Das Flexcap - eine innovative CO2-Bepreisung für Deutschland

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FORSCHUNGSERGEBNISSE

     Christian Traeger, Grischa Perino, Karen Pittel, Till Requate und Alex Schmitt*

     Das Flexcap – eine innovative
     CO2-Bepreisung für Deutschland

     Am 20. September hat die Bundesregierung die Einführung eines nationalen CO2 -Preises
     beschlossen. Sie hat sich dabei für eine Preisregulierung entschieden, die ab dem Jahr 2026
     weitgehend durch eine Mengenregulierung ersetzt wird. Der vorliegende Artikel schlägt
     vor, Preis- und Mengenziel von Anfang an zu kombinieren und so Planungssicherheit zu
     schaffen, ohne das Mengenziel aus den Augen zu verlieren.

     DIE AKTUELLE DEBATTE UM EINEN CO 2 -PREIS                                 nen Preis erwerben. Damit hätte Deutschland für die
                                                                               ersten fünf Jahre eine reine Preissteuerung, die in der
     Die vergangenen Monate waren von einer umfassen-                          Wirkung exakt einer CO2-Steuer entspricht. Ab 2026
     den Debatte in Politik und Öffentlichkeit über die Ein-                   soll die Menge an verfügbaren Zertifikaten entspre-
     führung eines einheitlichen CO2-Preises in Deutsch-                       chend der deutschen Klimaziele begrenzt werden.3
     land geprägt.1 Der Beschluss des Klimakabinetts                           Eine CO2-Steuer wird also 2026 durch einen Emissi-
     vom 20. September 2019 hat sich für die Einführung                        onshandel abgelöst. Damit, so die Bundesregierung,
     eines solchen entschieden. Dieser Beitrag schlägt                         soll Unternehmen und Konsumenten zunächst Preis-
     eine Umsetzung vor, die sich nahe an den Beschluss                        sicherheit und dennoch die Einhaltung der Klimaziele
     hält, jedoch Preisstabilisierung und Mengenziel kos-                      im Jahr 2030 gewährleistet werden.4 In diesem Bei-
     tengünstiger erreichen kann und die Planungsun­                           trag stellen wir mit dem »Flexcap« einen Mechanis-
     sicherheit für die vorgeschlagene zweite Phase er­­                       mus vor, mit dem sich die Vorteile einer Steuer und
     heblich reduziert. Der momentane Beschluss sieht                          eines Emissionshandels­s ystems zeitgleich und effek-
     eine Abfolge von zwei Steuermechanismen vor, die,                         tiver verbinden lassen.
     wie im Folgenden diskutiert, an entgegengesetz-                                An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass
     ten Enden des möglichen Spektrums liegen: eine                            zumindest ein Teil der Treibhausgasemissionen (THG)
     direkte Preissteuerung (CO2-Steuer) auf der einen                         in Deutschland bereits durch ein Emissionshan­
     Seite und eine direkte Mengensteuerung (Emissi-                           delssystem reguliert wird: das europäische Emis-
     onshandelssystem) auf der anderen. Formal soll ab                         sionshandelssystem (EU-ETS).5 EU-weit deckt
     2021 ein nationales Emissionshandelssystem für die                        das EU-ETS ca. 45% der Gesamtemissionen ab; in
     Sektoren Wärme und Verkehr eingerichtet werden,                           Deutschland machen die vom EU-ETS erfassten Sek-
     in den ersten fünf Jahren ist ein jährlich steigender                     toren Energiewirtschaft, Industrie und Bau sogar
     Preis der Zertifikate festgeschrieben.2 Die dem Sys-                      57% der Gesamtemissionen 2017 aus (vgl. SVR 2019).
     tem unterliegenden Firmen können eine unbegrenz­                          Im Fokus der gegenwärtigen Debatte stehen daher die
     ­te Anzahl an Zertifikaten zu diesem festgeschriebe-                      THG-Emissionen, die nicht unter das EU-ETS fallen,
                                                                               insbesondere in den Sektoren Verkehr und Wärme.
     * Prof. Dr. Christian Traeger ist Professor an der Universität Oslo        Speziell im Verkehrssektor haben die Emissionen im
     und Forschungsdirektor am ifo Zentrum für Energie, Klima und
     Ressourcen. Prof. Dr. Grischa Perino ist Professor an der Universität
                                                                               Vergleich zum Jahr 1990 bis heute unter dem Strich
     Hamburg und leitet das Projekt »Dynamics of Climate Governance«           kaum abgenommen. Dies ist auch deshalb proble-
     als Teil des Exzellenzclusters »Klima, Klimawandel und Gesellschaft«.
     Prof. Dr. Karen Pittel ist Professorin an der Ludwig-Maximilians­
                                                                               matisch, da es verbindliche Reduktionsziele für die
     Universität München und Leiterin des ifo Zentrums für Energie, Klima      Nicht-EU-ETS-Sektoren im Rahmen der »EU Effort
     und Ressourcen. Prof. Dr. Till Requate ist Professor an der Universität
                                                                               3
     Kiel. Dr. Alex Schmitt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am ifo Zent-       Dabei wird zumindest im ersten Jahr ein Preiskorridor von 35 bis
     rum für Energie, Klima und Ressourcen.                                    60 Euro pro Tonne eingeführt, der ein Überschreiten der anvisierten
     Wir danken Dr. Johannes Pfeiffer und David Winkler für die exzellen-      Emissionsmenge erlaubt, wenn der Preis zu hoch ist.
                                                                               4
     te Unterstützung bei der Erstellung dieses Artikels.                         Durch den Höchstpreis ist dies jedoch nicht gewährleistet, da die-
     1
        Ein Bestandteil dieser Debatte ist die Verteilungswirkung einer        ser bindend ist und bei seinem Erreichen so lange zusätzliche Zertifi-
     solchen CO2 Bepreisung. Diese Frage ist orthogonal zu unserem Vor-        kate und damit Emissionen generiert werden, bis deren Preis wieder
     schlag und nicht Bestandteil dieses Artikels. Für eine Diskussion im      bei 60 Euro liegt. In diesem Fall würde Deutschland seine Verpflich-
     deutschen Kontext, siehe u.a. DIW (2019).                                 tungen gegenüber der EU nicht einhalten und müsste die anderen
     2
        Die Preise liegen 2021 bei 10 Euro pro Tonne CO2, 2022 bei 20 Euro     Staaten dafür mit erheblichen finanziellen Summen kompensieren.
                                                                               5
     pro Tonne, 2023 bei 25 Euro pro Tonne, 2024 bei 30 Euro pro Tonne            Für weitere Informationen über das EU-ETS siehe u.a. Schmitt
     und 2025 bei 35 Euro pro Tonne.                                           (2017) und Weimann (2017).

