Das Flexcap - eine innovative CO2-Bepreisung für Deutschland
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FORSCHUNGSERGEBNISSE Christian Traeger, Grischa Perino, Karen Pittel, Till Requate und Alex Schmitt* Das Flexcap – eine innovative CO2-Bepreisung für Deutschland Am 20. September hat die Bundesregierung die Einführung eines nationalen CO2 -Preises beschlossen. Sie hat sich dabei für eine Preisregulierung entschieden, die ab dem Jahr 2026 weitgehend durch eine Mengenregulierung ersetzt wird. Der vorliegende Artikel schlägt vor, Preis- und Mengenziel von Anfang an zu kombinieren und so Planungssicherheit zu schaffen, ohne das Mengenziel aus den Augen zu verlieren. DIE AKTUELLE DEBATTE UM EINEN CO 2 -PREIS nen Preis erwerben. Damit hätte Deutschland für die ersten fünf Jahre eine reine Preissteuerung, die in der Die vergangenen Monate waren von einer umfassen- Wirkung exakt einer CO2-Steuer entspricht. Ab 2026 den Debatte in Politik und Öffentlichkeit über die Ein- soll die Menge an verfügbaren Zertifikaten entspre- führung eines einheitlichen CO2-Preises in Deutsch- chend der deutschen Klimaziele begrenzt werden.3 land geprägt.1 Der Beschluss des Klimakabinetts Eine CO2-Steuer wird also 2026 durch einen Emissi- vom 20. September 2019 hat sich für die Einführung onshandel abgelöst. Damit, so die Bundesregierung, eines solchen entschieden. Dieser Beitrag schlägt soll Unternehmen und Konsumenten zunächst Preis- eine Umsetzung vor, die sich nahe an den Beschluss sicherheit und dennoch die Einhaltung der Klimaziele hält, jedoch Preisstabilisierung und Mengenziel kos- im Jahr 2030 gewährleistet werden.4 In diesem Bei- tengünstiger erreichen kann und die Planungsun trag stellen wir mit dem »Flexcap« einen Mechanis- sicherheit für die vorgeschlagene zweite Phase er mus vor, mit dem sich die Vorteile einer Steuer und heblich reduziert. Der momentane Beschluss sieht eines Emissionshandelss ystems zeitgleich und effek- eine Abfolge von zwei Steuermechanismen vor, die, tiver verbinden lassen. wie im Folgenden diskutiert, an entgegengesetz- An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass ten Enden des möglichen Spektrums liegen: eine zumindest ein Teil der Treibhausgasemissionen (THG) direkte Preissteuerung (CO2-Steuer) auf der einen in Deutschland bereits durch ein Emissionshan Seite und eine direkte Mengensteuerung (Emissi- delssystem reguliert wird: das europäische Emis- onshandelssystem) auf der anderen. Formal soll ab sionshandelssystem (EU-ETS).5 EU-weit deckt 2021 ein nationales Emissionshandelssystem für die das EU-ETS ca. 45% der Gesamtemissionen ab; in Sektoren Wärme und Verkehr eingerichtet werden, Deutschland machen die vom EU-ETS erfassten Sek- in den ersten fünf Jahren ist ein jährlich steigender toren Energiewirtschaft, Industrie und Bau sogar Preis der Zertifikate festgeschrieben.2 Die dem Sys- 57% der Gesamtemissionen 2017 aus (vgl. SVR 2019). tem unterliegenden Firmen können eine unbegrenz Im Fokus der gegenwärtigen Debatte stehen daher die te Anzahl an Zertifikaten zu diesem festgeschriebe- THG-Emissionen, die nicht unter das EU-ETS fallen, insbesondere in den Sektoren Verkehr und Wärme. * Prof. Dr. Christian Traeger ist Professor an der Universität Oslo Speziell im Verkehrssektor haben die Emissionen im und Forschungsdirektor am ifo Zentrum für Energie, Klima und Ressourcen. Prof. Dr. Grischa Perino ist Professor an der Universität Vergleich zum Jahr 1990 bis heute unter dem Strich Hamburg und leitet das Projekt »Dynamics of Climate Governance« kaum abgenommen. Dies ist auch deshalb proble- als Teil des Exzellenzclusters »Klima, Klimawandel und Gesellschaft«. Prof. Dr. Karen Pittel ist Professorin an der Ludwig-Maximilians matisch, da es verbindliche Reduktionsziele für die Universität München und Leiterin des ifo Zentrums für Energie, Klima Nicht-EU-ETS-Sektoren im Rahmen der »EU Effort und Ressourcen. Prof. Dr. Till Requate ist Professor an der Universität 3 Kiel. Dr. Alex Schmitt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am ifo Zent- Dabei wird zumindest im ersten Jahr ein Preiskorridor von 35 bis rum für Energie, Klima und Ressourcen. 