Das Hubble-Gesetz und kosmologische Entfernungsbestimmung - Ausbildungsseminar zur Kosmologie
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Universität Regensburg Fakultät für Physik Ausbildungsseminar zur Kosmologie im Wintersemester 07/08 Das Hubble-Gesetz und kosmologische Entfernungsbestimmung Sebastian Putz 25. Oktober 2007
Inhaltsverzeichnis 1 Einführung 3 2 Das Hubble-Gesetz 4 2.1 The Great Debate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 2.2 Der Weg zum Hubble-Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 2.3 Das Hubble-Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 2.4 Interpretation des Hubble-Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 2.5 Hubble-Zeit und Hubble-Länge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 3 Kosmologische Entfernungsbestimmung 9 3.1 Problematik kosmologischer Entfernungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 3.2 Zwei Arten der Entfernung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 3.3 Standardkerzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 3.4 Die kosmische Entfernungsleiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 3.5 Methoden zur Bestimmung kosmologischer Entfernungen . . . . . . . . . 11 3.5.1 Cepheiden und RR Lyrae-Sterne . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 3.5.2 Novae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 3.5.3 Supernovae vom Typ Ia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 3.5.4 Die Tully-Fisher-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 3.5.5 Faber-Jackson-Relation – Fundamentalebene – Dn −σ-Relation . . 17 3.5.6 Planetarische Nebel – PNLF-Methode . . . . . . . . . . . . . . . 19 3.5.7 Surface Brightness Fluctuation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 3.5.8 Reichweiten der einzelnen Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . 21 A Abbildungsnachweis 22 B Literaturverzeichnis 23 2
1 Einführung Schon seit tausenden von Jahren beschäftigen sich die Menschen mit der Gestalt der Welt, in der sie leben. Zahlreiche Modelle des Kosmos - anfangs noch mythologisch- religiös geprägte Kosmogonien, später dann wissenschaftliche Theorien - wurden seither vorgeschlagen und widerlegt. Aber der eigentliche Beginn der modernen Kosmologie wird durch die Formulierung der Allgemeinen Relativitätstheorie durch Albert Einstein im Jahre 1916 markiert. Eine der wichtigsten Entdeckungen für die Entwicklung des modernen Standardmodells der Kosmologie ist die Expansion des Universums, welche gemeinhin Edwin Hubble zugeschrieben wird. Tatsächlich erschien jedoch schon 2 Jahre vor Hubbles Veröffent- lichung eine Arbeit von Georges Lemaître (welcher als Begründer der Urknalltheorie gilt), worin dieser die Expansion des Universums aufgrund der Rotverschiebung der Ga- laxienspektren folgerte. Hubbles eigentliche Entdeckung war die Beziehung zwischen der Entfernung einer Galaxie und ihrer Rotverschiebung, welche heute ihm zu Ehren als Hubble-Gesetz bezeichnet wird (siehe Kapitel 2). Um überhaupt eine derartige Beziehung entdecken zu können, muss die Messung der Ent- fernung einer Galaxie hinreichend genau möglich sein. Konsequenterweise wurden im 20. Jahrhundert zahlreiche neue Methoden entwickelt, die den Horizont der messbaren Ent- fernungen immer mehr erweiterten und schließlich auch die Entfernungsbestimmung bei weit außerhalb unserer Galaxie gelegenen Objekten ermöglichten. Um diese Methoden soll es im Kapitel 3 gehen. Die Entfernungsbestimmung bei extragalaktischen Objekten ist auch heute noch ein nicht ganz einfaches Unterfangen, wie wir im Folgenden sehen werden. 3
2 Das Hubble-Gesetz Die Tatsache, dass das Universum nicht statisch ist, sondern expandiert, hat im ers- ten Drittel des 20. Jahrhunderts einen Paradigmenwechsel in der modernen Kosmologie eingeleitet, wie es ihn seit der Kopernikanischen Wende nicht mehr gab. Die Idee ei- ner kosmischen Expansion war zu dieser Zeit schon lange „in der Luft“ und vielerlei Wissenschaftler haben sich ihr gewidmet und ansehnliche Ergebnisse vorgebracht. Der bekannteste unter ihnen ist sicherlich Edwin Hubble1 , der eine sehr einfache Beziehung zwischen der Rotverschiebung des Spektrums einer Galaxie und ihrer Entfernung vom Beobachter entdeckte - das sogenannte Hubble-Gesetz. Abbildung 2.1: Edwin Powell Hubble (1889-1953) 2.1 The Great Debate Bevor Hubble 1923 entdeckte, dass sich der Andromedanebel keineswegs innerhalb der Milchstraße befindet, war die Existenz von extragalaktischen Objekten sehr umstritten. Es hatten sich zwei Lager von Astronomen gebildet: Die einen glaubten, dass die Milch- straße groß genug sei, um alle bis dahin beobachteten Objekte zu enthalten. Das andere Lager hingegen war der Ansicht, dass es Objekte außerhalb unserer Galaxie gibt, die so weit von uns entfernt sind, dass die Abstände innerhalb der Galaxie dagegen äußerst 1 Edwin Powell Hubble (* 20.11.1889 in Marshfield, Missouri; † 28.09.1953 in San Marino, Kalifor- nien) war ein bedeutender US-amerikanischer Astronom. Während seiner Zeit am Mount-Wilson- Observatorium in Kalifornien konnte er nachweisen, dass der Andromedanebel (M31 im Messier- Katalog) eine Galaxie ist und sich weit außerhalb der Milchstraße befindet. Außerdem hat Hubble ein morphologisches Klassifikationsschema für Galaxien entwickelt - bekannt als die Hubble-Sequenz. Im Jahre 1940 erhielt er die Goldmedaille der britischen Royal Astronomical Society. Nach ihm ist das Hubble-Teleskop benannt. 4