38   ifo Schnelldienst   18 / 2019   72. Jahrgang   26. September 2019
FORSCHUNGSERGEBNISSE

Sharing Regulation« gibt.              Abb. 1
Demnach muss Deutschland               Funktionsweise von CO₂-Steuern
seine THG-Emissionen in die-
sen Sektoren bis 2030 um 38%
im Vergleich zu 2005 vermin-                         Preis

dern. Wird dies nicht erreicht,
so können erhebliche Aus-
                                                                                                       Gleichgewicht CO₂-Steuer
gleichszahlungen an andere
EU-Länder fällig werden.
      Nicht zuletzt aus diesem              CO₂-Steuer
Grund scheint in weiten Tei-                                                                         Realisiert
len von Politik, Wissenschaft
                                                                                                     Grenzvermeidungskosten
und Öffentlichkeit ein Konsens
darüber zu bestehen, dass                                                                            Erwartet
auch für die Nicht-EU-ETS-                                                  Erwartete   Tatsächliche Emissionen
Sektoren ein CO2-Preis ein-                                                Emissionen   Emissionen
geführt werden soll (vgl. u.a.
                                       Quelle: Darstellung der Autoren.                                                   © ifo Institut
Blum et al. 2019). Hinsicht-
lich der Umsetzung hat die
Bundesregierung in den letzten Monaten mehrere die realisierten Vermeidungskosten von Firmen und
Gutachten eingeholt (vgl. BMWi 2019; SVR 2019; Haushalten höher als vom Staat antizipiert, führt
DIW 2019). Dabei besteht Einigkeit, dass zumindest eine Steuer in gegebener Höhe zu mehr Emissionen
längerfristig eine Erweiterung des EU-ETS auf alle als erwartet (vgl. Abb. 1).
Sektoren in allen EU-Mitgliedstaaten angestrebt                             Unter einer solchen reinen Preisregulierung
werden sollte, was auf kurze bis mittlere Frist poli- herrscht daher Unsicherheit über die realisierte
tisch nur schwer durch- und umsetzbar sein wird Emissionsmenge, wodurch es zu möglicherweise
und in der Übergangszeit eine Lösung auf natio- erheblichen Abweichungen von einem Reduk­
naler Ebene erfordert (bzw. in einer »Koalition der tionsziel kommen kann (vgl. BMWi 2019). In den ers-
Willigen«).                                                             ten fünf Jahren (2021–2025) hat die Bundesregie-
      Der vorliegende Artikel stellt eine Lösung vor, rung daher keine Kontrolle über die Gesamtemis-
die die Vorteile von reinen Preis- und Mengenregu- sionen der Sektoren Wärme und Verkehr. Um den-
lierungen kombiniert und dadurch effizienter ist: das noch eine Chance zu haben, die Klimaziele für 2030
sogenannte »Flexcap«. Auf längere Sicht könnte eine einzuhalten, ist daher Ende 2025 ein Systemwechsel
solche Lösung auch für das EU-ETS oder für andere vor­gesehen. Was bis dahin faktisch einer CO2-Steuer
Emissionshandelssysteme etabliert werden. Um die- entspricht, wandelt sich in einen Emissionshandel
sen Vorschlag in den Kontext der aktuellen Debatte (mit Preiskorridor).
zu stellen, ist es hilfreich, sich die bisher diskutierten
Alternativen noch einmal in Erinnerung zu rufen: eine EMISSIONSHANDEL
CO2-Steuer und ein Emissionshandelssystem.
                                                                        In einem Emissionshandelssystem gibt der Staat
CO 2 -STEUER                                                            eine begrenzte Menge an Emissionszertifikaten
                                                                        aus. Dem System unterliegende Unternehmen müs-
Eine CO2-Steuer wird auf jede Tonne ausgestoßenes sen für den Ausstoß einer Tonne CO2 solch ein Zerti-
CO2 erhoben. Kann ein Unternehmen seinen CO2-Aus- fikat besitzen und zum Ende des Jahres einreichen.
stoß beispielsweise durch den Einsatz bestimmter Durch die Gesamtmenge der Zertifikate – auch als
Technologien reduzieren, so spart es Geld, wenn es Cap bezeichnet – wird dabei die Höhe der Gesamt-
den Anteil seiner Emissionen vermeidet, für den die emissionen zum Beispiel innerhalb eines Jahres fest-
Kosten dieser Technologien – die sogenannten »Ver- gelegt. Die Verteilung der Zertifikate erfolgt entwe-
meidungskosten« – geringer sind als die Steuer. Auf der mittels Auktionen oder umsonst anhand von
die verbleibenden Emissionen wird die Steuer fäl- historisch determinierten Benchmarks (»Grand-
lig. Das gleiche gilt, wenn in einem Emissionshandel fathering«). Unternehmen können Zertifikate unter-
die Menge der Zertifikate nicht begrenzt ist, sondern einander handeln; der Marktpreis bildet sich durch
wie im Beschluss der Bundesregierung zu einem fest­ Angebot und Nachfrage. Wie viele Zertifikate ein
gelegten Preis erworben werden können. Der Preis Unternehmen kaufen oder verkaufen möchte, hängt
der Zertifikate entspricht dabei dem Steuersatz. Die dabei wieder von seinen Vermeidungskosten ab.
realisierte Menge an Emissionen hängt somit von der Liegen diese für einen Teil seiner Emissionen unter
Höhe der Steuer und der (Grenz-)Vermeidungskosten dem Marktpreis, lohnt es sich, diese Emissionen ein-
ab. Dabei ist die tatsächliche Höhe der Vermeidungs- zusparen und überschüssige Zertifikate zum Markt-
kosten mit erheblicher Unsicherheit verbunden. Sind preis zu verkaufen.

