Critical Action Learning - Das Selbst in der Arbeit des Veränderungsbegleiters Bernhard Hauser

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Erfahrung | Schwerpunkt | Critical Action Learning | Bernhard Hauser

Critical Action Learning
Das Selbst in der Arbeit des Veränderungsbegleiters
Bernhard Hauser

Als Fortentwicklung des klassischen Action-Learning-Ansatzes hat sich Critical Action Learning (CAL) in den letzten
Jahren zu einem sehr wirksamen Vorgehen entwickelt. Im CAL werden kollektive Phänomene wie Mikropolitik, Macht-
dynamiken und dysfunktionale Kulturmuster bearbeitet, die im Management täglich zu Spannungen führen und viel-
fältige Emotionen auslösen. Für sachlogisch sozialisierte Manager ist dies eine schwer zugängliche und oft abgründige
Welt. Der Beitrag zeigt auf, wie ein Facilitator in reflektierenden Gruppen, welche mit nachhaltigem Wandel befasst
sind, sein Selbst und die eigene Betroffenheit nutzen kann, um Zugang zu den meist verdeckten aber sehr wirksamen
Steuerungsmechanismen zu erhalten und dadurch Sicherheit und Orientierung im Veränderungsprozess zu geben.

«Die können nicht, die wollen nicht – kann ja wohl nicht sein!     Situationen wie diese, in denen Engagement und Initiative ge-
Austauschen!», «Die Führungskräfte haben sich wieder was           bremst sind, behindern Veränderungen und kosten Schnellig-
ausgedacht – am besten weitermachen wie bisher…». Die              keit und Ergebnis. Wenn sie andauern, sind sie ein Hinweis
Schleusen waren geöffnet, und es kamen von allen Seiten sehr       auf ungeschriebene Gesetze in der Organisation, die als nicht
persönliche Äußerungen über aktuelle Erlebnisse in der Or-         mehr hinterfragte Denk- und Handlungsmuster Teil der ge-
ganisation. Auslöser dafür war die Frage des Facilitators nach     lebten Unternehmenskultur geworden sind.
konkreten Beispielen von «Merkwürdigkeiten» in der Zusam-
menarbeit. Das Anliegen der Leitung des erfolgreichen Che-
mieunternehmens war, den trotz beachtlicher Belastbarkeit
festgestellten Mangel an Eigeninitiative der hochqualifizierten      Action Learning ist ein hoch wirksamer Ansatz des Erfahrungslernens,
Belegschaft und Führungsmannschaft, der sich mehr in Skep-           mit dem die Beteiligten gleichzeitig persönliche und organisationale Ver-
sis, Zweifel und Ablehnung als in zupackendem Engagement             änderungen in Gang setzen. In kleinen Gruppen (so genannten Sets), die
zeigte, zu verändern. Oder wie eine Führungskraft es formu-          heterogen zusammengesetzt sind, greifen die Teilnehmer drängende Pro-
lierte: «Wir sind gut, aber wir könnten das beste Unternehmen        bleme oder aktuelle Herausforderungen der Organisation auf und reflek-
der Welt sein, wenn wir anders zusammenarbeiten würden.»             tieren begleitend den Lösungsprozess. Action Learning ist geprägt von
    In einem anderen Unternehmen, welches als Teil eines gro-        der Überzeugung, dass man am besten anhand konkreter Herausforde-
ßen Konzerns anspruchsvolle Vorgaben zu erfüllen hatte, kam          rungen lernt.
es zwischen der Zentrale und den zahlreichen Standorten häu-
fig zu Spannungen, die sich angesichts grundlegender Umge-
staltungen des Geschäfts mit tiefgreifenden Prozessveränderun-     Zur Bearbeitung und Veränderung reicht es dann nicht, die
gen noch verschärften. Übereinstimmend äußerten viele Füh-         drängenden Probleme anzupacken, sondern es ist notwendig,
rungskräfte an verschiedenen Standorten: «Die Zentrale will das,   auch die kollektiv geteilten aber oft verdeckten Annahmen,
dann soll sie auch ein genau ausgearbeitetes Konzept vorle-        die das Verhalten steuern, zu thematisieren und kritisch zu
gen, das alle Parameter berücksichtigt und gleich eingeführt       hinterfragen. Ein Ansatz dazu ist Critical Action Learning (CAL),
werden kann. Wir hier können gar nichts tun!» Die Folge war        welches sich in den letzten Jahren zu einem sehr wirksamen
eine weitere Runde von Schuldzuweisungen nach dem Mus-             Vorgehen entwickelt hat. Als Weiterentwicklung des klassi-
ter «Die Zentrale hat wieder kein praxistaugliches Konzept ab-     schen Action Learning thematisiert CAL insbesondere Mikro-
geliefert» bzw. «Die in den Standorten xyz wollen einfach nicht    politik und Machtdynamiken sowie die daraus resultierenden
verstehen…»                                                        Spannungen, denen Manager täglich ausgesetzt sind und die