2 Das Hubble-Gesetz Abbildung 2.2: Harlow Shapley Abbildung 2.3: Heber Curtis klein erscheinen. Harlow Shapley (1885-1972) gehörte zur ersten Gruppe von Astrono- men, Heber Doust Curtis (1872-1942) zur zweiten. Am 26. April 1920 veranstaltete die National Academy of Science in Washington eine Debatte mit dem Thema „The Scale of the Universe“. Die beiden Kontrahenten waren Shapley und Curtis. Obwohl diese Debat- te eigentlich nichts neues zum Thema beigetragen hat, ging sie als „The Great Debate“ in die Geschichte ein und hat unter Astrophysikern einen fast mythischen Status erlangt. 2.2 Der Weg zum Hubble-Gesetz Einige Jahre vor der Shapley-Curtis Debatte beobachtete der US-amerikanische Astro- nom Vesto Slipher (1875-1969), dass das Spektrum des Andromedanebels (M31) ins Blaue verschoben war. Diese Entdeckung veranlasste ihn dazu, die Spektren weiterer Spiralnebel genauer zu untersuchen. Bis 1922 gelang es ihm, die Radialgeschwindigkei- ten von 41 dieser Objekte aus ihrer jeweiligen Blau- bzw. Rotverschiebung zu bestimmen. Zu seinem großen Erstaunen war die überwältigende Mehrheit der Spektren ins Rote ver- schoben. Das hieß aber nun, dass sich fast alle Spiralnebel - also Galaxien nach heutigem Verständnis - von uns entfernen. Wie ist das zu erklären? Warum scheinen diese Objekte vor uns zu flüchten? Diese Fragen stellte sich auch Edwin Hubble. Zusammen mit sei- nem Kollegen am Mount-Wilson-Observatorium1 Milton Humason (1891-1972) begann er, die Spektren von sehr lichtschwachen, d.h. vermutlich weit entfernten, Galaxien zu untersuchen. Die Radialgeschwindigkeiten, die sich aus den Rotverschiebungen ergaben, waren weitaus größer als die von Slipher bei den näher liegenden Galaxien errechneten. Als sie genügend Daten gesammelt hatten, begann Hubble 1929 mit der Auswertung und entschied sich, die Rotverschiebung der Galaxienspektren gegen ihre Entfernung aufzutragen. Das Ergebnis war eine Gerade! Und diese Gerade war eine der größten wis- senschaftlichen Entdeckungen des 20. Jahrhunderts. Zwischen der Rotverschiebung und der Entfernung besteht also ein linearer Zusammenhang. Der Fairness halber sollte man erwähnen, dass vor Hubble bereits einige andere Astronomen eine derartige Relation 1 Das Mount-Wilson-Observatorium befindet sich in den San Gabriel Mountains, nordöstlich von Los Angeles. 5
2 Das Hubble-Gesetz vorgeschlagen hatten. Unter ihnen waren Carl Wirtz (1876-1939), Knut Emil Lundmark (1889-1958) und Howard Percy Robertson (1903-1961). Hubble war aber derjenige, der den experimentellen Beweis liefern konnte. Abbildung 2.4: Die Radialgeschwindigkeit einiger Galaxien aufgetragen gegen ihre Ent- fernung 2.3 Das Hubble-Gesetz Hubbles Entdeckung lässt sich mathematisch folgendermaßen formulieren: z = Konstante · r. (2.1) Hierbei steht z für die gemessene Rotverschiebung der Spektrallinien und r für die Ent- fernung der Galaxie vom Beobachter. Wenn wir dies nun mit der Lichtgeschwindigkeit c multiplizieren, erhalten wir: cz = H0 · r. (2.2) Die in Formel (2.2) - dem Hubble-Gesetz - vorkommende Konstante H0 wurde ursprüng- lich Hubble-Konstante genannt. Nach heutigem Kenntnisstand wäre es allerdings ange- bracht, vom Hubble-Parameter zu sprechen, da H0 sich zeitlich ändert. Den Hubble- Parameter zu messen ist eine große Herausforderung und mit vielerlei Schwierigkeiten verbunden (siehe Kap. 3), was sich auch darin zeigt, dass aktuelle Messungen Werte um die 72 km s−1 M pc−1 ergeben, welche weitaus kleiner sind als Hubbles ursprünglicher Wert von 500 km s−1 M pc−1 . Die Dimension des Hubble-Paramters ist Geschwindigkeit pro Länge (also eine inverse Zeit) und sie hat für gewöhnlich die Einheit Kilometer pro Sekunde pro Megaparsec1 . Das Hubble-Gesetz ist eine Approximation für Rotverschiebungen bis ca. z = 0.4, wie wir in Kapitel 3 noch sehen werden. 2.4 Interpretation des Hubble-Gesetzes Hubble selbst interpretierte die von ihm entdeckte Beziehung zwischen Entfernung und Rotverschiebung fälschlicherweise als Folge des Dopplereffekts und den Wert cz als 1 Ein Parsec ist die Entfernung, in der der Abstand Erde-Sonne (1 Astronomische Einheit, AU) unter dem Sichtwinkel 1” erscheint. 6
2 Das Hubble-Gesetz Fluchtgeschwindigkeit vF lucht der Galaxien. Bei großen Werten der Rotverschiebung zeigt sich jedoch, dass das Hubble-Gesetz in der Form von (2.2) nicht mehr korrekt ist. Der eigentliche Grund für die Rotverschiebung der Galaxienspektren und den Eindruck einer vermeintlichen Fluchtgeschwindigkeit ist die Expansion des Universums1 . Die „Hubble- Konstante“ H0 ist nichts anderes als der heutige Wert des Hubble-Parameters H(t), der im Rahmen der Friedmann-Robertson-Walker-Modelle (FRW-Modelle) des Kosmos folgendermaßen definiert ist: Ṙ(t) H(t) = , (2.3) R(t) wobei R(t) den Skalenfaktor des Universums darstellt. Der Hubble-Parameter lässt sich also verstehen als die Änderungsrate des Skalenfaktors relativ zum Skalenfaktor selbst. Dieser ist ein wichtiger Parameter der FRW-Modelle und stellt einen Zusammenhang her zwischen den physikalischen Koordinaten und den mitbewegten Koordinaten: D = δ · R(t). (2.4) Die wahre (physikalische) Distanz D zwischen zwei Objekten ist also die Distanz in mit- bewegten Koordinaten δ multipliziert mit dem zeitabhängigen Skalenfaktor. Wir sehen also, dass der Hubble-Parameter die Expansionsrate des Universums in Abhängigkeit von der Zeit beschreibt. Die allgemeingültige Form des Hubble-Gesetzes muss deswegen lauten: cz = H(t) · r. (2.5) Abbildung 2.5: Kosmologische Rotverschiebung durch Expansion des Raumes In der Linearität des Hubble-Gesetzes zeigt sich, dass die kosmische Expansion homogen und isotrop ist. Dies bedeutet, dass jeder Beobachter das gleiche Bild sieht: Er hat den Eindruck, dass die Galaxien vor ihm fliehen. Wir sind also nicht im Zentrum der Expansionsbewegung, wie man auf den ersten Blick vielleicht vermuten könnte. 