Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan - ein geeignetes Mittel zur nachhaltigen Bekämpfung des internationalen Terrorismus? - Brill

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SEBASTIAN SCHILLING

         Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan –
      ein geeignetes Mittel zur nachhaltigen Bekämpfung
               des internationalen Terrorismus?
Seit dem Jahre 2002 beteiligt sich die Bundesregierung mit einem inzwischen
bis zu 4500 Mann starken Bundeswehr-Kontingent an der NATO-geführten
‚International Security Assistance Force‘ (ISAF).1 Der Einsatz der Bundes-
wehr wurde bereits im Jahre 2003 über die Region Kabul hinaus in die Nord-
provinz Kunduz erweitert und erstreckt sich seit Übernahme des ‚Regional
Command North‘ am 30. Juli 2005 über die gesamte Shamal-Region (Provin-
zen Badakhshan, Takhar, Kunduz, Baghlan, Samangan, Balkh, Jawjzan, Sari
Pul, Faryab).2 Die völkerrechtliche Grundlage für den Einsatz der Soldaten ist
die Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen 1776 vom 19.
September 2007, in Verbindung mit den anderen Afghanistan-Resolutionen
des Sicherheitsrates, insbesondere 1386 (2001), 1510 (2003), 1833 (2008) und
1890 (2009).3
   Es stellt sich die Frage, ob die Bundeswehr als Mittel für die Erreichung der
im Afghanistan-Konzept angegebenen Ziele der Bundesregierung geeignet ist
und, wenn ja, ob sie hierfür auf die richtige Art und Weise eingesetzt wird.
   Die Überprüfung dieser Fragestellung ist aus verschiedenen Gründen not-
wendig. Zum einen ist die Tatsache, dass die internationale Gemeinschaft nun
schon seit 2001 in Afghanistan engagiert ist und trotzdem sehr wenige Erfolge
hinsichtlich eines Staatsaufbaus und dem Erreichen einer normalen Sicher-
heitslage zu erkennen sind, nicht zu übersehen. Als Grund hierfür wird in der
einschlägigen Literatur häufig angegeben, dass ein Missverhältnis bestehe,
zwischen der aus unterschiedlichen Gründen wenig erfolgreichen militäri-
schen Konfliktlösungsstrategie und den bei weitem zu gering bemessenen
Maßnahmen zur Unterstützung des zivilen Wiederaufbaus und Bildung einer
demokratischen Zivilgesellschaft. Dieses Missverhältnis lässt sich deutlich
darstellen anhand der für die jeweiligen Maßnahmen verwendeten finanziellen
Mittel. Als Beispiel seien hier die Zahlen für das deutsche Engagement in
Afghanistan genannt: Die Ausgaben der Bundesregierung der Bundesrepublik
Deutschland steigen stetig von ungefähr 530 Millionen Euro im Jahre 2007
auf 570 Millionen Euro für 2008 und schließlich 785 Millionen Euro im Jahr

1
    Vgl. Einsatzführungskommando der Bundeswehr, Chronologie des Einsatzes in Afghanistan
    (ISAF), online-Quelle 2009 (URL s. Literaturverzeichnis).
2
    Vgl. ebd.; North Atlantic Treaty Organization, NATO’s role in Afghanistan: Expansion of
    ISAF’s presence in Afghanistan, online-Quelle 2008 (URL s. Literaturverzeichnis).
3
    Vgl. Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, Resolution 1890, online-Quelle 2009 (URL s.
    Literaturverzeichnis).

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2010.4 Diesen militärischen Ausgaben stehen aber gleichzeitig nur 125 Millio-
nen Euro pro Jahr in 2007, 140 Millionen Euro in 2008 und 420 Millionen
Euro für die Jahre 2008-2010 für Zwecke des zivilen Wiederaufbaus gegen-
über.5 Der Ruf nach einem Strategiewechsel der internationalen Gemeinschaft
in Afghanistan wird immer lauter. Zunehmend wird eine Beendigung der mili-
tärischen Gewaltspirale zugunsten des zivilen Wiederaufbaus gefordert. Es
gilt, so die Kritiker der derzeitigen, überwiegend militärischen Strategie, das
Sicherheitsvakuum, welches durch das Fehlen unmittelbarer Maßnahmen des
zivilen Wiederaufbaus im Anschluss an die militärische Eroberung des Landes
entstanden ist, zu beseitigen.6 Die Frage ist nun, wie die internationale Ge-
meinschaft angesichts der unruhigen und instabilen Sicherheitslage, die sich
mit fortschreitender Zeit eher verschlechtert, einen Strategiewechsel hin zu
mehr Maßnahmen des zivilen Wiederaufbaus und zu weniger militärischem
Engagement durchführen kann, ohne die gesamte Mission zum Scheitern zu
verurteilen. Der zivile Wiederaufbau und der Aufbau einer Zivilgesellschaft
werden des militärischen Schutzes bedürfen.7 Zivile Wiederaufbauhelfer dür-
fen nicht durch eine zu starke Schwächung der ohnehin schon recht knapp
bemessenen militärischen Kontingente einer zu starken Gefährdung ausgesetzt
werden. Es wird also von der internationalen Gemeinschaft zu klären sein,
nicht ob, sondern wie Militär in der Zukunft einzusetzen sein wird, um einen
Wiederaufbau und die Entwicklung des Landes nachhaltig zu fördern und so
das Land Afghanistan als Rückzugsraum für den internationalen Terrorismus
unattraktiv zu machen.

                   Die Ziele der Bundesregierung in Afghanistan

In ihrem Afghanistan-Konzept geht die Bundesregierung von zwei Prämissen
für den Erfolg des Wiederaufbauprozesses in Afghanistan aus. Zum einen,
dass es Sicherheit ohne Wiederaufbau und Entwicklung nicht geben kann,
zum anderen, dass Wiederaufbau und Entwicklung ohne Sicherheit nicht statt-
4
    Vgl. Matthias Gebauer, Afghanistan-Mission: Bundeswehr-Einsatz verteuert sich massiv, in:
    Spiegel online 2009 (URL s. Literaturverzeichnis).
5
    Vgl. Verband Entwicklungspolitik Deutscher Nichtregierungsorganisationen e.V., VENRO-
    Positionspapier: Perspektiven für Frieden, Wiederaufbau und Entwicklung in Afghanistan,
    online-Quelle 2007 (URL s. Literaturverzeichnis), 4; Bundesregierung, Das Afghanistan-
    Konzept der Bundesregierung, online-Quelle 2008 (URL s. Literaturverzeichnis), 30.
6
    Vgl. Timo Noetzel/Sibylle Scheipers, Flüchten oder Standhalten, in: Internationale Politik
    (09/2007), 120-125, 121.
7
    Vgl. Eckart von Klaeden, Verlängert die Mandate!, in: Internationale Politik (10/2007), 82-
    85, 84-85; Citha Maaß, „Notwendig ist ein sicheres Umfeld“, in: Der Tagesspiegel vom 17.
    12. 2009, online-Quelle (URL s. Literaturverzeichnis); Noetzel/Scheipers, Flüchten oder
    Standhalten, 123-124. Eine gegenteilige Auffassung vertreten Christiane Schneider, Eskalati-
    ons- statt Exit-Strategie, in: Politische Berichte – Zeitschrift für sozialistische Politik (21/
    2007), 7-8; Die Linke, Nein zur Verlängerung und Erweiterung des Afghanistan-Manda-tes:
    Beschluss des Parteivorstandes vom 06.07.2008, online-Quelle (URL s. Literaturverzeichnis).

