Das wählerische Herz schlägt links der Mitte - Regierungszufriedenheit und Einstellungen sozialdemokratischer Wähler im europäischen Vergleich ...

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INTERNATIONALE POLITIKANALYSE

                             Das wählerische Herz
                            schlägt links der Mitte
             Regierungszufriedenheit und Einstellungen
­sozialdemokratischer Wähler im europäischen Vergleich
                                           2002–2008

                                                                 BERNHARD WESSELS
                                                                      Dezember 2011

     „„ Wie zufrieden sind in Europa die Wähler sozialdemokratischer Parteien mit deren
        Regierungsleistung? Und unterscheiden sich sozialdemokratische Wähler hinsichtlich
        ihrer politischen Zielvorstellungen und Orientierungen von anderen Wählern über-
        haupt noch? Das sind die beiden übergeordneten Fragen, denen diese Kontrast­
        analyse anhand der Daten des European Social Survey nachgeht.

     „„ Der Vergleich zwischen Wählern sozialdemokratischer und konservativer Parteien
        zeigt, dass sozialdemokratische Wähler »ihre« Regierungen stärker mit Unzufrie-
        denheit »bestrafen«, wenn sie mit den Politikergebnissen nicht zufrieden sind. Auch
        »belohnen« sie ihre Regierungen weniger mit Zufriedenheit.

     „„ Unabhängig von der Leistung einer Regierung führt allein die Dauer der Regierungs-
        zeit zu einem leichten Sinken der Wählergunst und Ansteigen des Nichtwählerlagers.
        Interessanterweise ist dieser Abnutzungseffekt bei sozialdemokratischen Wählern
        und ihren Regierungen sehr viel stärker als bei konservativen.

     „„ Sozialdemokratische und konservative Wähler unterscheiden sich klar in ihren po-
        litischen Zielen und Orientierungen. Überraschenderweise finden sich die größten
        Differenzen zwischen sozialdemokratischen und konservativen Wählern hinsichtlich
        »Toleranz und Integration«, also Einstellungen zu Lebensweisen, Migranten, Migra-
        tion und europäischer Integration, und nicht bei der klassischen linken Frage nach
        »sozialer Differenzierung und Ungleichheit«.
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Inhalt

         1. Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .       3

         2. Regierungsleistung und R
                                   ­ egierungszufriedenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                   4

         3. »It’s the economy, stupid« – ­Zustände und Regierungszufriedenheit. . . . . . . . . . .                                               6

         4. Abnutzung und Wahlverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  10

         5. Sozialdemokratische Wählerprofile? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  13

         6.	Zusammenfassung und S
                                ­ chlussfolgerungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  16

         Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  24

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                                       1. Einleitung             demokratisches Regieren durch die Wähler beurteilt wird
                                                                 und welche Wirkung es hat.
Aus welchen Gründen gewinnen oder verlieren Parteien
bei Wahlen in Europa? Die Antworten auf diese – sowohl           Bezogen auf politische Profile wird in einem zweiten
für Wahlsieger als auch Wahlverlierer – wichtige Frage           Schritt gefragt, ob sich sozialdemokratische Wähler in
fallen zumeist sehr umfangreich und komplex aus. Doch            ihren Politikzielen und Wertvorstellungen von denen ih-
manchmal beweisen auch einfache Antworten eine hohe              rer konservativen Konkurrenten unterscheiden. Es gibt
Erklärungskraft. So lautet eine nahe liegende Antwort,           mindestens zwei Gründe, warum es relevant ist, dieser
dass die Verlierer nicht mit ihrer politischen Leistung          Frage nachzugehen. Zum einen wird angesichts der zu-
überzeugen konnten. »Throwing the rascals out«, wie es           nehmenden Flexibilität im Wahlverhalten, der abneh-
im US-Kontext heißt, ist zumeist Resultat für die Bestra-        menden Prägekraft sozialstruktureller Charakteristika für
fung als schlecht wahrgenommener Regierungsleistung.             die Wahlentscheidung und dem »Ende der Ideologie« in
                                                                 der Politik immer häufiger hinterfragt, ob distinkte Wäh-
Sozialdemokratische Parteien wurden in den letzten Jah-          lerprofile der so genannten Volksparteien überhaupt
ren nicht immer im Regierungsamt bestätigt. Zum Bei-             noch existieren. Zum anderen verfolgen die politischen
spiel ging die Regierungsbeteiligung oder -führung 2010          Parteien, und sozialdemokratische Parteien sind hier
in Großbritannien, der Slowakei, Tschechien und Zypern           nicht unbedingt eine Ausnahme, einen Wettbewerb um
verloren, in Deutschland 2009, um nur einige zu nennen.          die politische Mitte, den so genannten median voter. Ein
Zeichnet sich hier ein negativer Trend ab? Verlieren So-         derartiger Mitte-zentrierter Wettbewerb macht aber nur
zialdemokraten in Europa an Leistungskraft und Profil?           dann Sinn, wenn die Differenz zwischen Wählern sozial-
Die Frage lässt sich an die Parteien wie an die Parteian-        demokratischer Parteien und den Wählern ihrer großen
hänger und Wähler der sozialdemokratischen Parteien              Konkurrenten rechts von der Mitte nicht mehr existiert
in Europa stellen. Leistungskraft und Profil bedeuten für        und sich nicht mehr in Unterschieden in den Vorstellun-
die Parteien, erstens Politik effektiv und kompetent zu          gen über Gesellschaft und Politik ausdrückt.
gestalten und entsprechende Resultate zu erzielen, und
zweitens dabei ein inhaltliches Profil zu zeigen, das sich       Untersucht werden die Fragen in beiden Dimensionen –
von dem anderer Parteien unterscheidet. Auf Seiten der           Leistungskraft sozialdemokratischer Regierungen, Politik-
Anhänger und Wähler kann Leistungskraft zwar allen-              profile sozialdemokratischer Wähler – mit Daten des Eu-
falls bedeuten, den eigenen Überzeugungen im priva-              ropean Social Survey (europeansocialsurvey.org), einem
ten und öffentlichen Diskurs Ausdruck zu verleihen. Das          von Sozialwissenschaftlern für die Sozialwissenschaften
allerdings setzt voraus, dass ein sich insbesondere von          geschaffenen Instrument der Beobachtung europäischer
konservativen Parteien abgrenzendes politisches Profil           Gesellschaften. Der European Social Survey wurde 2002
der Wähler existiert.                                            das erste Mal erhoben und wird alle zwei Jahre durch-
                                                                 geführt. Derzeit sind vier Wellen realisiert, die letzte im
Dieses Papier setzt auf beiden Ebenen mit Fragen an.             Jahr 2008. Für die zeit- und ländervergleichende Ana-
Bezogen auf die Leistungskraft wird zunächst gefragt,            lyse wird hier auf den kumulierten Datensatz aller vier
wie sozialdemokratische Parteien in der Regierung bei            Befragungswellen zurückgegriffen.1 Untersucht werden
den Wählern im Vergleich zu ihren Konkurrenten aus               können insgesamt 24 europäische Länder. Nicht in allen
dem Parteienlager rechts der Mitte abschneiden und wie           wurde zu allen vier Zeitpunkten der European Social Sur-
sich ihr Abschneiden bei der Leistungsbeurteilung in ih-         vey durchgeführt, so dass insgesamt 85 Umfragen für die
ren Wahlerfolgen niederschlägt. Die zweite Frage ist, ob
Regierungen mit zunehmender Amtszeit ermüden, oder               1. Der kumulierte Datensatz führt die folgenden Wellen für alle ver-
                                                                 gleichbaren Fragen zusammen: ESS Round 1: European Social Survey
besser, ob Regierungen ihre Wähler mit zunehmender               Round 1 Data (2002). Data file edition 6.2. Norwegian Social Science
Amtszeit ermüden und damit Stimmenverluste einherge-             Data Services, Norway – Data Archive and distributor of ESS data. ESS
                                                                 Round 2: European Social Survey Round 2 Data (2004). Data file edition
hen. Eine Antwort auf diese Frage ist deshalb nicht ganz         3.2. Norwegian Social Science Data Services, Norway – Data Archive and
ohne Relevanz, weil sich hieraus jenseits von Leistungs-         distributor of ESS data. ESS Round 3: European Social Survey Round 3
                                                                 Data (2006). Data file edition 3.3. Norwegian Social Science Data Servi-
schwächen oder -stärken Gründe für Stimmenverluste               ces, Norway – Data Archive and distributor of ESS data. ESS Round 4: Eu-
ergeben. Beide Fragen beziehen sich darauf, wie sozial-          ropean Social Survey Round 4 Data (2008). Data file edition 4.0. Norwe-
                                                                 gian Social Science Data Services, Norway – Data Archive and distributor
                                                                 of ESS data.

