Der Einfluss des Schalenwildes auf natürliche Wälder in Nordrhein-Westfalen
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ÖKOJAGD 2 – 2021 Das Wald-Jagd-Problem 39 Das Wald-Jagd-Problem Der Einfluss des Schalenwildes auf natürliche Wälder in Nordrhein-Westfalen Frank Christian Heute, Dirk Bieker Einleitung Nacheiszeitliche Waldentwicklung Die Wälder Mitteleuropas sind durch Anpassungsprozesse an wechselnde Unsere heutigen Wälder haben sich, ihren Standorten finden lassen. In Standortbedingungen entstanden. Die- seit der letzten Eiszeit, über einen Zeit- dieser milden Zeit, möglicherweise se Anpassungen an den Lebensraum raum von mehreren Jahrtausenden phasenweise ein bis zwei Grad Cel- sind niemals „zu Ende“, weshalb der entwickelt. In dieser Zeit haben be- sius wärmer als heute (IPCC 2007), Begriff „Klimaxgesellschaft“ als Vor- reits geringe Temperaturunterschiede etablierten sich in Mitteleuropa fast stellung eines „fertigen“ Waldes von zu erheblichen Veränderungen der überall Eichenwälder mit Ulmen und Vegetationkundler*innen nicht mehr standörtlichen Pflanzengemeinschaf- Eschen, weshalb das Atlantikum auch genutzt wird. Die nach der letzten Eis- ten geführt. „Eichenmischwaldzeit“ genannt wird zeit entstandenen Wälder haben sich Nach der noch kühlen ersten (s. Pollendiagramm; Kasielke 2014). über einen Zeitraum von Jahrtausenden „Tundrenzeit“ nach Ende der Eis- In den wärmsten Phasen gesellten entwickelt. Erste Laubmischwälder aus zeit wurde es allmählich milder in sich Linden hinzu. Auf trockenen Eichen, Ulmen und Eschen bildeten sich Mitteleuropa und erste Birken-Kie- und armen Böden dominierte die Ei- mit der plötzlichen Erwärmung des Kli- fernwälder konnten sich ausbilden, che. Ebenfalls zu dieser Zeit kam es mas im Atlantikum vor ca. 7.500 Jahren später dann Hasel-Kieferwälder. Von aufgrund des angestiegenen Meeres- (5.500 v. C.) aus. Erst nach Abkühlung entscheidender Bedeutung war dann spiegels zu gewaltigen „Rückstaus“ und „feuchter werden“ des Klimas vor die plötzliche Erwärmung des Klimas der Tieflandflüsse und ehemaligen etwa 4.000 Jahren entwickelten sich die im Atlantikum vor ca. 7.500 Jahren Urstromtäler in Nord- und Ostsee. Eichenmischwälder der mittleren Böden (5.500 v. C.). Der Ärmelkanal wurde Weite Bereiche Norddeutschlands hin zu von Buchen dominierten Wäl- geflutet, die Nordsee füllte sich und versumpften – und Erlenbruchwälder dern. der Golfstrom erreichte die südliche bildeten sich (Küster 1998). Nordsee. Ein deutlich atlantischeres Nach Abkühlung und „feuchter Klima setzte ein. In dieser Zeit bil- werden“ des Klimas vor etwa 4000 Natürliche Wälder deten sich die verschiedenen Wald- Jahren entwickelten sich die Eichen- Kaum ein Quadratmeter Waldboden in typen mit ihren verschiedenen Bio- mischwälder der mittleren Böden hin Deutschland ist noch „ur“. Der Mensch zönosen aus, die sich bis heute auf zu von Buchen dominierten Wäldern. hat den Wald über Jahrtausende massiv verändert. Manche Baumarten wurden gefördert (z.B. Eiche), manche vermut- lich übernutzt (z.B. Ulme). Und dennoch Abb. 1: Natürliche Waldgesellschaften in NRW haben sich bis heute di- verse Waldgesellschaften ausgebildet, die inner- halb einer Klimazone und auf ähnlichen Standorten gleiche Artenzusam- mensetzungen aufwei- sen. Diese nennen wir „natürliche Waldgesell- schaften“ (Kasten). Diese Waldgesellschaften, die sich seit dem Atlantikum gebildet haben, wurden von Pflanzensoziolo- gen (u.a. Braun-Blan- quet, Tüxen, Burrichter) v.a. in den 1950-er bis 1970-er Jahre akribisch beschrieben und syste- matisiert und beschrei- ben im Idealfall die „Ur- sprüngliche Natürliche Vegetation“ (UNV). Sie sind aufgrund der Nut- zung aber nur noch auf Restflächen vorhanden: Natürliche mesophile