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Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan                            135

finden können. Jede dieser Voraussetzungen wird in einem gleichnamigen
Teil des Konzeptes behandelt. Im ersten Teil des Konzeptes nennt die Bundes-
regierung sieben Bereiche, in denen es darum geht, Strukturen aufzubauen und
Verfahrensweisen zu implementieren, um durch Wiederaufbau und nachhalti-
ge Entwicklung des Landes, insbesondere den Aufbau staatlicher und zivilge-
sellschaftlicher Strukturen, eine selbst tragende ‚Sicherheitsarchitektur‘ in
Afghanistan herzustellen. Im Einzelnen sind dieses der Aufbau staatlicher
Institutionen und Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrech-
te, Außen- und Regionalpolitik, Flüchtlings- und Rückkehrerproblematik,
Verbesserung der Lebensbedingungen und Schaffung von Einkommen, huma-
nitäres Minenräumen8 und die Koordinierung des internationalen Engage-
ments. Im zweiten Teil werden ebenfalls sieben Bereiche genannt, die vital für
den Erhalt des seit 2001 begonnenen Wiederaufbau- und Entwicklungsprozes-
ses in Afghanistan sind und in denen kontinuierliche Arbeit und Koordination
notwendig sind, um eine immense Gefährdung für ebendiesen Prozess abzu-
wenden. Hier geht es um die Bereiche Sicherheitslage, internationale Militär-
präsenz, zivil-militärische Präsenz, Aufbau der afghanischen Armee, Aufbau
einer afghanischen Polizei und Grenzpolizei, Entwaffnung, Demobilisierung
und Reintegration von regulären Milizen und Entwaffnung und Auflösung
illegaler Milizen sowie Drogenbekämpfung. Die Bundesregierung schildert zu
jedem der jeweils sieben Bereiche die Hauptproblematik und nennt dann die
von ihr zur Lösung dieser Problematik geplanten Maßnahmen.9 Der vermeint-
liche Widerspruch zwischen den beiden Voraussetzungen – Wiederaufbau und
Entwicklung als Voraussetzung für Sicherheit, aber Sicherheit als Vorausset-
zung für Wiederaufbau und Entwicklung – löst sich, bei eingehender Betrach-
tung der beiden Teile, dahingehend auf, dass es sich in jedem Teil jeweils um
einen unterschiedlichen Begriff von Sicherheit handelt. So geht es im ersten
Teil vornehmlich um innere Sicherheit in Afghanistan. Diese soll vom afgha-
nischen Staat selbst hergestellt und langfristig erhalten werden. Dazu müssen
funktionsfähige Gewalten und Organe aufgebaut werden. Diese müssen in die
ebenfalls aufzubauende Zivilgesellschaft integriert werden, so dass eine lang-
fristige, selbst tragende staatliche Ordnung entsteht. Der im ersten Teil des
Konzeptes gemeinte Sicherheitsbegriff geht also von einer allein durch den
afghanischen Staat getragenen Sicherheit aus, die nur gewährleistet werden
kann, wenn die notwendigen Voraussetzungen dafür, nämlich eigenständig
funktionierende Gewalten mit dazugehörigen Institutionen, wie Gerichten,
Verwaltungen, Polizei und Armee, in einem nachhaltigen, kontinuierlichen
Wiederaufbau- und Entwicklungsprozess geschaffen werden. Die Hauptprob-
leme liegen hier vor allem in einer derzeitigen strukturellen Schwäche der
afghanischen Verwaltung, einer schwierigen Menschenrechtslage, großen

8
    Humanitäres Minenräumen: Befreiung zum Beispiel landwirtschaftlicher Nutzflächen von
    Minen durch zivile Minenräumorganisationen wie ‚HALO-Trust‘.
9
    Vgl. Bundesregierung, Das Afghanistan-Konzept, 17-50.

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Rückkehrerströmen von Flüchtlingen aus den umliegenden Ländern, die das
ohnehin schwache System weiter belasten, teilweise katastrophalen Lebensbe-
dingungen der Bevölkerung, einer allgegenwärtigen Bedrohung durch Millio-
nen ungeräumter Minen im Land und Schwierigkeiten bei der Koordinierung
des internationalen Engagements. Im zweiten Teil geht es um die Sicherheit,
die von den internationalen Truppen in Afghanistan (ISAF/OEF) gewährleistet
wird, um ebendiesen staatlichen und gesellschaftlichen Wiederaufbau- und
Entwicklungsprozess, der in eine funktionierende afghanische ‚Sicherheitsar-
chitektur‘ münden soll, zu beschützen. Es wird hier also ein mittelfristiger
Begriff von Sicherheit vorausgesetzt, eine Sicherheit, die temporär, von außen
ins Land gebracht wird, bis afghanische Sicherheitsorgane in der Lage sind,
die oben beschriebene Form von Sicherheit alleine zu gewährleisten. Die
größten Herausforderungen liegen hier vor allem in der angespannten Sicher-
heitslage, die zu einer ständigen Gefährdung des internationalen Personals
führt, immensen Schwierigkeiten bei Aufbau, Ausbildung und Finanzierung
von afghanischer Armee und Polizei, Schwierigkeiten mit lokalen Machtha-
bern und deren illegal bewaffneten Gruppen und, oft im Zusammenhang da-
mit, Schwierigkeiten bei der Bekämpfung des Drogenanbaus.

        Die Bundeswehr im Afghanistan-Konzept der Bundesregierung

Während die Bundeswehr im ersten Teil des Afghanistan-Konzeptes ‚Keine
Sicherheit ohne Wiederaufbau und Entwicklung‘ der Bundesregierung über-
haupt nicht erwähnt wird, spielt sie direkt oder indirekt eine Rolle in vier von
sieben Punkten des zweiten Teiles ‚Kein Wiederaufbau und keine Entwick-
lung ohne Sicherheit‘ dieses Konzeptes.10 So soll sie, im Rahmen einer mittel-
fristigen Beibehaltung der internationalen Truppenpräsenz, einen Beitrag zur
Schaffung eines sicheren Umfeldes für den Wiederaufbau leisten. Hierbei geht
es darum, kontinuierlich die immer noch unruhige und instabile Sicherheitsla-
ge im Lande zu verbessern und die Verantwortung dafür mehr und mehr in
afghanische Hände zu legen. Zur Unterstützung der ISAF-Gesamtoperation
soll die Bundeswehr weiterhin Leistungen wie Lufttransport, Füh-
rung/Führungsunterstützung, Lufttransport mit sanitätsärztlicher Versorgung
(MEDEVAC), Bereitstellung von Fernmeldespezialisten und Luftaufklärung
(RECCE-Tornados), auch über ihren unmittelbaren Verantwortungsbereich im
Norden Afghanistans hinaus, erbringen. Hier wird dem Konzept der regiona-
len Fokussierung Rechnung getragen, aber mit Blick auf die Tatsache, dass
der Einsatz nur als Gesamtoperation erfolgreich sein kann.11 Um die von der
10
     In den Punkten ‚Drogenbekämpfung‘, ‚Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration von
     regulären Milizen; Entwaffnung und Auflösung illegaler Milizen‘, sowie ‚Aufbau einer af-
     ghanischen Polizei und Grenzpolizei‘ nennt die Bundesregierung keinerlei durchzuführende
     Maßnahmen unter Beteiligung der Bundeswehr.
11
     Vgl. ebd. 36-39.