60 Euro pro Tonne eingeführt, der ein Überschreiten der anvisierten Wir danken Dr. Johannes Pfeiffer und David Winkler für die exzellen- Emissionsmenge erlaubt, wenn der Preis zu hoch ist. 4 te Unterstützung bei der Erstellung dieses Artikels. Durch den Höchstpreis ist dies jedoch nicht gewährleistet, da die- 1 Ein Bestandteil dieser Debatte ist die Verteilungswirkung einer ser bindend ist und bei seinem Erreichen so lange zusätzliche Zertifi- solchen CO2 Bepreisung. Diese Frage ist orthogonal zu unserem Vor- kate und damit Emissionen generiert werden, bis deren Preis wieder schlag und nicht Bestandteil dieses Artikels. Für eine Diskussion im bei 60 Euro liegt. In diesem Fall würde Deutschland seine Verpflich- deutschen Kontext, siehe u.a. DIW (2019). tungen gegenüber der EU nicht einhalten und müsste die anderen 2 Die Preise liegen 2021 bei 10 Euro pro Tonne CO2, 2022 bei 20 Euro Staaten dafür mit erheblichen finanziellen Summen kompensieren. 5 pro Tonne, 2023 bei 25 Euro pro Tonne, 2024 bei 30 Euro pro Tonne Für weitere Informationen über das EU-ETS siehe u.a. Schmitt und 2025 bei 35 Euro pro Tonne. (2017) und Weimann (2017). 38 ifo Schnelldienst 18 / 2019 72. Jahrgang 26. September 2019
FORSCHUNGSERGEBNISSE Sharing Regulation« gibt. Abb. 1 Demnach muss Deutschland Funktionsweise von CO₂-Steuern seine THG-Emissionen in die- sen Sektoren bis 2030 um 38% im Vergleich zu 2005 vermin- Preis dern. Wird dies nicht erreicht, so können erhebliche Aus- Gleichgewicht CO₂-Steuer gleichszahlungen an andere EU-Länder fällig werden. Nicht zuletzt aus diesem CO₂-Steuer Grund scheint in weiten Tei- Realisiert len von Politik, Wissenschaft Grenzvermeidungskosten und Öffentlichkeit ein Konsens darüber zu bestehen, dass Erwartet auch für die Nicht-EU-ETS- Erwartete Tatsächliche Emissionen Sektoren ein CO2-Preis ein- Emissionen Emissionen geführt werden soll (vgl. u.a. Quelle: Darstellung der Autoren. © ifo Institut Blum et al. 2019). Hinsicht- lich der Umsetzung hat die Bundesregierung in den letzten Monaten mehrere die realisierten Vermeidungskosten von Firmen und Gutachten eingeholt (vgl. BMWi 2019; SVR 2019; Haushalten höher als vom Staat antizipiert, führt DIW 2019). Dabei besteht Einigkeit, dass zumindest eine Steuer in gegebener Höhe zu mehr Emissionen längerfristig eine Erweiterung des EU-ETS auf alle als erwartet (vgl. Abb. 1). Sektoren in allen EU-Mitgliedstaaten angestrebt Unter einer solchen reinen Preisregulierung werden sollte, was auf kurze bis mittlere Frist poli- herrscht daher Unsicherheit über die realisierte tisch nur schwer durch- und umsetzbar sein wird Emissionsmenge, wodurch es zu möglicherweise und in der Übergangszeit eine Lösung auf natio- erheblichen Abweichungen von einem Reduk naler Ebene erfordert (bzw. in einer »Koalition der tionsziel kommen kann (vgl. BMWi 2019). In den ers- Willigen«). ten fünf Jahren (2021–2025) hat die Bundesregie- Der vorliegende Artikel stellt eine Lösung vor, rung daher keine Kontrolle über die Gesamtemis- die die Vorteile von reinen Preis- und Mengenregu- sionen der Sektoren Wärme und Verkehr. Um den- lierungen kombiniert und dadurch effizienter ist: das noch eine Chance zu haben, die Klimaziele für 2030 sogenannte »Flexcap«. Auf längere Sicht könnte eine einzuhalten, ist daher Ende 2025 ein Systemwechsel solche Lösung auch für das EU-ETS oder für andere vorgesehen. Was bis dahin faktisch einer CO2-Steuer Emissionshandelssysteme etabliert werden. Um die- entspricht, wandelt sich in einen Emissionshandel sen Vorschlag in den Kontext der aktuellen Debatte (mit Preiskorridor). zu stellen, ist es hilfreich, sich die bisher diskutierten Alternativen noch einmal in Erinnerung zu rufen: eine EMISSIONSHANDEL CO2-Steuer und ein Emissionshandelssystem. In einem Emissionshandelssystem gibt der Staat CO 2 -STEUER eine begrenzte Menge an Emissionszertifikaten aus. Dem System unterliegende Unternehmen müs- Eine CO2-Steuer wird auf jede Tonne ausgestoßenes sen für den Ausstoß einer Tonne CO2 solch ein Zerti- CO2 erhoben. Kann ein Unternehmen seinen CO2-Aus- fikat besitzen und zum Ende des Jahres einreichen. stoß beispielsweise durch den Einsatz bestimmter Durch die Gesamtmenge der Zertifikate – auch als Technologien reduzieren, so spart es Geld, wenn es Cap bezeichnet – wird dabei die Höhe der Gesamt- den Anteil seiner Emissionen vermeidet, für den