40 Das Wald-Jagd-Problem ÖKOJAGD 2 – 2021 Buchenwälder (bessere Böden) gibt es Natürliche Waldgesellschaften in Deutschland noch auf 3,7 % der ur- Unter „natürliche Waldgesellschaf- Aufgrund veränderter Standort- sprünglichen Fläche (Welle et al. 2017). ten“ verstehen wir Wälder, deren bedingungen und eines erweiterten Von diesen Wäldern sind gerade einmal Pflanzenarten sich seit dem Atlanti- Artenpools bedeutet das für viele 1,5 % naturnah und alt (> 140 Jahre). kum in typischer Weise auf den jewei- Wälder, dass sich hier auch Arten eta- Von den Buchenwäldern auf bodensau- ligen Standorten ausgebildet haben blieren (könnten), die nicht autoch- ren Standorten sind heute noch 2,9 % (Ursprüngliche natürliche Vegetation thon sind. Zum Beispiel: Auf einer vorhanden. In NRW wachsen natürliche (UNV)). Es bezieht sich zunächst auf geräumten Kyrillfläche eines Hainsim- Waldgesellschaften noch auf etwa 7,5 % eine möglichst vollständige Artenaus- sen-Buchenwald-Standorts läuft seit der Waldfläche, d.h. 92,5 % sind mehr stattung und typische Zusammenset- 2007 ungestörte Sukzession. Auf der oder weniger naturfern (Werking-Radt- zung, nicht auf strukturelle Elemente Fläche (mit geringer Rehwilddichte) ke 2008). Nur noch in Fragmenten sind wie Altersaufbau oder Schichtung wachsen heute 18 verschieden Arten, natürliche Orchideen-Buchenwälder, bzw. den Ablauf bestimmter Prozesse darunter Nadelgehölze und Garten- Schlucht-/ Hangwälder, Moor- und (kein „Urwald“) (Vgl. Meyer 2012). Je flüchtlinge (Reale Vegetation (RV)) Auwälder vorhanden (Abb. 1). In den näher die heutige Vegetation der UNV (Heute 2017). Wie naturnah diese Hainsimsen- und Waldmeister-Buchen- hinsichtlich der Artenzusammenset- Wälder bzw. Waldentwicklungssta- wäldern Nordrhein-Westfalens wachsen zung kommt, desto „naturnäher“ ist dien sind, entscheiden neben dem „natürlicherweise“ eine ganze Reihe der Wald zu bewerten (vgl. Kowarik Strukturreichtum auch der Anteil au- begleitende Baumarten mit: Auf den 2016). Im Gegensatz dazu beschreibt tochthoner Arten. Ob sich hier wieder besseren Standorten gesellen sich re- die potentielle natürliche Vegetation ein Hainsimsen-Buchenwald einstel- gelmäßig u.a. Esche, Traubeneiche und (PNV) diejenige Pflanzengesellschaft len würde, oder ob sich (mittelfristig) Ulme zu den Buchen (Tab. 1). In den (rein hypothetisch), die sich unter den ein artenreicherer Mischwald mit Na- bodensauren Buchenwäldern kommen gegenwärtigen Standortbedingungen delgehölzen und Gartenflüchtlingen Stiel- und Traubeneiche, Eberesche, schlagartig einstellen würde, wenn durchsetzen wird – das kann nur die Aspe, Sandbirke und Salweide vor. Diese der Mensch nicht mehr eingriffe. Langzeitbeobachtung zeigen. Waldgesellschaften sind charakteristisch für weite Teile des Bergischen Landes, des Sauer- und Siegerlandes. Weite Teile Tab. 1: Naturnahe Waldgesellschaften und deren Baumarten in NRW Waldgesellschaft Standort Begleit-Baumarten Buchen- und Seggen-/ Orchide- steile, flachgründige Kalkstein- Traubeneiche, Feldahorn, Elsbeere, Mehlbee- Buchen- en-Buchenwald hänge re, Eibe, Speierling, Holz-Apfel mischwälder Haargersten-Buchen- frische kalkhaltige Böden Bergahorn, Esche, Berg-Ulme, Feldahorn, wald Elsbeere, Hainbuche, Traubeneiche, Kirsche Waldmeister-Buchen- kalkhaltige, mäßig saure Böden, Bergahorn, Esche, Berg-Ulme, Traubeneiche wald teils nährstoffreich, oft lehmig Hainsimsen-Buchen- saure, oft tiefgründige Böden Traubeneiche, Stieleiche, Eberesche, Aspe, wald Birke, Salweide Eichen- Labkraut-Hainbuchen- temporär trocken fallend Elsbeere, Eberesche, Birke Hainbuchen- wald wälder Sternmieren-Hainbu- Grund- oder Stauwasser beein- Esche, Berg-Ulme, Flatter-Ulme, Erle, Eber- chenwald flusste sowie trockene sandige esche, Birke, Kirsche, Feld-Ulme, Feld-Ahorn Böden Bodensaure Birken-Stieleichenwald ärmste Sandböden Traubeneiche, Eberesche, (Kiefer) Eichenmisch- Buchen-Eichenwald bodensauer, nährstoffarm Traubeneiche, Stieleiche, Birke, Eberesche, wälder Winter-Linde Schlucht-/ Eschen-Ahorn-Schatt- schattige, feuchte Nordhänge Berg-Ulme, Sommer-Linde, Buche Hangmisch- hangwald und Schluchten wälder Winterlinden-Hainbu- warme, schuttreiche Hänge im Sommer-Linde, Traubeneiche, Stieleiche chen-Hangschuttwald Mittelgebirge Auenwälder Winkelseggen-Er- Überflutungsbereiche von Flüs- Bergahorn, Winter-Linde, Berg-Ulme, Stielei- len-Eschenwald sen und Bächen che, Hainbuche Hainmieren-Schwarz- fruchtbarer Auenboden durch Esche, Bruch-Weide, Bergahorn erlenwald Ablagerung erodierter Boden- teilchen Eichen-Eschen-Ul- „Hartholzaue“ am Mittel- und Feld-Ulme, Flatter-Ulme, Feldahorn, Berg- men-Auwald Unterlauf größerer Flüsse ahorn, Winter-Linde Silberweiden-Auwald periodisch überschwemmte Bruch-Weide, Schwarzpappel Bereiche rasch fließender Flüsse Bruchwälder Walzenseggen-Erlen- Niedermoor und anmoorige Moor-Birke, Eberesche bruchwald Böden mit guter Nährstoffver- sorgung Birken-Moorwälder Nährstoffarme, nasse Torfböden Sandbirke, Eberesche, Aspe
