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Lösungsansätze im
Forst-Jagd-Konflikt

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Vorwort / Grußwort

Liebe Jäger, liebe Waldeigentümer und
Waldbewirtschafter,
sehr geehrte Damen und Herren!

Forstwirtschaft und Jagd stehen in den kommen-
den Jahren gemeinsamen vor gewaltigen Heraus-
forderungen. Die Schadereignisse der vergange-
nen zwei Jahre im Wald haben uns die Anfälligkeit
unserer Waldökosysteme vor Augen geführt. In
vielen Gegenden Deutschlands wird der Wieder-
aufbau von Waldbildern die nächsten Jahrzehnte
in Anspruch nehmen. Dass dabei auch unser Wild
im Fokus der Debatten steht, ist natürlich und
müsste eigentlich nicht weiter verwundern.
    Gleichwohl nimmt die Auseinandersetzung
gerade in jüngster Zeit erneut an Heftigkeit zu.
Man kann sich dabei des Eindrucks nicht erweh-
ren, dass einige Vertreter im Wild den geeigneten
Sündenbock für allerlei waldbauliche Fehlent-           Es kann keinen Zweifel geben: Jäger liefern
wicklungen der vergangenen Jahrzehnte finden        weiterhin hochwertiges Wildbret und müssen zu-
wollen. Nicht das Wild ist das primäre Problem      künftig noch mehr Partner der Forstwirtschaft
in der Wildschadensdiskussion, vielmehr ist es      sein – im Sinne eines modernen und ökosystem-
das Handeln des Menschen. Er hat in den vergan-     gerechten Waldbaus. Dafür reichen wir den Pro-
genen Jahrhunderten die Lebensräume des Wildes      tagonisten in der Waldbewirtschaftung über alle
in erheblichem Umfang umgestaltet und ihrer         Betriebsformen hinweg gerne die Hand.
Vielfalt beraubt. Die in Reih und Glied gepflanz-       Lösungsansätze für einen gemeinsamen Weg
ten forstlichen Reinbestände sind nicht nur wirt-   haben wir in unserer Broschüre zum „Forst- und
schaftlich zu hinterfragen. Genau genommen          Jagdkonflikt“ vorgelegt. Wir laden Sie ein, disku-
begab sich die Forstwirtschaft auf den Holzweg      tieren Sie mit, denn eines ist sicher: Jagd und
– ökonomisch wie ökologisch.                        Forstwirtschaft in der Kulturlandschaft können
    Wir Jäger sehen uns als Anwalt des Wildes.      zusammen scheitern oder es zusammen besser
Wir bringen uns ein, um Fehler der Vergangenheit    machen – einen dritten Weg gibt es nicht!
zu vermeiden und sehen die aktuellen Schäden
als Chance für neue Waldbilder – auch im Sinne
des Wildes.                                         Ihr Dr. Dirk-Henner Wellershoff

                                                                                                         3
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Inhalt

    1     Einleitung                          5      4     Maßnahmen zur
                                                           Wildschadensprävention              21

    2     Wildschäden                         6      4.1   Jagdliche Maßnahmen                 21

    2.1   Worin liegen die Ursachen der              4.1.1 Intervalljagd                       22
          Wildschäden?                         7
                                                     4.1.2 Bewegungsjagden                     22
    2.2   Ist die Höhe der Schalenwildbestände
                                                     4.1.3 Schwerpunktjagd an
          die Hauptursache?                    7
                                                           schadensgefährdeten Stellen         23
    2.3   Welche Lösungsansätze gibt es?      8
                                                     4.1.4 Jagdliche Infrastruktur             23

                                                     4.2   Maßnahmen im Wald                   24
    3     Lebensraumansprüche von
          Schalenwild                        10      4.2.1 Naturverjüngungen                   25

    3.1   Biologie ausgewählter                      4.2.2 Pflanzungen                         25
          Schalenwildarten                    10     4.2.3 Bestandspflege                      26
    3.1.1 Rehwild                             11     4.2.4 Verbissgehölze und Waldränder       27
    3.1.2 Rot- und Damwild                    12     4.2.5 Feuchtbiotope                       28
    3.2   Anpassungen an den Winter           12     4.2.6 Forstlicher Wegebau                 28
    3.3   Tragfähigkeit des Waldes            13     4.2.7 Technischer Forstschutz             28
    3.3.1 Äsungsangebot                       13     4.3   Gesetze und Förderprogramme Forsten –
    3.3.2 Deckungsschutz                      15           Blick auf das Wild bei Mehrwerten
                                                           für Waldbesitzer und Gesellschaft   29
    3.3.3 Störung der Raumnutzung
          des Wildes                          15     4.3.1 Aktuelle Förderprogramme des
                                                           Bundes für Wald und Wild            30
    3.3.4 Zerschneidung des
          Wildlebensraumes                    17     4.3.2 Nachsteuerungsbedarf der
                                                           Förderprogramme und des
    3.3.5 Richtwerte für Wilddichten          17
                                                           gesetzlichen Rahmens                21
    3.3.6 Ermittlung des Wildeinflusses
          auf die Waldvegetation              19
                                                     5     Schlussfolgerungen und
    3.4   Wild ist positiv für den Wald      20            Handlungsempfehlungen               32

                                                     6     Waldentwicklung und Jagd:
                                                           erfolgreiche Wege                   34