die emissionen zum Beispiel innerhalb eines Jahres fest- Kosten dieser Technologien – die sogenannten »Ver- gelegt. Die Verteilung der Zertifikate erfolgt entwe- meidungskosten« – geringer sind als die Steuer. Auf der mittels Auktionen oder umsonst anhand von die verbleibenden Emissionen wird die Steuer fäl- historisch determinierten Benchmarks (»Grand- lig. Das gleiche gilt, wenn in einem Emissionshandel fathering«). Unternehmen können Zertifikate unter- die Menge der Zertifikate nicht begrenzt ist, sondern einander handeln; der Marktpreis bildet sich durch wie im Beschluss der Bundesregierung zu einem fest Angebot und Nachfrage. Wie viele Zertifikate ein gelegten Preis erworben werden können. Der Preis Unternehmen kaufen oder verkaufen möchte, hängt der Zertifikate entspricht dabei dem Steuersatz. Die dabei wieder von seinen Vermeidungskosten ab. realisierte Menge an Emissionen hängt somit von der Liegen diese für einen Teil seiner Emissionen unter Höhe der Steuer und der (Grenz-)Vermeidungskosten dem Marktpreis, lohnt es sich, diese Emissionen ein- ab. Dabei ist die tatsächliche Höhe der Vermeidungs- zusparen und überschüssige Zertifikate zum Markt- kosten mit erheblicher Unsicherheit verbunden. Sind preis zu verkaufen. ifo Schnelldienst 18 / 2019 72. Jahrgang 26. September 2019 39
FORSCHUNGSERGEBNISSE Abb. 2 führen kann (vgl. BMWi 2019) Funktionsweise eines Emissionshandels und zusätzliche Maßnahmen wirkungslos macht. Preis Gleichgewicht Emissionshandel HYBRIDE BEPREISUNGS- Tatsächlicher Zertifikate- ANSÄTZE preis Der Beschluss des Klimaka Erwarteter binetts sieht, zumindest für Zertifikate - das erste Jahr (2026), kein »rei- preis Realisiert nes« Emissionshandelssystem Grenzvermeidungskosten vor, sondern ein sogenanntes »hybrides System« aus Preis- Erwartet und Mengensteuerung. Der Emissionen-Cap Emissionen klassische Emissionshandel wird dabei durch eine Unter- und/oder Obergrenze für den Quelle: Darstellung der Autoren. © ifo Institut Marktpreis ergänzt.6 Dies soll das Ausmaß der möglichen Unsicherheit über die Vermeidungskosten imp Preisschwankungen in einem Emissionshandels liziert Unsicherheit über die Nachfrage nach Emis system reduzieren und damit mehr Planungssicher- sionszertifikaten. Bei einem Emissionshandel ist das heit ermöglichen. Werden sowohl ein Mindest- als Angebot an Zertifikaten fixiert. So können sich An auch ein Höchstpreis eingeführt, spricht man von gebot und Nachfrage ausschließlich über den Preis einem »Preiskorridor« (vgl. Abb. 3). Genau das ist aneinander anpassen (vgl. Abb. 2). ab 2026 auch für den nationalen Emissionshan- Fallen die Vermeidungskosten höher aus als del in Deutschland vorgesehen, wobei der Min- erwartet, so kann dies zu einem empfindlichen destpreis 35 Euro pro Tonne und der Höchstpreis Anstieg des Zertifikatpreises und so zu einer höheren 60 Euro pro Tonne CO2 betragen soll. Im Jahr 2025 Belastung von Unternehmen und Konsumenten füh- soll entschieden werden, ob ein solcher Preiskor- ren. Umgekehrt würde sich eine geringere Nachfrage ridor auch nach 2026 erhalten bleibt oder ob man nach Zertifikaten in einem niedrigeren Marktpreis das System in einen klassichen Emissionshan- widerspiegeln. Falls Unternehmen und Haushalte del überführt. Ein Mindestpreis in einem Emissions- davon ausgehen, dass der Zertifikatpreis mittel- und handelssystem kann auf verschiedene Weisen um langfristig niedrig ist, kann dies zu weniger Investiti- gesetzt werden (vgl. Edenhofer et al. 2019): onen in neue Technologien und dadurch zu höheren Vermeidungskosten in der Zukunft führen. Die Festle- ‒ Reservationspreis bei den Auktionen von Zer gung der Emissionsobergrenze bedeutet auch, dass tifikaten: Dabei werden Zertifikate einbehal- zusätzliche politische Maßnahmen wie z.B. die Aus- tauschprämie für Ölheizungen innerhalb eines Emis- 6 Vgl. u.a. Roberts und Spence (1976), Pizer (2002), Wood und Jotzo sionshandelssystems keine direkte Klimawirkung (2011) sowie BMWi (2019), Edenhofer et al. (2019) und SVR (2019) im mehr haben. Sie führen lediglich dazu, dass die Emis Kontext der deutschen Debatte. sionen an anderer Stelle oder Abb. 3 zu einem anderen Zeitpunkt Preiskorridor (Preisober- und -untergrenze) erfolgen. Die Zertifikatmenge bleibt die gleiche, sie werden Preis Gleichgewicht Preiskorridor lediglich an anderer Stelle CO₂-Preis ohne benutzt. Das gleiche gilt für Preiskorridor freiwilliges Energiesparen pri- CO₂-Preis mit vater Haushalte (vgl. Perino Preiskorridor 2015). