Der Computer ist kein Fernseher - Untersuchungen zum medienadäquaten Produzieren von Film und Video
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FACHMEDIEN Der Computer ist kein Fernseher Untersuchungen zum medienadäquaten Produzieren von Film und Video Zusammenfassung: auf die Zusammenarbeit wecken sollte, war von Es gibt inzwischen einige Literaturangaben dar- Anfang an geplant, auch Videoelemente zu inte- über, wie man „richtig“ drehen sollte, wenn ein grieren. Während der Produktion der CD-ROM Fernsehfilm oder auch ein Werbevideo produ- sind jedoch verschiedene Probleme aufgetreten. ziert wird. Aber: Gibt es darüber hinaus Regeln, Es begann mit der Frage, welche audiovi- die für Videosegmente auf dem Computermoni- suellen Elemente eigenhändig produziert wer- tor beachtet werden müssen, also beispielsweise den sollten. Dass wir Interviews selbst drehen für Filmclips im Kontext eines Webangebots? mussten, war einleuchtend. Für landeskundliche Unterscheiden sich diese Regeln möglicherweise Informationen oder Stadtansichten der Hoch- von dem, was für Video und Fernsehen gilt? Wie schulorte schien es aber von Vorteil zu sein, müssen Videoclips für computergestützte Medien bereits vorhandenes, gutes Material zu nutzen, aufbereitet werden, um die beste Wirksamkeit zu beispielsweise Videos der Touristikämter oder erzielen? Wann ist ihr Einsatz medienadäquat? Ausschnitte aus Spielfilmproduktionen. So war Dieser Artikel stellt die wichtigsten Erkenntnisse es möglich, bei der Einführung in den Hoch- zum „medienadäquaten Produzieren von Film schulort Nancy Szenen aus dem Spielfilm „Une und Video“ vor. Entscheidend sind Probleme der femme française“ einzubauen. Der Film stellt Dramaturgie und der Filmplanung. Die Unter- die jüngere französische Geschichte gespiegelt schiede beziehen sich auch auf formale Aspekte am Schicksal einer Frau (der „femme françai- wie die Filmlänge, die Bildgestaltung und das se“) aus Nancy dar. In ihrem Heimatort spielen Schnitttempo. Sie werden an wichtige Szenen, etwa auf der Beispielen aus der Arbeit an „Bildgröße und -distanz „Place Stanislas“. Der Platz einem Multimedia-Projekt zum Zuschauer sind wurde von der UNESCO zum beschrieben. Weltkulturerbe gekürt, und die Gründe dafür, dass die Kameraarbeit von François Um Informationen zu über- Bewegtbilder für den PC- Catonné stellt ihn adäquat mitteln, werden zunehmend Monitor anders gestaltet dar. Catonné ist einer der multimediale Angebote einge- angesehensten Kameramänner setzt, im Dienstleistungssektor, werden müssen als für Frankreichs. Mit Régis War- besonders beispielsweise in der Kino oder Fernsehen.“ gnier drehte er „Indochina“, Touristik-Branche, aber zuneh- eine Produktion, die 1992 den mend auch an Hochschulen, bei Biologen oder Oscar als bester fremdsprachiger Film erhielt. Psychologen, oder im Kontext fremdsprachlicher „Une femme française“ war die Folgeproduktion, Philologien, etwa bei Materialien, die sich auf die 1994 entstanden. Was lag näher als der Gedanke, Landeskunde beziehen. Aus dem Zusammenhang den Clip über den Hochschulstandort Nancy einer CD-ROM-Produktion mit Videosegmen- damit zu eröffnen? Bevor wir aber die Prozedur ten stammen auch die folgenden Beobachtungen. auf uns nehmen wollten, offiziell um die Rechte Die CD-ROM wurde im Rahmen eines nachzufragen, digitalisierten wir versuchsweise Projekts erstellt, das von der EU-Kommission einige Szenen. Dabei fiel überraschenderweise