                                                     7     Literaturverzeichnis                58

                                                     8     Anhang                              60

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1         Einleitung

Mensch und Wildtiere teilen sich insbesondere in der Kul-        insbesondere in jüngerer Zeit wie ein Brandbeschleuniger
turlandschaft Lebensräume. Ihre Nutzungsansprüche ge-            wirkt. Viele Wälder sind zwischenzeitlich in eine Krise ge-
stalten das Zusammenleben nicht immer problemfrei. Die           raten und in ihrer heutigen Zusammensetzung den Verän-
Menschen haben bestimmte Ansprüche an die Lebensräume            derungen nicht mehr gewachsen. Insektenkalamitäten und
und gestalten diese oftmals in erheblichem Maße um.              Brände führen auf erheblichen Flächen zu Waldschäden,
    In den vergangenen Jahrzehnten haben sich unsere Kultur-     nicht selten auch zu einem Totalverlust an Waldlebensräu-
landschaften daher enorm verändert. Nach Angaben des Sta-        men. Ein Umbau zu klimaresilienten Wäldern ist ein Gebot
tistischen Bundesamtes hat sich die Siedlungs- und Ver-          der Zeit und gleichzeitig eine Jahrhundertaufgabe, die den
kehrsfläche von 1992 bis 2018 durchschnittlich pro Tag um 104    Blick auch auf die Verantwortung für Wildbestände lenkt.
Hektar ausgedehnt. Im Jahr 2018 waren 14 Prozent der gesam-      Langfristig wird der Umbau einförmiger Nadelwälder zu
ten Bodenfläche Deutschlands überbaut (1). Durch Siedlungs-      klimaresilienten Wäldern mit dem richtigen Baumarten­
und Verkehrsflächen werden Lebensräume zerschnitten, Wan-        spektrum auch die Wildlebensräume verbessern. Kurzfristig
derkorridore unterbrochen und Wildtierpopulationen isoliert.     muss bei der Wiederbewaldung, der Verjüngung und dem
Insbesondere Tierarten, die große saisonale Wanderungen          Umbau der Wälder das Wild als entscheidender Einflussfak-
durchführen, wie Rotwild, sind dadurch in ihrem natürlichen      tor im Fokus eines ganzheitlichen Managements stehen.
Rhythmus stark eingeschränkt. Zunehmende Störungen durch             Damit der langfristige Waldumbau gelingt, müssen die
Freizeitnutzung in Wald und Feld beeinträchtigen Wildtiere       menschlichen Nutzungsansprüche und die Bedürfnisse der
ebenfalls in ihrem Raumnutzungsverhalten.                        Wildtiere an die Kulturlandschaft in Einklang gebracht wer-
    Die Intensivierung in der Landwirtschaft geht einher mit     den. Hier offenbart sich neben den ökonomischen wie öko-
Vergrößerung der Bewirtschaftungseinheiten, Verringerung         logischen Fragestellungen auch eine ethische Dimension im
der Ackerfruchtvielfalt, Anbau energiereicher Pflanzen und       Handeln der Zuständigen. Dabei ist es verfehlt, wenn die
häufigem Grünlandschnitt. Diese anthropogenen Nutz­              waldbaulich Zuständigen der alten Sünde des Silvazentris-
f lächen sind für spezialisierte Tier- und Pf lanzenarten        mus verfallen und vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr
keine Lebensräume mehr. Andere Arten wie das Schwarz­            sehen. Ebenso muss der Jäger als „Anwalt“ des Wildes stets
wild können sich anpassen und profitieren sogar von den          berücksichtigen, dass seine jagdliche Passion nicht der al-
veränderten Umweltbedingungen.                                   leinige Maßstab für den Schutz und die Nutzung der Kultur-
    Auch die Wälder haben sich durch den Einfluss des Men-       landschaft sein darf. Letztlich geht es um die vergleichswei-
schen verändert. Viele unserer Wirtschaftswälder sind als        se einfache, aber eben doch nicht selbstverständliche Frage,
Lebensraum für Wildtiere nur noch bedingt geeignet. Die          was das Wild wollen würde, wenn es wollen dürfte (Beyer
Vielzahl menschlicher Einflüsse im Offenland und im Wald         2002). Sicher ist, dass es die heute vorzufindenden Wälder
verkleinert den für Wildtiere nutzbaren Lebensraum. So           oftmals nicht als seinen bevorzugten Lebensraum ansehen
zieht sich beispielsweise wiederkäuendes Schalenwild im          würde, wobei die intensivierte Agrarlandschaft mindestens
Winter aufgrund des Deckungs- und Äsungsmangels im               genauso weit vom Ideallebensraum der meisten unserer
Offen­land notgedrungen in Waldbereiche zurück. Dadurch          Wildarten entfernt ist. Der Mensch hat es allerdings in sei-
nimmt der Fraßdruck auf junge Bäume im Wald zu. Ebenso           ner Hand, neben seinem ökonomischen Anspruch an die
widersprechen sich manche Entwicklungen insbesondere in          Kulturlandschaft auch seiner Verantwortung als Bewahrer
ihren unterschiedlichen Wirkungen. So führen die erheb­          von Wald und Wild gerecht zu werden. Ziel dieser Informa-
lichen Stickstofffrachten in der Kulturlandschaft zu mehr        tionsbroschüre ist es, nach Jahren erheblicher Auseinander-
Pflanzenmasse und Äsungsangebot, was zu erhöhten Dich-           setzungen und sich teils wieder verschärfender Kon­f likte
ten an wiederkäuendem Schalenwild führt. Die Höhe der            die Ursachen der „Forst-Jagd-Problematik“ zu identifizieren
Wildbestände steht aufgrund dieser anthropogenen Effekte         und erste Lösungsansätze aufzuzeigen. Diese erheben kei-
meist nicht im Einklang mit der Tragfähigkeit im Wald­           nen Anspruch auf Vollständigkeit, diese Broschüre versteht
lebensraum, wobei die traditionelle Forstwirtschaft diese        sich vielmehr als Diskussionsgrundlage zum Einstieg in
durch Umgestaltung der Wälder in naturferne Reinbestände         einen konstruktiven und lösungsorientierten Dialog zwi-
mit wenigen Strauch- und Baumarten noch weiter mini-             schen den beteiligten Interessengruppen. Angesprochen
miert hat. Dabei entsteht ist eine Art „Teufelskreislauf“. Der   sind vor allem Jäger, Waldbesitzer und Förster. Außen vor
wirtschaftende Mensch verschleiert seine originäre Urhe-         bleiben an dieser Stelle Wildschäden im Offenland, insbe-
berschaft gerne durch das Präsentieren eines Sündenbockes        sondere auf Äckern und Grünländereien. Diese sind nicht
– dem Schäden verursachenden Wild.                               weniger bedeutend, stellen jedoch ein anderes und sicher-
    Durch den heute deutlichen spürbaren Klimawandel             lich genauso weites Feld in der Debatte um Wild und Kul-
kommt seit einigen Jahren ein weiterer Effekt hinzu, der         turlandschaft dar.

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2 Wildschäden

    Die überwiegende Mehrheit der Wälder in Deutschland      gesellschaft zum Ausfall verschiedener Arten führt.
    sind Wirtschaftswälder. Sie stellen eine natürliche      Ökologische Wildschäden lassen sich schwer bewer-
    Ressource dar, die in vielfältiger Weise vom Menschen    ten, da die Schadschwelle einem großen Interpreta­
    genutzt wird. Auch die unter einem Schutzstatus          tionsspielraum unterliegt. So ist es beispielsweise in
    stehenden Wälder sind in Deutschland keine groß­         großen zusammenhängenden Urwaldgebieten typisch
    flächigen Urwälder mehr, in denen unbeeinflusste         und damit auch natürlich, dass verschiedene Wildar-
    Wald-Wild-Beziehungen ablaufen. Das gilt selbst für      ten einzelne Areale übernutzen und sich damit selbst
    gesetzlich geschützte Totalreservate ohne jede direkte   teilweise ihrer Nahrungsgrundlage berauben. Durch
    Nutzung. Davon unabhängig sind Wälder aber immer         Abwanderungsprozesse regenerieren sich diese Le-
    Ökosysteme, in denen das Schalenwild mit artspezi­       bensräume aber recht schnell, sodass bei einer groß-
    fischen Lebensraumansprüchen ein Bestandteil der         flächigen Betrachtung letztlich kein Schaden entsteht.
    Lebensgemeinschaft ist und damit auch einen natür-       Oftmals ist der Einfluss des Wildes sogar als ökolo-
    lichen Einfluss auf die Waldvegetation ausübt. Dieser    gisch wertvoll zu betrachten, da er zum Entstehen von
    Einfluss des Wildes wird ab einer zu definierenden       Störstellen führt. Ökologische Wildschäden entstehen
    Schwelle als Wildschaden bezeichnet. Dabei wird sys-     in der deutschen Kulturlandschaft in der Regel durch
    tematisch zwischen sogenannten ökologischen und          kleinflächige Nutzungseinheiten und sind damit we-
    ökonomischen Wildschäden unterschieden. Insbeson-        niger das Ergebnis der Wildbestände als vielmehr
    dere in der öffentlichen Diskussion erfolgt meist eine   durch die nutzende Tätigkeit des Menschen verur-
    undifferenzierte Vermengung beider Schadarten.           sacht. Gleichwohl sind sie auch im waldbaulichen Kon-
                                                             text von Relevanz. Unter anderem dann, wenn in der
    Ökologischer Wildschaden                                 Naturverjüngung ganze Arten ausfallen und damit
                                                             auch für die Bewirtschaftung nicht mehr zu Verfü-
    Unter ökologischen Wildschäden im Wald versteht          gung stehen. Bei einem solchen Effekt beginnt der
    man solche, bei denen es zu einer Einflussnahme des      Übergang zum ökonomischen Wildschaden.
    Wildes auf die Waldvegetation in einer Art und Weise
    kommt, die zu einer Verschiebung oder grundlegenden      Ökonomischer Wildschaden
    Veränderung des Artenspektrums im Waldökosystem
    führt. Eine der wesentlichen Effekte ist die sogenann-   Ein ökonomischer Wildschaden liegt regelmäßig
    te Entmischung, die entgegen der für die potenziell      dann vor, wenn der Einfluss des Schalenwildes zu
    natürliche Vegetation des Standortes typischen Wald-     einer Situation führt, bei der sich eine waldbauliche

