Aus der häuslichen Gewalt - Was kann ich tun? - Wer hilft mir? - Landkreis Nordwestmecklenburg

 
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aus      der
häuslichen Gewalt
  Was kann ich tun? – Wer hilft mir?
Impressum                            Finanzierung
7. komplett überarbeitete Auflage    Die Herausgabe der Broschüre
November 2017                        wurde finanziell unterstützt durch
                                     das Ministerium für Soziales,
Herausgeberin                        Integration und Gleichstellung
Frauen helfen Frauen e. V. Rostock   Mecklenburg-Vorpommern
                                     / Leitstelle für Frauen und
Redaktion                            Gleichstellung.
Landeskoordinierungsstelle CORA
in Kooperation mit dem Beratungs-    Bestellungen
und Hilfenetz in Fällen häuslicher   in der Geschäftsstelle
und sexualisierter Gewalt in         Frauen helfen Frauen e. V.
Mecklenburg-Vorpommern.              Ernst-Haeckel-Str. 1
                                     18059 Rostock
Landeskoordinierungsstelle CORA      0381 . 440 30 77
Heiligengeisthof 3 . 18055 Rostock   ulrike.bartel@fhf-rostock.de
0381 / 401 02 29
cora@fhf-rostock.de                  Download
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Layout und Druck                     und www.cora-mv.de                   Titel: gänseblümchen / pixelio.de
Altstadt-Druck Rostock GmbH                                               Seite 36: s.hofschläger / pixelio.de
                                                                          Rückseite: birgitH / pixelio.de
Wo finde ich was?

                                                                     Seite

Wege aus der häuslichen Gewalt                                         1

1. Was ist häusliche Gewalt?                                           4

2. Was ist Stalking                                                   11

      2.1 Was ist Cyberstalking?                                      14

3. Wie wirkt sich häusliche Gewalt auf Kinder aus?                    16

4. Wege aus der Gewalt                                                17

      4.1 Der Weg aus der Gewalt – ist möglich                        17

      4.2 Sicherheit geht vor                                         18

      4.3 Was kann die Polizei für Sie tun?                           19

      4.4 Rechtlicher Schutz                                          20

      4.5 Psychosoziale Prozessbegleitung                             23

      4.6 Medizinische und vertrauliche Hilfe                         24

      4.7 Was ist bei Aufenthaltsfragen und Asylrecht zu beachten?    25

      4.8 Wer hilft Ihnen weiter?                                     25

5. Adressen                                                           32

      5.1 Beratungseinrichtungen zu häuslicher Gewalt
      und Stalking in Mecklenburg-Vorpommern                          32

      5.2 Bundesweite Interessensvertretung und Informationen         37

6. Anlagen                                                            38

      6.1 Ich packe einen Notfallkoffer                               38

      6.2 Was ich mir merken möchte                                   39

                                                                             3
1. was ist häusliche gewalt?

    Häusliche Gewalt umfasst körperliche,          körperliche Gewalt erleben, passiert das
    sexualisierte, emotionale, soziale und         meistens im öffentlichen Raum, Täter sind
    ökonomische Gewalt zwischen Personen,          auch hier vorwiegend Männer.
    die in einer engen Beziehung zueinander        Einer repräsentativen Studie zufolge hat
    stehen. Häusliche Gewalt bedeutet nicht,       jede 4. Frau im Alter zwischen 16 und
    dass die Gewalt in Ihrer Wohnung oder          85 Jahren durch aktuelle oder frühere
    in Ihrem Haus stattfindet. Auch am             Beziehungspartner körperliche Übergriffe
    Arbeitsplatz, in der Kindertagesstätte oder    ein- oder mehrmals erlebt.1 Aber nicht
    im Internet wird Partnerschaftsgewalt          alle Frauen erleben häusliche Gewalt auf
    ausgeübt.                                      die gleiche Art und Weise. Die Formen
                                                   der Gewalt unterscheiden sich nach Art,
    Gewalt fängt dort an, wo die Macht des*der     Häufigkeit und Schwere. Frauen mit
    Stärkeren ausgenutzt wird, wo Angst            Beeinträchtigungen oder Behinderungen
    und Hilflosigkeit durch Beleidigungen,         erfahren häufiger als andere körperliche,
    Demütigungen, Drohungen, Schläge oder          psychische und sexualisierte Gewalt.
    ständige Kontrolle verbreitet werden. Sie      Etwa 8 Prozent der Hilfesuchenden in
    fängt dort an, wo körperliche, geistige oder   Mecklenburg-Vorpommern sind Männer.
    strukturelle Überlegenheit dazu genutzt        Auch sie erleben Gewalt durch ihren Part-
    wird, eigene Interessen mit Zwang und          ner oder ihre Partnerin oder durch andere
    gegen Ihren Willen durchzusetzen.              Familienmitglieder. Aufgrund einer stär-
                                                   keren Tabuisierung von Gewalterfahrun-
    Häusliche Gewalt ist kein                      gen im häuslichen Bereich muss auch bei
    Einzelschicksal                                männlichen Gewaltbetroffenen von einer
                                                   höheren Dunkelziffer ausgegangen werden.

    Häusliche Gewalt kann jeden Menschen           Häusliche Gewalt wird meist durch Ehe-
    treffen – unabhängig von Geschlecht,           männer, Lebenspartner oder andere, auch
    Einkommen, sexueller Orientierung,             weibliche Familienmitglieder ausge-
    Bildungshintergrund, Herkunft         oder     übt. Häufig befürworten sie traditionelle
    Religion. Frauen sind allerdings häufiger
    von häuslicher Gewalt betroffen als Männer.
                                                   1	Vgl. Studie „Bundesministerium für Familie, Senioren,
    Wenn Frauen körperliche Gewalt erleben,
                                                     Frauen und Jugend (2004): Lebenssituation,
    findet diese Gewalt meistens in privaten         Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland.
    Räumen statt und geht vom männlichen             Eine repräsentative Untersuchung zu Gewalt gegen
    Beziehungspartner aus. Wenn Männer               Frauen in Deutschland.“

4
Rollenmodelle in der Partnerschaft und                     ten. Das kann eine Trennung oder Schei-
in der Gesellschaft und lehnen die Gleich-                 dung, ein Wohnungs- oder Ortswechsel,
stellung der Geschlechter ab.                              ein Arbeitsplatzverlust oder ein Streit um
                                                           das Sorge- und Umgangsrecht sein.
Viele der gewalttätigen Personen üben                      Häusliche Gewalt ist keine Privatsache.
die Gewalt nur in der Beziehung oder                       Ihr Zuhause ist kein rechtsfreier Raum.
Familie aus. Sie geben sich nach außen                     Häusliche Gewalt ist ein klarer Verstoß
hin oft sehr freundlich und zugewandt.                     gegen das Menschenrecht auf körperliche
Sie wirken friedfertig und sind nicht als                  und seelische Unversehrtheit.
gewalttätige Menschen erkennbar. Das
kann für Betroffene dazu führen, sich                      Familie, Nachbar*innen, Freund*innen
hilflos und handlungsunfähig zu fühlen.                    und Arbeitskolleg*innen können Sie
Viele haben Angst, dass ihnen niemand                      unterstützen. Sie können Ihnen zuhören,
glaubt, was wirklich zu Hause passiert und                 für Sie Hilfe und Schutz organisieren und
ziehen sich deshalb zurück, was die Macht                  gegenüber der Tatperson deutlich machen,
der Tatperson2 noch vergrößert.                            dass häusliche Gewalt nicht akzeptabel ist.

Die gewaltsamen Übergriffe sind Ursache                    Streit oder Gewalt?
für verschiedenste körperliche und seelische
Verletzungen und Erkrankungen. Mögliche                    Die nachfolgende Gegenüberstellung
gesundheitliche Folgen sind auch Schlaf-                   kann es Ihnen erleichtern, Streit von
störungen, erhöhte Ängste und Depressi-                    Gewalt zu unterscheiden. Denn es gibt
onen, Suizidgedanken, Selbstverletzungen                   unterschiedliche Arten der Auseinan-
und Essstörungen, Suchterkrankungen,                       dersetzung in Paarbeziehungen. Streit
posttraumatische Belastungsstörungen oder                  und Gewalt unterscheiden sich in einem
unerwünschte Schwangerschaften.                            wichtigen Punkt – bei Gewalt geht es um
                                                           die Ausübung von Macht und Kontrolle.
Partnerschaftsgewalt beeinflusst Ihren Alltag              Gewalt ist jede zielgerichtete Verletzung
und Ihr Leben. Partnerschaftsgewalt kann                   der seelischen und körperlichen Integri-
für Sie tiefgreifende Veränderungen bedeu-                 tät einer anderen Person.
2	In dieser Broschüre werden die geschlechtsneutralen      aus der Gewalt aufzeigen will, wird auf den Begriff
  Begriffe „Tatperson“ (für Täter und Täterinnen)           des „Opfers“ verzichtet und der Begriff „Betroffene“
  sowie „Betroffene“ (männliche und weibliche Opfer)        von häuslicher Gewalt gewählt. Dies können neben
  verwendet, um auf stigmatisierende und urteilende         den direkt Betroffenen auch Familienangehörige und
  Begrifflichkeiten zu verzichten. Da die Broschüre Wege    unterstützende Personen sein.