ÖKOJAGD 2 – 2021 Das Wald-Jagd-Problem 41 dieser Standorte sind hier aber seit Ende des 18. Jahrhunderts durch die Pflan- Buchendominanz zung von Nadelholzreinbeständen „ver- Anders als die Fichte, die als konkur- ihrer Waldweide (Hute) und Laubheuge- fichtet“ worden. renzschwacher Nadelbaum in ih- winnung (Schneitelwirtschaft) über wei- rem montanen Habitat der östlichen te Teile Deutschlands ausgedehnt und Biodiversität Natürlicher Wälder Mittelgebirge verharrte (s. Kasten), ursprüngliche Wälder zurückgedrängt. breitete sich die Buche unaufhaltsam Doch welche Wirkungen und in wel- Neben der Bedeutung natürlicher Wäl- aus. Zunächst in den Gebirgen und chem Ausmaß der Mensch und sein Vieh der als Forschungs- bzw. Referenzflä- später, erst vor etwa 3000 Jahren, tatsächlich auf die (natürliche) Wald- chen leisten diese einen sehr wichtigen auch im Hügel- und Tiefland (Kölling entwicklung genommen haben, ist ab Beitrag zum Erhalt der biologischen Viel- et al., 2005). Sie etablierte sich zur diesem Zeitpunkt unklar und umstritten, falt (Fischer & Walentowski 2008). Für dominierenden Baumart, da sie bei z. B. die Ursache für den „Ulmenfall“, Eichen-Buchenwälder im Spessart wur- uns auf allen mittleren Standorten ihr den plötzlichen und starken Rückgang de die Bedeutung natürlicher Wälder ökologisches Optimum ausspielt und der Ulme am Ende des Atlantikums. für Fledermäuse nachgewiesen (Bußler sich hier konkurrenzstark durchsetzt: Die Buche und die Hainbuche mach- 2007), die hier deutlich artenreicher Neben der Fähigkeit, Schatten zu er- ten sich bei uns also erst breit, als der vorkommen als im Mittel. tragen, ist auch ihr Wurzelwerk ge- Mensch bereits den Wald bearbeitete. Für Bayern konnten Hacker und Mül- genüber konkurrierenden Arten meist Und die Buche erlangte als Brennholz, ler (2006) feststellen, dass 70 % aller be- überlegen (Leuschner 1998). Viehmast, Holzkohle und Pottasche kannten Schmetterlinge in Naturwald- Exakt in die Wärmephase des At- rasch einen großen Stellenwert – einen reservaten vorkommen. lantikums mit seinen klimatisch be- weitaus größeren als heute, wo mit Bu- Schulte (2005) konnte für NRW die dingten Ausbildungen der Wälder chen weniger Geld verdient wird als herausragende Bedeutung natürlicher, und des Vordringens der Buche fällt mit Fichte oder Douglasie. Doch trotz nicht mehr bewirtschafteter Wälder für in Deutschland die Sesshaftwerdung der rezent ungünstigen „Marktlage“ für Käfer nachweisen. In nur 18, stichpro- des Menschen, das „Neolithikum“. Buchenholz: Kölling et al. (2005) bele- benartig untersuchten Naturwaldzellen Die Menschen begannen Lichtun- gen die „überragende gegenwärtige wurden allein 133 Käferarten bestätigt, gen in die Wälder zu schlagen und und zukünftige Rolle der Buche in den die für Deutschland als Neu- bzw. Wie- Ackerbau und Viehzucht zu betreiben natürlichen Waldgesellschaften und ihre derfunde gelten! Auch Müller (2004) (Vgl. Kasielke 2017). Manche Autoren große Bedeutung für Naturschutz und beschreibt die Bedeutung natürlicher nehmen an, dass sich die Buche über- Waldbau“. Denn ihrer herausragenden Wälder für holzbewohnende Käfer: „Je haupt erst, wie „Unkraut“, auf diesen Konkurrenzkraft zum Trotz sind unsere näher die Baumartenzusammensetzung Lichtungen etablieren konnte (Vgl. Buchenwald-Gesellschaften keinesfalls an der potentiellen natürlichen Vegeta- Küster 1996). Gegen Ende des Atlan- so artenarm wie gerne herbeigeredet tion, desto wertvoller die Artengemein- tikums hatte sich die Viehhaltung mit wird (Vgl. Harthun 2017; Schnell 2005). schaft!