Der Tod des Neugeborenen an der Rose anno 1796
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Medizingeschichte 99 Der Tod des Neugeborenen an der Rose anno 1796 W. Hach1; V. Hach-Wunderle1,2 1Venenzentrum Frankfurt am Main; 2Interdisziplinäres Gefäßzentrum des Nordwestkrankenhauses, Frankfurt am Main Schlüsselwörter Keywords Menschen betroffen (12, 26). Beim Ge- Erysipel, Wundrose, Tetanus, Hufeland, Erysipelas, rose disease, tetanus, Hufeland, sichtserysipel gilt der Naseneingang als In- Osiander Osiander fektionspforte. Auch bei Kindern war das Erysipel schon immer bekannt (▶ Abb. 1, Zusammenfassung Summary ▶ Kasten 1). In der vorhygienischen Zeit lief das Erysipel in In the era predating today’s standard hy- Die Infektion der Neugeborenen den Kriegslazaretten und Krankensälen als giene practices, erysipelas occurred as an kommt in unserer Zeit und Zivilisation Epidemie mit oftmals tödlichem Ausgang ab. epidemic in sick bays and hospital wards, kaum mehr vor. Als Risikofaktoren gelten Eine besondere, wenn auch seltene Form war often with a fatal outcome. One particular, das junge Lebensalter, Diabetes mellitus, die Rose der Neugeborenen. Auch hier gab es though rare, form was neonatal rose disease. Immunsuppression und nephrotisches kleinere Epidemien in den Geburtshäusern Minor epidemics of this disease also occurred Syndrom (3). Die Eintrittspforte der Erre- des 18. und 19. Jahrhunderts. Eine detaillier- in the birthing houses of the 18th and 19th ger ist meistens der Nabel oder die Genital- te Beschreibung eines Krankheitsverlaufes centuries. A detailed description of one such region. Das Allgemeinbefinden des kleinen stammt von Christoph Wilhelm Hufeland aus case was written by Christoph Wilhelm Hufe- Patienten erscheint stark beeinträchtigt. dem Jahre 1796. Wahrscheinlich hatte sich land in 1796. The infant probably acquired Die beim Erysipel ansonsten scharf be- das Baby bei seiner Mutter angesteckt. Die the infection from its mother. The pathogens’ grenzte Hautrötung ist durch das Ödem Eintrittspforten der Erreger befanden sich üb- portal of entry was usually the navel and the verwischt und erschwert die Diagnose. Im licherweise am Nabel und in der Genitalregi- genital region, where they caused a dramatic Feer´schen Lehrbuch anno 1952 heißt es, on. Sie verursachten hier eine dramatische local reaction. From the outset, the infection „mächtige Ödeme bilden sich vor allem in Lokalreaktion. Von vornherein verlief die In- took the form of sepsis, so that a fatal out- der Genitalgegend, wo sich am Skrotum und fektion als Sepsis. Damit erschien der tödli- come appeared certain. In Hufeland’s case an der Vulva eine tiefgreifende nomaartige che Ausgang vorgegeben. Möglicherweise study, the disease may also have been com- Gangrän einstellen kann. Der Entwicklung war Hufelands Krankheitsfall auch mit einem bined with tetanus (lockjaw). Today, neonatal einer Sepsis ist das Tor geöffnet“ (7). Tetanus (Kieferbackenzwang) kombiniert. rose disease is no longer found in our cultural Vor der antibiotischen Ära hatte das Heute gibt es die Rose des Neugeborenen in region. Erysipel beim Neugeborenen eine ungüns- unserem Kulturkreis nicht mehr. tige Prognose. Insbesondere wenn die Hautrötungen gleichzeitig an verschiede- nen Orten auftraten oder sich schnell aus- Korrespondenzadresse Zitierweise dieses Beitrages/Cite as: breiteten, zeigte sich ein bösartiger Krank- Prof. Dr. Wolfgang Hach Neonatal death from rose disease in 1796 heitsverlauf an (6, 17). Ältere Säuglinge Venenzentrum Frankfurt Fahrgasse 89, 60311 Frankfurt a.M. Phlebologie 2014; 43: 99–104 und Kinder haben den Infekt besser über- DOI: http://dx.doi.org/10.12687/phleb2196-2-2014 