DER ENTWURF KOPRODUKTIVE STADTGESTALTUNG - November 2021 - Deutsche BauZeitschrift
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MAGAZIN DER DBZ FÜR JUNGE ARCHITEKTEN UND INGENIEURE. DER ENTWURF November 2021 KOPRODUKTIVE STADTGESTALTUNG
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KOLUMNE Foto: Penthaus à la Parasit Klimagerät, Lüftungsan- und das Flachdach zum lage, Abgasrohr, Rauch- Stadtraum zu erklären? und Wärmeabzug – die Rein ins Treppenhaus, Liste der Protagonist:- raus ins Vergnügen! innen des auf Bitumen- Weg vom dröhnenden bahnen gebetteten, unbe- Straßenlärm, raus aus wegten Schauspiels auf den Flachdächern unserer Auch eine alternative der stickigen Luft! Jede Nutzer:innengemeinschaft Flachdachnutzung: Das Städte liest sich seit Jahrzehnten spannungsverhei- Projekt Penthaus à la Pa- erhielte ihr eigenes, von ihren Mitglieder:innen in ßend wie die Inhaltsangabe einer Flasche Mineral- rasit eignet sich freie Zusammenarbeit mit einer Stadt-auf-der-Stadt-Pla- wasser. Wäre es nicht an der Zeit, das Ensemble zu Dachflächen in Groß- nungsgesellschaft entwickeltes Konzept. Damit wür- städten wie Berlin oder vergrößern und vor ein anständiges Bühnenbild zu München an, um auf die den Dachlächen urbar gemacht und ihrem neuen stellen? Vor allem in großen Städten rücken die (drin- Verdrängungslogik des einzigartigen, weil mit Ideen und Erfahrungen, Wün- gend notwendigen) Nachverdichtungsbemühungen Wohnungsmarktes auf- schen und Träumen gefütterten Verwendungszweck merksam zu machen. Kleingartenbesitzenden zu Leibe, die durch ihre Damit wandelt es den zugeführt. Obst- und Gemüsegärten, angelegt mit- Wohnsituation in Mietobjekten ohne zugehörige Grün- Tauschwert der brachen hilfe eines von Landschaftsarchitekt:innen kon- lächen keine Möglichkeit der Aneignung privater Au- Flächen in einen realen zipierten Baukastensystems, teilten sich die fünfte Gebrauchswert um ßenräume haben. Zugleich liegen hektarweise unbe- Fassade mit multifunktionalen Dachterrassen für wirtschafteter Flächen nur ein, zwei Treppenläufe Yogasessions, Tanzabende und Geburtstagsfeiern, entfernt und warten darauf, mit Freiluftkinosälen, von von nachbarschaftlichen In- itiativen beplanzt und be- tanzt zu werden. Wohnblö- Dächer zu Tanzflächen Imker:innen bewirtschaf- teten Wildblumenwiesen und Hängemattengärten für cke und Bürotürme, Parkhäuser und Einkaufszentren, das in immer heißeren Sommern nicht unattraktive Universitäten und Schulen – sie bilden eine men- Schlafen unter freiem Himmel. schengemachte, von Straßenschluchten durchzogene, Nicht alle Dachlächen sind gleichermaßen für die steinerne, stählerne und gläserneTopograie, die von ganze Stadt begehbar. FürViele gelten die Eingangs- Wanderwegen und Parks überzogen werden will. Je- türen der Mehrfamilienhäuser und die Drehtüren des Gebäude, jeder Straßenzug, jeder noch so eng der Bürokomplexe als Filter – für einige Wenige gibt bebaute Stadtteil kann Qualitäten entwickeln, mit de- es Zugänge über Außentreppen und -aufzüge. Brü- nen Pauschalreisekataloge und Hotelbuchungsportale ckenschläge ergeben sich dort, wo sich Nutzer:in- alpine Sehnsuchtsorte bewerben. Eine Fernsicht über nengruppen zusammenschließen und sich Syner- die Dachlandschaften offenbart mobile und ixe Orien- gien zwischen den Dachorten ergeben. tierungspunkte wie Baukräne, Funktürme und Büro- Eine Stadt, deren Dächer zum Stadtraum dazuge- hochhäuser vor der Kulisse eines sich im Sonnenver- hören, bietet nicht nur die Möglichkeit des Genusses lauf verändernden Himmels, der im urbanen Alltag von Sonnenuntergängen und der Flucht vor dem meist nur aus der Froschperspektive sichtbar ist. Chaos des motorisierten Verkehrs. Sie hält ein bis- Diese Sicht weckt Assoziationen an dörliche Struk- lang unausgeschöpftes Potential an Räumen und turen mit wenigen, dafür prägnanten Hochpunkten Flächen zur Aneignung bereit, die vielleicht dafür in Form von Kirchtürmen und dem ein oder anderen sorgen können, dass mehr Identiikation mit dem erloschenen Schlot einer alten Ziegelei, der sich über eigenen Lebensraum stattindet, dass nachbar- eine meist homogene Dachlandschaft erhebt. schaftliche Verbindungen gestärkt werden und die Das Erlebnis von Einsamkeit und Ruhe auf den pandemiegebeutelte Stadtgesellschaft wieder nä- höchsten Türmen, Zip-Line-Action von Blockrand zu her zusammenrücken kann. Blockrand, free-loating-electric-micro-Zeppelin-sha- ring-Systeme für den unkomplizierten Individualver- kehr von Attika zu Attika – die Möglichkeiten der Nut- Dennis Rolfes (*1993) arbeitet als angestellter Architekt in Hamburg an nachhaltigen Holzbauprojekten und verbringt am liebsten Zeit auf dem zung scheinen unbegrenzt. Wie viel mehr haben Dach seiner Wohnung im fünften Stock. unsere Städte zu bieten, wenn man sich erlaubt, hin und wieder einen Perspektivwechsel vorzunehmen 02 | November 2021
FKG"PGWG" FGHKP GUT ZU WISSEN Foto: Andreas Ohse Eines der zu bearbei- tenden Objekte ist die VKQP Schachtanlage Paul II bei Deuben im Burgenland- kreis XQP" Studentischer Wettbewerb: Entwerfen im historischen Umfeld Im Rahmen der europäischen Leitmesse „denkmal“ April inden die Exkursionen zu den QDG indet 2022 der bundesweite, studentische Archi- Bestandsgebäuden statt, Abgabeter- tekturwettbewerb Messeakademie statt. Unter dem min ist der 31. August 2022. Die Ar- Motto „Entwerfen im historischen Umfeld Altbau. beiten der Preisträger*innen erhalten Umbau. Neubau.“ können Student*innen der Fach- Preisgelder im Gesamtwert von 1500 HNÅEJG richtungen Architektur und Bauingenieurwesen Euro. Zusätzlich werden sie in einer Konzepte und Lösungen zur Nutzung denkmalge- Dokumentation veröffentlicht. Die ins- schützter Bausubstanz einreichen. Im Fokus steht gesamt zehn besten Entwurfsarbeiten 2022 vor allem, Bestandsgebäude durch Neu- oder werden im Rahmen der denkmal vom Ergänzungsbauten zu bereichern. Die ausführlichen 24. bis 26. November 2022 in Leipzig Exposés zu allen Objekten werden ab Januar 2022 präsentiert. auf der denkmal-Website zur Verfügung stehen. Im www.denkmal-leipzig.de Parasite Parking Tipps und Tools für die selbst- gemachte Stadt Ende September tauchte in Chicago das Schwesterprojekt zum Penthaus Freiraum-Fibel, Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und à la Parasit auf: Parasite Parking. Auch Raumforschung (BBSR): Broschüre mit Wissens- mit dieser Intervention werfen die wertem für Stadtmacher*innen, vor allem zu Initiator*innen Fragen des öffent- Rechtsgrundlagen und Genehmigungen, Bestellung lichen Raumes