2.5 Hubble-Zeit und Hubble-Länge Aus dem Hubble-Parameter lassen sich weitere Größen ableiten, die als Hubble-Zeit und Hubble-Länge bezeichnet werden. Durch Umformung von Gleichung (2.2) erhalten wir 1 Im lokalen Universum hat der Dopplereffekt, der durch die Eigengeschwindigkeit der Galaxien verur- sacht wird, natürlich einen größeren Einfluss auf die gemessene Rotverschiebung als bei sehr großen Entfernungen. Hier überwiegt dann die Rotverschiebung aufgrund der Ausdehnung des Raumes zwi- schen Galaxie und Beobachter. Bei derartig großen Entfernungen spricht man von der Region des Hubble-Flow. 7
2 Das Hubble-Gesetz Abbildung 2.6: Die kosmische Expansion ist homogen und isotrop und deshalb für alle Beobachter gleich. die Definition der Hubble-Zeit: r 1 = =: HT . (2.6) cz H0 HT lässt sich interpretieren als die Zeit, die vergangen ist, seit Beobachter und betrach- tetes Objekt sich am gleichen Ort befanden. Setzt man eine gleichförmige Expansion eines leeren Kosmos voraus, so entspricht HT dem Weltalter, also dem Alter des Kos- mos. In der Realität hingegen kann die Expansion des Universums je nach Gehalt an baryonischer oder dunkler Materie sowie dunkler Energie verlangsamt oder beschleunigt werden, was zu unterschiedlichen Werten von Hubble-Zeit und Weltalter führt. Aktuelle Messungen durch den Satelliten WMAP 1 und die 2dF Galaxy Redshift Survey 2 ergeben eine Hubble-Zeit von HT = 13.3 · 109 a und ein Weltalter von 13.7 · 109 a - eine für uns Menschen unvorstellbar große Zeitspanne. Neben der Hubble-Zeit definiert man noch die sogenannte Hubble-Länge. Sie bietet eine grobe Abschätzung für die Ausdehnung des beobachtbaren Universums - erneut unter der Voraussetzung eines leeren, gleichförmig expandierenden Kosmos: c HL := = c · HT (2.7) H0 HL ist also die Strecke, die das Licht in der Hubble-Zeit zurücklegt. Für einen Wert von H0 = 72 km s−1 M pc−1 ergibt sich eine Hubble-Länge von HL ≈ 4 Gpc, das entspricht rund 1.23 · 1023 Kilometern. 1 WMAP steht für Wilkinson Microwave Anisotropy Probe. Es handelt sich hierbei um einen Satelliten zur Messung der Temperatur der kosmischen Hintergrundstrahlung. Er ist der Nachfolger von COBE. 2 Die Two-degree-Field Galaxy Redshift Survey des Anglo-Australian Observatory (AAO) war neben der Sloan Digital Sky Survey die größte Durchmusterung zur Rotverschiebungsmessung. 8
3 Kosmologische Entfernungsbestimmung Unser Universum ist groß. So gewaltig groß, dass bei den riesigen Entfernungsmaßstä- ben im Kosmos jegliche menschliche Vorstellungskraft versagt. Glücklicherweise wurden in den letzten 100 Jahren zahlreiche Methoden entwickelt, die eine Bestimmung der Entfernung extragalaktischer Objekte möglich machen. Dies soll der Gegenstand dieses Kapitels sein. 3.1 Problematik kosmologischer Entfernungen Bei der Bestimmung kosmologischer Entfernungen treten Probleme in den Vordergrund, die ansonsten - bei Längenmessungen auf der Erde, im Sonnensystem oder sogar noch in der Milchstraße - im Verborgenen bleiben. Bei kleinen Distanzen kann man noch getrost „newton’sche“ Entfernungen betrachen. Damit ist gemeint, dass man unter der Annahme eines absoluten Raums sowie einer absoluten Zeit Distanzmessungen vornehmen kann und relativistische sowie kosmologische Effekte außer Acht lässt. Bei der Betrachtung größerer Entfernungen, etwa die Distanzen zu anderen Galaxien oder - noch weiter ent- fernt - zu anderen Superhaufen von Galaxien, fließen eben jene Effekte signifikant mit ein, so dass sie nicht mehr vernachlässigbar sind. Ein wesentliches Problem ist, dass man die beiden Endpunkte der Verbindungstrecke, deren Länge man bestimmen will, nicht gleichzeitig messen kann. Aufgrund der kosmischen Expansion ist die zu messende Di- stanz zum Zeitpunkt der Lichtemission kleiner als zu dem Zeitpunkt der Detektion der Photonen hier auf der Erde. Aus diesem Grund gibt es in der Astrophysik eine Reihe von neu definierten Entfernungen, die die besprochene Problematik zu umgehen suchen. Ich möchte im Folgenden nur zwei davon näher vorstellen. 3.2 Zwei Arten der Entfernung Bei den hier besprochenen Entfernungen handelt es sich um Detektions-Entfernungen. Der Messwert gibt also die Distanz zum betrachteten Objekt zum Zeitpunkt der Mes- sung wieder. Bei der einen Entfernung handelt es sich um die sog. wahre Entfernung. Es handelt sich hier tatsächlich um jene wahre Entfernung, die wir eben nicht direkt messen können. Wir haben aber die Möglichkeit - bei Zugrundelegen eines geeigneten kosmolo- gischen Modells - diese wahre Entfernung aus der Rotverschiebung z zu bestimmen: 1 dP = 2HL 1 − √ (3.1) 1+z Der Index P steht für „proper“. Die Formel ist allerdings nur im Einstein-de Sitter- Universum gültig. Für andere kosmologische Modelle ist die obige Formel komplizierter. 9