Tel. 069/20707, Fax 069/293930 Eingereicht: 23. Februar 2014 standen. Angenommen: 28. Februar 2014 English version available at: Pathophysiologie www.phlebologieonline.de Beim Erysipel handelt es sich patholo- gisch-anatomisch um die bakterielle Besie- delung im Bereiche der Haut, also um eine Die Rose, die Schöne, das Wilde Feuer, und Streptokokken der Gruppe A (Streptococ- lokale Infektion. Die Streptokokken lösen wie das ▶ Erysipel in seiner langen Ge- cus pyogenes), seltener durch andere Erre- die Mucopolysaccacharide des Bindegewe- schichte sonst noch genannt wurde, galt in ger ausgelöst wird. Meistens erfolgt die In- bes durch das Enzym Hyalorudinase auf alten Zeiten als eine geheimnisvolle Krank- fektion über Hautläsionen bei der Stasen- und können sich dadurch leicht ausbreiten heit. Natürlich, heute kennen wir sie genau dermatitis und der chronisch-venösen In- (26). Der Entzündungsprozess führt zum und brauchen sie nicht mehr zu fürchten. suffizienz, sowie beim primären und se- schmerzhaften Erythem, bei komplizier- Es handelt sich um eine spezielle Form der kundären Lymphödem infolge der Lymph- tem Krankheitsverlauf auch zu Blasenbil- Zellulitis, die durch beta-hämolysierende abflussstörung. Deshalb sind oft ältere dung und Phlegmone bzw. Abszedierung © Schattauer 2014 Phlebologie 2/2014
100 W. Hach; V. Hach-Wunderle: Tod des Neugeborenen an der Rose mit Nekrosen. Im Besonderen sind die Erysipel eine von Mensch zu Mensch leicht Lymphbahnen betroffen, das führt zum se- Bezeichnungen für die Rose übertragbare Infektionskrankheit, die in kundären Lymphödem und zur Rezidiv- im 19. Jahrhundert (20) den Hospitälern und Lazaretten wie eine neigung. Aber im Prinzip gilt die Krank- Epidemie abgelaufen ist. Besonders in heit als selbstlimitierend (2). Der Rothlauf Kriegszeiten wüteten Wundfieber und Die systemische Infektion mit Strepto- Die Schöne Wundrose in den Krankensälen, forderten coccus pyogenes ruft dagegen andersartige, Das Lagerfeuer, Glockfeuer, Flogfeuer unter den Verletzten und Operierten un- schwere Krankheitsbilder wie die nekroti- Das wilde oder heilige Feuer zählige Opfer (27) (▶ Abb. 2). Bei Stannius sierende Fasziitis, Pneumonie, Perikarditis, Der Anschuss 1837 heißt es (25): „In manchen Jahren Peritonitis, Meningitis oder Endokarditis Erysipelas, Erythropelas kommt das Erysipelas bei Geisteskranken (in sowie die Puerperalsepsis hervor, und die Brunus (= braun) den geschlossenen Anstalten) außerordent- gehen mit einer mit hoher Letalität einher, Icteritia rubra lich häufig vor; da muß man denn oft lange auch heute noch. Ignis St. Antonii, Ignis sylvestris, sylvaticus Zeit von allen ableitenden Mitteln, die bei Geisteskranken doch so nützlich sind, ganz Infektionsmodus absehen; kaum ist ein Haarseil, eine Moxa, ein Vesicans in Anwendung gebracht, so Der Streptococcus pyogenes kommt weltweit erkranken nahezu immer Einzelpersonen, stellt sich eine erysipalöse Entzündung ein; vor und wird durch Tröpfchen- oder gegebenenfalls mit bestimmten Risikofak- dasselbe geschieht nach oberflächlicher Ver- Schmierinfektion übertragen. Bei der In- toren. letzung der Haut; ein leichter Stoß, die Oeff- fektion zum Erysipel spielen deshalb indi- Das war früher, in der vor-antibioti- nung einer Vene beim Aderlaß, die Applika- viduelle Voraussetzungen die entscheiden- schen und insbesondere in der „vor-hygie- tion von Blutegeln bewirken das Auftreten de Ursache. Mit anderen Worten, heute (!) nischen“ Zeit, ganz anders. Damals war das eines Erysipelas“. Die Rose der Neugeborenen Kleine Epidemien von Erysipel traten im 18. und 19. Jahrhundert auch unter den Neugeborenen in den Geburtshäusern auf, Abb. 1 Von einer Schleim- nur wurde