückliegenden Monaten mussten die meisten (Solo-) Trainer coronabedingt ihr Business neu ausrichten. Der Organisationsberater und Managementtrainer Klaus Doll aus Neustadt an der Weinstraße hat seine persönliche Entwicklung, die er zwangsläufig durchlief, für „Wirtschaft + Weiterbildung“ mit einem Schuss Selbstironie beschrieben. 24. Januar 2020: Ich sitze am Freitag- Wohnort Neustadt an der Weinstraße ent- senen Infektionen die Städte im Norden abend in meinem Büro und plane die fernt. ab und erlässt weitreichende Ausgangs- kommende Arbeitswoche. Im Hinter- 27. Januar: Die erste erfasste Corona-Er- beschänkungen. Ich sage zu meiner Frau grund dudelt ein Radio-Sender. Beim krankung in Deutschland wird aus dem Nikola: „Das ist ja krass, was da in Italien Blick in meinen Kalender bin ich zufrie- Landkreis Starnberg gemeldet, und ein passiert.“ Nachdenklich schaue ich aus den: Meine Grundauslastung für das Jahr Kunde spricht mich erstmals beim Telefo- dem Fenster und registriere: In der „deut- stimmt. Außerdem sind ausreichend neue nieren beiläufig auf Corona an. schen Toskana“, also an der Deutschen Projekte in der Pipeline. Meine Kunden Weinstraße, blühen vermutlich bald die wollen mehr von mir und empfehlen Das Unbekannte rückt auf ersten Mandelbäume. mich weiter. einmal näher 27. Februar: Der neu eingerichtete Co- Während ich in meinen Kalender blicke, rona-Krisenstab der Bundesregierung höre ich im Radio nebenbei: Das neuar- 15. Februar: Frankreich meldet den ersten tagt erstmals. Die Reisemesse ITB wird tige Corona-Virus hat Europa erreicht. In Todesfall in Europa. Größere Gedanken abgesagt. Die Schweiz verbietet Veran- Frankreich gibt es die ersten bestätigten mache ich mir darüber nicht. Schließlich staltungen mit mehr als 1.000 Menschen. Erkrankungsfälle. Beunruhigen tut mich stirbt permanent jemand auf dieser Welt. Allmählich wird mir klar: Ein größeres dies nicht. Dabei ist die französische 23. Februar: Italien riegelt aufgrund der Problem kommt auf uns zu, zumal inzwi- Grenze nur 30 Kilometer von meinem rasant steigenden Zahl der nachgewie- schen bei vielen Unternehmen – zum Bei- Klaus Doll. Drei Tage übte der Trainer intensiv mit einem Tool für Videokonferenzen bis er mit Online- Teamcoachings startete. Fotos: privat 44 wirtschaft + weiterbildung 07/08_2020
spiel ZF, BMW und Wacker – die ersten als Coach arbeitet, hat im Gegensatz zu Mitarbeiter erkrankten und immer mehr mir, keine Auftragsstornierungen. Im Kunden das Thema im Gespräch mit mir Gegenteil! Die Coaching-Anfragen schei- erwähnen. nen coronabedingt sogar zu steigen. Der 2. März: Der erste Kunde fragt bei mir an, Grund: Sie coacht primär Einzelpersonen ob wir einen für Ende April geplanten und Paare – und diese häufig auch per Te- Führungskräfte-Workshop corona-be- lefon sowie mit solchen Tools wie Teams, dingt verschieben können: Wir verschie- Facetime und Zoom. Diese Arbeitsform ben ihn. ist deshalb weder für sie, noch ihre Kli- 9. März: Italien erklärt wegen der hohen enten neu. Auch ich habe in den letzten Zahl der Corona-Infizierten das ganze Jahre schon „bei Bedarf“ Einzelcoachings Land zur Sperrzone. Der Dax verzeichnet per Telefon und Skype durchgeführt. aufgrund dieser Nachricht den höchsten Forciert habe ich dieses „Business“ aber Tagesverlust seit den Terroranschlägen nicht. Und inwieweit dies auch mit Grup- vom 11. September 2001. Beunruhigt pen klappt, was schließlich meine über- frage ich mich: Was rollt da auf uns zu? wiegende Arbeit ausmacht, das muss ich Welche Auswirkungen hat dies auf meine noch herausfinden. Arbeit? Mir wird bewusst, wie fragil un- Nikola Doll. Die Ehefrau arbeitet ebenfalls sere Lebenskonstrukte sind und wie rasch Erste eigene Online-Produkte als Trainer und Coach und hatte bereits sich vieles in kurzer Zeit ändern kann. erblicken das Licht der Welt gute Erfahrungen mit Online-Coaching. Erstmals verspüre ich Sorgen um die Ge- sundheit meiner Familie. 