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine reine Mengenregulierung zwar Realisiert die Einhaltung von gegebenen Grenzvermeidungskosten Reduktionszielen garantiert, Erwartet aber zu erheblichen Preis- schwankungen und damit zu Emissionen-Cap Emissionen mit Emissionen eingeschränkter Planungssi- Preiskorridor cherheit auf Seiten von Unter- nehmen und Konsumenten Quelle: Darstellung der Autoren. © ifo Institut 40 ifo Schnelldienst 18 / 2019 72. Jahrgang 26. September 2019
FORSCHUNGSERGEBNISSE ten, sobald die Gebote unter dem Mindestpreis len hier die etwas vereinfachte Version als »Flex- liegen. cap« vor und passen sie an die deutsche Debatte und ‒ Aufkauf von bereits zirkulierenden Zertifikaten Zielgebung an. auf dem Sekundärmarkt. ‒ Einführung einer CO 2-Preisstützung (Carbon MECHANISMUS UND WIRKUNGSWEISE Price Support): Dabei handelt es sich um eine adaptive Steuer, die die Differenz zwischen dem Bei der Implementierung eines Flexcap erfolgt die anvisierten Mindestpreis und dem aktuellen Bestimmung von Preis und Menge entlang einer spe Marktpreis ausgleicht. Ein solches Instrument ziellen Angebotskurve für Zertifikate. Diese soge- existiert im Vereinigten Königreich im Strom- nannte »Anpassungsfunktion« bestimmt die Menge sektor. der zu auktionierenden Zertifikate als Funktion des Preises (vgl. Abb. 4). Ist der Preis hoch, so wer- Wie ein Mindestpreis im deutschen Emissions den mehr Zertifikate versteigert und das Cap expan- handelssystem umgesetzt werden soll, ist noch diert. Ist der Preis niedrig, so werden weniger Zertifi- unklar. Um einen Höchstpreis zu implementieren, kate versteigert und das Cap vermindert sich. Beide müssen bei Erreichung dieses Preisniveaus zusätz- Anpassungen stabilisieren den Preis im Vergleich zu liche Zertifikate in den Markt gegeben werden (vgl. einem Emissionshandelssystem mit fixem Cap. Die BMWi 2019). Ähnlich wie bei einer Preisregulierung Steigung der Anpassungsfunktion bestimmt dabei, ist daher in einem Emissionshandelssystem mit wie viel Gewicht auf die Preisstabilisierung gelegt einer Preisobergrenze die Einhaltung von Mengen- wird (je flacher, desto mehr) und wie viel Gewicht auf zielen nicht garantiert. Im Hinblick auf den natio das Mengenziel gelegt wird (je steiler, desto mehr). nalen Emissionshandel für die Nicht-EU-ETS-Sek- Eine CO2-Steuer und ein Emissionshandel mit fixem toren in Deutschland ist dieser grundsätzlich sinn- Cap sind extreme Varianten dieses Mechanismus. voll, da in diesen Sektoren aktuell noch hohe Un- Für die konkrete Umsetzung dieser Mengenan- sicherheit über die zu erwartenden Zertifikatpreise passung gibt es verschiedene Möglichkeiten. Wir herrscht (vgl. SVR 2019). Sinken die Preise zu einem schlagen hier eine sehr einfache Version vor. Dabei späteren Zeitpunkt wieder unter den Höchstpreis, hängt die neu zu versteigernde Menge direkt vom muss entschieden werden, ob und wie die zusätzli- Preis der vorangehenden Versteigerung ab.8 Im chen Zertifikate dem Markt wieder entzogen wer- Version werden Zertifikate weiterhin in Tonnen CO2 ausgegeben, und den. Auch dazu schweigen die Beschlüsse des die auktionierte Zertifikatsmenge passt sich mit leichter Verzögerung Klimakabinetts. an den Marktpreis an. Bereits Unold und Requate (2001) schlagen die Implementierung eines verwandten Systems durch die Ausgabe von Optionen vor. Perino und Willner (2017) plädieren ebenfalls für eine DAS FLEXCAP: EIN BESSERER UMGANG MIT Zertifikatsangebotsfunktion mit positiver Steigung. Zeitgleich zu unserem Artikel diskutieren auch Rickels et al. (2019) die aktuellen UNSICHERHEIT Vorschläge zur CO2-Bepreisung und merken Vorteile eines flexiblen Zertifikatangebots an. 8 Man könnte auch einen Durchschnittswert der Preise der voran- Das einfache Emissionshandelssystem wälzt alle gegangenen Versteigerungen heranziehen, um die neu zu verstei- Unsicherheit in Form von Preisschwankungen auf gernde Menge festzulegen. Hierbei ist es am sinnvollsten, die letzte Auktion am stärksten zu gewichten, um eine möglichst zeitnahe