darüber kaum berichtet. In der hautinfektion des Ves- Regel verlief die Krankheit tödlich. Seltener tibulum nasi ausge- wurde über eine Heilung berichtet (19, 24). hendes Erysipel. Typi- In den Krankheitsberichten dieser Zeit hat sche flammenförmige die Krankheit bei den behandelnden Ärz- ©Dr. Karl Thomae GmbH Ausläufer. Aus: Bildta- ten wohl immer einen tiefen Eindruck hin- feln Thomae. Klinische terlassen (20). Eine Kasuistik ist besonders Visite Blatt 113. Dr. gut dokumentiert, aber in der Literatur tief Karl Thomae GmbH. vergraben, und deshalb blieb sie so gut wie Biberach an der Riss 1966. unbekannt: Christoph Wilhelm Hufeland1 (1762–1861) hat den dramatischen Krank- 1 Christoph Wilhelm Hufeland (1762–1836) gehör- te nicht nur in Deutschland, sondern in unserem gesamten Kulturkreis zur den berühmtesten Ärz- ten. Seine sozialmedizinischen Reformen und seine Vorbildfunktion in humanistischer Hinsicht wirken bis in die heutige Zeit fort. Nach dem Medizinstu- dium in Jena und Göttingen hatte er zunächst die umfangreiche Praxis seines Vaters in Weimar über- nommen, war Hofarzt und Leibarzt der großen Abb. 2 Kasuistik von Richard von Volkmann anno 1875. Handarbeiter, 43 Jahr. Aufgenommen 1873. Dichter der Weimarer Klassik. Von 1793 bis 1801 Caries der linken grossen Zehe aus einem vernachlässigten Frostgeschwür entstanden. Abnahme der lehrte er an der Universität Jena. Dann erhielt er Zehe, abends heftiger Schüttelfrost, Delirien, fortschreitendes Erysipel. Lymphangoitisstreifen am den Ruf als Leibarzt am Königshof nach Berlin. Oberschenkel. Die ganze Extremität ist erysipelatös entzündet. Tod am 7. Tag. Bei der Sektion schwere Hier wirkte er maßgeblich an der Preußischen Bil- parenchymatöse Veränderungen an den inneren Organen (27). dungsreform mit (8, 11). Phlebologie 2/2014 © Schattauer 2014
W. Hach; V. Hach-Wunderle: Tod des Neugeborenen an der Rose 101 heitsverlauf anno 1796 in seinem Journal Während dieser ganzen Zeit wurde das für praktische Medizin beschrieben (14). Kind theils von einer andern Amme gesäugt, Man sprach damals von der „Rose“ (24; theils wie vorher gefüttert. Den 12ten Mor- ▶ Abb. 3). gens bekam es den ▶ Kinnbackenzwang (4, 23). Gegen 6°° Abends hatte der Krampf Hufelands Kasuistik gäntzlich nachgelassen. Die Nacht war sehr unruhig. Den 13ten früh entdeckte ich in der „Meine eigene Frau (Hufelands Patientin, linken Weiche einen hellroten Fleck von der nicht Ehefrau) wurde am 29. Aug. 1796 Größe eines Taubeneyes. Die Röthe breitete zum erstenmale von einem gesunden Mäd- sich bald weiter besonders um die Ge- chen glücklich entbunden. Die Mutter be- schlechtstheile. Sie erhielt ein gelindes Brech- fand sich die ersten Tage nach der Geburt mittel. In den Unterleib wurde Althesalbe wohl. Da sie noch wenig Milch hatte, so wur- mit Laudanum eingerieben und über die de das Kind täglich zweymal von einer ge- entzündeten Stellen Läppchen, in warme sunden Amme gesäuget, und bekam zwi- Milch getunkt, gelegt. Bis zum 15ten war der schendurch etwas Muuß, aus Bisquit mit ganze linke Schenkel bis zum Kreuz ange- Wasser und Zucker bereitet. Zum Abführen schwollen und dunkelroth, aus der Scham des Kindespechs erhielt es Rhabarbersyrup floß ein gelber Schleim. Die Stühle waren mit Bittersalzerde. Am fünften Tage nach dabei immer grün und gehackt und folgten Abb. 3 Originalseite des Artikels von Hufeland Mittag befiel die Mutter nach einem heftigen selten. Den 16ten war die Geschwulst sehr im Journal der praktischen Medizin. 