16. März: Ich habe von der für Video- 13. März: Seit gestern moderiere ich Konferenzen und Online-Trainings mit raschend, wie gut Training und Beratung einen Workshop bei einem meiner ältes- mehreren Teilnehmern benötigten Tech- über dieses Medium funktioniert.“ Völlig ten Kunden im Schwabenland. „Corona“ nik noch wenig Ahnung. Also treffe ich platt falle ich ins Bett. ist sehr nahegerückt. Es werden keine mich mit einem befreundeten IT-Dienst- 20. März: Meine ersten Online-Produkte Hände mehr geschüttelt. Wie ungewohnt! leister und lasse mich von ihm beraten. stehen, auch ihre Beschreibungen sind Zugleich wird jedoch viel spekuliert. Auf Ich beauftrage ihn, das nötige Equipment weitgehend formuliert. Aber auf meiner der Heimreise suche ich gezielt ein lee- für mein Büro zu besorgen, damit ich zu- Webseite findet man von meinen digita- res Zugabteil auf. Meine Frau ruft an und mindest technisch einsatzfähig bin. Zeit- len Angeboten noch keine Spur. Zudem berichtet: Ab kommender Woche sind in gleich entwerfe ich erste Konzepte, wie weiß ich nicht, wie ich mit diesen außer Rheinland-Pfalz die Schulen, Kitas und ich meine Angebote online durchführen meinen Stammkunden, eventuell auch womöglich auch Geschäfte, die keine Le- könnte. Ich verspüre eine große Unsicher- einige Neukunden erreiche. Also kon- bensmittel verkaufen, geschlossen. heit. Und insbesondere nachts beschäfti- taktiere ich Bernhard Kuntz von der Also müssen meine Frau und ich mehr gen mich Fragen wie: Kann ich meine Marketingagentur „Die ProfilBerater“ Zeit für die Betreuung unserer fünf- und Familie vor „Corona“ schützen? Kann ich in Darmstadt. Er erwidert, nachdem ich zehnjährigen Jungs aufbringen. Da wer- sie weiter so gut wie in den letzten Jah- mein Anliegen geschildert habe, lachend: den wir ganz schön jonglieren müssen, ren versorgen? Der intensive Austausch „Na, dann sind Sie vermutlich der einzige weil wir beide als Berater, Trainer und mit meiner Frau, man könnte auch ihr deutsche Berater, der die Krise tatsächlich Coachs noch recht volle Terminkalen- Coaching sagen, hilft mir, mich meinen als Chance nutzt. Die meisten reagieren der haben. Doch in der letzten Woche Ängsten zu stellen und die notwendigen auf die Auftragsstornos mit einem rigiden stieg die Zahl der Anrufe und Mails von Veränderungen anzupacken. Cost-Cutting.“ Ob die Krise wirklich eine Kunden mit Auftragsstornierungen oder 17. März: Ich konnte kurzfristig einige Chance für mich ist? der Bitte, Termine zu verschieben. Mir befreundete Manager und Unternehmer 23. März: Der Bund und die Länder ei- schwant: Bald werde ich mehr Zeit als dafür gewinnen, mit mir angedachte nigen sich auf strenge Ausgangs- und mir vielleicht lieb ist für die Kinderbetreu- künftige Formate meiner Arbeit und die Kontaktbeschränkungen: Der sogenannte ung haben. Konferenztechnik in „Live-Online-Ses- Lockdown beginnt. Millionen Deutsche sions“ auszuprobieren. Ich will heraus- werden über Nacht Kurzarbeiter. Andere Allmählich bin ich im finden, ob ich die Qualität meiner Arbeit sind nur noch im Homeoffice tätig. Ich „Krisenmodus“ auch „online“ halten kann, bevor ich bin froh, dass meine Frau und ich in den diese Angebote meinen Kunden unter- letzten Jahren einige Euro zur Seite ge- 15. März: Übers Wochenende dachte ich breite. Es folgen drei arbeitsreiche Tage. legt haben: Hungern werden wir in den intensiv darüber nach, wie ich einen Teil Dann klappt der Umgang mit der Technik nächsten Monaten nicht. Das ist beruhi- meiner Trainings- und Beratungsleistun- und ich verspüre Sicherheit beim Online- gend. gen digitalisieren kann, auch weil ich re- arbeiten. Das Fazit meiner Feedbackpart- 25. März: Ein schon länger geplanter Ter- gistrierte: Meine Frau Nikola, die primär ner lautet: „Es ist ungewohnt, doch über- min für ein Team-Coaching findet erst- R wirtschaft + weiterbildung 07/08_2020 45
training und coaching R mals per Videokonferenz statt. Ich freue mich, dass sich der Kunde, ein internatio- nal tätiger Mittelständler, ohne zu zögern, darauf eingelassen hat. Seine spontane Rückmeldung: „Für unsere Führungs- kräfte sind Videokonferenzen nicht neu. Warum sollte das Coachen so nicht klap- pen? Wir probieren das einfach mal!“. Ich bin ein bisschen aufgeregt und froh, dass ich mir im Vorfeld viel Zeit zum Üben nahm. „Alles lief bestens“, meldet Abstimmung. Auch mir der Kunde anschließend zurück. Das bei Doll wird dis- deckt sich mit meinem Gefühl. Puh, ein kutiert bevor ent- Anfang ist gemacht. schieden wird. Hier 26. März: Meine ersten Online-Beratungs- geht es um noch angebote stehen auf meiner Webseite. mehr Social-Media- Zudem ist meine erste Pressemitteilung Aktivitäten. versandt. Auf eine allzu große Reso- nanz soll ich jedoch nicht hoffen, warnt mich mein Berater. Die Fachzeitschriften 27. März: Heute steht das erste Online- 2. April: Der zweite, nun ganztägige, be- könnten die Meldung frühestens in ihren Training mit einer größeren Gruppe per zahlten Online-Workshop mit den Füh- Mai-Ausgaben veröffentlichen. Zudem Videokonferenz an. Ich bot allen Teilneh- rungskräften (!) eines Unternehmens sprängen zurzeit sehr viele Berater pa- mern an, vor dem Termin die Technik steht an – obwohl mir Kollegen davon nisch auf den Online-Zug auf. Deshalb und die Handhabung mit mir zu checken. abrieten. Doch ich dachte: Lass‘ es mich würden die Print- und Online-Medien mit Die meisten nehmen das Angebot wahr. mal ausprobieren. Das Risiko ist über- entsprechenden Pressemitteilungen über- Es gibt Probleme, doch wir können sie schaubar. Und wer nichts wagt, der schwemmt. lösen. Das eigentliche Online-Training nichts gewinnt. Also konzipierte ich ein Das merke ich auch in meinem Mail-Ein- starten wir komplett und pünktlich. Je Workshop-Design, bei dem auf Sessions gang: Täglich erhalte ich vier, fünf Ein- länger es dauert, desto sicherer fühle ich im Plenum Module folgen, bei denen die ladungen zu kostenlosen Webinaren von mich in meiner neuen Rolle als Online- Teilnehmer entweder allein oder in Grup- Beratern, die ich nicht kenne, die mir so Moderator und -Trainer. Es fängt an, Spaß penräumen (die gibt es bei „Zoom“) in ihre „Solidarität in der Krise“ beweisen zu machen, und die Kunden sind mit Zweier- oder Dreier-Teams etwas ausar- möchten. Wie werden potenzielle Neu- dem Ergebnis sehr zufrieden. beiten. Und dazwischen gibt es Pausen. kunden angesichts dieser Angebotsflut Dieser Mix funktioniert. Das spüre ich auf meine kostenpflichtigen Beratungs- Hurra: Jetzt bin ich auch ein und das bestätigen mir die Teilnehmer – angebote reagieren? Ich beschließe, auch Online-Trainer