Das Mysterium des "Pankreasschmerzes": Von der Antike in die Zukunft
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Das Mysterium des “Pankreasschmerzes”: Von der Antike in die Zukunft Die Bauchspeicheldrüse (Pankreas) ist sicherlich eines der außerordentlichsten Organe im menschlichen Körper. Die Gründe für die Besonderheit dieses Organs sind aber vor allem in der Evolution der Pankreatologie, den Teilbereich der Medizin, der sich der Erforschung der Bauchspeicheldrüse widmet, zu finden. Seine kaum zugängliche Lage in der Tiefe des Bauchhöhle, an der Kreuzungstelle mehrerer lebenswichtiger Gefäße, Nerven und seines “monotones”, einfarbiges Aussehen (Abb. 1) haben dazu geführt, dass es lange Zeit in der Antike im Gegensatz zu den übrigen wichtigen Bauchorganen unerkannt blieb. Herophilus von Chalcedon (Abb. 2), der ca. 300 v. Chr. dieses Organ erstmalig beschrieb, konnte mit diesem “wie Fleisch aussehenden” Organ nicht viel anfangen und gilt heute noch als der Namensgeber pan-kreas, griechisch “alles Fleisch”. Die antiken Nachfolger von Herophilus, Abb. 1: Lage des Pankreas darunter auch Aristoteles und Galen, konnten zum Verständnis der Funktion des Pankreas nichts beitragen und wiesen ihm lediglich eine Rolle als mechanische Stütze für den Magen und das Omentum, dem Bauchnetz, zu. Erst 1600 Jahre nach Galens Tod, erkannte der französische Physiologe Claude Bernard die essentielle Rolle des Pankreas in der Verdauung von Fetten und Proteinen. Diese neuen Erkenntnisse ermöglichten erstmals die Verknüpfungen von Störungen innerhalb des Pankreas, das für die damals noch unerklärlichen Verdauungsprobleme des Abb. 2: Herophilus Menschen mitverantwortlich zu sein schien. Spannenderweise erwiesen sich die Störungen dieses Organs, dessen Mysterium nur teilweise erst zum 2000. Geburtstag der Naturwissenschaften entschlüsselt werden konnte, als Hauptdarsteller in der Volkskrankheit Diabetes. Dies war erst möglich nachdem 1922 Drs. Banting und Best die Isolation des Hauptbotenstoffes der Zuckerverwertung, das Insulin, aus dem Pankreas gelungen war. Die nachfolgenden medizinischen Fortschritte im 20. Jahrhundert haben nicht nur eine Verlängerung der menschlichen Lebenswartung ermöglicht, sondern auch wegen des demographischen Wandels den Fokus der Pankreatologie auf die tückischste und bösartigste Pankreaserkrankung, den Bauchspeicheldrüsenkrebs bzw. das Pankreaskarzinom, gerichtet. Die Bezeichnung “tückisch” verdient diese Krebsart vor allem deswegen, weil sie lange Zeit keine Beschwerden bei den Betroffenen verursacht und dadurch meistens erst in fortgeschrittenen Stadien mit Schmerzen entdeckt wird, in denen sie auch kaum mehr therapierbar ist. Wie bei fast allen Krebsarten besteht die einzige Möglichkeit zur Heilung der Patienten in der chirurgischen Entfernung des Geschwulstes aus dem Pankreas. Leider erwies sich seit dem Anfang des 20 Jahrhunderts bis 1950’er auch die chirurgische Entfernung der bösartigen Pankreasgeschwülste als ein Mysterium: Der Wiederanschluss des Restpankreas an den Darm nach Entfernung des Tumors war technisch außerordentlich schwierig, und die meisten Patienten, die bis Mitte des Abb. 3: Dr. Allen O. Whipple 20 Jh. operiert wurden, verstarben an den chirurgischen Komplikationen. Der amerikanische Chirurg Allen O. Whipple (Abb. 3), nach dem die heute noch gültige Operation zur Enfernung des Pankreastumors benannt ist, vermerkte 1935, dass die Pankreaschirurgie selbst von den 1