                                                                                                                   5
Streit oder Gewalt?

                       ! !!         ! !!
                                        !!!

        Streit in der Partnerschaft                      Gewalt in Paarbeziehungen
                                                                     Gewalt
                      Streit       Streit                    Gewalt    Gewalt
                                            Streit
    Auseinandersetzung und Diskussion auf            Stärkere Person droht, verletzt und
    Augenhöhe,                                       erniedrigt die schwächere Person,
    Beteiligte sind ebenbürtig,                      Eigene Interessen werden gegen den Willen
    gleichgestellt in der Partnerschaft              der anderen Person – mit Druck und
                                                     Gewalt – durchgesetzt
    Ziel: Klärung des Konfliktes                     Ziel: Durchsetzung von Macht und
                                                     Kontrolle, ein konkreter Konflikt muss
                                                     nicht unbedingt vorliegen
    Mögliche Eskalation in der Situation,            Systematische Gewalthandlungen
    lautstarke Auseinandersetzungen bis hin          und Einschüchterung, zielt darauf die
    zu physischer Gewalt, beide können               Beziehung und das Gegenüber zu
    gewalttätig sein                                 dominieren
    Auseinandersetzung aufgrund konkreter            Wiederholte Gewalt, breites Spektrum an
    Situation, spontanes Konfliktverhalten           Erniedrigungen und Misshandlungen
    In den Konflikt sind gleichermaßen               Gewaltart wird überwiegend von
    Frauen und Männer involviert                     Männern ausgeübt
    Situativ übergriffiges Konfliktverhalten         Systematisches Gewalt- und
                                                     Kontrollverhalten, häufig verbunden mit
                                                     Frauenfeindlichkeit

6
Gewalt hat viele Gesichter

Häusliche Gewalt ist nicht nur                                                         Beziehung, in der die Gewalt dazu dient,
körperliche Gewalt, sondern zeigt sich in                                              die Dominanz und Kontrolle über die
unterschiedlichen Arten der Gewalt. Bei                                                andere Person zu erlangen oder aufrecht
häuslicher Gewalt handelt es sich um eine                                              zu erhalten.

                                                                   alt                            Sexu
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                                                      Zerstörung des Selbstwertge­     Erzwingen sexueller
                                              fühls, Erpressen, Drohen, Einschüch­     Handlungen (intime Berührungen,
                                       tern, Psychoterror, starke Eifersucht bis hin   Küsse…) oder bestimmter sexueller
                                       zum Verfolgen (Stalking), Liebesentzug bis      Praktiken, Vergewaltigung, dazu nötigen
                                           das gewünschte Verhalten erreicht wird.     pornografische Inhalte anzusehen.
                t
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                                                                                                                                                      So
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      eG

                                                                                                                            Im sozialen Umfeld

                                                                                                                                                           le
                                                                                                                        herabwürdigen, am Arbeits­
        ch

                                                                                                                                                              Ge
                 An den Haaren ziehen, schlagen,                                                                   platz schlecht machen und verfolgen,
   erli

                                                                                                                                                                wa l
               würgen, boxen oder treten, jemanden                                                            Kontaktverbote, gezielte emotionale
  Körp

                                                                                                                                                                    t
              mit einem Messer oder mit anderen Sachen                                                    Erpressung („wenn du nicht ... , dann...“) und
             verletzen, (mit Zigarette) verbrennen, Attacken mit                                      Einschüchterungen im sozialen Umfeld.
             Waffen, bis hin zum Mordversuch.                               Macht
                                                                             und
                                                                           Kontrolle

                                                                                                                                                                   rtung
             Verbot oder Zwang zu arbeiten, Ausgaben und Einnahmen                                  Gründe der Gewalt werden von der Tatperson nicht bei
  Ökon

             gegen den eigenen Willen kontrollieren und zuteilen,                                        sich selbst gesucht, sondern in äußeren Umständen
                                                                                                                                                                   ntwo
              nicht erlauben arbeiten zu gehen, Geld wegneh­                                                 (z.B. Alkoholkonsum, Schwierigkeiten bei der
               men, Schulden auf andere abwälzen.                                      Androhung                  Arbeit) oder beim Partner / der Partnerin
      omi

                                                                                                                                                                era

                                                                                       von Gewalt gegen                („er/sie hat mich provoziert“),
     sch

                                                                                                                                                              rV

                                                                                       Kinder und andere                   Schuld sind die anderen.
        eG

                                                       Ausnutzen von Privilegien       Familienangehörige,
                                                                                                                                                           e
                                                                                                                                                        nd

                                                   und Stärke, Entscheidungen          Kinder als Geiseln nehmen,
          ew

                                                                                                                                                      be

                                              alleine und über den Kopf der            bei Trennung / Scheidung
               al

                                                                                                                                                   ie
                 t

                                          anderen hinweg treffen um eigene             Kinder als Boten und zur Kontakt­
                                                                                                                                                ch
                                                                                                                                              bs

                                     Interessen und Position zu stärken.               herstellung zur Ex­Partnerin oder
                                                                                                                                            A

                                                                                       Ex­Partner benutzen.
                                                                                                                                           er
                                                                                                                                      i nd
                                                                                                                                    K
                                            He                                                                                  er
                                                 rr s                                                                    n gd
                                                        cha                                                          ru
                                                            ft                                                 isie
                                                                                                        ntal
                                                                                       Instrume

                                                                                       Darstellung Quelle: Domestic Abuse Intervention Projekt 1983
                                                                                       Modifizierte Darstellung durch CORA 2017

                                                                                                                                                                           7
Gewaltkreislauf

    Häusliche Gewalt tritt
    in einer Paar­be­zie­hung
    unterschiedlich auf.
    Typisch für häusliche Gewalt ist, dass     als Gewaltspirale. Oft gibt es auch ruhige
    es nicht bei einer einzelnen Gewalttat     oder gute Zeiten, die wieder Hoffnung
    bleibt, sondern immer wieder Phasen        schöpfen lassen. Darauf folgen oft wieder
    durchlaufen werden, die wieder in einem    Tage oder Wochen voller Angst und
    neuen gewalttätigen Übergriff gipfeln.     Gewalt. Diese Abläufe häuslicher Gewalt
    Die Abstände zwischen den Gewalttaten      lassen sich anhand der Gewaltspirale (siehe
    werden mit der Zeit oft kürzer und deren   unten) erklären.
    Ausmaß nimmt zu. Dies bezeichnet man

                                                                        1. Phase
              Gewaltzyklus
                                                                       Spannungs­
              beginnt erneut
                                                                         aufbau

        4. Phase                                                              2. Phase
     Abschieben der                                                           Gewalt­
     Verantwortung                                                            ausbruch

                                                     Häufiger Zeitpunkt
                                3. Phase
                                                   für Hilfesuche, Polizei-
                               Ruhe, Reue,
                                                   einsätze, medizinische
                               Zuwendung
                                                         Versorgung

8
1. Phase – Spannungsaufbau                    trotzdem können Sie oder Ihre Kinder
                                              heftig verletzt oder Ihre Wohnung zerstört
Um Betroffene in einen ständigen              werden.
Angstzustand     zu     versetzen, muss
nicht unbedingt Gewalt angewandt              Die Gewalt hört oft erst auf, wenn das Ziel
werden. Vielmehr baut sich über einen         der gewalttätigen Person erreicht ist, Sie
längeren Zeitraum eine sehr belastende        sich in Sicherheit bringen konnten oder
Spannung auf. Um der Tatperson keinen         andere Menschen die Gewalt unterbunden
Grund für Auseinandersetzungen und            haben (Angehörige, Nachbar*innen,
Wutanfälle zu geben, konzentriert sich        Polizei).
die Aufmerksamkeit der Betroffenen oft
auf die gewalttätige Person. Die eigenen      Unmittelbar nach dem Gewaltausbruch
Bedürfnisse und Ängste werden dabei           sind Sie möglicherweise bereit, erste
zurückgestellt und unterdrückt. Es wird       Schritte zu unternehmen, um sich und
versucht, der Tatperson möglichst alles       Ihre Kinder zu schützen:
recht zu machen, um einen Ausbruch
der Gewalt (Eskalation) zu verhindern.        „Diese kleinen Schritte haben ein eigenes
Kann die Gewalt nicht verhindert              ‚das erste Mal’: das erste Mal – vielleicht
werden, entsteht oft eine Übernahme der       heimlich – zu einer Anwältin gehen, das
Verantwortung für den Gewaltausbruch          erste Mal Widerstand leisten, das erste Mal
durch die Betroffenen („ich bin ja selbst     mit Trennung drohen, das erste Mal sich
schuld“, „hätte ich nicht…“, „wäre ich        selbst behaupten, vielleicht auch das erste
nur…“).                                       Mal die Polizei rufen.“
Die Tatperson verstärkt und nutzt diese         (Helfferich / Lehmann / Kavemann / Rabe 2004)
Verantwortungsübernahme („du bist ja
selbst schuld…“, „hättest du nicht…“).        3. Phase – Ruhephase
Doch die Verantwortung für das
gewalttätige Verhalten liegt allein bei der   In der folgenden Ruhephase zeigt die
Tatperson, nicht bei Ihnen.                   Tatperson oft Reue und entschuldigt sich
                                              vielleicht, ist liebevoll und zugewandt.
                                              Viele gewalttätige Personen, die nur zu
2. Phase – Gewaltausbruch                     Hause Gewalt ausüben und sonst kaum
                                              auffälliges Verhalten zeigen, fühlen sich
Was mit Drohungen und Kränkungen              danach schlecht und versuchen mit
beginnt, wird später oft zu körperlicher      Entschuldigungen ihre Aufrichtigkeit zu
Gewalt, die mit der Zeit immer brutaler       beweisen. Oft wird durch die Tatperson ein
werden kann. Der Gewaltausbruch an sich       Alkohol- oder Drogenentzug begonnen
ist zwar meistens nur von kurzer Dauer,       oder eine Beratungsstelle aufgesucht, um