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Zielsetzung auf der Fläche nicht mehr erfüllen lassen    2.1 Worin liegen die Ursachen der
oder in erheblichem Maße erschwert werden. Eben-             Wildschäden?
so stellt sich ein ökonomischer Wildschaden immer
dann ein, wenn Investitionen des Waldeigentümers         In der Natur gibt es keinen Schaden. Wildschaden
in die Verjüngung der Bestände in einem unverhält-       entsteht aber, wenn die vom Menschen gesetzten
nismäßigen Maß erschwert werden. Am einfachsten          Ziele für den Wald durch Wildeinfluss nicht erreicht
beurteilbar sind Wildschäden bei der Verjüngung der      werden können. Ziele sind ökonomischer Natur, sie
Waldbestände durch Pflanzung. Hierbei können die         ergeben sich auch aus der Holznutzung und den
durch Wildeinfluss (in der Regel Verbiss) geschädig-     Wohlfahrtswirkungen des Waldes wie Bodenschutz,
ten oder ausfallenden Pflanzen numerisch ermittelt       Wasserschutz oder Luftqualität. Nicht jede verbisse-
und mit den jeweiligen Pf lanzenkosten bewertet          ne Forstpflanze ist ein Schaden, ein gewisses Maß
werden. Schwieriger gestaltet sich die Ermit­t lung      an Wildeinfluss verkraftet der Wald. Zudem entsteht
von ökonomischen Wildschäden beim Ar­b eiten mit         nicht jeder Wildeinfluss durch wiederkäuendes Scha-
Naturverjüngung. Hierbei müssen geschädigte bzw.         lenwild: Studien belegen, dass neben Reh- und Rot-
ausfallende Pflanzen in Bezug zur Er­t rags­­kraft des   wild auch Arten wie Wildschwein, Eichhörnchen,
jeweiligen Standortes bewertet werden. Gleichfalls       Feldhase oder Rötelmaus, neuerdings auch Biber,
ist beim Entstehen solcher Schäden immer zu be-          einen hohen Anteil am Verlust von Forstpflanzen ha-
rücksichtigen, dass ein gewisses Maß an Einfluss des     ben können [(1), S. 35].
Schalenwildes auf die Waldvegetation als natürlich           Nicht die Anzahl der geschädigten Bäume ist ent-
zu betrachten ist und auch vom Wald­eigentümer im        scheidend, sondern ob genug Baumarten in den Ziel-
Rahmen der Sozialpflichtigkeit des Eigentums zu ak-      bestand wachsen können. Der Waldbesitzer ist gefor­
zeptieren ist. Eine Flächeneinheit ohne jeglichen        dert, dieses waldbauliche Ziel zu Beginn der Wald­
Wildschaden wäre nur in einem Wald ohne jegliches        verjüngung oder Bestandsbegründung zu definieren.
Wild zu erreichen: Das ist sowohl ökologisch als auch    Natürlich können andere Schadursachen den Wild­
nach den geltenden Gesetzesgrundlagen des Forst-         einfluss überlagern.
und Jagdrechtes als nicht legitim ein­z ustufen.
    Um Wildschäden zu ermitteln, haben sich in den
vergangenen Jahren eine Fülle von verschiedenen          2.2 Ist die Höhe der Schalenwildbestände
methodischen Verfahren entwickelt, bei denen mit-           die Hauptursache?
tels Schätzverfahren, Stichprobenverfahren, Kon­
trollzaunverfahren oder verschiedenen Kombina­           Werden Wildschäden an Wirtschaftsbäumen festge-
tionsverfahren aus Stichproben und Kontrollzaun          stellt, wird pauschal postuliert, dass die Ursache ein
Wildschäden messbar gemacht werden. Eine Bewer-          überhöhter Wildbestand ist. Diese Schlussfolgerung
tung wird jedoch immer erst dann möglich, wenn           muss nicht richtig sein, denn für eine objektive Be-
der Waldeigentümer eine bestimmte waldbauliche           wertung des Schadgeschehens ist nicht nur die Zahl
Zielsetzung für die Fläche entwickelt hat, anhand        der Tiere, sondern auch die räumliche Verteilung der
derer sich die erfassten Schadbilder beurteilen las-     Wildart von Bedeutung. Ist das Äsungsangebot auf-
sen. Treten Wildschäden auf, wird oft die pauschale      grund einer monotonen Waldstruktur eingeschränkt,
Forderung nach Erhöhung des Schalenwildabschus-          werden die wenigen jungen Bäume verbissen, unab-
ses unter der Devise „Wald vor Wild“ laut. Dabei wird    hängig davon, wie hoch der Wildbestand ist.
meist übersehen, dass die Ursachen für diese Schä-           Störungen führen zu Flucht und einem erhöhten
den extrem vielfältiger Natur sein können. Zudem         Energieverbrauch des Wildes. Nach Störungen kon-
muss ein Absenken der Wildbestandsdichte noch            zentriert sich das Wild – insbesondere rudelbildende
lange nicht zu einem Minimieren der Schäden füh-         Arten wie Rotwild – oft in ruhigen Bereichen des
ren. Auch das letzte Reh kann in einem Waldgebiet        Reviers und verursacht dort entsprechende Schäden.
einen erheblichen Wildschaden verursachen, wenn          Starker Nutzungsdruck, aber auch die Anwesenheit
es in einer naturfernen „Reinbestandswüste“ in die       von Großprädatoren, beispielsweise von Wölfen, be-
einzige Verjüngungsfläche eindringt. Werden Wild-        einflussen das Raumnutzungsverhalten und fördern
schäden festgestellt, müssen vielmehr Antworten auf      die Rudelbildung (Kuijper et. al. 2013).
folgende Fragen gesucht werden:                              Für eine objektive und lösungsorientierte Beur-
                                                         teilung müssen Wildbestand und Lebensraum ge-
•   Worin liegen die Ursachen der Wildschäden?           meinsam betrachtet werden. Insbesondere die Fak-
                                                         toren „Deckung“ und „Nahrung“ spielen eine Schlüs-
•   Ist die Höhe der Schalenwildbestände die Haupt­      selrolle. Erhaltung oder Wiederherstellung wichtiger
    ursache?                                             Habitatstrukturen mit dem Ziel der Lebensraumver-
                                                         besserung für Wildtiere sind Teil einer nachhaltigen
•   Welche Lösungsansätze gibt es?                       Waldbewirtschaftung.

                                                                                                                  7
Lösungsansätze im Forst-Jagd-Konflikt - www.jagdverband.de - Deutscher ...
2.3 Welche Lösungsansätze gibt es?

    Es gibt verschiedene Faktoren, die in ihrer Einzelwir-
    kung oder in Kombination zu Wildschäden führen
    können. Meist stellen Wildschäden im Wald einen
    Nutzungskonflikt zwischen den Interessensgruppen
    Waldbesitzer und Jäger dar. Durch eine Problemana-
    lyse können die Faktoren identifiziert werden. Das ist
    eine wesentliche Voraussetzung zur Lösung im Sinne
    eines modernen Wildtiermanagements.

    Analyse der Wald-Wild-Problematik

    Schalenwild nutzt im Wald krautige und holzige
    Pflanzen als Nahrungsquellen, schafft offene Boden-
    stellen und wirkt damit auf den Wald ein. Diese Wir-
    kung im Ökosystem ist zunächst kein Wildschaden,
    sie kann sogar die biologische Vielfalt im Wald för-
    dern (vgl. 3.4). Doch manchmal ist es des Guten zu
    viel, dann wird die Wirkung zum Schaden, weil die
    waldbaulichen Bestandsziele gefährdet werden. Das
    Ausmaß von Wildschäden (Verbiss-, Fege- und Schäl­
    schäden) hat verschiedene Ursachen. Der erste Schritt
    zur Lösungssuche ist eine Analyse der Schadensur­
    sachen. Dazu müssen verschiedene Dimensionen
    durchdacht werden, wie im folgenden Schema darge-
    stellt.

                                                                Fegeschaden an einer jungen Douglasie

       Schälschaden im Nadelholzbestand (Sommerschäle)

                                  Rotbuche mit Verbissschaden

8
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Übersicht der Lebensraumansprüche wieder­käuender Paarhufer

                        Fragmentation des Waldes:                                                       Wer besitzt das Jagdrecht?
                        • Schaden auch abhängig von                                                     • Eigenjagdbesitzer: Bund,
                         der Flächengröße                                                                 Land, Kommunen, juris-
                                                                                                          tische und natürliche
                        Verlust von Wintereinstän-                                                        Personen
                        den durch Nutzungsänderung                                                      • Jagdgenossen in Gemein-
                                                                                                          schaftsjagdrevieren
                        Lebensraumbewertung:
                        • Äsungsangebot                                                                 Wie wird es ausgeübt?
                        • Deckung                                                                       • Eigenbewirtschaftung
                                                                                                        • Verpachtung

                                                          bezogen auf                 bezogen auf

                                                         Landschaft/                  Grund-
                                                         Wildhabitat                  besitzer

Jagdregime:
• Intervalljagd
• Schwerpunktjagd                                                                                                           Anthropogene Störungen:
• revierübergreifende                                                                                                       • sporadische Störungen
 Drückjagd                                                                                                                    (Durchforstung,
                                           bezogen auf
                                                                          Heraus-                     bezogen auf             Geocaching u. a.)
Pächter:                                       Jäger/                                                    Stör-              • saisonal stärkere Störungen
                                                                        forderungen
• Jagdmotiv ≠ Waldverjün-                     Revier-                                                  faktoren               (Beeren- , Pilze,- und
 gung                                         pächter                    „Wald und
                                                                                                                              Stangensucher, Drückjagden)
                                                                           Wild“                                            • permanente Störungen
Dialog:                                                                                                                       (Wanderer, Cross- und
• 1 x pro Jahr Waldbegang                                                                                                     Quadfahrer)
• Datenerhebung
• Interpretation

                                                          bezogen auf                                                   Störungsqualität:
                                                                                        bezogen auf
Jäger                                                    Wald/Forst-                                                    • einschätzbar = erlernbar
                                                                                         Wildtiere
                                                         wirtschaft                                                       (Toleranz)

                                                                                                                        • nicht einschätzbar
                                                                                                                          (Flucht- und Vermei-
                                                                                                                          dungsverhalten)

                        Schadensbewertung:
                        • Verbißbelastung
                        • Was bleibt übrig?