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Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan                            137

afghanischen Bevölkerung als mangelhaft empfundene Unterstützung durch
die internationale Gemeinschaft und lokale Autoritäten zu verbessern, soll der
von der Bundesregierung als bewährt bezeichnete zivil-militärische Ansatz in
Abstimmung mit Partnernationen in der Nordregion ausgebaut werden. Die
zivil-militärische Leitung12 der unter deutscher Führung stehenden ‚Provincial
Reconstruction Teams‘ (PRTs) in Kunduz und Feyzabad soll fortgeführt wer-
den. Die sichtbare, internationale Präsenz in der Nordregion wurde durch
Gründung der so genannten PATs (‚Provincial Advisory Teams‘) ‚ausgefä-
chert‘, also zivil-militärische Beraterteams in Provinzen, in denen es kein PRT
gibt.13 Im Rahmen des NATO-Engagements hinsichtlich des Aufbaus und der
Ausbildung der ‚Afghan National Army‘ (ANA) beteiligt sich auch die Bun-
deswehr an der Umsetzung des Konzeptes der ‚Operational Mentor and Liai-
son Teams‘ (OMLT) in der ISAF-Nordregion. Weiterhin werden der Aufbau
von Ausbildungseinrichtungen und Infrastruktur forciert, angemessene Aus-
stattung bereitgestellt und Multiplikatoren ausgebildet. Aufgaben für die Bun-
deswehr sind hier unter anderem die Unterstützung des ANA-Aufbaus durch
bilaterale Maßnahmen und Fortsetzung bereits begonnener Maßnahmen (zum
Beispiel der Aufbau der Logistikschule der afghanischen Armee in Kabul).14
Die Zuordnung der Bundeswehr durch die Bundesregierung zum zweiten Teil
des Konzeptes zeigt, dass sie eine Rolle spielen soll im Bereich der Herstel-
lung der bereits angesprochenen mittelfristigen Sicherheit, die von außen tem-
porär ins Land gebracht wird, um den Aufbau einer ‚selbst tragenden‘ afgha-
nischen Sicherheitsarchitektur abzusichern, sowie bei der Ausbildung der
afghanischen Sicherheitsorgane, insbesondere ANA, und der Unterstützung
der ISAF-Bündnispartner. Auf diese Weise soll der Einsatz der Bundeswehr
zur Erreichung des übergeordneten Zieles der Bundesregierung in Afghanistan
beitragen: Durch Stabilisierung und Aufbau des Landes, Verbesserung der
Lebensbedingungen der afghanischen Bevölkerung, Fortsetzung des staatli-
chen und gesellschaftlichen Wiederaufbaus und dauerhafter Verhinderung der
Rückkehr des Taliban-Regimes, zu verhindern, dass das Land je wieder als
„Ruhe-, Rückzugs- und Regenerationsraum“15 für den internationalen Terro-
rismus genutzt werden kann. So dient der Einsatz indirekt deutschen Sicher-
heitsinteressen.16

12
     Führung der PRTs durch eine ‚Doppelspitze‘: Der militärische Anteil des PRT wird von
     einem militärischen Kommandeur geführt, ein ranghoher Diplomat des Auswärtigen Amtes
     ist für die zivilen Anteile des PRT verantwortlich.
13
     Vgl. ebd. 40-41.
14
     Vgl. ebd. 42-43.
15
     Ebd. 9.
16
     Vgl. ebd.

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                                   Militärische Effizienz

Seliger stellt in seinem Artikel Dixieklo statt Klappspaten die Frage, ob die
Bundeswehr bereits in der Realität des modernen, militärischen Krisenmana-
gements angekommen sei.17 Er verweist in der Folge auf eine Reihe von teils
gravierenden Missständen, denen die Soldaten in den Auslandseinsätzen der
Bundeswehr unterworfen sind.
   So wird der Dienstalltag in deutschen Auslandseinsätzen durch eine nicht
einsatzadäquate Bürokratie erschwert, welche aus der so genannten „Bestim-
mungsmitnahme“18 herrührt, die an und für sich den deutschen Soldaten
Rechtssicherheit verschaffen soll, in der Praxis aber dazu führt, dass die Aus-
übung des Dienstes im Einsatzland durch ganz und gar unsinnige auszufüh-
rende Tätigkeiten erschwert wird (wie zum Beispiel Mülltrennung in Afgha-
nistan19 oder die Stilllegung von einsatzwichtigem Gerät wegen des Fehlens
von TÜV-Plaketten20).
   Auch eine äußerst angespannte Ersatzteilproblematik führt oftmals zu Aus-
fällen von dringend benötigtem Gerät. Bis Ersatzteile, die im Einsatzland nicht
vorhanden sind, aus Deutschland eingeflogen werden, können Wochen verge-
hen. Immer noch mangelt es an einer ausreichenden Anzahl genügend ge-
schützter Fahrzeuge für die Soldaten, besonders in Afghanistan, um diese
bestmöglich gegen Minen, Sprengfallen und Beschuss zu schützen. Erst eine
direkte Intervention des Wehrbeauftragten im März 2007 veranlasste das Ver-
teidigungsministerium, die Beschaffung solcher Fahrzeuge zu beschleunigen.
   Die mangelnden Lufttransportkapazitäten der Bundeswehr bergen Gefah-
renpotential für die Truppe im Einsatz. So gibt es keinerlei Möglichkeiten,
eigenständig ‚Combat Search and Rescue‘ (CSAR-) Aktionen durchzuführen;
ein Mangel, der gerade angesichts des aktuellen Einsatzes deutscher Tornados
gravierend ist. Insgesamt ist das von den deutschen Streitkräften in Afghanis-
tan eingesetzte, ursprünglich für den Einsatz in Mitteleuropa konzipierte Flug-
gerät zu leistungsschwach und veraltet. Das führt zu Schwierigkeiten bei
Transport und Versorgung der eigenen Soldaten. Das PRT in Feyzabad zum
Beispiel wird von deutschen Transall-Flugzeugen aus Sicherheitsgründen
überhaupt nicht angeflogen, die eingesetzten CH-53-Hubschrauber operieren
in der dünnen afghanischen Luft ständig am Leistungslimit. Sollte es notwen-

17
     Vgl. Marco Seliger, Dixieklo statt Klappspaten, in: Internationale Politik (05/2007), 36-42,
     36.
18
     Ebd. 37.
19
     Gegen Mülltrennung, auch im Auslandseinsatz ist grundsätzlich nichts einzuwenden, jedoch
     ist bekannt, dass die mit der Müllentsorgung beauftragten Unternehmen (wie zum Beispiel
     ECOLOG) mit afghanischen Subunternehmern zusammenarbeiten. Diese kippen den säuber-
     lich getrennten Müll aus den Feldlagern auf, meist wilden, Deponien wieder zusammen (ei-
     gene Beobachtungen während zweier Einsätze als Bundeswehroffizier in Afghanistan).
20
     Vgl. ebd. 38.

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Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan                              139

dig werden, das PRT in Feyzabad zu evakuieren, wäre Deutschland auf die
Solidarität seiner Bündnispartner angewiesen.
   Weiterhin gibt es Probleme im Bereich der Ausbildung von Soldaten.
Schießplätze im Einsatzland, auf denen die (vor Ort) empfangenen Handwaf-
fen der Soldaten eingeschossen werden können, sind aufgrund deutscher
Sicherheitsbestimmungen gesperrt; Ärzte werden ohne notwendige Qualifika-
tionen in den Einsatz geschickt, und notwendige Fahrtrainings für Spezialein-
satzkräfte, wie zum Beispiel die Personenschützer der Feldjägertruppe, wer-
den nicht durchgeführt. Schließlich deutet der interne Umgang der Bundes-
wehr mit dem Thema ‚Tod und Verwundung‘, so Seliger, auf einen mangeln-
den Sinn für die Realität heutiger Militäreinsätze. So haben die Soldaten im
offiziellen Sprachgebrauch Ausdrücke wie ‚Anschlag‘, ‚Attentat‘ oder ‚Krieg‘
zu vermeiden. Der Anschlag auf den Bundeswehrbus 2004 in Kabul und die
Explosion manipulierter Munition, bei der 2005 in Rustaq in Nordafghanistan
zwei Bundeswehrsoldaten starben, werden zum ‚Busunglück‘ bzw. ‚Unfall‘
verharmlost.21 „Einsatzskeptische Politiker und das Volk, so könnte der Ein-
druck entstehen, sollen möglichst im Unklaren darüber gelassen werden, dass
es sich bei der Bundeswehr-Mission in Afghanistan inzwischen um einen
veritablen Kampfeinsatz handelt.“22
   Mehrere Gründe sind für die oben geschilderten Verhältnisse zu nennen.
Erstens wurde die Bundeswehr als Armee für die Landesverteidigung konzi-
piert. Bevor in den 1990er Jahren Auslandseinsätze im Rahmen internationaler
Missionen für sie akut wurden, leistete sie über „Jahrzehnte Friedensdienst“23
in der Heimat. Sie war technisch und konzeptionell eher für eine symmetri-
sche militärische Großauseinandersetzung mit dem Warschauer Pakt ausge-
richtet als für eine Vielzahl an Militärmissionen, bei deren Vielfalt und unter-
schiedlicher Natur der ursprüngliche grundgesetzliche Verteidigungsauftrag
nicht mehr, jedenfalls nicht mehr direkt, erkennbar ist.24 Die Transformation
der Bundeswehr zu einer Einsatzarmee hat zwar begonnen, es sind aber mehr
Zeit und die Durchführung verschiedener Maßnahmen notwendig, um sie
erfolgreich abzuschließen.