1796. Bd X/4; Seite 147. Schreck ein Fieber mit schnellem, nicht sehr gemindert, hingegen der rechte Schenkel und vollem und harten Pulse, brennener Hitze, ein Theil des Rückens entzündet. Den 17ten so, dass die Haut hin und wieder roth unter- war die Geschwulst an der linken Seite fast lief, Kopfweh, Irrerede, heftigen Durst, trock- ganz verschwunden, die Haut wurde kraus ner schleimigte Zunge. Die Reinigung stand, und fing an sich abzuschilfern. Bis zum Lokale Behandlung der der Leib wurde aufgetrieben und schmerz- 19ten nahm die Entzündung an der rechten Rose bei Hufeland (1) haft. Sie erhielt 2 Klystiere, wonach zweymal Seite immer mehr zu, und verbreitete sich mäßige Ausleerung erfolgte. Die Nacht war vom Kreuz bis zum Plattfuß, alle Teile wa- • Althe-Salbe (Altheae = Eibisch) sehr unruhig, die Hitze dauerte fort, sie ver- ren hochroth gefärbt und hart wie Holz an- • Styrax-Salbe (Harz von Storax officinalis, fiel in einen tiefen Schlaf, während welchem zufühlen. Eine Stelle von der Größe eines Styraxbaum aus Kleinasien, Ostindien) ein allgemeiner Schweiß erfolgte. Beym Er- Groschens wurde blau und setzte eine • Umschläge mit warmer Milch wachen war sie ziemlich munter. Am folgen- Brandblase. Es wurden ▶ Styraxsalbe darü- • Umschläge mit Fenchelswasser (Semina den Tage befand sie sich wieder so wohl, als ber gelegt, Klystire, Mannaaufguß mit Zink- Foeniculi als Zusatz zum Thee) zuvor. blüthe und ▶ Laudanum gegeben und die • Umschläge mit Blättrigter Weinsteinerde Milchumschläge fortgesetzt. Am Tage schlief (Sal essentiale tartari in Wasser) das Kind einige Stunden, nahm die Brust be- gierig, fuhr aber bey der geringsten Bewe- gung der Mutter, während des Säugens, hef- Kinnbackenzwang bey tig zusammen. Die Nächte waren schlafloß züglich war eine Stelle vom Nabel bis an die Neugebornen (Tetanus) (4) und sehr unruhig. Schaam in der Breite von 2 Fingern sehr Den 20sten fing die Geschwulst an bleich stark aufgetrieben und hochroth. Die Um- • In Languedock, Provence, Schweiz und zu werden, auch die Härte nahm ab. Die schläge wurden nach Möglichkeit fortgesetzt, Minorka sehr häufig Brandstelle gab ein gutes Eiter. Am 23sten eine Mischung aus Fenchelwasser, Rhabar- • Befällt junge Kinder zwischen 3ten und und 24sten schien sich alles sehr zu bessern. ber und blättrigter Weinsteinerde, nebst 12ten Tage Die Haut schilferte ab und die Brandstelle Klystire gegeben, die aber die mehrste Zeit • Endigt sehr oft mit dem Tode schloß sich. ohne Wirkung wieder abgingen, weswegen • Dunkles Weinen, geringe Oefnung des Den 25sten aber verschlimmerte sich – zu der vorigen Mischung… Mundes wahrscheinlich durch den Gram der Mutter den 28sten noch etwas Jalappapulver zu- • Fehlende Bewegung der Lippen – alles wieder. Der Unterleib wurde aufge- gesetzt wurde, wonach einige gehackte, mit • Unmögliches Saugen, doch leichtes blasen, das Kind schrie fast beständig, nahm Schleim vermischte Stühle erfolgten, und der Schlingen die Brust mit Heißhunger. An beyden Bei- Bauch etwas weicher wurde. Abends Minde- • Verstopfung des Leibes nen, dem Rücken, im Nacken und an den rers Geist mit Fliederthee (▶ Abb. 4). • Steifigkeit des Halses, Stamms und Glie- Ellenbogen zeigten sich bis zum… Den 29sten war fast der ganze Körper, der vom Todtenkrampf 27sten immer neue Flecken, die sich zuse- das Gesicht und die Brust ausgenommen, hends ausbreiteten und anschwollen, vor- angeschwollen, die Knie und Ellenbogen sehr © Schattauer 2014 Phlebologie 2/2014