                        Aufbau klimaresilienter                                            Wildbiologie:
                          Wälder:                                                          • Äsungstyp und -verhalten
                        • Vorbildfunktion Landeswald                                       • Sozialverhalten
                        • Forschungsprogramme
Förster                                                                                    • Sicherheitsbedürfnis
                                                                                           • Stressvermeidung
                        Waldfunktionen:                                                    • Feindvermeidung
                        • Holznutzung
                        • „Klimawald“: CO2-Bindung

                                                                                                                                                     9
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3 Lebensraumansprüche
         von Schalenwild

     Das Verständnis von Ursache und Wirkung von Wild-       Menschen) meist schnell und gut lokalisieren. Das
     schäden im Wald setzt fundierte Kenntnisse über die     Reh ist kein ausdauernder Läufer, sondern sucht
     beteiligten Wildarten voraus. Dabei konzentriert sich   möglichst schnell Deckung in Hecken oder Dickun-
     die Debatte im Inland vorrangig auf fünf Wildarten,     gen. Aufgrund seiner weiten Verbreitung und Dichte
     die jedoch nur noch in wenigen Ausnahmefällen           hat das Rehwild den größten Einfluss auf die Wald-
     gleichzeitig auf derselben Waldfläche vorkommen.        dynamik. Auch andere Schalenwildarten beeinflus-
     Hinzu kommen insbesondere in jüngerer Zeit eine         sen den Lebensraum Wald. Für ein zielführendes
     Reihe von einstmals heimischen (Elch) oder auch         Wildtiermanagement sind Kenntnisse der Biologie,
     exotischen (Muntjak) Wildarten, die immer häufiger      von in Deutschland weit verbreiteten, wiederkäuen-
     Lebensräume in Deutschland erobern. Sie können          den Schalenwildarten entscheidend.
     ebenfalls erhebliche Wildschäden verursachen. Der           Die pflanzenfressenden Arten nutzen verschie-
     Elch ist sogar eine wildschadensspflichtige Tierart,    dene Nahrungsnischen. Wald, Offenland und Wild
     hat aber keine Jagdzeit. Da diese Tierarten teils er-   haben sich über lange Zeiträume hinweg aufeinander
     heblich unterschiedliche Ansprüche an ihre Nah-         eingespielt. Diese evolutiv vorgegebenen Lebens­
     rungspflanzen stellen und ein gänzlich unterschied-     raumansprüche (vgl. Tab. 1) bilden den Rahmen, den
     liches Raum-Zeit-Verhalten aufweisen, ist eine dif­-    die heute vom Menschen stark beeinflussten Land-
     ferenzierte Betrachtung von Wildtierart, Lebensraum     schaften langfristig für Wildtiere bieten müssen.
     und auftretender Schadsituation unerlässlich.
                                                             Die biologische Grundeinheit der drei ausgewählten
                                                             Schalenwildarten bildet die Mutterfamilie (Gynopä-
     3.1 Biologie ausgewählter                               dium). Sie besteht aus dem Muttertier, dem Nach-
         Schalenwildarten                                    wuchs des letzten Jahres und den Kitzen bzw. Käl-
                                                             bern des aktuellen Jahres. Dieses Kleinrudel profi­-
     Als Schalenwild werden die dem Jagdrecht unterlie-      tiert von den Erfah­r ungen und der Fitness des Mut-
     genden Paarhufer bezeichnet. Mit Ausnahme des           tertieres – im positiven sowie im negativen Sinne.
     Wildschweins sind alle Arten reine Pflanzenfresser      Positiv wirken sich die Erfahrung und die Kenntnis
     und aufgrund der Anatomie ihres Verdauungsappa-         des Muttertieres hinsichtlich der besten Nahrungs-
     rates (4-gliedriger Magen) Wiederkäuer. Diese Flucht-   und Ruheplätze sowie einer optimalen Feindvermei-
     tiere können mit ihren leistungsstarken Sinnen          dung aus. Diese überlebenswichtigen Fähigkeiten
     (Hör-, Geruch- und Sehsinn) Gefahren (Raubtiere,        gibt das Muttertier an den Nachwuchs weiter, gefes-

10
Tabelle 1: Übersicht der Lebensraumansprüche wiederkäuender Paarhufer

                              Rehwild                      Rotwild                     Damwild

 bevorzugter                  Grenzlinienbewohner:         halboffene Grünlandflä-     Agrarlandschaft mit
 Lebensraum                   Übergänge von Feld und       chen mit Deckungsberei-     lichten Laub- und
                              Wald; lichte unterwuchs-     chen (z. B. Gehölzinseln)   Mischwäldern
                              reiche Wälder

 Nahrung/                     Konzentratselektierer:       Mischtyp:                   Mischtyp:
 Äsungstyp                    Kräuter, Triebe, Knospen,    Kräuter, Gras, z. T.        Kräuter, z. T. Blätter,
                              Blätter                      Blätter                     höherer Grasanteil im
                                                                                       Vgl. zu Rotwild
                              10–12 Äsungs­perioden        6–8 Äsungs­perioden         6–8 Äsungs­perioden
                              pro Tag                      pro Tag                     pro Tag

 Sozialstruktur               Rudelbildung nur im          Rudelverband; außerhalb     häufig Großrudelbildung
                              Winter                       Brunft, nach Geschlech-
                                                           tern getrennt

 Mobilität                    sehr standorttreu            großräumige und             Sehr standorttreu;
                                                           saisonale Wanderungen       saisonale Wechsel
                                                                                       zwischen Sommer- und
                                                                                       Winterein­ständen

tigt werden sie durch individuelles Lernen. Negative
Erfahrungen äußern sich schnell in bestimmten Ver-
haltensweisen – das gilt für Jung- und Alttiere glei-
chermaßen. So führt das Herausschießen von Jung-
tieren aus Mutterfamilien in der Regel dazu, dass die
Muttertiere immer vorsichtiger und heimlicher wer-
den, um sich dieser Bedrohung zu entziehen. Sie ge-
ben diese Strategie insbesondere an ihren weiblichen
Nachwuchs weiter (Petrak 2013). Bei einer besender-
ten Ricke zeigten Biologen, dass diese nach dem Ab-
schuss eines ihrer Kitze diese Fläche mehrere Wo-
chen mied (Sandfort 2013). Stellt sich diese Klein­-
familie dann für längere Zeit in eine Dickung ein,
sind meist forstliche Schäden und erschwerte Beja-
gung die Folge.

3.1.1 Rehwild

Das Reh ist bei seiner Futtersuche sehr wählerisch
und stammesgeschichtlich der älteste Wildkäuertyp.
Für das Rehwild ist ein ausreichendes Angebot von
Kraut- und Strauchschicht entscheidend (Äsung und
schnell erreichbare Deckung), es braucht also ein          Ricke mit Kitz
kleinteilig strukturiertes Revier mit saftigen Pflanzen,
deren Faseranteil gering ist. Rehwild ist als einzige
Schalenwildart im Sommerhalbjahr relativ streng ter-       chendes Deckungsangebot im gesamten Territo­r ium
ritorial, eine Anpassung an die zeitlich und räumlich      wichtig. Die Brunft spielt sich im Hochsommer ab –
nicht in großen Mengen vorhandenen Nahrungsres-            im Gegensatz zu rudelbildenden Arten wie Rot- und
sourcen. Da Rehwild nur kurze Strecken schnell lau-        Damwild. Im Herbst legen Rehe die für den Winter
fend überbrücken kann (Schlüpfertyp), ist ein ausrei-      dringend notwendigen Fettdepots an.