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Bernhard Hauser | Critical Action Learning | Schwerpunkt    | Erfahrung

Emotionen, die diese auslösen. Für sachlogisch denkende Ma-
nager ist das meist eine ungewohnte, abgründige und schwer
zugängliche Welt. Es verwundert daher nicht, dass im CAL die
Unterstützung durch einen erfahrenen Facilitator einen weit                         Critical Action Learning (CAL) ist eine grundlegende Erweiterung des
höheren Stellenwert hat, als dies im herkömmlichen Action                           ursprünglichen Konzepts, mit dem ein Perspektivwechsel von der Betrach-
Learning, welches den Fokus stärker auf den Umgang mit in-                          tung individueller Probleme zu kollektiven oder gemeinschaftlichen Phä-
dividuellen und operativen Problemen richtet, der Fall ist.                         nomenen vorgenommen wird. Mit dem Perspektivwechsel rücken Macht-
                                                                                    konstellationen und die politische Dimension einer Organisation explizit
                                                                                    ins Blickfeld. Betrachtet wird beispielsweise, wie Mikropolitik kollektives
                                                                                    und individuelles Lernen beeinflusst – also es ermöglicht oder auch ver-
  Lernen beginnt mit dem Eingeständnis von Nicht-Wissen ist eine der                hindert.
  Grundüberzeugungen im Action Learning.                                               Auch Emotionen, die leicht auf eine persönliche Befindlichkeit reduziert
     Für viele Probleme in Changeprojekten gibt es aufgrund ihrer Neuartig-         werden, besonders wenn sie ein den Arbeitsablauf störendes Maß anneh-
  keit oder Besonderheiten des Einzelfalls noch keine Lösung. Offen für Ler-        men, bekommen eine neue Bedeutung als Ausdruck, Medium und Spiegel
  nen werden wir aber erst, wenn wir uns eingestehen, dass wir noch nicht           von Einflussnahme und Machtdynamiken. CAL zielt darauf ab, dass sich
  wissen, wie das Problem am besten gelöst wird. Das prinzipielle Einge-            Individuen und Gruppen mit den oft verborgenen Annahmen und Emotio-
  ständnis von Nicht-Wissen — besonders vor Anderen — ist für viele Füh-            nen auseinandersetzen, die unterschwellig, aber sehr wirksam, das Denken
  rungskräfte (und nicht nur für sie) eine Hürde und doch ist es ein wesent-        und Handeln in Organisationen beeinflussen. Individuelle Erlebens- und
  licher Schlüssel zu wirkungsvollem Lernen.                                        Verhaltensmuster sagen also in diesem Verständnis sowohl etwas über die
                                                                                    betreffende Person aus, als auch über die sozialen Prozesse im Set, in der
                                                                                    Gruppe und in der weiteren Organisation.
Als Facilitator kann man diese Aufgabe nur wahrnehmen, wenn                            CAL geht auf Hugh Wilmott zurück, der die Erkenntnisse der Kritischen
man bereit ist, sich mit seiner Persönlichkeit, seinem Selbst,                      Theorie (z. B. der Frankfurter Schule um Jürgen Habermas) mit dem Action-
auf den Veränderungsprozess, der angestoßen und begleitet                           Learning-Konzept verknüpfte.
werden soll, wirklich einzulassen und dann immer wieder die