“ Auch die Untersuchungen von Winter et al. (2005) zeigen eindeutig, dass natürliche Buchenwälder eine hö- here Strukturdiversität, einen höheren „Klimastabile“ Wälder ten innerhalb einer Baumart für die Totholzanteil, mehr saprophytische Pilze notwendigen Anpassungen sorgen. Bei und Käfer sowie Brutvögel aufweisen. Bei der Summe an unsicheren Faktoren, den Planungen muss man sich von dem Forschungsergebnisse zeigen zudem, besonders bezogen auf die Klimapro- Gedanken verabschieden, dass wir auf dass es eine positive Korrelation von gnosen bis über das Jahr 2100 hinaus, einen stabilen Endzustand des Klimas Produktivität und Strukturdiversität (Da- kann man heute nur schwer einschät- hinarbeiten und diesen mit konkre- nescu et al. 2016) sowie der Produkti- zen, welche Baumarten langfristig die ten Modellen ermitteln können (Ibisch vität von Mischbeständen gegenüber Waldfunktionen gewährleisten können, 2020).Die Vergangenheit hat gezeigt, Reinbeständen gibt (Liang et al. 2016). bzw. welche genetischen Eigenschaf- dass die natürlichen Waldgesellschaften mit all ihren Tier- und Pflanzenarten sich an vielfältigste Veränderungen anpassen können und somit in der Lage sind, die Die Fichte – im Westen nicht (mehr) heimisch Waldfunktionen auch unter variierenden Während der Eiszeit gab es Zwischen- die Fichte aus klimatischen Gründen Umweltbedingungen sicher zu stellen. warmzeiten (Interglaziale), während nicht gegen ihre belaubten Konkur- Neue Untersuchungen zeigen, dass sich deren die Temperaturen bei uns in renten durchsetzen. Auch nach dem epigenetische Anpassungsprozesse im etwa das heutige Niveau erreichten. Ende der letzten Eiszeit vor 12.000 Saatgut und der Naturverjüngung deut- In diesen Interglazialen entwickel- Jahren breitete sich die Fichte, ausge- lich schneller vollziehen als sich nach der ten sich zunächst Birken- und Kie- hend von ihren Refugien in den Ost- Darwinschen Evolutionstheorie vermu- fernwäldchen, mit zunehmender alpen, dem Balkan, den Karpaten und ten lässt. Diese epigenetischen Effekte Temperatur folgten Hasel, Eichen, Russland, allmählich wieder aus. Mit können theoretisch dazu beitragen, dass Linden und Ulmen. Innerhalb der In- dem Beginn des „Atlantikums“ setzte Saatgut aus Jahren mit starken Hitzepe- terglaziale gab es sogenannte Inter- stark maritim beeinflusstes Klima in rioden in der Folge deutlich hitzetole- stadiale, in denen die Temperaturen Deutschland ein. Und damit war die rantere Pflanzen hervorbringt (Hosius nicht so hoch waren, dass sich die Ausbreitung der Fichte gestoppt, da et al. 2019). Dabei ist jedoch auch zu anspruchsvolleren Laubbäume wie im nun vorherrschenden ozeanischen beachten, dass sich diese Waldgesell- Linden, Ulmen oder Eichen nach Mit- Klima Laubbäume konkurrenzstärker schaften über einen langen Zeitraum teleuropa ausbreiten konnten. In die- sind. Die Westgrenze des Fichten- fast ungestört entwickeln konnten. Heu- sen kurzen Phasen konnte die Fichte areals verlief vom Bodensee über die te dürften Traubeneichen aus deutschen in Mitteleuropa Fuß fassen. In den Oberpfalz, den Thüringer Wald bis Reliktbeständen – z.B. auf Steilhängen Warmphasen allerdings konnte sich zum Harz. der Schwäbischen Alb – auf extrem tro- ckenen Standorten genetisch bereits an
42 Das Wald-Jagd-Problem ÖKOJAGD 2 – 2021 Trockenstressphasen wie in den vergan- Baumart A gegen Baumart B) sind be- zipfelfalter nur Fortbestehen, wenn das genen Dürrejahren angepasst sein (Vgl. quem, werden aber langfristig die Pro- Überleben der Flatterulmen gewährleis- Deter 2021; AWG 2021). Die natürli- bleme nicht unbedingt lösen. Weltweit tet ist. Angepasste Wildbestände sind che Ausbreitungsgeschwindigkeit der sind sich Wissenschaftler verschiedens- demnach die Grundvoraussetzung, da- Eichen beträgt jedoch nur 200 bis 300 ter Disziplinen darin einig, dass die Re- mit die natürlichen Waldgesellschaften Meter pro Jahr. Durch künstliche Saaten sistenz und Resilienz von Ökosystemen mit ihrem vollständigen