                                                                                                9
zu verhindern, dass Sie die Beziehung           immer kürzer werden.
     beenden.
                                                     Wir möchten Sie dabei unterstützen, die
     Vielleicht glauben Sie diesen Bemühungen        Gewaltspirale zu durchbrechen und sich aus
     und Versprechen, vielleicht wollen Sie          der gewalttätigen Beziehung zu befreien.
     der Beziehung noch eine letzte Chance           Auch die Polizei und die Justiz können
     geben. Vielleicht tragen die Liebe und die      die Tatpersonen stoppen. Frauenhäuser
     Zuneigung, die Ihnen die Tatperson jetzt        und Beratungseinrichtungen, aber auch
     zeigt, dazu bei, dass Sie sich nicht trennen.   Verwandte, Freund*innen, Kolleg*innen,
     Vielleicht schöpfen Sie Hoffnung, dass die      Ärzt*innen können Sie dabei unterstützen,
     Gewalt jetzt ein für alle Mal vorbei ist.       sich in Sicherheit zu bringen und ein
                                                     gewaltfreies Leben aufzubauen.
     Der Kreis schließt sich, die Spirale dreht
     sich weiter.

     4. Phase – Abschieben der
        Verantwortung

     Nach der Ruhephase beginnt die Tatperson
     oft damit, die Verantwortung für die
     Gewalt von sich wegzuschieben.Vielleicht
     versucht er*sie, Ihnen zu erklären, dass die
     Gewalt nie stattgefunden hat und Sie sich
     alles nur einbilden, oder dass alles ganz
     harmlos war. Vielleicht versucht er*sie
     auch, das eigene Verhalten zu rechtfertigen.

     Meist geht diese Phase wieder
     mit Demütigungen und kleineren
     Gewaltvorfällen einher und somit in die
     erste Phase - den Spannungsaufbau - über.

     Betroffene, die diesen Gewaltkreislauf
     mehrfach erlebt haben, berichten, dass die
     Gewalt immer drastischer und die Phasen

10
2. Was ist Stalking?

Stalking (auch „belästigende Nach-                Warum wird gestalkt?
stellung“) bedeutet, dass eine Person
gegen ihren Willen verfolgt, belästigt
oder bedroht wird, und zwar bewusst               Stalker*innen wollen wahrgenommen
und wiederholt. Stalkingfälle können              werden und fühlen sich aus unterschied-
sich manchmal über mehrere Jahre hin-             lichsten Gründen berechtigt, der anderen
ziehen. Stalking-Betroffene fühlen sich           Person nachzustellen. Die meisten sind
oft unsicher oder haben Angst.                    leicht kränkbar, eifersüchtig und verlan-
Stalking kann eine Straftat (§ 238 StGB)          gen Beachtung oder Bewunderung. Viele
sein. Das ist dann der Fall, wenn die             glauben, dass ihre Zielperson ihnen et-
Handlungen geeignet sind, die Lebensge-           was angetan hat oder sie provoziert. Die
staltung der betroffenen Person schwer-           betroffene Person soll deshalb Angst und
wiegend zu beeinträchtigen.                       Verzweiflung spüren.

                                                  Es gibt verschiedene Motive und Auslöser
Wer stalkt wen?                                   für Stalking, die häufigsten davon sind:
                                                   • Trennung
                                                   • ein neuer Partner / eine neue Partnerin
Stalker*innen kommen aus allen sozia-             		 auf Seiten der Betroffenen
len Schichten und Altersgruppen. Etwa              • Eifersucht, Kränkung, verletzte
80 Prozent sind Männer, überwiegend               		 Eitelkeit
im Alter zwischen 30 und 40 Jahren.                • subjektiv erlebter Verlust des Kindes
Stalker*innen können sowohl ehemalige              • Macht- und Besitzansprüche
Beziehungspartner*innen, Freund*innen              • Kontrollverlust,Verlust gewohnter
oder Kolleg*innen, Nachbar*innen, pro-            		 Strukturen, Destabilisierung
fessionelle Kontakte oder sogar völlig             • Missgunst, Ärger, Wut und Rache
Unbekannte sein. Die meisten Fälle von
Stalking entwickeln sich jedoch aus einer         Mit Liebe hat Stalking nichts zu tun.
früheren Beziehung oder Bekanntschaft.3           Stalker*innen suchen den Kontakt zu
Nur in etwa jedem fünften Fall ist die Tat-       ihren Zielpersonen oft über einen längeren
person eine gänzlich fremde Person.               Zeitraum, auch wenn diese durchgängig
                                                  und eindeutig den Kontakt ablehnen.

3	
  Dressing, Harald & Gass, P (2005): Stalking!:
  Verfolgung, Bedrohung, Belästigung. Bern.

                                                                                               11
Was können Sie dagegen tun?
      Was gilt als Nachstellung?
                                              Sie sollten sich frühzeitig gegen das Ver-
                                              halten von stalkenden Personen schützen
        Zu den belästigenden Stalkinghand-    und Hilfe in Anspruch nehmen. Zur Be-
        lungen gehören unter anderem:         endigung bzw. Reduzierung des Stalking-
       •	Nachlaufen                          verhaltens haben sich folgende Handlungs-
       • Telefonanrufe zu allen Zeiten        möglichkeiten für Betroffene bewährt:
       • Ständige Präsenz in der Nähe der
     			 Zielperson                           Einmalige deutliche und konsequente Kon-
       • Kontaktaufnahme durch Briefe,        taktablehnung. Sagen Sie der stalkenden
     			 SMS, E-Mails, soziale Medien         Person einmal klar und deutlich, am
       • Eindringen in die Wohnung,           besten im Beisein von anderen Personen
     			 Beschädigung von Eigentum            (Zeug*innen), dass Sie die Kontaktver-
       • Hinterlassen ekelerregender          suche in keiner Weise wünschen und
     			 Spuren, aber auch Geschenke          nichts mit ihm*ihr zu tun haben wollen.
       • Drohungen und körperliche            Halten Sie sich unbedingt daran!
     			 Angriffe
       • Bestellen von Waren/Dienstleis-      Ignorieren Sie die stalkende Person völlig.
     			 tungen im Namen der Zielperson       Denn alle weiteren Reaktionen werden
       • Verleumdungen/Einbezug des           von ihm*ihr als positives Zeichen ge-
     			 sozialen Umfeldes                    wertet: „Ich muss mich nur lange genug
       • Drohungen, den Kindern etwas         bzw. intensiv bemühen, dann wird er*sie
     			 anzutun                              schon reagieren“.
       • Missbrauch der elterlichen Rechte,
     			 um in den Alltag einzugreifen        Informieren Sie Ihre Familie, Ihre
                                              Freund*innen,         Arbeitskolleg*innen,
                                              den*die         Arbeitgeber*in,         die
                                              Nachbar*innen und Bekannte. Denn Öf-
                                              fentlichkeit kann schützen! Tragen Sie Ihr
                                              Mobiltelefon immer bei sich und rufen Sie
                                              bei Gefahr oder konkreter Bedrohung die
                                              Polizei (110). Verfolgt Sie die stalkende
                                              Person mit dem Auto, fahren Sie zur
                                              nächsten Polizeidienststelle. Erstatten Sie
                                              bei Straftaten jedes Mal konsequent An-
                                              zeige.