                                                                                                                 11
Rotwildkuh mit Kalb                                       Damhirsch

     3.1.2 Rot- und Damwild                                    (Greiser et al. 2020). Die Ausweisung von Rotwild­
                                                               bezirken und das Unterbinden der Wanderungen füh-
     Rot- und Damwild sind Wiederkäuer des Intermedi-          ren zur genetischen Verarmung, die sich stellenweise
     ärtyps und damit besonders anpassungsfähig an das         bereits in anatomischen Anomalien wie Kieferverkür-
     jahreszeitlich unterschiedliche Nahrungsangebot. Im       zung manifestiert hat (Reiner & Willems 2019).
     Sommer finden beide Wildarten in großf lächigen
     landwirtschaftlichen Kulturen (z. B. Raps) und auf
     Grünflächen ein äußerst attraktives Nahrungsange-         3.2 Anpassungen an den Winter
     bot. Zusätzlich benötigen diese Wiederkäuertypen
     einen ausgleichenden Faseranteil im Futter für ihr        Vor allem im Winter bedeuten Störungen Stress und
     Verdauungssystem, den ihnen landwirtschaftliche           gehen einher mit zusätzlichem Energiebedarf. Beson-
     Flächen heute aber nicht mehr bieten. Dieser Bedarf       ders kritisch für heimische Arten sind kalte Tempe-
     wird daher meist über Baumrinde gedeckt. Wenn 60-         raturen, anhaltende Schneelagen und reduziertes
     bis 80-jährige Fichten geschält werden, hat dies also     Nahrungsangebot von Januar bis zum Frühjahr. So
     nicht immer mit der Wilddichte zu tun, sondern ist        haben beispielsweise Untersuchungen an Rehen er-
     auch ein Ausdruck stoffwechselbedingter Notsitua-         geben, dass Geißen im Dezember noch ihre beste
     tionen (Petrak 2013b).                                    körperliche Verfassung des gesamten Jahres aufwei-
         Etwa 4 Wochen nach dem Setzen der Kälber bil-         sen. Im Januar lässt diese dann rapide nach (Deipen-
     det das Rotwild wieder Kahlwildrudel, Damwild lebt        brock 1985).
     fast durchgehend in Rudeln verschiedener Zusam-               Wiederkäuendes Schalenwild hat im Laufe seiner
     mensetzung. In Deutschland leben weltweit die größ-       Evolution „Energiesparprogramme“ entwickelt. Dabei
     ten Damwildvorkommen. Als Äsungs- und Einstands-          wirkt die unterschiedliche Dauer des Tageslichts als
     gebiete bevorzugt Damwild landwirtschaftliche Flä-        Taktgeber. Ab Mitte Dezember setzt der Sparmodus
     chen in Waldnähe (Greiser et al. 2020).                   ein: Die Nahrungsaufnahme geht deutlich zurück,
         Das Nahrungsangebot entscheidet über die Größe        nachdem im Sommer und Herbst bei guter Äsung
     der Rudel beider Arten. Fehlt im genutzten Gebiet         wichtige Feistreserven (Fettspeicherung) angelegt
     Nahrung, zieht das Rudel weiter. Über viele Tierge-       worden sind. Beim Rehwild ist die Aktivität zur Win-
     nerationen genutzte Wechsel und Einstände werden          tersonnenwende um 30 bis 40 Prozent reduziert
     tradiert und müssen in der Landnutzung des Men-           (Hofmann 2011). Zeitgleich kommt es zu einem sig-
     schen berücksichtigt werden (Anlage von Grün­             nifikanten Umbau des Verdauungstraktes, der etwa
     brücken und Wildkorridoren).                              zwei bis drei Wochen dauert. Dabei wird die innere
         Das Rotwild war ursprünglich am Tage aktiv und        Oberfläche des Pansens um etwa ein Drittel redu-
     lebte im Offenland. Es reagiert auf Störungen sehr sen-   ziert. Dieser Energiesparmechanismus im Winter ist
     sibel und hat sich zunehmend in Waldbereiche zurück-      universell – von den Alpen bis zur Ostsee.
     gezogen. Diese Situation kann dort zu Wildschäden             Es gilt, den Wärmeverlust zu reduzieren: Der
     führen. Hinzu kommt, dass sich die in vielen Bundes-      Energieverbrauch für eine normale Körpertempera-
     ländern per Verordnung ausgewiesenen Rotwildge­-          tur von 37 Grad Celsius ist immens. Das lufthaltige
     biete im Wesentlichen auf Waldgebiete beschränken         Winterhaar leistet hier einen erheblichen Beitrag.

12
Durch Einschränkung der Bewegung lässt sich eben-        fordert in §1 BJagdG einen den „landschaftlichen und
       falls Energie einsparen. Beispielsweise befindet sich    landeskulturellen Verhältnissen angepassten arten-
       das Rehwild im Winter auf „Sparflamme“ und setzt         reichen und gesunden Wildbestand“ sowie die „Pflege
       seine Aktivität um die Hälfte herab. Dies ist nötig,     und Sicherung seiner Lebensgrundlagen“. Daraus
       da Rehe nur geringe Feistreserven für die kritische      folgt, dass Wildtiere und Lebensräume nicht getrennt
       Phase des ausgehenden Winters haben. Zudem hat           voneinander beurteilt werden können. Um sich der
       das Reh seine intensive und energiezehrende Brunft       Tragfähigkeit und den Möglichkeiten der Lebens-
       in den Sommer vorverlegt und versetzt die Embryo-        raumgestaltung zu nähern, ist eine Lebensraumbe-
       nen in ihrem Frühstadium in eine bis Ende Dezember       wertung für Schalenwild sinnvoll.
       andauernde Keimruhe (Diapause).                              In Anlehnung an die „Wildökologische Lebens-
           Rotwild besitzt weitere Möglichkeiten, Energie-      raumbewertung für die Bewirtschaftung des wieder-
       verlust zu minimieren – ähnlich denen von Arten,         käuenden Schalenwilds im nordostdeutschen Tief-
       die Winterschlaf halten. Durch eine saisonal verrin-     land“ (Hofmann, Pommer, Jenssen 2008), ergeben
       gerte Durchblutung sinkt die Temperatur der Extre-       sich folgende Kriterien für die Bewertung des Wild-
       mitäten zeitweise auf bis zu 15 Grad Celsius. Die Zahl   lebensraumes im Wald:
       der Herzschläge wird phasenweise um die Hälfte
       reduziert. Der Energieverbrauch kann beim Rotwild        •   Äsungsangebot
       damit um bis zu 60 Prozent herabgesetzt werden           •   Deckungsschutz
       (Arnold et al. 2004).                                    •   Störung der Raumnutzung des Wildes
           Umso katastrophaler wirken sich Störungen im         •   Zerschneidung des Wildlebensraumes
       Einstand (Aufmüden) oder gar Bejagung mit Hunden
       im Spätwinter aus. Der Energieverbrauch steigt da-       3.3.1 Äsungsangebot
       durch um bis zu 30 Prozent. Das verringert die Re-
       serven empfindlich, Schäden an Bäumen werden             Das Nahrungsangebot und die Möglichkeit, dieses
       wahrschein­l icher.                                      ungestört nutzen zu können, sind maßgeblich für die
                                                                Verteilung von Wildtieren im Raum. Beides beein-
                                                                flusst somit die Entstehung von Wildschäden. Nach
       3.3 Tragfähigkeit des Waldes                             Hofmann et al. (2008) wird die Lebensraumkapazität
                                                                für Schalenwildpopulationen über die Menge der
       Wälder unterscheiden sich erheblich in der Tragfä-       Winteräsung bestimmt, die genutzt werden kann,
       higkeit für das Schalenwild. Artenreiche Auwälder        ohne den Wald in seinem Bestand zu beeinträchtigen,
       mit üppigem Unterholz weisen eine hohe Tragfähig-        bestimmt Bewertungsgrundlage ist das Blatt- und
       keit auf, tannenreiche Wälder im Gebirge eine gerin-     Spross­a ngebot von Sträuchern und Bäumen bis in
       gere und dunkle Fichtenforste stehen am unteren          eine Höhe von 1,80 Metern.
       Ende der Skala.                                              Für die Beurteilung der Lebensraumqualität müs-
           Die Tragfähigkeit von Waldtypen hängt ab von         sen die für die vorkommenden Wildarten ungestört
       der Produktivität (Standort und Bodentyp), von ihrer     zugänglichen Landschaftsbereiche zugrunde gelegt
       Struktur oder ihrer Zerschneidung. Der Gesetzgeber       werden. Der Richtwert für den Nahrungsbedarf im

Nadelbaum-Lichtwald mit wenig Äsung                             Lichtwald (Mischbestand) mit viel Äsung