21
     Vgl. ebd. 39-41. Diesen Punkt betreffend scheint es jedoch bekanntlich in letzter Zeit zu
     einem Umdenken zu kommen. So sagte Verteidigungsminister zu Guttenberg unter anderem
     der Tagesschau: „In Teilen Afghanistans gibt es fraglos kriegsähnliche Zustände.“ (Tages-
     schau, Einsatz in Afghanistan: „Krieg“ für Guttenberg kein Tabu mehr, online-Quelle 2009
     [URL s. Literaturverzeichnis])
22
     Seliger, Dixieklo statt Klappspaten, 42. Die in diesem Abschnitt geschilderten Verhältnisse
     decken sich mit meinen eigenen Beobachtungen während zweier Auslandseinsätze als Bun-
     deswehroffizier im ISAF-Rahmen in den Jahren 2005 und 2007.
23
     Ebd. 36.
24
     Vgl. Sabine Mannitz, Bundeswehr als Freund und Helfer in aller Welt? Das Soldatenbild der
     Bundeswehr auf dem Prüfstand der Transformation. HSFK-Standpunkte (3/2007), online-
     Quelle (URL s. Literaturverzeichnis), 1.

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   Zweitens sind viele der angesprochenen Missstände auf finanzielle Mängel
zurückzuführen25, einsatzwichtiges Gerät kann nicht schnell genug beschafft
werden, weil die dafür benötigten finanziellen Mittel nicht zur Verfügung
stehen. Das liegt zum einen daran, dass große Summen des Verteidigungsetats
für Großgerät verplant sind, welches für den Einsatz ungeeignet ist (zum Bei-
spiel Eurofighter). Die so festgelegten Gelder müssen an anderer, teilweise für
den Einsatz entscheidender Stelle wieder eingespart werden. Zum anderen
sind das Festhalten an der für eine moderne Einsatzarmee unzeitgemäßen
Wehrpflicht sowie eine viel zu hohe Personalstärke von rund 250.000 Solda-
ten und Soldatinnen26 für eine Armee, die sich nicht mehr in der Landesvertei-
digung zu bewähren hat, verantwortlich für zu hohe Personalkosten.27
   Drittens entstehen enorme ‚Reibungsverluste‘ durch die bereits oben be-
schriebene, übermäßige Bürokratisierung der Einsätze, die teils aus der Be-
stimmungsmitnahme, aber auch aus der Existenz von sich oftmals gegenseitig
behindernden Parallelstrukturen (national – multinational, zivil – militärisch)
herrühren. Diese ‚Reibungsverluste‘ drücken sich in eingeschränkter Hand-
lungsfähigkeit, Ausbildungsmängeln und unsinnigen Hemmungen der Dienst-
abläufe im Einsatzland aus.
   Viertens und letztens wird die militärische Effizienz der Bundeswehr durch
eine Überforderung der deutschen Soldaten im Einsatz gemindert.
        „Dem Anspruch der Bundeswehr hinsichtlich ihres militärischen und soldati-
        schen Anforderungsprofils nach ist das soldatische Subjekt heute hybrid und
        multifunktional. Es ist für beiderlei Geschlecht sowohl Kämpfer und Krieger wie
        Gendarm, Polizist, Konstabler, Diplomat und bewaffneter Sozialarbeiter. Der
        Soldat muss wissen, wie man kämpft, wie man lokale Sicherheit gewährleistet,
        wie man lokale Gegner behandelt und wie man mit lokalen Partnern und zivilen
        internationalen Hilfsorganisationen zusammen arbeitet. Als Experten in Sachen
        Gewaltanwendung, die der Soldat und die Soldatinnen bleiben, müssen sie zu-
        gleich politisch gebildet sein und über kulturelle und soziale Empathie, interkul-
        turelle Kompetenz und diplomatische Fähigkeiten verfügen.“28
Von den Soldatinnen und Soldaten in den Einsätzen wird also ein „Dauerspa-
gat“29 zwischen zivilen und militärischen Kompetenzen verlangt. Es muss
vermutet werden, dass hier eine eigentlich nur von „Ausnahmepersönlichkei-
ten einlösbare Multifunktionalität zur Norm erklärt wird“30 und es ist zumin-
dest fraglich, ob die eingeforderte Fähigkeit zu diplomatischem Handeln und

25
     Vgl. Seliger, Dixieklo statt Klappspaten, 41.
26
     Vgl. Bundesministerium der Verteidigung, Die Stärke der Bundeswehr, online-Quelle 2009
     (URL s. Literaturverzeichnis).
27
     Vgl. Berthold Meyer/Jürgen Groß, Unter Ächzen und Stöhnen, in: Ulrich Ratsch/Reinhard
     Mutz/Bruno Schoch/Corinna Hauswedell/Christoph Weller (Hg.), Friedensgutachten 2005,
     Münster 2005, 210-218, 214.
28
     Gerhard Kümmel, Eine schwierige Melange – Das Bild des Soldaten der Bundeswehr im
     Wandel, Zeitschrift für Innere Führung (1/2007), online-Quelle (URL s. Literaturverzeichnis).
29
     Mannitz, Bundeswehr als Freund und Helfer in aller Welt?, 8.
30
     Ebd.

                                                                             Sebastian Schilling - 9783657769346
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Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan                               141

interkultureller Verständigung in vermeintlich friedlichen Situationen, die
unter Umständen gewalttätig eskalieren können und ein „sofortiges militäri-
sches Gewalthandeln“31 erfordern, überhaupt eingesetzt werden kann.32 Auch
der immer noch unzureichende Umgang mit dem Thema ‚Tod und Verwun-
dung‘ in den deutschen Streitkräften (wie in der deutschen Öffentlichkeit)
führt teilweise zu einer Überforderung von Soldaten. Zu oben bereits be-
schriebener ‚verbalen Negierung‘ von Kriegsfakten kommt die oftmals man-
gelnde Bereitschaft und/oder Fähigkeit von Vorgesetzten und Kameraden, den
Soldaten noch vor Ort dabei zu helfen, die psychischen Belastungen des Ein-
satzes zu verarbeiten, sowie ein oftmals zu geringes Freizeit- und Betreuungs-
angebot in den Feldlagern.33 Die Folgen sind oft Stressbelastungen nach dem
Einsatz bis hin zum Posttraumatischen Stresssyndrom (PTSS). Die Zahl der
Einsatzrückkehrer mit posttraumatischen Belastungen steigt mit jedem Jahr an
und lag im Jahr 2008 bei über zweihundert.34 Derart belastete Soldaten sind oft
für weitere Auslandsverwendungen nicht mehr einsetzbar und mindern die
Fähigkeit der Bundeswehr zur verlässlichen und kontinuierlichen Dienstpos-
tenbesetzung in ihren Einsätzen.35

                                  Politische Problematik

Insgesamt ist das militärische Vorgehen der Bundeswehr in Afghanistan durch
einen „geringen Aktionsradius“36 und äußerst strenge Auflagen bezüglich des
Selbstschutzes der Soldaten geprägt. Ein Beispiel für diese von Verbündeten
als „zögerlich und übervorsichtig“37 empfundene Haltung ist die Auflage, die
seit dem Selbstmordanschlag im März 2007 in Kunduz gilt. Diese besagt, dass
die Feldlager nur in gepanzerten Fahrzeugen verlassen werden dürfen und
dass diese gepanzerten Fahrzeuge von den Soldaten auch nicht verlassen wer-
den dürfen, was eine Kooperation mit den afghanischen Bürgern immens er-
schwert, wenn nicht unmöglich macht.38 Auch das Nichteingreifen der Bun-
deswehr, als im September 2004 internationale und afghanische Mitarbeiter