12
Sichern Sie die Beweise, dokumentieren         Amtsgericht Beratungs- und Verfahren-
Sie das Geschehene. Schließen Sie einen        skostenhilfe beantragen und sich durch
Anruf beantworter an, mit dem Sie die          Rechtsanwält*innen beraten lassen.
Anrufe aufzeichnen können. Führen Sie
ein „Stalking-Tagebuch“ (Tag, Datum,           Das Hinzuziehen der Polizei stellt eine
Uhrzeit, Was ist geschehen? Gibt es            klare Grenzziehung dar. Eine im frühen
Zeugen oder andere Beweise?). Doku-            Stadium des Stalking erfolgte Gefähr-
mentieren Sie alles, was die stalkende         deransprache durch die Polizei kann zur
Person schickt, schreibt oder tut. Hilfreich   Beendigung des Verhaltens führen. Mit
sind auch Fotos (z.B. von unbestellten         einer Gefährderansprache wird durch
Waren vor der Rücksendung, von ekel-           die Polizei selbst verdeutlicht, dass sie das
erregenden Spuren an der Wohnungstür,          Verhalten sorgfältig beobachtet und ge-
von Verletzungen, Beschädigungen, etc.).       gebenenfalls Maßnahmen gegen weiteres
Bewahren Sie Geschenke auf. All dies           Fehlverhalten ergreift. Das Grunddelikt
kann als Beweismittel vor Gericht dienen.      Stalking (§ 238 Abs. 1 StGB) ist ein so-
                                               genanntes Offizialdelikt. Das bedeutet,
Selbstschutzmaßnahmen treffen. Stellen         dass Polizeibeamt*innen, die davon er-
Sie die Geheimhaltung Ihrer neuen Ad-          fahren, eine Strafanzeige vorlegen und
resse sicher (z.B. in Schriftsätzen, Kran-     Ermittlungen einleiten müssen. Auch die
kenkasse, Jugendamt, Schule…). Machen          Staatsanwaltschaft muss die Tat von Amts
Sie für alle Fälle Ihre Anschrift auf Um-      wegen verfolgen.
schlägen unkenntlich, bevor Sie diese
entsorgen. Vielleicht ist es sinnvoll, ein     Als zivilrechtliche Maßnahme gegen
zweites Mobiltelefon (neue Nummer)             Stalking kommt auch eine Anordnung
oder einen zweiten Telefonanschluss an-        nach dem Gewaltschutzgesetz (GewSchG)
zuschaffen oder die Nummer der stal-           in Betracht (§ 1 Gerichtliche Maßnahmen
kenden Person zu blockieren.                   zum Schutz vor Gewalt und Nachstel-
                                               lungen). Verstößt die stalkende Person
Unterstützung suchen. Jeder Stalkingfall       gegen ein solches Verbot, macht er*sie sich
ist einzigartig und folgt einer eigenen        nach § 4 Gewaltschutzgesetz straf bar.
Dynamik. Suchen Sie Unterstützung und
Schutz in den Einrichtungen zu häus-           Sie können, am besten über einen Anwalt
licher Gewalt und Stalking. Nutzen Sie         oder eine Anwältin, von der stalkenden
alle rechtlichen Möglichkeiten, gegen die      Person verlangen, dass er*sie eine schriftliche
stalkende Person vorzugehen. Sie können,       Unterlassungserklärung abgibt. Wer gegen
sofern Sie Ihre Bedürftigkeit nach-            eine solche Unterlassungserklärung verstößt,
weisen, in der Rechtsantragsstelle beim        riskiert eine empfindliche Geldstrafe.

                                                                                                 13
Was sollten Sie nach                             Cyberstalking kann verschiedene Formen
     der konsequenten                                 annehmen:
                                                       • falsche     Tatsachen      (Gerüchte,
     Kontaktablehnung nicht tun?                         Verleumdungen) über die Betroffenen
                                                         im Internet verbreiten
      •	Mit der stalkenden Person sprechen.           • im Namen der Betroffenen Waren
         Bekommen         Sie    einen      Anruf/       oder Dienstleistungen bestellen
         SMS/E-Mail, etc., legen Sie auf bzw.          • intime Details oder Fotos der
         antworten Sie nicht.                            Betroffenen im Internet verbreiten
      •	Pakete annnehmen, die Sie nicht               • die     Betroffenen    oder     deren
         erwarten. Fotografieren Sie die Waren           Freund*innen,           Kolleg*innen
         und senden Sie unbestellte Waren                oder Verwandte über das Internet
         zurück, da Sie diese andernfalls eventuell      oder soziale Medien wiederholt
         bezahlen müssen.                                kontaktieren oder bedrohen
      •	Die Schuld bei sich selbst suchen. Sie        • die Identität der Betroffenen stehlen
         tragen keine Verantwortung für das              und bspw. falsche Nutzer*innen-
         gewalttätige Handeln.                           Konten auf Kontaktbörsen einrichten
      •	Sich zurückziehen. Sprechen Sie darüber       • im Namen der Betroffenen im Internet
         und informieren Sie Ihr soziales Umfeld.        Straftaten begehen oder androhen

                                                      Cyberstalking ist, genau wie Stalking
     2.1 Was ist Cyberstalking?                       und häusliche Gewalt, eine Straftat.
                                                      Tatpersonen können unter anderem
                                                      wegen Beleidigung, Bedrohung, übler
     Cyberstalking bedeutet, dass die                 Nachrede, Fälschung beweiserheblicher
     Nachstellung vor allem im Internet               Daten, Nötigung oder Betrug angezeigt
     passiert. Cyberstalking und Stalking in          werden.
     der realen Welt folgen ganz ähnlichen
     Mustern, denn auch beim Cyberstalking            Was können Sie gegen Cyberstalking
     sind die meisten Tatpersonen Männer              tun?
     und die meisten Betroffenen Frauen. In
     sehr vielen Fällen ist eine (ehemalige)           • Achten Sie darauf, wer Zugang zu
     Partnerschaft der Auslöser für das                  Ihrem Computer und zu Ihrem
     Cyberstalking.                                      Handy hat.
                                                       • Schützen Sie Ihren Computer und Ihr
                                                         Handy mit Kennwörtern.

14
• Geben Sie Ihre Kennwörter nicht an       oder an die Polizei weitergeben. Wenn
   Dritte weiter.                           die Tatperson in Ihrem Namen oder
 • Ändern      Sie  Ihre   Kennwörter       auf Ihre Rechnung Waren im Internet
   regelmäßig.                              bestellt hat, nehmen Sie diese nicht an
 • Achten Sie darauf, in sozialen           und bitten Sie auch Ihre Nachbar*innen,
   Netzwerken nur Kontakt zu Menschen       diese nicht anzunehmen. Wenn Sie auf
   aufzunehmen, die Sie auch im realen      einer Webseite oder in sozialen Medien
   Leben kennen.                            falsche Tatsachen oder intime Bilder
 • Achten Sie darauf, keine öffentlich      von sich entdecken, kontaktieren Sie die
   sichtbaren Kalendereinträge oder         Anbieter*innen (auch hier ggfs. mit Hilfe
   Veranstaltungen, an denen Sie            von Anwält*innen) und verlangen Sie,
   teilnehmen möchten, in sozialen          dass diese gelöscht werden.
   Netzwerken zu posten – die Tatperson     Haben Sie den Mut, Cyberstalking
   könnte daraus ablesen, wann Sie sich     bei der Polizei anzuzeigen – in vielen
   wo auf halten werden.                    Polizeidienststellen gibt es speziell zu
 • Überprüfen Sie die Privatsphäre-         Internetkriminalität geschultes Personal.
   Einstellungen in Ihren sozialen          Cyberstalking ist eine Straftat.
   Netzwerken.
 • Veröffentlichen Sie keine privaten
   Daten wie Name, Adresse oder
   Telefonnummer im Internet und
   sprechen Sie ggfs. auch mit Ihren
   Kindern darüber.
 • Suchen Sie im Internet nach Ihrem
   Namen und sorgen Sie dafür, dass
   verleumderische Inhalte entfernt
   werden.

Wenn Sie per E-Mail bedroht oder
belästigt werden, können Sie sich schnell
und unkompliziert ein neues E-Mail-
Konto einrichten und Ihre neuen
Kontaktdaten nur an vertrauenswürdige
Personen weitergeben. Sie sollten die
E-Mails der Tatperson jedoch sichern
und diese bei Bedarf an eine*n Anwält*in

                                                                                        15
3. Wie wirkt sich häusliche
         Gewalt auf Kinder aus?