auch wenn man am Design noch feilen meine Social-Media-Aktivitäten auszu- kann. Mein „Learning“ ist: Beim nächs- bauen. Von nix kommt nix – das ist klar. 30. März: Ich spreche mit meinem Steu- tes Mal gibt es mehr (aber dafür kürzere) erberater – unter anderem über die im Pausen. Hilfspaket für die Wirtschaft enthaltene 7. April: Interessiert verfolge ich seit Wo- Soforthilfe. Die Bundesregierung hatte chen die allabendlichen Corona-Talkrun- sie am 22. März beschlossen. Ich hatte den im Fernsehen. Fasziniert registriere einen sehr guten Start ins Jahr 2020. Also ich, wie weit die Meinungen und Ein- beschließe ich, die Soforthilfe erst einmal schätzungen solcher Experten wie der nicht zu beantragen. Virologen bezüglich des „neuartigen“ Mein Auftragsbestand ist inzwischen Corona-Virus auseinander gehen und zwar drastisch eingebrochen, doch nicht sich im Zeitverlauf ändern. Und einge- alle Aufträge wurden endgültig abgesagt: keilt zwischen diesen Experten sitzen Einige Kunden haben sich auf eine On- in den Talkshows stets Top-Politiker, die line-Arbeit eingelassen und noch habe aufgrund dieser unsicheren Faktenlage ich finanzielle Reserven. Da hat es einige so weitreichende Entscheidungen wie Berufskollegen deutlich schlimmer er- den Lockdown beschließen müssen: Sie Medienecho. Spätestens am 14. März als wischt. Dass ich die entstandenen Löcher haben in den zurückliegenden Wochen „Der Spiegel“ aufrüttelnd „Sind wir bereit?“ vollumfänglich durch Online-Beratungs- gewiss mehr als sonst in zwei, drei Legis- fragte und auf 80 Seiten über Corona angebote stopfen kann, daran glaube ich laturperioden entschieden. Ich verspüre berichtete, war die Krise für alle da. jedoch nicht. parteiübergreifend Bewunderung für sie 46 wirtschaft + weiterbildung 07/08_2020
– egal, wie sie heißen. Respekt nötigt mir entwickelt hat. Unsere Belastung ist zent vom Bundeswirtschaftsministerium auch ab, welche Ruhe sie nach einem hoch, beruflich und privat. Wir können (BMWi). Abgewickelt wird das Ganze extrem arbeitsreichen Tag noch in den aufgrund der fehlenden Kinderbetreuung über das Bundesamt für Wirtschaft und abendlichen Talkrunden ausstrahlen – im nur versetzt arbeiten. Die Zeit, die ich an- Ausfuhrkontrolle (BAFA). Ich stricke ein Gegensatz zu einigen Experten und Be- sonsten in Zügen und im Auto und bei entsprechendes Beratungsangebot. Paral- ratern. Kunden verbracht habe, brauche ich für lel versuche ich die BAFA zu erreichen, 17. April: In den Tagen vor und nach Os- unsere Jungs, während meine Frau ar- um zu erfahren, wie man von ihr als Be- tern habe ich mit einigen Entscheidern in beitet. Bei allem Improvisieren und aller ratungsunternehmen akkreditiert wird. Unternehmen per Videokonferenz „Stra- Unsicherheit freuen wir uns aber sehr Doch ich erreiche niemand. Den ganzen tegieworkshops“ durchgeführt – sofern darüber, dass wir als Familie und Klein- Tag ist das Telefon besetzt. Also wühle man die Workshops so nennen kann, unternehmer recht gut mit der Situation ich mich, wie sicher viele meiner Kolle- denn aktuell haben fast alle Entschei- klarkommen. Und apropos Jungs: Die gen, durch die Informationen, die online dungen eine extrem kurze Halbwertszeit. spüren natürlich, dass uns viel bewegt. erhältlich sind. In ihnen ging es meist darum, wie es in Ich bin sicher nicht immer der präsente 27. April: Ich habe die nötigen Unterlagen den Unternehmen weitergeht, nachdem Vater, der ich gerne wäre, weil mir so bei der BAFA eingereicht. Wie lange das die erforderlichen Akut-Maßnahmen, viele Sorgen im Kopf herumgehen. Genehmigungsverfahren dauert, kann zum Beispiel zur Sicherung von deren 20. April: In Deutschland treten die ersten mir niemand sagen. Schade, ich hätte das kostenlose Beratungsangebot gerne als „Goodie“ für einige Stammkunden „Die wichtigste Frage der Führungskräfte war oft: und Akquiseinstrument bei Neukunden Wie gehen wir bloß mit dieser Unsicherheit um?