31
     Ebd.
32
     Vgl. ebd.
33
     Eigene Beobachtungen.
34
     Vgl. Sandra Pabst, Immer mehr Bundeswehrsoldaten traumatisiert, online-Quelle 2006 (URL
     s. Literaturverzeichnis); Zweites Deutsches Fernsehen, 3. 2. 2009, Immer mehr deutsche Sol-
     daten traumatisiert, online-Quelle (URL s. Literaturverzeichnis).
35
     Eigene Beobachtungen.
36
     Rainer Glassner/Conrad Schetter, Der deutsche Beitrag zum Wiederaufbau in Afghanistan
     seit 2001: Bundeswehreinsatz und ziviles Engagement, in: Bruno Schoch/Andreas Heine-
     mann-Grüder/Jochen Hippler/Markus Weingardt/Reinhard Mutz (Hg.), Friedensgutachten
     2007, Berlin 2007, 62-74, 69.
37
     Ebd.
38
     Vgl. ebd. 70; Jochen Bittner, Wettlauf um Afghanistan, in: Die Zeit 31 vom 26. Juli 2007, 3,
     online-Quelle (URL s. Literaturverzeichnis).

                                                                               Sebastian Schilling - 9783657769346
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142                                    Sebastian Schilling

von NRO von einer aufgestachelten Menge angegriffen wurden39, verdeutlicht
die zögerliche deutsche Haltung. Außerdem ist zu bemerken, dass die Bun-
deswehr in ihrem Einflussbereich weder gegen den Drogenanbau noch gegen
die daran Beteiligten und auch nicht gegen lokale Kriegsfürsten vorgeht.
   Es gibt für dieses Vorgehen der Bundeswehr zwei Hauptgründe. Erstens ist
die Bundesregierung ängstlich darauf bedacht, die Zahl an Todes- und Ver-
wundungsopfern unter den Bundeswehrsoldaten so gering wie möglich zu
halten, um den Einsatz weiterhin vor der deutschen Wählerschaft rechtfertigen
zu können. Sollten sich die Opferzahlen dramatisch erhöhen und wäre die
Bundesregierung dazu gezwungen, aus einer innenpolitischen Zwangslage
heraus die Bundeswehr aus Afghanistan abzuziehen, wäre dieses eine bünd-
nis- und außenpolitische Katastrophe. Es sähe aus, als ob eines der reichsten
Länder der Welt sich vor seiner Verantwortung gegenüber fragilen Staaten
wie Afghanistan drücken würde. „Damit wäre die Außen- und Sicherheitspoli-
tik der ‚Zivilmacht Deutschland gescheitert‘.“40 Der von den Bündnispartnern,
aber auch oft von den Bundeswehrsoldaten selbst41 als übertrieben empfunde-
ne Selbstschutz und die damit verbundene zögerliche Vorgehensweise der
Bundeswehr resultieren also aus politischen Erwägungen, die auf Kosten der
militärischen Effektivität und Effizienz der Truppe durchgesetzt werden. Im
direkten Zusammenhang damit ist auch die militärische Zurückhaltung gegen-
über Drogenanbau, Drogenbaronen und lokalen Kriegsfürsten zu sehen. Es
wird alles vermieden, was die Bundeswehr auch nur in die Nähe des An-
scheins einer Besatzungstruppe geraten lässt, was sie noch mehr als bisher zur
Zielscheibe für weitere Anschläge werden ließe. Die so oft bemühte Begrün-
dung, dass für einen Kampf gegen Drogenanbau und Warlords das ISAF-
Mandat zu schwach sei, ist jedenfalls bei genauerer Betrachtung sicher nicht
haltbar. So sind die ISAF-Truppen ermächtigt, militärische Gewalt zur Durch-
setzung aller erforderlichen Maßnahmen des in den UN-Sicherheits-
ratsresolutionen genannten Auftrages anzuwenden.42 Dieser Auftrag besteht
unter anderem darin, die ‚effektive Funktionalität‘ des afghanischen Sicher-
heitssektors zu erhöhen.43 Das Vorhandensein von starken illegalen Milizen
(unterhalten von Warlords) und eine starke Drogenökonomie schwächen das
reguläre Gewaltmonopol des afghanischen Staates, welches durch die Kräfte
des afghanischen Sicherheitssektors (ANA/ANP) auszuüben ist. Unter den
gegebenen Verhältnissen ist es der ISAF also unmöglich, dem vom UN-SR
erteilten Auftrag nachzukommen und ein Vorgehen gegen Drogenanbau und
Warlord-Milizen wäre legitim.

39
     Glassner/Schetter, Der deutsche Beitrag, 70.
40
     Thomas Risse, Was in Afghanistan auf dem Spiel steht, in: Internationale Politik (04/2007),
     106-108, 108. Kritisch hierzu: Volker Perthes, Wie? Wann? Wo? Wie oft?, in: Internationale
     Politik (05/2007), 16-21, 19-21.
41
     Eigene Beobachtungen.
42
     Vgl. Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, Resolution 1890, 4.
43
     Vgl. ebd.

                                                                           Sebastian Schilling - 9783657769346
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Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan                             143

                                 Das deutsche Modell
                   zivil-militärischer Präsenz in Nordafghanistan

Den Kern dieses Modells bilden die von Deutschland geführten PRTs im
nordafghanischen Kunduz und Feyzabad. Diese Einheiten sind nicht rein mili-
tärischer Natur, sondern bestehen aus einer militärischen Komponente, die
hauptsächlich als Schutzfunktion agieren soll und einer zivilen Komponente,
die maßgeblich für zivile Wiederaufbau- und Entwicklungsprojekte in der
Region verantwortlich ist. Geführt werden die PRTs von einer so genannten
Doppelspitze: Dem militärischen Kontingentführer unterstehen die militäri-
schen Anteile des PRTs. Für die zivile Komponente, also die Mitarbeiter des
Auswärtigen Amtes, der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), der Gesell-
schaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), des Deutschen Entwicklungs-
dienstes (DED) und anderer ziviler Organisationen inklusive lokaler Kräfte ist
ein Diplomat des Auswärtigen Amtes als ziviler Leiter verantwortlich.44 In den
Aufgabenbereich des militärischen Anteils fallen die Sicherstellung eines
friedlichen Umfeldes, die Unterstützung der Reform der Sicherheitsstrukturen,
der Verbindungsaufbau zu (nicht)staatlichen Organisationen, zivile Unterstüt-
zungsmaßnahmen45 und gegebenenfalls das militärische Eskortieren von Wie-
deraufbauteams in die Provinz. Der zivile Anteil ist verantwortlich für die
Planung, Durchführung und Unterstützung von Wiederaufbaumaßnahmen
sowie die Verbindung zu anderen Organisationen.46 Es handelt sich hier also
um ein Modell mehrere Ressorts umfassender Zusammenarbeit, bei dem in
einem PRT getrennte ‚Säulen‘ und Verantwortlichkeiten des Bundesministeri-
ums der Verteidigung (BMVg), des Bundesministeriums für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und des Auswärtigen Amtes (AA)
existieren. Man spricht deshalb im Zusammenhang mit den deutschen PRTs in
Afghanistan auch von einem „Drei-Säulen-Modell“.47 Die Aktivitäten des
Wiederaufbauteams werden über die Koordinierungsgruppe gesteuert, die
wöchentlich zusammentrifft.48 Dieser „Einsatz der Bundeswehr innerhalb

44
     Vgl. Einsatzführungskommando der Bundeswehr, Chronologie des Einsatzes; Stefan
     Klingebiehl/Katja Roehder, Entwicklungspolitisch-militärische Schnittstellen: Neue Heraus-
     forderungen in Krisen und Post-Konflikt-Situationen. Berichte und Gutachten: 3/2004, onli-
     ne-Quelle (URL s. Literaturverzeichnis), 25.
45
     CIMIC-Maßnahmen.
46
     Vgl. Klingebiehl/Roehder, Entwicklungspolitisch-militärische Schnittstellen, 25.
47
     Hans-Joachim Preuß, Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung von Sachverständigen zum
     Thema „Zivil-militärische Zusammenarbeit“ im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenar-
     beit und Entwicklung am 25. 10. 2006. Ausschussdrucksache: 16(19)124, online-Quelle
     (URL s. Literaturverzeichnis), 3.
48
     Vgl. Klingebiehl/Roehder, Entwicklungspolitisch-militärische Schnittstellen, 25.

