DER ÖFFENTLICHE SEKTOR THE PUBLIC SECTOR - TU Wien
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D E R ÖF F E N T L I C H E S E K T O R THE PUBLIC SECTOR Ökosystemleistungen des Waldes: Modellierung Michael Getzner & Hanns Kirchmeier und Bewertung von Managementoptionen der Österreichischen Bundesforste Ökonomische Bewertung der Kulturlandschaften Laura Eckart Österreichs Losing the Ground? Spatial Planning and Daniel Zollner, Wolfger Mayrhofer, Lisa Ellemun- ter, Anneliese Fuchs & Michael Jungmeier Quantitative Soil Protection in the Alpine Region Messung räumlicher Ungleichheit in Österreich: Ein Tatjana Neuhuber multi-methodischer Ansatz Das Projekt Mietmonitor Wien: Wie leistbar ist Justin Kadi, Elias Grinzinger, Florian Pühringer & privates Mieten in WIen? Antonia Schneider 1|2021
“Der öffentliche Sektor - The Public Sector”, als Printzeitschrift ”Der öffentliche Sektor - The Public Sector” was founded in 1975 im Jahr 1975 gegründet, erscheint seit 2015 als elektronische as a print journal and is published since 2015 as an open-access Open-Access-Journal des Forschungsbereichs Finanzwissen- journal provided by the Centre of Public Finance and Infrastruc- schaft und Infrastrukturpolitik im Institut für Raumplanung der ture Policy at the Institute of Spatial Planning at TU Wien. Since Technischen Universität Wien. Seit 2017 ist “Der öffentliche 2017 “The Public Sector” is member of the Directory of Open Sektor” Mitglied des Directory of Open Access Journals (DOAJ), Access Journals (DOAJ), along 10,000 open-access publications gemeinsam mit 10.000 anderen open-access Zeitschriften aus from all around the world. der ganzen Welt. The aim of the bilingual journal is to advance the discussion on Das zweisprachige Journal lädt zum Diskurs über die Bedeutung public intervention in a socio-economic and spatial context, stu- und Herausforderungen staatlicher Aufgabenerfüllung, mit beson- dying the interrelations between economic and social change, derem Augenmerk auf die Wechselwirkung zwischen gesellschaft- policy design and policy impact on different spatial levels. At lichem und wirtschaftlichem Wandel, politischer Steuerung und the same time, it encourages the discussion on role models and räumlicher Entwicklung auf unterschiedlichen Ebenen. Gleichzei- co-operation between the public, private and non-commercial tig sollen verschiedene Rollenmodelle in der Aufgabenverteilung sectors. zwischen öffentlichem, privatem und zivilgesellschaftlichem Sektor hinterfragt und diskutiert werden. It follows a multi-disciplinary approach, addressing experts from disciplines and fields such as public economics, urban and regi- In einem multidisziplinären Ansatz werden Fachleute verschie- onal planning, infrastructure policy, fiscal policy, environmen- dener Disziplinen angesprochen: Finanzwissenschaft und Fiskal- tal economics, land use policy and planning, planning law, real politik, Raumplanung, Infrastrukturplanung und -politik, Boden- estate management and housing economics, political science, management und -politik, Ressourcenökonomie, Planungsrecht, urban sociology and other related fields. Immobilienwirtschaft und Wohnungswesen, Politikwissenschaft, Volkswirtschaftslehre, Stadtsoziologie sowie andere verwandte ”Der öffentliche Sektor - The Public Sector” considers itself as a Gebiete. platform for exchange between science and practice, as well as between young academics and senior experts. “Der öffentliche Sektor - The Public Sector” versteht sich als Wis- sensspeicher und Kommunikationsplattform zwischen Wissen- The journal adopts a focused thematic format with specific calls schaft und Praxis einerseits und zwischen Jungakademiker/innen for papers. Each issue is devoted to a particular theme