und dessen Aneignung und Download kostenfrei unter www.bbsr.bund.de und Privatisierung auf. Parasite Par- Organisiert euch!, Urban Equipe und Kollektiv Raum- king besteht aus einem als Parkplatz station: Sammlung von Wissen und Erfahrungen von getarnten Objekt, das einen Parkplatz über 20 Kollektiven, kostenfreier Download und Be- okkupiert. Im Anschluss kann sich die- stellung unter www.oganisiert-euch.org ser neue Parkplatz zum Lebens- und Partizipation und Pandemie, Senatsverwaltung für Veranstaltungsort wandeln und somit Stadtentwicklung und Wohnen Berlin (siehe Seite 7): Räume zurückerobern. Hintergrund Download kostenfrei unter ist die Privatisierung von Parkplätzen www.stadtentwicklung.berlin.de in Chicago für die nächsten 75 Jahre. Pop im Kiez Toolbox, Clubkommission Berlin e.V.: Dieser Vorgang warf einmal mehr die Informationen über bauliche, technische und kom- Frage auf: Wem gehört eigentlich der munikative Maßnahmen zur Konliktprävention und öffentliche Raum? -lösung für Veranstaltungen im öffentlichen Raum, www.parasite-parking.net www.kiez-toolbox.de Die ultramate VEKA SPECTRAL Glossar zur gemeinwohlorientierten Stadtentwick- lung, BBSR: Erklärung von Begriffen rund um das Thema Gemeinwohl, inklusive inspirierender Pro- Oberfläche ermöglicht einzig- jekte, Bestellung und Download kostenfrei unter artig reflexionsarme Entwürfe. Sie ist zudem in elf Farbvarian- www.bbsr.bund.de ten verfügbar. So vereinen Sie Stadtmacher-Portal, Nationale Stadtentwicklungs- politik: Webseite mit hilfreichen Informationen für Foto: Parasite Parking Stadtmacher*innen sowie einer Liste verschiedener höchste Qualität und Funktion Netzwerke und Vereine, mit ästhetischem Anspruch. Mehr unter create.veka.de www.nationale-stadtentwicklungspolitik.de Leerstandsmelder: Liste von ungenutzten Räumen in Deutschland, jede*r kann Leerstände hinzufügen und sich mit anderen Nutzer*innen über Ideen zum konstruktiven Umgang mit ihnen austauschen, www.leerstandsmelder.de November 2021 | 03
FACHBEITRAG | Lehrmethode DesignBuild Lehrmethode DesignBuild: Bauen im Studium Foto: design.build studio der Technischen Universität Wien An dieser Stelle zeigen wir normalerweise Projekte, die Student*innen im Rahmen des Studiums realisieren – Erst- werke. In dieser Ausgabe wirft Jakob Bahret einen Blick auf Potentiale und Schwächen der Lehrmethode, die diesen Projekten zugrunde liegt. Baustelle „OBENauf in Unternalb“ Retz, Österrei- Zehn Stunden am Tag auf der Baustelle arbeiten ch, Projekt der TU Wien und dafür bezahlen, Sonnenbrand trotz LSF 50 und Betonieren mit Schubkarre und Eimern bei strö- mendem Regen. Das erlebte ich auf der DesignBuild Baustelle in Tansania, an der ich 2015 teilnahm. Als DesignBuild werden in der Architekturlehre Pro- jekte bezeichnet, bei denen neben der Planung auch die Realisierung von Student*innen durchgeführt wird. Lernen durch tatsächliches Bauen ist der me- Die Projekte eint auch heute kein einheitliches Kon- thodische Ansatz. Letztes Jahr widmete das Archi- zept, die Ansätze sind vielseitig, die Namen unter- tekturmuseum der TU München diesem Thema eine schiedlich; „DesignBuild“ ist nur einer von ihnen. Ausstellung und lieferte zusammen mit dem Kata- Auch die Ziele sind nicht gleichlautend definiert, log einen Überblick, auch über die das Thema be- wodurch sich die Projekte schwer vergleichen und gleitende Diskussion: „Experience in Action! Desi- evaluieren lassen und die Diskussion diffus wirkt. gnBuild in der Architektur“. Die TUM selbst führt seit Häufig werden Gebäude im globalen Süden von Jahren DesignBuild-Projekte durch. Institutionen und Student*innen aus dem globalen Die Geschichte dieser Lehrmethode ist lang. Die Norden gebaut. Kritisiert werden die neokolonialen Kuratorin der Ausstellung, Vera Simone Bader, be- Strukturen, die durch solche Projekte reproduziert schreibt sie in ihrem Beitrag im Katalog – das Bau- würden und sich festigten. Als Rechtfertigung dient haus, das Black Mountain College in den USA und der soziale Anspruch, dem sich die Projekte ver- die Ciudad Abierta in Chile sind Beispiele aus dem pflichtet fühlen. Ob dieser erfüllt wird, ist fraglich. letzten Jahrhundert. Neben der praktischen Erfah- Es wäre wichtig, sich näher mit postkolonialen rung bot die Lehrmethode Raum für unterschied- Machtstrukturen, aber auch einfach mit den frem- liche experimentelle didaktische Ideen: Aktivismus, den Gegebenheiten und Lebensgewohnheiten zu das Aufbrechen hierarchischer Strukturen der Leh- beschäftigen. Oft sehen die Student*innen die ein- re und interdisziplinäre Ansätze wie soziologische heimische Bevölkerung und das Grundstück das Methoden, beispielsweise in der Bedarfsermittlung erste Mal, wenn sie ankommen, um zu bauen – und solcher Bauvorhaben im Bauhaus. das meistens unter großem Zeitdruck. Entwurfsprozess beim Workshop in Tacloban, Philippinen; Projekt der NTNU Trondheim, Nor- wegen Jakob Bahret ging nach dem Abitur mit dem „weltwärts-Programm“ des Foto: Alexander Eriksson Furunes BMZ für ein Jahr nach Tansania. Seitdem engagiert er sich für den Aus- tausch mit Tansania und beschäftigt sich mit der Entwicklungszusammen- arbeit. Im ersten Semester seines Architekturstudiums an der TUM war er auf einer Baustelle in Kibwigwa in Tansania. Als HiWi arbeitete er mit an der Ausstellung „Experience in Action! DesignBuild in der Architektur“ und dem begleitend publizierten Katalog. 04 | November 2021
Foto: TUM DesignBuild Als Lehrangebot müssen die Projekte sich dem Curri- DesignBuild könnte ein Instrument sein, um der kom- Baustelle des Gäste- culum unterordnen, Leistung wird auch hier benotet. plexer werdenden Realität einer globalisierten Welt zu hauses vom Krankenhaus in Ngaoubela, Kamerun; In gewisser Weise gelten viele der Kritikpunkte an De- begegnen. Nachhaltigkeit, globale Verständigung und Projekt der TU München signBuild auch für weite Bereiche der Architektur. Auch soziale Gerechtigkeit müssten keine add-ons, sondern sie bildet bestehende Machtverhältnisse ab, das Bau- Grundlage und Inhalt von Architektur und dessen Leh- en, also das Produzieren von Gebäuden, scheint wich- re werden. So könnte DesignBuild „vor der eigenen tiger als die wenig lukrative selbstkritische Evaluation. Haustüre“ aktivistisch wirksam werden. Wenn Projekte Reglementierung und Bürokratie engen den Hand- im globalen Süden stattfinden sollen, sollten die Pri- lungsspielraum ein und machen das Experiment sehr vilegien des globalen Nordens geteilt, Menschen vor unattraktiv. Muss Architektur so sein? Ort eingebunden und mit ihnen und nicht für sie Ent- Die Lehre und in ihr DesignBuild-Projekte böten auch scheidungen gefällt werden, um wirklich voneinander heute eine Möglichkeit, Dinge etwas anders zu ma- zu lernen. Manche DesignBuild-Projekte haben erste chen. Und das ist auch ihr Potential. Besonders wich- Schritte in diese Richtung Die Ausstellung „Expe- tig scheinen das fertige Gebäude und die schönen aufgezeigt. Welchen nega- rience in Action!