                                                                             Sebastian Schilling - 9783657769346
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144                                    Sebastian Schilling

eines zivilen Krisenpräventionsansatzes“49 ist nicht zu verwechseln mit dem
CIMIC-Konzept:
        „CIMIC ist ein rein militärisches Konzept, das darauf abzielt, Rückhalt in der zi-
        vilen Bevölkerung für den militärischen Einsatz herzustellen, besseren Schutz
        für die Truppe zu erreichen und Informationen zu sammeln (‚force protection‘).
        Um durch Kommunikation und bevölkerungsnahe Präsenz Vertrauen herzustel-
        len, werden so genannte ‚winning hearts and minds activities‘ durchgeführt, die
        – im Gegensatz zur Not- und Entwicklungshilfe – nicht primär am Bedarf der
        Bevölkerung und einer sich langfristig selbst tragenden Entwicklung in den
        Interventionszonen orientiert sind. Bei CIMIC-Projekten wird nach außen jedoch
        kein Unterschied zu Projekten einer Hilfsorganisation sichtbar. […] CIMIC-
        Einheiten stellen […] nur einen kleinen Teil der Personen in einem PRT […].“50
Es wird deutlich, dass der zivil-militärische PRT-Ansatz der Bundesregierung
(Drei-Säulen-Modell/integrierte Mission) den übergeordneten Rahmen bildet,
in dem sich CIMIC neben originär militärischen Aufgaben, wie zum Beispiel
die Sicherstellung eines friedlichen Umfeldes, und Aufgaben des zivilen Wie-
deraufbaus und der Entwicklung bewegt.51

                  Entwicklungspolitisch-militärische Schnittstellen

In ihrer gleichnamigen Analyse identifizieren Klingebiehl und Roehder52 ver-
schiedene Schnittstellen zwischen Entwicklungspolitik und Militär, welche
durch ab Beginn der 90er Jahre verstärkt aufgetretene ‚lang-anhaltende Kri-
sen‘ und dem in Verbindung damit neu entworfenen Sicherheitsparadigma
‚Keine Entwicklung ohne Sicherheit‘ entstanden sind. Diese Schnittstellen
werden vier verschiedenen Kategorien zugeordnet.53 Zwingende Vorausset-
zung für eine entwicklungspolitische Beteiligung am Wiederaufbau im Zu-
sammenhang mit militärischen Einsätzen ist stets die Legitimität der Militär-
einsätze und deren völkerrechtliches Mandat.54

49
     Peter Struck, Einführungsstatement des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Peter Struck,
     anlässlich der Pressekonferenz am 18. 5. 2004 in Berlin, online-Quelle (URL s. Literaturver-
     zeichnis).
50
     Preuß, Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung von Sachverständigen, 1.
51
     Vgl. Rainer Glassner/Conrad Schetter, Zivil-militärische Grauzone, in: Eins – Entwicklungs-
     politik (15-16/2007), 24-28, 27.
52
     Klingebiehl/Roehder, Entwicklungspolitisch-militärische Schnittstellen, I.
53
     Siehe folgende Tabelle.
54
     Klingebiehl/Roehder, Entwicklungspolitisch-militärische Schnittstellen, I-IV.

                                                                            Sebastian Schilling - 9783657769346
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Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan                               145

     Kategorie        Schnittstelle(n)                  Merkmale/Beispiele

1. Sicherheit und   Sicherheit und Stabi-    Erreichen von Stabilität und Sicherheit
Stabilität          lität als Rahmenbe-      durch militärische Maßnahmen als
                    dingung für Entwick-     entscheidende Bedingung für den
                    lungspolitik             Wiederaufbau

2. Strategische     Ressortüber-             Informationsaustausch;
Planung und         greifende Zusam-         Entwicklung gemeinsamer Strategien der
Konzeption          menarbeit und Me-        verschiedenen Politikbereiche;
                    chanismen                Zusammenarbeitsmechanismen:
                                             - Bundessicherheitsrat
                                             - Ressortbesprechungen
                                             - Ressortübergreifende Kooperationen

                    Einbindung/Unter-        Weitreichende Nutzung von Instrumenten
                    ordnung von Einzel-      der Entwicklungspolitik und der
                    personen in kurzfris-    Humanitären Hilfe im Rahmen des militäri-
                    tige politische und      schen Vorgehens
                    militärische Strate-
                    gien

3. Finanzierung     Entwickungspolitik       Mitfinanzierung des ECOWAS-
von nicht-zivilen   finanziert nichtzivile   Militäreinsatzes aus Mitteln des Europäi-
Maßnahmen und       Maßnahmen und            schen Entwicklungsfonds (EEF);
Einsätzen/zivilen   Einsätze                 Deklarierung deutscher Pflichtbeiträge zu
Aktivitäten des                              militärischen UN-Missionen als ‚Official
Militärs                                     Development Assistance‘ (ODA)

                    Entwicklungspolitik      BMZ-Unterstützung von CIMIC-
                    finanziert zivile        Maßnahmen der Bundeswehr
                    Aktivitäten von
                    Militär

                    Militär konkurriert      Für die Durchführung von CIMIC-Maß-
                    um EZ-Mittel             nahmen tritt das Militär als Mitbewerber
                                             z. B. von GTZ oder NRO bei der Vergabe
                                             von Mitteln im humanitären und entwick-
                                             lungspolitischen Bereich auf

                                                                        Sebastian Schilling - 9783657769346
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146                                  Sebastian Schilling

     Kategorie             Schnittstelle(n)                Merkmale/Beispiele

     4. Operatives        Ressort-              Unterstützung des ‚Kofi Annan Internatio-
     Vorgehen             übergreifende         nal Peacekeeping Training Centre‘ durch
                          Vorhaben              AA, BMVg und BMZ;
                                                Pilotversuch für kohärentes, ressortübergrei-
                                                fendes Förderkonzept

                          Militär führt         Vor allem im Rahmen von CIMIC
                          EZ-typische           zutreffend
                          Maßnahmen durch

                          Konkrete Schutz-      Allgemeine Schutzfunktion des Militärs;
                          funktion für          vor Ort kann sich darüber hinaus eine kon-
                          entwicklungs-         krete Zusammenarbeit entwickeln
                          politische Akteure

                          Militär nimmt         GTZ/GTZ International Services im Unter-
                          entwicklungs-         auftrag der Bundeswehr
                          poitische Akteure
                          unter Vertrag

                          Kooperation bei       Gegenseitige Einbeziehung bei
                          Aus- und Fortbil-     Aus- und Fortbildungsveranstaltungen/
                          dung                  Dialogforen in verschiedenen Zusammen-
                                                hängen:
                                                - Bundesakademie für Sicherheitspolitik
                                                - Führungsakademie der Bundeswehr
                                                - ZMZ-Lehrgang der AKNZ