Firmen und Konsumenten ab. Eine reine Steuer Angleichung zu erreichen. Es ist auch denkbar, Börsenwerte des wälzt alle Unsicherheit auf die Emissionsmenge ab Sekundärmarktes zu berücksichtigen. In einer Auktion, bei der die Unternehmen wie in den Auktionen des EU-ETS Nachfragefunkti- und gefährdet die Erreichung des Mengenzieles. onen abgeben, kann auch der sich bildende Auktionspreis selbst Der Preiskorridor wälzt die Unsicherheit zunächst berücksichtigt werden. auf Unternehmen und Kon- Abb. 4 sumenten ab, solange die Flexcap Preisausschläge im Korri- dor bleiben, danach auf die Preis Emissionsmenge. Am effizi- entesten ist es jedoch, die Unsicherheit kontinuierlich Gleichgewicht Flexcap zwischen Preis und Menge CO₂-Preis mit aufzuteilen. Traeger und Karp Flexcap Flexcap-Anpassungsfunktion (2019) schlagen hierfür ein Realisiert intelligentes Emissionshan- delssystem vor, das soge- Grenzvermeidungskosten nannte »smart cap«.7 Wir stel- Erwartet 7 Im eigentlich »smart cap« werden Emissionen mit Emissionen Zertifikate gehandelt, deren CO2-Äqui- Flexcap valent eine Funktion des Marktpreises ist. Damit passen sich auch bereits ausgegebene Zertifikate in Echtzeit an den Marktpreis an. In der angewandten Quelle: Darstellung der Autoren. © ifo Institut ifo Schnelldienst 18 / 2019 72. Jahrgang 26. September 2019 41
FORSCHUNGSERGEBNISSE Tab. 1 Tab. 1 Flexcap und klassische System: Wirkungsvergleich Erwarteter Preis Realisierter Preis Erwartete Menge Realisierte in Euro in Euro in GtCO2 Menge in GtCO2 CO2-Steuer 25,00 Euro/tCO2 25,00 25,00 1,60 1,75 Emissionshandel mit Cap 1,60 GtCO2 25,00 37,19 1,60 1,60 Preiskorridor 20,00–35,00 Euro/tCO2 25,00 35,00 1,60 1,63 Flexcap mit flacher Anpassungsfunktion 25,00 26,00 1,60 1,74 Flexcap mit steiler Anpassungsfunktion 25,00 35,00 1,60 1,63 Quelle: Berechnungen der Autoren. EU-ETS finden die Versteigerungen meist wöchent- 37 Euro/tCO2, eine Zunahme um 50% gegenüber dem lich statt. In einem kleineren deutschen System ist erwarteten Preis. Das Beispiel illustriert, wie ein rei- zu erwarten, dass sie nur alle zwei oder vier Wo- ner Emissionshandel alle Unsicherheit auf den Zerti chen stattfinden.9 Dann führt ein hoher Preis im Mai fikatepreis und damit auf die Unternehmen und Kon- dazu, dass im Juni mehr Zertifikate versteigert wer- sumenten abwälzt. Eine reine Steuer dagegen wälzt den. Da Zertifikate erst am Ende des Jahres ein alle Unsicherheit auf die Emissionen ab und gefähr- gereicht werden müssen und die Anpassungsfunk- det die Erreichung des Mengenzieles. tion allen Marktteilnehmern bekannt ist, wird die Die dritte Zeile in Tabelle 1 bezieht sich auf Anpassung im Juni bereits bei der Auktion im Mai einen Preiskorridor mit einem Mindestpreis von antizipiert, was den Preisausschlag ohne Verzö- 20 Euro/tCO2 und einem Höchstpreis von gerung dämpft. Ist der Preis im Mai hingegen sehr 35 Euro/tCO2. In diesem Fall wird der Preis an der niedrig, wird die für Juni vorgesehene Auktionsmen- Preisobergrenze von 35 Euro/tCO2 stabilisiert; die ge entsprechend der Anpassungsfunktion gekürzt. daraus resultierenden Emissionen übersteigen die Tabelle 1 enthält ein vergleichendes Beispiel für anvisierte Emissionsobergrenze. die Wirkung des Flexcap und der zuvor diskutierten Zeilen 4 und 5 illustrieren das Flexcap. Mit einer klassischen Systeme. Unser Beispiel beinhaltet dabei flachen Steigung lässt es den Preis nur geringfügig sowohl eine flache als auch eine steile Wahl der An ansteigen, erlaubt aber eine stärkere Expansion der passungsfunktion. Auf die Wahl dieser Steigung kom- Zertifikatemenge. Mit einer steileren Anpassungs- men wir im nächsten Abschnitt zurück. In dem Bei- funktion erlaubt es einen stärkeren Preisausschlag, spiel nehmen wir vereinfachend an, dass der Preis erzwingt aber Emissionen, die kaum von der Ziel- über das Jahr konstant ist. menge abweichen. Das Beispiel bezieht sich auf das EU-ETS im Jahr 2020. Wir nehmen an, dass die vom Staat anvisierte Die Wahl der Anpassungsfunktion und die Preis-Mengen-Kombination gegeben, die erwarteten effiziente Zielerreichung Vermeidungskosten bei 25 Euro/tCO2 und die erwar- tete Emissionsmenge bei 1,60 GtCO2 liegen.10 Die tat- Die ökonomische Literatur ist sich weitgehend dar sächlich realisierten