“ wurde Bilder zu sein, die Institutionen als Beweis ihrer tiven Einfluss das Bauen im Frühjahr 2020 zunächst im Architekturmuseum der sozialen, internationalen und nachhaltigen Ausrich- haben kann, zeigt nicht TU München gezeigt. Da- tung präsentieren. Wenn wir die Lehre ernst nehmen, nur die Kritik der Gegner nach war sie in Hamburg Foto: Yale School of Architecture muss aber auch der Prozess berücksichtigt werden, von DesignBuild- Projek- und schließlich in Berlin zu sehen. Begleitend dazu er- nicht nur das Resultat. Diese Sichtweise haben wir ten, sondern auch der schien ein umfangreicher auch in der Ausstellung betont. In vier thematischen enorme negative Einfluss Katalog, in dem Hinter- Schwerpunkten, Recherche, Dialog, Entwerfen und aufs Klima, den der gründe zur Lehrmethode erklärt und ausgewählte Bauen, wurden 16 Projekte verschiedener Institu- Bausektor hat. Also bitte GROSS DesignBuild-Projekte ge- tionen vorgestellt. mehr anders! zeigt werden FLÄCHIG PLANEN Von Grund auf durchdacht: VEKAMOTION 82. Das innovative Hebe-Schiebetürsystem überzeugt durch maximierte Glasflächen bei höchster Stabilität. Für ästhetische Lebensräume und lichtdurchfluteten Wohnkomfort. Mehr unter create.veka.de
FACHBEITRAG | Referat für Stadtverbesserung Mit der Aktion „100 Meter Zukunft“ simulieren die Stadtverbesser*innen eine alternative Realität der Schwanthalerstraße Foto: Referat für Stadtverbesserung* Student*innen gestalten die Stadt Sechs Architektur- und Urbanistikstudent*innen der TU München nutzten im Herbst 2019 die Gelegenheit, ihre Visionen für ein autofreies München zu Papier zu brin- gen. Auf ihren Semesterentwurf folgte ein realisiertes Projekt und die Gründung des „Referats für Stadtverbesserung“. Hier berichten sie von ihren Erfahrungen. In dem Uniprojekt „Take back the streets!“ entwi- Am mobilen Stammtisch kamen die Organisator*innen mit den ckelten wir Ideen und Bilder für ein autofreies Mün- Besucher*innen ins Gespräch chen. Insbesondere beschäftigten wir uns mit der Schwanthalerstraße und dem südlichen Bahnhofs- viertel – eine Herausforderung, wie sich heraus- Foto: Elif Simge Fettahoğlu, Technische Universität München, stellen sollte: Die Schwanthalerstraße ist eine bis zu dreispurige Einfallstraße in die Münchner Alt- stadt, spielte aber bei den lokalen Diskussionen über die Verkehrswende lediglich eine Nebenrolle. Das kommunale Engagement konzentrierte sich eher auf angrenzende Stadtteile wie das Glocken- bachviertel. Aber auch dort wurden nur wenige der Lehrstuhl Urban Design bereits beschlossene Konzepte und Ideen realisiert- – viel politisches Engagement auf der einen und wenig Umsetzungen auf der anderen Seite. Wie kann das sein? 12 | November 2021
Foto: Elif Simge Fettahoğlu, Technische Universität München, Lehrstuhl Urban Design Anhand eines großen Modells konnte über die Zukunft und den Transformations- prozess diskutiert werden Wir tun mal so, als wären wir eine Behörde In der Universität hatten wir bisher nur die Entwick- lung, nicht aber die Umsetzung von Konzepten ge- lernt. Unser einziges Werkzeug für die Umsetzung unserer Ideen aus dem Semesterprojekt war die Partizipation – ein Wort mit vielen offenen Fragen. Bei der Vorstellung von Entwürfen hört man häuig: Für das Semesterprojekt, das die „... und hier gibt es Raum für die Bürger*innen.“ Grundlage für die Aktion „100 Meter Aber wer sind diese Bürger*innen, die eine bessere Zukunft“ war, entwarfen die Stadt gestalten sollen? Und was ist dann eigentlich Student*innen Vorher-Nachher-Szenarien: Kreuzung Schwanthalerstraße unsere Rolle? Sind wir keine Bürger*innen? Dürfen Hermann-Lingg-Straße heute wir nicht einfach versuchen, unsere Ideen umzuset- zen und dann anhand der Ergebnisse darüber dis- kutieren? Von diesen Fragen geleitet waren wir uns nach Semesterende sicher: Wir müssen uns fern der Universität in den Dialog einbringen und selbst an der Verbesserung des Stadtraums partizipieren. Vol- ler Tatendrang gründeten wir das Referat für Stadt- verbesserung. Die Idee ist einfach: Wir tun mal so, Abb.: Referat für Stadtverbesserung* als wären wir eine Behörde, und zeigen, wie Stadt besser geht. Letztlich simulieren wir Zukunft, damit sie Schritt für Schritt Realität werden kann. „100 Meter Zukunft“: ein etwas anderes Uniprojekt Eine Demonstration anmelden, das Uniprojekt aus- stellen, ein Parklet auf einem Stellplatz bauen: Hauptsache, das Projekt aus dem Wintersemester irgendwie weiterverfolgen, bevor es sich im Som- mersemester verläuft und das Referat für Stadtver- besserung schneller aufgelöst als gegründet ist – so der Stand im Frühjahr 2020, vor der Coronapande- Abb.: Referat für Stadtverbesserung* mie. Damals wussten wir noch nicht, dass Studieren im nächsten Semester komplett anders werden sollte. Zusammen im Studio arbeiten, gemeinsame Kaffeepausen, Exkursionen in andere Städte und Länder, das würde es vorerst nicht geben. Vieles, was einige von uns für das Sommersemester ge- plant hatten, war also erstmal verschoben, sodass es genug Zeit für das Referat für Stadtverbesserung gab. Das erste reale Projekt sollte die temporäre Umgestaltung eines Parkplatzes sein. Aus den an- City Cooling im Jahr 2027 fangs geplanten fünf Metern sind letztlich 100 Meter geworden. In Form eines freien Projekts planten wir an den Lehrstühlen für Urban Design und Architek- turinformatik die Sperrung der Schwanthalerstraße. Auf 100 Metern wollten wir den Akteur*innen der Stadt und den Menschen vor Ort einen Tag lang ein alternatives Straßenlayout im Maßstab 1 : 1 präsen- tieren – und so Lust auf Stadtverbesserung machen. Den Menschen zeigen, wie die Stadt aussehen könnte, wenn man mal Platz macht und die Flächen resilient und lexibel umgestaltet. November 2021 | 13
