Das wählerische Herz schlägt links der Mitte - Regierungszufriedenheit und Einstellungen sozialdemokratischer Wähler im europäischen Vergleich ...
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INTERNATIONALE POLITIKANALYSE Das wählerische Herz schlägt links der Mitte Regierungszufriedenheit und Einstellungen sozialdemokratischer Wähler im europäischen Vergleich 2002–2008 BERNHARD WESSELS Dezember 2011 Wie zufrieden sind in Europa die Wähler sozialdemokratischer Parteien mit deren Regierungsleistung? Und unterscheiden sich sozialdemokratische Wähler hinsichtlich ihrer politischen Zielvorstellungen und Orientierungen von anderen Wählern über- haupt noch? Das sind die beiden übergeordneten Fragen, denen diese Kontrast analyse anhand der Daten des European Social Survey nachgeht. Der Vergleich zwischen Wählern sozialdemokratischer und konservativer Parteien zeigt, dass sozialdemokratische Wähler »ihre« Regierungen stärker mit Unzufrie- denheit »bestrafen«, wenn sie mit den Politikergebnissen nicht zufrieden sind. Auch »belohnen« sie ihre Regierungen weniger mit Zufriedenheit. Unabhängig von der Leistung einer Regierung führt allein die Dauer der Regierungs- zeit zu einem leichten Sinken der Wählergunst und Ansteigen des Nichtwählerlagers. Interessanterweise ist dieser Abnutzungseffekt bei sozialdemokratischen Wählern und ihren Regierungen sehr viel stärker als bei konservativen. Sozialdemokratische und konservative Wähler unterscheiden sich klar in ihren po- litischen Zielen und Orientierungen. Überraschenderweise finden sich die größten Differenzen zwischen sozialdemokratischen und konservativen Wählern hinsichtlich »Toleranz und Integration«, also Einstellungen zu Lebensweisen, Migranten, Migra- tion und europäischer Integration, und nicht bei der klassischen linken Frage nach »sozialer Differenzierung und Ungleichheit«.
��������������� | Das wählerische Herz schlägt links der Mitte Inhalt 1. Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 2. Regierungsleistung und R egierungszufriedenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 3. »It’s the economy, stupid« – Zustände und Regierungszufriedenheit. . . . . . . . . . . 6 4. Abnutzung und Wahlverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 5. Sozialdemokratische Wählerprofile? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 6. Zusammenfassung und S chlussfolgerungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1
��������������� | Das wählerische Herz schlägt links der Mitte 1. Einleitung demokratisches Regieren durch die Wähler beurteilt wird und welche Wirkung es hat. Aus welchen Gründen gewinnen oder verlieren Parteien bei Wahlen in Europa? Die Antworten auf diese – sowohl Bezogen auf politische Profile wird in einem zweiten für Wahlsieger als auch Wahlverlierer – wichtige Frage Schritt gefragt, ob sich sozialdemokratische Wähler in fallen zumeist sehr umfangreich und komplex aus. Doch ihren Politikzielen und Wertvorstellungen von denen ih- manchmal beweisen auch einfache Antworten eine hohe rer konservativen Konkurrenten unterscheiden. Es gibt Erklärungskraft. So lautet eine nahe liegende Antwort, mindestens zwei Gründe, warum es relevant ist, dieser dass die Verlierer nicht mit ihrer politischen Leistung Frage nachzugehen. Zum einen wird angesichts der zu- überzeugen konnten. »Throwing the rascals out«, wie es nehmenden Flexibilität im Wahlverhalten, der abneh- im US-Kontext heißt, ist zumeist Resultat für die Bestra- menden Prägekraft sozialstruktureller Charakteristika für fung als schlecht wahrgenommener Regierungsleistung. die Wahlentscheidung und dem »Ende der Ideologie« in der Politik immer häufiger hinterfragt, ob distinkte Wäh- Sozialdemokratische Parteien wurden in den letzten Jah- lerprofile der so genannten Volksparteien überhaupt ren nicht immer im Regierungsamt bestätigt. Zum Bei- noch existieren. Zum anderen verfolgen die politischen spiel ging die Regierungsbeteiligung oder -führung 2010 Parteien, und sozialdemokratische Parteien sind hier in Großbritannien, der Slowakei, Tschechien und Zypern nicht unbedingt eine Ausnahme, einen Wettbewerb um verloren, in Deutschland 2009, um nur einige zu nennen. die politische Mitte, den so genannten median voter. Ein Zeichnet sich hier ein negativer Trend ab? Verlieren So- derartiger Mitte-zentrierter Wettbewerb macht aber nur zialdemokraten in Europa an Leistungskraft und Profil? dann Sinn, wenn die Differenz zwischen Wählern sozial- Die Frage lässt sich an die Parteien wie an die Parteian- demokratischer Parteien und den Wählern ihrer großen hänger und Wähler der sozialdemokratischen Parteien Konkurrenten rechts von der Mitte nicht mehr existiert in Europa stellen. Leistungskraft und Profil bedeuten für und sich nicht mehr in Unterschieden in den Vorstellun- die Parteien, erstens Politik effektiv und kompetent zu gen über Gesellschaft und Politik ausdrückt. gestalten und entsprechende Resultate zu erzielen, und zweitens dabei ein inhaltliches Profil zu zeigen, das sich Untersucht werden die Fragen in beiden Dimensionen – von dem anderer Parteien unterscheidet. Auf Seiten der Leistungskraft sozialdemokratischer Regierungen, Politik- Anhänger und Wähler kann Leistungskraft zwar allen- profile sozialdemokratischer Wähler – mit Daten des Eu- falls bedeuten, den eigenen Überzeugungen im priva- ropean Social Survey (europeansocialsurvey.org), einem ten und öffentlichen Diskurs Ausdruck zu verleihen. Das von Sozialwissenschaftlern für die Sozialwissenschaften allerdings setzt voraus, dass ein sich insbesondere von geschaffenen Instrument der Beobachtung europäischer konservativen Parteien abgrenzendes politisches Profil Gesellschaften. Der European Social Survey wurde 2002 der Wähler existiert. das erste Mal erhoben und wird alle zwei Jahre durch- geführt. Derzeit sind vier Wellen realisiert, die letzte im Dieses Papier setzt auf beiden Ebenen mit Fragen an. Jahr 2008. Für die zeit- und ländervergleichende Ana- Bezogen auf die Leistungskraft wird zunächst gefragt, lyse wird hier auf den kumulierten Datensatz aller vier wie sozialdemokratische Parteien in der Regierung bei Befragungswellen zurückgegriffen.1 Untersucht werden den Wählern im Vergleich zu ihren Konkurrenten aus können insgesamt 24 europäische Länder. Nicht in allen dem Parteienlager rechts der Mitte abschneiden und wie wurde zu allen vier Zeitpunkten der European Social Sur- sich ihr Abschneiden bei der Leistungsbeurteilung in ih- vey