begabtesten Chirurgen seiner Zeit als “unzulässig” wahrgenommen wurde. Erst nach Einführung neuer, resistenterer chirurgischer Nahtmaterialien, von Bluttransfusionen, nach Entdeckung des gerinnungsfördernden “Vitamin K” und durch erneute Versuche von chirurgischen Pionieren wie Whipple gelang es, die Komplikationsrate von Pankreasoperationen in großen chirurgischen Zentren auf seine heutigen Werte von unter 5 % zu reduzieren. Die Chirurgen des 21. Jahrhunderts beschäftigen sich heut zu Tage nicht nur mit der Optimierung ihrer chirurgischen Techniken, sondern auch gleichzeitig mit der Erforschung der Entstehungsmechanismen des Pankreaskarzinoms. Diese Erkrankung, von der alleine in Deutschland jährlich ca. 13.000 Menschen betroffen sind, ist häufig mit quälenden und nicht ertragbaren Bauchschmerzen assoziiert, die die Betroffenen während ihrer limitierten Lebenszeit begleiten. Die Arbeitsgruppe “Neuropathie und Schmerz bei Pankreaserkrankungen” unter der Leitung von Dr. Güralp O. Ceyhan am Klinikum Rechts der Isar beschäftigt sich genau mit diesem wichtigen Aspekt und hat sich der Erforschung der Entstehung des Pankreasschmerzes und der möglichen Rolle des Nervensystems im Pankreaskarzinom gewidmet. Seit Anfang der 90’er Abb. 4: Links: Ein normaler, unauffälliger Nerv aus dem Pankreas. Rechts: Ein Nerv (braun gefärbt) im Jahre wissen wir, dass die Krebszellen im Rahmen Pankreas, in dem Krebszellen (violette Bezirke, siehe der Entstehung des Pankreaskarzinoms sehr häufig Pfeile) zu sehen sind. und gezielt die Nerven im und sogar auch unmittelbar außerhalb des Pankreas befallen. Dabei beschränken sie sich nicht auf einen Befall des Gewebes um die Nerven, sondern dringen oft durch die äußere Schutzhülle (Perineurium) der Nerven ins Innere der Nerven (Endoneurium) ein und zerstören dabei die Nervenarchitektur. Somit sind die freiliegenden Nervenfasern schutzlos diversen Giftstoffen, Entzündungsvermittlern und Krebszellen unmittelbar ausgesetzt. Hierbei nutzen die Karzinomzellen die Nervenhülle der Nerven wie einen „Autobahntunnel“, in dem sie sich Abb. 5: Links: Normales Pankreas: keine Nerven sichtbar, rechts: Pankreas- ungehindert fortbewegen, wachsen karzinomgewebe, in dem die vergrößerten Nerven mit Pfeilen markiert sind. und in andere Organe streuen können. Durch diese zielgerichtete Bewegung der Krebszellen in und entlang der Nervenhülle ist es für den Chirurgen meist sehr schwierig eine kurative (heilende) Entfernung des Pankreastumors zu erreichen. In diesem Zusammenhang konnte die Arbeitsgruppe von Dr. Ceyhan ganz neue Perspektiven im Bereich der “pankreatischen Neurobiologie” eröffnen: Sie konnten erstmals zeigen, dass es innerhalb des Pankreaskarzinoms zu einer Hypertrophie/Vergrößerung und Dichtezunahme dieser Nerven kommt (Abb. 5) und dass das Pankreaskarzinom Wachstumsfaktoren ausschüttet, die das weitere Wachstum und Aussprossung der Nerven günstig beeinflusst.1-3 Die Folge dieser Mehranreicherung und Hypertrophie von pankreatischen Nerven war die proportionale Steigerung der Invasion der pankreatischen Nerven mit Krebszellen und Entzündungszellen.1 Hierbei war der Schweregrad der nervale Befall von Krebszellen umso ausgeprägter, umso 2