     Partnerschaftsgewalt                           Was können Sie für Ihre Kinder
     betrifft auch die Kinder                       tun?
     Viele Betroffene, meist Mütter, leben zum       • Geben Sie Ihrem Kind die Mög-
     Zeitpunkt der Gewalt mit ihren Kindern            lichkeit, über die Erlebnisse zu
     zusammen. Kinder können direkt von                sprechen oder sich einer dritten Be-
     der Gewalt betroffen sein, wenn sie selbst        zugsperson anzuvertrauen.
     misshandelt oder bedroht werden. Kinder         • Geben Sie Ihrem Kind Gelegenheiten,
     können aber auch indirekt betroffen sein,         über seine eigenen Gefühle und Be-
     wenn sie die Gewalt an der Mutter oder            dürfnisse zu sprechen.
     am Vater sehen oder hören und generell          • Machen Sie Ihrem Kind deutlich,
     in einer gewalttätigen Umgebung auf-              dass es keine Schuld an der häuslichen
     wachsen.                                          Gewalt trägt. Denn viele Kinder
     Selbst wenn Ihre Kinder auf den ersten            suchen die Ursache der Gewalt bei
     Blick stabil und unauffällig wirken, be-          sich selbst und fühlen sich schuldig.
     trifft sie die häusliche Gewalt existenziell    • Nehmen Sie Hilfen und Beratung
     und kann sie in ihrer freien Entwicklung          an, zum Beispiel durch die kosten-
     einschränken.                                     freie Kinder- und Jugendberatung in
                                                       den Interventionsstellen gegen häus-
     Auch wenn Ihre Kinder nicht selbst ge-            liche Gewalt und Stalking (siehe Ad-
     schlagen werden, erleben sie die Part-            ressteil). Auf Wunsch unterstützt Sie
     nerschaftsgewalt mit. Sie befinden sich           die Beraterin dabei, in Jugendämtern,
     mitten im Gewaltgeschehen. Wenn                   Familiengerichten und bei Verfahrens-
     Streit, Drohungen, Angst und Schläge              pflegenden auf die Auswirkungen der
     zum Alltag gehören, prägt dies maß-               Gewalt auf die Kinder hinzuweisen.
     geblich jedes Kind in seiner Persönlich-
     keitsentwicklung. Kinder spüren die            Kinder zeigen nach der Trennung der
     Angst und Ohnmacht des betroffenen             Eltern häufig ungewöhnliches Verhalten,
     Elternteils, schützen vielleicht ihre klei-    da sie sich emotional zwischen Mutter
     neren Geschwister, sind wütend oder            und Vater hin- und hergerissen fühlen
     selbst aggressiv.                              oder von einem Elternteil negativ beein-
     Das Miterleben häuslicher Gewalt kann          flusst und instrumentalisiert werden.
     zu Beeinträchtigungen in der Ent-              Die Kinder zeigen ihre Unsicherheiten sehr
     wicklung Ihres Kindes führen, bspw. zu         ausgeprägt oder reagieren völlig entgegen-
     verzögerter Sprachentwicklung, Bett-           gesetzt, also sehr unauffällig und angepasst.
     nässen, Schlafstörungen, Kopfschmerzen,        Kinder brauchen deshalb viel Verständnis
     Wutanfällen und Essstörungen.                  und Unterstützung für ihre Situation.

16
4. Wege aus der Gewalt

Recht auf ein Leben ohne                            Sie haben ein Recht auf Schutz und Un-
Gewalt                                              terstützung durch Polizei, Justiz, Ämter
                                                    und Beratungseinrichtungen. Diese Bro-
Jedes Kind hat ein Recht auf ein Leben              schüre zeigt Ihnen, welche Wege es aus der
ohne Gewalt, damit es sich frei entfalten           Gewalt gibt. Die Beratungseinrichtungen
kann. Gemäß § 1631 Abs. 2 Bürgerliches              zu häuslicher Gewalt helfen Ihnen kos-
Gesetzbuch (BGB) haben Kinder aus-                  tenfrei und vertraulich. Die Einrichtungen
drücklich ein „Recht auf gewaltfreie Er-            nehmen Ihre Selbstbestimmung und Ei-
ziehung.“                                           genverantwortung ernst.
Es bestehen rechtliche Möglichkeiten,               Sie entscheiden, welcher Weg für Sie der
für die Dauer der Kindeswohlgefährdung              richtige ist.
den Umgang auszusetzen und nur ein
kontrolliertes Besuchsrecht zu gewähren.
Dem Gewalt ausübenden Elternteil kann               4.1 Der Weg aus der Gewalt
die Nutzung der Wohnung im Ver-                         ist möglich
fahren wegen Kindeswohlgefährdung
gemäß §§ 1666, 1666a BGB durch eine                 Der Weg aus einer gewalttätigen Beziehung
Anordnung des Familiengerichts ver-                 ist nicht leicht, aber er ist möglich. Auch
boten werden. Doch die familiengericht-             Sie können diesen Weg gehen und wieder
liche Praxis ist hier sehr unterschiedlich.         ein gewaltfreies, selbstbestimmtes Leben
Nehmen Sie deshalb Beratung in An-                  führen. Sie können Gesundheit, Selbst-
spruch.                                             vertrauen und Lebensqualität zurückge-
                                                    winnen. Sie können auch Ihre Kinder vor
                                                    Entwicklungsschäden bewahren, die sich
                                                    aus den Gewalttaten und der angespannten
                                                    Atmosphäre zu Hause ergeben können.
                                                    Dabei wollen wir Sie unterstützen.

                                                    Wer hilft Ihnen?
                                                    Das Beenden einer gewalttätigen Be-
                                                    ziehung kostet Kraft und Mut. Holen Sie
                                                    sich dafür alle Unterstützung, die möglich
                                                    ist:
                                                      • Polizei und Justiz sind verpflichtet, Sie
                                                         und Ihre Kinder vor weiterer Gewalt
Bild von Hendrik (11), wie er seinen Vater sieht.        zu schützen.

                                                                                                    17
• Interventionsstellen,      Frauenschutz-       Sie mit anderen über die Gewalt und suchen
        häuser und Beratungsstellen bei häus-          Sie sich Hilfe. Sie sind auf keinen Fall schuld
        licher oder sexualisierter Gewalt unter-       an der Situation, denn schuld ist immer die
        stützen, beraten und begleiten Sie, kos-       Person, die Gewalt ausübt.
        tenfrei und auf Wunsch auch anonym!
      • Die Männer- und Gewaltberatungs-               4.2	Sicherheit geht vor
        stellen bieten Tatpersonen kostenfreie
        und auf Wunsch anonyme Beratung an,            Das wichtigste für Sie ist, sich selbst und Ihre
        um Verantwortung für das gewalttätige          Kinder vor weiterer Gewalt zu schützen.
        Verhalten zu übernehmen und die
        Gewalt zu beenden.                             Sie kennen Ihre eigene Situation am besten
      • Verwandte, Freund*innen und Bekannte           und können die Gefahr, die von der Tat-
        können bei vielen Fragen entlasten.            person ausgeht, am besten einschätzen.
                                                       Nehmen Sie daher Ihre eigenen Sorgen
     Die Kontaktdaten der Hilfeeinrichtungen           und Ängste ernst.Vertrauen Sie Ihrer Wahr-
     finden Sie auf den letzten Seiten dieser          nehmung. Trauen Sie Ihren Gefühlen.
     Broschüre.
                                                       Eine Möglichkeit, für Ihre eigene Si-
     Sie sind mit Ihrer Erfahrung nicht allein – es    cherheit zu sorgen, kann ein persönlicher
     gibt viele Menschen, die häusliche Gewalt         Krisenplan sein. Überlegen Sie:
     erfahren. Fassen Sie sich ein Herz, sprechen

        • Wem kann ich vertrauen?
        • Wo ist das nächste Telefon/Handy?
        • Wie und wohin kann ich flüchten? Fluchtmöglichkeiten in Gefahrensituationen planen
          (ggf. Absprache mit Nachbar*innen, Freund*innen, Frauenhaus)
        • Welche Notruf-Nummern trage ich bei mir? (Polizei, Verwandte, Bekannte, Frauenhaus,
          siehe auch Adressteil)
        • Wie komme ich weg? Transport durchdenken (öffentliche Verkehrsmittel, Taxi,
          Freund*innen holen mich ab…)
        • Ich besorge Reserveschlüssel (für Wohnung, Auto…)
        • Ich packe einen „Notfallkoffer“ und bringe ihn an einen sicheren Ort (siehe Anlage in
          dieser Broschüre)
        • Wo kann ich im Notfall übernachten? (Verwandte, Bekannte, Frauenhaus)
        • Wo kann ich Wertgegenstände sicher unterbringen?
        • Wer kann mich in beängstigenden Situationen begleiten? (z. B. Gerichtsverhandlung)
        • Wer kann mich bei einem Gespräch mit der Kindereinrichtung/Schule über die Situation
          unterstützen? (Verwandte, Bekannte, Kinder- und Jugendberatung, Beratungsstellen,
          Frauenhaus…)
        • Wer kann mich bei einem Gespräch mit meinem*meiner Arbeitgeber*in unterstützen?
          (vertrauensvolle Kolleg*innen)
        • Wie kann ich die Kinder auf die Krisensituation vorbereiten? (Kinder- und Jugendberatung,
          Freund*innen…)