durchgeführt, so dass insgesamt 85 Umfragen für die ren Wahlerfolgen niederschlägt. Die zweite Frage ist, ob Regierungen mit zunehmender Amtszeit ermüden, oder 1. Der kumulierte Datensatz führt die folgenden Wellen für alle ver- gleichbaren Fragen zusammen: ESS Round 1: European Social Survey besser, ob Regierungen ihre Wähler mit zunehmender Round 1 Data (2002). Data file edition 6.2. Norwegian Social Science Amtszeit ermüden und damit Stimmenverluste einherge- Data Services, Norway – Data Archive and distributor of ESS data. ESS Round 2: European Social Survey Round 2 Data (2004). Data file edition hen. Eine Antwort auf diese Frage ist deshalb nicht ganz 3.2. Norwegian Social Science Data Services, Norway – Data Archive and ohne Relevanz, weil sich hieraus jenseits von Leistungs- distributor of ESS data. ESS Round 3: European Social Survey Round 3 Data (2006). Data file edition 3.3. Norwegian Social Science Data Servi- schwächen oder -stärken Gründe für Stimmenverluste ces, Norway – Data Archive and distributor of ESS data. ESS Round 4: Eu- ergeben. Beide Fragen beziehen sich darauf, wie sozial- ropean Social Survey Round 4 Data (2008). Data file edition 4.0. Norwe- gian Social Science Data Services, Norway – Data Archive and distributor of ESS data. 3
��������������� | Das wählerische Herz schlägt links der Mitte Analyse genutzt werden können. Eine Übersicht liefert Zeitpunkten schwer miteinander vergleichbar und eine Tabelle A1. Bestimmung, ob z. B. konservative Regierungen eine hö- here Leistungsfähigkeit haben, anhand solcher Beurtei- lungen unmöglich. 2. Regierungsleistung und Regierungszufriedenheit Hier soll daher auf den direkten Vergleich sozialdemo- kratischer mit anderen Regierungen verzichtet werden Dass eine gute Regierungsleistung für den Wiederwahl- und stattdessen die Einschätzung der Zustände in den erfolg wichtig ist, ist nicht nur intuitiv plausibel, sondern Bereichen Gesundheit, Bildung und Wirtschaft durch so- auch vielfach nachgewiesen. V. O. Key hat bereits 1961 zialdemokratische und konservative Wähler kontrastiert auf die beiden Aspekte von Regierungsbeurteilung hin- werden. Dieser Kontrastvergleich wird für sozialdemo- gewiesen, die über Wieder- oder Abwahl entscheiden kratische Regierungen oder Regierungsbeteiligung ohne können: Art und Richtung der Politik und Resultate der Mitregierung konservativer Parteien, für Regierungen aus Politik (Key 1961: 474). Die Formulierung »Throw the sozialdemokratischer und konservativer Parteien und für rascals out« kennzeichnet genau diesen Mechanismus: konservative Regierungen oder Regierungsbeteiligung Unzufriedenheit mit der Leistung führt zur Abwahl, wie ohne Mitregierung sozialdemokratischer Parteien durch- Miller und Wattenberg in einer Langzeitstudie zeigen geführt.2 konnten. Für amtshinhabende Parteien spielt die retro- spektive Leistungsbeurteilung eine zentrale Rolle (Miller, Die Zustände von Gesundheitssystem, Bildungssystem Wattenberg 1985), zumeist im Zusammenspiel mit der und der Wirtschaft in den hier in der Zeit von 2002 bis Leistungserwartung, also der prospektiven Perspektive. 2008 betrachteten 24 Ländern, werden, wenn sie sozial- Leistung und Kompetenz sind die beiden Dimensionen, demokratisch ohne konservative Beteiligung regiert wur- die darüber entscheiden, ob Regierungen abgewählt und den, unterschiedlich beurteilt:3 Fünf Prozent mehr sozial- welche neue gewählt werden. Das lässt sich auch für die demokratische Wähler sind zufrieden mit dem Zustand deutschen Bundestagswahlen zeigen (Weßels 2002). des Gesundheitssystems als unzufrieden, beim Bildungs- system sind es neun Prozent. Bei der Einschätzung der In den vergleichenden Umfragen des European Social Wirtschaftslage überwiegt der Anteil der Unzufriedenen Survey werden drei gesellschaftliche Bereiche abgedeckt: dem der Zufriedenen um 17 Prozentpunkte. Diese Werte Die Beurteilung des Zustandes des Gesundheitssystems, können verglichen werden mit den Einschätzungen, die die Beurteilung des Zustandes des Bildungssystems und die Wähler der konservativen Konkurrenz von der jewei- die Zufriedenheit mit der Wirtschaftslage. Damit sind ligen Lage haben. Dabei wird deutlich, dass die sozialde- zwei zentrale Politikfelder angesprochen, die mit zum mokratischen Wähler mit dem Zustand des Gesundheits- Kern der Politik sozialdemokratischer Parteien gehören, systems, des Bildungssystems und der Wirtschaft relativ und mit der Wirtschaftslage ein Bereich, der für Bürger zufriedener sind. Einschätzungen über die jeweilige Situ- und Parteien insgesamt gleichermaßen zentral ist. ation sind also nicht objektiv, sondern werden aus einer parteispezifischen Perspektive durch die Wähler betrach- Anhand der Beurteilung durch die Bürger zu bestimmen, tet – sie haben einen »bias«. Sozialdemokratische Wäh- wie zufrieden die Wähler mit sozialdemokratischen Re- ler beurteilen die gleiche Situation in den drei Bereichen gierungsparteien sind, ist ohne Vergleichsmaßstab aller- unter sozialdemokratischer Regierung deutlich positiver dings relativ bedeutungslos. Zum einen ergibt sich das als die Wähler des größten konservativen Konkurrenten. Problem, dass Zustände in allen gesellschaftlichen Berei- chen, aber insbesondere der Wirtschaft, nicht vollstän- Umgekehrt gilt, dass konservative Wähler unter konser- dig durch Politik bestimmt werden können, auch wenn vativer Regierung ohne sozialdemokratische Beteiligung Parteien und Politik häufig den Eindruck der Omnipotenz die jeweilige Situation deutlich besser einschätzen als die erwecken und Wähler die Omnipotenz der Politik un- 2. Hierzu wurden den Umfragen des European Social Survey entspre- terstellen. Eine schlechte Wirtschaftslage, Probleme im chend des Befragungszeitpunktes die Information der entsprechenden Bildungs- und Gesundheitssystem sind in vielen Aspek- Regierung(szusammensetzung) hinzugefügt. ten nicht ursächlich auf eine schlechte Politik zurückzu- 3. Es sind dies Regierungen in den Ländern (s. Tabelle A2 für Abkürzun- gen und Zeitpunkte) CY, CZ, DE, ES, GB, GR, HU, NO, PL, PT, SE, SI und führen. Damit sind Einschätzungen zu unterschiedlichen SK. 4