FACHBEITRAG | Referat für Stadtverbesserung Mit Yoga, Straßenpicknick und Musik eigneten sich Foto: Elif Simge Fettahoğlu, Technische Universität München, Lehrstuhl Urban Design die Menschen die Straße vielfältig an Wenn man es hier umsetzen kann, dann geht es überall Rückblickend sind wir stolz, dass wir verschiedene Lehrstühle und Initiativen überzeugen konnten, an dem Projekt „100 Meter Zukunft“ mitzuwirken. Denn Stadtverbesserung erreicht man nicht als studen- Parkplätze vor Marieluise- tische Gruppe allein – sie benötigt aktives Networ- Fleißer-Realschule heute king mit sogenannten Stadtmacher*innen. Ein Groß- teil der Vorbereitung bestand deshalb aus digitalen Treffen mit Einzelpersonen und Organisationen, de- nen wir unsere Ideen vorstellten und die sich schließ- lich an der Aktion beteiligten. Der BUND Naturschutz veranstaltete ein Picknick. Park Dein‘ Park kamen mit ihrem beplanzten Kleintransporter vorbei. Make Munich Weird designten Spiele für Bauzäune. Die Abb.: Referat für Stadtverbesserung* Band Hills Like White Elephants spielten auf der Stra- ße. Veronica leitete eine Yoga-Stunde zum Mitma- chen. Zwischendurch fühlte sich das Projekt fast wie ein Selbstläufer an, auch weil wir uns die große Be- teiligung und Unterstützung nie hätten träumen las- sen. Vor allem der Verein Green City und das Eine- WeltHaus München waren wichtige Türöffner zu Ressourcen. Als Sieger des Wettbewerbs „Gestalte Deine Stadt – Grünes Licht für Deine Ideen!“ er- hielten wir von Green City inanzielle Unterstützung und Ratschläge für das Einholen von Genehmi- gungen. Als Einrichtung vor Ort stellte uns das Ei- neWeltHaus in der Schwanthalerstraße unter ande- rem Räumlichkeiten, Strom und Wasser für den Abb.: Referat für Stadtverbesserung* Veranstaltungstag und die Zeit davor zur Verfügung. Letztlich konnte der Tag mit geringen inanziellen Mitteln – unter anderem durch die Förderung der Sto-Stiftung – und dank der Unterstützung Vieler stattinden. Dazu trug auch bei, dass das Projekt Teil des Studiums war. Denn so konnten wir sechs Tage der Woche unentgeltlich an dem Projekt „100 Meter Zukunft“ arbeiten – ein Privileg, wie wir heute als Schulhof auf der Berufseinsteiger*innen feststellen müssen. Schwanthalerstraße im Die Geschichte klingt bis jetzt sehr reibungslos. Das Jahr 2027 14 | November 2021
Foto: Elisa Scheidt, Green City e.V. ist natürlich nur die halbe Wahrheit. Vor allem die Genehmigung war mit vielen Unsicherheiten ver- bunden. Viele haben uns anfangs von der Schwan- thalerstraße östlich des Bavariarings abgeraten – im Westend oder in einer kleineren Parallelstraße ließe sich das Projekt einfacher durchführen. Die Schwan- thalerstraße zu sperren sei aufgrund ihrer verkehr- REFERAT FÜR STADTVERBESSERUNG* lichen Bedeutung zu schwierig. Aber genau das war für uns der Reiz. Wenn man es hier umsetzen kann, Maximilian Steverding, Markus Westerholt, Annika Hetzel, dann geht es überall. Es brauchte viele Gespräche Michelle Hagenauer, Magdalena Schmidkunz, Linus und Umplanungen, bis wir die Genehmigung und Schulte damit das Go erhielten. Erst zwei Tage vor der Ver- anstaltung wussten wir: Die monatelangen Vorbe- *jegliche Ähnlichkeit zu bestehenden Institutionen ist reitungen waren nicht umsonst. Die Idee des Pro- rein zufällig. Das Referat für Stadtverbesserung agiert in jektes, die städtischen Diskussionen auf ein bisher München, steht aber nicht in Verbindung mit der Stadt München. wenig betrachtetes Gebiet zu lenken, scheint aufzu- gehen. Nun rücken die verschiedenen Quartiere ent- lang der Straße ins Blickfeld der Stadtplanung und Initiativen. Wie zum Beispiel in den der Münchner auf der Volkartstraße in München ein Freiraumbü- Initiative Nachhaltigkeit und ihrem Projekt Westend- ro ein. Vorbeilaufende Bürger*innen können so mit Kiez sowie in den des Zusammenschlusses Frei- uns ins Gespräch kommen und über die Straße raum-Viertel südlich des Münchner Bahnhofes. diskutieren. Wir nennen das Walk-in Partizipation Das Studium endet irgendwann, Stadtverbesse- – eine kooperative Form Viel politisches Engagement auf rung nie der Stadtgestaltung. der einen und wenig Umset- Für einige von uns war das Projekt „100 Meter Zu- Den öffentlichen Raum zungen auf der anderen Seite. Wie kunft“ die letzte Semesterarbeit in dieser Form. Wir, fern des Verkehrs nutzen kann das sein? und damit auch das Referat für Stadtverbesserung, und dadurch Irritationen wachsen langsam aus der Studienzeit heraus. Das erzeugen, die Diskussionen und Veränderungen verändert auch die Referatsarbeit: Einige haben ermöglichen, ist eine unserer Herangehensweisen, nicht mehr so viel Zeit wie vor einem Jahr oder der wir uns auch in Zukunft widmen werden. Denn orientieren sich um, Neue kommen hinzu, Räum- das Studium endet irgendwann, Stadtverbesserung lichkeiten und Organisationsformen müssen ge- nie. funden werden. Zwischen Rechtsformen und An- trägen verliert man da manchmal den Überblick und auch den Spaß. Der Einfachheit halber viel- leicht doch in einem Büro anstellen lassen und die Referatsarbeit in die Freizeit schieben? Bleibt dann Teil des Projektes war ein webbasierter Audioguide, die noch genug Zeit für Stadtverbesserung? Sicherlich „Stadtverführung“. Anders als bei einer Stadtführung hätte uns eine niederschwellige Beratung geholfen. beschreibt der Guide nicht den Status quo, sondern eine Alternativrealität. Im Rahmen des Mobilitätskongresses Jedoch sind Beratungsstellen an der TU München der Stadt München soll die Stadtverführung um weitere eher auf Start-ups mit einer klaren Produktidee als Projekte – auch von anderen Initiativen – erweitert wer- auf gemeinnützige Arbeit und Planungsaufgaben den. Das Ziel ist es, verschiedene Zukünfte für München abzubilden und diese den Bürger*innen unterhaltsam ausgelegt. Auch Arbeitsräume würden das weitere nahezubringen Engagement erleichtern. Als Studierende stehen einem 24/7 Räumlichkeiten zur Verfügung, was die Zusammenarbeit sehr vereinfacht. Manchmal eig- nen sich auch die eigenen vier Wände oder digitale Räume – aber eben nicht immer. Wir werden also Foto: Referat für Stadtverbesserung* weitersuchen und improvisieren. Inzwischen jedoch nicht mehr als studentische Gruppe, sondern als Verein. Das ermöglicht uns, auch in diesem Som- mer Projekte zu realisieren und Themen zu adres- sieren, die wir für längst überfällig halten. Zum Beispiel widmen wir uns der Frage, wie sich alltäg- liche Wohn- und Geschäftsstraßen im Sinne der Verkehrswende ändern müssen. Hierfür richten wir November 2021 | 15
FACHBEITRAG | IBA Thüringen STADTLAND Kooperative Vorsorge auf dem Land Wie können sich Orte in ländlichen Gebieten besser miteinander vernetzen und so für eine bessere soziale Versorgung garantieren? Und wie unterstützt die räum- liche Gestaltung neue soziale Angebote? Diesen und anderen Fragen widmet sich die Internationale Bauausstellung Thüringen. 16 | Novemer 2021