Übersicht 1: Kategorien, Schnittstellen und Merkmale (mit Beispielen)
Erläuterung: Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan als zivil-militärische
Präsenz im ISAF-Rahmen findet sich im Konzept entwicklungspolitisch-
militärischer Schnittstellen in allen vier Kategorien wieder und besetzt unter
anderem die folgenden Schnittstellen (vgl. dazu jeweils auch Übersicht 1):
   Sicherheit und Stabilität als Rahmenbedingung für Entwicklungspolitik
(Kategorie 1): Der militärische Anteil der PRTs ist für die Herstellung von
Sicherheit und eine Stabilisierung der Lage in der Region zuständig. So wer-
den die notwendigen Rahmenbedingungen für das Tätigwerden von Entwick-
lungspolitik „vor Ort“55 überhaupt erst geschaffen. Diese Schnittstelle bildet
die eigentliche Kernaufgabe des Militärs in internationalen, integrierten Mis-
sionen ab:
         „Das PRT Kunduz stärkt den Einfluss der Zentralregierung Kabuls in den nord-
         östlichen Provinzen, indem es zusammen mit den regionalen Sicherheitskräften

55
      Ebd. 13

                                                                         Sebastian Schilling - 9783657769346
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Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan                            147

       und Behörden für ein stabiles und sicheres Umfeld sorgt. Dies wiederum ist die
       Basis für die Arbeit der staatlichen und nichtstaatlichen Hilfsorganisationen, die
       sich dem Wiederaufbau und der Entwicklung des Landes widmen.“ 56
Ressortübergreifende Zusammenarbeit und Mechanismen (Kategorie 2): Hier
ist vor allem die wesentliche Mitwirkung des Bundesministeriums für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung an der Debatte über die Gestal-
tung des Wiederaufbauteams in Kunduz und die Mandatierung der entspre-
chenden militärischen Komponente zu nennen.57 Ein weiteres Beispiel ist der
‚Provincial Development Fund‘; dieser wird aus Mitteln des BMVg für den
Ressortkreis ‚Zivile Krisenprävention‘ (1,45 Millionen Euro für 2008) und
Mitteln des BMZ (eine Millionen Euro für 2008) gefördert.58
   Zielgerichtete Einbindung und Unterordnung von Entwicklungspolitik in
kurzfristige politische und militärische Strategien (Kategorie 2): Im Gegen-
satz zu den PRTs der USA, in denen eine weitgehende Unterordnung von
Entwicklungspolitik unter militärisches Vorgehen stattfindet (Wiederaufbau-
arbeit unter dem Anti-Terror-Mandat ‚Enduring Freedom‘), findet sich in den
deutschen PRTs in Kunduz und Feyzabad „weitgehende Einbindung von In-
strumenten der Entwicklungspolitik sowie der Humanitären Hilfe […].“59
   Entwicklungspolitik finanziert zivile Maßnahmen von Militär (Kategorie 3):
CIMIC-Maßnahmen der Bundeswehr werden durch das BMZ finanziert bzw.
mitfinanziert. Die Materialkosten der CIMIC-Projekte der Bundeswehr wer-
den nicht über den Haushalt des BMVg finanziert. Also muss die Bundeswehr
zu ihrer Finanzierung so genannte Drittmittel einwerben. Dazu tritt sie mit
Anträgen unter anderem an das Auswärtige Amt, die Europäische Union und
das BMZ heran. Der finanzielle Umfang aller bis 2003 durchgeführten
CIMIC-Maßnahmen der Bundeswehr (Afghanistan und Balkan) wird vom
BMVg mit rund 35 Millionen Euro angegeben.60
   Militär konkurriert um Mittel der Entwicklungszusammenarbeit (Kategorie
3): Im direkten Zusammenhang mit der Nichtfinanzierung von CIMIC-Ma-
terialkosten und dem damit verbundenen Einwerben von Drittmitteln durch
die Bundeswehr tritt diese als Konkurrent bei der Vergabe von Mitteln der EZ
(Entwicklungszusammenarbeit) auf. Dieses Konkurrenzverhältnis gilt zum
einen für die Durchführungskapazitäten von GTZ gegenüber denen der Bun-
deswehr, zum anderen konkurriert die Bundeswehr durch Beantragung von
EZ-Mitteln der Europäischen Union auch direkt mit ‚Nichtregierungsorganisa-
tionen‘ (NROs) im humanitären Bereich.61

56
     Einsatzführungskommando der Bundeswehr, Chronologie Chronologie des Einsatzes. Ent-
     sprechendes findet sich über das PRT Feyzabad.
57
     Vgl. Klingebiehl/Roehder, Entwicklungspolitisch-militärische Schnittstellen, 14.
58
     Bundesministerium der Verteidigung, Unsere Bundeswehr in Afghanistan – Für Sicherheit
     und Frieden, online-Quelle 2008 (URL s. Literaturverzeichnis), 22.
59
     Klingebiehl/Roehder, Entwicklungspolitisch-militärische Schnittstellen, 14.
60
     Vgl. ebd. 22.
61
     Vgl. ebd. 18.

                                                                           Sebastian Schilling - 9783657769346
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148                                    Sebastian Schilling

   Militär führt EZ-typische Maßnahmen durch (Kategorie 4): Hierbei geht es
um die Durchführung von zivilen Aufgaben durch das Militär im Rahmen der
militärischen Strategie, die EZ-Maßnahmen vergleichbar sein können. Ein
Beispiel für Afghanistan sind von der Bundeswehr zur Verbesserung der In-
frastruktur in den Provinzen Kunduz, Takhar und Badakhshan durchgeführte
Projekte im Rahmen des oben bereits erwähnten ‚Provincial Development
Funds‘.62
   Militär nimmt EZ-Akteure unter Vertrag (Kategorie 4)63: Die GTZ führt im
Rahmen ihrer Abteilung ‚Gemeinnütziger Bereich‘ Bauaufträge für das
BMVg in Afghanistan durch.64 So wurden im Februar 2003 Unterkünfte für
1350 Soldaten der Bundeswehr verteilt auf Camp Warehouse, Kabul und Ka-
bul International Airport nach Fertigstellung durch die GTZ an das ISAF-
Kontingent der Bundeswehr übergeben. Im Mai 2006 wurde ein gesamtes von
der GTZ für die Bundeswehr errichtetes Feldlager in Kunduz an die Bundes-
wehr übergeben. Weitere Baumaßnahmen der GTZ im Auftrag der Bundes-
wehr gibt es im Bereich Gebäude-Rehabilitation sowie im Tiefbaubereich.65

                                   Chancen und Risiken

Der integrierte Ansatz der entwicklungspolitisch-militärischen Zusammenar-
beit birgt für alle Akteure verschiedene Vor-, aber auch Nachteile. So schafft
der Einsatz des Militärs mit der Herstellung von Sicherheit und Stabilität so-
wohl die Voraussetzung für die Entwicklung des betroffenen Landes, als auch
die Voraussetzungen für ein entwicklungspolitisches Engagement. Die ent-
wicklungspolitischen Akteure haben die Möglichkeit, auf sicherheitspolitische
Strategien sowie auf die Vorgehensweisen militärischer Akteure in entwick-
lungspolitisch relevanten Feldern konstruktiv Einfluss zu nehmen. So ist es
möglich, zu einem gesamtpolitisch kohärenten Vorgehen unter Berücksichti-
gung entwicklungspolitischer Aspekte zu kommen. Das Militär kann eine
erhöhte Akzeptanz in der Bevölkerung durch besser geplante und somit besser
durchgeführte zivile Aktivitäten erreichen und auf zusätzliche Mittel aus der
Entwicklungszusammenarbeit zugreifen, die finanzieller Natur sein können,
aber auch Beratungsleistungen oder Unterstützungsleistungen bei der Durch-
führung sind denkbar. Die Arbeit von NROs kann zumindest in akuten Krisen

62
     Vgl. Bundesministerium der Verteidigung, Unsere Bundeswehr in Afghanistan, 22; Klinge-
     biehl/Roehder, Entwicklungspolitisch-militärische Schnittstellen, 18.
63
     Die von Klingebiehl/Roehder, Entwicklungspolitisch-militärische Schnittstellen, 19 angege-
     bene Information, dass in Afghanistan Bauaufträge im Auftrag der Bundeswehr von der GTZ-
     IS durchgeführt wurden, ist falsch. Diese Bauaufträge wurden vom gemeinnützigen Bereich
     der GTZ durchgeführt. Siehe Aussagen Merx/Schwabe im Folgenden.
64
     Telefonische Information von Frau Ute Merx, GTZ, Gemeinnütziger Bereich, 01.07.2008.
65
     Information per Email von Herrn Thomas Schwabe, GTZ, Gruppenleiter Global Construction
     Management, 02.07.2008.