��������������� | Das wählerische Herz schlägt links der Mitte Abbildung 1: Beurteilung des Zustandes des Gesundheitssystems, des Bildungssystems und der Wirtschaft durch sozialdemokratische und konservative Wähler während sozialdemokratischer und konservativer Re- gierungen Sozialdemokraten in Regierung ohne Konservative Konservative Wähler 5% Gesundheit Sozialdemokr. Wähler –1% 9% Bildung –5% –17% Wirtschaft –32% –50% –40% –30% –20% –10% 0% 10% 20% 30% 40% 50% % mehr unzufrieden/sehr schlecht als zufrieden mehr zufrieden/sehr gut als unzufrieden Konservative in Regierung ohne Sozialdemokraten Konservative Wähler 14% Gesundheit Sozialdemokr. Wähler 17% 9% Bildung 15% –31% Wirtschaft –6% –50% –40% –30% –20% –10% 0% 10% 20% 30% 40% 50% % mehr unzufrieden/sehr schlecht als zufrieden mehr zufrieden/sehr gut als unzufrieden Sozialdemokraten und Konservative gemeinsam in Regierung Konservative Wähler 4% Gesundheit Sozialdemokr. Wähler 15% 1% Bildung 16% –6% Wirtschaft 9% –50% –40% –30% –20% –10% 0% 10% 20% 30% 40% 50% % mehr unzufrieden/sehr schlecht als zufrieden mehr zufrieden/sehr gut als unzufrieden Prozentwerte präsentieren das Saldo aus denjenigen, die eine positive Einschätzung abgeben minus denjenigen, die eine negative Einschätzung abgeben. Grundlage sind Beurteilungsskalen von 0 (sehr schlecht) bis 10 (sehr gut), die wie folgt zusammengefasst wurden: 0, 1, 2, 3 = -1; 4 5 6 = 0; 7, 8, 9, 10 = +1. 5
��������������� | Das wählerische Herz schlägt links der Mitte Wähler sozialdemokratischer Parteien (s. Abbildung 2, Insgesamt gibt es eine recht große Variationsbreite in der zweite Grafik). Regierungszufriedenheit (s. Abbildung A2 im Anhang). An dem generellen Eindruck, dass sozialdemokratische Allerdings sind hier die Differenzen in den Einschätzun- Wählerinnen und Wähler mit ihren Regierungen kritischer gen nicht ganz so stark, der bias also kleiner. Daraus den umgehen als es im konservativen Lager der Fall ist, ändert Schluss zu ziehen, konservative Regierungen würden im das allerdings nichts. In den 13 Ländern, in denen die So- Vergleich für bessere Zustände sorgen, ist allerdings nicht zialdemokraten ohne Konservative regiert haben, wurde zulässig, da sich die Einschätzungen auf andere Zeit- unter allen Wählern eine Antwort in Richtung Zufrieden- punkte und zum weitaus überwiegenden Teil auf andere heit nur in einem Land abgegeben: Zypern. Wenn auf Länder beziehen.4 die Beurteilung sozialdemokratischer Wähler abgestellt wird, waren es immerhin fünf Länder: Zypern, Spanien, Nicht nur politisch, sondern auch wahlstrategisch inter- Norwegen, Schweden und die Slowakei. Für konserva- essant ist der Befund, dass sozialdemokratische Wähler tive Regierungen fällt die Bilanz günstiger aus. Wenn sie die Zustände in den Bereichen Gesundheit, Bildung und ohne Sozialdemokraten regierten, was in 17 Ländern der Wirtschaft sehr viel weniger positiv beurteilen als konser- Fall ist, sind darunter vier, in denen die Zufriedenheit die vative Wähler, wenn Sozialdemokraten und Konservative Unzufriedenheit unter allen Wählern überwiegt, unter gemeinsam regieren.5 Die zumeist (recht) großen Koaliti- konservativen Wählern trifft das auf 12 von diesen 17 onen zahlen sich für konservative Parteien bezogen auf Ländern zu. Allerdings sind solche Vergleiche mit Vorsicht ihre Wähler also mehr aus als für sozialdemokratische zu interpretieren – unterschiedliche Länder oder gleiche Parteien. Länder zu unterschiedlichen Zeitpunkten können für sehr große Unterschiede in den Problemlagen und mithin für eine abweichende Regierungszufriedenheit verantwort- 3. »It’s the economy, stupid« – lich sein. Werden die Regierungen betrachtet, an denen Zustände und Regierungszufriedenheit Sozialdemokraten und Konservative gemeinsam betei- ligt waren, zeigt sich eine zwischen Sozialdemokraten Wie wirken sich die Einschätzungen hinsichtlich des Zu- und Konservativen vollkommen ausgeglichene Bilanz. standes von Gesundheits- und Bildungssystem sowie Werden die Länder betrachtet, in denen in einer Periode der Wirtschaft auf die Zufriedenheit mit der jeweiligen Sozialdemokraten ohne Konservative und in einer ande- Regierungspartei aus? Allgemein ist festzuhalten, dass ren Periode Konservative ohne Sozialdemokraten regiert weder sozialdemokratische noch konservative Wähler haben (das war in Spanien, Norwegen, Portugal, Slowe- besonders zufrieden mit ihren jeweiligen Regierungen nien und der Slowakei der Fall, sowie in Griechenland, sind. Sind Sozialdemokraten ohne ihre größten konser- Polen, Schweden), schneiden die sozialdemokratischen vativen Konkurrenzparteien an der Regierung, fällt das Regierungen unter den Wählern insgesamt in den fünf Urteil sozialdemokratischer Wähler leicht negativ aus, zuerst genannten Ländern besser ab als die konservati- das der konservativen Wähler stark negativ. Sind Konser- ven Regierungen. vative ohne sozialdemokratische Parteien an der Regie- rung beteiligt, ist eine kleine Mehrheit der Wähler eher Was ist für die Zufriedenheit oder Unzufriedenheit mit zufrieden, sozialdemokratische Wähler hingegen sehr der Regierung an erster Stelle verantwortlich? Die in der unzufrieden. Sind Sozialdemokraten und Konservative Überschrift zitierte Phrase stammt aus dem Wahlkampf gemeinsam an der Regierung, ist keine der Wählerschaf- von Bill Clinton gegen George Bush im Präsidentschafts- ten mehrheitlich zufrieden, Sozialdemokraten sind sogar wahlkampf der USA 1992. Die Bedeutung ergibt sich aus deutlich unzufriedener als Wähler der konservativen Ko- dem Kontext: Wahlen sind vor allem über wirtschaftliche alitionspartei (s. Abbildung 2). Fragen zu gewinnen – zumindest in den USA. Aber auch in Deutschland spielen der Zustand der Ökonomie und die Wirtschaftslage keine unwichtige Rolle für die Wahl- 4. Es handelt sich um konservative Regierungen in AT, BE, DK, EE, ES, FI, FR, GR, IE, IT, LU, NL, NO, PL, PT, SE, SI, SK. Zu konkreten Zeitpunkten entscheidung der Bürger. Auch deutsche Wahlforscher und Abkürzungen siehe Tabelle A2. nutzen die Phrase, um auf einen Erklärungszusammen- 5. Es handelt sich um Regierungskoalitionen in folgenden Ländern: AT, hang für das Wahlverhalten hinzuweisen (so z. B. Walz, BE, CH, CZ, DE, EE, FI, NL, SI. Zeitliche Details sind Tabelle A2 zu entneh- men. Brunner 1998). Dabei ist es in der Regel die Einschät- 6