Abb.: Kerstin Faber November 2021 | 17 Abb.: Maria Garcia Perez, raumlaborberlin, 2015
FACHBEITRAG | IBA Thüringen STADTLAND HALTESTELLE GESUNDHEITSKIOSK - Information - Versorgung - Vernetzung TABLETT SERVICE WAND - Sitzbank - Regal - Pop-Up-Store mit Kasse des Vertrauens - E-Bike Ladestation - WLAN Hotspot - Landplausch Abb.: Pasel-K Architects, Berlin, 2020 GEMEINSCHAFTSBEET - Co- Gardening WARTEBEREICH - Sozialer Treffpunkt - Austausch TOURISTEN- INFORMATION Komplexe gesellschaftliche Veränderungen bewir- Diese Fragen haben sich die vier Gemeinden Blan- ken, dass in vielen ländlich geprägten Regionen kenburg, Kirchheilingen, Sundhausen und Tottleben nicht nur immer weniger Menschen leben, auch vor über zehn Jahren gemeinsam mit der Agrar- das Verhältnis zwischen Stadt und Land, Alten und genossenschaft gestellt und die Stiftung Landleben Jungen gerät immer stärker aus dem Lot. Vor die- gegründet, dessen Vorsitzender Frank Baumgarten sem Hintergrund entstehen neue regionale Ko- heute ist. Stiftungsziele sind die Umsetzung alters- operationen zwischen Stadt und Land, die durch gerechten Wohnens und die Wiederbelebung der Vernetzung Ressourcen bündeln. Sie engagieren ländlichen Bausubstanz sowie, ganz allgemein, die sich für Mobilität, Bildung, Kultur, Wirtschaft und Versorgung des ländlichen Raums. Kurz: Man küm- Soziales und stiften durch den kollektiven Gestal- mert sich um Fragen der Daseinsvorsorge und Le- tungsprozess neuen Gemeinsinn. Das bindet nicht bensqualität einfach selbst. Mittlerweile hat die nur Menschen stärker an die Region, es fördert Stiftung barrierefreien Wohnraum auf innerört- durch die Organisation von Wissen und Teilhabe lichen Brachen geschaffen, Sanierungsprojekte für auch das demokratische Verständnis und Selbstbe- leer stehende Häuser angestoßen und ein ehren- wusstsein vor Ort. Dies ist umso wichtiger, je po- amtliches Mobilitätsangebot für ältere Menschen larisierender die räumlichen Entwicklungen sind. eingeführt. Gutes Leben auf dem Land Kooperative Vorsorge Frank Baumgarten ist Landwirt und im Vorstand der Seit 2017 unterstützt die Stiftung Landleben den Agrargenossenschaft e.G. Kirchheilingen in Thürin- Verein Landengel e.V., der ein neues, überge- gen. Er lebt schon immer auf dem Land und will auch meindliches Plege- und Gesundheitskonzept ent- in Zukunft hier gut leben. Aber nicht nur er wird älter, wickelt. Die schlechtere Anbindung an die gesund- auch die gesamte Region wird es. Und die Menschen heitliche Primärversorgung durch den Rückbau der werden weniger. Die Durchschnittsbürger*in ist in öffentlichen Mobilitätsstrukturen bei gleichzeitig Thüringen mit 47 Jahren neun Jahre älter als noch alternder Bevölkerung vermindern die Lebensqua- im Jahr 1990. Gleichzeitig ziehen junge Menschen in lität. Zusätzlich fehlen Ansprechpartner*innen. Das die größeren Städte, den höheren Bildungsabschlüs- gemeindeübergreifende Konzept Landengel will sen und neuen Berufszweigen hinterher, während deshalb ein neues Gesundheits-, Plege- und Ver- die älteren vornehmlich zurückbleiben. Was aber be- sorgungsnetzwerk in der Dorfregion aufbauen. deutet ein gutes Leben auf dem Land vor diesem Dazu gehören ein Landzentrum mit Kita, Tagesple- Hintergrund? Und wie wird man hier gut alt, wenn ge sowie verschiedenen Gesundheitsangeboten alle anderen auch älter werden? und Dienstleistungen unter einem Dach sowie „Ge- 18 | Novemer 2021
sundheitskioske“ als Anlaufstelle und dezentraler Wie können soziale Angebote wie ein Ge- Treffpunkt für Versorgungsfragen und Beratungen sundheitskiosk räumlich und gestalterisch in den beteiligten Orten. sichtbar gemacht werden? Der Verein wird beherzt geführt und aufgebaut von Christopher Kaufmann, gelernter Krankenpleger und Betriebswirt und mittlerweile Bürgermeister Kioske je Gemeinde als architektonische Familie der Gemeinde Sundhausen. Mit Hilfe einer Förde- begreift, die trotz unterschiedlicher Standorte ein rung unterstützt ihn seit Januar 2019 eine Kümme- zusammenhängendes Ganzes darstellen. Sie die- rin als Landengel. Sie führt regelmäßige Sprech- nen jeweils als Beratungsraum genauso wie als stunden in provisorisch hergerichteten Räumen in zuschaltbarer Wartebereich für den Bus und haben den jeweiligen Gemeinden durch, erarbeitet Lö- eine Toilette integriert. Als Holzkonstruktion aus- sungen für Probleme in den Bereichen Mobilität, geführt, wird die Bauweise je Standort und Ge- Wohnen, Plege und Gesundheit und leistet Hilfe- meinde individuell erfolgen, um gleichzeitig neue stellung bei bürokratischen Fragen. Das Vorhaben Wege Thüringer Holzbaukulturen vorzustellen. ist bis heute auf 16 Partner*innen gewachsen, der Die weitere Planung dazu erfolgt seit Sommer 2021 Verein zählt 250 Mitglieder*innen – Tendenz stei- als IBA Bauhüttenprozess mit offenem Baubüro. gend. Etwa 300 Menschen werden je Quartal seit- Im Wintersemester 21/22 wird ein DesignBuild- dem beraten, unterstützt und versorgt. Prozess der TU-Berlin angedockt, der wiederum Doch wie kann man dieses erfolgreiche Angebot den Ausbau der Bauhütte – ein leer stehendes Kon- räumlich und gestalterisch nachhaltiger sichtbar sumgebäude – gemeinsam mit Student*innen und machen? Wie und in welcher Gemeinde soll das Auszubildenden zum Ziel hat. Um die Gesundheits- Landzentrum entwickelt werden? Und was sind kioske als Orte des Gemeinwohls zu etablieren und eigentlich „Gesundheitskioske“, die es ja noch gar ihnen Wertigkeit und Wertschätzung zu verleihen, nicht gibt? Um diese Fragen zu beantworten, wur- ist nicht nur eine gute und nachhaltige Gestaltung, den die Akteur*innen Projektkandidaten der Inter- sondern auch ein integrativer und sichtbarer Ent- nationalen Bauausstellung (IBA) Thüringen. Das wicklungsprozess identitätsstiftend. über zehnjährige Planungs- und Baukulturformat Im Jahr 2022 werden vier Kioske fertiggestellt sein. mit Abschluss im Jahr 2023 geht unter dem Motto Auch das angedachte Landzentrum könnte in we- STADTLAND neuen Entwicklungsansätzen nach. nigen Jahren einen neuen Beitrag zur Versorgung Hier wird an der Schnittstelle von lokal und global, und Lebensqualität leisten. Dazu wurde aktuell Stadt und Land, urban und rural gearbeitet. Über eine Machbarkeitsstudie durch Atelier Fanelsa ge- 30 Vorhaben begleitet, unterstützt oder leitet das meinsam mit der L.I.S.T. GmbH aus Berlin erarbei- Team der IBA im gesamten Freistaat. Es gestaltet tet, die Standorte, Rahmenbedingungen, Finanzie- und moderiert die Entwicklungsprozesse ab der