102 W. Hach; V. Hach-Wunderle: Tod des Neugeborenen an der Rose haft werden. Die Farbe der Geschwulst wird in der Folge dunkelroth, blau, es entstehen Brandblasen, Petechien; selbst die Gelenke, wenn sie von der Rose befallen werden, wer- den steif; der Unterleib wird aufgetrieben, als wenn lauter Kartoffeln darinn enthalten wä- ren. Trismus und Gelbsucht treten bisweilen noch vor dem Tode hinzu. Zur Entstehung der Krankheit trägt wohl in manchen Fällen die epidemische Consti- tution viel bey. Hr. Prof. Ösiander sah im Entbindungshause zu Göttingen mehrere Kinder auf diese Art erkranken, da gerade viele Wöchnerinnen an einer galligt-rheu- matischen Krankheit litten. Hier erkrankten im September 1796 fast zu gleicher Zeit 3 Kinder. Sollte die Rose wohl durch Anste- ckung entstehen können? Bey denen hier fast zugleich erkrankten Kindern traf es sich, dass die Hebamme an einer Blatterrose im Gesichte litte, die eben von Feuchtigkeit trief- Abb. 4 te“ (14). In der von Hufeland beschriebe- Jalappa (aus: D. Valen- nen Kasuistik erkrankte die Mutter am 5. tini: Museum museo- rum. Frankfurt 1704) Lebenstage ihres neugeborenen Kindes an einem hochfieberhaften Infekt, bei dem es nicht ausgeschlossen ist, dass es sich auch hervor. Unter diesen Umständen ließ ich alle um ein Erysipel gehandelt haben könnte. Hoffnung zur Genesung fahren, doch aber Hufeland war ein konsequenter Ver- noch ob und an ein Klystir geben, wo- fechter der strengen Hygiene. In Jena hielt durch… er täglich 4 Stunden Vorlesung über Spe- am 31sten Morgens und Nachmittags or- zielle Therapie und Krankheitserscheinun- dentlich figurirte, dunkelgelb gefärbte Ex- gen, in die auch die Frauen- und Kinder- cremente abgingen, was in der ganzen heilkunde einbezogen war. Er beherrschte Krankheit nicht geschehen war. Abends starb demnach das medizinische Wissen seiner das Kind ganz sanft ohne alle krampfhafte Bewegung.“ Medikation der Rose bei Hufelands Epikrise Hufeland (1) Neben dieser Kasuistik hat Hufeland noch weitere Krankheitsverläufe geschildert und • Manna (Harz von Haynbuchen und andere Beobachtungen aus der Literatur Eschen, Auflösung in Wasser und Wein- einbezogen (18). So kommt er zu einer zu- geist) sammenfassenden Beurteilung der Rose • Laudanum liquidum Sydenhami (Opium, anno 1796. Darin wird erstmalig die Ver- Safran, Zimmt und Nelken mit spani- mutung geäußert, dass es sich um eine In- schem Wein digerirt) fektion handeln könne. Aber die Differen- • Zinkblüthe (Verkalkung des Zinks bey Abb. 5 Christoph Wilhelm Hufeland (1762–1836) zierung des Tetanus als eigenständiges Ge- offenem Feuer) in seiner Berliner Zeit (8). schehen geht nicht eindeutig hervor. • Rhabarber (Radix Rhabarbari als Abführ- „Die Krankheit erscheint in den ersten mittel) Tagen des Lebens, bis zur 6ten Woche. • Minderersgeist (Eßigsalmiak in Wasser dick, krumm und steif. Der Unterleib wurde Hauptsächlich an den eingewickelten untern gelöst gegen Exantheme) wieder dicker, und ließ sich, als wenn lauter Extremitäten, dem Nacken, in den Weichen, • Japappa-Pulver (Radix Jalappae aus Kartoffeln darinn wären, anfühlen; vorzüg- findet man rothe Flecken, die sich schnell Madera als Abführmittel) lich stand die Leber unter den Rippen sehr weiter arbeiten, hart wie Holz und schmerz- Phlebologie 2/2014 © Schattauer 2014
W. Hach; V. Hach-Wunderle: Tod des Neugeborenen an der Rose 103 Zeit. Ein zweiter Vorlesungszyklus betraf nen (14, 21). „Die Schwangere wurde am 6. die Makrobiotik, die Kunst, das menschliche Ursachen der Rose, April 1794 in das Entbindungshospital auf- Leben zu verlängern, die sich auch zu ei- anno 1836 (18) genommen. Vom Kratzen an den Varicibus nem großen Teil auf die Hygiene und Er- der Füße hatte sie ein Geschwür nahe am ziehung der Kinder bezog (11) (▶ Abb. 5). Knöchel des rechten Fußes bekommen, das Mit seiner ersten Ehefrau Juliane Ame- • Epidemische Constitution durch die Behandlung mit fetten Salben au- lung (1771–1845) hatte Hufeland selbst 7 • Schlechte Diät der Mutter ßer dem Hospital übelriechend geworden Kinder. Er wusste also mit Neugeborenen • Verdorbene Atmosphäre der Wochen- war, aber unter täglichem