��������������� | Das wählerische Herz schlägt links der Mitte zung der allgemeinen und nicht der persönlichen wirt- Das Modell, mit dem Regierungszufriedenheit auf den schaftlichen Situation, die bedeutsamer ist. Ersteres wird Zustand des Gesundheitssystems, des Bildungssystems als soziotropisches, letzteres als egozentrisches Wählen und der Wirtschaft regressiert wird, erklärt bezogen auf bezeichnet. Das so genannte pocket-book voting, das die Gesamtwählerschaft etwa 40 Prozent der Variation Wählen für die persönliche Geldbörse, spielt eine weni- in der Zufriedenheit mit der Regierung. Das ist für ein ger wichtige Rolle (Maier, Rattinger 2004). Modell auf der Individualebene von Befragten und nur drei »erklärenden« Variablen ein recht anständiger Wert. Ob und inwieweit von den hier untersuchbaren drei Er unterstreicht, dass die Bürger in der Tat ihre jeweili- Bereichen die Ökonomie tatsächlich die entscheidende gen Regierungen zu einem beträchtlichen Teil für den Bedeutung für die Zufriedenheit mit der Regierung hat, Zustand in den drei Bereichen verantwortlich machen. lässt sich empirisch dadurch prüfen, dass der Erklärungs- Unter sozialdemokratischen Wählern klärt das Modell beitrag der drei Faktoren Zustand des Gesundheitssys- sogar noch einen Prozentpunkt mehr Varianz auf, unter tems, des Bildungssystems und der Wirtschaft für die konservativen Wählern hingegen sechs Prozentpunkte Regierungszufriedenheit bestimmt wird.6 Die Ergebnisse weniger. Insgesamt erklären die drei Zustandsbeurteilun- zeigen folgendes: gen die Zufriedenheit mit der Regierung für Individualda- ten mehr als zufrieden stellend. Die Frage, welche der drei Zustandsbeurteilungen für 6. Es handelt sich dabei um das statische Verfahren der Regressionsana- lyse. Hier wird Regierungszufriedenheit in einem Modell auf die Beurtei- die Zufriedenheit mit der Regierung zentral ist, ist recht lung des Zustandes in den drei Bereichen regressiert, also zurückgeführt. eindeutig zu beantworten: »It is the economy, indeed«. Wie bei den vorhergehenden Analysen über Länder und Zeitpunkte hin- weg sind die Daten design- und bevölkerungsgewichtet, um Verzerrun- Weder die Einschätzung des Zustandes des Gesundheits- gen der Ergebnisse durch Stichprobenfehler und unterschiedliche Samp- noch des Bildungssystems verschlechtert oder verbes- legrößen zu vermeiden, sowie mit Standardfehlerkorrekturen berechnet, die dem cluster-Charakter der Daten entsprechen. sert die Zufriedenheit mit der Regierung in demselben Abbildung 2: Zufriedenheit sozialdemokratischer und konservativer Wähler mit der Regierung während so- zialdemokratischer und konservativer Regierungen –7% Sozialdemokr. Wähler Sozialdemokraten ohne konservative Beteiligung Konservative Wähler –54% –45% Konservative ohne sozialdemokr. Beteiligung 11% –16% Koalition Sozialdemokraten und Konservative 0% –75% –50% –25% 0% 25% 50% 75% % mehr unzufrieden als zufrieden mehr zufrieden als unzufrieden 7
��������������� | Das wählerische Herz schlägt links der Mitte Ausmaß wie die Einschätzung der Wirtschaftslage. Jeder schätzen sozialdemokratische Wähler unter sozialdemo- Punkt besserer Einschätzung der Wirtschaftslage auf ei- kratischer Regierung ohne konservative Beteiligung die ner 11-Punkte-Skala (0 sehr schlecht; 10 sehr gut) ver- Wirtschaftslage besser ein und sind damit auch zufrie- bessert die Zufriedenheit mit der Regierung etwa um fünf dener mit ihrer Regierung (Abbildung 3A). Umgekehrt Prozentpunkte, eine bessere Einschätzung von Gesund- schätzen konservative Wähler die Wirtschaftslage unter heitssystem und Bildungssystem jedoch nur um 0,6 bis konservativer Regierung ohne sozialdemokratische Betei- maximal zwei Prozentpunkte (s. Tabelle 1). Zwischen so- ligung positiver ein als sozialdemokratische Wähler zum zialdemokratischen und konservativen Wählern existiert selben Zeitpunkt und konservative Wähler sind dement- ein interessanter Unterschied in der Relevanz beider Sys- sprechend zufriedener mit der Regierung, die ja die ih- teme für die Regierungszufriedenheit: für sozialdemokra- rige ist (Abbildung 3B). Die parteiwählerschaftspezifische tische Wähler sind beide von etwa gleicher Relevanz, für Differenz ist unter konservativen Regierungen sogar noch konservative Wähler ist das Gesundheitssystem etwa drei deutlicher ausgeprägt als unter sozialdemokratischen. Mal gewichtiger für die Regierungszufriedenheit als das Bildungssystem. Für beide Befunde gilt allerdings: an die Mehr noch: sozialdemokratische Wähler »bestrafen« ihre Relevanz von Ökonomie reichen sie längst nicht heran. Regierungen stärker mit Unzufriedenheit als konservative die ihrigen, und »belohnen« sie weniger mit Zufrieden- Der Befund zur Relevanz der Einschätzung der Wirt- heit bei zufrieden stellender wirtschaftlicher Lage. Unter schaftslage kann noch etwas genauer betrachtet wer- sozialdemokratischen Wählern, die unzufrieden mit der den. Werden Regierungen zu bestimmten Zeitpunkten wirtschaftlichen Situation sind, überwiegt der Anteil der- hinsichtlich der Einschätzung der Wirtschaftslage und der jenigen, die unzufrieden mit ihrer Regierung sind, die Zu- Regierungszufriedenheit zu diesem Zeitpunkt betrachtet, friedenen um 41 Prozentpunkte. Bei konservativen Wäh- zeigt sich auch bezogen der Aggregate Regierungen der lern und konservativer Regierung überwiegen mit der klare Befund: je besser die Wirtschaftslage, desto besser Regierung unzufriedene lediglich um 22 Prozentpunkte schneidet die Regierung ab (Abbildung 3). (Tabelle 2). Umgekehrt überwiegen Regierungszufrie- dene die Unzufriedenen bei befriedigender Wirtschafts- Wiederum bestätigt sich der durch die jeweilige Partei lage unter sozialdemokratischen Wählern um 56 Pro- orientierung geprägte Blick: Unabhängig davon, dass die zentpunkte, unter konservativen um 65 Prozentpunkte. allgemeine Wirtschaftslage für die Wähler sozialdemo- kratischer und konservativer Parteien objektiv gleich ist, Tabelle 1: Einschätzung des Zustandes von Gesundheitssystem, Bildungssystem und Wirtschaft und Regie- rungszufriedenheit Zufriedenheit mit der Regierung steigt um ... Prozentpunkte, wenn sich die Einschät- zung des Zustandes/Lage des/der ... um einen Skalenpunkt verbessert: Sozialdemokratische Wähler, sozialdemo Konservative Wähler, konservative Regierung kratische Regierung ohne konservative ohne sozialdemokratische Beteiligung Beteiligung Zustand des Gesundheitssystems 1,4 2,0 Zustand des Bildungssystems 1,2 0,6 Lage der Wirtschaft 5,1 4,5 Verbesserung der Regierungszufriedenheit von schlechtester zu bester Einschätzung in Prozentpunkten Zustand des Gesundheitssystems 13,6 19,6 Zustand des Bildungssystems 12,4 6,1 Lage der Wirtschaft 50,8 45,4 Ergebnisse einer Regressionsanalyse; Anteil erklärter Varianz 41 Prozent für sozialdemokratische und 34 Prozent für konservative Wähler. Design- und bevölkerungsgewichtet; alle Koeffizienten statistisch signifikant (geclusterte Standardfehler). 8