                                                                                ifo Schnelldienst   18 / 2019   72. Jahrgang   26. September 2019   39
FORSCHUNGSERGEBNISSE

     Abb. 2                                                                                                     führen kann (vgl. BMWi 2019)
     Funktionsweise eines Emissionshandels                                                                      und zusätzliche Maßnahmen
                                                                                                                wirkungslos macht.
                   Preis                                          Gleichgewicht Emissionshandel
                                                                                                                HYBRIDE BEPREISUNGS-
          Tatsächlicher
          Zertifikate-                                                                                          ANSÄTZE
          preis
                                                                                                                Der Beschluss des Klimaka­
          Erwarteter                                                                                            binetts sieht, zumindest für
          Zertifikate -                                                                                         das erste Jahr (2026), kein »rei-
          preis                                                            Realisiert
                                                                                                                nes« Emissionshandelssystem
                                                                           Grenzvermeidungskosten               vor, sondern ein sogenanntes
                                                                                                                »hybrides System« aus Preis-
                                                                           Erwartet
                                                                                                                und Mengensteuerung. Der
                                      Emissionen-Cap                       Emissionen                           klassische Emissionshandel
                                                                                                                wird dabei durch eine Unter-
                                                                                                                und/oder Obergrenze für den
     Quelle: Darstellung der Autoren.                                                           © ifo Institut
                                                                                                                Marktpreis ergänzt.6 Dies soll
                                                                                                                das Ausmaß der möglichen
           Unsicherheit über die Vermeidungskosten imp­ Preisschwankungen in einem Emissionshandels­
     liziert Unsicherheit über die Nachfrage nach Emis­ system reduzieren und damit mehr Planungssicher-
     sionszertifikaten. Bei einem Emissionshandel ist das heit ermöglichen. Werden sowohl ein Mindest- als
     Angebot an Zertifikaten fixiert. So können sich An­­ auch ein Höchstpreis eingeführt, spricht man von
     gebot und Nachfrage ausschließlich über den Preis einem »Preiskorridor« (vgl. Abb. 3). Genau das ist
     aneinander anpassen (vgl. Abb. 2).                                          ab 2026 auch für den nationalen Emissionshan-
           Fallen die Vermeidungskosten höher aus als del in Deutschland vorgesehen, wobei der Min-
     erwartet, so kann dies zu einem empfindlichen destpreis 35 Euro pro Tonne und der Höchstpreis
     Anstieg des Zertifikatpreises und so zu einer höheren 60 Euro pro Tonne CO2 betragen soll. Im Jahr 2025
     Belastung von Unternehmen und Konsumenten füh- soll entschieden werden, ob ein solcher Preiskor-
     ren. Umgekehrt würde sich eine geringere Nachfrage ridor auch nach 2026 erhalten bleibt oder ob man
     nach Zertifikaten in einem niedrigeren Marktpreis das System in einen klassichen Emissionshan-
     widerspiegeln. Falls Unternehmen und Haushalte del überführt. Ein Mindestpreis in einem Emissions-
     davon ausgehen, dass der Zertifikatpreis mittel- und handelssystem kann auf verschiedene Weisen um­­
     langfristig niedrig ist, kann dies zu weniger Investiti- gesetzt werden (vgl. Edenhofer et al. 2019):
     onen in neue Technologien und dadurch zu höheren
     Vermeidungskosten in der Zukunft führen. Die Festle- ‒ Reservationspreis bei den Auktionen von Zer­
     gung der Emissionsobergrenze bedeutet auch, dass                                  tifikaten: Dabei werden Zertifikate einbehal-
     zusätzliche politische Maßnahmen wie z.B. die Aus-
     tauschprämie für Ölheizungen innerhalb eines Emis-
                                                                                 6
                                                                                    Vgl. u.a. Roberts und Spence (1976), Pizer (2002), Wood und Jotzo
     sionshandelssystems keine direkte Kli­mawirkung (2011)                              sowie BMWi (2019), Edenhofer et al. (2019) und SVR (2019) im
     mehr haben. Sie führen lediglich dazu, dass die Emis­ Kontext der deutschen Debatte.
     sionen an anderer Stelle oder
                                               Abb. 3
     zu einem anderen Zeitpunkt
                                               Preiskorridor (Preisober- und -untergrenze)
     erfolgen. Die Zertifikatmenge
     bleibt die gleiche, sie werden
                                                               Preis                                Gleichgewicht Preiskorridor
     lediglich an anderer Stelle                CO₂-Preis ohne
     benutzt. Das gleiche gilt für                 Preiskorridor
     freiwilliges Energiesparen pri-              CO₂-Preis mit
     vater Haushalte (vgl. Perino                 Preiskorridor

     2015).            Zusammenfassend
     lässt sich sagen, dass eine
     reine Mengenregulierung zwar                                                                                         Realisiert
     die Einhaltung von gegebenen                                                                                         Grenzvermeidungskosten
     Reduktionszielen garantiert,
                                                                                                                          Erwartet
     aber zu erheblichen Preis-
     schwankungen und damit zu                                               Emissionen-Cap Emissionen mit                Emissionen
     eingeschränkter Planungssi-                                                                 Preiskorridor
     cherheit auf Seiten von Unter-
     nehmen und Konsumenten                    Quelle: Darstellung der Autoren.                                                             © ifo Institut