notwendige Distanz herzustellen, um produktive Auswertungs-
prozesse in Gang zu setzen. Eine wichtige Voraussetzung da-                      Der Facilitator sah in dieser Anfangsphase eine wichtige Auf-
für ist das bewusste Eingestehen des «Nicht-Wissens» (siehe                      gabe darin, das Set zu öffnen für die eigenen Erfahrungen, die
Kasten) auch des Facilitators angesichts der Besonderheiten                      sie mit dem Führungsverhalten im Unternehmen gemacht
und der Einzigartigkeit der Situation, um nicht die Illusion zu                  hatten und sich auf einen Austausch darüber einzulassen, um
erzeugen, der Berater verfüge über eine inhaltliche Experten-                    so eine erste Exploration vorzunehmen, wo tatsächlich Hand-
lösung, die es nur noch umzusetzen gelte. Der Abbau dieses                       lungsbedarf besteht. Voraussetzung dafür war, dass er sich auch
Gefälles setzt Lösungsenergie im Set frei.                                       selbst öffnete und empfangsbereit machte für das, was gera-
                                                                                 de passierte. Dem Set gegenüber gehörte dazu, Sicherheit zu
Critical Action Learning in der Praxis                                           vermitteln und einen wertschätzenden Rahmen zu schaffen,
Im ersten Fall, der exemplarisch für zahlreiche aktuelle Bei-                    der Offenheit nach innen und Vertraulichkeit nach außen si-
spiele betrachtet wird, war die Situation folgende: Die Mit-                     cherstellte, und so gleichzeitig unterstützend für die beteilig-
glieder des Sets, also der kleinen Gruppe von Managern ver-                      ten Personen war, aber auch kritisch herausforderndes Hin-
schiedener Ebenen, die sich freiwillig gemeldet hatten, um die                   terfragen garantierte.
Veränderung der Firmenkultur in Angriff zu nehmen, hatten                           Um diesen ungewohnten Ansatz für die Manager auch
zu Beginn unterschiedliche Vorstellungen von ihrer Aufgabe.                      konzeptionell nachvollziehbar zu machen, wurde vom Facili-
Die meisten gingen jedoch davon aus, dass es darum ginge,                        tator die in Abbildung 1 gezeigte Darstellung des Modells des
sich mit verschiedenen theoretischen oder in anderen Unter-                      Erfahrungslernens eingesetzt, welches im Action Learning häu-
nehmen realisierten Kulturkonzepten zu befassen, die derzei-                     fig verwendet wird, weil man damit auch Denk- und Hand-
tige Kultur genau zu beschreiben und anschließend ein Papier                     lungsgewohnheiten, die im Alltag nicht mehr hinterfragt wer-
mit Leitsätzen zu erstellen, welches im Unternehmen disku-                       den, und daher quasi automatisch ablaufen, besprechbar
tiert und verabschiedet werden könnte. Es gab allerdings auch                    machen kann. Solche Automatisierungsvorgänge finden sich
Stimmen, die – ohne ein alternatives Vorgehen vorzuschlagen                      überall, wo wir uns mit Routinen das Leben erleichtern. Wenn
– zu Recht skeptisch waren, ob die Erstellung und Wirkung ei-                    sie in Gruppen oder ganzen Organisationen ein akzeptiertes
nes solchen Papieres tatsächlich eine wirkliche Verbesserung                     Vorgehen sind, werden sie im Lauf der Zeit Teil der gelebten
bringen würde.                                                                   Kultur.