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Analyse genutzt werden können. Eine Übersicht liefert               Zeitpunkten schwer miteinander vergleichbar und eine
Tabelle A1.                                                         Bestimmung, ob z. B. konservative Regierungen eine hö-
                                                                    here Leistungsfähigkeit haben, anhand solcher Beurtei-
                                                                    lungen unmöglich.
                    2. Regierungsleistung und
                      ­Regierungszufriedenheit                      Hier soll daher auf den direkten Vergleich sozialdemo-
                                                                    kratischer mit anderen Regierungen verzichtet werden
Dass eine gute Regierungsleistung für den Wiederwahl-               und stattdessen die Einschätzung der Zustände in den
erfolg wichtig ist, ist nicht nur intuitiv plausibel, sondern       Bereichen Gesundheit, Bildung und Wirtschaft durch so-
auch vielfach nachgewiesen. V. O. Key hat bereits 1961              zialdemokratische und konservative Wähler kontrastiert
auf die beiden Aspekte von Regierungsbeurteilung hin-               werden. Dieser Kontrastvergleich wird für sozialdemo-
gewiesen, die über Wieder- oder Abwahl entscheiden                  kratische Regierungen oder Regierungsbeteiligung ohne
können: Art und Richtung der Politik und Resultate der              Mitregierung konservativer Parteien, für Regierungen aus
Politik (Key 1961: 474). Die Formulierung »Throw the                sozialdemokratischer und konservativer Parteien und für
rascals out« kennzeichnet genau diesen Mechanismus:                 konservative Regierungen oder Regierungsbeteiligung
Unzufriedenheit mit der Leistung führt zur Abwahl, wie              ohne Mitregierung sozialdemokratischer Parteien durch-
Miller und Wattenberg in einer Langzeitstudie zeigen                geführt.2
konnten. Für amtshinhabende Parteien spielt die retro-
spektive Leistungsbeurteilung eine zentrale Rolle (Miller,          Die Zustände von Gesundheitssystem, Bildungssystem
Wattenberg 1985), zumeist im Zusammenspiel mit der                  und der Wirtschaft in den hier in der Zeit von 2002 bis
Leistungserwartung, also der prospektiven Perspektive.              2008 betrachteten 24 Ländern, werden, wenn sie sozial-
Leistung und Kompetenz sind die beiden Dimensionen,                 demokratisch ohne konservative Beteiligung regiert wur-
die darüber entscheiden, ob Regierungen abgewählt und               den, unterschiedlich beurteilt:3 Fünf Prozent mehr sozial-
welche neue gewählt werden. Das lässt sich auch für die             demokratische Wähler sind zufrieden mit dem Zustand
deutschen Bundestagswahlen zeigen (Weßels 2002).                    des Gesundheitssystems als unzufrieden, beim Bildungs-
                                                                    system sind es neun Prozent. Bei der Einschätzung der
In den vergleichenden Umfragen des European Social                  Wirtschaftslage überwiegt der Anteil der Unzufriedenen
Survey werden drei gesellschaftliche Bereiche abgedeckt:            dem der Zufriedenen um 17 Prozentpunkte. Diese Werte
Die Beurteilung des Zustandes des Gesundheitssystems,               können verglichen werden mit den Einschätzungen, die
die Beurteilung des Zustandes des Bildungssystems und               die Wähler der konservativen Konkurrenz von der jewei-
die Zufriedenheit mit der Wirtschaftslage. Damit sind               ligen Lage haben. Dabei wird deutlich, dass die sozialde-
zwei zentrale Politikfelder angesprochen, die mit zum               mokratischen Wähler mit dem Zustand des Gesundheits-
Kern der Politik sozialdemokratischer Parteien gehören,             systems, des Bildungssystems und der Wirtschaft relativ
und mit der Wirtschaftslage ein Bereich, der für Bürger             zufriedener sind. Einschätzungen über die jeweilige Situ-
und Parteien insgesamt gleichermaßen zentral ist.                   ation sind also nicht objektiv, sondern werden aus einer
                                                                    parteispezifischen Perspektive durch die Wähler betrach-
Anhand der Beurteilung durch die Bürger zu bestimmen,               tet – sie haben einen »bias«. Sozialdemokratische Wäh-
wie zufrieden die Wähler mit sozialdemokratischen Re-               ler beurteilen die gleiche Situation in den drei Bereichen
gierungsparteien sind, ist ohne Vergleichsmaßstab aller-            unter sozialdemokratischer Regierung deutlich positiver
dings relativ bedeutungslos. Zum einen ergibt sich das              als die Wähler des größten konservativen Konkurrenten.
Problem, dass Zustände in allen gesellschaftlichen Berei-
chen, aber insbesondere der Wirtschaft, nicht vollstän-             Umgekehrt gilt, dass konservative Wähler unter konser-
dig durch Politik bestimmt werden können, auch wenn                 vativer Regierung ohne sozialdemokratische Beteiligung
Parteien und Politik häufig den Eindruck der Omnipotenz             die jeweilige Situation deutlich besser einschätzen als die
erwecken und Wähler die Omnipotenz der Politik un-
                                                                    2. Hierzu wurden den Umfragen des European Social Survey entspre-
terstellen. Eine schlechte Wirtschaftslage, Probleme im             chend des Befragungszeitpunktes die Information der entsprechenden
Bildungs- und Gesundheitssystem sind in vielen Aspek-               Regierung(szusammensetzung) hinzugefügt.

ten nicht ursächlich auf eine schlechte Politik zurückzu-           3. Es sind dies Regierungen in den Ländern (s. Tabelle A2 für Abkürzun-
                                                                    gen und Zeitpunkte) CY, CZ, DE, ES, GB, GR, HU, NO, PL, PT, SE, SI und
führen. Damit sind Einschätzungen zu unterschiedlichen              SK.

                                                                4
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Abbildung 1: Beurteilung des Zustandes des Gesundheitssystems, des Bildungssystems und der Wirtschaft
durch sozialdemokratische und konservative Wähler während sozialdemokratischer und konservativer Re-
gierungen

                                     Sozialdemokraten in Regierung ohne Konservative

                       Konservative Wähler                                      5%
  Gesundheit
                       Sozialdemokr. Wähler                     –1%

                                                                                     9%
      Bildung
                                                          –5%

                                              –17%
   Wirtschaft
                             –32%

             –50%        –40%       –30%        –20%    –10%          0%        10%        20%      30%         40%       50%
                 % mehr unzufrieden/sehr schlecht als zufrieden       mehr zufrieden/sehr gut als unzufrieden

                                     Konservative in Regierung ohne Sozialdemokraten

                       Konservative Wähler                                                14%
  Gesundheit
                       Sozialdemokr. Wähler                                                17%

                                                                                     9%
      Bildung
                                                                                          15%

                              –31%
   Wirtschaft
                                                          –6%

             –50%        –40%       –30%        –20%    –10%          0%        10%        20%      30%         40%       50%
                 % mehr unzufrieden/sehr schlecht als zufrieden       mehr zufrieden/sehr gut als unzufrieden

                              Sozialdemokraten und Konservative gemeinsam in Regierung

                       Konservative Wähler                                  4%
 Gesundheit
                       Sozialdemokr. Wähler                                               15%

                                                                           1%
      Bildung
                                                                                           16%

                                                         –6%
   Wirtschaft
                                                                                     9%

             –50%        –40%       –30%        –20%    –10%          0%        10%        20%      30%         40%       50%
                 % mehr unzufrieden/sehr schlecht als zufrieden       mehr zufrieden/sehr gut als unzufrieden

Prozentwerte präsentieren das Saldo aus denjenigen, die eine positive Einschätzung abgeben minus denjenigen, die eine negative
Einschätzung abgeben. Grundlage sind Beurteilungsskalen von 0 (sehr schlecht) bis 10 (sehr gut), die wie folgt zusammengefasst
wurden: 0, 1, 2, 3 = -1; 4 5 6 = 0; 7, 8, 9, 10 = +1.

