Zum 18. April 2021 - 500 Jahre Reichstag in Worms Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen. (Apg. 5,29)

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Zum 18. April 2021 – 500 Jahre Reichstag in Worms
Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.
                    (Apg. 5,29)

Statt einer Predigt

Liebe Gemeinde,
die Pandemie hat uns fest im Griff. Jetzt ist es wieder so weit und wir setzen
sogar unsere Gottesdienste aus – das tun wir aus rücksichtsvoller Vorsicht, denn
die Inzidenzzahlen steigen, trotz Einschränkungen, eigentlich auf unerklärliche
Weise, und das macht es so unheimlich und auch so aussichtslos. Wann wird das
endlich ein Ende haben? – Wir wissen es nicht, vermutlich brauchen wir noch
eine ganze Menge Geduld.
Vielleicht hilft es uns, wenn wir nicht vergessen, wie gut wir es trotz allem noch
haben. Unser Gesundheitssystem gehört zu den besten der Welt (auch wenn es
jüngst ziemlich viele Versorgungspannen gegeben hat), wir haben zu essen und
ein Dach über dem Kopf und die Aussicht auf baldige Impfung. Materiell fehlt
es den meisten von uns – im Gegensatz zu so vielen Menschen auf der Welt – an
nichts.
Ja, die Gemeinschaft fehlt uns; der unbeschwerte Umgang miteinander; die
Freiheit, zu gehen, wohin man will und zu treffen, wen man will…

Freiheit – lassen Sie mich mit diesem Stichwort einen großen Sprung in der
Geschichte machen. Ins Jahr 1521. Am 18. April, also heute genau vor 500
Jahren steht Martin Luther auf dem Reichstag zu Worms vor Kaiser, Kirche,
Reichsfürsten und Vertretern der Reichsstädte.
Er hat eine schlaflose Nacht hinter sich (wenn man dem Lutherfilm von 2003)
glauben will, dann war er in der Nacht mit Höllenqualen und Todesängsten
geplagt. Den Tod musste er erwarten, wenn er nicht bereit war, seine Thesen
und seine Schriften zu widerrufen.
Ich finde, der o.g. Lutherfilm (er ist nun schon wieder einige Jahre alt) macht
eindrücklich deutlich, dass es um Leben und Tod ging und wie schwer die
Entscheidung für Luther gewesen sein muss.

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Und ich frage mich bei dieser Szene immer, wie ich mich wohl entschieden
hätte. Ich fürchte, ich wäre vor Todesangst eingeknickt. Das denke ich auch,
wenn ich mir überlege, welche Rolle ich im 3. Reich eingenommen hätte, hätte
ich damals schon gelebt. Wäre ich – wie Sophie Scholl – bereit gewesen, mein
junges Leben zu lassen? Oder hätte ich – wie meine Großmutter einst – mit dem
Omnibus* die Heimbewohner von Winnenden nach Grafeneck gefahren, weil
man ihr angedroht hat, ihr mit dem Omnibus die Existenzgrundlage zu nehmen;
und vielleicht wäre sie sogar verhaftet worden. Zu Hause waren vier kleine
Kinder, was wäre aus ihnen geworden? Meine Oma kam nach den Fahrten
immer weinend nah Hause, sie wusste, was in Grafeneck geschah.
Wenn die Angst umgeht, wird der Mut ganz klein. Und ja, ich weiß nicht, ob ich
in solchen Fällen die Angst besiegen würde.

Zurück zu Luther vor 500 Jahren. Da war von Demokratie keine Rede. Und ja,
er musste um Leib und Leben fürchten. Und gewiss hat er große Ängste
durchlitten. Aber Martin Luther hat die Angst besiegt. Dabei hat ihn wohl dieser
Satz aus der Bibel bestärkt:
Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen. (Apg. 5,29)
So hat er sich nach am 18. April 1521 vor den Reichstag gestellt und Folgendes
gesagt:

 "Wenn ich nicht durch Zeugnisse der Schrift und klare Vernunftgründe
überzeugt werde… so bin ich durch die Stellen der heiligen Schrift, die ich
angeführt habe, überwunden in meinem Gewissen und gefangen in dem Worte
Gottes. Daher kann und will ich nichts widerrufen, weil wider das Gewissen
etwas zu tun weder sicher noch heilsam ist. Gott helfe mir, Amen!"
„Ich war zum Glück noch nie in einer Situation, in der mir jemand etwas
befiehlt, das ich aus Gewissensgründen nicht ausführen möchte“, schreibt mir
eine Freundin dieser Tage.