Spektrum an oder Pflanzungen könnte die Ausbrei- durch eine erhöhte Biodiversität und Baum- und Straucharten erhalten blei- tung dieser geeigneten Genotypen un- Naturnähe positiv beeinflusst werden ben und innerhalb einer Art die Mög- terstützt werden („Assisted Migration“). (Zimmer und Helfer 2016, Brockerhoff lichkeit zur Anpassung an klimatische Die natürlichen Waldgesellschaften et al. 2017). Thompson et al. (2009) Veränderungen durch eine hohe geneti- sollten demnach als das Fundament kommen zu dem Schluss, dass die Resili- sche Vielfalt gegeben ist. Mit dem Lan- betrachtet werden, auf dem man Wald- enz des Ökosystems Wald entscheidend desjagdgesetz von 2015 wurden in NRW baustrategien für die Anpassung der von drei Faktoren abhängt: der Diversi- rechtliche Rahmenbedingungen ge- Wälder an den Klimawandel entwi- tät der Arten, der genetischen Diversität schaffen, die eine jagdliche Regulierung ckelt. Aktuelle Waldbau- und Wieder- innerhalb der Art und dem regionalen der Schalenwildbestände erleichtern. bewaldungskonzepte (MULNV 2018, Pool an Arten und Ökosystemen. Diese wurden mit der Novellierung des MULNV 2020) orientieren sich strikt Gesetzes in 2018 noch weiter verbessert. an den Wald-Standortfaktoren, jedoch Der Einfluss des Wildes kaum an der Artenausstattung natürli- Natürliche Wälder und Schalen- cher Wälder. Diese Wälder – mit einem Der Einfluss des widerkäuenden Scha- wild in NRW Anteil von nur noch 7,5% – wachsen lenwildes auf die natürliche Verjüngung nicht nur in Wildnisentwicklungsgebie- der Wälder ist derzeit charakterisiert 2013 wurden im Landeswald NRW etwa ten, Naturwaldzellen oder im National- durch die Entmischung des Baumarten- 7.800 ha Wald als sogenannte Wild- park, in denen Sie weitestgehend von spektrums und durch den Verbiss von nisentwicklungsgebiete ausgewiesen. der Bewirtschaftung und aktiver Verän- vitalen Individuen (Ammer et al. 2011). Ziel ist es, dass sich auf insgesamt über derung geschützt sind, sondern häufig Dies kann im Extremfall zum vollständi- 16.000 Hektar (rund 11 %) der staat- in Wäldern ohne besonderen Schutz- gen Ausfall der natürlichen Verjüngung lichen Waldflächen (Wildnisentwick- status. Den größten Flächenanteil der führen. Aber auch die gezielte Selektion lungsgebiete, Kernzone Nationalpark natürlichen Wälder in NRW nimmt der von Baum- und Straucharten, die stark Eifel, 75 Naturwaldzellen) ein „Urwald Hainsimsen-Buchenwald ein, wovon reduzierte Stückzahl in der Naturver- von morgen durch natürliche Entwick- große Teile regulär bewirtschaftet wer- jüngung (und damit die Minderung der lung“ einstellt (LANUV 2021). Das den dürfen, also keinem besonderen genetischen Vielfalt) sowie der Verbiss entspricht einem Anteil von 1,7% der Schutz unterliegen. Diese sind durch der vitalsten Individuen vermindern die 935.000 Hektar Waldfläche in NRW. die Bepflanzung mit Arten, die nicht der Resistenz und Resilienz unserer Wälder. Diese Wälder müssen sich natürlich natürlichen Waldgesellschaft entspre- Mit dem Verschwinden einer Baumart verjüngen, um überhaupt fortbestehen chen oder gar „empfohlener, eingeführ- entsteht ein umso größerer nachhaltiger zu können und um genetisch variabel ter Baumarten“ wie Riesenlebensbaum Schaden, da eine ganze Kaskade an wei- zu bleiben. Seit geraumer Zeit, spätes- oder Atlaszeder gefährdet (Bild 1). teren Änderungen in der Artzusammen- tens mit dem enormen Anwachsen der setzung der Biozönose in Gang gesetzt Schalenwildbestände in diesem Jahr- Die Anpassung unserer Wälder an den wird, da die Tier- und Pflanzenarten, die tausend (vgl. Heute 2015), ist nicht Klimawandel ist eine komplexe Aufga- an diese Baumart gebunden sind, mit ihr nur die Verjüngung im Wirtschaftswald be. Einfache Lösungen (Austausch von verschwinden. So kann z.B. der Ulmen- gefährdet: Auch die natürlichen Wälder werden akut durch den massiven Ein- Bild 1: Küstentannen und Douglasien wurden auf einer Kalamitätsfläche im Sauer- fluss des wiederkäuenden Schalenwilds land gepflanzt. Ohne Puffer zum angrenzenden, naturnahen Hainsimsen-Buchen- gefährdet (Bild 2). Im Landeswald wur- wald. (Fotos © F. C. Heute) de daher – mit reichlicher Verspätung – im Jahr 2014 ein Schadensmonitoring eingerichtet. Flächendeckende Verbiss- gutachten werden erst seit 2017 vorge- nommen. Bis Ende 2019 wurde von den Landesförstern aber erst in weniger als 10% der über 8000 Jagdreviere in NRW eine Verbissaufnahme durchgeführt. Konkrete Ergebnisse zum Grad der Ent- mischung der Vegetation bzw. zur Voll- ständigkeit des Artenspektrums sind von den Verbissgutachten allerdings nicht zu erwarten. Die Methodik der Verbiss- aufnahmen sieht keine konkreten Aus- sagen zum Grad der Entmischung vor. Erkenntnisse zur Entmischung könnten nur durch Weisergatter/ Kontrollzäune gewonnen werden, von denen es in den meisten Jagdrevieren aber keine gibt und das landesweite Monitoring nur auf die geringe Waldfläche des Staatswaldes beschränkt ist. Im vergangenen Jahrzehnt wurden trotzdem immer mehr Beispiele be-
ÖKOJAGD 2 – 2021 Das Wald-Jagd-Problem 43 men-Auwälder mit großen Beständen an Flatterulmen. Wie bundesweit leiden die Eschen derzeit stark unter den Fol- gen des Eschentriebsterbens. Gerade für die Resistenzbildung der Eschen ist eine natürliche Verjüngung mit hoher Stückzahl aber ganz entscheidend. Ca. 1-5 % der Eschen verfügen über eine genetische Resistenz gegen das Eschen- triebsterben (Rigling et al. 2016). Eine natürliche Verjüngung mit hoher Stück- zahl wäre also die ideale Voraussetzung, damit sich über die Rekombination der Gene neue Resistenzen entwickeln kön- nen und somit die Esche als Waldbaum- art gestärkt wird bzw. erhalten bleibt. Auch die Rote Liste Art Flatterulme, die mit über 2.000 alten Bäumen in der Davert kartiert ist und sich resistent ge- Bild 2: Schleichende Verfichtung eines Eichenwaldes auf Hainsimsen-Buchenwald- Standort im Bergischen Land genüber dem Ulmensterben zeigt, kann sich seit vielen Jahren nicht natürlich kannt, in denen Wälder wissenschaftlich träge aus Luft und angrenzender Land- verjüngen. Dabei hat die Flatterulme untersucht wurden – alle mit dem Er- wirtschaft) haben die Standortbedin- das Potenzial, die absterbende Esche auf gebnis: Die Wälder verjüngen sich nicht gungen des Waldes seit 1972 jedoch den feuchten Standorten zu ersetzen. mehr natürlich. Vier Beispiele: verändert. Neben diesen veränderten In dem kompletten Waldgebiet, dessen Standortbedingungen verhindert das besondere Bedeutung durch den euro- Rehwild eine natürliche Verjüngung der päischen Schutz anerkannt ist, kann sich Naturwaldzellen in NRW typischen Gehölzvegetation. Nur weni- derzeit aber weder Eiche, Esche noch In einer Arbeit zur Naturwaldforschung ger als 20 Jungbäume pro Hektar schaf- Flatterulme natürlich verjüngen, da das in NRW konnte Striepen (2013) zeigen, fen es, „aus dem Äser“ zu wachsen. 1954 ausgesetzte Damwild in Kombi- dass Schalenwild die Waldgesellschaften Unter den vorherrschenden trockeneren nation mit dem vorhandenen Rehwild- in 75 % der 48 untersuchten natürlichen Bedingungen ist für Auen – neben der bestand die natürliche Verjüngung der Wälder in den Naturwaldzellen, verteilt Etablierung der Stiel-Eiche – mit dem Baumarten fast vollständig verhindert. über ganz NRW, signifikant beeinflusst. Auftreten der weniger überflutungsto- Und auch bei den anderen natürlicher- In den artenreichen Buchenwäldern leranten Arten Winterlinde und Hainbu- weise hier vorkommenden (und in der wachsen innerhalb der wilddichten Zäu- che zu rechnen. Doch die Arten verjün- Baumschicht auch zu findenden) Baum- ne durchschnittlich neun Gehölzarten, gen sich nicht. Bereits heute zeigt sich arten sieht es nicht viel besser aus: unter Schalenwildeinwirkung nur zwei daher eine Waldentwicklung, die vom Hainbuche, Vogelkirsche, Feldahorn Arten. „In den Buchenwäldern unter- ursprünglichen Hartholz-Auwald hin zu (in Eichen-Hainbuchenwäldern), Trau- stützen überhöhte Schalenwilddichten einem brennesselreichen Ahorn-Eschen- beneiche (bodensaure Eichenwälder), die absolute Dominanz der Buche in der wald führt. Das seit einigen Jahren stark Rotbuche, Sandbirke, Eberesche, Aspe, Naturverjüngung