40   ifo Schnelldienst    18 / 2019   72. Jahrgang   26. September 2019
FORSCHUNGSERGEBNISSE

     ten, sobald die Gebote unter dem Mindestpreis                          len hier die etwas vereinfachte Version als »Flex-
     liegen.                                                                cap« vor und passen sie an die deutsche Debatte und
‒    Aufkauf von bereits zirkulierenden Zertifikaten                        Zielgebung an.
     auf dem Sekundärmarkt.
‒    Einführung einer CO 2-Preisstützung (Carbon                            MECHANISMUS UND WIRKUNGSWEISE
     Price Support): Dabei handelt es sich um eine
     adaptive Steuer, die die Differenz zwischen dem                        Bei der Implementierung eines Flexcap erfolgt die
     anvisierten Mindestpreis und dem aktuellen                             Bestimmung von Preis und Menge entlang einer spe­
     Marktpreis ausgleicht. Ein solches Instrument                          ziellen Angebotskurve für Zertifikate. Diese soge-
     existiert im Vereinigten Königreich im Strom-                          nannte »Anpassungsfunktion« bestimmt die Menge
     sektor.                                                                der zu auktionierenden Zertifikate als Funktion
                                                                            des Preises (vgl. Abb. 4). Ist der Preis hoch, so wer-
Wie ein Mindestpreis im deutschen Emissions­                                den mehr Zertifikate versteigert und das Cap expan-
handelssystem umgesetzt werden soll, ist noch                               diert. Ist der Preis niedrig, so werden weniger Zertifi-
unklar. Um einen Höchstpreis zu implementieren,                             kate versteigert und das Cap vermindert sich. Beide
müssen bei Erreichung dieses Preisniveaus zusätz-                           Anpassungen stabilisieren den Preis im Vergleich zu
liche Zer­tifikate in den Markt gegeben werden (vgl.                        einem Emissionshandelssystem mit fixem Cap. Die
BMWi 2019). Ähnlich wie bei einer Preisregulierung                          Steigung der Anpassungsfunktion bestimmt dabei,
ist daher in einem Emissionshandelssystem mit                               wie viel Gewicht auf die Preisstabilisierung gelegt
einer Preis­obergrenze die Einhaltung von Mengen-                           wird (je flacher, desto mehr) und wie viel Gewicht auf
zielen nicht garantiert. Im Hinblick auf den natio­                         das Mengenziel gelegt wird (je steiler, desto mehr).
nalen Emis­sionshandel für die Nicht-EU-ETS-Sek-                            Eine CO2-Steuer und ein Emissionshandel mit fixem
toren in Deutschland ist dieser grundsätzlich sinn-                         Cap sind extreme Varianten dieses Mechanismus.
voll, da in diesen Sektoren aktuell noch hohe Un-                                Für die konkrete Umsetzung dieser Mengenan-
sicherheit über die zu erwartenden Zertifikatpreise                         passung gibt es verschiedene Möglichkeiten. Wir
herrscht (vgl. SVR 2019). Sinken die Preise zu einem                        schlagen hier eine sehr einfache Version vor. Dabei
späteren Zeitpunkt wieder unter den Höchstpreis,                            hängt die neu zu versteigernde Menge direkt vom
muss entschieden werden, ob und wie die zusätzli-                           Preis der vorangehenden Versteigerung ab.8 Im
chen Zertifikate dem Markt wieder ent­zogen wer-
                                                                            Version werden Zertifikate weiterhin in Tonnen CO2 ausgegeben, und
den. Auch dazu schweigen die Beschlüsse des                                 die auktionierte Zertifikatsmenge passt sich mit leichter Verzögerung
Klimakabinetts.                                                             an den Marktpreis an. Bereits Unold und Requate (2001) schlagen die
                                                                            Implementierung eines verwandten Systems durch die Ausgabe von
                                                                            Optionen vor. Perino und Willner (2017) plädieren ebenfalls für eine
DAS FLEXCAP: EIN BESSERER UMGANG MIT                                        Zertifikatsangebotsfunktion mit positiver Steigung. Zeitgleich zu
                                                                            unserem Artikel diskutieren auch Rickels et al. (2019) die aktuellen
UNSICHERHEIT                                                                Vorschläge zur CO2-Bepreisung und merken Vorteile eines flexiblen
                                                                            Zertifikatangebots an.
                                                                            8
                                                                               Man könnte auch einen Durchschnittswert der Preise der voran-
Das einfache Emissionshandelssystem wälzt alle                              gegangenen Versteigerungen heranziehen, um die neu zu verstei-
Unsicherheit in Form von Preisschwankungen auf                              gernde Menge festzulegen. Hierbei ist es am sinnvollsten, die letzte
                                                                            Auktion am stärksten zu gewichten, um eine möglichst zeitnahe
Firmen und Konsumenten ab. Eine reine Steuer                                Angleichung zu erreichen. Es ist auch denkbar, Börsenwerte des
wälzt alle Unsicherheit auf die Emissionsmenge ab                           Sekundärmarktes zu berücksichtigen. In einer Auktion, bei der die
                                                                            Unternehmen wie in den Auktionen des EU-ETS Nachfragefunkti-
und gefährdet die Erreichung des Mengenzieles.                              onen abgeben, kann auch der sich bildende Auktionspreis selbst
Der Preiskor­ridor wälzt die Unsicherheit zunächst                          berücksichtigt werden.
auf Unternehmen und Kon-
                                 Abb. 4
sumenten ab, solange die
                                 Flexcap
Preisausschläge im Korri-
dor bleiben, danach auf die
                                              Preis
Emissionsmenge. Am effizi-
entesten ist es jedoch, die
Unsicherheit     kontinuierlich                                                                                         Gleichgewicht Flexcap
zwischen Preis und Menge
                                     CO₂-Preis mit
aufzuteilen. Traeger und Karp        Flexcap                                                                      Flexcap-Anpassungsfunktion
(2019) schlagen hierfür ein
                                                                                                                       Realisiert
intelligentes   Emissionshan-
delssystem vor, das soge-                                                                                              Grenzvermeidungskosten
nannte »smart cap«.7 Wir stel-                                                                                         Erwartet
7
    Im eigentlich »smart cap« werden                                                            Emissionen mit         Emissionen
Zertifikate gehandelt, deren CO2-Äqui-                                                          Flexcap
valent eine Funktion des Marktpreises
ist. Damit passen sich auch bereits
ausgegebene Zertifikate in Echtzeit an
den Marktpreis an. In der angewandten    Quelle: Darstellung der Autoren.                                                                    © ifo Institut