3 Kosmologische Entfernungsbestimmung Die wahre Entfernung entspricht am ehesten der Art von Entfernung, wie wir sie aus dem täglichen Leben kennen. Darüber hinaus gibt es noch die sogenannte Leuchtkraft-Entfernung. Die große Mehrheit der Methoden zur kosmologischen Entfernungsbestimmung liefern als Werte Leuchtkraft- Entfernungen. Auch sie ist im Prinzip aus der Rotverschiebung bestimmbar: √ dL = 2HL 1 + z − 1 + z (3.2) Wenn wir den Term auf der rechten Seite mit Taylor nähern, erhalten wir: cz z dL = 1+ (3.3) H0 4 Hieraus ist ersichtlich, dass das lineare Hubble-Gesetz im Grunde genommen nur eine Nä- herung ist. Außerdem steckt in beiden Formeln (3.1) und (3.2) jeweils die Hubble-Länge, welche natürlich vom Wert des Hubble-Parameters abhängig ist. Die schöne Möglichkeit, Entfernungen einfach aus der Rotverschiebung und dem Hubble-Parameter bestimmen zu können, ist uns leider solange nicht zugänglich, bis es uns gelungen ist, für den Hubble- Parameter einen hinreichend genauen und bestätigten Wert zu finden. 3.3 Standardkerzen Bei der Entfernungsbestimmung auf größeren Skalen bedient man sich in der Astro- physik sogenannter Standardkerzen. Es handelt sich hierbei um Objekte, die leicht zu identifizieren sind und deren absolute Helligkeit M genau bekannt ist. Gelingt es uns nun, z.B. in einer anderen Galaxie, eine solche Standardkerze zu beobachten, so können wir aus der gemessenen scheinbaren Helligkeit m leicht die Entfernung bestimmen. Man benutzt dazu den Entfernungsmodul : m − M = 5(log10 DL − 1). (3.4) DL ist hierbei die Leuchtkraftentfernung des beobachteten Objekts, gemessen in Parsec. 3.4 Die kosmische Entfernungsleiter Es gibt prinzipiell zwei verschiedene Klassen von Distanzindikatoren. Primäre Distanzin- dikatoren sind Methoden zur Entfernungsbestimmung von Galaxien, die entweder durch Beobachtungen in der Milchstraße oder durch theoretische Überlegungen kalibriert wur- den. Sekundäre Distanzindikatoren sind solche, die erst mit Hilfe von schon vorhandenen primären Distanzindikatoren kalibriert werden können. Sie haben in der Regel eine viel größere Reichweite als die primären, sind aber auch ungenauer. Das Vordringen zu immer größeren Entfernungen durch schrittweise Kalibrierung neuer Methoden mit größerer Reichweite bezeichnet man als die kosmische Entfernungsleiter. Man tastet sich zu immer größeren Entfernungen voran und eicht die (noch) ungenauen, weiter reichenden Methoden durch Messungen mit den schon vorhandenen, genaueren Methoden. Gleichsam wie auf einer Leiter schreitet man so Sprosse für Sprosse zu immer weiter entfernten Objekten voran. 10
3 Kosmologische Entfernungsbestimmung 3.5 Methoden zur Bestimmung kosmologischer Entfernungen In diesem Abschnitt werden nun die bekanntesten Methoden zur kosmologischen Entfer- nungsbestimmung vorgestellt. Als erstes einige primäre Methoden (Pulsationsveränder- liche, Novae, Supernovae vom Typ Ia), anschließend die wichtigsten sekundären Metho- den, wie z.B. die Tully-Fisher-Methode. Am Ende dieses Abschnitts folgt ein Vergleich der einzelnen Methoden hinsichtlich ihrer Reichweiten. 3.5.1 Cepheiden und RR Lyrae-Sterne Cepheiden. Die wohl bekanntesten und am genauesten untersuchten Standardkerzen sind die Pulsationsveränderlichen vom Typ δ-Cephei, auch Cepheiden genannt. Es handelt sich dabei um Sterne, die streng periodisch ihre Leuchtkraft ändern - die Periodendauer beträgt typischerweise einige Tage. Die Grundlage für die Pulsation der Cepheiden ist der sogenannte κ-Mechanismus, der für die Radius- und Helligkeitsänderungen dieser Sterne verantwortlich ist. Im Jahre 1912 entdeckte die US-amerikanische Astronomin Henrietta Swan Leavitt (1868-1921) eine Beziehung zwischen der mittleren absoluten Helligkeit und der Pulsati- onsperiode der Cepheiden. Man spricht von der Perioden-Leuchtkraft-Beziehung. Dank dieser Beziehung sind die Cepheiden eine hervorragende Methode zur kosmischen Entfer- nungsbestimmung, da die Periodendauer leicht durch Beobachtung zu ermitteln ist. Aus der daraus errechneten mittleren absoluten Helligkeit und der bestimmbaren mittleren scheinbaren Helligkeit kann nun die Entfernung des Cepheiden-Sterns - und damit auch die Entfernung seiner Heimatgalaxie - ziemlich genau ermittelt werden. Mithilfe dieser Methode konnte Edwin Hubble 1923 den Abstand zum Andromedanebel bestimmen und somit zeigen, dass dieser weit außerhalb unserer Milchstraße liegt und eine eigene „Welteninsel“ ist. Abbildung 3.1: Henrietta Leavitt (1868-1921) Leavitts Perioden-Leuchtkraft-Beziehung lässt sich mathematisch folgendermaßen for- mulieren: hMV i = a + b log10 P. (3.5) 11
3 Kosmologische Entfernungsbestimmung Die Dauer einer Pulsationsperdiode des Cepheiden in Tagen ist hierbei mit P bezeich- net, seine mittlere absolute visuelle Helligkeit mit hMV i. Die Konstanten a und b wurden durch eine eher aufwendige Kalibrierung bestimmt. Diejenigen Cepheiden-Sterne, die es Henrietta Leavitt ermöglichten, die Perioden-Leuchtkraft-Beziehung zu entdecken, befin- den sich allesamt in der Kleinen Magellanschen Wolke (SMC). Diese ist so weit entfernt, dass die damals verfügbaren Methoden zur Entfernungsbestimmung versagen mussten. Unter der Annahme, dass die beobachteten Cepheiden alle die gleiche Entfernung hat- ten1 , gelang es ihr, das b in Formel (3.5) zu bestimmen. Der „Nullpunkt“ a war jedoch weiterhin nicht bekannt. Mithilfe der sogenannten statistischen Parallaxe konnte Harlow Shapley - aufbauend auf einer Arbeit von Ejnar Hertzsprung - schließlich die noch nicht bekannte Konstante a festlegen und die Cepheiden-Methode somit eichen. Allerdings ist die Methode der