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Erfahrung | Schwerpunkt | Critical Action Learning | Bernhard Hauser

  Abbildung 1                                                            Abbildung 2
  Automatisierte Denk- und Handlungsweisen                               Auswertung von impliziten Beobachtungen
  werden nicht mehr reflektiert                                          schafft neuen Lösungsraum

                                             Automatisierte Denk-
                             Konkrete        und Handlungsweisen                                    Konkrete
                             Erfahrung       sind Bestandteile einer                                Erfahrung
                                             gemeinsamen Kultur
                                             und werden nicht mehr
                                             hinterfragt. Zugang:
                                             «Merkwürdigkeiten»

       Überprüfen der                                                         Überprüfen der
      Implikationen von                             Beobachtungen            Implikationen von                       Beobachtungen
     Konzepten in neuen
        Situationen
                                                          X
                                                    und Reflexionen         Konzepten in neuen
                                                                               Situationen
                                                                                                                     und Reflexionen

                                                                                                                    Kulturveränderung:
                                                                                                                    Bislang automati-
                                                                                                                    siertes Denken und
                                                                                                                    Handeln gezielt aus-
                            Bildung von                                                            Bildung von
                                                                                                                    werten, um neue
                           Konzepten und                                                          Konzepten und
                                                                                                                    produktive Lösun-
                          Generaliserungen                                                       Generaliserungen
                                                                                                                    gen zu entwickeln

Die Intervention des Facilitators zielt darauf, den vollen Lern-       nur dann kann er erfassen, wenn etwas Bedeutsames geschieht,
zyklus zu nutzen, indem Beobachtungen sorgsam ausgewer-                wie der erstmalige Austausch über zahlreiche Kränkungen.
tet werden. Denk- und Handlungsroutinen werden dabei ei-               Gleichzeitig geht es darum, bei den anderen zu sein und mit
ner Reflexion unterzogen, wodurch das quasi automatisierte             ihnen gemeinsam zu explorieren, um zu verstehen, was dies
Muster unterbrochen und ein verändertes Handeln möglich                genau bedeutet, wie es dazu kommt, warum niemand interve-
wird. Die Teilnehmer berichteten in der moderierten Reflexi-           niert und wie sich das auf den Mut und das Engagement vieler
on, dass abwertende Äußerungen von den nicht direkt betrof-            Kollegen auswirkt.
fenen Anwesenden meist schweigend hingenommen werden.                     Auf der anderen Ebene, in der Abbildung mit «Kollektiv, In-
Auch ihnen selbst fiel es häufig sehr schwer, die «Mauer des           dividuell und Rahmen» bezeichnet, geht es darum, den Ein-
Schweigens» zu durchbrechen, obwohl sie definitiv nicht ein-           zelnen wahrzunehmen mit seiner individuellen Erfahrung
verstanden waren. Als Betroffener, auch dazu gab es Erfahrun-          und Art sich zu äußern, wenn er sich öffnet. Auch der Facilita-
gen, fühle man sich vollständig alleingelassen.                        tor selbst ist in diesem Moment eines der beteiligten Indivi-
   Die Aufgabe im eingangs erwähnten Veränderungsprozess               duen, das von dem Erlebten etwas mitteilen kann (wenn auch
war es, diese subtilen und schwer fassbaren, aber außerordent-         nicht aus der Geschichte, die er nicht teilt) und klären hilft.
lich wirksam ablaufenden Mechanismen der sozialen Kont-                Der Spannungsbogen vom Individuellen zum Kollektiven fin-
rolle einem kollektiven Diskurs in der Reflexion zu unterziehen,       det durch einen Prozess der Vergemeinschaftung der unter-
um den Weg für neue Entscheidungen und eine Neujustierung              schiedlichen Einzelempfindungen und Verarbeitungen zu ei-
der Kultur zu öffnen (vgl. Abbildung 2).                               ner gemeinsam geteilten Einschätzung statt. Die Stimmigkeit
                                                                       auszuloten, aus der Energie zum Handeln entsteht, ist eine
Rolle des Facilitators                                                 wichtige Qualität des Facilitators, die nur über Präsenz und
Für den kritischen Facilitator stellt dies einen permanenten           Empfänglichkeit – eben dem ganzen Sein in seiner Verletzlich-
Balanceakt dar, zumal solche Prozesse der Kulturveränderung            keit – möglich ist.
oft mehrere Jahre dauern, bis sie nachhaltig wirksam werden.              Alle vier Felder, die sich aus der Kombination der beiden
Veranschaulichen lässt sich der Balanceakt des Facilitators mit        Achsen in der Darstellung ergeben, wurden vom Facilitator
der Darstellung in Abbildung 3, die auf Raelin zurückgeht. Die         genutzt:
Herausforderung ist eine doppelte: Der Facilitator muss, um               Die Facilitator-Kompetenz des Sprechens aus der eigenen
präsent zu sein, sich selbst spüren und bei sich selbst bleiben;       Betroffenheit aller Teilnehmer heraus nutzte der Facilitator, um