Vermeidungskosten sind aller- über einig, dass die Unsicherheit über die Grenzver- dings höher.11 Unter einer Preisregulierung würde meidungskosten zu besonders hohen Kosten führt, eine CO2-Steuer in Höhe von 25 Euro/tCO2 einge- wenn sie voll auf die Konsumenten und Unterneh- führt. Die realisierten Emissionen liegen dann um men abgewälzt wird, wie etwa in einem reinen Emis- ca. 10% über dem erwarteten Niveau. sionshandelssystem.12 Insbesondere bei der Ein- In einem Emissionshandelssystem werden Zer- führung eines neuen Emissionshandelssystems ist tifikate in einer Gesamtmenge von 1,60 GtCO2 aus diese Unsicherheit groß, nicht zuletzt da sie Sek- gegeben. Bei solch einer starren Emissionsober- toren abdeckt, die bisher keinem direkten CO2-Preis grenze steigt der Preis eines Zertifikats auf über ausgesetzt waren. Wir schlagen deshalb anfangs eine relative flache Anpassungsfunktion vor. Diese flache 9 Wenn es etwa zwölf Auktionen pro Jahr gibt, dann schlagen wir Anpassungsfunktion sollte natürlich durch die für das vor, dass jede dieser zwölf Auktionen in einem Kalenderjahr der gleichen Anpassungsfunktion folgt, und somit einem Zwölftel einer jeweilige Jahr anvisierte Preis-Mengen-Kombination jährlichen Anpassungsfunktion. gehen. Ähnlich wie im Vorschlag der Bundesregie- 10 Das eigentliche Cap im EU-ETS für 2020 beträgt ca. 1,81 GtCO2 (siehe https://ec.europa.eu/clima/policies/ets/cap_de). Allerdings rung können sich Haushalte und Unternehmen so all- liegen die beobachteten THG-Emission bereits seit 2016 darunter mählich an die Bepreisung der Emissionen gewöhnen, (siehe https://www.eea.europa.eu/data-and-maps/dashboards/ emissionstradingviewer1). Wir passen das Cap im Beispiel daher ohne zu großen Preisschwankungen ausgesetzt zu nach unten an. Der Preis entspricht hier in etwa dem momentanen sein. Sehr niedrige Preise, die die Anreize reduzieren, Marktpreis (Anfang September 2019). 11 Die Steigung der erwarteten Grenzvermeidungskosten (GVK) in emissionsvermeidende Technologien zu investie- basiert auf der Parametrisierung von Landis (2015, vgl. Tab. 4). Al- 12 lerdings wurde für das Beispiel die Lage der GVK-Kurve nach oben Siehe Newell und Pizer (2003) sowie Hoel und Karp (2002) für angepasst. Andernfalls würde sich mit dem verwendeten Cap ein dieses Ergebnis für die CO2-Regulierung. Karp und Traeger (2018) Zertifikatepreis von unter 20 Euro/tCO2 ergeben, was angesichts der zeigen, dass bei technischem Fortschritt etwas weniger Gewicht auf gegenwärtigen Marktpreise im EU-ETS zu niedrig erscheint. Die tat- die Preisstabilisierung fallen sollte als herkömmlich angenommen, sächlich realisierten Vermeidungskosten im Beispiel wurden als ein aber auch dann ist eine volle Abwälzung der Unsicherheit auf Konsu- mögliches Szenario frei gewählt. menten und Firmen nicht effizient. 42 ifo Schnelldienst 18 / 2019 72. Jahrgang 26. September 2019
FORSCHUNGSERGEBNISSE Abb. 5 ist relevant, wenn deutsche Anstieg der Steigung der Flexcap Unternehmen mit auslän- Anpassungsfunktion in dischen in Konkurrenz ste- späteren Jahren hen. Je mehr andere Länder Preis CO2 ebenfalls bepreisen, desto weniger anfällig ist die Wett- bewerbsfähigkeit in Deutsch- Anfängliche land ansässiger Unternehmen Anpassungsfunktion auf höhere Preise. Ist eine wei- tere Entlastung für einzelne im internationalen Wettbewerb Anfang stehende Unternehmen erfor- Grenzvermeidungskosten derlich, könnte dies im Flexcap Später auf die gleiche Weise erfolgen wie derzeit im EU-Emissions- handel, über kostenlos zu- Emissionen geteilte Zertifikate. Im Ver- Quelle: Darstellung der Autoren. © ifo Institut kehrs- und Wärmesektor dürfte die Anzahl an Unter- ren, würden ebenso vermieden wie sehr hohe Preise, nehmen, die durch einen CO2-Preis in ihrer Wettbe- die Haushalte und Unternehmen überfordern, etwa werbsfähigkeit gefährdet sind, jedoch weitaus gerin- da sie nicht schnell genug auf die CO2-Preise reagie- ger sein als im produzierenden Gewerbe, da Mo- ren können (z.B. mangels kurzfristig verfügbarer und bilität und Wärme von Natur aus ortsspezifische finanzierbarer Alternativen). Dienstleistungen sind. Die Anpassungsfunktionen Den unmittelbaren und anfänglichen Kosten auf werden heute bereits für den absehbaren Zeitraum, der Seite der Konsumenten