und fördern langfristig zunehmende Schwarzwild verhindert Salweide, Bergahorn (Buchenwälder) eine Verarmung des Folgebestandes hin zudem „eine dauerhafte, wirksame Zäu- sowie Erle (Feuchtwälder) verjüngen zum Buchen-Reinbestand. (...) Auch aus nung (…), so dass sich in Verbindung sich (fast) nicht. naturschutzfachlicher Sicht ist die Ent- mit dem hohen Rehwildbestand auch mischung als äußerst problematisch zu im Zaun keine auenwaldtypische Na- Mennekes-Wildnis Heiligenborn bewerten, da die natürliche Vermehrung turverjüngung mehr entwickeln kann“ seltener und gefährdeter Baumarten, (Dölle et al., 2016). In dem 2014 ausgewiesenen Wildnis- wie z. B. Elsbeere, Eibe oder Feldahorn, gebiet Heiligenborn des privaten Stif- verhindert wird“ (ebd.). In den sauren ters und Naturschützers Dieter Men- Davert und mäßig basenversorgten Buchen- nekes (†2020) im Siegerland wurde wäldern werden die Begleitbaum- Auch am Beispiel der Davert zeigt sich, die Jagd über Jahrzehnte herkömmlich arten Eberesche und Bergahorn kom- welche Auswirkungen bzw. Störun- ausgeübt. Das Revier liegt in dem gro- plett heraus selektiert. Nur die Fichte gen von hohen Schalenwildbeständen ßen Rotwild-Verbreitungsgebiet Sie- kann dem „Äser entwachsen“. ausgehen können. Die Davert ist ein gerland-Wittgenstein-Hochsauerland, großer Waldkomplex südlich der Stadt das gerade hier im Siegerländischen Münster in Westfalen. Seit 2001 stehen regelmäßig Dichten von zehn Hirschen NWZ „Kerpener Bruch“ über 2.220 Hektar der Davert unter pro 100 Hektar überschreitet. In dem Die Naturwaldzelle „Kerpener Bruch“ Naturschutz, als FFH-(Fauna-Flora-Ha- Wildnisgebiet soll in einer Initialphase in der Erftaue (südwestlich von Köln) ist bitat-) und als EU-Vogelschutzgebiet. – nach dem Willen des Stifters und den eine ehemals überflutete Hartholzaue Die großen zusammenhängenden Ei- Vorgaben des Landes – ein vollständi- mit Schwarzerle, Stieleiche, Esche und chen-Hainbuchenwälder auf feuchten ges, standorttypisches Waldökosystem Ulme, in der seit 1972 keine Nutzung Standorten sind die größten ihrer Art im geschaffen und damit ein artenreicher mehr stattfindet. Der Erhalt dieses Au- ganzen nordwesteuropäischen Raum. „Urwald von morgen“ entwickelt wer- walds ist zentrales Schutzziel des Na- Sie verzahnen sich mit alten bodensau- den (Heute 2020). Die großflächigen turschutz- und FFH-Gebietes (LANUV ren Eichen- und Buchen-Eichenwäldern. „Kyrill- Windwurfflächen sollen der „na- 2013). Grundwasserabsenkung (Braun- Dazwischen liegen sumpfige Erlen- oder türlichen Wiederbewaldung überlassen kohletagebau, Trinkwassergewinnung Birkenbrüche. Eine Besonderheit der Da- werden“ (LANUV 2020). Doch im Heili- Köln) und Eutrophierung (Stickstoffein- vert sind artenreiche Eichen-Eschen-Ul- genborner Wald findet keine Verjüngung
44 Das Wald-Jagd-Problem ÖKOJAGD 2 – 2021 von Wäldern – besonders Quantität bezogen auf die auf Kyrillflächen und allen Gesamtwaldfläche massiv Flächen, die von Fichten unterscheiden. Bezogen auf befreit wurden – statt. Die den Klimawandel besteht Verjüngung der Buchenwäl- der Wert einer kompletten der funktioniert nur mit der natürlichen Verjüngung vor Hauptbaumart Buche, kei- allem in der stillen Reserve, ne einzige Begleitbaumart die jederzeit und auf ganzer verjüngt sich. Diese fallen Fläche in der Lage ist, die der Entmischung des Rot- Funktionen des Altwaldes und Rehwildes zum Opfer. im Fall einer Kalamität oder Im Gebiet wurden 2014 Nutzung zu übernehmen. Schälquoten von 98% bei Dies kann durch Gatterung der Fichte (19% Neuschä- von kleinen Teilflächen nie le) und 54% bei der Buche erreicht werden. Eine kom- (5% Neuschäle) festgestellt plette, flächendeckende (LWuH 2014) und zählte Naturverjüngung ist daher damit zu den am stärksten natürlicher, wertvoller und beeinträchtigten Revieren Bild 3: Auf wechselfeuchten bis nassen, sauren Standorten wie günstiger als jedes Gatter in NRW. Eine Entwicklung hier bildet sich natürlicherweise ein Moorbirkenbruch aus. im Wald. Mittlerweile zei- des Gebietes gemäß der Das Rotwild in