selected und erfahrenen Expert/innen andererseits. by the editorial board. However, papers that fall into the broad research fields mentioned above will also be published. The jour- Jede Ausgabe ist einem Schwerpunktthema gewidmet, zu dem nal especially encourages young researchers to submit papers. ein spezifischer “Call for Papers” eingerichtet wird. Darüber After acceptation of the abstract, all papers will be reviewed by hinaus werden auch andere geeignete Beiträge aus den oben one or more members of the advisory board and eventually also genannten Themenkreisen veröffentlicht. Die Herausgeber by external reviewers. No open-access or paper submission fees ermutigen insbesondere junge Wissenschafter/innen, Artikel zur will be charged. Publication languages are English and German. Veröffentlichung einzureichen. Nach Prüfung und Akzeptanz des Abstracts werden alle eingereichten Artikel einer Review durch ein oder mehrere Mitglieder des Editorial Board unterzogen, fallweise werden auch externe Reviewer beigezogen. Es werden See all issues of “The Public Sector” at keine Autorengebühren eingehoben. Publikationssprachen sind � oes.tuwien.ac.at Deutsch oder Englisch. Impressum Eigentümer, Herausgeber und Verleger Forschungsbereich für Finanzwissenschaft und Infrastruktur- Der Öffentliche Sektor - The Public Sector erscheint zweimal pro politik, Institut für Raumplanung der Technischen Universität Jahr als Open-Access-Zeitschrift unter der Creative Commons- Wien; vertreten durch Ass.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Johann Bröthaler; Lizenz CC-BY-NC (non-commercial). Printausgaben können zum Karlsplatz 13, 1040 Wien, Tel. +43/1/58801-280321 Selbstkostenpreis bestellt werden bei: E-Mail: oes (at) ifip.tuwien.ac.at Web: http://www.ifip.tuwien.ac.at Ilse Bednar c/o Forschungsbereich Finanzwissenschaft und Infrastruktur- Redaktion und inhaltliche Verantwortung dieser Ausgabe politik (E280-3) im Institut für Raumplanung der Technischen Univ.-Ass. MSc. Dr. Justin Kadi Universität Wien, Karlsplatz 13, 1040 Wien E-Mail: justin.kadi (at) tuwien.ac.at E-Mail: oes (at) ifip.tuwien.ac.at Layout und Bearbeitung Open Access Online Stud.-Ass. Anna Kalhorn, BSc Web: oes.tuwien.ac.at E-Mail: anna.kalhorn (at) tuwien.ac.at Druck Umsetzung mit Janeway druck.at Druck- und Handelsgesellschaft mbH, Aredstraße 7 Universitätsbibliothek der TU Wien A-2544 Leobersdorf, Tel. +43/2256/64131 Web: repositum.tuwien.ac.at Bankverbindung Technische Universität Wien, Institut für Raumplanung 47. Jahrgang IBAN: AT72 1200 0514 2900 0401 | BIC: BKAUATWW He� 1|2021 – Juli 2021 UID: ATU37675002 | DVR: 0005886 | Handelsgericht Wien ISSN 1563-4604 (Print) ISSN 2412-3862 (Online)
Inhalt Editorial 5 Justin Kadi Ökosystemleistungen des Waldes: Modellierung und Bewertung von Management- optionen der Österreichischen Bundesforste 7 Michael Getzner, Hanns Kirchmeier Ökonomische Bewertung der Kulturlandschaften Österreichs 15 Laura Eckart Losing the Ground? Assessing Spatial Planning and Quantitative Soil Protection in the Alpine Region 27 Daniel Zollner, Wolfger Mayrhofer, Lisa Ellemunter, Anneliese Fuchs, Michael Jungmeier Messung räumlicher Ungleichheit in Österreich: Ein multi-methodischer Ansatz 35 Tatjana Neuhuber Das Projekt Mietmonitor Wien: Wie leistbar ist privates Mieten in Wien? 39 Justin Kadi, Elias Grinzinger, Florian Pühringer, Antonia Schneider Die AutorInnen dieser Ausgabe 45