statistischen Parallaxe mit relativ großen Fehlern behaftet, sodass die Eichung eher ungenau war. Abbildung 3.2: Lichtkurve eines typischen Cepheiden-Sterns Eine hervorragende Methode zur Bestimmung der Entfernung eines Cepheiden ist die Baade-Wesselink-Methode, die von Walter Baade 1926 vorgeschlagen und von Adriaan Jan Wesselink 1947 verbessert wurde. Sie beruht auf Messungen der Strahlungsleistung des Cepheiden-Sterns zu verschiedenen Zeitpunkten. Durch geeignete Überlegungen lässt sich daraus der Radius des Sterns zu einem bestimmten Zeitpunkt und damit seine Ent- fernung bestimmen. Cepheiden stellen eine äußerst gute Standardkerze dar. Als Über- riesen der Leuchtkraftklasse Ib sind sie durchschnittlich 10000 mal so leuchtkräftig wie die Sonne und somit auch in weiter Entfernung noch gut zu beobachten. RR Lyrae-Sterne. Eine Unterklasse der Cepheiden stellen die RR Lyrae-Sterne dar. Im Gegensatz zu den Cepheiden weisen diese kürzere Pulsationsperioden auf, die von 80 Mi- nuten bis 20 Stunden reichen können. Außerdem sind sie bis zu 50 mal lichtschwächer. Dennoch sind die RR Lyrae-Sterne innerhalb der Lokalen Gruppe eine wichtige Stan- dardkerze, da einige Galaxien dieser Gruppe keine Cepheiden enthalten. Eine weitere 1 Diese Annahme ist sehr wohl gerechtfertigt, da die Ausdehnung der SMC gegenüber ihrer Entfernung zu uns verschwindend klein ist. 12
3 Kosmologische Entfernungsbestimmung Abbildung 3.3: Einige markierte Cepheiden in einer Galaxie Schwierigkeit, abgesehen von der geringeren Leuchtkraft, ist, dass bei RR Lyrae-Sternen die absolute Helligkeit von der Metallizität (also dem Mengenverhältnis von Eisen und Wasserstoff in der Sternatmosphäre) abhängt. Sie haben als alte, metallarme Sterne der Population II negative Metallizitätswerte, die aber durchaus verschieden sein kön- nen. Deshalb ist es wichtig, bei Entfernungsangaben mit RR Lyrae-Sternen immer ihre Metallizität anzugeben. Abbildung 3.4: RR Lyrae-Sterne im Kugelsternhaufen M3 13
3 Kosmologische Entfernungsbestimmung 3.5.2 Novae Neben den Cepheiden und den RR Lyrae-Sternen gibt es noch weitere stellare Standard- kerzen. Allerdings ist die Auswahl hier nicht mehr so groß, da es nur wenige Arten von Sternen gibt, die so hell strahlen, dass sie über extragalaktische Distanzen hinweg noch gut beobachtet werden können. Ein wichtiges Phänomen, bei dem dies doch möglich ist, sind die sogenannten Novae. Der Name leitet sich ab aus dem lateinischen Begriff für neuer Stern (nova stella), da es sich bei Novae um Objekte handelt, deren Helligkeit sich in relativ kurzer Zeit signifikant erhöht. Es taucht somit ein neuer „Stern“ am Himmel auf. Novae treten immer in Doppelsternsystemen auf, die aus einem Weißen Zwerg und einem Hauptreihenstern bestehen. Aufgrund seiner Gravitation akkretiert der Weiße Zwerg Gas, welches von seinem Begleitstern emittiert wird. Dieses fällt in spiralförmigen Bah- nen auf seine Oberfläche und wird dort verdichtet und stark erhitzt. Somit entsteht eine Schicht auf der Oberfläche des Weißen Zwerges, in der Wasserstoffbrennen stattfindet. Immer mehr Material kommt neu hinzu und diese Schale wird immer instabiler, bis es schließlich zu einer Explosion kommt, die hell genug ist, um von uns auf der Erde beobachtet zu werden. Anschließend wiederholt sich der Zyklus. Abbildung 3.5: Nova Persei 1901 Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Geschwindigkeit, mit der die Helligkeit einer Nova abnimmt, und ihrer maximalen absoluten Helligkeit. Deshalb ist es uns möglich, aus der aufgezeichneten Lichtkurve einer Nova ihr Mmax und somit ihre Entfernung zu bestimmen. Im Jahre 1978 hat der französisch-amerikanische Astronom Gérard Henri de Vaucouleurs (1918-1995) mit Hilfe von Novae eine Reihe extragalaktischer Distanzen gemessen, die relativ gut mit den entsprechenden Ergebnissen der Cepheiden-Methode übereinstimmten. Unser Verständnis der Mechanismen bei einer Nova-Explosion sind allerdings bei weitem nicht so gut wie unser Wissen über den Pulsationsmechanismus der Cepheiden. Zudem sind Novae weitaus seltener als Cepheiden. Sie sind also als Ersatz für die Cepheiden-Methode ungeeignet, stellen aber eine gute Quelle für Vergleichswerte dar. 14
3 Kosmologische Entfernungsbestimmung 3.5.3 Supernovae vom Typ Ia Eine Supernova ist ein explodierender Stern. Diese Explosion kann so gewaltig sein, dass eine Supernova ihre Heimatgalaxie an Helligkeit übertrifft. Dies ist auch einer der Gründe, warum Supernovae die besten Standardkerzen für extrem große Distanzen dar- stellen. Man unterscheidet zwei Haupttypen von Supernovae, den Typ I und den Typ II. Diese Klassen lassen sich noch weiter zergliedern. Die für die kosmologische Entfer- nungsbestimmung wichtigste Unterklasse sind die Supernovae vom Typ Ia, die sich im Wesentlichen in vier Punkten von einer Supernova vom Typ II unterscheiden: • Typ Ia Supernovae sind heller als solche vom Typ II. • Nach dem Erreichen der maximalen Helligkeit fällt diese bei Typ Ia Supernovae gleichmäßig ab, beim Typ II nicht. • Typ Ia Supernovae haben keine H-Linien im Spektrum, Typ II Supernovae hinge- gen schon. • Der Typ Ia kommt in allen Galaxien und dort an allen Orten vor, wohingegen der Typ II fast immer nur in den Armen von Spiralgalaxien auftritt. Nach dem heute bevorzugten Modell ist eine Supernova vom Typ Ia die Explosion eines Weißen Zwergs in einem Doppelsternsystem. Ähnlich wie bei einer Nova saugt der Wei- ße Zwerg