��������������� | Das wählerische Herz schlägt links der Mitte Abbildung 3: Einschätzung der Wirtschaftslage und Regierungszufriedenheit A. Sozialdemokratische Regierung, keine Koalition mit Konservativen 10 Sozialdemokratische Wähler Konservative Wähler 9 Linear(Sozialdemokratische Wähler) (0: vollkommen unzufrieden; 10: vollkommen zufrieden) Linear(Konservative Wähler) 8 7 Zufriedenheit mit der Regierung y = 0,71x + 1,65 R² = 0,68 6 5 4 3 y = 0,65x + 0,91 2 R² = 0,50 1 0 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Zufriedenheit mit der ökonomischen Entwicklung (0: vollkommen unzufrieden; 10: vollkommen zufrieden) B. Konservative Regierungen ohne Koalition mit Sozialdemokraten 10 Sozialdemokratische Wähler Konservative Wähler 9 Linear(Sozialdemokratische Wähler) (0: vollkommen unzufrieden; 10: vollkommen zufrieden) Linear(Konservative Wähler) 8 7 y = 0,70x + 2,63 R² = 0,41 Zufriedenheit mit der Regierung 6 5 4 3 y = 0,57x + 1,09 R² = 0,61 2 1 0 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Zufriedenheit mit der ökonomischen Entwicklung (0: vollkommen unzufrieden; 10: vollkommen zufrieden) Mittelwerte für Regierungen zum jeweiligen Zeitpunkt. 9
��������������� | Das wählerische Herz schlägt links der Mitte Das gleiche Muster zeigt sich bei dem Zusammenhang kann entsprechendes beobachtet und gelesen werden. von Einschätzung der Wirtschaftslage und Regierungs- Formulierungen wie »es ist Zeit für einen Wechsel«, »die zufriedenheit. Dieses Ergebnis bestätigt wiederum, dass Wende«, »Kanzlermüdigkeit« und ähnliches verweisen sozialdemokratische Parteien unter ihren Wählern in ei- auch immer auf den Zeitaspekt jenseits anderer Punkte, ner Koalition weniger profitieren als der konservative Re- die mit angesprochen sein mögen. Auch in einem sehr gierungspartner unter seinen Wählern (Tabelle 2). sparsamen Prognosemodell für den Wahlausgang der Bundestagswahlen spielt die Amtsdauer der Regierung eine Rolle, wie Gschwend und Norpoth gezeigt haben 4. Abnutzung und Wahlverhalten (Gschwend, Norpoth 2005). Dass Parteien in der Regierung Stimmen verlieren, liegt Gibt es also eine zunehmende Abnutzung der Wähler- aber nicht nur in der Unzufriedenheit mit der Regierungs- gunst, je länger eine Partei an der Regierung beteiligt ist? leistung begründet. Vieles spricht dafür, dass sich Regie- Um diese Frage zu beantworten, wurde für jeden Umfra- rungen unabhängig von ihrer Leistung, aber abhängig gezeitpunkt in jedem Land die Länge der Zeit bestimmt, von der Dauer ihrer Amtsinhabe abnutzen. Das Bild vom die die Regierung bei der letzten Wahl im Amt war. Das Abnutzen der Regierung ist jedoch missverständlich: Im aktuelle Befragungsdatum kam deshalb nicht in Frage, eigentlichen Sinne ist es wohl die Abnutzung der Wäh- weil die Frage nach dem Wahlverhalten retrospektiv auf lergunst im Zeitverlauf. Der amerikanische Wahlforscher die letzte Wahl bezogen gestellt wurde. Geprüft wurde in Philip E. Converse hat beispielsweise gezeigt, dass die einem ersten Schritt, ob die Zufriedenheit mit der Regie- regionale Stabilität des Wahlverhaltens über Zeit zerfällt rung und ihren Leistungen umso stärker abnimmt, je län- (Converse 1969), das gleiche Phänomen lässt sich auch ger sie im Amt ist. Der Befund ist negativ. In einem zwei- in Deutschland beobachten (Weßels 1998). Der Zeitab- ten Schritt wurde das Wahlverhalten in Abhängigkeit von lauf macht also einen Unterschied. In der öffentlichen der Amtsdauer einer Regierung untersucht. Hier ergeben Diskussion, in den Medien und auch im Wahlkampf sich klare und statistisch signifikante Effekte. Sie können Tabelle 2: Wirtschaftslage und Regierungszufriedenheit in verschiedenen Regierungskonstellationen Zufriedenheit mit der wirtschaftlichen Situation Unzufrieden So, so Zufrieden Saldo Regierungszufriedenheit in %-Punkten Sozialdemokratische Wähler Sozialdemokraten in Regierung ohne Konservative –41,1 –1,1 55,5 Koalition Sozialdemokraten und Konservative –54,1 –18,0 35,2 Konservative Regierung ohne Sozialdemokraten –67,5 –27,4 3,2 Konservative Wähler Sozialdemokraten in Regierung –68,6 –32,7 0,5 ohne Konservative Koalition Sozialdemokraten und Konservative –41,5 –3,5 47,8 Konservative Regierung ohne Sozialdemokraten –21,7 14,7 64,5 Sozialdemokratische Wähler Differenz sozialdemokr./konserv. Regierung 26,4 52,3 Konservative Wähler Differenz konserv./sozialdemokr. Regierung 46,9 64,0 Skala Zufriedenheit mit der Wirtschaft: 0 vollkommen unzufrieden; 10 vollkommen zufrieden. Werte wir folgt zusammengefasst: 0, 1, 2, 3 = –1; 4 5 6 = 0; 7, 8. 9, 10 = +1. Die Werte der Tabelle geben an in welchem Ausmaß Unzufriedenheit Zufriedenheit über- wiegt (negative Werte), oder umgekehrt (positive Werte). 10
��������������� | Das wählerische Herz schlägt links der Mitte deshalb auf den bloßen Zeitablauf bezogen werden, weil chen diesen Wert selbst nach einer 20-jährigen Amtszeit ein Zusammenhang zur Regierungsleistung nicht festge- nicht. Aber auch zwei Prozentpunkte Verlust können für stellt werden konnte. Wiederum wurde untersucht, ob den Wechsel von der Regierungs- auf die Oppositions- es parteiwähler- und regierungsparteispezifische Effekte bank ausreichen, und die sind bei Sozialdemokraten, gibt. Das gerechnete Modell bestimmt, in welchem Aus- wenn sie ohne Konservative regieren, bereits nach etwa maß sich die Abgabe der Stimme für eine Partei durch die sechs Jahren Regierungsamt erreicht. Was aber an die- Länge, mit der diese Partei an der Regierung ist, erklären sen Ergebnissen besonders bedeutsam ist, ist dass sich lässt. In einem weiteren Schritt wurde geprüft, ob sich die sozialdemokratische Regierungen ohne konservative Be- Nichtwahl durch die Länge der Amtsinhabe einer Partei teiligung sehr viel schneller »abnutzen« als konservative erklären lässt. In jedem Modell, für das im Folgenden die Regierungen ohne sozialdemokratische Beteiligung (s. Ergebnisse präsentiert werden, sind die Effekte der Re- Abbildung 4). gierungsdauer statistisch signifikant. Regieren Sozialdemokraten und Konservative gemein- Es zeigt sich, dass sowohl sozialdemokratische als auch sam, verschwindet der Unterschied in der »Abnutzung« konservative Parteien langsam aber stetig an Wähler- zwischen beiden fast vollständig. Der Verlauf des Stim- gunst verlieren, je länger sie im Regierungsamt sind. Die menverlusts ist dann auch für die Konservativen ähnlich Abnahme in der Wählergunst ist zwar von einem Jahr dem der