                                                                  5
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Wähler sozialdemokratischer Parteien (s. Abbildung 2,                              Insgesamt gibt es eine recht große Variationsbreite in der
zweite Grafik).                                                                    Regierungszufriedenheit (s. Abbildung A2 im Anhang).
                                                                                   An dem generellen Eindruck, dass sozialdemokratische
Allerdings sind hier die Differenzen in den Einschätzun-                           Wählerinnen und Wähler mit ihren Regierungen kritischer
gen nicht ganz so stark, der bias also kleiner. Daraus den                         umgehen als es im konservativen Lager der Fall ist, ändert
Schluss zu ziehen, konservative Regierungen würden im                              das allerdings nichts. In den 13 Ländern, in denen die So-
Vergleich für bessere Zustände sorgen, ist allerdings nicht                        zialdemokraten ohne Konservative regiert haben, wurde
zulässig, da sich die Einschätzungen auf andere Zeit-                              unter allen Wählern eine Antwort in Richtung Zufrieden-
punkte und zum weitaus überwiegenden Teil auf andere                               heit nur in einem Land abgegeben: Zypern. Wenn auf
Länder beziehen.4                                                                  die Beurteilung sozialdemokratischer Wähler abgestellt
                                                                                   wird, waren es immerhin fünf Länder: Zypern, Spanien,
Nicht nur politisch, sondern auch wahlstrategisch inter-                           Norwegen, Schweden und die Slowakei. Für konserva-
essant ist der Befund, dass sozialdemokratische Wähler                             tive Regierungen fällt die Bilanz günstiger aus. Wenn sie
die Zustände in den Bereichen Gesundheit, Bildung und                              ohne Sozialdemokraten regierten, was in 17 Ländern der
Wirtschaft sehr viel weniger positiv beurteilen als konser-                        Fall ist, sind darunter vier, in denen die Zufriedenheit die
vative Wähler, wenn Sozialdemokraten und Konservative                              Unzufriedenheit unter allen Wählern überwiegt, unter
gemeinsam regieren.5 Die zumeist (recht) großen Koaliti-                           konservativen Wählern trifft das auf 12 von diesen 17
onen zahlen sich für konservative Parteien bezogen auf                             Ländern zu. Allerdings sind solche Vergleiche mit Vorsicht
ihre Wähler also mehr aus als für sozialdemokratische                              zu interpretieren – unterschiedliche Länder oder gleiche
Parteien.                                                                          Länder zu unterschiedlichen Zeitpunkten können für sehr
                                                                                   große Unterschiede in den Problemlagen und mithin für
                                                                                   eine abweichende Regierungszufriedenheit verantwort-
        3. »It’s the economy, stupid« –                                            lich sein. Werden die Regierungen betrachtet, an denen
­Zustände und Regierungszufriedenheit                                              Sozialdemokraten und Konservative gemeinsam betei-
                                                                                   ligt waren, zeigt sich eine zwischen Sozialdemokraten
Wie wirken sich die Einschätzungen hinsichtlich des Zu-                            und Konservativen vollkommen ausgeglichene Bilanz.
standes von Gesundheits- und Bildungssystem sowie                                  Werden die Länder betrachtet, in denen in einer Periode
der Wirtschaft auf die Zufriedenheit mit der jeweiligen                            Sozialdemokraten ohne Konservative und in einer ande-
Regierungspartei aus? Allgemein ist festzuhalten, dass                             ren Periode Konservative ohne Sozialdemokraten regiert
weder sozialdemokratische noch konservative Wähler                                 haben (das war in Spanien, Norwegen, Portugal, Slowe-
besonders zufrieden mit ihren jeweiligen Regierungen                               nien und der Slowakei der Fall, sowie in Griechenland,
sind. Sind Sozialdemokraten ohne ihre größten konser-                              Polen, Schweden), schneiden die sozialdemokratischen
vativen Konkurrenzparteien an der Regierung, fällt das                             Regierungen unter den Wählern insgesamt in den fünf
Urteil sozialdemokratischer Wähler leicht negativ aus,                             zuerst genannten Ländern besser ab als die konservati-
das der konservativen Wähler stark negativ. Sind Konser-                           ven Regierungen.
vative ohne sozialdemokratische Parteien an der Regie-
rung beteiligt, ist eine kleine Mehrheit der Wähler eher                           Was ist für die Zufriedenheit oder Unzufriedenheit mit
zufrieden, sozialdemokratische Wähler hingegen sehr                                der Regierung an erster Stelle verantwortlich? Die in der
unzufrieden. Sind Sozialdemokraten und Konservative                                Überschrift zitierte Phrase stammt aus dem Wahlkampf
gemeinsam an der Regierung, ist keine der Wählerschaf-                             von Bill Clinton gegen George Bush im Präsidentschafts-
ten mehrheitlich zufrieden, Sozialdemokraten sind sogar                            wahlkampf der USA 1992. Die Bedeutung ergibt sich aus
deutlich unzufriedener als Wähler der konservativen Ko-                            dem Kontext: Wahlen sind vor allem über wirtschaftliche
alitionspartei (s. Abbildung 2).                                                   Fragen zu gewinnen – zumindest in den USA. Aber auch
                                                                                   in Deutschland spielen der Zustand der Ökonomie und
                                                                                   die Wirtschaftslage keine unwichtige Rolle für die Wahl-
4. Es handelt sich um konservative Regierungen in AT, BE, DK, EE, ES,
FI, FR, GR, IE, IT, LU, NL, NO, PL, PT, SE, SI, SK. Zu konkreten Zeitpunkten       entscheidung der Bürger. Auch deutsche Wahlforscher
und Abkürzungen siehe Tabelle A2.                                                  nutzen die Phrase, um auf einen Erklärungszusammen-
5. Es handelt sich um Regierungskoalitionen in folgenden Ländern: AT,
                                                                                   hang für das Wahlverhalten hinzuweisen (so z. B. Walz,
BE, CH, CZ, DE, EE, FI, NL, SI. Zeitliche Details sind Tabelle A2 zu entneh-
men.                                                                               Brunner 1998). Dabei ist es in der Regel die Einschät-

                                                                               6
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zung der allgemeinen und nicht der persönlichen wirt-                           Das Modell, mit dem Regierungszufriedenheit auf den
schaftlichen Situation, die bedeutsamer ist. Ersteres wird                      Zustand des Gesundheitssystems, des Bildungssystems
als soziotropisches, letzteres als egozentrisches Wählen                        und der Wirtschaft regressiert wird, erklärt bezogen auf
bezeichnet. Das so genannte pocket-book voting, das                             die Gesamtwählerschaft etwa 40 Prozent der Variation
Wählen für die persönliche Geldbörse, spielt eine weni-                         in der Zufriedenheit mit der Regierung. Das ist für ein
ger wichtige Rolle (Maier, Rattinger 2004).                                     Modell auf der Individualebene von Befragten und nur
                                                                                drei »erklärenden« Variablen ein recht anständiger Wert.
Ob und inwieweit von den hier untersuchbaren drei                               Er unterstreicht, dass die Bürger in der Tat ihre jeweili-
Bereichen die Ökonomie tatsächlich die entscheidende                            gen Regierungen zu einem beträchtlichen Teil für den
Bedeutung für die Zufriedenheit mit der Regierung hat,                          Zustand in den drei Bereichen verantwortlich machen.
lässt sich empirisch dadurch prüfen, dass der Erklärungs-                       Unter sozialdemokratischen Wählern klärt das Modell
beitrag der drei Faktoren Zustand des Gesundheitssys-                           sogar noch einen Prozentpunkt mehr Varianz auf, unter
tems, des Bildungssystems und der Wirtschaft für die                            konservativen Wählern hingegen sechs Prozentpunkte
Regierungszufriedenheit bestimmt wird.6 Die Ergebnisse                          weniger. Insgesamt erklären die drei Zustandsbeurteilun-
zeigen folgendes:                                                               gen die Zufriedenheit mit der Regierung für Individualda-
                                                                                ten mehr als zufrieden stellend.