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  Abbildung 3
                                                                            und wie sie sich verhalten würden, um unbedachten Entwer-
  Interventionsfelder und Kompetenzen für                                   tungen entgegenzuwirken. Zusätzlich zu diesen unmittelbar
  kritische Facilitatoren nach Raelin                                       auf das eigene Verhalten bezogenen Reflexionen lenkte der
                                                                            Facilitator dann die Aufmerksamkeit darauf, wie die Unter-
                                                                            nehmensleitung und die gesamte Belegschaft in den gerade
                    Beim eigenen                 Mit anderen                stattgefundenen Arbeitsprozess einbezogen werden könnten.
                    Selbst bleiben               hinterfragen

                                                                            Diskussion — das Selbst des Facilitators im Prozess
                    Sprechen...                 Testen...
                    um das Gemeinsame           um ergebnisoffen            Der geschilderte kurze Ausschnitt aus einem komplexen Ver-
      Kollektiv
                    herauszufinden und          mögliche neue Wege          änderungsprozess macht deutlich, dass dem Selbst des Facili-
                    zu artikulieren             zu erkunden                 tators im CAL eine bedeutsame Rolle zukommt. Er nutzt es
                    Sich öffnen...              Klären...                   im Sinne von «Sein», um Zugang zur Atmosphäre und den
                    durch Aussprechen           um Fakten, Annah-           Schwingungen in der Gruppe zu erhalten und ein sicheres
      Individuell   eigener Zweifel und         men, Gründe und             Ambiente für kritische Reflexion zu schaffen, den Teilnehmern
                    Mitteilen der eigenen       Konsequenzen
                    Leidenschaft                heraus zu arbeiten          Gelegenheit zur Auswertung ihrer Erfahrungen zu geben und
                                                                            eingefahrene Denk- und Verhaltensweisen zu verlassen, sowie
                                          SEIN                              um Blockaden zu lösen und neue Wege zu beschreiten. Dazu ge-
      Rahmen                       präsent, neugierig                       hört auch, sich selbst zu öffnen, um in einem weitgehend hie-
                                     und verletzlich                        rarchiefreien Raum das gemeinsame Explorieren der Situation
                                                                            (auch der inneren Situation) zu ermöglichen und gemeinsam
                                                                            zu lernen.