Sozialdemokraten in Regierungsverantwortung zum nächsten recht bescheiden und mag nach der üb- ohne konservative Beteiligung. Die Verläufe entsprechen lichen Länge einer Legislaturperiode von etwa vier Jah- im Falle derartiger Koalitionen in etwa dem der sozialde- ren noch bedeutungslos erscheinen. Allerdings sind es mokratischen Regierungen in der Abbildung 4. häufig kleine Margen, die darüber entscheiden, ob eine Regierung im Amt bleiben kann. So werden fünf Prozent- Partiell können diese negativen Entwicklungen durch punkte Verlust in der Wählergunst bei Sozialdemokraten »Abnutzung« mithilfe einer relativ stabilen Personalpoli- erst nach 12 Jahren erreicht, konservative Parteien errei- tik abgefangen werden. Anhand verschiedener Modelle Abbildung 4: Dauer kontinuierlichen Regierens und Entwicklung der Stimmenanteile bei sozialdemokratischen und konservativen Parteien 0% ,1% ,2% ,4% ,5% –0 –1% ,7% –0 % –0 ,9% –0 ,7 % –0 Rückgang Stimmenanteil (Rückerinnerung) –0 % –0 ,2 ,5% ,6% –2% –1 ,4 ,9% –1 –1 % –1 % % –1 ,1 ,3 –2 ,4 –3% –2 –2 %,0 –3 –4% %,7 –3 % –5% ,5 –4 ,2% –6% –5 %,0 –6 –7% %,7 –6 ,5% –8% –7 Sozialdemokratisch Konservativ –9% –10% 0,01 0,25 0,5 1 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 Jahre der Regierungsbeteiligung in Folge Schätzwerte aus Regressionsanalyse. Die Unterschiede im Rückgang der Stimmenanteile zwischen sozialdemokratischen und konser- vativen Regierungen sind statistisch signifikant. 11
��������������� | Das wählerische Herz schlägt links der Mitte wurde geprüft, inwieweit eine zu schnelle Personalro- dass eine lange Regierungszeit auf eine Asymmetrie und tation den Prozess der Abnutzung beschleunigt. Dabei Dominanz einer politischen Partei in einem politischen zeigt sich, dass Kontinuität in der Regierung den Abnut- System zurückgeht und damit eine wichtige Motivation zungsprozess abschwächen kann: Der Effekt der Länge zum Wahlgang fehlt: die Knappheit eines Wahlausgangs, der Amtsinhabe kann den Effekt der Abnutzung bei der der eigenen Stimme ein zumindest psychologisch an- Sozialdemokraten erheblich kompensieren, bei Konser- deres Gewicht gibt (Feld, Kirchgässner 1998). Das wäre vativen wird er durch personale Kontinuität in der Re- auch mit dem Ergebnis vereinbar, dass dieses Phänomen gierungsführung sogar überkompensiert, wenn auf die fast gleichmäßig bei sozialdemokratischer und konserva- jährlichen Effekte abgestellt wird. Allerdings sind diese tiver Regierungsbeteiligung auftritt. Ergebnisse im Vergleich zu den Schätzungen über Ab- nutzungseffekte nicht besonders stabil und belastbar. Die Was sind die Konsequenzen der Ergebnisse? Zum einen Ergebnisse verweisen darauf, dass eine Kombination von zeigen sie, dass möglicherweise auch unabhängig von langer Regierungszeit und hoher personaler Kontinuität der Regierungsleistung Wähler abwandern, wahrschein- geringere Abnutzung produziert als eine lange Regie- lich, aber nicht nur ins Nichtwählerlager. In mittlerer Pers- rungszeit mit häufigem Personalwechsel. pektive bedeutet das eine Verstärkung der Gefahr der Re- gierungsrolle und im Grundsatz eine zyklische Entwick- Was passiert mit Wählerinnen und Wählern, die sich lung der Wählergunst für die Parteien. Entgegensetzen durch Abnutzungsprozesse von ihren Parteien entfrem- können die Parteien dem wohl nur besondere Mobilisie- den? Die Länge der Regierungsdauer scheint Nichtwähler rungsanstrengungen – mit ungewissem Ausgang. Für die zu produzieren. Wird im Modell Nichtwahl auf Regie- sozialdemokratischen Parteien ist der Abnutzungstrend rungsdauer regressiert, ergeben sich in etwa gleich starke sehr viel stärker als für ihre größten konservativen Kon- Effekte für sozialdemokratische und konservative Regie- kurrenten. Warum das der Fall ist, lässt sich schwer be- rungsbeteiligung (Abbildung 5). Hieraus kann zwar nicht stimmen. Aber dieses Ergebnis passt zu den Ergebnissen mit Sicherheit der Schluss gezogen werden, Wähler wür- hinsichtlich der Zufriedenheit oder Unzufriedenheit mit den mit zunehmender Regierungsdauer ins Nichtwäh- der ökonomischen Lage im Lande und ihrer Umsetzung lerlager abwandern, aber unplausibel wäre das aus ver- in Zufriedenheit und Unzufriedenheit mit der Regierung: schiedenen Gründen nicht. Einer davon ist zum Beispiel, Sozialdemokratische Wähler scheinen ihre Regierungs- Abbildung 5: Dauer kontinuierlichen Regierens und Entwicklung der Nichtwähleranteile bei sozialdemokratischer und konservativer Regierungsbeteiligung 0% ,2% Rückgang der Wahlbeteiligung (Rückerinnerung) ,3% % –1% % ,4 –0 –0 ,8% ,6 –0 –0 % % –0 ,2 –2% ,3 –1 % % –1 ,7 ,7 ,1% –1 –1 % ,5% –3% –2 ,3 –2 % ,9% –2 ,9 % –2 –2 % –4% ,3 % ,5 –3 –3 ,8 ,1% % –3 ,2 –5% –4 % –4 ,6 –4 %,2 –6% –5 ,8% –5 –7% –8% Sozialdemokratische Regierungsbeteiligung Konservative Regierungsbeteiligung –9% –10% 0,01 0,25 0,5 1 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 Jahre der Regierungsbeteiligung in Folge 12
��������������� | Das wählerische Herz schlägt links der Mitte parteien stärker zu »bestrafen« und weniger zu »beloh- innere Sicherheit, gesellschaftlicher Konservatismus, indi- nen« als dies bei konservativen Wählern der Fall ist. viduelle Autonomie, hedonistische Orientierungen, Um- weltschutz sowie Gleichheit und soziale Differenzierung. 5. Sozialdemokratische Wählerprofile? Um zu bestimmen, ob und in welcher Weise sich so- zialdemokratische Wähler von konservativen Wählern Die Ergebnisse zu den Unterschieden in der Beurteilung abgrenzen, wurden die Indikatoren alle darauf hin be- derselben objektiven Lage des Gesundheitssystems, des trachtet, ob sie systematisch und konstant einen relevan- Bildungssystems und der wirtschaftlichen Lage zwischen ten Unterschied zwischen Wählerschaften produzieren. sozialdemokratischen und konservativen Wählern, je Mit diesem ersten Schritt wurden zwei Ergebnisse ge- nach Regierungsbeteiligung, verweisen auf eine politisch wonnen. Nämlich erstens: es gibt systematische Unter- »Einfärbung« der Urteile. Dieses in der Wahlforschung schiede, jedoch zweitens: nicht in allen Bereichen. Die als partisan bias bezeichnete Phänomen ist schon von folgenden Ergebnisse berücksichtigen nur die Dimensi- den Autoren des American Voters, einer in der Disziplin onen, die systematische und bedeutsame Unterschiede »klassisch« gewordene Studie beobachtet und seitdem zwischen Parteiwählerschaften erkennen lassen. für verschiedene Zeitpunkte, Länder und politische Sys- teme nachgewiesen worden (Campbell et al. 