innerhalb des „Interreg 2-Programms“ finanziert auf, dass die Wirkung auf dem Computer-Moni- wurde. Ziel war es, Informationen, die notwendig tor nicht überzeugend war. So sahen wir uns sind, um die Zusammenarbeit von deutschen und gezwungen, eigene Bilder zu drehen. – Aber jetzt französischen Hochschulen und Studierenden war die Neugier geweckt: Wieso wirkt das Mate- zu verbessern, zu sammeln und multimedial zu rial Catonnés nicht auf dem Computer-Monitor? präsentieren. Dazu zählte unter anderem die Dar- Diese Fragestellung war zugleich theoretisch wie stellung der französischen Hochschullandschaft. anwendungsorientiert, denn wir wollten natür- Da keine sterile Zusammenfassung beabsichtigt lich wissen, worauf wir bei unseren Dreharbeiten war, sondern eine lebendige Vorstellung, die Lust achten sollten. Fachjournalist 17 Nr. 2 / 2006
FACHMEDIEN Weitere Fragen warf ein Problem auf, das wir mit einer anderen Filmsequenz hatten. Wir interviewten die Präsidentin der Universität Metz, die Informationen zur französischen For- schungslandschaft geben sollte. Von der filmi- schen Herangehensweise schien diese Sequenz problemlos zu sein – tatsächlich entspricht der Bildaufbau sozusagen dem Standard einer sol- chen Szene in einem Fernsehbericht: Während ihrer Aussage war die interviewte Person groß im Bildmittelpunkt zu sehen. Für die Fragen gab es Schnitte. Nun war die Interviewerin im Anschnitt zu sehen, die Interviewpartnerin befand sich auf der anderen Seite des Bildes. Der Bildaufbau war jetzt also nicht mehr zentral, sondern bipolar; keine Großaufnahme, sondern eine Halbtotale. Trotz ihrer Alltäglichkeit verursachte diese Szene bei einigen Testnutzern der CD-ROM Schwierig- keiten. Woran lag es? Wir haben verschiedene Test- präsentationen und teilstrukturiert geführte Tiefen-Interviews durchgeführt. Das hat uns Abb.: Schema der Nutzersituation bei Hinweise gegeben, die zu den folgenden theoreti- unterschiedlichen Bewegtbildmedien schen Aussagen geführt haben. haben sie beispielsweise nicht ganz die Größe Nutzungsbedingungen der unterschiedlichen eines Viertelbildschirms. Dies ist im Übrigen Bildmedien nicht mehr nur technisch bestimmt, sondern Die Ursache scheint gerade in der Tatsache zu resultiert aus der Absicht, das Videobild in eine liegen, dass die Bilder eben nicht auf der Kino- multimediale Umgebung einzufügen. Der Hin- leinwand oder dem Fernsehbildschirm, sondern tergrund – der Rahmentext, ein Navigations-Fra- dem Computermonitor zu sehen waren. Dabei me, auch weitere Informationen wie zusätzliche sind vor allem zwei Aspekte von Bedeutung: die Bilder oder Animationen – soll sichtbar bleiben, Entfernung, in der die Zuschau- da die Videosequenz in diesem er vor dem Bild sitzen, sowie „Die Multimedialität Kontext als Ergänzung gedacht die Bildgröße. Die jeweilige der neuen Medien führt ist. So führt gerade eine der Nutzung sollte nun, unseren wichtigsten Charakteristika der Untersuchungen zufolge, Aus- dazu, dass das Videobild neuen Medien, die Multimedi- wirkungen auf die Produktion auf dem Computer- alität, dazu, dass das Videobild von Filmen für die einzelnen Monitor vermutlich nur auf dem Computermonitor Medien haben. vermutlich nur ein kleines Fens- Da das Kinobild groß ist ein kleines Fenster in ter in einer bunten, vielfältigen und die Zuschauer es unge- einer vielfältigen Umge- Umgebung bleiben wird. stört sehen können, kann es bung bleiben wird.