                                                                                Die Frage, welche der drei Zustandsbeurteilungen für
6. Es handelt sich dabei um das statische Verfahren der Regressionsana-
lyse. Hier wird Regierungszufriedenheit in einem Modell auf die Beurtei-        die Zufriedenheit mit der Regierung zentral ist, ist recht
lung des Zustandes in den drei Bereichen regressiert, also zurückgeführt.       eindeutig zu beantworten: »It is the economy, indeed«.
Wie bei den vorhergehenden Analysen über Länder und Zeitpunkte hin-
weg sind die Daten design- und bevölkerungsgewichtet, um Verzerrun-             Weder die Einschätzung des Zustandes des Gesundheits-
gen der Ergebnisse durch Stichprobenfehler und unterschiedliche Samp-
                                                                                noch des Bildungssystems verschlechtert oder verbes-
legrößen zu vermeiden, sowie mit Standardfehlerkorrekturen berechnet,
die dem cluster-Charakter der Daten entsprechen.                                sert die Zufriedenheit mit der Regierung in demselben

Abbildung 2: Zufriedenheit sozialdemokratischer und konservativer Wähler mit der Regierung während so-
zialdemokratischer und konservativer Regierungen

                                                                                         –7%
                                                                                                          Sozialdemokr. Wähler
 Sozialdemokraten ohne konservative Beteiligung
                                                                                                          Konservative Wähler
                                                               –54%

                                                                    –45%

     Konservative ohne sozialdemokr. Beteiligung

                                                                                                         11%

                                                                                    –16%

    Koalition Sozialdemokraten und Konservative

                                                                                             0%

                                                        –75%           –50%         –25%          0%       25%         50%          75%

                                         % mehr unzufrieden als zufrieden                          mehr zufrieden als unzufrieden

                                                                            7
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Ausmaß wie die Einschätzung der Wirtschaftslage. Jeder               schätzen sozialdemokratische Wähler unter sozialdemo-
Punkt besserer Einschätzung der Wirtschaftslage auf ei-              kratischer Regierung ohne konservative Beteiligung die
ner 11-Punkte-Skala (0 sehr schlecht; 10 sehr gut) ver-              Wirtschaftslage besser ein und sind damit auch zufrie-
bessert die Zufriedenheit mit der Regierung etwa um fünf             dener mit ihrer Regierung (Abbildung 3A). Umgekehrt
Prozentpunkte, eine bessere Einschätzung von Gesund-                 schätzen konservative Wähler die Wirtschaftslage unter
heitssystem und Bildungssystem jedoch nur um 0,6 bis                 konservativer Regierung ohne sozialdemokratische Betei-
maximal zwei Prozentpunkte (s. Tabelle 1). Zwischen so-              ligung positiver ein als sozialdemokratische Wähler zum
zialdemokratischen und konservativen Wählern existiert               selben Zeitpunkt und konservative Wähler sind dement-
ein interessanter Unterschied in der Relevanz beider Sys-            sprechend zufriedener mit der Regierung, die ja die ih-
teme für die Regierungszufriedenheit: für sozialdemokra-             rige ist (Abbildung 3B). Die parteiwählerschaftspezifische
tische Wähler sind beide von etwa gleicher Relevanz, für             Differenz ist unter konservativen Regierungen sogar noch
konservative Wähler ist das Gesundheitssystem etwa drei              deutlicher ausgeprägt als unter sozialdemokratischen.
Mal gewichtiger für die Regierungszufriedenheit als das
Bildungssystem. Für beide Befunde gilt allerdings: an die            Mehr noch: sozialdemokratische Wähler »bestrafen« ihre
Relevanz von Ökonomie reichen sie längst nicht heran.                Regierungen stärker mit Unzufriedenheit als konservative
                                                                     die ihrigen, und »belohnen« sie weniger mit Zufrieden-
Der Befund zur Relevanz der Einschätzung der Wirt-                   heit bei zufrieden stellender wirtschaftlicher Lage. Unter
schaftslage kann noch etwas genauer betrachtet wer-                  sozialdemokratischen Wählern, die unzufrieden mit der
den. Werden Regierungen zu bestimmten Zeitpunkten                    wirtschaftlichen Situation sind, überwiegt der Anteil der-
hinsichtlich der Einschätzung der Wirtschaftslage und der            jenigen, die unzufrieden mit ihrer Regierung sind, die Zu-
Regierungszufriedenheit zu diesem Zeitpunkt betrachtet,              friedenen um 41 Prozentpunkte. Bei konservativen Wäh-
zeigt sich auch bezogen der Aggregate Regierungen der                lern und konservativer Regierung überwiegen mit der
klare Befund: je besser die Wirtschaftslage, desto besser            Regierung unzufriedene lediglich um 22 Prozentpunkte
schneidet die Regierung ab (Abbildung 3).                            (Tabelle 2). Umgekehrt überwiegen Regierungszufrie-
                                                                     dene die Unzufriedenen bei befriedigender Wirtschafts-
Wiederum bestätigt sich der durch die jeweilige Partei­              lage unter sozialdemokratischen Wählern um 56 Pro-
orientierung geprägte Blick: Unabhängig davon, dass die              zentpunkte, unter konservativen um 65 Prozentpunkte.
allgemeine Wirtschaftslage für die Wähler sozialdemo-
kratischer und konservativer Parteien objektiv gleich ist,

Tabelle 1: Einschätzung des Zustandes von Gesundheitssystem, Bildungssystem und Wirtschaft und Regie-
rungszufriedenheit

                                     Zufriedenheit mit der Regierung steigt um ... Prozentpunkte, wenn sich die Einschät-
                                     zung des Zustandes/Lage des/der ... um einen Skalenpunkt verbessert:
                                     Sozialdemokratische Wähler, sozial­demo­        Konservative Wähler, konservative Regierung
                                     kratische Regierung ohne konservative           ohne sozial­demokratische Beteiligung
                                     ­Beteiligung
 Zustand des Gesundheitssystems       1,4                                              2,0
 Zustand des Bildungssystems          1,2                                              0,6
 Lage der Wirtschaft                  5,1                                              4,5
                                     Verbesserung der Regierungszufriedenheit von schlechtester zu bester Einschätzung
                                     in Prozentpunkten
 Zustand des Gesundheitssystems      13,6                                            19,6
 Zustand des Bildungssystems         12,4                                              6,1
 Lage der Wirtschaft                 50,8                                            45,4

Ergebnisse einer Regressionsanalyse; Anteil erklärter Varianz 41 Prozent für sozialdemokratische und 34 Prozent für konservative
Wähler. Design- und bevölkerungsgewichtet; alle Koeffizienten statistisch signifikant (geclusterte Standardfehler).

                                                                 8
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Abbildung 3: Einschätzung der Wirtschaftslage und Regierungszufriedenheit

 A. Sozialdemokratische Regierung, keine Koalition mit Konservativen
                                                                   10
                                                                                                                               Sozialdemokratische Wähler
                                                                                                                               Konservative Wähler
                                                                   9
                                                                                                                               Linear(Sozialdemokratische Wähler)
           (0: vollkommen unzufrieden; 10: vollkommen zufrieden)

                                                                                                                               Linear(Konservative Wähler)
                                                                   8

                                                                   7
                      Zufriedenheit mit der Regierung

                                                                                y = 0,71x + 1,65
                                                                                   R² = 0,68
                                                                   6

                                                                   5

                                                                   4

                                                                   3

                                                                                                                                       y = 0,65x + 0,91
                                                                   2                                                                      R² = 0,50

                                                                   1

                                                                   0
                                                                        0   1       2          3        4         5        6          7           8       9         10
                                                                                            Zufriedenheit mit der ökonomischen Entwicklung
                                                                                        (0: vollkommen unzufrieden; 10: vollkommen zufrieden)

 B. Konservative Regierungen ohne Koalition mit Sozialdemokraten
                                                                   10
                                                                                                                               Sozialdemokratische Wähler
                                                                                                                               Konservative Wähler
                                                                   9
                                                                                                                               Linear(Sozialdemokratische Wähler)
           (0: vollkommen unzufrieden; 10: vollkommen zufrieden)

                                                                                                                               Linear(Konservative Wähler)
                                                                   8

                                                                   7               y = 0,70x + 2,63
                                                                                      R² = 0,41
                      Zufriedenheit mit der Regierung

                                                                   6

                                                                   5

                                                                   4

                                                                   3                                                           y = 0,57x + 1,09
                                                                                                                                  R² = 0,61
                                                                   2

                                                                   1

                                                                   0
                                                                        0   1       2          3        4         5        6          7           8       9         10
                                                                                           Zufriedenheit mit der ökonomischen Entwicklung
                                                                                        (0: vollkommen unzufrieden; 10: vollkommen zufrieden)

 Mittelwerte für Regierungen zum jeweiligen Zeitpunkt.