                                                                                       ifo Schnelldienst   18 / 2019   72. Jahrgang   26. September 2019      41
FORSCHUNGSERGEBNISSE

     Tab. 1

     Tab. 1
     Flexcap und klassische System: Wirkungsvergleich
                                                                     Erwarteter Preis   Realisierter Preis Erwartete Menge         Realisierte
                                                                         in Euro             in Euro          in GtCO2           Menge in GtCO2
         CO2-Steuer 25,00 Euro/tCO2                                       25,00               25,00              1,60                 1,75
         Emissionshandel mit Cap 1,60 GtCO2                               25,00               37,19              1,60                 1,60
         Preiskorridor 20,00–35,00 Euro/tCO2                              25,00               35,00              1,60                 1,63
         Flexcap mit flacher Anpassungsfunktion                           25,00               26,00              1,60                 1,74
         Flexcap mit steiler Anpassungsfunktion                           25,00               35,00              1,60                 1,63
     Quelle: Berechnungen der Autoren.

     EU-ETS finden die Versteigerungen meist wöchent-                             37 Euro/tCO2, eine Zunahme um 50% gegenüber dem
     lich statt. In einem kleineren deutschen System ist                          erwarteten Preis. Das Beispiel illustriert, wie ein rei-
     zu erwarten, dass sie nur alle zwei oder vier Wo-                            ner Emissionshandel alle Unsicherheit auf den Zerti­
     chen stattfinden.9 Dann führt ein hoher Preis im Mai                         fikatepreis und damit auf die Unternehmen und Kon-
     dazu, dass im Juni mehr Zertifikate versteigert wer-                         sumenten abwälzt. Eine reine Steuer dagegen wälzt
     den. Da Zertifikate erst am Ende des Jahres ein­                             alle Unsicherheit auf die Emissionen ab und gefähr-
     gereicht werden müssen und die Anpassungsfunk-                               det die Erreichung des Mengenzieles.
     tion allen Marktteilnehmern bekannt ist, wird die                                 Die dritte Zeile in Tabelle 1 bezieht sich auf
     Anpassung im Juni bereits bei der Auktion im Mai                             einen Preiskorridor mit einem Mindestpreis von
     antizipiert, was den Preisausschlag ohne Verzö-                              20 Euro/tCO2 und einem Höchstpreis von
     gerung dämpft. Ist der Preis im Mai hingegen sehr                            35 Euro/tCO2. In diesem Fall wird der Preis an der
     niedrig, wird die für Juni vorgesehene Auktionsmen-                          Preisobergrenze von 35 Euro/tCO2 stabilisiert; die
     ge entsprechend der Anpassungsfunktion gekürzt.                              daraus resultierenden Emissionen übersteigen die
          Tabelle 1 enthält ein vergleichendes Beispiel für                       anvisierte Emissionsobergrenze.
     die Wirkung des Flexcap und der zuvor diskutierten                                Zeilen 4 und 5 illustrieren das Flexcap. Mit einer
     klassischen Systeme. Unser Beispiel beinhaltet dabei                         flachen Steigung lässt es den Preis nur geringfügig
     sowohl eine flache als auch eine steile Wahl der An­­                        ansteigen, erlaubt aber eine stärkere Expansion der
     passungsfunktion. Auf die Wahl dieser Steigung kom-                          Zertifikatemenge. Mit einer steileren Anpassungs-
     men wir im nächsten Abschnitt zurück. In dem Bei-                            funktion erlaubt es einen stärkeren Preisausschlag,
     spiel nehmen wir vereinfachend an, dass der Preis                            erzwingt aber Emissionen, die kaum von der Ziel-
     über das Jahr konstant ist.                                                  menge abweichen.
          Das Beispiel bezieht sich auf das EU-ETS im Jahr
     2020. Wir nehmen an, dass die vom Staat anvisierte                           Die Wahl der Anpassungsfunktion und die
     Preis-Mengen-Kombination gegeben, die erwarteten                             effiziente Zielerreichung
     Vermeidungskosten bei 25 Euro/tCO2 und die erwar-
     tete Emissionsmenge bei 1,60 GtCO2 liegen.10 Die tat-                        Die ökonomische Literatur ist sich weitgehend dar­
     sächlich realisierten Vermeidungskosten sind aller-                          über einig, dass die Unsicherheit über die Grenzver-
     dings höher.11 Unter einer Preisregulierung würde                            meidungskosten zu besonders hohen Kosten führt,
     eine CO2-Steuer in Höhe von 25 Euro/tCO2 einge-                              wenn sie voll auf die Konsumenten und Unterneh-
     führt. Die realisierten Emissionen liegen dann um                            men abgewälzt wird, wie etwa in einem reinen Emis-
     ca. 10% über dem erwarteten Niveau.                                          sionshandelssystem.12 Insbesondere bei der Ein-
          In einem Emissionshandelssystem werden Zer-                             führung eines neuen Emissionshandelssystems ist
     tifikate in einer Gesamtmenge von 1,60 GtCO2 aus­                            diese Unsicherheit groß, nicht zuletzt da sie Sek-
     gegeben. Bei solch einer starren Emissionsober-                              toren abdeckt, die bisher keinem direkten CO2-Preis
     grenze steigt der Preis eines Zertifikats auf über                           ausgesetzt waren. Wir schlagen deshalb anfangs eine
                                                                                  relative flache Anpassungsfunktion vor. Diese flache
     9
        Wenn es etwa zwölf Auktionen pro Jahr gibt, dann schlagen wir             Anpassungsfunktion sollte natürlich durch die für das
     vor, dass jede dieser zwölf Auktionen in einem Kalenderjahr der
     gleichen Anpassungsfunktion folgt, und somit einem Zwölftel einer
                                                                                  jeweilige Jahr anvisierte Preis-Mengen-Kombination
     jährlichen Anpassungsfunktion.                                               gehen. Ähnlich wie im Vorschlag der Bundesregie-
     10
        Das eigentliche Cap im EU-ETS für 2020 beträgt ca. 1,81 GtCO2
     (siehe https://ec.europa.eu/clima/policies/ets/cap_de). Allerdings
                                                                                  rung können sich Haushalte und Unternehmen so all-
     liegen die beobachteten THG-Emission bereits seit 2016 darunter              mählich an die Bepreisung der Emissionen gewöhnen,
     (siehe https://www.eea.europa.eu/data-and-maps/dashboards/
     emissions­trading­viewer­1). Wir passen das Cap im Beispiel daher
                                                                                  ohne zu großen Preisschwankungen ausgesetzt zu
     nach unten an. Der Preis entspricht hier in etwa dem momentanen              sein. Sehr niedrige Preise, die die Anreize reduzieren,
     Marktpreis (Anfang September 2019).
     11
        Die Steigung der erwarteten Grenzvermeidungskosten (GVK)
                                                                                  in emissionsvermeidende Technologien zu investie-
     basiert auf der Parametrisierung von Landis (2015, vgl. Tab. 4). Al-
                                                                                  12
     lerdings wurde für das Beispiel die Lage der GVK-Kurve nach oben                Siehe Newell und Pizer (2003) sowie Hoel und Karp (2002) für
     angepasst. Andernfalls würde sich mit dem verwendeten Cap ein                dieses Ergebnis für die CO2-Regulierung. Karp und Traeger (2018)
     Zertifikatepreis von unter 20 Euro/tCO2 ergeben, was angesichts der          zeigen, dass bei technischem Fortschritt etwas weniger Gewicht auf
     gegenwärtigen Marktpreise im EU-ETS zu niedrig erscheint. Die tat-           die Preisstabilisierung fallen sollte als herkömmlich angenommen,
     sächlich realisierten Vermeidungskosten im Beispiel wurden als ein           aber auch dann ist eine volle Abwälzung der Unsicherheit auf Konsu-
     mögliches Szenario frei gewählt.                                             menten und Firmen nicht effizient.