“ Demzufolge sind auch die sehr detailreich sein – es muss Möglichkeiten der Ablenkung vermutlich sogar detailreich sein, um nicht zu groß. Wir haben es also mit zwei Effekten zu tun, langweilen. Massenszenen und totale Land- die sich gegenseitig verstärken. Auf der einen schaftsaufnahmen gelten deshalb als charakteris- Seite ist das Bild klein und daher weniger wirk- tisch für das Kino. Schon beim Fernsehen und sam. Die Zuschauer müssten sich also noch mehr erst recht beim Computer ist das anders, geradezu auf das Videoframe konzentrieren – aber tat- konträr zum Kinobild. Beim Computer sind die sächlich werden sie von den vielfältigen anderen Frames ausgesprochen klein; bei unserer CD- Angeboten auf demselben Bildschirm noch mehr ROM mit den Informationen über Lothringen abgelenkt. In jedem Fall fanden es die befragten Fachjournalist Nr. 2 / 2006 20
FACHMEDIEN Studierenden recht mühsam, dem detailreichen merksamkeit zu wahren, muss das Auge, solange Bild in einem kleinen Frame auf einem bunten der Film läuft, immer wieder geführt werden – es Schirm über längere Zeit aufmerksam zu folgen. sucht sich sonst zu leicht eine andere Anregung. Hinzu kommt, dass es zum Computermoni- Das scheint verschiedene Gründe zu haben. Viele tor kaum noch Distanz gibt. Die Gründe dafür Nutzer lassen unterschiedliche Anwendungen können erneut in einem Charakteristikum des parallel laufen und blicken woandershin, wenn Computers gesehen werden: der Möglichkeit und die visuelle Darstellung uninteressant wird. Häu- in der Regel ja auch der Notwendigkeit der Inter- fig hören die Nutzer dann noch den Ton der aktivität. Die Nutzer müssen Videosequenz. Subjektiv haben Icons oder Hyperlinks exakt mit „Die Nutzer betrach- sie dadurch möglicherweise gar der Maus treffen. So führt gerade ten in der Regel gezielt den Eindruck, den Inhalt weiter die Vielseitigkeit des Compu- verfolgen zu können. Wenn das ters zwangsläufig sogar zu einer nur einen Bereich des Ziel einer Videoproduktion aber Verengung der Aufmerksamkeit. Bildschirms, oftmals war, mit der visuellen Ebene wei- Das haben alle interviewten Stu- tere Informationen zu verknüp- gar nur einen Punkt.“ dierenden ausnahmslos bestätigt. fen (und dies sollte ja so sein), Die Nutzer betrachten in der Regel gezielt nur können die Informationen gar nicht vollständig einen Bereich des Monitors, oftmals gar nur einen aufgenommen werden – von der Tatsache einmal Punkt. Bei den Videosequenzen ist dies ganz ein- abgesehen, dass auch die Konzentration auf den deutig der Handlungsmittelpunkt. Ton durch das Betrachten anderer Anwendungen Dies scheint die Ursache für die Irritationen zweifellos begrenzt ist. der Studierenden bei den aufgezeichneten Inter- Die beste Möglichkeit, die Aufmerksamkeit viewpassagen gewesen zu sein. Die Einstellung, immer wieder ans Bild zu binden, liegt in der die die Interviewpartnerin im Bildmittelpunkt Erhöhung des Schnitt-Tempos. Diese Maßnahme gezeigt hat, war länger zu sehen (weil die Aus- gibt den Zuschauern den Eindruck, sie dürften sage recht wichtig war), so dass sich die Nutzer nicht wegsehen, wenn sie nicht das Gefühl haben buchstäblich auf sie „eingestellt“ hatten. Mit dem wollen, etwas zu verpassen. Wir haben im Rah- Umschnitt mussten sie sich umorientieren. Daher men unserer Experimente verschiedene Clips hatten sie ihre Schwierigkeiten mit dem scheinbar unterschiedlich schnell geschnitten. simplen Sprung von einem Bildzentrum auf die So hatten wir die Bilder aus Metz