                                                                                                             9
��������������� | Das wählerische Herz schlägt links der Mitte

Das gleiche Muster zeigt sich bei dem Zusammenhang                  kann entsprechendes beobachtet und gelesen werden.
von Einschätzung der Wirtschaftslage und Regierungs-                Formulierungen wie »es ist Zeit für einen Wechsel«, »die
zufriedenheit. Dieses Ergebnis bestätigt wiederum, dass             Wende«, »Kanzlermüdigkeit« und ähnliches verweisen
sozialdemokratische Parteien unter ihren Wählern in ei-             auch immer auf den Zeitaspekt jenseits anderer Punkte,
ner Koalition weniger profitieren als der konservative Re-          die mit angesprochen sein mögen. Auch in einem sehr
gierungspartner unter seinen Wählern (Tabelle 2).                   sparsamen Prognosemodell für den Wahlausgang der
                                                                    Bundestagswahlen spielt die Amtsdauer der Regierung
                                                                    eine Rolle, wie Gschwend und Norpoth gezeigt haben
        4. Abnutzung und Wahlverhalten                              (Gschwend, Norpoth 2005).

Dass Parteien in der Regierung Stimmen verlieren, liegt             Gibt es also eine zunehmende Abnutzung der Wähler-
aber nicht nur in der Unzufriedenheit mit der Regierungs-           gunst, je länger eine Partei an der Regierung beteiligt ist?
leistung begründet. Vieles spricht dafür, dass sich Regie-          Um diese Frage zu beantworten, wurde für jeden Umfra-
rungen unabhängig von ihrer Leistung, aber abhängig                 gezeitpunkt in jedem Land die Länge der Zeit bestimmt,
von der Dauer ihrer Amtsinhabe abnutzen. Das Bild vom               die die Regierung bei der letzten Wahl im Amt war. Das
Abnutzen der Regierung ist jedoch missverständlich: Im              aktuelle Befragungsdatum kam deshalb nicht in Frage,
eigentlichen Sinne ist es wohl die Abnutzung der Wäh-               weil die Frage nach dem Wahlverhalten retrospektiv auf
lergunst im Zeitverlauf. Der amerikanische Wahlforscher             die letzte Wahl bezogen gestellt wurde. Geprüft wurde in
Philip E. Converse hat beispielsweise gezeigt, dass die             einem ersten Schritt, ob die Zufriedenheit mit der Regie-
regionale Stabilität des Wahlverhaltens über Zeit zerfällt          rung und ihren Leistungen umso stärker abnimmt, je län-
(Converse 1969), das gleiche Phänomen lässt sich auch               ger sie im Amt ist. Der Befund ist negativ. In einem zwei-
in Deutschland beobachten (Weßels 1998). Der Zeitab-                ten Schritt wurde das Wahlverhalten in Abhängigkeit von
lauf macht also einen Unterschied. In der öffentlichen              der Amtsdauer einer Regierung untersucht. Hier ergeben
Diskussion, in den Medien und auch im Wahlkampf                     sich klare und statistisch signifikante Effekte. Sie können

Tabelle 2: Wirtschaftslage und Regierungszufriedenheit in verschiedenen Regierungskonstellationen

                                                           Zufriedenheit mit der wirtschaftlichen Situation
                                                           Unzufrieden             So, so                  Zufrieden
                                                           Saldo Regierungszufriedenheit in %-Punkten
 Sozialdemokratische Wähler
  Sozialdemokraten in Regierung ohne Konservative          –41,1                    –1,1                   55,5
  Koalition Sozialdemokraten und Konservative              –54,1                   –18,0                   35,2
  Konservative Regierung ohne Sozialdemokraten             –67,5                   –27,4                     3,2
 Konservative Wähler
  Sozialdemokraten in Regierung                            –68,6                   –32,7                     0,5
  ohne Konservative
  Koalition Sozialdemokraten und Konservative              –41,5                    –3,5                   47,8
  Konservative Regierung ohne Sozialdemokraten             –21,7                    14,7                   64,5
 Sozialdemokratische Wähler
  Differenz sozialdemokr./konserv. Regierung                26,4                                           52,3
 Konservative Wähler
  Differenz konserv./sozialdemokr. Regierung                46,9                                           64,0

Skala Zufriedenheit mit der Wirtschaft: 0 vollkommen unzufrieden; 10 vollkommen zufrieden. Werte wir folgt zusammengefasst:
0, 1, 2, 3 = –1; 4 5 6 = 0; 7, 8. 9, 10 = +1. Die Werte der Tabelle geben an in welchem Ausmaß Unzufriedenheit Zufriedenheit über-
wiegt (negative Werte), oder umgekehrt (positive Werte).

                                                               10
��������������� | Das wählerische Herz schlägt links der Mitte

deshalb auf den bloßen Zeitablauf bezogen werden, weil                                                                   chen diesen Wert selbst nach einer 20-jährigen Amtszeit
ein Zusammenhang zur Regierungsleistung nicht festge-                                                                    nicht. Aber auch zwei Prozentpunkte Verlust können für
stellt werden konnte. Wiederum wurde untersucht, ob                                                                      den Wechsel von der Regierungs- auf die Oppositions-
es parteiwähler- und regierungsparteispezifische Effekte                                                                 bank ausreichen, und die sind bei Sozialdemokraten,
gibt. Das gerechnete Modell bestimmt, in welchem Aus-                                                                    wenn sie ohne Konservative regieren, bereits nach etwa
maß sich die Abgabe der Stimme für eine Partei durch die                                                                 sechs Jahren Regierungsamt erreicht. Was aber an die-
Länge, mit der diese Partei an der Regierung ist, erklären                                                               sen Ergebnissen besonders bedeutsam ist, ist dass sich
lässt. In einem weiteren Schritt wurde geprüft, ob sich die                                                              sozialdemokratische Regierungen ohne konservative Be-
Nichtwahl durch die Länge der Amtsinhabe einer Partei                                                                    teiligung sehr viel schneller »abnutzen« als konservative
erklären lässt. In jedem Modell, für das im Folgenden die                                                                Regierungen ohne sozialdemokratische Beteiligung (s.
Ergebnisse präsentiert werden, sind die Effekte der Re-                                                                  Abbildung 4).
gierungsdauer statistisch signifikant.
                                                                                                                         Regieren Sozialdemokraten und Konservative gemein-
Es zeigt sich, dass sowohl sozialdemokratische als auch                                                                  sam, verschwindet der Unterschied in der »Abnutzung«
konservative Parteien langsam aber stetig an Wähler-                                                                     zwischen beiden fast vollständig. Der Verlauf des Stim-
gunst verlieren, je länger sie im Regierungsamt sind. Die                                                                menverlusts ist dann auch für die Konservativen ähnlich
Abnahme in der Wählergunst ist zwar von einem Jahr                                                                       dem der Sozialdemokraten in Regierungsverantwortung
zum nächsten recht bescheiden und mag nach der üb-                                                                       ohne konservative Beteiligung. Die Verläufe entsprechen
lichen Länge einer Legislaturperiode von etwa vier Jah-                                                                  im Falle derartiger Koalitionen in etwa dem der sozialde-
ren noch bedeutungslos erscheinen. Allerdings sind es                                                                    mokratischen Regierungen in der Abbildung 4.
häufig kleine Margen, die darüber entscheiden, ob eine
Regierung im Amt bleiben kann. So werden fünf Prozent-                                                                   Partiell können diese negativen Entwicklungen durch
punkte Verlust in der Wählergunst bei Sozialdemokraten                                                                   »Abnutzung« mithilfe einer relativ stabilen Personalpoli-
erst nach 12 Jahren erreicht, konservative Parteien errei-                                                               tik abgefangen werden. Anhand verschiedener Modelle

Abbildung 4: Dauer kontinuierlichen Regierens und Entwicklung der Stimmenanteile
bei sozialdemokratischen und konservativen Parteien

                                            0%
                                                                            ,1%

                                                                                           ,2%
                                                                      ,4%

                                                                                                       ,5%
                                                                            –0

                                           –1%
                                                                                                                       ,7%
                                                                                          –0
                                                                                    %
                                                                      –0

                                                                                                                                        ,9%
                                                                                                       –0
                                                                                     ,7

                                                                                                                                                        %
                                                                                                                     –0
 Rückgang Stimmenanteil (Rückerinnerung)

                                                                                  –0

                                                                                                                                                                        %
                                                                                                                                     –0

                                                                                                                                                         ,2
                                                                                                 ,5%

                                                                                                                                                                                     ,6%

                                           –2%
                                                                                                                                                      –1

                                                                                                                                                                         ,4

                                                                                                                                                                                                    ,9%
                                                                                                                                                                      –1
                                                                                                 –1