einen Bezug zu konkret erlebten Episoden des Führungsver-
haltens im Unternehmen herzustellen, die die Teilnehmer
als merkwürdig und auffallend betrachteten. Die Teilnehmer
brachten in kürzester Zeit zahlreiche Beispiele und stellten in                Der Facilitator. Im Critical Action Learning (CAL) werden Dynamiken be-
einer ersten Auswertung fest, dass alle ähnliche Erfahrungen                   arbeitet, die trotz ihres großen Einflusses im normalen Berufsalltag selten
gemacht hatten, die sie als entwertenden Umgang unter Kol-                     professionell thematisiert werden. Die Rolle des Facilitators ist daher be-
legen empfanden. Diese emotional aufgeladene Situation führ-                   sonders wichtig, um das Set darin zu unterstützen, das Augenmerk auf die
te zu einer Vergemeinschaftung von Erfahrung, die von den                      verdeckten Dynamiken zu richten, die Erkenntnisse zu vergemeinschaften
Teilnehmern als entlastend empfunden wurde.                                    und so neue Handlungsoptionen zu eröffnen. Der Facilitator kann dieser
   Der Facilitator begleitete diesen Prozess aufmerksam und                    emanzipatorischen Aufgabe nur nachkommen, wenn er sich öffnet und
unterstützte durch behutsame Interventionen, damit alle aus-                   sich mit seiner Persönlichkeit einbringt, um die verschiedenen emotiona-
reichend Platz hatten und überprüfte inwieweit tatsächlich                     len und mikropolitischen Strömungen wahrzunehmen und im Set bear-
eine gemeinsame Einschätzung des Erlebten entstand. Anschlie-                  beitbar zu machen. Zu den beträchtlichen Anforderungen, die dies an die
ßend öffnete er sich der Gruppe und meldete zurück, wie er                     Persönlichkeit und an die professionelle Arbeit stellt, gehören:
selbst die gerade stattgefundene Situation erlebt hatte. Er gab                • Innere Klarheit und Unbestechlichkeit — sich nicht vereinnahmen zu
seiner Einschätzung Ausdruck, dass dies natürlich nur ein Aus-                    lassen und Mut, die Dinge anzusprechen, aber auch die Fähigkeit, Wahr-
schnitt der gelebten Firmenkultur war, aber möglicherweise                        nehmung nicht mit «Wahrheit» zu verwechseln.
eine bedeutsame Spur, und da Entwertung zu Entmutigung                         • Eine hinterfragende und suchende Haltung — auch in Bezug auf das
führen könne sei Engagement unter solchen Bedingungen mit                         eigene Denken und Handeln.
einem hohen emotionalen Risiko verknüpft.                                      • Ein bewusster Umgang mit Macht und Einfluss — die Vertrauensposi-
   Die Phasen des Klärens und Testens leitete der Facilitator                     tion erfordert, den eigenen Einfluss behutsam und nicht manipulativ
dadurch ein, dass er die Frage nach dem Handlungsbedarf auf                       zu nutzen, um dem Set einen sicheren Raum zur eigenen Entwicklung
der individuellen wie auf der kollektiven Ebene aufwarf. Zu-                      zu geben.
nächst klärte das Set mit jedem einzelnen Teilnehmer, wie es                   • Respekt vor den Werten und Einschätzungen anderer — verknüpft
ihm in der von ihm geschilderten Situation ging und was er                        damit, den Beteiligten die Möglichkeit zu eröffnen, in der Reflexion ihre
gebraucht hätte. Dies erzeugte bei allen noch einmal hohe Be-                     Überzeugungen zu überprüfen und ggf. weiterzuentwickeln.
troffenheit und führte auf der Ebene des Sets zu zahlreichen

OrganisationsEntwicklung Nr. 1 |2014                                                                                                                          21
Erfahrung | Schwerpunkt | Critical Action Learning | Bernhard Hauser