1960). Das Unterschiede existieren in den Dimensionen Gleichheit gilt auch und insbesondere für ökonomische Wahrneh- und Differenzierung, Toleranz und Integration sowie in- mungen und Beurteilungen (Fiorina 1981; Bartels 2002). nere Sicherheit. Keine systematischen und relevanten Was das inhaltlich meint, dafür sind verschiedene Formu- Unterschiede existieren in Fragen zur hedonistischen Le- lierungen mit jeweils etwas anderen Implikationen ge- bensgestaltung (z. B. »es ist wichtig, eine schöne Zeit zu funden worden. Eine Perspektive ist, dass die Bindung an haben«), der individuellen Autonomie (z. B. »es ist wich- eine Partei für einen Wahrnehmungsfilter sorge, durch tig, neue Ideen zu haben und kreativ zu sein«), gesell- den Personen nur das wahrnehmen, was zu ihrer po- schaftlichem Konservatismus7 (z. B. »es ist wichtig, Re- litischen Orientierung passe, und nur eine Realität ak- geln zu folgen«) und dem Umweltschutz. zeptiert würde, die sich in Übereinstimmung mit ihrer Parteiorientierung bringen ließe. Hier liegt die Erklärung Die Dimensionen, die Differenz erzeugen, sind – zumin- ganz in der kognitionspsychologischen Annahme, dass dest bezüglich Gleichheit und Differenzierung sowie Tole- es ein Bedürfnis danach gibt, Inkonsistenz, also kognitive ranz und Integration – mit im Kern sozialdemokratischer Dissonanz zu vermeiden. Eine andere Perspektive ist, dass Politik. Sie sind es auch, die die stärksten Unterschiede Unterschiede in den Wahrnehmungen auf Unterschiede produzieren. Die Ergebnisse zur inneren Sicherheit kön- in den Interessen, Werten und generalisierten politischen nen schnell zusammengefasst werden. Im Unterschied zu Orientierungen zurückgehen. Ein Bias wäre in diesem sozialdemokratischen Wählern tendieren konservative in Sinne keine Realitätsverzerrung zur Herstellung kogni- statistisch signifikantem Ausmaß zu starken law & order- tiver Konsonanz, wohl aber ein Filter, durch den die Re- Maßnahmen. Bezogen auf die hier abgefragten Eingriffe alität betrachtet wird. Der Filter ist dann quasi ein Maß- in die Rechtsstaatlichkeit zum Zwecke der Terrorismus- stab, an dem Realität gemessen wird. Wenn dieses aber bekämpfung findet sich allerdings weder bei den Sozial- eine Erklärung für die festgestellten Unterschiede in der demokraten noch bei den Konservativen eine Mehrheit. Beurteilung derselben Situation zwischen Wählern un- terschiedlicher Parteien ist, müssen sich diese Wähler in Zur Dimension Toleranz und Integration standen zwei den Wert- und Zielvorstellungen unterscheiden. Gibt es Fragebatterien zur Verfügung. Die Ergebnisse sind in den also ein sozialdemokratisches inhaltliches Wählerprofil, Abbildungen 6 und 7 ausgewiesen. Deutlich stärker als das sich von dem konservativer Wähler abgrenzen lässt? konservative Wähler sind sozialdemokratische Wähler für die freie Lebensgestaltung von Schwulen und Lesben. Der European Social Survey misst eine ganze Reihe von Zwar ist das in Deutschland wahrscheinlich kein bedeut- gesellschaftlichen Orientierungen und Werten, aus de- nen sich klare Implikationen für Politikziele ergeben. Ins- 7. Ein mehr als fünf Prozentpunkte großer Unterschied ist nur in der gesamt sind es etwa 40 Indikatoren. Sie lassen sich in fol- Frage zu beobachten, ob es relevant ist, den Traditionen zu folgen (17 zu 23 Prozent). Allerdings erachten selbst unter konservativen Wählern das gende Dimensionen einordnen: Toleranz und Integration, nur 23 Prozent als wichtig. 13
��������������� | Das wählerische Herz schlägt links der Mitte sames Thema, dasselbe lässt sich jedoch nicht für einige der Regierungen bei der Reduzierung von Einkommens- Länder Osteuropas sagen. Ferner möchten signifikant unterschieden stark zugestimmt wird (Abbildung 8). mehr Sozialdemokraten als Konservative unabhängig vom ethnisch-kulturellen Hintergrund »vielen erlauben Diese Analyse verdeckt allerdings Unterschiede, die zum hier herzukommen und zu leben« (Abbildung 6). So ist es Teil deutlicher ausfallen, als es die Ergebnisse hier nahe nicht verwunderlich, dass, verglichen mit der konserva- legen. Auch verdeckt sie unterschiedliche Muster in den tiven Wählerschaft, eine weit deutlichere Mehrheit sozi- Unterschieden zwischen sozialdemokratischen und kon- aldemokratischer Wähler davon ausgeht, dass Zuwande- servativen Wählern in den Ländern. rer das kulturelle Leben bereichern, eine klare Mehrheit davon ausgeht, dass Zuwanderer gut für die Wirtschaft Um der Frage der Unterschiedsmuster und landesspezifi- sind und immerhin noch die Mehrheit, dass Zuwanderer scher sozialdemokratischer Profile nachzugehen, wurden Deutschland lebenswert machen. Dazu passt, dass eine die Fragen zu den hier angesprochenen Dimensionen alle deutliche Mehrheit sozialdemokratischer Wähler die Eu- auf die Höhe der Prozentpunktunterschiede in der je- ropäische Einigung weitergetrieben sehen möchte, wäh- weiligen Befürwortung oder Ablehnung zwischen Sozi- rend bei den konservativen etwa die Hälfte dafür, die aldemokraten und Konservativen untersucht und die drei andere Hälfte dagegen ist (Abbildung 7). Fragen ausgewählt, die im jeweiligen Land die größte Differenz produzieren. Einstellungen, die in einem der Wie nun halten es Sozialdemokraten mit der sozialen Dif- 24 Länder zu denjenigen drei gehören, die die größte ferenzierung und Ungleichheit? Es ist angesichts der Tat- Differenz produzieren, entfallen auf die Bereiche Soziale sache, dass hier ein wenn nicht der Kern sozialdemokra- Differenzierung und Ungleichheit, Toleranz und Integra- tischer Politik liegt, nicht überraschend, dass sozialdemo- tion sowie gesellschaftlicher Konservatismus. Einstellun- kratische Wähler soziale Differenz erzeugende Aspekte gen zum gesellschaftlichen Konservatismus produzieren weniger wichtig finden (wichtig, reich zu sein; wichtig allerdings nur in drei Ländern – Belgien, Ungarn und Por- erfolgreich zu sein). Allerdings sind die Unterschiede zu tugal – einen der drei wichtigsten Unterschiede. Einstel- den konservativen Wählern recht klein. Deutlicher sind lungen zu Toleranz und Integration liegen in 22 der 24 die Unterschiede in der Frage, ob der Wichtigkeit von Länder unter denjenigen, die die größte Differenz zwi- Gleichbehandlung und gleichen Chancen sowie der Rolle schen sozialdemokratischen und konservativen Wählern Abbildung 6: Unterschiede in Fragen der Toleranz und Migration zwischen sozialdemokratischen und konservativen Wählern 40% 35% 35% Sozialdemokr. Wähler Konservative Wähler 30% 25% 23% 19% 20% 16% 15% 13% 12% 10% 8% 7% 5% 0% Freie Lebensgestaltung f. Immigranten gleicher Immigranten anderer Immigranten aus armen Schwulen und Lesben ethnischer Gruppe erlauben ethnischer Gruppe erlauben Ländern erlauben 14