der Eifel verhindert die Wiederbegründung des gen bundesweit etliche definierten Schutzziele wird Bruchwaldes (nach Kyrill) und lenkt die Sukzession in Richtung Beispiele, dass es möglich es erst geben, wenn der Pfeifengras-Fichten-Fläche. ist, durch eine konsequent Einfluss des widerkäuenden umgesetzte Bejagungsstra- Schalenwildes signifikant gesenkt wird. lich entsprechend angepasst werden. tegie die Zielsetzung zu erreichen und Ansonsten müsste die zweite Möglich- eine artenreiche Verjüngung gemäß der Was tun? keit angewendet werden, um artenrei- potentiell natürlichen Vegetation zu er- che Wälder zu gründen: Der Bau wild- möglichen (Heute 2017, Heute 2019, Doch wie kann sich ein „Urwald“ (ge- dichter Zäune. Vor allem in den letzten Straubinger 2016, ANW 2021). nauso wie der „klimastabile“ Wirt- Resten unserer natürlichen Wälder, um schaftswald), wie von Politik und Ge- deren Erhalt zu sichern. Zumindest eine Fazit sellschaft gefordert, entwickeln, der sich Generation muss hinter Zaun über Äser- nicht natürlich, also in seiner komplet- höhe aufwachsen. Denn die Artenvielfalt Die Entwicklung der natürlichen Wald- ten Artenvielfalt, verjüngt? Es gibt zwei im Wald kann nur mit dem Erhalt der gesellschaften mit einer vollständigen Möglichkeiten, von der seit einigen diversen natürlichen Waldgesellschaften Ausprägung des dazugehörigen Arten- Jahren eine im Mittelpunkt steht: Es gilt funktionieren. Ziel muss nach wie vor spektrums kann nur erfolgen, wenn die die offizielle Devise, die Schalenwildbe- sein, dass durch Jagd angepasste Scha- Bestände des wiederkäuenden Schalen- stände mit jagdlichen Mitteln an den lenwildbestände die teure Gatterung wilds auf ein verträgliches Maß reduziert Lebensraum Wald anzupassen – wozu von Teilflächen überflüssig machen. Es oder durch wilddichte Zäune ausge- insbesondere die Förster im Staatswald darf jedoch auf keinen Fall unberück- schlossen werden. Das verträgliche Maß beauftragt sind (Wiebe 2016). Das Bun- sichtigt bleiben, dass die beiden aufge- darf sich ausschließlich darüber definie- desjagdgesetz wird derzeit zum ersten zeigten Alternativen sich in Qualität und ren, ob eine natürliche Verjüngung aller Mal seit 1977 gründlich no- Baumarten in hoher Stück- velliert, v.a. um „den Schutz zahl möglich ist. des Waldes“ vor dem Reh- Bild 4: Ziel ist es, dass auf den ehemaligen Orkanflächen stand- Das Ziel Nordrhein-West- ortgerechte, stabile, strukturreiche und produktive Wälder wild zu verbessern (BMEL entstehen“ (LWuH 2016) Dazu sollten etwa 2000 Laubbäume falens, auf 16.000 Hektar 2020). Die Erkenntnis, diverser Arten einer Generation in der Naturverjüngung dem natürliche „Urwälder von dass eine weitere klassische Äser entwachsen, damit eine stabile Wiederbewaldung gesi- morgen“ zu entwickeln und Wildbewirtschaftung und chert ist. Nach neun Jahren im April 2016 nimmt diese Fläche gleichzeitig die Wälder an Hegejagd dringend been- hingegen eine Entwicklung zu einer Fichten-Gras-„Steppe“. den zu erwartenden Klima- det werden muss und nur Hochsauerland 2016. wandel anzupassen, ist illu- die Anpassung der Wildbe- sorisch, solange die Wälder stände an den Wald erfolg- an einer kompletten Verjün- reich sein wird, hat sich in gung gehindert werden. Bei der Politik durchgesetzt. fortbestehendem Verbiss- Nach reiflichem Prozess. druck durch Schalenwild Denn die Probleme sind werden ganze Generatio- seit Jahrzehnten bekannt. nen von Verjüngungsjahr- Doch nach wie vor schei- gängen dem Wild geopfert. tern seit Jahren Forstämter Solange die Schalenwild- und Eigenjagdbesitzer in bestände nicht an den Le- etlichen Regionen an einer bensraum angepasst sind, effektiven Anpassung der werden die letzten Reste Reh- und Hirschbestände unserer natürlichen Wälder und damit dem Erreichen von Rehen und Hirschen der Waldziele (Bild 3). Über- durch Entmischung schlei- all dort, wo die Jagd offen- chend in ihrer Artenzusam- sichtlich nicht funktioniert, mensetzung verändert und muss die Jagdstrategie end- verarmt. Wenn man die
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