in einem bipolare Bildgestaltung. schnellen Tempo montiert. Die durchschnitt- Wie kann man darauf reagieren? Zunächst liche Länge lag hier bei etwa zwei Sekunden; soll der Begriff der „zuschauerfreundlichen teilweise war sie auch noch kürzer. Erneut hatten Mediendramaturgie“ von Hertha Sturm auf- wir die Studierenden um eine Bewertung gebe- gegriffen werden: Hier kann dies bedeuten, ten. Keinem schien das Schnitt-Tempo zu hoch dass die Nutzer auf jede Verlagerung des Hand- zu sein, auch nicht auf gezielte Nachfrage; alle lungsmittelpunkts vorbereitet werden. Grund- betrachteten es vielmehr als angemessen oder gar sätzlich ist dies nicht schwer; geeignete Mittel als Voraussetzung, um interessiert zuzusehen. sind etwa leichte Schwenks in die Richtung, auf Dennoch deuten die Aussagen der Studie- die sich die Zuschauer nach dem nächsten Schnitt renden auch darauf hin, dass Videosequenzen in konzentrieren sollen (das ist die Lösung mit der einem Computer-Frame – selbst nach Anwen- Kamera), oder Bewegungen des Handlungsträgers dung aller diskutierten Möglichkeiten – nicht zu der Stelle im Frame, wo nach dem Umschnitt sehr lange konzentriert zugesehen wird. Die auch der neue Handlungsmittelpunkt sein wird Zuschauer empfinden es offenbar als unan- (die inszenatorische Lösung). In beiden Fällen genehm, zu lange auf exakt einen Punkt oder ist aber ein Storyboard mit genauer Planung des zumindest einen kleinen Bereich des Monitors jeweiligen visuellen Schwerpunkts unumgänglich zu blicken. Das strengt an, und zumindest die – ein Storyboard, das sich insbesondere auf die befragten Studierenden waren relativ schnell Gestaltung der Übergänge bezieht. ermüdet – und dann auch durch noch so plaka- In diesem Zusammenhang scheint ein weiterer tive Bilder und schnelle Schnitte nicht mehr ans Aspekt von Bedeutung zu sein. Um auf dem bun- Videobild zu fesseln. Unsere Befragungen lassen ten, viel gestalteten Computermonitor die Auf- vermuten, dass Clips, die länger als zwei Minu- Fachjournalist 21 Nr. 2 / 2006
FACHMEDIEN ten sind, so gut wie nie zu Ende gesehen werden; inhaltliche Darstellung sollte dem Prinzip der konzentriert auf eine Stelle blicken die meisten ergänzenden Variation folgen. Die Filme sollten nicht länger als lediglich etwa eine Minute, auch also monothematisch sein. Natürlich darf „Mono- nicht bei Inhalten, die sie interessieren. thematik“ dabei nicht Wiederholung bedeuten. Schließlich gibt es noch einen letzten bedeut- Auf keinen Fall dürfen diejenigen Nutzer, die samen Punkt: die neue Möglichkeit, selbst in den sich den Film in Gänze ansehen, bestraft werden. Videoclip interaktiv einzugreifen. Häufig haben Vielleicht sollte daher eher vom Ziel der sinnhaf- die Studierenden den Regler genutzt, um auf der ten (und visuell abwechslungsreichen) Variation Zeitachse zu navigieren, nach einer in der Regel gesprochen werden. übrigens relativ geringen Zeit. Meist sind sie ans Ende der Videosequenz gefahren, um zu sehen, Regeln für eine mediengerechte Filmproduktion wie der Clip endet. Als problematisch erwies Jedes Medium hat also seine Charakteristika; es sich aber, wenn sie wieder zurück „in“ den mehr noch: seine Regeln, die zu kennen Voraus- Film wollten. In der Regel gingen sie nicht zum setzung einer angemessenen, medienadäquaten Anfang zurück: Den hatten sie ja schon gesehen. Produktion ist. Insgesamt haben wir folgende Nun wollten sie Langeweile und Wiederholung Felder herausarbeiten