und Unternehmen steht etwa bis zu den Zieljahren 2030 oder 2050, festge- die langfristige Erreichung der Klimaziele gegenüber. setzt. So kann regulatorische Unsicherheit erheblich Deshalb sollte die Anpassungsfunktion über die Zeit reduziert werden. steiler werden (vgl. Abb. 5). Eine steile Anpassungs- funktion lässt weniger Spielraum für eine Ausweitung DISKUSSION (oder Reduktion) des Flexcap, um so zu große Abwei- chungen von den für das Jahr 2030 bzw. 2050 gesetz- Das Flexcap hat, wie oben dargelegt, klare Vorteile im ten Zielen zu vermeiden.13 Die sukzessiv sinkende Umgang mit Unsicherheit im Vergleich zu einer CO2- Flexibilität bei der Anpassung der Emissionsmenge Steuer und einem herkömmlichen Emissionshan gibt Haushalten und Unternehmen die notwendige delssystem. Unter den bereits öffentlich diskutieren Zeit, um sich an höhere Preise und gegebenenfalls Vorschlägen kommt ein Emissionshandel mit Preis- auch Preisschwankungen zu gewöhnen und mit die- korridor dem Flexcap am nächsten. Im Vergleich zu sen umzugehen. einem Preiskorridor wird die Preisunsicherheit für Die Festlegung der Form der Anpassungsfunk- Firmen und Konsumenten unter einem Flexcap zu tion innerhalb der einzelnen Jahre und auch ihre jeder Zeit und damit unabhängig von der Höhe des Anpassung über die Zeit ist letzten Endes eine poli- Preisausschlages reduziert (vgl. Abb. 6). Die Anpas- tische Entscheidung. Allerdings könnte der Ent- sungsfunktion legt dabei automatisch fest, wie viele scheidungsprozess durch wissenschaftliche Simula- Zertifikate dem Markt zur Verfügung gestellt wer- tionsmodelle unterstützt werden. Dabei würde die den. Auf diese Weise bleibt ein Zertifikateüberschuss Anpassungsfunktion sowohl innerhalb einer Peri- nach einem nur kurzfristig erhöhten Preis nicht im ode als auch im Zeitverlauf so berechnet, dass ins- System, sondern wird diesem wieder sukzessive ent- gesamt möglichst geringe Kosten bei der Errei- zogen, indem in zukünftigen Auktionen automatisch chung des langfristigen Emissionsziels entstehen. weniger Zertifikate versteigert werden. Bei einem Auf diese Weise würde die Anpassungsfunktion nach Emissionshandelssystem mit Preiskorridor ist dies dem besten Wissensstand über heutige und zukünf- für gewöhnlich nur der Fall, wenn Zertifikate vom tige Vermeidungstechnologien und -kosten festge- Staat zurückgekauft werden. Ob dies im geplanten legt. Ebenso könnte berücksichtigt werden, in wie deutschen Emissionshandel der Fall wäre, lässt der weit andere Länder einen vergleichbaren CO2-Preis Beschluss des Klimakabinetts offen. in den betroffenen Sektoren implementieren. Dies Ein Flexcap erfordert kein aktives Management und verursacht somit nur geringe Umsetzungskos- 13 Für das Jahr 2030 oder 2050 sollte das Flexcap durch einen Punkt laufen, der das von Deutschland gesetzte Mengenziel mit einem für ten. Dadurch dass der gegenwärtige und zukünftige die Gesellschaft akzeptablen Preis verbindet. Die Steigung könnte Verlauf der Anpassungsfunktion den Firmen bekannt sich etwa an den fälligen Ausgleichszahlungen bei einer Nichterrei- chung des Mengenzieles orientieren. Natürlich muss die Anpassungs- ist, ist die regulatorische Unsicherheit gering. Die funktion weder linear noch symmetrisch um das anvisierte Ziel sein. Gefahr, dass sich ein Flexcap-System in einer Weise ifo Schnelldienst 18 / 2019 72. Jahrgang 26. September 2019 43
FORSCHUNGSERGEBNISSE Abb. 6 Die Sitzung des Klima- Flexcap kabinetts vom 20. September bot eine historische Chance Preis Gleichgewicht Preiskorridor für einen Neuanfang in der deutschen Klimapolitik. Im CO₂-Preis mit grundlegenden Design wurde Preiskorridor Gleichgewicht Flexcap der Versuch unternommen, CO₂-Preis mit Preis- und Mengenregulierung Flexcap Flexcap-Anpassungsfunktion zu kombinieren. Das ist grund- sätzlich lobenswert. Im Ver- Realisiert gleich zu dem in den Beschlüs- Grenzvermeidungskosten sen festgehaltenen Kompro- Erwartet miss bietet das Flexcap jedoch eine effizientere Lösung, die Emissionen mit Emissionen Emissionen Preis- und Mengenziel simul- Preiskorridor mit Flexcap tan im Auge behält und die bereits angekündigten Sys- Quelle: Darstellung der Autoren. © ifo Institut temwechsel und Nachregu- lierungen vermeiden kann. entwickelt, die