                                                                                                                                                                                                                    %
                                                                                                                                                                                    –1
                                                                                                               %

                                                                                                                                                                                                                                  %
                                                                                                                                                                                                   –1

                                                                                                                                                                                                                     ,1
                                                                                                                ,3

                                                                                                                                                                                                                  –2

                                                                                                                                                                                                                                   ,4

                                           –3%
                                                                                                             –2

                                                                                                                                                                                                                                –2
                                                                                                                               %,0
                                                                                                                             –3

                                           –4%
                                                                                                                                                %,7
                                                                                                                                              –3

                                                                                                                                                                %

                                           –5%
                                                                                                                                                                 ,5
                                                                                                                                                              –4

                                                                                                                                                                              ,2%

                                           –6%
                                                                                                                                                                              –5

                                                                                                                                                                                             %,0
                                                                                                                                                                                           –6

                                           –7%
                                                                                                                                                                                                            %,7
                                                                                                                                                                                                          –6

                                                                                                                                                                                                                          ,5%

                                           –8%
                                                                                                                                                                                                                          –7

                                                                                      Sozialdemokratisch                      Konservativ
                                           –9%

                                           –10%
                                                  0,01   0,25   0,5         1             2            4             6               8                10              12            14             16             18            20

                                                                                          Jahre der Regierungsbeteiligung in Folge

Schätzwerte aus Regressionsanalyse. Die Unterschiede im Rückgang der Stimmenanteile zwischen sozialdemokratischen und konser-
vativen Regierungen sind statistisch signifikant.

                                                                                                                 11
��������������� | Das wählerische Herz schlägt links der Mitte

wurde geprüft, inwieweit eine zu schnelle Personalro-                                                                               dass eine lange Regierungszeit auf eine Asymmetrie und
tation den Prozess der Abnutzung beschleunigt. Dabei                                                                                Dominanz einer politischen Partei in einem politischen
zeigt sich, dass Kontinuität in der Regierung den Abnut-                                                                            System zurückgeht und damit eine wichtige Motivation
zungsprozess abschwächen kann: Der Effekt der Länge                                                                                 zum Wahlgang fehlt: die Knappheit eines Wahlausgangs,
der Amtsinhabe kann den Effekt der Abnutzung bei                                                                                    der der eigenen Stimme ein zumindest psychologisch an-
Sozialdemokraten erheblich kompensieren, bei Konser-                                                                                deres Gewicht gibt (Feld, Kirchgässner 1998). Das wäre
vativen wird er durch personale Kontinuität in der Re-                                                                              auch mit dem Ergebnis vereinbar, dass dieses Phänomen
gierungsführung sogar überkompensiert, wenn auf die                                                                                 fast gleichmäßig bei sozialdemokratischer und konserva-
jährlichen Effekte abgestellt wird. Allerdings sind diese                                                                           tiver Regierungsbeteiligung auftritt.
Ergebnisse im Vergleich zu den Schätzungen über Ab-
nutzungseffekte nicht besonders stabil und belastbar. Die                                                                           Was sind die Konsequenzen der Ergebnisse? Zum einen
Ergebnisse verweisen darauf, dass eine Kombination von                                                                              zeigen sie, dass möglicherweise auch unabhängig von
langer Regierungszeit und hoher personaler Kontinuität                                                                              der Regierungsleistung Wähler abwandern, wahrschein-
geringere Abnutzung produziert als eine lange Regie-                                                                                lich, aber nicht nur ins Nichtwählerlager. In mittlerer Pers-
rungszeit mit häufigem Personalwechsel.                                                                                             pektive bedeutet das eine Verstärkung der Gefahr der Re-
                                                                                                                                    gierungsrolle und im Grundsatz eine zyklische Entwick-
Was passiert mit Wählerinnen und Wählern, die sich                                                                                  lung der Wählergunst für die Parteien. Entgegensetzen
durch Abnutzungsprozesse von ihren Parteien entfrem-                                                                                können die Parteien dem wohl nur besondere Mobilisie-
den? Die Länge der Regierungsdauer scheint Nichtwähler                                                                              rungsanstrengungen – mit ungewissem Ausgang. Für die
zu produzieren. Wird im Modell Nichtwahl auf Regie-                                                                                 sozialdemokratischen Parteien ist der Abnutzungstrend
rungsdauer regressiert, ergeben sich in etwa gleich starke                                                                          sehr viel stärker als für ihre größten konservativen Kon-
Effekte für sozialdemokratische und konservative Regie-                                                                             kurrenten. Warum das der Fall ist, lässt sich schwer be-
rungsbeteiligung (Abbildung 5). Hieraus kann zwar nicht                                                                             stimmen. Aber dieses Ergebnis passt zu den Ergebnissen
mit Sicherheit der Schluss gezogen werden, Wähler wür-                                                                              hinsichtlich der Zufriedenheit oder Unzufriedenheit mit
den mit zunehmender Regierungsdauer ins Nichtwäh-                                                                                   der ökonomischen Lage im Lande und ihrer Umsetzung
lerlager abwandern, aber unplausibel wäre das aus ver-                                                                              in Zufriedenheit und Unzufriedenheit mit der Regierung:
schiedenen Gründen nicht. Einer davon ist zum Beispiel,                                                                             Sozialdemokratische Wähler scheinen ihre Regierungs-

Abbildung 5: Dauer kontinuierlichen Regierens und Entwicklung der Nichtwähleranteile
bei sozialdemokratischer und konservativer Regierungsbeteiligung

                                                  0%
                                                                                ,2%
 Rückgang der Wahlbeteiligung (Rückerinnerung)

                                                                               ,3%

                                                                                        %

                                                 –1%
                                                                                                %
                                                                                         ,4
                                                                            –0

                                                                            –0

                                                                                                      ,8%
                                                                                                 ,6
                                                                                      –0

                                                                                              –0

                                                                                                              %

                                                                                                                      %
                                                                                                      –0

                                                                                                               ,2

                                                 –2%
                                                                                                                       ,3
                                                                                                            –1

                                                                                                                                      %
                                                                                                                              %
                                                                                                                    –1

                                                                                                                                       ,7
                                                                                                                               ,7

                                                                                                                                                    ,1%
                                                                                                                                    –1
                                                                                                                            –1

                                                                                                                                              %

                                                                                                                                                                  ,5%

                                                 –3%
                                                                                                                                                    –2
                                                                                                                                               ,3
                                                                                                                                            –2

                                                                                                                                                            %

                                                                                                                                                                                ,9%
                                                                                                                                                                  –2
                                                                                                                                                             ,9

                                                                                                                                                                                              %
                                                                                                                                                          –2

                                                                                                                                                                                –2
                                                                                                                                                                          %

                                                 –4%
                                                                                                                                                                                               ,3

                                                                                                                                                                                                              %
                                                                                                                                                                           ,5

                                                                                                                                                                                            –3
                                                                                                                                                                        –3

                                                                                                                                                                                                               ,8
                                                                                                                                                                                      ,1%

                                                                                                                                                                                                                              %
                                                                                                                                                                                                            –3

                                                                                                                                                                                                                               ,2

                                                 –5%
                                                                                                                                                                                      –4

                                                                                                                                                                                                      %

                                                                                                                                                                                                                            –4
                                                                                                                                                                                                       ,6
                                                                                                                                                                                                    –4

                                                                                                                                                                                                                      %,2

                                                 –6%
                                                                                                                                                                                                                    –5

                                                                                                                                                                                                                                    ,8%
                                                                                                                                                                                                                                    –5

                                                 –7%

                                                 –8%
                                                                Sozialdemokratische Regierungsbeteiligung                           Konservative Regierungsbeteiligung
                                                 –9%

                                                 –10%
                                                        0,01   0,25   0,5      1              2             4               6                8           10            12            14             16              18              20
                                                                                                Jahre der Regierungsbeteiligung in Folge

                                                                                                                        12
��������������� | Das wählerische Herz schlägt links der Mitte

parteien stärker zu »bestrafen« und weniger zu »beloh-             innere Sicherheit, gesellschaftlicher Konservatismus, indi-
nen« als dies bei konservativen Wählern der Fall ist.              viduelle Autonomie, hedonistische Orientierungen, Um-
                                                                   weltschutz sowie Gleichheit und soziale Differenzierung.