“ genutzt. 4. Mai: Ich halte bei meinem Neukun- den das firmeninterne Online-Training Liquidität, ergriffen sind. Immer seltener vorsichtigen Lockerungen der Corona- „Führung und Zusammenarbeit in Co- wird von der Zeit „nach der Krise“ ge- Schutzmaßnahmen in Kraft. Viele Bun- rona-Zeiten“. Während der Veranstaltung sprochen, weil klar wird: Ihre Dauer ist desländer erlauben wieder das Einkaufen kommt zufällig zur Sprache, dass es bei unbestimmt. Und häufig taucht die Frage in Geschäften mit bis zu 800 Quadratme- der genutzten Software jedem Teilneh- auf: Wie gehen wir als Führungskräfte tern Verkaufsfläche. Erschreckt habe ich mer möglich ist, Mitschnitte zu machen. mit Unsicherheit um – der eigenen und in den letzten Tagen registriert, wie all- Verdammt, das hatte ich nicht auf dem der von Mitarbeitern? Mir wird zuneh- mählich wieder das gewohnte inner- und Radar! Wir versichern uns gegenseitig mend bewusst, wie weit die Ist-Situation zwischenparteiische Gezänk beginnt und nachträglich, davon keinen Gebrauch bei meinen Kunden auseinander klafft: die Lobbyisten immer lauter ihre Forde- zu machen, doch künftig muss ich die- Während in einer Klinik die Mitarbeiter rungen artikulieren. Dabei sind seit dem ses heikle Thema aktiv ansprechen und aufgrund der vielen Arbeit nicht wissen, Lockdown gerade mal vier Wochen ver- klären. wo ihnen der Kopf steht, und ein Medi- gangen und zu Recht warnt unsere Bun- 7. Mai: Bei meinen wöchentlichen Video- zintechnik-Hersteller seine Produktion deskanzlerin vor allzu voreiligen Locke- Calls mit einigen Stammkunden merke hochfuhr, ist bei anderen Unternehmen rungen. ich, wie sich angesichts des sich abzeich- Kurzarbeit angesagt. Bei wieder anderen 22. April: Ich plane ein firmeninternes On- nenden Endes des Lockdowns und der läuft alles weiter wie gehabt, außer dass line-Training „Führung und Zusammen- allmählichen Rückkehr in den Regelbe- die Arbeitsprozesse den nun geltenden arbeit in Corona-Zeiten“ für einen Neu- trieb die Themen ändern, die den Teilneh- Hygieneregeln angepasst wurden. Alle kunden. Dass in Krisenzeiten so schnell mern auf den Nägeln brennen. So sorgt Unternehmen beschäftigt jedoch die aus einem neuen Kontakt ein Auftrag ent- es in einigen Betrieben für Spannungen, Frage: Wie sehen in einem halben Jahr stand, freut mich sehr. Mein Aufraggeber dass ein Teil der Mitarbeiter es kaum er- die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nutzt eine Software, die ich zwar getestet, warten kann, wieder live zusammen zu aus? Bricht zum Beispiel die EU ausein- aber wegen ihres wenig nutzerorientier- arbeiten, ein anderer möchte lieber wei- ander? Erhöhen die Staaten ihre Handels- ten Handlings für mich verworfen habe. terhin – zumindest partiell – zu Hause ar- barrieren? Sind die nötigen Vorprodukte Nun muss ich mich doch intensiver mit beiten. In anderen Unternehmen ist Kurz- und Rohstoffe noch lieferbar? Hierüber ihr befassen und mir auf die Schnelle eine arbeit ein großes Thema. Es wird in der lässt sich aktuell nur spekulieren. gewisse Routine im Umgang mit ihr an- Belegschaft lebhaft darüber diskutiert, eignen. wieso einige Kollegen voll arbeiten und Es gibt tatsächlich einen Alltag 24. April: Über Umwege erfuhr ich, dass 100 Prozent Gehalt bekommen, während in der Krise von der Corona-Krise betroffene KMU andere daheimbleiben und mit dem Kurz- kostenlos Beratungsleistungen im Wert arbeiter-Geld auskommen müssen. 