rung, Trägerschaft, Betrieb und Gestaltungsregeln Phase Null für die Architektur-, Kultur- und Land- für das größere Bauvorhaben untersuchte und ge- schaftsprojekte, die beispielhaft Antworten auf meinsam mit den Akteuren vor Ort erarbeitete. Die gesellschaftliche und räumliche Stadt-Land-Frage- nächsten Entwicklungsschritte werden gerade vor- stellungen entwickeln. Im Vordergrund stehen ko- bereitet. Im Präsentationsjahr der IBA Thüringen operative Zusammenarbeit, Nachhaltigkeit und 2023 werden die Ergebnisse vorgestellt, die Arbeit Lebensqualität gepaart mit einem innovativen Ge- geht jedoch weiter: natürlich kooperativ. staltungsanspruch. Gemeinsamer Gestaltungsprozess Kooperativ wird im Rahmen der IBA Thüringen deswegen auch weitergearbeitet. In Tischgesprä- VITA chen mit den Gemeinden der Dorfregion Selten- rain, der Stiftung Landleben und dem Verein Land- Kerstin Faber, M. Arch., ist seit 2014 Projektleiterin der Internationalen Bauausstellung (IBA) Thüringen STADTLAND. Als Prozessgestalterin leitet sie Projekte zu Themen der engel wurden zunächst Vorschläge diskutiert, die klimagerechten Stadtumbaukultur und neuen Klimakulturlandschaften, der kooperativen sogenannten Gesundheitskioske an den zentralen Gestaltung ländlicher Räume und nutzerorientierten Stadtentwicklung. Von 2003 bis 2010 Bushaltestellen der Gemeinden anzudocken. Pasel- war sie Projektentwicklerin der IBA Stadtumbau 2010 zum Thema schrumpfende Städte und co-kuratierte die Abschlussausstellung im Bauhaus Dessau. Von 2011 bis 2014 lehrte K Architects aus Berlin entwickelten im Auftrag der sie am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) im Fachbereich Internationaler Städtebau. IBA Thüringen daraufhin ein Design-Manual, das Sie ist u.a. Mitherausgeberin der Publikation »Raumpioniere in ländlichen Regionen« ge- diese Idee räumlich und gestalterisch untersuchte meinsam mit Prof. Philipp Oswalt und Gastredakteurin des Arch+ Magazins »Stadtland. Der neue Rurbanismus«. und öffentlich zur Diskussion stellte. Entstanden ist ein Konzept, das die maximal 25 m2 großen November 2021 | 19
FACHBEITRAG | Thema Placemaking an einem innerstädtischen Un- Ort in Mannheim: Die Foto: Alex Münch Haltestelle Fortschritt 2017 machte einen un- genutzten Stadtraum wieder sichtbar Koproduktion in Architektur und Stadtgestaltung löst positive Effekte auf mehre- ren Ebenen aus. So beurteilt es auch Wulf Kramer. Der Architekt ist an mehreren Projekten in verschiedenen Akteurskonstellationen beteiligt. Offene Angebote statt Hochglanzge- staltungsabsichten Stadt selber machen hat Konjunktur! Das zeigten le für das soziale Miteinander wurde offensichtlich. unzählige Initiativen, Gruppen und Vereine in den Aber bereits vor der Pandemie hatten viele Projekte letzten Jahren und auch aktuell immer wieder. Wo- und Akteur*innen die Absicht, neue öffentliche Orte mit die Projekte häufig starten, ist die Vorstellung, im Quartier und für die Nachbarschaft zu realisie- dass es dieses Mal doch anders ablaufen kann als ren, die einen Kontrapunkt der gängigen öffent- nach Schema F. Und dass es doch bestimmt ein bes- lichen Orte darstellen, sich einer kommerziellen seres Projekt wird, wenn man gemeinsam überlegt, Verwertungslogik entziehen und niederschwellig welche öffentlichen (Innen-)Räume und Plätze wir erreichbar sind. Diese Orte funktionieren eher durch Mit der OASE soll die brauchen und wie diese genutzt, entwickelt und ihr Programm und ihre offenen Angebote, welche ehemalige Biergartenflä- che an der Kurpfalzbrücke schließlich auch betrieben werden sollen. Die tem- sich in einem ersten Schritt als relevanter erweisen in Mannheim zu einem poräre Umsetzung urbaner Prototypen aktiviert die als architektonische Qualität und Hochglanzgestal- bleibenden öffentlichen Anwohnerschaft und lokale Akteur*innen, über mög- tungsabsichten. und konsumzwangfreien Raum werden, der die liche Zukünfte nachzudenken. Zugleich schaffen sie Koproduktion, also die aktive Beteiligung und Bewohner*innen des eine neue Ausgangsposition für die Diskussion mit Zusammenarbeit über sektorale Grenzen hinweg, Quartiers mit niedrig- städtischen und politischen Akteur*innen. schafft es, dass die Akteur*innen selbst zu Besit- schwelligen Kultur-, Bil- dungs- und Freizeitange- Während der Pandemie hat sich die Bedeutung zu- zer*innen des Prozesses werden. So ergänzen ko- boten zusammenbringt gänglicher und attraktiver Orte verstärkt – ihre Rol- produktive Ansätze Projekte mit lokalem Wissen und verankern sie im Quartier. Sie schaffen neue Netz- werke und stärken den sozialen Zusammenhalt. Ne- ben diesen weichen Faktoren generieren die Projekte VITA Wulf Kramer ist Mitgründer von Yalla Yalla! – studio für change, einer Planungs- und Innovationsagentur, die sich auf Aktivierungs- und Betreiberkonzepte sowie Creative Placemaking spezialisiert hat. Seit Sommer 2020 ist er außerdem Co-Projektleiter des vom BBSR geförderten Foto: Alex Münch Pilotprojektes der Nationalen Stadtentwicklungspolitik „OASE“ in Mannheim. 24 | November 2021
auch einen inanziell messbaren Mehrwert für das Anwohner*innen, städtischen Ämtern und der Quartier und die Gemeinschaft vor Ort, wie Doina städtischen Projektentwicklungsgesellschaft. Aus- Petrescu et. al aufzeigen (D. Petrescu et. al: „Calcu- gangsgpunkt ist das Projekt ALTER, das vom dafür lating the value of the commons: Generating resili- gegründeten Verein POW! e.V. 2018 als kulturelle Zwi- ent urban futures“). Dieser Mehrwert ergibt sich, schennutzung einer vormals ungenutzten Restläche wenn man statt einer auf rein ökonomischen Fak- gestartet wurde und zum öffentlichen Wohnzimmer Die OASE entwickelt sich toren beruhenden Kosten-Nutzen-Analyse soziale des Stadtteils avancierte, zeitlich aber befristet ist. Die ständig weiter. Im mo- natlichen Montagstreff Komponenten wie z.B. individuelles Wohlbeinden, OASE ist mehr ein Prozess als tatsächlich Planung, können alle Interessier- Lebensqualität und Gesundheit in monetäre Größen der auch zum Ziel hat, ein gemeinsames Verständnis ten über die Zukunft des übersetzt und in die Analyse mit einbezieht. Gleich- des Ortes, seiner Nutzung und Angebote zu schaffen. Ortes diskutieren und ge- meinsam Pläne entwi- zeitig schaffen viele Projekte eigene, bezahlte Stel- Ziel ist ein langfristiges und von Quartiersakteuren ckeln len und akquirieren Förder- und Projektmittel. und der Bewohnerschaft mitgetragenes Nut- Wie schaut das auf der Projektebene aus? zungskonzept. Die Haltestelle Fortschritt – ein 10-tägiges Pop-up- Festival, das Brachlächen