Waschen mit rei- stube (Trocknen der Windeln am Ofen) umzugehen. In dem Ratgeber Erinnerun- nem Wasser heil wurde. Die Schwangere be- gen an alle Mütter, denen die Gesundheit ih- • Zu festes Umbinden der Nabelbinde fand sich von da an gesund. Am 3. Junius rer Kinder am Herzen liegt (1794) beschrieb • Einwickeln in feuchten wollnen Windeln um Mitternacht kam der Kopf ins Einschnei- und Druck er speziell die Richtlinien für die Pflege des den. Die Gebärende wurde wegen den von neugeborenen Kindes. Darin heißt es (15): • Erkältungen der Mutter oder Ammen Varicen stark angeschwollenen Genitalien „Die wichtigste Regel ist: Man wasche alle • Anhängung von verdorbenem Kinds- äußerst schonend behandelt.“ pech Morgen das Kind vom Kopfe bis zu den Fü- ßen mit kaltem Wasser. Es ist unglaublich, Literatur über Ursachen der Rose von welcher außerordentlichen Wirkung die- bei Georg Friedrich Most4 ses einfache Mittel ist. Gewöhnlich lasse ich selben (anno 1794) von dem Schweizer damit den Anfang schon in der dritten Wo- Arzt und Chemiker Christoph Girtanner Als ▶ Ursache sah Most: „Verdorbene, mit che machen, so daß man das bis dahin war- (14)2. Darin heißt es: „Die Rose der Neuge- faulen Dünsten angefüllte, feuchte Luft, da- me Waschwasser kühler und immer kühler borenen ist gemeiniglich tödtlich. Wenn sie her das häufige Erscheinen der Krankheit in nimmt, bis man endlich zum ganz kalten um den Nabel, oder in der Gegend der Zeu- Findelhäusern, schlecht eingerichteten Ge- kommt. Sehr bald gewöhnen sich die Kinder gungstheile, zuerst sich zeigt, geht sie in bäranstalten, Spitälern; rohe Behandlung daran.“ Brand über. Bey Knaben zeigt sie sich gemei- der Nabelschnur; das Einwickeln der Kinder Und weiter schreibt Hufeland: „Ein niglich zuerst am Hodensacke; dann schwel- in heisse und feuchte Tücher, das gewaltsa- Kind dunstet weit mehr aus, und die Wäsche len die Zeugungstheile auf, und unter der me Hineindrucken des Nabels, um den Na- wird folglich weit eher unbrauchbar, als bey Vorhaut zeigt sich ausgetretene Lymphe. Die belbruch zu verhüten, Unreinlichkeit, Erkäl- einem Erwachsenen. Ein jeder, der es kann, Krankheit ist nicht ansteckend. Die Ursache sollte seinem Kinde alle Tage weiße, trockne derselben ist bis jetzt noch unbekannt. Doch Wäsche geben. Und lieber lasse mans an et- scheint sie vorzüglich dann zu entstehen, 3 Friedrich Benjamin Osiander (1759–1835) stand was anders fehlen, um ihm diese große wenn die Mutter schwächlich ist, oder wenn mit der Geschichte des Göttinger Accouchier-Hau- Wohltat verschaffen zu können.“ Sicherlich sie die Gewohnheit hat, im Ueberfluss geisti- ses in enger Verbindung (22). Die Institution wurde wurden diese Prinzipien der Hygiene von ge Getränke zu trinken.“ (9) 1791 durch Albrecht von Haller (1708–1777) initi- iert und der Universität zur Ausbildung der Stu- den streng gottesfürchtigen Eltern Hufe- denten angeschlossen. Anfangs kamen nur arme land und ihren Kindern vorgelebt. Literatur zur Ursache der Rose bei und uneheliche Frauen zur Entbindung herein. Man schämte sich vor den Männern, und deshalb Friedrich Benjamin Osiander hatte die neue Klinik einen ständigen Mangel an Informationen aus der Der bekannte Göttinger Geburtshelfer Osi- Patienten. Die Frauen mussten sich verpflichten, 6 Wochen vor und 2 Wochen nach der Niederkunft Literatur um 1796 ander3 (s.u.) schilderte in seinem zweibän- leichte Arbeiten durchzuführen, beispielsweise am digen Werk Neue Denkwürdigkeiten für Spinnrad zum Ersatz der Wäsche. Ernährung und Das Erysipel war in der vorhygienischen Aerzte und Geburtshelfer (1797) den tödli- hygienische Verhältnisse sollen gut gewesen sein. Osiander entwickelte die Geburtshilfe zu einer Zeit weit