 5. Sozialdemokratische Wählerprofile?                             Um zu bestimmen, ob und in welcher Weise sich so-
                                                                   zialdemokratische Wähler von konservativen Wählern
Die Ergebnisse zu den Unterschieden in der Beurteilung             abgrenzen, wurden die Indikatoren alle darauf hin be-
derselben objektiven Lage des Gesundheitssystems, des              trachtet, ob sie systematisch und konstant einen relevan-
Bildungssystems und der wirtschaftlichen Lage zwischen             ten Unterschied zwischen Wählerschaften produzieren.
sozialdemokratischen und konservativen Wählern, je                 Mit diesem ersten Schritt wurden zwei Ergebnisse ge-
nach Regierungsbeteiligung, verweisen auf eine politisch           wonnen. Nämlich erstens: es gibt systematische Unter-
»Einfärbung« der Urteile. Dieses in der Wahlforschung              schiede, jedoch zweitens: nicht in allen Bereichen. Die
als partisan bias bezeichnete Phänomen ist schon von               folgenden Ergebnisse berücksichtigen nur die Dimensi-
den Autoren des American Voters, einer in der Disziplin            onen, die systematische und bedeutsame Unterschiede
»klassisch« gewordene Studie beobachtet und seitdem                zwischen Parteiwählerschaften erkennen lassen.
für verschiedene Zeitpunkte, Länder und politische Sys-
teme nachgewiesen worden (Campbell et al. 1960). Das               Unterschiede existieren in den Dimensionen Gleichheit
gilt auch und insbesondere für ökonomische Wahrneh-                und Differenzierung, Toleranz und Integration sowie in-
mungen und Beurteilungen (Fiorina 1981; Bartels 2002).             nere Sicherheit. Keine systematischen und relevanten
Was das inhaltlich meint, dafür sind verschiedene Formu-           Unterschiede existieren in Fragen zur hedonistischen Le-
lierungen mit jeweils etwas anderen Implikationen ge-              bensgestaltung (z. B. »es ist wichtig, eine schöne Zeit zu
funden worden. Eine Perspektive ist, dass die Bindung an           haben«), der individuellen Autonomie (z. B. »es ist wich-
eine Partei für einen Wahrnehmungsfilter sorge, durch              tig, neue Ideen zu haben und kreativ zu sein«), gesell-
den Personen nur das wahrnehmen, was zu ihrer po-                  schaftlichem Konservatismus7 (z. B. »es ist wichtig, Re-
litischen Orientierung passe, und nur eine Realität ak-            geln zu folgen«) und dem Umweltschutz.
zeptiert würde, die sich in Übereinstimmung mit ihrer
Parteiorientierung bringen ließe. Hier liegt die Erklärung         Die Dimensionen, die Differenz erzeugen, sind – zumin-
ganz in der kognitionspsychologischen Annahme, dass                dest bezüglich Gleichheit und Differenzierung sowie Tole-
es ein Bedürfnis danach gibt, Inkonsistenz, also kognitive         ranz und Integration – mit im Kern sozialdemokratischer
Dissonanz zu vermeiden. Eine andere Perspektive ist, dass          Politik. Sie sind es auch, die die stärksten Unterschiede
Unterschiede in den Wahrnehmungen auf Unterschiede                 produzieren. Die Ergebnisse zur inneren Sicherheit kön-
in den Interessen, Werten und generalisierten politischen          nen schnell zusammengefasst werden. Im Unterschied zu
Orientierungen zurückgehen. Ein Bias wäre in diesem                sozialdemokratischen Wählern tendieren konservative in
Sinne keine Realitätsverzerrung zur Herstellung kogni-             statistisch signifikantem Ausmaß zu starken law & order-
tiver Konsonanz, wohl aber ein Filter, durch den die Re-           Maßnahmen. Bezogen auf die hier abgefragten Eingriffe
alität betrachtet wird. Der Filter ist dann quasi ein Maß-         in die Rechtsstaatlichkeit zum Zwecke der Terrorismus-
stab, an dem Realität gemessen wird. Wenn dieses aber              bekämpfung findet sich allerdings weder bei den Sozial-
eine Erklärung für die festgestellten Unterschiede in der          demokraten noch bei den Konservativen eine Mehrheit.
Beurteilung derselben Situation zwischen Wählern un-
terschiedlicher Parteien ist, müssen sich diese Wähler in          Zur Dimension Toleranz und Integration standen zwei
den Wert- und Zielvorstellungen unterscheiden. Gibt es             Fragebatterien zur Verfügung. Die Ergebnisse sind in den
also ein sozialdemokratisches inhaltliches Wählerprofil,           Abbildungen 6 und 7 ausgewiesen. Deutlich stärker als
das sich von dem konservativer Wähler abgrenzen lässt?             konservative Wähler sind sozialdemokratische Wähler für
                                                                   die freie Lebensgestaltung von Schwulen und Lesben.
Der European Social Survey misst eine ganze Reihe von              Zwar ist das in Deutschland wahrscheinlich kein bedeut-
gesellschaftlichen Orientierungen und Werten, aus de-
nen sich klare Implikationen für Politikziele ergeben. Ins-        7. Ein mehr als fünf Prozentpunkte großer Unterschied ist nur in der
gesamt sind es etwa 40 Indikatoren. Sie lassen sich in fol-        Frage zu beobachten, ob es relevant ist, den Traditionen zu folgen (17 zu
                                                                   23 Prozent). Allerdings erachten selbst unter konservativen Wählern das
gende Dimensionen einordnen: Toleranz und Integration,             nur 23 Prozent als wichtig.

                                                              13
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sames Thema, dasselbe lässt sich jedoch nicht für einige            der Regierungen bei der Reduzierung von Einkommens-
Länder Osteuropas sagen. Ferner möchten signifikant                 unterschieden stark zugestimmt wird (Abbildung 8).
mehr Sozialdemokraten als Konservative unabhängig
vom ethnisch-kulturellen Hintergrund »vielen erlauben               Diese Analyse verdeckt allerdings Unterschiede, die zum
hier herzukommen und zu leben« (Abbildung 6). So ist es             Teil deutlicher ausfallen, als es die Ergebnisse hier nahe
nicht verwunderlich, dass, verglichen mit der konserva-             legen. Auch verdeckt sie unterschiedliche Muster in den
tiven Wählerschaft, eine weit deutlichere Mehrheit sozi-            Unterschieden zwischen sozialdemokratischen und kon-
aldemokratischer Wähler davon ausgeht, dass Zuwande-                servativen Wählern in den Ländern.
rer das kulturelle Leben bereichern, eine klare Mehrheit
davon ausgeht, dass Zuwanderer gut für die Wirtschaft               Um der Frage der Unterschiedsmuster und landesspezifi-
sind und immerhin noch die Mehrheit, dass Zuwanderer                scher sozialdemokratischer Profile nachzugehen, wurden
Deutschland lebenswert machen. Dazu passt, dass eine                die Fragen zu den hier angesprochenen Dimensionen alle
deutliche Mehrheit sozialdemokratischer Wähler die Eu-              auf die Höhe der Prozentpunktunterschiede in der je-
ropäische Einigung weitergetrieben sehen möchte, wäh-               weiligen Befürwortung oder Ablehnung zwischen Sozi-
rend bei den konservativen etwa die Hälfte dafür, die               aldemokraten und Konservativen untersucht und die drei
andere Hälfte dagegen ist (Abbildung 7).                            Fragen ausgewählt, die im jeweiligen Land die größte
                                                                    Differenz produzieren. Einstellungen, die in einem der
Wie nun halten es Sozialdemokraten mit der sozialen Dif-            24 Länder zu denjenigen drei gehören, die die größte
ferenzierung und Ungleichheit? Es ist angesichts der Tat-           Differenz produzieren, entfallen auf die Bereiche Soziale
sache, dass hier ein wenn nicht der Kern sozialdemokra-             Differenzierung und Ungleichheit, Toleranz und Integra-
tischer Politik liegt, nicht überraschend, dass sozialdemo-         tion sowie gesellschaftlicher Konservatismus. Einstellun-
kratische Wähler soziale Differenz erzeugende Aspekte               gen zum gesellschaftlichen Konservatismus produzieren
weniger wichtig finden (wichtig, reich zu sein; wichtig             allerdings nur in drei Ländern – Belgien, Ungarn und Por-
erfolgreich zu sein). Allerdings sind die Unterschiede zu           tugal – einen der drei wichtigsten Unterschiede. Einstel-
den konservativen Wählern recht klein. Deutlicher sind              lungen zu Toleranz und Integration liegen in 22 der 24
die Unterschiede in der Frage, ob der Wichtigkeit von               Länder unter denjenigen, die die größte Differenz zwi-
Gleichbehandlung und gleichen Chancen sowie der Rolle               schen sozialdemokratischen und konservativen Wählern