19. April: Es ist Wochenende. Meine Frau von bis zu 4.000 Euro in Anspruch neh- Auch die Frage muss geklärt werden: Wie und ich stellen fest, dass sich inzwischen men können – branchenübergreifend. kann man bei Aufnahme des Regelbe- bei uns ein gewisser Alltag in der Krise Finanziert wird die Beratung zu 100 Pro- triebs die vorgeschriebenen Hygiene- und R wirtschaft + weiterbildung 07/08_2020 47
training und coaching R Infektionsschutzmaßnahmen einhalten? ich bin mir sicher: Das wird künftig so Stammkunden vor, der in einer halben Zunehmend wird mir klar: Die Rückkehr sein. Stunde beginnt. zum Regelbetrieb stellt die Führungs- 23. Mai: Ich ziehe im Gespräch mit mei- 30. Mai: Heute startet das Pfingstwochen- mannschaften vor viele neue, bisher un- ner Frau eine Art Zwischenbilanz. Ich ende. Bevor mich gleich meiner Familie gekannte Fragen und Herausforderungen. muss gestehen: Meine Umsätze sind, widme, checke ich in meinem Büro den 14. Mai: Ich spreche mit einem Kunden, Stand heute, deutlich niedriger als vor Maileingang. Im Spamordner finde ich dessen Unternehmen am 20. Mai wieder Ausbruch der Corona-Krise. Es hat sich zahlreiche Mails, in denen mir Gesichts- in den Regelbetrieb zurückkehrt, ob wir jedoch auf alle Fälle gelohnt, dass ich schutzmasken zum „Sonder-Dumping- künftig die zweiwöchentlichen Führungs- recht früh, noch vor dem Lockdown, Preis“ angeboten werden. Da haben sich kreis-Treffen, die ich moderiere, wieder Zeit und Geld in den Auf- und Ausbau anscheinend einige „clevere Geschäftle- als Präsenzveranstaltung durchführen meiner Online-Trainings- und -Beratungs- macher“ verzockt. Das hoffe ich zumin- sollen. Seine Antwort: „Ach nein, lassen kompetenz investierte: Einige für meine dest! Die Mails zeigen mir, wie viel sich sie uns diese vorläufig mal, wie in den Kunden wichtige Prozesse – und für mich aktuell in unserer Gesellschaft in kürzes- letzten zwei Monaten als Video-Konfe- wichtige Aufträge – konnten deshalb fast ter Zeit ändert. Wurden vor wenigen Wo- renz durchführen.“ Ich merke, dass ich nahtlos weitergehen. Zum Glück! Mir chen Masken noch in Gold aufgewogen, über diese Antwort nicht unerfreut bin. war zwar auch schon vor der Corona- so mutieren sie inzwischen wieder zur Schließlich entfallen dadurch für mich Krise klar: Die digitale Transformation Cent-Ware. Ich bin gespannt, was uns Co- zwei Stunden Reisezeit. Zudem sind die der Wirtschaft macht auch vor der Bera- rona noch bringt. Gehe jetzt erst mal mit Kitas und Schulen noch geschlossen, also terbranche nicht Halt, doch denken und meinen Jungs spielen. bin ich weiterhin verstärkt als „Erzieher“ handeln sind auch bei Beratern zuweilen 4. Juni: Gestern verständigten sich die gefragt. zweierlei. Um zu entscheiden, was dieses Spitzen der Koalition auf ein Konjunk- Wissen für meine Arbeit bedeutet und die turpaket – nach 21 Stunden Verhandlun- Toll, Präsenzseminare sind Beschlüsse konsequent umzusetzen, be- gen, was für ein Stress. Unter anderem wieder möglich durfte es den Anstoßes „Corona-Virus“. wird bis Jahresende die Mehrwertsteuer Dankbar bin ich dem Virus hierfür nicht. gesenkt. Die Kaufprämien für klima- 15. Mai: Ich führe in einem