Und sehen Sie, da bin ich wieder bei dem Begriff „Freiheit“.

In welch guten Zeit und in welch nach wie vor gutem Land leben wir, dass
unsere Gewissensfreiheit geschützt ist – bis hin zum Demonstrationsrecht in
diesen Zeiten, wo man sich eigentlich nicht mehr versammeln sollte. Ich bin
nicht dabei, aber ich halte es für wichtig, dass wir so wenig wie möglich in
unseren bürgerlichen Rechten eingeschränkt werden.
(Eine andere Frage ist die, ob man alles muss, was man kann oder ob in aller Freiheit nicht die
Rücksicht auf die Schwachen ganz wichtig ist. Für uns ist es wichtig, deshalb verzichten wir jetzt –
wenn auch schweren Herzens - auf unsere Gottesdienste. Aber das nur nebenbei gesagt).
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Das Ereignis in Worms ist ein wesentlicher Meilenstein zur Demokratisierung in
der Welt, es ist die Aufforderung und Ermutigung, selbst zu urteilen, sich sein
eigenes Bild zu machen und seinen Überzeugungen zu folgen. Luther hat nach
Worms auch und gerade zu diesem Zweck auf der Wartburg die Bibel ins
Deutsche übersetzt und die Reformation hat Schulen für alle Kinder (übrigens
auch für Mädchen) eingeführt, damit sie Schreiben und lesen lernen und ihnen
niemand mehr ein „x“ für ein „u“ vormachen kann.

+ Sich eine eigene Meinung bilden,
+ sich seinem Gewissen verpflichten,
+ Gott mehr zu gehorchen als den Menschen.
Das alles sind reformatorische Ideale, mit der die Welt damals ihre ersten
Schritte in die Moderne unternommen hat. Das sind Ideale, die sich an mündige
Menschen richten und uns zutrauen, dass wir unser Leben in die eigene Hand
nehmen; Es sind Grundsätze, die uns zutrauen, dass wir als Christ*innen in der
Nachfolge Jesu Verantwortung übernehmen für uns und unsere Welt.
Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen -

Ich habe einige meiner Freund*innen und Bekannten gefragt, was sie mit diesem
Satz (für sich heute) anfangen und eine in ihrer Kirche sehr engagierte
katholische Frau schrieb mir darauf:

„… es ist ganz schwer, diesen Satz zu leben.
Für mich bedeutet er…, sich nach dem Leben und Sterben Jesu auszu-
richten. Wir als Christ*innen, ob einfach oder mit Amt, sollten das umsetzen
was er uns vorgelebt hat: Die Liebe zu allen Menschen, zu den Schwachen,
Gestrauchelten, Ausgegrenzten; die Würde aller Menschen achten“.

Und eine andere Frau schreibt:
„Grundsätzlich Gott m e h r als den Menschen ge-horch-en
Das macht f r e i … und gebe mich damit zu erkennen, dass ich nicht an
irdische Machenschaften gebunden bin, sondern hören will, im Horchen auf
Gott hören will, was mir aufgetragen ist. Von höchster Stelle. Unabdingbar.
Unzweifelhaft von höchster Stelle, von nichts und niemandem zu toppen.

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Es ist ein höherer Bund, der da geschlossen wird, zwischen mir und „meinem“
Gott, unserem Gott, zwischen uns allen und ihm…“

Ich finde, das ist wunderschön gesagt. Wenn Gott mit mir im Bund ist, gibt es
nichts mehr zu fürchten.
Martin Luther muss sich dieses Bundes im Worms sicher gewesen oder
geworden sein. Im Bund mit Gott schwindet die Angst und er findet die Kraft,
nicht zu widerrufen.

Was für ein starker Glaube setzt sich da durch, was für ein riesiges
Gottvertrauen, die ihn zu „zivilem“ Ungehorsam befähigen! Sein Gehorsam gilt
Gott, der „unzweifelhaft höchsten Stelle, die durch nichts zu toppen ist“.

Und wir? Wo stehen wir und wem gehorchen wir am meisten?

Ich kann und will diese Frage nicht für Sie beantworten. Aber ich würde mich
freuen, wenn Sie daran weiterdenken.

Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen!
Was sagen Sie dazu? (Wenn Sie wollen, lassen Sie’s mich wissen unter:
barbara.vollmer@elkw.de)

Ihre

Barbara Vollmer, Pfarrerin

(*meine Großeltern hatten schon vor dem Krieg einen Omnibus und meine Eltern haben später die Firma
weitergeführt).