gasförmiges Material von seinem Begleitstern ab, welches sich dann auf seiner Oberfläche verdichtet und stark erhitzt wird. Wenn aber die Masse des Weißen Zwer- ges nun nahe an der Chandrasekhar-Grenze (1,4 Sonnenmassen) liegt, dann vermag der Stern aufgrund seiner Gravitation die Schale, in der das Wasserstoffbrennen stattfindet, nahe an seiner Oberfläche stabil zu halten und immer mehr Material vom Begleitstern legt sich darüber. In einer ersten Phase wird Wasserstoff zu Helium fusioniert; bei noch höheren Temperaturen schließlich wird Helium zu Kohlenstoff verbrannt. Falls der Weiße Zwerg ursprünglich schon reich an Kohlenstoff war, so besteht er spätestens jetzt fast ausschließlich aus Kohlenstoff-Kernen. Weiteres Material vom Begleitstern vergrößert die Masse des Weißen Zwerges immer mehr bis hin zur Chandasekhar-Grenze. Der Stern kollabiert und wird immer dichter und heißer, so dass das Kohlenstoffbrennen rapide einsetzt, welches dem Kollaps entgegenwirkt und schließlich zu einer gigantischen Ex- plosion führt. Der Begleitstern wird durch diese Explosion weggeschleudert und von dem Weißen Zwerg bleibt kein kompaktes Objekt mehr übrig. Die Details des Explosionsvor- gangs sind noch nicht genau bekannt, aber man weiß, dass das gleichmäßige Abfallen der Lichtkurve nach Erreichen des Helligkeitsmaximums vom radioaktiven Zerfall von 56 N i → 56 Co → 56 F e herrührt. Wenn alle Supernovae vom Typ Ia die gleiche maximale Helligkeit hätten, wären sie eine hervorragende Standardkerze für extrem große intergalaktische Distanzen. Tatsächlich gibt es Hinweise darauf, dass Typ Ia Supernovae ungefähr die gleiche maximale Hel- ligkeit haben! Dies ist dem glücklichen Umstand zu verdanken, dass es eine Reihe von Galaxien gibt, in denen seit Beginn der Aufzeichnung mehr als eine Supernova vom Typ Ia stattgefunden hat. Diese stimmten jeweils in der maximalen scheinbaren Helligkeit überein. Weil die Supernovae ungefähr gleich weit von uns entfernt waren, da sie ja je- weils in derselben Galaxie beheimatet waren, kann man davon ausgehen, dass sie auch die gleiche maximale absolute Helligkeit haben. Es gibt auch Ausnahmen, aber diese 15
3 Kosmologische Entfernungsbestimmung sind extrem selten und lassen sich gut vom Regelfall unterscheiden. Um nun die Typ Ia Supernovae als Distanzindikator verwenden zu können, muss die maximale absolute Helligkeit natürlich bekannt sein. Da es ein paar Galaxien gibt, in denen Cepheiden und Supernovae vom Typ Ia beobachtet wurden, war es möglich, die maximale absolute Helligkeit zu bestimmen. Den heutigen Wert dafür haben wir vor al- lem den amerikanischen Astronomen David Reed Branch (geb. 1942) und Allan Sandage (geb. 1926) zu verdanken: Mmax = −19, 47 ± 0, 07 (3.6) Wegen ihrer extremen Leuchtkraft können wir mit Hilfe von Supernovae vom Typ Ia sehr viel größere Entfernungen bestimmen als mit der Cepheiden-Methode. Sie sind momen- tan unsere beste Standardkerze für sehr große Entfernungen. Leider sind Ia Supernovae verhältnismäßig selten und die Phase ihrer maximalen Helligkeit währt nur sehr kurz. Abbildung 3.6: Der Krebsnebel - Überrest einer Supernova-Explosion 3.5.4 Die Tully-Fisher-Methode Neutraler Wasserstoff emittiert Radiowellen mit einer Wellenlänge von 21cm. Dies kommt dadurch zustande, dass neutraler Wasserstoff in zwei Zuständen vorkommt: Der Spin von Elektron und Proton zeigt in dieselbe Richtung (parallel) oder in entgegengesetzte Richtung (antiparallel). Beim Übergang vom parallelen Zustand, der geringfügig mehr Energie hat, in den antiparallelen Zustand wird ein Photon mit λ = 21cm emittiert. Regionen im Weltall, in denen neutraler Wasserstoff mit hoher Dichte vertreten ist, wer- den als Hi-Regionen bezeichnet. Spiralgalaxien enthalten sehr viel neutralen Wasserstoff. Aus diesem Grund lassen sich entfernte Galaxien mit den Mitteln der Radioastronomie besser untersuchen als im optischen Bereich. In den meisten Fällen war die beobachtete 21cm-Linie unscharf. Dies liegt daran, dass Spiralgalaxien rotieren, und sich somit ein Teil der Galaxie (und damit auch die jeweilige Hi-Region) von uns weg und der andere sich auf uns zu bewegt. Hierbei ist natürlich vorausgesetzt, dass wir die Galaxie unter einem von 0 verschiedenen Inklinationswinkel sehen. Wegen des Dopplereffektes wird 16
3 Kosmologische Entfernungsbestimmung also die 21cm-Linie unscharf. Aus der Breite dieser Unschärfe lässt sich die maximale Rotationsgeschwindigkeit der beobachteten Galaxie bestimmen. Die Breite der Linie W , bei 20 Prozent des Maximums gemessen, ist 2Vmax sin i W ≈ . (3.7) c Der Inklinationswinkel wurde hierbei mit i bezeichnet und i = 90◦ würde bedeuten, dass wir die Galaxie direkt von der Seite sehen. Im Jahre 1977 entdeckten Richard Brent Tully (geb. 1943) und James Richard Fisher (geb. 1943) die nach ihnen benannte empirische Relation zwischen der Rotationsge- schwindigkeit einer Spiralgalaxie und ihrer Leuchtkraft, aus der sich eine Methode der Entfernungsbestimmung konstruieren lässt. Über Messungen der 21cm-Linie lässt sich die Rotationsgeschwindigkeit der Galaxie bestimmen und daraus ihre Leuchtkraft bzw. ihre absolute Helligkeit. Durch Vergleich mit ihrer scheinbaren Helligkeit schließlich kann man die Entfernung berechnen. Der Zusammenhang zwischen Rotationsgeschwindigkeit und Leuchtkraft der Galaxie hat die folgene Form: 4 L ∝ Vmax . (3.8) Nach weiteren Umformungen unter Zuhilfenahme der Pogson-Gleichung erhält man die Tully-Fisher-Relation in folgender Form: W M = a log10 + b. (3.9) 2 · sin i Die darin vorkommenden Konstanten a und b müssen experimentell bestimmt werden. Durch die Anwendung der Tully-Fisher-Methode auf nahe Galaxien mit bekannter Ent- fernung konnte sie immer genauer kalibriert werden. Der typische Fehler bei Messungen im optischen Bereich beträgt bei der Tully-Fisher-Methode 20 bis 25 Prozent. Bei der Untersuchung von Galaxiengruppen kann der Fehler auf 10% gesenkt werden. Heutzu- tage wird die Tully-Fisher-Methode hauptsächlich im infraroten Bereich des Spektrums angewendet, da auf diese Weise der Staub in den Galaxien die Messung nicht mehr verfälscht. 