18
4.3 Was kann die Polizei für Sie           Wohnung trotz Wegweisung betreten
		 tun?                                    hat, kann die Polizei erneut eine Weg-
                                           weisung aussprechen und die Tatperson
Die Polizei hilft Ihnen auch bei häus-     aus der Wohnung entfernen. Falls die
licher Gewalt oder Stalking. Sie können    Tatperson Widerstand leistet, kann die
die Polizei über die 110 oder über die     Polizei ihn*sie auch in Gewahrsam
nächste Polizeidienststelle erreichen.     nehmen oder ein Zwangsgeld festsetzen.
Wenn Sie in unmittelbarer Gefahr sind,
ist die Polizei verpflichtet, sofort zu    Sie selbst müssen sich natürlich auch an
kommen. Die Nummern 110 (Polizei)          die polizeilichen Maßnahmen halten –
und 112 (Feuerwehr, Rettungsdienst)        Sie dürfen die gewalttätige Person nicht
sind immer kostenlos und funktionieren     wieder in die Wohnung lassen. Die Tat-
auch bei gesperrten Telefonen oder feh-    person darf die Wohnung nicht ohne Be-
lender SIM-Karte.                          gleitung durch die Polizei betreten, auch
                                           dann nicht, wenn noch Dinge aus der
Wer schlägt, der geht.                     Wohnung benötigt werden. Falls die Tat-
                                           person die Wohnung trotz Wegweisung
Wenn Sie die Polizei wegen häuslicher      allein betritt, rufen Sie sofort die Polizei.
Gewalt rufen, kann die Polizei eine Weg-   Falls Sie die Polizei während der Gewalt-
weisung aussprechen. Das bedeutet, dass    situation nicht rufen konnten, können
die gewalttätige Person die Wohnung        Sie auch im Nachhinein zu einer Polizei-
sofort verlassen muss und bis zu 14 Tage   dienststelle gehen und dort Anzeige er-
lang nicht zurückkommen darf. Nachdem      statten. Auch dann kann die Polizei eine
die gewalttätige Tatperson ihre persön-    Wegweisung aussprechen, so dass Sie sich
lichen Sachen gepackt hat, nimmt die       in Ihrer Wohnung wieder sicher fühlen
Polizei ihm*ihr die Wohnungsschlüssel      können. Sagen Sie der Polizei am besten
weg und übergibt Informationen zu Be-      direkt, dass Sie in konkreter Gefahr sind
ratungsstellen und Übernachtungsmög-       und sofortigen Schutz brauchen.
lichkeiten.
Die Polizei kann auch für andere Orte      Wenn in Ihrem Zuhause ein Polizei-
ein Aufenthaltsverbot aussprechen, damit   einsatz wegen häuslicher Gewalt statt-
Sie und Ihre Kinder auch dort vor wei-     gefunden hat oder Sie im Nachgang
terer Gewalt sicher sind. Diese Orte       Anzeige erstatten, informiert die Polizei
können zum Beispiel Ihr Arbeitsplatz,      die Interventionsstelle gegen häusliche
aber auch die Kita oder die Schule Ihrer   Gewalt und Stalking in Ihrer Nähe. Eine
Kinder sein.                               Mitarbeiterin der Interventionsstelle
                                           wird Sie telefonisch oder schriftlich kon-
Die Polizei kann die Wegweisung oder       taktieren und Ihnen und Ihren Kindern
das Aufenthaltsverbot kontrollieren und    Beratung und Unterstützung anbieten.
prüfen, ob sie eingehalten werden. Falls
die gewalttätige Person die gemeinsame

                                                                                           19
4.4	Rechtlicher Schutz                     Schutz vor Gewalt und
                                                Nachstellungen
     Das Gewaltschutzgesetz („Gesetz zum
     zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten    Durch das Gewaltschutzgesetz kann ein
     und Nachstellungen“) wurde einge-          Gericht der Tatperson verbieten, Ihre
     führt, um Betroffene vor Gewalt und        Wohnung zu betreten oder sich auch nur
     Stalking zu schützen. Im Gegensatz zu      im Umkreis Ihrer Wohnung aufzuhalten.
     den polizeilichen Maßnahmen wie der        Dieses Verbot kann auch für andere Orte
     Wegweisung (eine Wegweisung gilt für       gelten, etwa für Ihren Arbeitsplatz oder die
     höchstens 14 Tage) bietet das Gesetz       Kita oder Schule Ihrer Kinder. Das Gericht
     längerfristigen Schutz vor Gewalt.         kann der Tatperson auch verbieten, Sie zu
                                                kontaktieren, z. B. durch Anrufe, E-Mails,
     Für wen ist das Gewaltschutz-              soziale Netzwerke oder WhatsApp.
     gesetz?
                                                Wohnungszuweisung
     Sie können das Gewaltschutzgesetz          Wenn Sie mit der Tatperson in einer
     nutzen, wenn Ihr Körper, Ihre Ge-          gemeinsamen Wohnung leben, kann
     sundheit oder Ihre Freiheit durch eine     Ihnen durch das Gewaltschutzgesetz
     andere Person verletzt wurde oder wenn     die Wohnung überlassen werden. Dabei
     eine Person Ihnen dies angedroht hat.      spielt es keine Rolle, wer die Wohnung
     Das Gewaltschutzgesetz greift auch,        mietet oder besitzt.
     wenn jemand Sie stalkt oder unerlaubt      Haben Sie den alleinigen Mietvertrag
     in Ihre Wohnung eindringt. Dabei spielt    oder das Eigentum, geschieht die Über-
     es keine Rolle, in welcher Beziehung Sie   lassung ohne Befristung, bei einem lau-
     zu der Tatperson stehen: das Gesetz gilt   fenden Scheidungsverfahren kann das bis
     immer, egal ob Sie mit der Tatperson       zum Scheidungsurteil sein.
     verheiratet, verpartnert, in einer Be-
     ziehung, verwandt oder bekannt sind.       Wenn die gewalttätige Person auch
                                                im Mietvertrag steht, können Sie die
     Für Kinder als Opfer wird das Gewalt-      Wohnung zunächst bis max. 6 Monate
     schutzgesetz meistens nicht angewendet.    alleine nutzen. So haben Sie Zeit, in
     Für minderjährige Kinder, die von ihren    Ruhe und Sicherheit Ihr weiteres Vor-
     Eltern misshandelt werden, gelten andere   gehen zu klären.
     Vorschriften. Diese Entscheidungen
     werden von Familiengerichten unter         Aber auch wenn Sie nicht Mieter*in oder
     Einbeziehung des Jugendamtes getroffen.    Eigentümer*in sind, kann Ihnen für bis

20
zu 6 Monaten die Wohnung zugewiesen          Welches Gericht ist zuständig?
werden. Dann muss aber eine finanzielle
Vergütung (z. B. Miete) an den*die           Sie wenden sich grundsätzlich an Ihr
Eigentümer*in oder Mieter*in gezahlt         örtlich zuständiges Amtsgericht. Dort
werden. Diese Frist kann noch einmal bis     sind die Familiengerichte zuständig.
zu 6 Monate verlängert werden.
                                             Das Gericht kann ein Kontakt- und Nähe-
Die Wohnungsüberlassung müssen Sie           rungsverbot oder eine Wohnungszuwei-
innerhalb von drei Monaten nach der Tat      sung nur dann anordnen, wenn Sie bei
schriftlich von der Tatperson verlangen.     Gericht einen Antrag stellen. Sie können
                                             den Antrag selbst stellen, Sie können das
Wichtig zu wissen:                           aber auch mit der Unterstützung eines*einer
                                             Rechtsanwält*in oder einer Beratungsstel-
 • Die Schutzanordnungen nach dem            le (siehe Adressteil) tun. Notieren Sie, wo
   Gewaltschutzgesetz werden befristet,      Sie sich im Alltag aufhalten. Für diese Orte
   können aber auf Antrag verlängert         können Sie auch ein Kontakt- und Nähe-
   werden.                                   rungsverbot beantragen.
 • Auch bei Stalking können diese            Es ist wichtig, bei einem Antrag oder einer
   Schutzanordnungen erlassen werden.        Anzeige genau zu beschreiben, was, wann,
 • Auch wenn die Tatperson unter Al-         wo, und wem womit passiert ist. In einem
   kohol- oder Drogeneinfluss gehandelt      späteren Gerichtsverfahren können Ihnen
   hat, können diese Schutzanordnungen       ärztliche Atteste, Zeug*innenaussagen,
   erlassen werden.                          die Dokumentation der Polizei über einen
 • Wenn die Tatperson gegen die Schutz-      Einsatz, Fotos von Verletzungen und
   anordnung (einstweilige Anordnung         von Zerstörungen von Eigentum, SMS,
   nach dem Gewaltschutzgesetz) ver-         E-Mails und eigene Aufzeichnungen
   stößt, besteht ein Straftatbestand        (Datum, Zeit, Tatort und Vorfall) helfen,
   nach dem Gewaltschutzgesetz (§ 4          die Vorfälle zu belegen.
   GewSchG). Die Zuwiderhandlung             Wenn Sie allein oder mit der Unterstüt-
   muss von Ihnen erneut bei der Polizei     zung einer Beratungsstelle zu einem*einer
   oder Staatsanwaltschaft UND auch          Anwält*in gehen und eine Wohnungs-
   beim zuständigen Gericht angezeigt        überlassung oder ein Kontakt- und Nähe-
   werden. Bei Gericht stellen Sie auch      rungsverbot erreichen möchten, ist das
   einen Antrag auf Zwangsmittel, so         recht zügig möglich, meist innerhalb
   kann der Verstoß mit einer Geldstrafe     weniger Tage. Wenn Sie kein oder ein
   oder mit einer Freiheitsstrafe geahndet   geringes Einkommen haben, können Sie
   werden.                                   Verfahrenskostenhilfe beantragen.