42   ifo Schnelldienst   18 / 2019   72. Jahrgang   26. September 2019
FORSCHUNGSERGEBNISSE

Abb. 5                                                                                                  ist relevant, wenn deutsche
Anstieg der Steigung der Flexcap                                                                        Unternehmen mit auslän-
                                                Anpassungsfunktion in                                   dischen in Konkurrenz ste-
                                                späteren Jahren                                         hen. Je mehr andere Länder
        Preis                                                                                           CO2 ebenfalls bepreisen, desto
                                                                                                        weniger anfällig ist die Wett-
                                                                                                        bewerbsfähigkeit in Deutsch-
                                                                 Anfängliche                            land ansässiger Unternehmen
                                                                 Anpassungsfunktion                     auf höhere Preise. Ist eine wei-
                                                                                                        tere Entlastung für einzelne im
                                                                                                        internationalen Wettbewerb
                                                                  Anfang                                stehende Unternehmen erfor-
                                                                Grenzvermeidungskosten                  derlich, könnte dies im Flexcap
                                                            Später                                      auf die gleiche Weise erfolgen
                                                                                                        wie derzeit im EU-Emissions-
                                                                                                        handel, über kostenlos zu-
                                                                 Emissionen
                                                                                                        geteilte Zertifikate. Im Ver-
Quelle: Darstellung der Autoren.                                                      © ifo Institut
                                                                                                        kehrs- und Wärmesektor
                                                                                                        dürfte die Anzahl an Unter-
ren, würden ebenso vermieden wie sehr hohe Preise,                        nehmen,    die  durch      einen  CO2-Preis in ihrer Wettbe-
die Haushalte und Unternehmen überfordern, etwa werbsfähigkeit gefährdet sind, jedoch weitaus gerin-
da sie nicht schnell genug auf die CO2-Preise reagie- ger sein als im pro­duzierenden Gewerbe, da Mo-
ren können (z.B. mangels kurzfristig verfügbarer und bilität und Wärme von Natur aus ortsspezifische
finanzierbarer Alternativen).                                             Dienstleistungen sind. Die Anpassungsfunktionen
      Den unmittelbaren und anfänglichen Kosten auf werden heute bereits für den absehbaren Zeitraum,
der Seite der Konsumenten und Unternehmen steht etwa bis zu den Zieljahren 2030 oder 2050, festge-
die langfristige Erreichung der Klimaziele gegenüber. setzt. So kann regulatorische Unsicherheit erheblich
Deshalb sollte die Anpassungsfunktion über die Zeit reduziert werden.
steiler werden (vgl. Abb. 5). Eine steile Anpassungs-
funktion lässt weniger Spielraum für eine Ausweitung DISKUSSION
(oder Reduktion) des Flexcap, um so zu große Abwei-
chungen von den für das Jahr 2030 bzw. 2050 gesetz- Das Flexcap hat, wie oben dargelegt, klare Vorteile im
ten Zielen zu vermeiden.13 Die sukzessiv sinkende Umgang mit Unsicherheit im Vergleich zu einer CO2-
Flexibilität bei der Anpassung der Emis­sionsmenge Steuer und einem herkömmlichen Emissionshan­
gibt Haushalten und Unternehmen die notwendige delssystem. Unter den bereits öffentlich diskutieren
Zeit, um sich an höhere Preise und gegebenenfalls Vorschlägen kommt ein Emissionshandel mit Preis-
auch Preisschwankungen zu gewöhnen und mit die- korridor dem Flexcap am nächsten. Im Vergleich zu
sen umzugehen.                                                            einem Preiskorridor wird die Preisunsicherheit für
      Die Festlegung der Form der Anpassungsfunk- Firmen und Konsumenten unter einem Flexcap zu
tion innerhalb der einzelnen Jahre und auch ihre jeder Zeit und damit unabhängig von der Höhe des
Anpassung über die Zeit ist letzten Endes eine poli- Preisausschlages reduziert (vgl. Abb. 6). Die Anpas-
tische Entscheidung. Allerdings könnte der Ent- sungsfunktion legt dabei automatisch fest, wie viele
scheidungsprozess durch wissenschaftliche Simula- Zertifikate dem Markt zur Verfügung gestellt wer-
tionsmodelle unterstützt werden. Dabei würde die den. Auf diese Weise bleibt ein Zertifikateüberschuss
An­­passungsfunktion sowohl innerhalb einer Peri- nach einem nur kurzfristig erhöhten Preis nicht im
ode als auch im Zeitverlauf so berechnet, dass ins- System, sondern wird diesem wieder sukzessive ent-
gesamt möglichst geringe Kosten bei der Errei- zogen, indem in zukünftigen Auktionen automatisch
chung des langfristigen Emissionsziels entstehen. weniger Zertifikate versteigert werden. Bei einem
Auf diese Weise würde die Anpassungsfunktion nach Emissionshandelssystem mit Preiskorridor ist dies
dem besten Wissensstand über heutige und zukünf- für gewöhnlich nur der Fall, wenn Zertifikate vom
tige Ver­meidungstechnologien und -kosten festge- Staat zurückgekauft werden. Ob dies im geplanten
legt. Ebenso könnte berücksichtigt werden, in wie deutschen Emissionshandel der Fall wäre, lässt der
weit andere Länder einen vergleichbaren CO2-Preis Beschluss des Klimakabinetts offen.
in den betroffenen Sektoren implementieren. Dies                               Ein Flexcap erfordert kein aktives Management
                                                                          und verursacht somit nur geringe Umsetzungskos-
13
   Für das Jahr 2030 oder 2050 sollte das Flexcap durch einen Punkt
laufen, der das von Deutschland gesetzte Mengenziel mit einem für
                                                                          ten. Dadurch dass der gegenwärtige und zukünftige
die Gesellschaft akzeptablen Preis verbindet. Die Steigung könnte         Verlauf der Anpassungsfunktion den Firmen bekannt
sich etwa an den fälligen Ausgleichszahlungen bei einer Nichterrei-
chung des Mengenzieles orientieren. Natürlich muss die Anpassungs-
                                                                          ist, ist die regulatorische Unsicherheit gering. Die
funktion weder linear noch symmetrisch um das anvisierte Ziel sein.       Gefahr, dass sich ein Flexcap-System in einer Weise