verbreitet und wurde in den zeit- chen Krankheitsverlauf eines Neugebore- „Entbindungskunst“ (5). Er hat in diesem Rahmen genössischen Lehrbüchern ausführlich be- eine ungewöhnlich große Zahl von geburtshilfli- schrieben, zumal die Diagnose infolge der chen Operationen vorgenommen und geriet damit typischen Hautveränderungen ja leicht 2 Christoph Girtanner (1760–1800) hat in Göttin- in Widerspruch zu der renommierten Wiener gen studiert und sich zunächst in seiner Vaterstadt Schule von Lucas Johann Boer (1751–1835) (24). möglich erschien (24). Die Erkrankung der St. Gallen als praktischer Arzt niedergelassen. Dann Osiander hat mehrere Lehrbücher geschrieben, Neugeborenen wurde dabei als Sonder- zog er nach dem zusätzlichen Studium der Chemie auch für Hebammen. form herausgestellt. nach Göttingen um, hatte hier mit der Universität 4 Georg Friedrich Most (1794–1845) stammte aus jedoch keinen Kontakt. Er nahm ausgedehnte Rei- Rostock und hat in Göttingen Medizin und Philo- sen durch Europa vor, schrieb viele Artikel und Bü- sophie studiert. Später ging er in seine Heimatstadt Literatur bei Christoph Girtanner cher über alle möglichen Themen, zuletzt auch zurück. Hier lehrte er an der Universität und gab über Politik und Historie. Seine bekanntesten me- zahlreiche Schriften heraus, auch populärmedizini- über den Verlauf dizinischen Werke sind die dreibändigen Abhand- scher Art. Seine bekanntesten Werke sind die Enzy- lungen über die venerischen Krankheiten und das klopädie der medizinischen Praxis und die Enzyklo- Viel gelesen in dieser Zeit wurden die Ab- hier zitierte Kinderbuch. Girtanner zog viele Miss- pädie der gesammten Staatsarzneykunde. Er erhielt handlungen über die Krankheiten der Kin- billigungen auf sich, weil er es mit der Urheber- zahlreiche hohe Auszeichnungen und starb an der der und über die physische Erziehung der- schaft seiner Aussagen nicht so genau nahm (10). Cholera (13). © Schattauer 2014 Phlebologie 2/2014
104 W. Hach; V. Hach-Wunderle: Tod des Neugeborenen an der Rose tung, schlechte Kindesnahrung, reizende, er- bis an die Pfortader angefüllt war“. Die schreibungen in der Hufelandschen Zeit hitzende Diät. Zorn, Schreck, Geilheit der Mutter erkrankte anschließend an einer erinnern an eine Sepsis, an einen von vorn- stillenden Mutter oder Amme“ (18). Form des Wahnsinns, was Osiander da- herein systemischen, tödlichen Verlauf. Viel- durch erklärte, dass bei ihr die Mutter- leicht prägte die Neugeborenen-Periode Autoptische Befunde bei Friedrich milch ins Gehirn abgeflossen sei. mit ihren „Geburtswunden“ und ihrer be- Benjamin Osiander 1797 sonderen Immunitätslage ein primär septi- sches Krankheitsbild, wie es auch später Der Befund einer Leichenöffnung wurde Beurteilung aus heutiger Richard von Volkmann bei den todkran- von Osiander ausführlich beschrieben. Das Sicht ken Verwundeten in den Kriegslazaretten Kind erkrankte daran am 7. Tage nach der und bei seinen operierten Patienten in den Geburt und verstarb zwei Tage später. Im Bis zum Zeitalter der Antibiose war die Ro- Krankensälen beschrieben hat. Ein sekun- Bericht heißt es (21): „Das Skrotum war, se der Neugeborenen immer wieder einmal däres Lymphödem, das für uns heute ja die wie ein Hühnerey, aufgetrieben, und beim aufgetreten. Heute ist die Krankheit in Ver- größte Bedeutung hat, stand früher weder Einschneiden zeigte sich gelblich sulzige Ma- gessenheit geraten und wird in den aktuel- als Ursache noch als Folge zur Debatte. terie, ebenso die Zellhaut zwischen Bauchde- len Lehrbüchern der Pädiatrie nicht mehr cke und dem Peritonaeo. Aus dem Perito- erwähnt (16). So dramatische Krankheits- Wenn du weinen kannst, so danke Gott. neum floß ein safrangelbes