prominenter die pankreatischen Nervenveränderungen waren.1 Entscheidend für die Bedeutung dieser Entdeckung ist, dass diese Veränderungen nicht nur auf mikroskopischer Ebene feststellbar sind, sondern dass diese auch einen direkten Einfluss auf das allgemeine Wohlempfinden und das Überleben der Patienten haben. Patienten mit ausgeprägten Veränderungen der pankreatischen Nerven mit Größen- und Dichtezunahme sowie hervorstechendem Befall mit Krebszellen, litten deutlich länger und öfter an schweren und mit Schmerzmitteln schwer zu kontrollierbaren Bauchschmerzen.1 Darüberhinaus war der Schweregrad des Pankreas-Schmerzes unmittelbar mit dem Überleben der Patienten assoziiert. Im Klartext, Patienten mit ausgeprägten Nervenveränderungen und Schmerzen lebten deutlich kürzer, als die Patienten die wenig oder keine Nervenveränderungen und Schmerzen aufwiesen.1 Aus diesen neuen Erkenntnissen resultierte die international anerkannte Bezeichnung der Schmerzen, an denen die Pankreaskarzinompatienten leiden, als “neuropathisch”, also als ein Schmerz, der unmittelbar durch unterschiedliche Schäden an einem Nerven bedingt ist.1, 4 Dieses neue Bewusstsein eröffnet ganz neue Therapiemöglichkeiten und –Ansätze, denn Schmerzen vom neuropathischen Typ werden nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen ganz anders behandelt, als die vom üblichen, “nozizeptiven” Typ. Hiermit konnten diese Entdeckungen der Arbeitsgruppe Dr. Ceyhan einen neuen “Paradigmenwechsel” in der Pankreatologie bewirken. Abb. 6: Links und Mitte: die Anordnung der Krebs- und Nervenzellen zueinander. Rechts oben: Krebszellen, die auf der den Nervenzellen zugewandten Seite liegen, bilden Gruppen und starten die Invasion. Rechts unten: Die Krebszellen, die der zellfreien Seite zugewandt sind, zeigen dahingegen keine Reaktion. Nun stellte sich die Frage, warum die Krebszellen ausgerechnet von den Nerven so stark angezogen werden und diese als einen primären Metastasierungsweg aussuchen? Um dies zu beantworten, entwickelte die Arbeitsgruppe von Dr. Ceyhan ein neuartiges 3D-Modell, das Ihnen ermöglichte, die unmittelbaren Interaktionen der Nerven mit den Krebszellen in einem künstlichen Umfeld zu simulieren und zu studieren.5 Hier zeigten Sie in einer beeindruckenden Weise, dass die Krebszellen im indirekten Kontakt mit den Nervenzellen sich deutlich in ihrer 3
Gestalt und ihrem Verhalten änderten und zielstrebig die isolierten Nervenzellen befielen. Sie bildeten Krebszell-Gruppen um die Nerven herum und zeigten dabei Krebszellausläufer, die direkt auf die Nervenfasern ausgerichtet waren. Die Ergebnisse erweckten den Eindruck, als ob die Nerven mit den Krebszellen kommunizierten, lange bevor sie überhaupt in einen direkten Kontakt miteinander standen. Mit diesem Modell war es nun möglich das Phänomen der nervalen Invasion von Krebszellen nachzuahmen und erste Veränderungen, die mögliche Erklärungen zur Entstehung dieses Phänomens bieten, zu entdecken.5 Weiterhin konnten Dr. Ceyhan und seine Mitarbeiter auch mehrere molekulare Botenstoffe identifizieren, die von den Krebszellen in diesem Prozess gebildet und ausgeschüttet werden. In der Zukunft erwarten wir, mit der Erkenntnis dieser Voruntersuchungen, mögliche therapeutische Ansätze zu definieren und in der Klinik einzusetzen. Unter Anwendung ihres neuen und mittlerweile wissenschaftlich anerkannten 3D- Modells5 zur Untersuchung der Entstehungsmechanismen der nervalen Invasion von Krebszellen möchte die Arbeitsgruppe von Dr. Ceyhan auf ihren bisherigen Vorarbeiten aufbauen. Hierbei möchten Sie sich unter Nutzung ihres Modells auf folgende Punkte konzentrieren: 1. Nachweis von potentiellen Schlüsselfaktoren die die Aggressivität der Pankreas- Krebszellen steigern und somit zu einer ausgeprägten nervalen Invasion führen. 