Anmerkung: Martin Luther erregt heute viel Irritation durch seine schlimmen Äußerungen z.B. gegen die Bauern
und vor allem auch gegen die Juden. In diesem Punkten war und blieb er viel zu sehr Kind seiner Zeit. Ich kann
und will diese Äußerungen nicht rechtfertigen, zumal sie eine fatale Wirkungsgeschichte hatten. Aber ich fände
es auch nicht recht, Martin Luthers Tapferkeit in Worms, seine theologischen Erkenntnisse und deren im
wahrsten Sinne des Wortes „weltbewegenden“ Folgen klein zu reden. Vielleicht hilft es uns zur Milde, wenn wir
uns klar machen, dass auch Martin Luther ein Mensch mit Schwächen und Fehlern war – so wie wir alle. Und
dennoch verdanken wir ihm viel.

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Martin Luther in Worms
Die Vorgeschichte

Luther, bereits durch den Kirchenbann quasi zum Ketzer erklärt, wird vom
Kaiser auf Druck einiger Fürsten, die versuchten Luther für ihre Ziele zu nutzen,
nach Worms geladen. Dort soll Luther nach dem Willen der Kirche und auch
des Kaisers seine Lehren widerrufen. Die Fürsten, die Luther unterstützen,
hoffen durch die bevorstehenden Ereignisse, die politische Macht Roms in
Deutschland zu schwächen. Auch fordert Luthers Landesfürst, der mächtige
Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen, dass Luther nicht ohne Anhörung
geächtet und verhaftet wird.

Die Reise nach Worms

Luther begibt sich am 02. April 1521 auf die Reise nach Worms. Schon die
Anreise zum Reichstag jedoch wird nicht zu dem von der Kirche erhofften
Bußgang. Die Fahrt nach Worms gleicht eher einer Triumphfahrt, aller Orten
wird Luther mit Begeisterung empfangen. Er predigt in Erfurt, Gotha und
Eisenach. Und auch in Worms, wohin er am 16. April gelangt, wird er vom Volk
umjubelt empfangen.

Auf dem Reichstag

Luthers Auftreten auf dem Reichstag wird als sachlich, klug und überlegt
beschrieben. Er muss zweimal vor dem Kaiser erscheinen, jedes mal wird ihm
deutlichst nahegelegt, seine Lehren zurückzunehmen, Luther jedoch sieht keinen
Beweis gegen seine Thesen und Ansichten, der ihn bewegen könnte, seine
Thesen zu widerrufen:

"wenn ich nicht durch Zeugnisse der Schrift und klare Vernunftgründe
überzeugt werde; denn weder dem Papst noch den Konzilien allein glaube ich,
da es feststeht, dass sie öfter geirrt und sich selbst widersprochen haben, so bin
ich durch die Stellen der heiligen Schrift, die ich angeführt habe, überwunden in
meinem Gewissen und gefangen in dem Worte Gottes. Daher kann und will ich
nichts widerrufen, weil wider das Gewissen etwas zu tun weder sicher noch
heilsam ist. Gott helfe mir, Amen!"

Der berühmte Ausspruch "Hier stehe ich und kann nicht anders!" stammt nicht
von Luther.

"Ich bin hindurch"

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Nachdem er den Verhandlungssaal verlassen hat, ruft er erleichtert "Ich bin
hindurch." Und er ist auch erst einmal hindurch: Luther wird entlassen, jedoch
nicht verhaftet, da ihm der Schutzbrief für 21 Tage freies Geleit zusichert. Er
begibt sich am 25. April auf die Rückreise. Als er und die ihn unterstützenden
Fürsten Worms verlassen haben, verhängt der Kaiser über Luther die Reichsacht
(Wormser Edikt): er ist nun vogelfrei. Auf der Rückreise läßt Kurfürst Friedrich
der Weise Luther am 04. Mai "entführen" (Luther hatte vorher davon Kenntnis).
Dies geschieht einerseits um Luthers Sicherheit zu garantieren, andererseits um
ihn kurzzeitig von der Bildfläche verschwinden zu lassen - sogar das Gerücht
vom Tode Luthers grassiert. Auch dient diese Aktion dem Kurfürsten vor allem
dazu, sich selbst nicht zu gefährden, da der Fürst ja einem Geächteten und
Ketzer Unterschlupf gewärte.

Luther wird auf die abgeschiedene Wartburg gebracht und die reformatorische
Bewegung hat Zeit, sich zu festigen.

Quelle: https://www.worms.de/de/kultur/stadtgeschichte/wussten-sie-
es/liste_religionen/2006-11_luthers-wahre-worte.php?fontsize=Extralarge

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