temporär aktiviert und Wie geht es jetzt weiter? mit einem vielseitigen Programm bespielt – fand Während es schon zahl- das erste Mal 2017 an einer unwirtlichen Stelle di- reiche und hochqualita- rekt am Rande der Mannheimer Innenstadt statt und tive Projekte mit einem Foto: Alex Münch zeigte unerwartete Qualitäten und Nutzungsmög- koproduktiven Ansatz lichkeiten des Ortes. Organisiert wurde es gemein- gibt und die Mehrwerte sam von Yalla Yalla! und Studio Brückner&Brückner ausführlich bewiesen mit der Unterstützung des Kulturamtes, des Bezirks- worden sind, mangelt beirats, der Kulturellen Stadtentwicklung und des es gleichzeitig an struk- Quartiermanagements. An Ort und Stelle hat sich turellen Anpassungen. seitdem wenig verändert, obwohl es Stimmen gab, Erste lokale und kom- die den Ort weiter bespielen wollten. Was es aber munale Entwicklungen, gibt und auf die Initiative der Macher*innen und passendere Verwal- Förderer zurückgeht, ist ein Aktionsfonds für urbane tungsstrukturen aufzu- Interventionen, der vom Gemeinderat beschlossen bauen, wie z.B. in Mann- Foto: Alex Münch wurde und – mit etwas Verzögerung – im kommen- heim mit der Kulturellen den Jahr verfügbar sein wird. Mit ihm werden wei- Stadtentwicklung oder tere Akteur*innen inanziell und mit Know-how un- mit dem Referat für Kre- terstützt, um eigene Projekte anzugehen und ative Stadt in Kiel, stim- ALTER ist ein befristetes umzusetzen. Man merkt, auch temporäre Projekte men hoffnungsfroh. Wir sind also weiterhin optimi- Projekt in Mannheim, aus können zu strukturellen Veränderungen führen. stisch, dass die Potentiale einer koproduktiven dem sich die OASE entwi- Bei der OASE Mannheim – ein vom BBSR gefördertes Stadtentwicklung und der Stadt-Anders- ckelte. Kostenlose Sport- und Kulturangebote so- und auf drei Jahre ausgelegtes Projekt – steht Kopro- Macher*innnen von weiteren Akteur*innen aufge- wie ein Kiosk bieten Platz duktion im Sinne einer gemeinsamen Ideenindung griffen und umgesetzt werden, während gleichzeitig zum Verweilen und Spaß- im Vordergrund. Dabei geht es um die dauerhafte auch notwendige strukturelle Anpassungen ange- haben Entwicklung einer zentral gelegenen Brachläche un- gangen werden. Die Alternative dazu hat nämlich weit der Mannheimer Innenstadt gemeinsam mit den schon viel zu lange unsere Städte geprägt!
FACHBEITRAG | Alte Mu Kiel Die ehemaligen Gebäude der Muthesius Kunsthoch- schule in Kiel werden mittlerweile von verschiedenen Akteur*innen genutzt. Sie organisierten sich zunächst über einen Verein und gründeten nun eine Genossen- schaft, um Raum zum Wohnen und Wirken zur Verfügung zu stellen und das Grundstück durch ein Erbbaurecht langfristig der Spekulation zu entziehen Das kreative Dorf in der Stadt Foto: 3komma3 Die Alte Mu ist ein Zusammenschluss verschiedener Projekte, die sich das leerstehende Gelände der ehemaligen Muthesius Kunsthochschu- le in Kiel angeeignet haben. Mittlerweile haben die Pioniere die Alte Mu zu einer festen Institution in Kiel gemacht. Im Gespräch erzählen Friederike Kopp und Florian Michaelis, wie es dazu kam und wie sich die Alte Mu weiterentwickeln soll. Was heißt für euch „Recht auf Stadt“? Wie kam es zu eurem Zusammenschluss? Friederike Kopp: Die Stadt gehört uns allen; wir FK: Früher war hier die Muthesius Kunsthochschu- wollen aber auch alle Verantwortung für diese Stadt le, deswegen heißen wir auch Alte Mu. Als die aus- übernehmen. Das zeigen wir, glaube ich, in der Al- gezogen ist, standen viele Räume leer. Innerhalb ten Mu sehr gut, dass Leerstand nicht besetzt wer- kürzester Zeit kamen etwa zwölf Projektgruppen den muss. Wenn es Bedarf gibt und Platz und Res- zusammen, die schnell gemerkt haben, sie wollen sourcen, dann sollten sie geteilt werden. hierbleiben und sich zusammen organisieren. Florian Michaelis: Das Recht auf Stadt bedeutet Schließlich wurde der Verein gegründet, Alte Mu auch, zu ermächtigen Städte mitzugestalten. In der Impuls Werk e.V., um eine Institution zu haben, für Stadtentwicklung der letzten 50 oder 100 Jahre wur- den Kampf bleiben zu dürfen. Dass wir noch immer den die Antworten auf die Fragen, wie wir leben dabei sind, um die Zukunft zu kämpfen und uns wollen oder wie die Stadt von morgen aussieht, dieses Recht auf Stadt erarbeiten, gehört, glaube nicht in der Breite der Gesellschaft gesucht, son- ich, auch viel zu unserer Geschichte. dern nur bei denjenigen, die tatsächlich an der Pla- FM: Das Recht auf Stadt hat inzwischen eine andere nung beteiligt waren. Wir sagen: Eigentlich haben Dimension bekommen. Wir sind nicht mehr dabei, alle ein Interesse daran, wie die gebaute Umwelt Gebäude zu besetzen, sondern jetzt versuchen wir, aussieht. das Projekt zu verstetigen über eine Beteiligung ba- sisdemokratischer Art. Von einer Zwischennutzung, die auch schon stetiger war als das davor, hin zu einem 99 Jahre geltenden Erbbaurechtsvertrag mit der tat- sächlichen Verantwortung für das ganze Gelände. Aufgrund der Vorgabe der Stadt Kiel, Wohnraum auf dem Gelände der Alten Mu zur Verfügung zu stellen, Foto: Daniela Meise Photography entwickelten die Mitglieder*innen des Vereins ein kooperatives Verfahren zur Neugestaltung des Areals. Es besteht im Wesentlichen aus drei öffentlichen Ideenwerkstätten, zu denen drei Architekturbüros eingeladen wurden (im Bild der erste Termin Anfang September). Am Ende des Prozesses wird ein Entwurf stehen, der gemeinschaftlich entwickelt wurde und der anschließend umgesetzt werden soll 26 | November 2021
Foto: Daniela Meise Photography Bei der zweiten Ideenwerkstatt Anfang Oktober präsentierten die Architekturbüros ihre ersten Ideen. Die Jurysitzung findet Ende November, nach einer weiteren Bearbeitungsphase für die Entwerfer*innen, als öffentliche Veranstaltung statt. In der Jury sitzen neben der Alten Mu auch die Stadt Kiel mit einem Vertreter des Beirats für Stadtgestaltung, die Arbeitsgemeinschaft zeitgemäßes Wohnen sowie zwei Partnerprojekte der Alten Mu Zu Anfang war nicht klar, dass ihr so lange in den alten Hochschulgebäuden bleiben könnt. Was stand dem im Weg? Das Recht auf Stadt hat inzwi- FK: Das ganze Grundstück gehört dem Land Schles- schen eine andere Dimension wig-Holstein und als die Kunsthochschule ausgezo- bekommen – wir sind nicht gen ist, sollte es neu genutzt werden. Davon wussten mehr dabei, Gebäude zu beset- wir Jungen, Kreativen, Naiven aber natürlich nichts. zen. Ich war eine von denen, die einfach nur in dieser Stadt lebte und Lust hatte, was zu machen. Ich hatte mir noch gar nicht so viele