2. Bestimmung von entscheidenden Botenstoffen, die von den Nerven ausgeschüttet werden und die Krebszellen in ihrem Wachstums- und Fortbewegungsverhalten positiv unterstützen. Mit den Ergebnissen aus Punkt 1. + 2. ist es möglich molekulare Botenstoffe mit molekularbiologischen Techniken in den beteiligten Zellen gezielt auszuschalten. Hiermit können deren Einfluss innerhalb der Nerven-Krebs-Interaktionen charakterisiert werden und weiter untersucht werden, ob diese eine mögliche therapeutische Plattform bieten, die das Fortschreiten der nervalen Invasion in Pankreaskarzinom-Patienten verhindern kann. 3. Weiterhin gilt es herauszufinden, welchen Einfluss das umgebende Gewebe auf die Krebszellen und Nerven in diesem Zusammenhang hat. Wir wissen aus eigenen Vorarbeiten, dass die Invasion der Nerven durch Krebszellen vor allem in bindegewebsreichen Teilen des Pankreas stattfindet.1 Die sogenannten Sternzellen des Pankreas sind die Hauptproduzenten des Bindegewebes im Pankreas. Daher wird die Erforschung der potentiellen Einflüsse der Sternzellen auf die Entstehung der nervalen Invasion eine entscheidende Rolle spielen. Hierzu wird das neu etablierte 3D-Modell die Wechselwirkung zwischen Krebszellen, Sternzellen und Nervenzellen näher untersuchen und charakterisieren. Abschließend läßt sich zusammenfassen, dass die gezielte Beeinflussung der Wechselwirkung zwischen den Krebszellen und dem Nervensystem im Pankreaskarzinom eine bisher wenig erforschte, aber aufgrund der neusten Ergebnisse eine viel versprechende Therapieoption beim Bauchspeicheldrüsenkrebs darstellt. Der Bauchspeicheldrüsenkrebs ist die vierthäufigste Krebstodesursache in der zivilisierten Welt. Auch heute noch leben im Durchschnitt lediglich 5 aus 100 Patienten mit dieser tückischen Erkrankung länger als 5 Jahre nach der Feststellung der Diagnose. Das Kapitel “Pankreas” in dem weltweit bekanntesten amerikanischen Chirurgie-Lehrbuch “Schwartz’s Principles of Surgery” beginnt mit dem Satz “Das Pankreas ist das gnadenloseste Organ im menschlichen Körper, das die meisten Chirurgen, wenn nicht unbedingt notwendig, meiden anzufassen ”. Daher ist uns ein großes Anliegen, dass 4
im Sinne des Patienten die chirurgische Forschung von heute, den Chirurgen von morgen mit dem von uns noch zu ermittelnden Daten, hoffentlich das Verständnis und den Umgang mit der Bauchspeicheldrüse erleichtern soll. Literatur: 1. Ceyhan GO, Bergmann F, Kadihasanoglu M, Altintas B, Demir IE, Hinz U, Muller MW, Giese T, Buchler MW, Giese NA, Friess H. Pancreatic neuropathy and neuropathic pain--a comprehensive pathomorphological study of 546 cases. Gastroenterology 2009;136:177- 186. 2. Ceyhan GO, Bergmann F, Kadihasanoglu M, Erkan M, Park W, Hinz U, Giese T, Muller MW, Buchler MW, Giese NA, Friess H. The neurotrophic factor artemin influences the extent of neural damage and growth in chronic pancreatitis. Gut 2007;56:534-544. 3. Ceyhan GO, Giese NA, Erkan M, Kerscher AG, Wente MN, Giese T, Buchler MW, Friess H. The neurotrophic factor artemin promotes pancreatic cancer invasion. Ann Surg 2006;244:274-281. 4. Ceyhan GO, Michalski CW, Demir IE, Muller MW, Friess H. Pancreatic pain. Best Pract Res Clin Gastroenterol 2008;22:31-44. 5. Ceyhan GO, Demir IE, Altintas B, Rauch U, Thiel G, Muller MW, Giese NA, Friess H, Schafer KH. Neural invasion in pancreatic cancer: a mutual tropism between neurons and cancer cells. Biochem Biophys Res Commun 2008;374:442-447. 5
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