                                                                                ifo Schnelldienst   18 / 2019   72. Jahrgang   26. September 2019   43
FORSCHUNGSERGEBNISSE

     Abb. 6                                                                                                            Die Sitzung des Klima-
     Flexcap                                                                                                      kabinetts vom 20. September
                                                                                                                  bot eine historische Chance
                    Preis                         Gleichgewicht Preiskorridor                                     für einen Neuanfang in der
                                                                                                                  deutschen Klimapolitik. Im
        CO₂-Preis mit                                                                                             grundlegenden Design wurde
        Preiskorridor                                                   Gleichgewicht Flexcap                     der Versuch unternommen,
        CO₂-Preis mit
                                                                                                                  Preis- und Mengenregulierung
        Flexcap                                                        Flexcap-Anpassungsfunktion                 zu kombinieren. Das ist grund-
                                                                                                                  sätzlich lobenswert. Im Ver-
                                                                       Realisiert
                                                                                                                  gleich zu dem in den Beschlüs-
                                                                       Grenzvermeidungskosten                     sen festgehaltenen Kompro-
                                                                       Erwartet                                   miss bietet das Flexcap jedoch
                                                                                                                  eine effizientere Lösung, die
                                      Emissionen mit Emissionen         Emissionen
                                                                                                                  Preis- und Mengenziel simul-
                                      Preiskorridor     mit Flexcap
                                                                                                                  tan im Auge behält und die
                                                                                                                  bereits angekündigten Sys-
     Quelle: Darstellung der Autoren.                                                         © ifo Institut
                                                                                                                  temwechsel und Nachregu-
                                                                                                                  lierungen vermeiden kann.
     entwickelt, die unerwünscht ist und dadurch poli­                        Es  bleibt    offen,     in   welchem      System und zu welchem
     tischen Druck für eine Änderung der Regeln erzeugt, Preis die Bundesregierung ihr Mengenziel 2030 errei-
     ist geringer als bei einer CO2-Steuer oder einem Emis- chen will. Dies schafft Planungsunsicherheit, die in
     sionshandel mit fixem Cap. Die Steuer muss nach- Verbindung mit den niedrigen Anfangspreisen negati­
     justiert werden, wenn die Klimaziele zu deutlich ver- ­ve Auswirkungen auf Investitionen und Innovation
     fehlt werden, und ein einfaches Emissionshandels- haben kann. Mit der Einführung des Flexcap könnte
     system läuft Gefahr, dass die Preise nicht den Erwar- sich Deutschland als innovatives Vorbild für ein
     tungen entsprechen. Im EU-Emissionshandelssys- besseres System der Emissionsbepreisung und damit
     tem wurden aus diesem Grund in den letzten Jahren für ein kostengünstigeres Erreichen der langfristigen
     mehrfach erhebliche Korrekturen vorgenommen. Das klimapolitischen Ziele etablieren.
     Flexcap greift diese Erfahrungen auf und reduziert                             Für eine Ausweitung auf EU-Ebene ist hierbei
     die Gefahr nachträglicher Anpassungen der Regeln relevant, dass das Flexcap keine Steuer ist. Es würde
     und erhöht damit die Planungssicherheit für Unter- damit nicht unter das Einstimmigkeitsgebot des
     nehmen. Ein solch flexibles System bedeu- Lissaboner Vertrages fallen. Auch in Deutschland
     tet somit einen klaren Standortvorteil gegen- ist die rechtliche Grundlage für die Einführung einer
     über Ländern mit reiner CO2-Steuer- bzw. reinem De-Facto-Steuer, wie sie in den Jaren 2021–2025
     Emissionshandelssystem.                                                  vorgesehen ist, noch nicht endgültig geklärt.15 Soll­
           Wir verweisen auf Karp und Traeger (2019) für die ­te das Flexcap mittelfristig auch auf EU-Ebene zur
     Diskussion der Auswirkungen und Neutralisierung Anwendung kommen, würden die Implementati-
     von potenzieller Marktmacht im Flexcap sowie die onshürden denen einer Modifikation des bestehen-
     Diskussion von »Banking«, der Aufbewahrung von den Emissionshandelssystems ent­sprechen. Es wäre
     Zertifikaten. Das deutsche Flexcap für die Nicht- dazu erheblich transparenter und wirksamer als die
     EU-ETS-Sektoren würde bereits hinreichend viele Marktstabilitätsreserve (vgl. Perino 2018). Deren
     Marktteilnehmer umfassen, so dass nicht mit Markt- erste Überprüfung ist für 2021 fest­geschrieben,
     macht zu rechnen wäre. Da die Anpassungsfunk- weitere folgen alle fünf Jahre. Bewährt sich das
     tion Unsicherheiten wie konjunkturelle Schwankun- Flexcap in Deutschland, wäre eine Über­tragung
     gen abfedert, fällt ein wesentliches Argument für die auf den EU-Emissionshandel also eine realistische
     Übertragbarkeit von Zertifikaten auf zukünftige Jahre Option.
     (Banking) weg. Aus diesem Grund ist unser Vorschlag,
     jeweils Zertifikate mit Gültigkeit für ein bestimmtes LITERATUR 
     Kalenderjahr auszugeben und Banking nicht zuzu-
     lassen.14 Zur Frage, ob Zertifikate auf zukünftige Blum,                       J., R. de Britto Schiller, A. Löschel, J. Pfeiffer, K. Pittel, N. Potrafke
                                                                              und A. Schmitt (2019), »Zur Bepreisung von CO2-Emissionen – Ergebnisse
     Jahre übertragen werden können, äußert sich der aus dem Ökonomenpanel«, ifo Schnelldienst 72(16/), 60–65.
     Beschluss des Klimakabinetts nicht.
                                                                                   15
                                                                                      Eine direkte Besteuerung von CO2-Emissionen sieht das Grund-
                                                                                   gesetz nicht vor (Art. 106 GG). Ein Emissionshandelssystem, das die
                                                                                   Menge der Zertifikate begrenzt und so den Preis am Markt bildet,
     14
        Banking führt im Emissionshandel mit fixem Cap dazu, dass sich             wurde bereits als verfassungskonform eingestuft (z.B. 1 BvR 2864/13).
     die Preisentwicklung im Erwartungswert über den gesamten Ban-                 Dies ist im Vorschlag der Bundesregierung in den Jahren 2021–2025
     king-Horizont am Marktzins orientiert (vgl. etwa Silbye und Sørensen          jedoch nicht gegeben (und strenggenommen auch nicht bei dem
     2019). Dies ist im Allgemeinen nicht optimal und kann bei Unkennt-            darauf folgenden Emissionshandel mit Preiskorridor). In unserem
     nis der Details anschließender Phasen zu großer regulatorischer               Vorschlag des Flexcap fixiert der Preis der Vorperiode die Menge der
     Unsicherheit führen.                                                          zu auktionierenden Zertifikate und der Preis bildet sich am Markt.