                                                                           Sebastian Schilling - 9783657769346
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Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan                             149

von rein subsidiärer Hilfe des Militärs profitieren und durch komplementäres
Vorgehen eine höhere Effektivität erreichen. Zusätzlich dazu wird auch den
NROs durch das vom Militär geschaffene sichere Umfeld die Arbeit erleich-
tert. Andererseits besteht für die entwicklungspolitischen Akteure die Gefahr
der Unterordnung unter eine militärische Strategie und kurzfristige politische
Überlegungen. Außerdem kann die Nähe zum Militär bei Anschlägen gegen
dieses zum Sicherheitsrisiko für entwicklungspolitisches Personal werden.
Auch kann die Entwicklungspolitik in den Verdacht geraten, durch ihre An-
wesenheit am Ort einer Militärintervention diese zu legitimieren oder gar ‚Mi-
litärhilfe‘ zu leisten. Weitere Risiken für die entwicklungspolitischen Akteure
sind, dass Kapazitäten vom Kerngeschäft, also von langfristigen Projekten
abgezogen werden, dass für Maßnahmen in Zusammenarbeit mit dem Militär
ausgegebene Mittel nicht als ‚Official Development Assistance‘ (ODA) dekla-
riert werden können und dass unter Umständen entwicklungspolitische Prinzi-
pien nicht eingehalten werden können. Nachteilige Entwicklungen für das
Militär im integrierten Ansatz sind eine mögliche Minderung der Kapazitäten
für die Erfüllung originärer, rein militärischer Aufgaben (‚mission creep‘),
Forderungen nach Offenlegung militärischer Strategien gegenüber Dritten, die
Parallelität von Kommandostrukturen und eventuell eine Einschränkung mili-
tärischer Entscheidungsfreiheit.66 Äußerst gravierende Nachteile sehen die
NROs für ihre Arbeit durch das Modell der zivil-militärischen Präsenz. So
bringt dieses Modell ein Verwischen von Trennlinien zwischen militärischen,
politischen und humanitär-zivilen Aufgaben und Akteuren mit sich.67 In der
Folge wird von der afghanischen Bevölkerung nicht mehr zwischen Militär
und zivilen Helfern unterschieden. Alle werden gleichermaßen als Teil einer
gesamtwestlichen Strategie betrachtet. Dieses zerstört zum einen die von
NROs für Ihre Arbeit benötigte Glaubwürdigkeit und Neutralität68 und hat in
den letzten Jahren zu einer Einstellung des Afghanistan-Engagements mehre-
rer NROs geführt. Dazu führt der Verband entwicklungspolitischer Nichtre-
gierungsorganisationen aus:
        „Aus der zivil militärischen Vermischung ergeben sich für NRO, die sich um
        Neutralität bemühen, seit geraumer Zeit immer größere Gefährdungen. Einige
        NRO haben in den letzten Jahren ihre Hilfe in Afghanistan unter anderem mit
        dem Hinweis eingestellt, dass aufgrund der Instrumentalisierung des humanitä-
        ren Mandats durch das Militär eine unabhängige Hilfe nicht mehr leistbar ist.“69
Zum anderen werden zivile Helfer dadurch mit zur Zielscheibe von Anschlä-
gen, einerseits wegen der angesprochenen gesunkenen Glaubwürdigkeit und

66
     Vgl. Klingebiehl/Roehder, Entwicklungspolitisch-militärische Schnittstellen, 10.
67
     Vgl. Thorsten Hinz, Helfer zwischen den Fronten, in: Herder Korrespondenz 61 (2007), 225-
     229, 225.
68
     Vgl. ebd. 228.
69
     Verband Entwicklungspolitik Deutscher Nichtregierungsorganisationen e.V., VENRO-Posi-
     tionspapier, 3.

                                                                             Sebastian Schilling - 9783657769346
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150                                    Sebastian Schilling

damit in den Augen der Bevölkerung fehlender Neutralität, andererseits auch
wegen des ‚Blurring‘70-Effektes, also wegen einer fehlenden Unterscheidbar-
keit vom Militär. Dieser Effekt rührt unter anderem von einer vermehrten
Verwendung von weißen, ungekennzeichneten Fahrzeugen, die bislang tradi-
tionell das Erkennungszeichen ziviler Akteure waren, her.71 Auch nehmen
NROs die Bundeswehr, als Durchführende von CIMIC-Maßnahmen, immer
stärker als Konkurrent wahr und sehen in diesem Konkurrenzverhältnis eine
Gefährdung ihrer Arbeit. Die vier Hauptkritikpunkte hier sind erstens: fehlen-
de Subsidiarität. CIMIC-Maßnahmen unterliegen dem Prinzip der Subsidiari-
tät. Das heißt, dass sie nur durchgeführt werden dürfen, wenn die eigentlich
dafür zuständigen zivilen Akteure oder Organisationen nicht vorhanden oder
nicht fähig sind, entsprechende Maßnahmen durchzuführen. Die Bundeswehr
bestimmt das Vorliegen der Subsidiarität häufig selbst und ohne weitere Ab-
sprachen, statt eventuell vor Ort befindliche Organisationen bei der Erfüllung
ihrer Aufgaben zu unterstützen. Zweitens: ungenügende entwicklungspoliti-
sche Kompetenz des Militärs. Die kurzfristige Verwendung von Mitteln der
humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit zur Erreichung takti-
scher militärischer Ziele führen zu schlecht angepassten und nicht nachhalti-
gen Maßnahmen. Zusätzlich dazu gibt es keinerlei Evaluierungen von CIMIC-
Projekten unter Kriterien, die in der Entwicklungszusammenarbeit üblich sind.
Drittens: mangelnder gleichrangiger Dialog und Bevormundung durch das
Militär. Die NROs nehmen Anstoß an der militärischen Organisationskultur,
die für den zivilen Bereich nicht angemessen ist und der Unverträglichkeit von
militärischen Befehlsstrukturen und dem Geheimhaltungsprinzip mit dem
Prinzip der ‚Accountability‘ (Rechenschaftspflicht) gegenüber der lokalen
Bevölkerung. Viertens: unzulässige Wettbewerbsvorteile. So kann die Bun-
deswehr bei der Beantragung von Drittmitteln, zum Beispiel beim BMZ,
durch den Wegfall von ‚Overheadkosten‘72 geringe Projektkosten ausweisen.
Bei einer Gesamtbetrachtung würden die Projektkosten jedoch eklatant höher
liegen als bei privaten Organisationen. Auch der übermäßig hohe Medienef-
fekt bei Einsätzen der Bundeswehr mit humanitärem Anspruch sorgt für eine
Wettbewerbsverzerrung.73
   Zusätzlich sieht der ‚Verband Entwicklungspolitik Deutscher Nichtregie-
rungsorganisationen‘ (VENRO) eine nachhaltige Gefährdung der
        „[…] Langfristigkeit der von NRO geförderten oder begleiteten Projekte und
        Programme […] durch eine sich verschiebende sektorale und regionale Schwer-

70
     Vom englischen ‚to blur‘ = verwischen.
71
     Vgl. Preuß, Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung von Sachverständigen, 2; Berthold
     Eder, Hilfsorganisationen haben genug von Zusammenarbeit mit dem Militär, online-Quelle
     2007 (URL s. Literaturverzeichnis).
72
     Auch Gemeinkosten oder indirekte Kosten, d. h. Kosten, die nicht eindeutig einem einzelnen
     Bereich zugeordnet werden können, wie zum Beispiel Kosten der Geschäftsleitung, Kosten
     für Werbung oder Verwaltung.
73
     Vgl. Klingebiehl/Roehder, Entwicklungspolitisch-militärische Schnittstellen, 23.

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