unerwünscht ist und dadurch poli Es bleibt offen, in welchem System und zu welchem tischen Druck für eine Änderung der Regeln erzeugt, Preis die Bundesregierung ihr Mengenziel 2030 errei- ist geringer als bei einer CO2-Steuer oder einem Emis- chen will. Dies schafft Planungsunsicherheit, die in sionshandel mit fixem Cap. Die Steuer muss nach- Verbindung mit den niedrigen Anfangspreisen negati justiert werden, wenn die Klimaziele zu deutlich ver- ve Auswirkungen auf Investitionen und Innovation fehlt werden, und ein einfaches Emissionshandels- haben kann. Mit der Einführung des Flexcap könnte system läuft Gefahr, dass die Preise nicht den Erwar- sich Deutschland als innovatives Vorbild für ein tungen entsprechen. Im EU-Emissionshandelssys- besseres System der Emissionsbepreisung und damit tem wurden aus diesem Grund in den letzten Jahren für ein kostengünstigeres Erreichen der langfristigen mehrfach erhebliche Korrekturen vorgenommen. Das klimapolitischen Ziele etablieren. Flexcap greift diese Erfahrungen auf und reduziert Für eine Ausweitung auf EU-Ebene ist hierbei die Gefahr nachträglicher Anpassungen der Regeln relevant, dass das Flexcap keine Steuer ist. Es würde und erhöht damit die Planungssicherheit für Unter- damit nicht unter das Einstimmigkeitsgebot des nehmen. Ein solch flexibles System bedeu- Lissaboner Vertrages fallen. Auch in Deutschland tet somit einen klaren Standortvorteil gegen- ist die rechtliche Grundlage für die Einführung einer über Ländern mit reiner CO2-Steuer- bzw. reinem De-Facto-Steuer, wie sie in den Jaren 2021–2025 Emissionshandelssystem. vorgesehen ist, noch nicht endgültig geklärt.15 Soll Wir verweisen auf Karp und Traeger (2019) für die te das Flexcap mittelfristig auch auf EU-Ebene zur Diskussion der Auswirkungen und Neutralisierung Anwendung kommen, würden die Implementati- von potenzieller Marktmacht im Flexcap sowie die onshürden denen einer Modifikation des bestehen- Diskussion von »Banking«, der Aufbewahrung von den Emissionshandelssystems entsprechen. Es wäre Zertifikaten. Das deutsche Flexcap für die Nicht- dazu erheblich transparenter und wirksamer als die EU-ETS-Sektoren würde bereits hinreichend viele Marktstabilitätsreserve (vgl. Perino 2018). Deren Marktteilnehmer umfassen, so dass nicht mit Markt- erste Überprüfung ist für 2021 festgeschrieben, macht zu rechnen wäre. Da die Anpassungsfunk- weitere folgen alle fünf Jahre. Bewährt sich das tion Unsicherheiten wie konjunkturelle Schwankun- Flexcap in Deutschland, wäre eine Übertragung gen abfedert, fällt ein wesentliches Argument für die auf den EU-Emissionshandel also eine realistische Übertragbarkeit von Zertifikaten auf zukünftige Jahre Option. (Banking) weg. Aus diesem Grund ist unser Vorschlag, jeweils Zertifikate mit Gültigkeit für ein bestimmtes LITERATUR Kalenderjahr auszugeben und Banking nicht zuzu- lassen.14 Zur Frage, ob Zertifikate auf zukünftige Blum, J., R. de Britto Schiller, A. Löschel, J. Pfeiffer, K. Pittel, N. Potrafke und A. Schmitt (2019), »Zur Bepreisung von CO2-Emissionen – Ergebnisse Jahre übertragen werden können, äußert sich der aus dem Ökonomenpanel«, ifo Schnelldienst 72(16/), 60–65. Beschluss des Klimakabinetts nicht. 15 Eine direkte Besteuerung von CO2-Emissionen sieht das Grund- gesetz nicht vor (Art. 106 GG). Ein Emissionshandelssystem, das die Menge der Zertifikate begrenzt und so den Preis am Markt bildet, 14 Banking führt im Emissionshandel mit fixem Cap dazu, dass sich wurde bereits als verfassungskonform eingestuft (z.B. 1 BvR 2864/13). die Preisentwicklung im Erwartungswert über den gesamten Ban- Dies ist im Vorschlag der Bundesregierung in den Jahren 2021–2025 king-Horizont am Marktzins orientiert (vgl. etwa Silbye und Sørensen jedoch nicht gegeben (und strenggenommen auch nicht bei dem 2019). Dies ist im Allgemeinen nicht optimal und kann bei Unkennt- darauf folgenden Emissionshandel mit Preiskorridor). In unserem nis der Details anschließender Phasen zu großer regulatorischer Vorschlag des Flexcap fixiert der Preis der Vorperiode die Menge der Unsicherheit führen. zu auktionierenden Zertifikate und der Preis bildet sich am Markt. 44 ifo Schnelldienst 18 / 2019 72. Jahrgang 26. September 2019
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