Tagungshotel Dafür ist der gesellschaftliche und wirt- und umweltfreundliche Elektroautos mein erstes firmeninternes Präsenzse- schaftliche Preis zu hoch. Dass ich mich werden verdoppelt. Auch der Kauf von minar seit dem Lockdown durch. Im Ta- aber, als es anfing, brenzlig zu werden, klimafreundlichen Lastwagen, Flugzeu- gungsraum trägt niemand Mundschutz, so schnell auf die neue Herausforderung gen und Schiffen wird gefördert. Zudem doch alle Anwesenden achten genau einstellte, macht mich stolz. sind weitere „Überbrückungshilfen“ im darauf, den vorgeschriebenen Sicher- 25. Mai: Eine neue Arbeitswoche beginnt. Umfang von 25 Milliarden Euro für co- heitsabstand einzuhalten. Entsprechend Über die BAFA-Förderung gibt es inzwi- ronabedingt notleidende Betrieb geplant. wurde auch der Tagungsraum bestuhlt. schen Meldungen aus seriöser Quelle, Insgesamt 130 Milliarden Euro zur Sti- Nach den vielen Wochen mit Kontakt- dass dieses Programm eingefroren wurde mulierung der Konjunktur will der Staat Einschränkung vermittelt das Präsenz- – weil die Flut der Anträge, worunter nochmals locker machen. Mir wird bei seminar ein Gefühl der „Normalität“. auch viele unseriöse waren, das vorge- solchen Summen schwindelig. Doch der Und für die Hotelinhaber bedeutet es die sehene Budget bei Weitem sprengte und Wirtschaft wird das gut tun. Und der DAX? Er hat mit fast 12.500 Punkten na- hezu alte Höchststände erreicht. „Dass ich als Trainer und Coach endlich digitaler 5. Juni: Verrückte Welt! Heute Morgen wurde – dazu bedurfte es der Corona-Krise!“ sprach ich mit einem Top-Manager bei einem Medizintechnikhersteller. Er sagte mir auf den Punkt gebracht, er könne ersten Einnahmen seit Mitte März. Alles das BAFA personell für diesen Ansturm das Krisengebabbel nicht mehr hören. in allem klappt es recht gut, wenn auch nicht gerüstet war. Verständlich, aber Seinem Unternehmen habe die Corona- manche Situationen ein „spooky“ wirken: auch schade, weil viele Unternehmen Krise bisher nur randvolle Auftragsbücher Beim Mittagessen sitzt jeder Teilnehmer in Krisenzeiten, die Marktumbruch- beschert, wenn man davon absähe, dass an einem separaten Tisch. Auch das ge- zeiten sind, einen Blick von außen und es aufgrund der nun geltenden Infekti- meinsame Feierabendbier in der Hotelbar eine gute Beratung brauchen. Das weiß onsschutz- und Hygieneregelungen ei- entfällt. Ich stelle mir vor, der der Work- ich aus eigener Erfahrung. Zum Glück nige Arbeitsabläufe „leicht modifizieren“ shop hätte online stattgefunden, und bin waren die subventionierten Beratungen musste. Heute Nachmittag telefonierte ich mir sicher: Auch das hätte gut funktio- nicht das einzige Pferd, auf das ich in den dann mit einer oberen Führungskraft bei niert. Hierüber spreche ich in der Ab- letzten Wochen setzte. Ansonsten würde einem Automobilindustriezulieferer. Er schlussrunde mit den Teilnehmern. Auch ich jetzt innerlich zittern. So bereite ich stand unter Strom. Er klagte unter ande- sie können sich vorstellen, dass künftig mich aber ruhig auf den wöchentlichen rem darüber, welche Spannungen in sei- mehr Trainings online stattfinden. Und Video-Call mit den Führungskräften eines nem Unternehmen dadurch entstünden, 48 wirtschaft + weiterbildung 07/08_2020