                                                                                                                       13
Zeitraum von Oktober bis April beträgt für eine       dorn (Crataegus spec.), Holunder (Sambucus nigra).
     Schalenwildeinheit 840 Kilogramm Trockensubstanz      Hinzu kommen junge Laubbäume, etwa Faulbaum
     (TS) Pf lanzenmaterial pro Hektar. Eine Schalen-      (Frangula alnus), Traubenkirsche (Padus avium),
     wildeinheit mit 100 Kilogramm Körpermasse wird        Esche (Fraxinus excelsior), Ahorn (Acer spec.). Dar-
     definiert durch: ein Stück Rotwild oder zwei Stück    über hinaus kann Schalenwild bei nicht geschlos­
     Damwild oder vier Stück Rehwild.                      sener Schneedecke Gräser, Kräuter und Flechten
         Außerhalb der Vegetationsperiode (Oktober bis     (weiche Äsung) aufnehmen. Eicheln, Bucheckern,
     April) ist das Nahrungsangebot eingeschränkt, weil    Rosskastanien bieten zusätzliche Nahrung. Ausrei-
     frische Pflanzengrünmasse fehlt. Es besteht über-     chende Äsung im Wald ist ein entscheidender Faktor
     wiegend aus zäher Äsung: bei Rotwild 30 Prozent,      zur Vermeidung von Wildschäden.
     bei Rehwild 60 bis 80 Prozent (Hofmann, Pommer,           Wird Wild an der Äsung gehindert, sucht es in an-
     Jenssen 2008). Diese zähe Äsung liefern winterkahle   deren Bereichen nach Nahrung. Dann kann es sogar
     und wintergrüne Sträucher, etwa Heidelbeere (Vac-     bei geringer Wilddichte zu einer Konzentration von
     cinium myrtillus), Himbeere (Rubus idaeus), Weiß-     Verbiss an Forstpflanzen kommen. Grundsätzlich kann

      Tabelle 2: Durchschnittlicher Äsungsvorrat von Oktober bis April in verschiedenen Wald­habitaten
      des norddeutschen Tieflands (Hofmann, Pommer, Jenssen 2008)

      Waldtyp                                              durchschnittliches Äsungsangebot
                                                           (Oktober bis April) TS/ha

      Nadelbaum - Lichtwald
      • mit wenig Blatt- und Sprossäsung                                          15 kg
      • mit viel Blatt- und Sprossäsung                                          88 kg

      Weichlaubholz - Lichtwald
      • mit wenig Blatt- und Sprossäsung                                          15 kg
      • mit viel Blatt- und Sprossäsung                                          88 kg

      Erlen - Halbschattwald
      • mit wenig Blatt- und Sprossäsung                                         25 kg
      • mit viel Blatt- und Sprossäsung                                          88 kg

      Edellaubholz - Halbschattwald
      • mit viel Blatt- und Sprossäsung                                          88 kg

      Roteichen - Halbschattwald                                                  15 kg

      Hainbuchen - Halbschattwald
      • mit wenig Blatt- und Sprossäsung                                         38 kg
      • mit viel Blatt- und Sprossäsung                                          88 kg

      Nadelbaum - Schattwald
      • mit wenig Blatt- und Sprossäsung                                           3 kg
      • mit mäßiger Blatt- und Sprossäsung                                        63 kg

      Nadelbaum - Laubbaum - Schattwald                                            3 kg

      Laubbaum - Dichtwald                                                       38 kg

      Nadelbaum - Dichtwald                                                       75 kg

      Laubbaum - Niedrigdichtwald                                                38 kg

      Nadelbaum - Niedrigdichtwald                                               112 kg

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Waldwiese bietet Schalenwild natürliche Äsung. Nicht gemähte
Altgrasstreifen sorgen für unterschiedliches Kleinklima und erhöhen
damit die Artenvielfalt (z. B. Insekten, Reptilien).                  Wildacker mit vielfältiger Pflanzenmischung

        durch lagegünstige und gepf legte Äsungs- oder                3.3.2 Deckungsschutz
        Prossholzflächen Wildschaden vermieden oder wenigs-
        tens minimiert werden. Daher gilt es, bei Anlage von          Wälder sind in ihrem Bewuchs nicht homogen struk-
        Äsungsflächen (Waldwiesen und Wildäcker) Abstand              turiert und bieten lokal unterschiedlichen Deckungs-
        zu Störungsquellen zu halten und diese so zu gestalten,       schutz. Dieser ist abhängig vom Vorhandensein einer
        dass sie auch tagsüber vom Wild aufgesucht werden.            Strauchschicht, dem natürlichen Verjüngungspoten-
            Mit Waldwiesen, Wildäckern und Verbissgehölzen            zial des Waldes sowie forstlichen Maßnahmen (Holz­
        kann das Äsungsangebot im Wald gesteigert und                 entnahme, Aufforstung). Auch witterungsbedingte
        Wildschäden vorgebeugt werden. So bietet ein Wild­            Schadereignisse wie Windwurf oder Schädlingsbefall
        acker mit einer Mischung aus Feldfutterpflanzen mit           der Bäume (Borkenkäfer, Blattfraß durch Raupen etc.)
        gras- und kleebetonten Anteilen einen durchschnitt-           können die Deckungsmöglichkeiten für Schalenwild
        lichen jährlichen Biomasseertrag von ca. 8–12 Tonnen          im Einstand verändern. Bei der Einschätzung des
        Trocken­m asse pro Hektar (König et al. 2020).                Deckungsgrades im Wald bleiben Äsungsf lächen

Nadelbaum-Schattwald mit wenig Äsung                                  Rotbuchen-Halbschattwald mit wenig Äsung

                                                                                                                             15
(Offen­f lächen mit wenig Deckungsschutz) im Be-         son den Hochsitz aufsucht und geht nach kurzer Zeit
     stand unberücksichtigt, da hier das Kriterium „Nah-      wieder zur Tagesordnung über. Erfahrene Mutter­
     rungsangebot“ Priorität hat.                             tiere von Rot- und Rehwild können sogar lernen,
        Abhängig vom Waldtyp und dem Entwicklungs-            einen Hochsitz auf die Anwesenheit eines Jägers zu
     stadium des Waldes besitzt der Lebensraum mehr           überprüfen – sie haben ihn mit einer Bedrohung ver-
     oder weniger Deckungsschutz. Beispielsweise bietet       knüpft.
     das Dickungsstadium wesentlich mehr Deckung für              Je nach Dauer und Intensität haben Störungen
     das Wild als ein Buchenhallenwald oder Fichtenalt-       Auswirkungen auf den tages- und jahreszeitlichen
     bestand.                                                 Biorhythmus der Tiere und können den Äsungsrhyth-
        Der vorhandene Deckungsschutz definiert sich          mus empfindlich stören. Jede Schalenwildart hat
     über die Sichttiefe innerhalb eines Bereichs von 100     innerhalb von 24 Stunden eine gewisse Anzahl an
     Metern, in der Objekte in Menschengröße klar er-         Äsungsperioden (vgl. Tab. 1) und benötigt gemäß der
     kennbar sind:                                            artspezifischen Physiologie entsprechende Mengen
                                                              und Qualität an Pflanzennahrung.
     •   Stufe 0 – keine Deckung bis auf etwa 100 Meter           Wird Schalenwild längere Zeit der ungestörte Zu-
                   gut einsehbar                              tritt zu seinen Äsungsflächen verwehrt, kann dies
     •   Stufe 1 – geringe Deckung, Sichtschutz ab einer      zu Verbiss- oder Schälschäden im Einstand führen.
                   Entfernung von 65 bis 95 Meter             Insbesondere im Winter ist nur begrenzt Äsung vor-
     •   Stufe 2 – mittlere Deckung, Sichtschutz ab einer     handen, was bei dauerhafter Störung und mangeln-
                   Entfernung von 35 bis 65 Meter             dem Deckungsschutz zu einer deutlichen Reduktion
     •   Stufe 3 – hohe Deckung, Sichtschutz ab einer         des nutzbaren Äsungsvorrates führt. Zusätzlich be-
                   Entfernung von 5 bis 35 Meter              dingt Stressbelastung beim Wild Energieverlust,
                                                              damit einhergehend einen gesteigerten Nahrungs­
     Der Lebensraum Wald muss dem Wild Rückzugsräu-           bedarf. Dies ist besonders während der nahrungsar-
     me bieten. Deckungsschutz ist während der Auf-           men Zeit problematisch. Nach Arnold (2013) kann bei
     zuchtzeit der Jungtiere und besonders in der vegeta-     gleicher Verbissbelastung ein um 30 Prozent höherer
     tionsarmen Zeit wichtig. Im Winter sucht das Wild        Bestand geduldet werden, wenn Rotwild sein Ener-
     vermehrt deckungsreiche Areale im Wald auf, wie          giesparsystem anwenden kann.
     Brombeerdickichte oder Strauchgruppen. Bei wald-             Ein ungestörter Zugang zu geeigneten Äsungs­
     baulichen Maßnahmen sollten diese nach Möglichkeit       flächen und deckungsreichen Arealen im Wald er-
     erhalten bleiben.                                        höht die Qualität des Wildlebensraumes und mini-
                                                              miert das Risiko von Wildschäden. Die gezielte Len-
     3.3.3 Störung der Raumnutzung des Wildes                 kung von Erholungsuchenden ist ein zentrales Mittel,
                                                              um störungsarme Wildtierlebensräume zu schaffen.
     Menschliche Aktivitäten beeinträchtigen Wildtiere            Die Bejagung des Schalenwildes ist an der Bio­
     in ihrem natürlichen Verhalten. Insbesondere in der      logie der Wildtiere auszurichten, damit sie effektiv
     Nähe von Ballungsräumen nehmen Störungen zu,             und störungsarm ausgeübt werden kann (vgl. 4.1).
     etwa durch Hundebesitzer, Spaziergänger und Sport­       Zur Vorbeugung von Wildschäden ist die Lebens-
     ausübende. Stressreaktionen darauf können sicht­-        raumqualität des zu begutachtenden Reviers dahin-
     bar sein: Wildtiere flüchten, was besonders im Win-      gehend zu prüfen und gegebenenfalls mit entspre-
     ter viel Energie kostet. Es kann auch zu Stressre­­-     chenden Maßnahmen zu verbessern.
     ak­t ionen kommen, wenn das Tier äußerlich ruhig
     bleibt. In Untersuchungen am Rehwild konnte bei-
     spielsweise eine Erhöhung der Herzfrequenz um
     mehr als 250 Schläge pro Minute verzeichnet werden
     (Reimoser 2013). Allgemein zeigte sich, dass optische      Bezogen auf ihre zeitliche Dimension lassen
     Reize zu stärkeren Reaktionen führten als akusti-          sich diese Störungen in drei Klassen differen-
     sche und olfaktorische. Besonders ungünstig wirken         zieren:
     sich Störungen mit räumlich und zeitlich unregel-
     mäßiger Frequenz aus – sie sind für Wildtiere schwer       1. Sporadische Störungen (z. B. Durchforstung,
     einsc h ätzba r. Zudem rea g ieren r u hende Tiere           Fotografen, Geocaching, streunende Hunde)
     schwä­c her auf Einf lüsse als aktive Tiere. Es gibt
     auch Artunterschiede: Rotwild hat ein besonders            2. Saisonal stärkere Störungen (z. B. Beeren- ,
     hohes Sicherheitsbedürfnis und reagiert bei Störun-           Pilze- und Stangensucher)
     gen anders als Rehwild. Wissenschaftler fanden
     heraus, dass Rotwild eine Person auf dem Weg zum           3. Permanente Störungen (z. B. Wan­derer, Jogger,
     Hochsitz so lange beobachtet, bis sie diesen wieder           Cross- und Quadfahrer)
     verlässt. Rehwild hingegen sichert nur, wenn die Per­-