3.5.5 Faber-Jackson-Relation – Fundamentalebene – Dn −σ-Relation Die Tully-Fisher-Methode lässt sich von Natur aus nicht auf elliptische Galaxien anwen- den, da diese nicht oder nur sehr langsam rotieren und zudem noch sehr wenig oder gar kein Gas enthalten. Gibt es eine Möglichkeit, die Distanz zu weit entfernten elliptischen Galaxien zu bestimmen? Eine solche Methode ist die Faber-Jackson-Relation, die von den amerikanischen Astro- nomen Sandra Moore Faber (geb. 1944) und Robert Earl Jackson (geb. 1949) im Jahre 1976 entdeckt wurde. Durch Betrachtung der Geschwindigkeitsdispersion der Sterne in einer elliptischen Galaxie konnten sie einen neuen Distanzindikator konstruieren. Eine Aussage über die Geschwindigkeit eines einzelnen Sterns in einer weit entfernten Galaxie zu machen ist nahezu unmöglich. Wesentlich einfacher ist es jedoch, die Ge- schwindigkeitsdispersion σ aller Sterne zu messen. Hierzu wird einfach die Verbreiterung 17
3 Kosmologische Entfernungsbestimmung der Spektrallinien der Galaxie durch den Dopplereffekt betrachtet. Über den Virialsatz und einige idealisierende Annahmen gelangt man zu folgender Relation: L ∝ σ4. (3.10) Der physikalische Hintergrund dieser Relation ist nicht genau bekannt und hängt wahr- scheinlich mit noch unbekannten Details der Galaxiendynamik zusammen. Dies zeigt sich auch darin, dass die mit Hilfe der Faber-Jackson-Relation untersuchten Galaxien eine große Streuung zeigten, was nicht etwa auf Messfehler zurückzuführen war, sondern auf Vernachlässigung weiterer Parameter. Es war also nicht möglich, die gefundene Be- ziehung guten Gewissens als Distanzindikator zu verwenden, da der Fehler bei einzelnen Galaxien mitunter über 30% betrug. Im Jahre 1987 hatten die amerikanischen Astronomen Marc Davis (geb. 1947) und Sta- nislav Djorgovski (geb. 1956) die Idee, die Leuchtkraft durch neue Parameter zu ersetzen. Durch Einbeziehen des effektiven Radius Ref f der Galaxie und der mittleren Flächen- helligkeit Ief f innerhalb dieses Radius fanden sie die folgende Beziehung: −0.85 Ref f ∝ σ 1.36 Ief f . (3.11) Diese drei Parameter legen eine Fläche fest, die als Fundamentalebene der elliptischen Galaxien bezeichnet wird. Die Fundamentalebene gestattet es uns, die Distanz zu ei- ner elliptischen Galaxie auf eine völlig andere Weise zu bestimmen, als mit der Faber- Jackson-Relation. Letztere liefert eine Leuchtkraft, erstere den effektiven Radius der Galaxie. Aus beiden Werten lässt sich dann die Entfernung bestimmen. Eine weitere Modifikation der Faber-Jackson-Relation wurde durch ein siebenköpfiges Team amerikanischer und britischer Astronomen (die später als „The Seven Samurai“ be- kannt wurden) vorgenommen. Sie entdeckten eine gute Korrelation zwischen σ und der Größe Dn , welche den Durchmesser einer kreisförmigen Region auf der beobachteten Ellipse angibt, die eine genau definierte mittlere Flächenhelligkeit hat. Die gewählte Flächenhelligkeit betrug 20.75mag pro Quadratbogensekunde. Da Dn sowohl Informa- tion über die Flächenhelligkeit der Galaxie als auch über die Leuchtkraft beinhaltet, ist die sogenannte Dn −σ-Relation genauer als die ursprüngliche Beziehung von Faber und Jackson. Für einzelne Galaxien lassen sich relative Entfernungen mit 25% Genauigkeit angeben, für Galaxienhaufen sogar mit 10%. Die genaueste der drei Varianten ist allerdings die Fundamentalebene, die speziell bei Galaxienhaufen eine ähnliche Genauigkeit erreicht wie die Tully-Fisher-Methode. Zu unserem Glück kommen elliptische Galaxien häufig in Haufen vor und sind zudem noch sehr hell, so dass uns die Fundamentalebene sogar noch etwas weiter in den Raum blicken lässt (was Entfernungen anbetrifft) als die Tully-Fisher-Methode. Allerdings eignet sie sich - mangels heller elliptischer Galaxien in unserer Nähe zur Kalibrierung - nur zur Bestimmung relativer Entfernungen. 18
3 Kosmologische Entfernungsbestimmung 3.5.6 Planetarische Nebel – PNLF-Methode Ein planetarischer Nebel entsteht, wenn ein Roter Riese seine äußere Hülle abstößt und sein innerer Kern freigelegt wird. Im Laufe dieses Prozesses erhitzt sich dieser dichte Kern immer mehr und sendet schließlich so viel Strahlung im ultravioletten Bereich aus, dass es ausreicht, die zuvor abgestoßene Gashülle zu ionisieren. Das dabei entstehende charakteristische Leuchten macht planetarische Nebel zu sehr ästhetischen Objekten. Durch ihr charakteristisches Spektrum, das sich vor allem durch sehr intensive Emissi- onslinien bei 500.68nm und 495.89nm auszeichnet, sind planetarische Nebel aber nicht nur schön, sondern auch verhältnismäßig einfach zu finden. Ihre Entfernung kann durch die sogenannte Expansionsparallaxe bestimmt werden. Dazu wird die Radialgeschwindig- keit der abgestoßenen Hülle durch spektroskopische