                                                                                            21
Verstöße gegen polizeiliche und ge-                 Falls die Polizei nicht gerufen wurde,
     richtliche Maßnahmen sollten generell               können Sie auch selbst nach der Straftat
     der Polizei bzw. dem Gericht mitgeteilt             Anzeige erstatten, entweder bei der
     werden. Wenn Ihnen nach dem Gewalt-                 nächsten Polizeidienststelle, im Internet
     schutzgesetz die Wohnung überlassen                 oder bei der Staatsanwaltschaft. Wenn Sie
     wird und sich die Tatperson noch in der             eine Anzeige erstatten, dann müssen Po-
     Wohnung auf hält, können Sie die Tat-               lizei oder Staatsanwaltschaft Ihre Anzeige
     person aus der Wohnung entfernen lassen.            aufnehmen und ermitteln. Straf bar sind
     Die Schutzanordnungen und Wohnungs-                 z.B. Körperverletzung, Bedrohung, Ver-
     zuweisungen des Gerichts werden durch               gewaltigung und andere Straftaten gegen
     Gerichtsvollzieher*innen vollstreckt. Sie           die sexuelle Selbstbestimmung, Nö-
     können die Polizei bei der Anwendung                tigung, Beleidigung, Sachbeschädigung,
     unmittelbaren Zwangs hinzuziehen.                   Hausfriedensbruch oder Nachstellungen.

     Straftat: Häusliche Gewalt                          Zum Internetanzeigenportal der
                                                         Landespolizei M-V
     Vielen Menschen ist es gar nicht bewusst,
     aber: Häusliche Gewalt ist eine Straftat.
     Es gibt zahlreiche Straftatbestände, die im
     Zusammenhang mit häuslicher Gewalt er-
     fordern, dass die Polizei von Amts wegen                            https://polizei.mvnet.de
     tätig wird. Häusliche Gewalt kann straf bar
     sein, wenn es etwa zu Schlägen, Tritten,
     Würgen, Vergewaltigung, Bedrohungen,                Wenn Sie durch häusliche Gewalt ver-
     Beleidigungen, Freiheitsberaubung oder              letzt wurden, ist es wichtig, die Verlet-
     Sachbeschädigungen kommt.                           zungen zu dokumentieren. Diese Beweise
                                                         können bei einer Gerichtsverhandlung
     Wenn die Polizei in M-V wegen häuslicher            wichtig werden. Die Dokumentation
     Gewalt gerufen wird und in der Häus-                Ihrer Verletzungen lassen Sie am besten
     lichkeit feststellt, dass eine Straftat vorliegt,   in einer Opferambulanz der Rechtsme-
     dann wird die Polizei Anzeige bei der               dizin vornehmen. Die Opferambulanzen
     Staatsanwaltschaft erstatten. Die Staatsan-         in Rostock, Schwerin und Greifswald
     waltschaft entscheidet dann, ob Anklage             sind für Sie kostenfrei und unterliegen
     gegen die Tatperson erhoben wird.                   der Schweigepflicht. Alle Angaben, die
     Für eine Anklage werden dann Beweis-                Sie dort machen, werden also vertraulich
     mittel gesichert und Zeug*innen be-                 behandelt. Ihre Verletzungen werden ge-
     fragt. Beweismittel sichern bedeutet, dass          richtsfest und vertraulich dokumentiert
     z.B. Verletzungen dokumentiert werden,              und in den Opferambulanzen sicher auf-
     SMS oder E-Mails gesichert werden                   bewahrt, so dass Sie später darauf zurück-
     oder der Zustand der Wohnung begut-                 greifen können.
     achtet wird. Befragte Zeug*innen können
     Freund*innen, Nachbar*innen, Bekannte
     oder Ihre Kinder sein.

22
Wenn Sie eine Anzeige wegen häuslicher        Ihre Rechte im Strafverfahren
Gewalt erstatten, werden Sie wahr-
scheinlich zu einer polizeilichen Ver-        Treten Sie bei Gericht nicht nur als
nehmung geladen. Ihre Aussage ist be-         Zeug*in auf, sondern als Nebenkläger*in,
sonders wichtig, wenn es um häusliche         stehen Ihnen erweiterte Rechte zu (§ 395
Gewalt oder Stalking geht. In diesen          StPO). Ein*e Nebenkläger*in kann eine
Fällen sind Sie wahrscheinlich der*die        Person sein, die aufgrund der Schwere
einzige Zeug*in, so dass es ohne Ihre         der Tat besondere Rechte im Straf-
Aussage schwierig ist, die Tat nachzu-        verfahren eingeräumt bekommt. Als
vollziehen. Zu der Vernehmung können          Nebenkläger*in sollten Sie sich unbe-
Sie Ihre*n Anwält*in oder eine andere         dingt von einem*einer Anwält*in ver-
Vertrauensperson mitnehmen. Ihr*e             treten lassen, denn es können Beweisan-
Anwält*in kann Sie auf die Vernehmung         träge gestellt und Rechtsmittel eingelegt
vorbereiten und Ihnen nach der Ver-           (Berufung), Sachverständige abgelehnt
nehmung Ihre Fragen beantworten.              werden und einiges mehr.

Es können von der Staatsanwaltschaft          Nehmen Sie als Zeug*in am Strafver-
aber auch unter bestimmten Umständen          fahren teil, empfiehlt sich eine fachliche
Weisungen und Auflagen an den*die             und soziale Unterstützung vor, während
Angeschuldigte*n erteilt werden. Dies         und nach einer Gerichtsverhandlung. Sie
kann zum Beispiel die Auflage sein, zu        sollten sich von Personen Ihres Vertrauens
einer Anti-Gewalt-Beratung zu gehen.          oder geeigneten Beratungs- und Fach-
                                              stellen (Prozessbegleitung) zur Gerichts-
Wird von der Staatsanwaltschaft weiter        verhandlung begleiten lassen. Deren An-
ermittelt, kann es oft längere Zeit dauern,   wesenheit kann eine große Unterstützung
bis nach der Strafanzeige die gericht-        sein und Ihnen Sicherheit geben.
liche Hauptverhandlung erfolgt. Werden
Zeug*innen der Gewalttat vom Gericht          4.5 Psychosoziale
geladen, müssen diese auch vor Gericht        		 Prozessbegleitung
erscheinen. Nahe Angehörige können
von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht
Gebrauch machen. Wenn Sie selbst davon        Wenn Sie als Erwachsene*r schwere kör-
Gebrauch machen und keine Aussage tä-         perliche oder sexualisierte Gewalt erlebt
tigen möchten, bedenken Sie, dass Sie oft     haben und es zu einem Gerichtsverfahren
der*die Hauptbelastungszeuge*in sind.         kommt, haben Sie Anspruch auf psycho-
Ihre Aussage ist zentral für das Strafver-    soziale Prozessbegleitung. Kinder und
fahren.                                       Jugendliche, die schwere Gewalt- oder
                                              Sexualdelikte erleben mussten, haben
                                              ebenso Anspruch darauf. Psychosoziale
                                              Prozessbegleitung bedeutet, dass Sie
                                              während des Strafverfahrens von einer
                                              speziell dafür ausgebildeten Fachkraft