16
Grünbrücken verbinden Lebensräume und ermöglichen Wildtieren Wanderungen

3.3.4 Zerschneidung des Wildlebensraumes                    der vernetzen. Dazu müssen Wildtiere sie ungestört
                                                            nutzen können.
Zerschneidung und Zersplitterung von Lebensräu­men              Zur Verinselung von Lebensräumen kommt der
sind problematisch im Offenland und im Wald.                reale Verlust hinzu. Auen- und Tieflandwäldern bei-
Strukturen wie Straßen, Bahntrassen, verbaute Was-          spielsweise dienten dem Rot wild als Winterein­
serläufe stören die natürliche Dynamik von Wildtier­        standsgebiete. Heute sind sie vom Menschen zersie-
populationen. Beispielsweise können stark fre­quen­tierte   delt oder landwirtschaftlich genutzt. Diese Situation
Straßen Schalenwild daran hindern, Wasserstellen,           erhöht den Äsungsdruck in den bestehenden Wäl-
Äsungsflächen und Ruhezonen aufzusuchen. Zudem              dern. Ein Grund mehr, deren Qualität zu optimieren,
stellen Straßen eine Gefahrenquelle für Mensch und          um Wildschäden zu vermeiden.
Tier dar. Sie verursachen mitunter große Ver­luste              Entscheidend für eine Verbesserung der Lebens-
in Wildtierpopulationen und nicht zuletzt Verkehrs­         raumqualität (z. B. Wildäcker, Prossholzanlage) ist
unfälle mit Sach- bzw. Personenschäden [(2), S. 35].        der geeignete Standort. Die attraktivste Äsungs­
    Bestandsverluste sind besonders negativ, wenn           fläche wird entwertet oder durch Wildunfälle zur
der genetische Austausch mit Nachbarpopulationen            ökolo­g ischen Falle, wenn eine stark befahrene Straße
erschwert ist. Amtliche Rotwildgebiete gehen einher         oder Bahntrasse in unmittelbarer Nähe verläuft.
mit dem konsequenten Abschuss von Tieren außer-
halb dieser Areale. Dieses Vorgehen unterbindet             3.3.5 Richtwerte für Wilddichten
das natürliche Wanderverhalten und führt zur ge­­
netischen Verarmung der isolierten Populationen             Schalenwild lebt nicht nur im Wald, sondern nutzt
(Reiner & Willems 2019). Auch Zäunungen entlang             auch das umgebende Offenland als Lebensraum. Da-
von Autobahnen stören die Wanderbewegungen und              her beeinflusst die Lebensraumqualität dort auch das
den genetischen Austausch zwischen Teilpopula­              Wildschadensgeschehen im Wald. Ausgeräumte
tionen. Grünbrücken können hier Lebensräume wie-            Landschaften mit wenigen Feldfrüchten und intensiv

                                                                                                                     17
genutzten Wiesen bieten kaum Deckung und Nah-                       Der geschätzte Wildbestand ist heute eine Infor-
     rung, was den angrenzenden Wald dann umso at-                   mationsgröße für Bejagungsstrategien im Komplex
     traktiver macht. Besonders in der nahrungsarmen                 von Wildbestand und Wildschadenshöhe. Eine halb-
     Winterperiode hält sich Schalenwild vermehrt im                 wegs verlässliche Gesamtbeurteilung und Steuerung
     Wald auf. Die Lebensraumqualität im Wald ist ent-               des Bestandes unter waldbaulichen Zielsetzungen
     scheidend für die Menge an Schalenwild, die der                 lässt sich nur dann vornehmen, wenn neben der ge-
     Wald verkraften kann, ohne dass es zu Wildschäden               schätzten Höhe des Wildbestandes auch eine Beur-
     kommt.                                                          teilung der konkreten Wildschadensituation mit da­
        Die in Petrak (2019) angegeben Werte pro 100                 für geeigneten Verfahren vorgenommen wird.
     Hektar verstehen sich als Richtwerte (vgl. Tab. 3).

      Tabelle 3: Richtwerte für tragbare Schalenwilddichten in Wäldern unterschiedlicher Lebensraumqualität

      Schalenwildart                            Habitatqualität auf den vom               Richtwerte
                                                Wild genutzten Flächen1                   Wilddichte pro 100 ha

      Rehwild                                   gering                                     4–12 Stück
                                                mittel                                      7–18 Stück
                                                gut                                       10–24 Stück

      Rotwild                                   gering                                       1,5 Stück
                                                mittel                                       2,5 Stück
                                                gut                                         3–4 Stück

                                                bei optimaler großräumiger
                                                Abstimmung von Hege und
                                                Bejagung                                    4–6 Stück

      Damwild                                   gering                                         3 Stück
                                                mittel                                         6 Stück
                                                gut                                           10 Stück

     1 Waldfläche, vom Wald umschlossene Wiesen- und Ackerflächen und 50 % der Feld-/Wiesenflächen außerhalb des Waldes, die vom
       Wild regelmäßig aufgesucht werden.