��������������� | Das wählerische Herz schlägt links der Mitte Abbildung 7: Unterschiede in Fragen der Zuwanderung und europäische Integration zwischen sozialdemokratischen und konservativen Wählern 30% mehr dafür als dagegen 27% Sozialdemokr. Wähler 25% Konservative Wähler 20% (Prozentpunktdifferenz) 15% 10% 10% 10% 6% 5% 1% 1% 0% Mehr dagegen –5% –4% als dafür –10% –13% –15% Zuwanderer bereichern Europäische Einigung soll Zuwanderer gut für die Zuwanderer machen kulturelles Leben weitergetrieben werden Wirtschaft Deutschland lebenswerter Antworten wurden auf einer 11-Punkte-Skala gegeben, wobei niedrige Werte Ablehnung, hohe Werte Zustimmung bedeuten. Zu- sammengefasst wurden die Werte 0, 1, 2, 3 zu –1; 4 5 6 zu 0; 7, 8, 9, 10 zu +1. Ein negativer Mittelwert über diese zusammenge- fassten Werte zeigt den Anteil an, zu dem ablehnende Meinungen zustimmende Meinungen überwiegen und umgekehrt. Abbildung 8: Unterschiede in Fragen sozialer Differenzierung und Gleichheit zwischen sozialdemokratischen und konservativen Wählern 40% 37% Sozialdemokr. Wähler 35% Konservative Wähler 34% 30% 30% 30% 29% 25% 20% 19% 15% 11% 10% 10% 5% 0% Wichtig, reich zu sein Wichtig, erfolgreich zu sein Regierungen sollen Gleichbehandlung und Einkommensunterschiede gleiche Chancen wichtig reduzieren Anteil derjenigen, die »stark« zustimmen unter den Antwortvorgaben: stimme stark zu; stimme zu; weder noch; lehne ab; lehne stark ab. 15
��������������� | Das wählerische Herz schlägt links der Mitte aufweisen, Einstellungen zu sozialer Differenzierung und lern macht, fallen die Urteile sozialdemokratischer Wäh- Ungleichheit in 15 der 24 Länder. In Tabelle 3 sind die ler über die Folgen der Migration allerdings negativer aus Dimensionen entsprechend eingefärbt: mittleres Grau für als bei konservativen Wählern. Dies wird in fünf der 24 soziale Differenzierung und Ungleichheit, helles Grau für hier betrachteten Länder (Tschechien, Finnland, Luxem- Toleranz und Integration, dunkles Grau für gesellschaftli- burg, Polen und der Slowakei) in der Frage deutlich, ob chen Konservatismus. Migration gut für die Wirtschaft sei, in Tschechien und der Slowakei auch in der Frage, ob Migranten eine kul- Die Ergebnisse verweisen darauf, dass es nicht nur der turelle Bereicherung darstellen, und in Polen in der Frage, traditionelle Kern sozialdemokratischer Ziele ist, der so- ob Migranten das Land besser machen. zialdemokratische Wähler von konservativen unterschei- det. Auch in Toleranz- und Integrationsfragen gerade im Daneben wird in Österreich und Norwegen die europäi- Kontext zunehmender Migration verweisen die Orientie- sche Integration von sozialdemokratischen Wählern kriti- rungen auf spezifische sozialdemokratische Profile. Unter scher beurteilt als von konservativen. Insgesamt herrscht den traditionellen linken Zielen ist es vor allem die Erwar- in der großen Mehrzahl der Länder unter sozialdemokra- tung an die Regierung, die Einkommensunterschiede zu tischen Wählern jedoch ein positiveres Urteil in der Frage reduzieren, die eine Rolle spielt. Dass nur diese »klas- der kulturellen und wirtschaftlichen Dimension von Mi- sischen« verteilungsbezogenen Orientierungen bei der gration vor als unter konservativen Wählern. Damit sind Abgrenzung von konservativen Wählern eine Rolle spie- sozialdemokratische Wähler in Fragen von Migration und len, ist nur in Dänemark der Fall. In der Schweiz, Deutsch- kultureller Differenz liberaler und offener als konservative land, Estland, Spanien, Großbritannien, Irland und Slo- Wähler. wenien ist es ausschließlich die Dimension Toleranz und Integration, die die drei Fragen liefert, die die stärkste Wie stark es immer noch die hoch generalisierte Orien- Differenz zu konservativen produziert. Im Rest der Länder tierung auf der Links-Rechts-Dimension der Politik ist, die ist es immer eine Mischung aus der Dimension sozialer sozialdemokratische Wähler von konservativen absetzt, Differenzierung und Ungleichheit sowie Toleranz und In- zeigt die Selbsteinstufung auf dieser Dimension. Das tegration bis auf Belgien, Ungarn und Portugal, wo die Herz sozialdemokratischer Wähler schlägt immer noch Abgrenzung vom gesellschaftlichen Konservatismus eine links und zwar in deutlicher Absetzung der konservativen Rolle spielt. Wähler (Abbildung 9). Mit diesen Ergebnissen wird deutlich, dass Orientierun- Auch hier gibt es eine große Variation in der Stärke der gen und damit Beurteilungsmaßstäbe sozialdemokrati- Differenz zwischen Sozialdemokraten und Konservati- scher Wähler klar abgrenzbar sind. Ihr Blick auf die Welt ven. Der zentrale Befund ist jedoch, dass sozialdemokra- unterscheidet sich von dem der konservativen und er- tische Wähler – unabhängig von der Stärke der Abgren- zeugt damit auch andere Urteile über die Zustände in zung – in keinem der 24 betrachteten Länder auf der der Gesellschaft. Dass »neuere« Fragen von Ungleich- rechten Seite jenseits des Mittelwertes liegen. Die Mitte heit, wie sie im Kontext von Migration und kultureller Dif- für sozialdemokratisch orientierte Wähler liegt jenseits ferenz entstanden sind, für sozialdemokratische Wähler der Mitte auf der Linken. in ihren Orientierungsprofilen eine prominente Rolle bei der Abgrenzung zu anderen politischen Lagern spielt, ist ein Zeichen dafür, dass die Problemagenda an sich ver- 6. Zusammenfassung und ändernde Problemlagen angepasst wird, ohne mit der Schlussfolgerungen generellen Orientierung auf Probleme von Ungleichheit und Differenz zu brechen. Wie zufrieden sind sozialdemokratische Wähler mit ihren Parteien? Gibt es überhaupt noch sozialdemokratische Allerdings ist das Bild nicht vollkommen einheitlich. In Wähler im Sinne von Bürgern, die sich in ihren politi- neun der insgesamt 38 Fälle, bei denen die Migrations- schen Zielvorstellungen und Orientierungen von ande- frage in ihren unterschiedlichen Aspekten (gut für die ren Wählern abgrenzen? Das sind die beiden generel- Wirtschaft, die Kultur, das Land) eine wichtige Differenz len Fragen, denen hier nachgegangen wurde. In einem zwischen sozialdemokratischen und konservativen Wäh- Vergleich von Wählern der größten konservativen Kon- 16
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