Wochen, wenn meine Reisetätigkeit wie- der zunimmt, wird sie dies werden. Auf meine Frau kommt definitiv eine stressige Woche zu. Also schnappe ich mir unsere Jungs und gehe mit ihnen auf den Neu- stadter Hausberg, damit meine Frau einen ruhigen Nachmittag hat. Haben wir eigentlich „Geschichte“ erlebt? 17. Juni: Dieser Tag ist ein historischer Tag. Er war bis 1990 (also bis ein Jahr nach dem Mauerfall) der Tag der deut- schen Einheit. Es ist fast elf Uhr abends. Ich bin von meiner Seminartour gerade Endlich Präsenz? Am Ende des ersten Präsenztraining nach dem Lockdown zurückgekehrt. Das Seminar lief gut, und meinten Dolls Teilnehmer: „Das hätte wir auch online gut hingebracht“. es hat Spaß gemacht, meine Kunden mal wieder „live“ zu treffen. Ich sitze mit meiner Frau auf dem Sofa bei einem Glas dass manche Mitarbeitergruppen „schon den coronabedingten beruflichen und un- Wein. Unsere Jungs schlafen. Wir sind wieder regulär arbeiten dürfen und ihr ternehmerischen Problemen auch private beide hundemüde – ich auch aufgrund volles Gehalt nebst Schichtzulagen be- Probleme – zum Beispiel im Beziehungs- der 3,5-stündigen Autofahrt nach dem kommen, während andere noch zuhause bereich. Seminar. „Wie gemütlich war doch die Däumchen drehen und nur Kurzarbei- 14. Juni: Es ist Sonntag. Meine Frau hirnt Lockdown-Zeit, als wir beide abends fast tergeld beziehen“. Sein Fazit: „Die Leute mit mir darüber, wie wir in der kommen- regelmäßig gemeinsam zur Tagesschau brauchen das Geld; sie wollen arbei- den Woche die Betreuung unserer Jungs vor dem Fernseher saßen“, sage ich halb ten.“ Nach dem Telefonat berichte ich gewährleisten können. Sie hat zahlreiche ironisch, halb ernst zu meiner Frau. Wir meiner Mitarbeiterin und Kollegin, der Coaching-Termine und ich falle von Mon- lachen beide. „Wie werden wir als Ge- Wirtschaftspsychologin Meike Silaghi, tag bis Mittwoch als „Betreuer“ aus. Der sellschaft in 30 Jahren über Corona den- die mich auch beim Marketing und der Grund: Ich halte dann mein erstes drei- ken“, frage ich mich. Die Antwort weiß Kundenbetreuung unterstützt, von den tägiges Seminar für einen Stammkunden ich nicht. Ich weiß nur, die Zeit nach dem beiden Gesprächen. Ihre Antwort: „Das nach dem Lockdown, bei dem ich auf- Mauerfall und der deutschen Wiederver- deckt sich mit meinen Erfahrungen in grund der Entfernung auch im Tagungs- einigung sowie die staatlichen Maßnah- den vergangenen Wochen. Echt wichtig, hotel übernachte. In den zurückliegenden men, die damals ergriffen wurden, wer- dass wir bei der Kundenansprache stets Monaten, in denen ich weitgehend in un- den auch heute noch sehr unterschiedlich im Hinterkopf haben, wie unterschiedlich serem Büro arbeitete, war die Kinderbe- bewertet. Ähnlich wird es vermutlich aktuell deren Situation und somit Bedarf treuung nach gewissen Startschwierigkei- auch beim Thema Corona sein. ist.“ Wie Recht sie damit hat! ten kein Problem. Doch in den nächsten Klaus Doll 8. Juni: Ich kümmere mich zuhause mal wieder um unsere Jungs. Jakob, 10 Jahre, geht zwar wieder zur Schule, doch eine Nachmittagsbetreuung gibt es nicht. Und die Kita unseres Jüngsten? Sie ist noch geschlossen. Also halte ich die Stellung, wenn meine Frau als Coach im Einsatz ist. Ihr Business läuft gut. Fast könnte man sagen, sie ist eine Krisengewinn- lerin. Durch die Krise gewann sie neue Kunden in der regionalen Hotellerie und Gastronomie sowie in der Tourismusin- dustrie, die in einer Zeit, in der es zum Beispiel keine Weinfeste mehr gibt, ihre Papa kocht. Den Geschäfts- und Vermarktungsstrategien beiden Jungs überdenken müssen. Außerdem erwuch- scheint es zu sen bei einigen ihrer Stammkunden aus schmecken. wirtschaft + weiterbildung 07/08_2020 49
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