Dieser Prozess kann allerdings auch scheitern, da der Facili-
tator leicht zum Gegenstand von Projektionen wird, die ihn
mit eigenen Ängsten aber auch Vorurteilen, d. h. automatisier-      Literatur
ten Denk- und Handlungsmustern aus der persönlichen Bio-
grafie konfrontieren. In Fällen wie diesen kommt es durchaus
vor, dass auch ein Facilitator Zielscheibe von Entwertungen
wird und seine Kompetenz in Frage gestellt wird. Das Ausagie-
ren eines dadurch entstehenden Impulses durch Rückzug und
Vermeidung, so verständlich es wäre, würde das bestehende
Muster aber bestätigen, statt es in der Reflexion aufzuarbeiten
und dadurch die Möglichkeit zu eröffnen, es zu verändern.
Dieser offene Diskurs in einem hierarchiefreien Raum ist also
kein Selbstläufer, da der Facilitator allein schon durch seine
Anwesenheit Einfluss nimmt und in seiner Funktion auch Auf-
gaben hat, die es erfordern, den Einfluss zu nutzen. Ein Unter-     • Doppler, K. & Voigt, B. (2012). Feel the Change — Wie erfolgreiche
schied besteht aber zum Beispiel darin, ob der Facilitator als        Manager Emotionen steuern. Campus.
Rollenmodell die Gruppe unterstützt, kritisch zu reflektieren
                                                                    • Hauser, B. (2012 a). Action Learning — Workbook mit Praxistipps,
und als «Ko-Forscher» auch seine Eindrücke und Erkenntnisse
                                                                      Anleitungen und Hintergrundwissen für Trainer, Berater und Facilita-
dem Set zur Verfügung stellt oder ob er versucht, seine Position
                                                                      tors. Managerseminare.
dazu zu nutzen, die Gruppe mehr oder weniger subtil in eine
bestimmte Richtung zu bewegen, also zu manipulieren. Viel-          • Hauser, B. (2012 b). Navigation in unbekannten Welten — Dekonstruk-
leicht geschieht dies sogar in der subjektiv besten Absicht, weil     tion als zukünftige Führungsaufgabe. In: Grote, S. (Hrsg.). Die Zukunft
er glaubt, dass es zum Besten der Gruppe sei, vielleicht auch,        der Führung. Springer, S. 347—364.
weil er sich verpflichtet fühlt, angenommene oder tatsächli-        • Hauser, B. (2013). Wo ist die Führungs-KRAFT? Management,
che Aufträge zum Beispiel der Unternehmensleitung umzu-               Leadership, Shared Leadership und die Evolution der Führungsrolle.
setzen, ohne dies offen zu thematisieren. Der fortwährend sorg-       In: Landes, M. & Steiner, E. (Hrsg.), Psychologie der Wirtschaft.
same und sensible Umgang mit der eigenen Machtposition                Springer, S. 279—296.
gehört daher zu den herausragenden Anforderungen an einen
Facilitator. Der bewusste Umgang mit dem eigenen Selbst stellt      • Pedler, M. (Hrsg.) (2011). Action learning in practice. 4. Aufl. Gower.
für den Organisationsentwickler als Facilitator eine wesentli-      • Pedler, M. (2012). All in a knot of one another’s labours: self-deter-
che Bedingung dar, um Verstehen, Reflexion und gemeinsa-              mination, network organizing and learning. Action Learning: Research
mes Lernen zu fördern. Ein tendenziell hierarchiefreier, nicht-       and Practice 9, 1, S. 5—28.
manipulativer Umgang aber muss immer wieder neu erworben
und rückversichert werden durch eine Reflexion der Dynami-          • Raelin, J. (2008). Work-based learning — The new frontier of manage-
ken im Set.                                                           ment development. 2nd ed. Prentice Hall.

                                                                    • Revans, R. (2011). ABC of Action learning. Neuausgabe Aldershot:
                                                                      Gower.

                                                                    • Rigg, C. & Trehan, K. (2004). Reflections on working with critical
                                                                      action learning. Action Learning: Research & Practice. 1, 2, S. 149—165.

                            Prof. Dr.                               • Trehan, K. (2012). Die Rolle von Emotion und Macht — Kiran Trehan
                                                                      im Gespräch über Critical Action Learning. In: Hauser, B. Action Learning
                            Bernhard Hauser                           — Workbook mit Praxistipps, Anleitungen und hintergrundwissen für
                            Lehrstuhl für Change Management           Trainer, Berater und Facilitators. Managerseminare, S. 78—82.
                            an der Hochschule für angewandtes
                            Management in Erding und Geschäfts-     • Vince, R. (2004). Action learning and organizational learning: power,
                            führer des bhcg.impact.network,
                            München                                   politics and emotions in organizations. In: Action Learning 1, 1, S. 63—78.
                            Kontakt:                                • Willmott, H. (1997). Critical management learning. In: Bourgoyne,
                            bernhard.hauser@bhcg.biz
                                                                      J. & Reynolds, M. (Hrsg.), Integrating perspectives in theory and practice,
                                                                      S. 161—176.

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