Gedanken gemacht, was da- Welche Mehrwerte und Schwierigkeiten entstehen hintersteckt. Das habe ich alles erst jetzt kapiert. dadurch, wenn so viele Leute gemeinsam ein Ziel verfolgen? Gab es denn schon konkrete Pläne für das Grund- FM: Koproduktion bereichert durch das Mehr an stück? Ideen, das Mehr an Identiikation und die Strahlkraft. FK: Es gab Briefe an das Land und Anrufe von Leuten, Nur so können wir uns tatsächlich einen Ort schaffen, die das Grundstück kaufen und „den Kreativen“ einen mit dem wir uns identiizieren. Ein Projekt, das von Mietvertrag für eine gewisse Zeit geben wollten. Aber oben gestaltet wird und bei dem gesagt wird – so für uns war immer klar: Wir wollen das gemeinschaft- sieht das jetzt aus und ihr müsst euch dem Ort an- lich besitzen, deswegen wollen wir ein Erbbaurecht passen, kann solche Mehrwerte nicht erreichen. Wir und eine Genossenschaft gründen. Es soll möglich kehren das Bild um, das dauert aber ein bisschen sein Dinge basisdemokratisch zu gestalten. länger. FK: Genau. Die lange Zeit, die dieser Prozess schon Da hattet ihr ja Glück, dass am Ende alles so ge- dauert, führt auch zu Schwierigkeiten. Manchmal klappt hat, wie ihr euch das vorgestellt habt. wechseln die Ansprechpersonen in den beteiligten FK: Ich glaube wir haben es geschafft, weil wir auf Projekten und dann kostet es viel Energie, alle Leute eine Mischung der wirtschaftlichen Interessen bei wieder auf einen Punkt zu bringen. Aber das macht der Kreativszene geachtet haben. Dass wir eben Kul- riesigen Spaß, auch, weil man dadurch bereits Er- tur und Subkultur haben, aber auch Unternehmen, arbeitetes nochmal überdenken kann. Es ist wichtig, die viele Arbeitsplätze schaffen. Wir können auch im- dass wir viel kommunizieren und gemeinsam erar- mer damit argumentieren, dass wir hier was für das beiten, weil dann auch das Verständnis für Umpla- Gemeinwohl tun, dass wir Veranstaltungen machen, nungen größer wird. Beispielsweise stehen wir ge- aber auch in nachhaltige Bildung investieren. rade vor der Herausforderung, was mit einer großen FM: Und damit, dass die Projekte, die hier vor Ort Bürogemeinschaft, die gern zusammenbleiben will, sind, sich mit Innovationen und Nachhaltigkeit aus- passieren soll, weil sie in ihren jetzigen Räumen nicht einandersetzen. Also Immobilienhändler wären hier bleiben können. Mit denen kommunizieren wir früh- fehl am Platz. Das stellen wir durch die Gemein- zeitig, damit sie Verständnis haben: Ich muss mich schaft sicher und dadurch, dass wir uns auf einen verändern, damit du dich verändern kannst. Das ist Kodex geeinigt haben, wie wir leben wollen. ein großer Gewinn. November 2021 | 27
FACHBEITRAG | Alte Mu Kiel Abb.: graadwies Visualisierung von graadwie auf Grundlage einer Volumenstudie für die Bauvoranfrage Inzwischen plant ihr sogar bauliche Veränderungen. Es klingt so, als wäre die Stadt euch gegenüber sehr Wie sieht der Gestaltungsprozess aus? wohlgesonnen. War das schon immer so? FM: Da muss man in der Geschichte ein bisschen FK: Ich glaube, wir haben uns mittlerweile gegen- zurückgehen. Warum gibt es diesen Prozess? Wir seitig kennengelernt. Ein aktuelles Beispiel: Bei der müssen, da wir Fördergelder in Anspruch nehmen, Dachgartenplanung sind wir ins Stocken geraten, zur städtebaulichen und architektonischen Quali- weil man uns sagt, dass sie wegen des Denkmal- tätssicherung ein konkurrierendes Verfahren durch- und Lärmschutzes nicht möglich ist. Das wird ein führen. Aus unserer Sicht würde aber eine solche Thema in der anstehenden Ideenwerkstatt, wo wir Vorgehensweise zuwider den Interessen und dem eine Lösung finden wollen, weil die Stadt ja auch Charakter des Projektes sein, diesem langsam ent- da sein wird. Wenn wir zu solchen Problemen kom- standenen Humus, den wir für ganz essenziell hal- men, fragen wir beharrlich nach dem Warum, bis ten. Wir würden wachsen, wachsen, wachsen, wie wir es selbst verstanden haben oder bis wir einen ein kleines Pflänzchen und dann würde ein Pflaster- gemeinsamen Kompromiss gefunden haben. stein obendrauf gesetzt werden, das Pflänzchen FM: Wir haben immer politische Ziele abgesteckt wäre tot. Deswegen haben wir uns lange mit der und unser Handeln damit untermauert. Zum Bei- Architektenkammer und der Stadt Kiel auseinan- spiel: Was hat das, was wir tun, mit dem Gemein- dergesetzt und haben ein Verfahren entwickelt, das wohl zu tun? Dadurch hatten wir immer eine gute uns ermöglicht, kooperativ mit drei eingeladenen Argumentationsgrundlage gegenüber der Stadt- Architekturbüros einen Entwurf für die Alte Mu verwaltung und der Politik. Wir mussten dann ei- herauszuarbeiten – transparent und die ganze Zeit gentlich nur noch Wege mit der Verwaltung finden öffentlich. – entweder zu einem Kompromiss, einer Rebellion oder zum Einverständnis. Inzwischen hat die Alte Mu so viele Impulse in die Stadt gegeben, dass wir gut miteinander reden können. Aber anfänglich hat- VITAE ten wir hatten auch sprachliche Barrieren. Nicht nur intern, auch mit der Stadt. Was bedeutet denn ei- Friederike Kopp studierte Kunstgeschichte und Germanistik an der CAU Kiel. Seit 2015 ist sie in diversen Funktionen in der Alte Mu tätig: Kulturarbeit im Fahrradkinokombinat gentlich „privatrechtliche Zustimmung“? Inzwischen e.V., Vorstandsarbeit im Alte Mu Impuls-Werk e.V., Projekt- und Kulturmanagement im ist dieses Wörterbuch der Kommunikation Alte Mu Planungsbüro für Urbane Transformation GmbH. Aktuell betreibt sie das Community- – Stadt ziemlich dick geworden und damit können Management für die Alte Mu und ist an der Projektentwicklung in der Urbane Impulse GmbH beteiligt. Seit April 2021 ist sie Teil des Vorstands der Alte Mu eG. wir sehr gut arbeiten. Aber das braucht Zeit und Vertrauen und eine faire Kommunikationsebene. Florian Michaelis ist aktives Mitglied des Alte Mu Impuls-Werk e.V. und gründete 2017 das Büro graadwies transformative Architektur & Stadtentwicklung, das Teil der Alten Mu ist. Zur Professionalisierung der Projektentwicklung der Alten Mu gründetet er gemein- Das Gespräch fand am 31. August statt. Mittlerwei- sam mit anderen die „Planungsbüro für Urbane Transformation GmbH“. Außerdem ist le sind zwei der drei Ideenwerkstätten abgeschlos- er Mitbegründer der Alte Mu eG und der Urban Beta UG zur Erforschung nomadischer sen, die Jurysitzung wird Ende November folgen. Quartiere zur Bekämpfung der Wohnungsknappheit (Zukunft Bau). Die Ergebnisse werden unter www.altemu-eg.de zu sehen sein. 28 | November 2021
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