     Wildbestandsdichten im Wald lassen sich in der                      Die Wilddichte muss nicht grundsätzlich über
     forstlichen und jagdlichen Praxis nur mit großen Un-            einen langen Zeitraum auf einem einheitlichen Ni-
     genauigkeiten und einem vergleichsweise hohen                   veau gehalten werden. Vielmehr kann ein solcher
     Aufwand bestimmen. Verschiedene Untersuchungen                  Ansatz sogar Wildschäden provozieren. Wenn sich
     der vergangenen Jahre zeigen, „dass sich wildleben-             Forstreviere beispielsweise nach Jahrzehnten des
     de, nicht individuell durch künstliche Marken mar-              naturfernen Waldbaus in einer Umgestaltungsphase
     kierte Rehe nun einmal nicht einfach zählen lassen,             befinden, kann der Wildbestand für einen bestimm-
     sondern mit zeitraubenden Methoden höchstens                    ten Zeitraum auf ein niedriges Maß abgesenkt wer-
     einigermaßen geschätzt werden können“ (Kurt 1991).              den. Das erleichtert den Waldumbau und beschleu-
         Wie ungenau diese Schätzungen sind, zeigen eine             nigt ihn erheblich. Sobald Gehölzvegetation, Kraut-
     Reihe verschiedener Untersuchungen. Nach vorheri-               und Strauchschicht der Bestände in Biomasse und
     gen Bestandsschätzungen unter kontrollierbaren                  Artenanzahl zuge­nommen haben, kann ein höherer
     Bedingungen wurde auf kleinflächigen Inseln ein                 Wildbestand toleriert werden. Das kann auch ökolo-
     Totalabschuss des Rehwildes vorgenommen. In der                 gisch sinnvoll sein.
     Regel lagen die tatsächlichen Bestandszahlen bei                    Eine Reihe von Beispielen zeigt, dass mehr Natur-
     Versuchen dieser Art über dem Doppelten des ge-                 nähe in Forstrevieren dazu führt, dass Schalenwild
     schätzten Rehwildbestandes (Andersen 1953). Glei-               nicht mehr gegen die Verjüngungsdynamik der Be-
     ches gilt selbst für Gatter auf kleinsten Flächen, bei          stände ankommt. Dies ist dann der eigentlich ge-
     denen ebenfalls der Bestand deutlich über der Hälf-             wünschte Zustand, bei dem „die Beute den Räuber“
     te des über Sichtbeobachtungen geschätzten Reh-                 regelt, sprich die Verfügbarkeit an Äsungspflanzen
     wildbestandes lag (Ellenberg 1974).                             den Wildbestand bestimmt. Ein ausgewogener, auf

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eher hohem Niveau befindlicher Wildbestand lässt              Weisergatter: Die ermittelten Schadbilder müssen
sich dann mit entsprechenden jagdlichen Maßnah-               interpretiert und mit den waldbaulichen Zielen des
men sinnvoll bewirtschaften bei annähernd keinen              Waldeigentümers abgeglichen werden. In der Vergan-
Wildschäden.                                                  genheit wurden solche Verfahren oftmals genutzt,
                                                              um eigentlich bereits längst gewünschte Einfluss-
3.3.6 Ermittlung des Wildeinflusses auf                       nahmen auf Wildbestände im Nachgang zu legitimie-
      die Waldvegetation                                      ren. Mit Verbissprozenten an Terminal- oder Seiten-
                                                              trieben verschiedener Baumarten lassen sich alle
In den vergangenen Jahrzehnten haben sich verschie-           möglichen Schlussfolgerungen ziehen. Entscheidend
dene Verfahren zur Ermittlung des Einflusses des              ist: Bereits vor der Aufnahme muss der Forstbetrieb
Schalenwildes auf die Waldvegetation etabliert. Ob            klare Zielsetzungen für den Waldbau definieren, die
Schätz- oder Zählverfahren, Transektaufnahme oder             anschließend überprüft werden.

                                                                  Wesentlich für die Ermittlung des Schalenwild­
                                                              einflusses auf die Waldvegetation ist, dass die betei-
                                                              ligten Interessensgruppen vor Ort das jeweils ange-
                                                              wandte Verfahren anerkennen. Schadensdaten haben
                                                              nur dann einen Nutzen, wenn diese in einem offenen
                                                              und ehrlichen Dialog gemeinsam bewertet werden.
                                                              Es hat sich insbesondere bewährt, dass forstlicher
Weisergatter im Wald sind eine Methode um den Verjüngungs-    Bewirtschafter und Jagdausübungsberechtigter Wild-
zustand und den Wildeinfluss zu ermitteln.                    schäden gemeinsam erheben. Aus den Erkenntnissen
Foto oben links: Hainbuchengattter, Ausgangssituation 1998,
Foto oben rechts: Verjüngungssituation 2003, Foto unten:      lassen sich dann anerkannte Maßnahmen ableiten
Verjüngungssituation 2009                                     und umsetzen.

                                                                                                                       19
3.4 Wild ist positiv für den Wald                         Moosarten sind auf Kot des Schalenwildes angewie-
                                                               sen. Insbesondere an Ruheplätzen des Wildes sam-
     In der Naturverjüngung von Waldbeständen keimen           melt sich Kot an und verstärkt dort den Nährstoff-
     grundsätzlich immer mehr Pflanzen als für den Er-         gehalt des Bodens. Dies befördert eine andere Pflan-
     halt des Waldes langfristig nötig sind. Ein Großteil      zenentwicklung und führt zur Erhöhung der Struk­-
     der Jungbäume unterliegt der natürlichen Sterblich-       turvielfalt. Die Kadaver von Schalenwild werden von
     keit bedingt durch Witterungseinflüsse wie Licht-         aasfressenden Käfern, Vögeln und Säugetieren als
     mangel und Trockenheit, aber auch durch Konkur-           Nahrungsquelle genutzt. Knochen und Geweihe bie-
     renz, Insekten- und Pilzbefall. Ein Teil des Verlustes    ten Substrat für Flechten und Moose.
     wird durch die Fraßtätigkeit von Wildtieren wie              Die dargelegten Beispiele zeigen eindrücklich die
     Hase, Mäuse und Scha lenw i ld ver ursacht. Der           strukturfördernde Rolle des Schalenwildes und ma-
     Wildeinfluss auf die Waldvegetation ist Teil der na-      chen es zu einem wichtigen Bestandteil im Ökosys-
     türlichen Dynamik im Ökosystem Wald.                      tem Wald.
         Wissenschaftliche Studien zeigen, dass sich der
     Einfluss von großen Pflanzenfressern sowohl auf die
     Vegetation als auch auf die Fauna positiv auswirken
     kann (Kinser, Frhr. v. Münchhausen 2017). Durch Ver-
     biss nimmt die Lichtverfügbarkeit am Boden zu, da-
     von profitieren Hochstauden, Farne, Moose und Ge-
     hölzkeimlinge. Einerseits werden konkurrenzstarke
     Arten zurückgedrängt, was schwächeren Arten im
     Wachstum hilft. Anderseits fördert das unterschied-
     liche Äsungsverhalten des Schalenwildes die Struk-
     turvielfalt. Das ist die Basis für Artenvielfalt in der
     Vegetation.
         Durch Abfressen des Unterwuchses schafft Rot-
     wild geeignete Lebensräume für wärmeliebende und
     von Blühpflanzen abhängige Insekten. Vom Damwild
     werden ebenfalls mosaikartige und offene Struktu-
     ren geschaffen, von denen viele Vogel- und Insekten-
     arten profitieren. So entstehen durch starken wie-
     derholten Verbiss buschige Gehölze – Brutplätze für
     Gebüschbrüter wie Zaunkönig und Rotkehlchen.
         Aus Suhlen von Schwarz- und Rotwild entstehen
     Kleinstgewässer, die Amphibien, etwa der gefährde-
     ten Gelbbauchunke, zur Jungenaufzucht dienen. Sie
     sind auch lebenswichtige Bruthabitate für Insekten
     wie Libellen. So verhindert die Wühltätigkeit des
     Schalenwildes die Verlandung von kleinen Stehge-
     wässern in einem Hochmoor in Mecklenburg-Vor-
     pommern und erhält den Lebensraum für die vom
     Aussterben bedrohte Hochmoor-Mosaikjungfer.
     Plätzstellen und Staubbäder schaffen offene Boden-
     stellen, die ein Saatbett für Rohbodenkeimer und
     attraktive Lebensräume für wärmeliebende Lauf­
     käfer bieten.
         Schalenwild hilft Pflanzen entscheidend, sich zu
     verbreiten, indem es über Kot, zwischen Hufen oder
     im Fell anhaftende Samen, Früchte oder Sporen trans­-
     portiert. Wissenschaftler stellten fest, dass Huftiere
     auf diese Weise bis zu 44 Prozent der vorhandenen
     Pflanzenarten verbreiten können und damit für Viel-
     falt im Ökosystem Wald sorgen. Erhalt und Verbrei-
     tung autochthoner Pflanzenarten sind wichtig für
     die Biodiversität.
         Abfallprodukte wie Aas und Kot schaffen Nah-
     rungs- und Lebensräume für weitere Arten des
     Waldökosystems. Verschiedene Insekten-, Pilz- und

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