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FORSCHUNGSERGEBNISSE

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rats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Berlin.               936–946.
DIW – Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (2019), Für eine sozial-    Pizer, W. A. (2002), »Combining price and quantity controls to mitigate glo-
verträgliche CO2-Bepreisung, Gutachten im Auftrag des Bundesministeri-        bal climate change«, Journal of Public Economics 85(3), 409–434.
ums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, Berlin.
                                                                              Rickels, W., S. Peterson und G. Felbermayr (2019), »Schrittweise zu einem
Edenhofer, O., C. Flachsland, M. Kalkuhl, B. Knopf und M. Pahle (2019),       umfassenden europäischen Emissionshandel«, Kiel Policy Brief Nr. 127,
Optionen für eine CO2-Preisreform, MCC-PIK-Expertise für den Sachver-         September, Institut für Weltwirtschaft, Kiel.
ständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung,
                                                                              Roberts, M.J. und M. Spence (1976), »Effluent charges and licenses under
Berlin.
                                                                              uncertainty«, Journal of Public Economics 5, 193–208.
Hoel, M. und L. Karp (2002), »Taxes versus quotas for a stock pollutant«,
                                                                              Schmitt, A. (2017), »Kurz zum Klima: Der EU-Emissionshandel – bekannte
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                                                                              Probleme, neue Lösungen?«, ifo Schnelldienst 70(9), 48–50.
Karp, L. und C. Traeger (2018), »Prices versus quantities reassessed«,
                                                                              Silbye, F. und P. B. Sørensen (2019), »National Climate Policies and the
CESifo Working Paper No. 7331.
                                                                              European Emissions Trading System«, in: Nordic Council of Ministries
Karp, L., und C. Traeger (2019), »Smart Cap«, CESifo Working Paper, im        (Hrsg.), Climate Policy in the Nordics, Nordic Economic Policy Review 2019,
Erscheinen.                                                                   Kopenhagen, 63–106, verfügbar unter: http://norden.diva­portal.org/
                                                                              smash/get/diva2:1312965/FULLTEXT01.pdf.
Landis, F. (2015), »Final Report on Marginal Abatement Cost Curves for
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                                                                              ten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftli-
Newell, R. G. und W. A. Pizer (2003), »Regulating stock externalities under
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                                                                              Economics Letters 73(3), 353–358.
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                                                                              Wood, P. J. und F. Jotzo (2011), »Price floors for emissions trading«, Energy
Perino, G. (2018), »New EU ETS Phase 4 rules temporarily puncture water-      Policy 39(3), 1746–1753.
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                                                                                          ifo Schnelldienst   18 / 2019   72. Jahrgang   26. September 2019   45
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