können, in denen sich diese vermeiden und suchten in etwa die Stelle, an der unterschiedlichen Charakteristika auswirken. sie zunächst die Anwendung verlassen hatten. Erstens, die Bildgröße. Das Kinobild ist groß Zumeist fanden sie aber einen anderen, neuen und – deshalb – häufig detailreich. Dagegen Einstiegspunkt und schauten von dort weiter. ist die typische Einstellung des Fernsehens die Die Tatsache, dass Filme häufig nicht von Halbtotale, häufig auch die Großaufnahme. Auf Anfang bis Ende, chronologisch, sondern nur dem Computer-Monitor scheint nun kaum etwas in Ausschnitten gesehen werden, kann ten- anderes zu funktionieren – hier ist eine Großauf- denziell den Verzicht auf eine eben chronolo- nahme, ein Close-up nahezu die einzige Einstel- gische, auf eine Pointe oder eine Konsequenz lungsgröße, die tatsächlich mediengerecht ist. hinzielende Darstellungsweise nahe legen. Die Um das große Kinobild aufnehmen, erfassen und wirken lassen zu können, sind zweitens lange Kino TV Computer Einstellungen sinnvoll. Im Gegensatz dazu: das Fernsehen. Angesichts der schlechteren Chancen Totale (z. B. Halbtotale Großaufnahme Bildgröße Landschaften, (allein aufgrund des viel kleineren Bildschirms), Massenszenen), detailreich detailarm detailarm alle Details aufnehmen zu können, wirken lange Einstellungen beim Fernsehen viel weniger – lange historisch: schnelle Schnitt Einstellungen lange Schnitte, wenn das Bild unübersichtlich wird, kann gar Einstellungen ‚Clip’-Rythmus Langeweile entstehen. Eine Antwort auf diesen – aber: MTV Effekt kann nun eben darin bestehen, schnelle (szenische) Keine Planung! (formale) Filmplanung Planung von Kamera Planung von Schnitte als Eye-Catcher einzusetzen. Beim Vide- Einstellungen reagiert Übergängen lediglich! (Kamera- oclip für den Computer ist nun das plakativere, (charakteris- bewegungen kognitiv leichter zu erfassende Bild, das deshalb tische Formen: Objekt- Reportage bewegungen) aber tendenziell auch schneller geschnitten wer- Dokumentation Talk-Show den muss, die – offenbar – einzige mediengerechte � 90’ ca. 20’ bis 45’ � 2’ Alternative. Filmlänge Um weitere Irritationen zu vermeiden, sollte drittens beim Computer jede Verlagerung des chronologisch historisch: Chronologie ist Handlungsschwerpunkts durch eine genaue Pla- Dramaturgie erzählend chronologisch problematisch erzählend – Varianten nung des Bildaufbaus aufgefangen werden. Als des Gleichen (Geschichten!) – aber: Talk- fernseh-typisch möchte ich dagegen die aktuelle Shows Daily Soaps: Dokumentation mit einer die Realität begleiten- Verzicht auf Verzicht auf Kontext und Kontext und den Kamera nennen, ebenso wie die Talk-Show; Geschichte Geschichte charakteristisch wären also Formen, bei denen Tab.: Systematik des medienadäquaten Publi- der genaue Bildaufbau im Vorfeld nicht geplant zierens von Bewegtbildern in unterschiedlichen werden kann, so dass auch die Gestaltungsmög- Formaten lichkeiten des Kameramanns tendenziell begrenzt Fachjournalist Nr. 2 / 2006 22