Abbildung 6: Unterschiede in Fragen der Toleranz und Migration zwischen sozialdemokratischen
und konservativen Wählern

  40%
                35%
  35%                                                                                         Sozialdemokr. Wähler
                                                                                              Konservative Wähler
  30%

  25%                    23%

                                             19%
  20%
                                                     16%
  15%                                                                       13%                        12%

  10%                                                                               8%                          7%

   5%

   0%
           Freie Lebensgestaltung f.      Immigranten gleicher          Immigranten anderer       Immigranten aus armen
             Schwulen und Lesben       ethnischer Gruppe erlauben    ethnischer Gruppe erlauben     Ländern erlauben

                                                              14
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Abbildung 7: Unterschiede in Fragen der Zuwanderung und europäische Integration zwischen
sozialdemokratischen und konservativen Wählern

                           30%
  mehr dafür
 als dagegen

                                        27%
                                                                                                                     Sozialdemokr. Wähler
                           25%
                                                                                                                     Konservative Wähler

                           20%
 (Prozentpunktdifferenz)

                           15%
                                                10%                 10%
                           10%
                                                                                                 6%
                            5%
                                                                             1%                                              1%
                            0%
 Mehr dagegen

                           –5%                                                                          –4%
 als dafür

                           –10%

                                                                                                                                   –13%
                           –15%
                                    Zuwanderer bereichern    Europäische Einigung soll      Zuwanderer gut für die      Zuwanderer machen
                                      kulturelles Leben       weitergetrieben werden             Wirtschaft           Deutschland lebenswerter

Antworten wurden auf einer 11-Punkte-Skala gegeben, wobei niedrige Werte Ablehnung, hohe Werte Zustimmung bedeuten. Zu-
sammengefasst wurden die Werte 0, 1, 2, 3 zu –1; 4 5 6 zu 0; 7, 8, 9, 10 zu +1. Ein negativer Mittelwert über diese zusammenge-
fassten Werte zeigt den Anteil an, zu dem ablehnende Meinungen zustimmende Meinungen überwiegen und umgekehrt.

Abbildung 8: Unterschiede in Fragen sozialer Differenzierung und Gleichheit zwischen
sozialdemokratischen und konservativen Wählern

         40%
                                                                                                                            37%
                                 Sozialdemokr. Wähler
         35%                     Konservative Wähler                    34%

                                                               30%                            30%
         30%                                                                                                                        29%

         25%

         20%                                                                                          19%

         15%
                                          11%
                                  10%
         10%

                    5%

                    0%
                             Wichtig, reich zu sein     Wichtig, erfolgreich zu sein        Regierungen sollen         Gleichbehandlung und
                                                                                         Einkommensunterschiede       gleiche Chancen wichtig
                                                                                               reduzieren

Anteil derjenigen, die »stark« zustimmen unter den Antwortvorgaben: stimme stark zu; stimme zu; weder noch; lehne ab; lehne
stark ab.

                                                                                15
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aufweisen, Einstellungen zu sozialer Differenzierung und            lern macht, fallen die Urteile sozialdemokratischer Wäh-
Ungleichheit in 15 der 24 Länder. In Tabelle 3 sind die             ler über die Folgen der Migration allerdings negativer aus
Dimensionen entsprechend eingefärbt: mittleres Grau für             als bei konservativen Wählern. Dies wird in fünf der 24
soziale Differenzierung und Ungleichheit, helles Grau für           hier betrachteten Länder (Tschechien, Finnland, Luxem-
Toleranz und Integration, dunkles Grau für gesellschaftli-          burg, Polen und der Slowakei) in der Frage deutlich, ob
chen Konservatismus.                                                Migration gut für die Wirtschaft sei, in Tschechien und
                                                                    der Slowakei auch in der Frage, ob Migranten eine kul-
Die Ergebnisse verweisen darauf, dass es nicht nur der              turelle Bereicherung darstellen, und in Polen in der Frage,
traditionelle Kern sozialdemokratischer Ziele ist, der so-          ob Migranten das Land besser machen.
zialdemokratische Wähler von konservativen unterschei-
det. Auch in Toleranz- und Integrationsfragen gerade im             Daneben wird in Österreich und Norwegen die europäi-
Kontext zunehmender Migration verweisen die Orientie-               sche Integration von sozialdemokratischen Wählern kriti-
rungen auf spezifische sozialdemokratische Profile. Unter           scher beurteilt als von konservativen. Insgesamt herrscht
den traditionellen linken Zielen ist es vor allem die Erwar-        in der großen Mehrzahl der Länder unter sozialdemokra-
tung an die Regierung, die Einkommensunterschiede zu                tischen Wählern jedoch ein positiveres Urteil in der Frage
reduzieren, die eine Rolle spielt. Dass nur diese »klas-            der kulturellen und wirtschaftlichen Dimension von Mi-
sischen« verteilungsbezogenen Orientierungen bei der                gration vor als unter konservativen Wählern. Damit sind
Abgrenzung von konservativen Wählern eine Rolle spie-               sozialdemokratische Wähler in Fragen von Migration und
len, ist nur in Dänemark der Fall. In der Schweiz, Deutsch-         kultureller Differenz liberaler und offener als konservative
land, Estland, Spanien, Großbritannien, Irland und Slo-             Wähler.
wenien ist es ausschließlich die Dimension Toleranz und
Integration, die die drei Fragen liefert, die die stärkste          Wie stark es immer noch die hoch generalisierte Orien-
Differenz zu konservativen produziert. Im Rest der Länder           tierung auf der Links-Rechts-Dimension der Politik ist, die
ist es immer eine Mischung aus der Dimension sozialer               sozialdemokratische Wähler von konservativen absetzt,
Differenzierung und Ungleichheit sowie Toleranz und In-             zeigt die Selbsteinstufung auf dieser Dimension. Das
tegration bis auf Belgien, Ungarn und Portugal, wo die              Herz sozialdemokratischer Wähler schlägt immer noch
Abgrenzung vom gesellschaftlichen Konservatismus eine               links und zwar in deutlicher Absetzung der konservativen
Rolle spielt.                                                       Wähler (Abbildung 9).

Mit diesen Ergebnissen wird deutlich, dass Orientierun-             Auch hier gibt es eine große Variation in der Stärke der
gen und damit Beurteilungsmaßstäbe sozialdemokrati-                 Differenz zwischen Sozialdemokraten und Konservati-
scher Wähler klar abgrenzbar sind. Ihr Blick auf die Welt           ven. Der zentrale Befund ist jedoch, dass sozialdemokra-
unterscheidet sich von dem der konservativen und er-                tische Wähler – unabhängig von der Stärke der Abgren-
zeugt damit auch andere Urteile über die Zustände in                zung – in keinem der 24 betrachteten Länder auf der
der Gesellschaft. Dass »neuere« Fragen von Ungleich-                rechten Seite jenseits des Mittelwertes liegen. Die Mitte
heit, wie sie im Kontext von Migration und kultureller Dif-         für sozialdemokratisch orientierte Wähler liegt jenseits
ferenz entstanden sind, für sozialdemokratische Wähler              der Mitte auf der Linken.
in ihren Orientierungsprofilen eine prominente Rolle bei
der Abgrenzung zu anderen politischen Lagern spielt, ist
ein Zeichen dafür, dass die Problemagenda an sich ver-              6. Zusammenfassung und
ändernde Problemlagen angepasst wird, ohne mit der                  ­Schlussfolgerungen
generellen Orientierung auf Probleme von Ungleichheit
und Differenz zu brechen.                                           Wie zufrieden sind sozialdemokratische Wähler mit ihren
                                                                    Parteien? Gibt es überhaupt noch sozialdemokratische
Allerdings ist das Bild nicht vollkommen einheitlich. In            Wähler im Sinne von Bürgern, die sich in ihren politi-
neun der insgesamt 38 Fälle, bei denen die Migrations-              schen Zielvorstellungen und Orientierungen von ande-
frage in ihren unterschiedlichen Aspekten (gut für die              ren Wählern abgrenzen? Das sind die beiden generel-
Wirtschaft, die Kultur, das Land) eine wichtige Differenz           len Fragen, denen hier nachgegangen wurde. In einem
zwischen sozialdemokratischen und konservativen Wäh-                Vergleich von Wählern der größten konservativen Kon-

                                                               16
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