Serum heraus. verläufe wie damals gibt es nicht mehr, zu- (Goethe, Epilog zu „Essex“) Auch die im Darm enthaltenen Excremen- mindest nicht in unserem Kulturkreis. ten waren sehr gelb. In der entzündeten Le- Aber die Antibiotika haben diesen Er- Die Literatur zu diesem Artikel finden Sie bergegend war eine gelbe eiterähnliche Mate- folg nicht allein zu verbuchen. Im Verlauf unter: www.phlebologieonline.de rie. Besonders merkwürdig schien mir, daß der Jahrhunderte hat sich der Krankheits- mit eben solchem Eyter die Vena umbilicalis charakter des Erysipels verändert. Die Be- SWOP. Medien und Konferenzen GmbH FKS00018689_31248 4463.pdf
W. Hach; V. Hach-Wunderle: Tod des Neugeborenen an der Rose -- 11. Hach W, Hach-Wunderle V. Christoph Wilhelm nal der practischen Heilkunde, Bd XXV, 3. St. Literatur Hufeland (1762–1836), die Lebenskraft und die 145–162. Vorahnung einer venösen Thrombose. Gefässchi- 20. Oberkampff LC. Die Hautkrankheiten und ihre 1. Arnemann J. Praktische Arzneymittellehre. Wien: rurgie 2013; 18: 736–742 Behandlung. Hannover: Helwingsche Hof- und V. Ghelen 1799. 12. Hach W, Mumme A, Hach-Wunderle V. Venen- Buchhandlung 1835. 2. Böker W, Denk H, Heitz Ph U. Pathologie. Chirurgie. Stuttgart: Schattauer 2013. 21. Osiander FB. Neue Denkwürdigkeiten für Aerzte München Jena: Urban und Fischer 2004. 13. Hirsch A. Biographische Lexikon der hervorra- und Geburtshelfer. Göttingen: Rosenbusch 1797, 3. Celestin R, Brown J, Kihiczak G, Schwartz RA. genden Ärzte aller Zeiten und Völker. Wien, Ber- 1. Bd. Erysipelas: a common potentially dangerous infec- lin: Urban & Schwarzenberg 1886. 22. Osiander FB. Kathinka Rinke. Das Göttinger Ac- tion. Acta Dermatovenerol Alp Panonica Adriat. 14. Hufeland CW. Journal der praktischen Medizin. couchierhaus. Wikipedia.org 2007; 16: 123–127. 1796. Bd X/4; 147- 23. Richter AG. Die chronischen Krankheiten nach 4. Daniels DCF. Pathologie, oder vollständige Lehre 15. Hufeland CW. Erinnerungen an alle Mütter, denen den hinterlassenen Papieren des verstorbenen D. von den Krankheiten. Leipzig Weißenfels: Severin die Gesundheit ihrer Kinder am Herzen liegt. Aug. Gottl. Richter. Berlin: Nicolaische Buchhand- 1794. Honäus. Bielefeld 1793 lung. Berlin 1821; 6. Abth. 8. Bd., S. 368. 5. Fasbender H. Geschichte der Geburtshilfe. Hildes- 16. Koletzko B. Kinder- und Jugendmedizin. Heidel- 24. Siebold ECI von. Versuch einer Geschichte der Ge- heim: Olms 1964. berg: Springer 2012, 14. Aufl. burtshülfe. Bd II. Tübingen: Pietzcker 1902. 6. Feer E. Lehrbuch der Kinderheilkunde. Jena: 17. Lust F. Diagnostik und Therapie der Kinderkrank- 25. Stannius H. Theoretisch-practische Darstellung Fischer 1922. heiten. Berlin, Wien: Urban & Schwarzenberg der Hautkrankheiten. Bd 1; 167–196. Berlin. En- 7. Feer E. Lehrbuch der Kinderheilkunde. Hsg. H 1927. slin 1837. Kleinschmidt. Jena: Fischer 1952. 18. Most GM. Encyklopaedie der gesammten medi- 26. Stevens DL. Erysipelas and Cellulitis. In Jong ECJ, 8. Genschorek W. Christoph Wilhelm Hufeland. cinischen und chirurgischen Praxis mit Einschluss Stevens DLJ. Netter´s infectional diseases. Philad- Leipzig: Hirzel 1977. der Geburtshülfe, der Augenheilkunde und der elphia: Elsevier Saunders 2012. 9. Girtanner C. Krankheiten der Kinder und über die Operativchirurgie. Leipzig: Brockhaus 1862, 3. 27. Volkmann R. Accidentelle Wundkrankheiten. In: physische Erziehung derselben. Berlin: Rottmann Aufl., Band 1: 627–631. Beiträge zur Chirurgie. Leipzig: Breitkopf und 1794. 19. Nees von Esenbeck CG. Bemerkungen und Er- Härtel 1975. 10. Girtanner C. wikisource.org fahrungen über das Erysipelas neonatorum. Jour- © Schattauer 2014 Phlebologie 2/2014
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