FACHMEDIEN sind. Dagegen sind für das Kino gerade die genaue dem möglicherweise anrührenden Eindruck einer Planung und die szenische Erarbeitung von Ein- Spielproduktion verglichen werden können. Aus stellungen symptomatisch. diesem Grund glaube ich des Weiteren auch nicht, Unterschiede gibt es viertens auch hinsichtlich dass eines der Medien die anderen ersetzen kön- der typischen und jeweils notwendigen Länge der nen wird; wir müssen also auch von daher kein Filme. Spielfilme sind im Schnitt über 90 Minuten Medium gegen ein anderes ausspielen. lang. Das Kino muss relativ lange Filme bieten, Aber gerade der Anlass unserer Untersu- da ansonsten der Aufwand, für eine Vorführung chungen hat gezeigt, warum es wichtig ist, sich die Wohnung zu verlassen, wie auch die Höhe der der unterschiedlichen Medien und ihrer unter- Eintrittspreise nicht begründbar wären. Fernseh- schiedlichen Ästhetiken und unterschiedlichen produktionen sind deutlich kürzer, Videosegmen- Nutzungsformen bewusst zu werden. Wären uns te für den Computer sollten nicht länger als zwei diese theoretischen Überlegungen beispielsweise Minuten sein. schon zu Beginn der Produktion unserer CD- Schließlich gibt es Unterschiede bei der inhalt- ROM klar gewesen, hätten wir gar nicht erst ver- lichen Gestaltung. Spielfilme erzählen Geschich- sucht, François Catonnés Bilder einzubauen – ten. Seitdem das „Zappen“ üblich und uns wäre eine Enttäuschung geworden ist, wird jedoch schon „Die Zuschauer emp- erspart geblieben. Dieser Ein- beim Fernsehen immer mehr finden es offenbar als druck der Enttäuschung ist ja nun mit anderen Formen experimen- ebenfalls eine Bewertung; es liegt tiert, denn man weiß, dass immer unangenehm, zu lange auf der Hand, dass sie Catonné weniger Zuschauer die gesamte auf exakt einen Punkt nicht gerecht geworden wäre. Geschichte verfolgen. So ist bei- oder zumindest einen Kenntnisse über die unterschied- spielsweise die Talk-Show eine lichen medienadäquaten Ästheti- typische Sendeform des Fernse- kleinen Bereich des ken können demnach dabei hel- hens; in der Tat handelt es sich um Monitors zu blicken.“ fen, die jeweiligen Bilder an dem eine variierende Form der Präsen- Medium zu messen, für das sie tation, die es ertragen kann, wenn der Zuschauer geschaffen wurden: eine zumindest ansatzweise ein „Loch“ im Handlungsablauf entstehen lässt: „objektivere“ Einordnung unterschiedlicher Fil- weil es eben keinen zwingenden Handlungsab- me in ihrem jeweils spezifischen Umfeld. lauf mehr gibt. Selbst Fernsehproduktionen, die scheinbar Geschichten erzählen, wie die Daily Soap, werden so konzipiert, dass der Zuschauer Der Autor: Dr. Hans W. Giessen ist Privatdozent für die keinen Anfang benötigt und keine Entwicklung Fachrichtung Informationswissenschaft an der Universität des Saarlandes, Saarbrü- verfolgt haben muss, um das gerade gezeigte cken. Er ist zudem publizistisch tätig und hat sowohl für das Fernsehen, für Nach- Geschehen zu verstehen. Nun steht zu vermu- richtenagenturen und für Zeitungen und Zeitschriften wie die „FAZ“, „die Welt“ oder ten, dass beim Computer eine andere inhaltliche den „Spiegel“ gearbeitet. Herangehensweise als diejenige der „variierenden Kontakt: h.giessen@gmx.net Präsentation“ gar nicht mehr sinnvoll wäre. Fazit Die geschilderten Veränderungen können unterschiedlich bewertet werden. So kann bei- spielsweise das tiefe emotionale Erlebnis eines Kinobesuchs auch mit bestem Willen nicht durch Videoproduktionen für den Computer erreicht werden; dies mag Bedauern verursachen. Den- noch ist eine solche Bewertung unsinnig; dies vor allem aus zwei Gründen. Zum einen erfüllen die unterschiedlichen Medien ganz unterschiedliche Funktionen, und es liegt auf der Hand, dass die Informationen, die im Rahmen einer Computer- anwendung übermittelt werden können, nicht mit Fachjournalist 23 Nr. 2 / 2006
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