Messungen untersucht. Außerdem kann die Winkelgeschwindigkeit der Ausdehnung durch direkte Beobachtung gemessen werden. Ein Vergleich der beiden Geschwindigkeiten liefert den Abstand des planetari- schen Nebels - hierbei ist natürlich vorausgesetzt, dass die Hülle sphärisch ist und sich gleichmäßig ausdehnt. Allerdings funktioniert diese Methode nur bei nahen planetari- schen Nebeln in der Milchstraße. Abbildung 3.7: Der Ringnebel - NGC 6720 Die amerikanischen Astronomen George Howard Jacoby (geb. 1950) und Robin Bruce Ciardullo (geb. 1954) fanden mit Hilfe eines Schmalbandfilters mehrere hundert extra- galaktische planetarische Nebel. Hier gestaltet sich die Entfernungsbestimmung schon weitaus schwieriger. Indem sie die Anzahl der planetarischen Nebel mit bestimmter Hel- ligkeit zählten, konnten Jacoby und Ciardullo eine planetary nebula luminosity function (PNLF) festlegen. Die Anzahl der Nebel wird mit steigender Helligkeit immer kleiner, bis eine Grenzhelligkeit erreicht ist und der Graph abrupt abfällt. Die vorgeschlagene PNLF hat die folgende Form: ∗ −M ) N (M ) ∝ e0.307 1 − e3(M (3.12) . N (M ) ist die Anzahl der planetarischen Nebel mit der absoluten Helligkeit M , wobei M ∗ die absolute Helligkeit des hellsten Nebels ist. Bei der Entfernungsbestimmung mit der PNLF-Methode geht man nun folgendermaßen vor: Durch das Auffinden genügend vieler planetarischer Nebel im „flachen“ Bereich der Kurve kann man mit Hilfe von (3.12) die oben erwähnte Grenzhelligkeit bestimmen und die Kurve für die betrachtete 19
3 Kosmologische Entfernungsbestimmung Galaxie festlegen. Nun wird diese Kurve mit derjenigen von M31 (der Andromedagalaxie) verglichen, woraus man die Entfernung der Galaxie bestimmen kann.1 Auf den ersten Blick ist die Vermutung, dass die Grenzhelligkeit planetarischer Nebel für alle Galaxien konstant sein soll, natürlich unwahrscheinlich. Es gibt aber einige Hinweise, die darauf hindeuten. Dennoch sollte die PNLF-Methode vorsichtig angewandt werden, z.B. als Ergänzung der Cepheiden-Methode, da sie eine ähnliche Reichweite von etwa 20 Mpc abdeckt. Sie stellt auch eine gute Möglichkeit dar, Entfernungen elliptischer Galaxien abzuschätzen, da diese keine Cepheiden enthalten. 3.5.7 Surface Brightness Fluctuation Eine relativ neue Methode, im Jahre 1988 von den amerikanischen Astronomen John Tonry (geb. 1953) und Donald Schneider (geb. 1955) entwickelt, macht sich gezielt die CCD-Technik zunutze und hat den großen Vorteil, dass man keine einzelnen Sterne auflösen muss, wie z.B. bei der Cepheiden-Methode. Sie nennt sich Surface Brightness Fluctuation. Bei dieser Methode wird ausgenutzt, dass die Sterne einer Galaxie inhomogen verteilt sind und somit eine Galaxie auf einem CCD „fleckig“ oder „körnig“ erscheint. Wäre die- selbe Galaxie doppelt soweit entfernt, dann wäre ihr Bild auf dem CCD nur noch halb so körnig (theor. Grundlage: Poisson-Verteilung). Das Prinzip ist in Abb. 3.8 veranschau- licht. Abbildung 3.8: Weiter entfernte Galaxien erscheinen homogener. Mittlerweile wurden über 400 Galaxien mit dieser Methode untersucht und es zeigte sich, dass sie weniger streut als z.B. die Tully-Fisher-Methode. Am besten funktioniert sie bei elliptischen Galaxien und ist somit schwer mit Hilfe von geeigneten, nahen Galaxien zu kalibrieren. 1 Die Entfernung zu M31 ist ziemlich genau bestimmt worden, weshalb diese Galaxie als Eichgalaxie benutzt wird. Sollte der Abstand zu M31 korrigiert werden müssen, so würde sich dies natürlich auch auf die Kalibrierung der PNLF-Methode auswirken. 20
3 Kosmologische Entfernungsbestimmung 3.5.8 Reichweiten der einzelnen Methoden Abbildung 3.9 zeigt einen Reichweitenvergleich der einzelnen Methoden. Die Supernovae vom Typ Ia heben sich natürlich deutlich von den anderen ab. Mit ihnen kann man Entfernungen bis zu 500 Mpc bestimmen. Abbildung 3.9: Reichweiten der verschiedenen Methoden 21
A Abbildungsnachweis Abb. 2.1: http://www.phys-astro.sonoma.edu/brucemedalists/Hubble/hubble.jpg Abb. 2.2: http://www.atlasoftheuniverse.com/superc/hshapley.jpg Abb. 2.3: http://www.astro.virginia.edu/research/observatories/26inch/ history/curtis.jpg Abb. 2.4: http://rst.gsfc.nasa.gov/Sect20/25_08.jpg Abb. 2.5: [4] Abb. 2.6: [4] Abb. 3.1: http://www.astro.physik.uni-goettingen.de/~hessman/ImageJ/Book/ An%20Introduction%20to%20Astronomical%20Image%20Processing%20with% 20ImageJ/images/LeavittHenrietta.png Abb. 3.2: http://www.astrosociety.org/education/publications/tnl/57/ images/ex02fig06.gif Abb. 3.3: http://www.astronomie.nl/wwwdata/spspIMG489.jpg Abb. 3.4: http: //www.phy.olemiss.edu/Astro/CCDImages/Objects/M3/M3_Spring06_RRLyr.png Abb. 3.5: http://www.noao.edu/image_gallery/images/gkper.gif Abb. 3.6: http://imgsrc.hubblesite.org/hu/db/2005/37/images/a/formats/ 1280_wallpaper.jpg Abb. 3.7: http://www.br-online.de/wissen-bildung/spacenight/sterngucker/ foto/ringnebel-hubble.jpg Abb. 3.8: http://astro.wsu.edu/blakeslee/sbf/starfield.jpg Abb. 3.9: Kay Dollfus, München 22
B Literaturverzeichnis [1] Stephen Webb. Measuring The Universe: The Cosmological Distance Ladder. Sprin- ger, 1999. [2] Michael Rowan-Robinson. The Cosmological Distance Ladder: Distance and Time in the Universe. Freeman, 1985. [3] Bradley W. Carroll, Dale A. Ostlie. An Introduction to Modern Astrophysics. Pearson Addison Wesley, 2006. [4] Wolfgang Gebhardt. Skript zur Vorlesung Kosmologie im WS 06/07. 23
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