                                                                                           23
betreut und unterstützt werden. Die psy-     sehr wichtig. Betroffene von Gewalt
     chosoziale Prozessbegleitung soll dafür      können in Mecklenburg-Vorpommern
     sorgen, dass Sie als Betroffene*r und        kostenfrei Opferambulanzen aufsuchen,
     Zeug*in im Strafverfahren nicht zu-          sich dort untersuchen und Verletzungen
     sätzlich belastet werden. Das heißt auch,    (auch ältere) dokumentieren lassen. Die
     dass die Person bei Vernehmungen und         Anschriften und Notfallnummer der Op-
     Hauptverhandlungen anwesend sein darf.       ferambulanzen finden Sie im Adressteil.
     Die Prozessbegleitung erklärt Ihnen die
     Abläufe des Strafverfahrens und steht        Die Untersuchungen, die Sicherung
     Ihnen während des ganzen Verfahrens als      von Spuren und die Interpretation der
     Ansprechperson zur Verfügung.                Befunde gehören zu den Aufgaben der
     Den Antrag auf die Beiordnung einer          Rechtsmedizin. Der Befund der Op-
     psychosozialen Prozessbegleitung müssen      ferambulanzen wird vor Gericht als Be-
     Sie bei dem zuständigen Gericht stellen,     weismittel anerkannt und hilft sowohl
     die Beratungsstellen unterstützen Sie        bei der Überführung von Tatpersonen
     gerne dabei. Falls die psychosoziale Pro-    als auch bei der Durchsetzung etwaiger
     zessbegleitung durch das Gericht beige-      Schadensersatzansprüche der Betrof-
     ordnet wird, ist diese für Sie kostenlos.    fenen. Wenn Sie Angst haben, nach der
                                                  Untersuchung nach Hause zu gehen,
     4.6	Medizinische und 		                      sagen Sie dies den Ärzt*innen oder dem
     		 vertrauliche Hilfe                        medizinischen Personal. Ihre Sicherheit
                                                  und Ihr Sicherheitsgefühl sind wichtig.
     Sie haben Ihre*n Ärzt*in aufgesucht,
     weil Sie durch die Gewalt oder eine Se-      Trauma-Ambulanz für Opfer
     xualstraftat verletzt worden sind oder       von Gewalttaten
     unter den Folgen leiden?
     Hier können Sie Ihr Schweigen brechen.       Wenn Sie häusliche oder sexualisierte
     Denn Ärzt*innen unterliegen der              Gewalt erlebt haben und dadurch akut
     Schweigepflicht, auch gegenüber Ihren        traumatisiert sind, können Sie schnelle
     Familienangehörigen, der Polizei und         Hilfe bei einer Traumaambulanz erhalten.
     der Staatsanwaltschaft. Ihnen können Sie     Sie können sich ohne eine Überweisung
     sich anvertrauen.                            direkt an die Traumaambulanzen wenden
                                                  und erhalten dann schnellstmöglich einen
     Opferambulanzen der                          Termin. Die schnelle Hilfe soll ver-
     Rechtsmedizin                                hindern, dass Ihnen durch das Trauma
                                                  längerfristige negative Folgen entstehen.
     In einem späteren gerichtlichen Ver-         Die ersten fünf Sitzungen sind kostenfrei.
     fahren kann es hilfreich sein, wenn Sie      Danach kann mit Unterstützung ein
     ärztliche Atteste als Beweis vorlegen        Antrag auf Kostenübernahme beim Lan-
     können. Auch wenn Sie die Polizei nicht      desamt für Gesundheit und Soziales M-V
     einbeziehen wollen, ist eine zeitnahe Un-    gestellt werden. Den Link zu den Trauma-
     tersuchung für eventuelle spätere Schritte   Ambulanzen finden Sie im Adressteil.

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4.7 Was ist bei                              achten ist, dass für EU-Bürger*innen und
		Aufenthaltsfragen und                      Nicht-EU-Bürger*innen unterschied-
                                             liche Aufenthaltsrechte gelten.
		Asylrecht zu beachten?
Straftaten, die in der Partnerschaft be-     Asylverfahren
gangen werden, können in Deutschland
bei der Polizei angezeigt, verfolgt und      Wenn Sie in einem laufenden Asylverfah-
bestraft werden. Betroffene haben, unab-     ren vor der Gewalt in Ihrer Familie flüch-
hängig von Ihrer Staatsbürgerschaft, An-     ten, können Sie meist nur in das nächste
spruch auf Schutz durch die Polizei und      Frauenhaus (aufgrund der Residenz-
die Justiz. Egal, welche Regelungen es       pflicht bzw. Wohnsitzauflage). Wenn das
in Ihrem Herkunftsland gibt, es gilt bei     nicht sicher genug ist, kann die Frauen-
häuslicher Gewalt deutsches Recht für        hausmitarbeiterin mit Ihnen die Ämter-
alle, die sich legal in Deutschland auf-     gänge erledigen und eine „Verlassenser-
halten.                                      laubnis“ für ein anderes Bundesland bzw.
Bei Vernehmungen bei der Polizei muss        die „Streichung der Wohnsitzauflage“ bei
unbedingt vermieden werden, dass die         der zuständigen Ausländerbehörde bean-
Tatperson oder die*der die Gewalt befür-     tragen. Auch die Beratungsstellen wer-
wortende Familienangehörige übersetzt.       den Sie bei den notwendigen Schritten
Bitten Sie um eine*n unabhängige*n           unterstützen.
Dolmetscher*in.
                                             4.8 Wer hilft Ihnen weiter?
Lassen Sie sich unbedingt
anwaltlich beraten!                          Alle Beratungsstellen und Frauen-
                                             häuser bieten vertrauliche, kostenfreie
Sind Sie mit der Tatperson verheiratet       und auf Wunsch anonyme Beratung
und ist Ihr Aufenthaltsrecht an die ge-      an. Sie erhalten dort umfassende soziale
walttätige Person gebunden?                  und rechtliche Unterstützung und bei
Das Ausländergesetz schreibt für solche      Bedarf auch Begleitung zu Ämtern und
Fälle vor, dass Sie mindestens drei Jahre    Behörden. Alle Einrichtungen beraten
verheiratet sein müssten, damit Sie eine     geschlechtsunabhängig Personen, die
unabhängige Aufenthaltserlaubnis be-         Gewalt in der Partnerschaft erfahren.
kommen. Es besteht aber die Mög-             Allein die Unterbringung in einem Frau-
lichkeit, nach §19 Abs. 1, Satz 1, Nr. 2     enhaus ist Frauen und ihren Kindern vor-
Ausländergesetz eine „besondere Härte“       behalten.
geltend zu machen. Sie müssen dafür alle     Sie entscheiden bei allen Angeboten
Verletzungen von Ärzt*innen beschei-         selbst, ob und welche Hilfe Sie möchten
nigen lassen (siehe Adressteil zur Rechts-   und was Sie im Moment benötigen. Die
medizin / Befunddokumentation). Sie          Kontaktdaten und Telefonnummern der
sollten alle Beweise und Schutzanord-        Einrichtungen in Ihrer Nähe finden Sie
nungen nach dem Gewaltschutzgesetz           im Adressteil.
der Ausländerbehörde vorlegen. Zu be-

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Frauenhäuser                                 Beratungsstellen für
                                                  Betroffene häuslicher Gewalt
     Wenn Sie vor häuslicher Gewalt fliehen
     müssen und eine geschützte Unterkunft        Neben den Frauenschutzhäusern können
     für sich und Ihre Kinder suchen, können      Sie sich auch bei längerfristigem Bedarf
     Sie sich an ein Frauenhaus wenden. Diese     oder zurückliegender Gewalt an die Be-
     Möglichkeit haben Sie auch, wenn Sie trotz   ratungsstellen für Betroffene häuslicher
     polizeilicher Maßnahmen oder gerichtli-      Gewalt wenden.
     cher Anordnung weiter bedroht werden.        Die Beratungsstellen sind mobile, ambu-
                                                  lante Hilfseinrichtungen für Betroffene
     Frauenschutzhäuser können Sie 365 Tage       häuslicher Gewalt und deren Angehörige.
     im Jahr rund um die Uhr erreichen.           Sie können die Beratung anonym am Tele-
     Die Adressen sind anonym. Die Kontakt-       fon, persönlich in der Beratungsstelle oder
     aufnahme geschieht telefonisch.              an einem von Ihnen ausgewählten Ort in
                                                  Anspruch nehmen. Die Beratung erfolgt
     Die Mitarbeiterin des Frauenhauses ver-      vertraulich und unabhängig von Ihrer Reli-
     einbart einen Treffpunkt mit Ihnen.          gion, Ihrem Herkunftsland oder Status.
     Auch die Polizei unterstützt Sie, wenn       Sie erhalten dort Beratung zu Ihren Si-
     Sie in einem Frauenhaus Zuflucht suchen      cherheitsfragen und dem Schutz Ihrer
     müssen.                                      Familienangehörigen. Die Beraterin in-
     Im Frauenhaus werden Frauen und ihre         formiert Sie über Ihre Rechte nach dem
     Kinder aufgenommen. Sie leben dort           Gewaltschutzgesetz und es werden Ihnen
     einige Tage oder auch mehrere Monate         Möglichkeiten aufgezeigt, wie es Ihnen
     mit anderen Frauen zusammen und              gelingen kann, sich aus der Gewaltbe-
     führen ein selbstbestimmtes Leben.           ziehung zu lösen.
     Die Mitarbeiterinnen beraten Sie bei         Bei Bedarf erhalten Sie Informationen
     allen weiteren Schritten. Sie können         zu Möglichkeiten der Existenzsicherung
     selbst entscheiden, wofür und wie lange      nach einer Trennung.
     Sie diese Unterstützung benötigen. Für       Die Beraterinnen begleiten Sie auch zu den
     die Unterbringung fällt eine Nutzungs-       entsprechenden Ämtern und Behörden.
     gebühr an, die bei geringem oder keinem      In Fällen besonderer Gefährdung sucht
     Einkommen durch das Jobcenter oder das       die Beraterin mit Ihrem Einverständnis
     Sozialamt übernommen wird.                   Kontakt zu einem Frauenhaus, um eine
     Wenn Sie in einer gewaltbelasteten Le-       sichere Unterbringung für Sie und Ihre
     benssituation sind und sich noch nicht       Kinder zum schnellstmöglichen Zeit-
     entschieden haben, was für Sie der           punkt zu ermöglichen. Auf Wunsch be-
     richtige Weg ist, bieten Ihnen die Mit-      gleitet Sie die Beraterin in das jeweilige
     arbeiterinnen auch eine ambulante Be-        Frauenhaus.
     ratung außerhalb des Frauenhauses an.

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