Editorial Justin Kadi Liebe LeserInnen! Seit der letzten Ausgabe des Öffentlichen Sektors, im Neuhuber stellt in ihrem Beitrag ihr Forschungsvorhaben Herbst 2020, hat die COVID-19 Pandemie die meisten für die Messung räumlicher Ungleichheit in Österreich Bereiche des gesellschaftlichen Lebens dominiert. Auch vor. Sie argumentiert, dass es einen multi-methodischen der Forschungsalltag hat sich geändert: Homeoffice, Ansatz braucht, um räumliche Ungleichheit in ihrer Viel- erschwerte Bedingungen für Feldforschung und Konfe- schichtigkeit und Komplexität adäquat zu fassen. Der renzteilnahmen, Online-Meetings statt persönlichen Tref- letzte Beitrag, von Kadi, Grinzinger, Pühringer und Schnei- fen und eine Verlagerung der Lehre in den digitalen Raum; der beschäftigt sich mit der Leistbarkeit von Wohnraum in das sind nur einige der vielen Veränderungen. Umso Wien. Er stellt das Projekt Mietmonitor Wien vor, das erst- schöner ist es, dass langsam wieder ein wenig Normalität mals eine räumlich und zeitlich differenzierte Analyse der einzukehren scheint und wir nun die erste Ausgabe des Leistbarkeit von privaten Mietwohnungen in Wien ermög- Öffentlichen Sektors im Jahr 2021 publizieren können. licht und vor kurzem fertiggestellt wurde. Der Hintergrund und die Motivation des Projekts, relevante methodische Die Beiträge beschäftigen sich mit der ökonomischen Herausforderungen und Entscheidungen, zentrale Ergeb- Bewertung von Ökosystemleistungen und Kulturland- nisse und zukünftige Einsatzmöglichkeiten des entwickel- schaften, dem planerischen Umgang mit Flächenver- ten Analysetools werden vorgestellt. brauch und dem Bodenschutz, der Messung räumlicher Ungleichheit in Österreich, sowie der Leistbarkeit von Diese Ausgabe des Öffentlichen Sektors markiert auch Wohnraum in Wien. Den Anfang machen Getzner und eine personelle Änderung in unserem Redaktionsteam. Kirchmeier mit einem Beitrag zum ökonomischen Wert Lena Rücker, Redaktionssekretärin der letzten Jahre, hat des Waldes in Österreich. Sie analysieren drei Manage- mit dem Ende ihrer Studienassistenzstelle am Forschungs- mentoptionen der österreichischen Bundesforste anhand bereich Finanzwissenschaft und Infrastrukturpolitik auch der wichtigsten Ökosystemleistungen und liefern empi- das Redaktionssekretariat abgegeben. Vielen Dank an die- rische Befunde über die mit diesen Optionen verbunde- ser Stelle an Lena, für die stets hervorragende und mit viel nen Wohlfahrtsgewinne. Der Beitrag von Eckart widmet Umsicht gestaltete Arbeit und die vielen kleinen Tätigkei- sich ebenfalls der ökonomischen Bewertung, in diesem ten im Hintergrund, die zu einer stetigen Weiterentwick- Fall allerdings von Kulturlandschaften in Österreich. Ziel lung der Zeitschrift beigetragen haben. An Lenas Stelle war es, auf Basis einer Literaturrecherche verschiedene übernimmt nun Anna Kalhorn das Redaktionssekretariat. methodische Zugänge für so eine Bewertung aufzuzeigen Herzlich willkommen! und diese zu vergleichen. Der dritte Beitrag, von Zollner, Mayrhofer, Ellemuter, Fuchs und Jungmeier befasst sich Mein Dank gilt allen AutorInnen für die Beiträge, sowie mit dem Flächenverbrauch und seiner Eindämmung in der Redaktionssekretärin Anna Kalhorn für die Koordina- der Alpenregion. Auf Basis einer Netzwerkanalyse identi- tion, das Korrekturlesen und die Layoutierung. fizieren die AutorInnen relevante Akteure und Planungs- systeme, die einen Einfluss auf den Bodenschutz haben. Ich wünsche eine spannende Lektüre! Sie zeigen auf, dass es zwar umfangreiche Zuständigkeiten und Instrumente gibt, es allerdings an einer effektiven Justin Kadi Implementierung mangelt.
Ökosystemleistungen des Waldes: Modellierung und Bewertung von Managementoptionen der Österreichischen Bundesforste Michael Getzner, Hanns Kirchmeier Drei Managementoptionen (Szenarien) der Österreichischen Bundesforste, die rund 13% des österreichi- schen Waldes bewirtschaften, werden anhand der wichtigsten Ökosystemleistungen bewertet. Es zeigt sich, dass auch unter Berücksichtigung des Entfalls der Holzproduktion Szenarien, die kulturelle Ökosys- temleistungen (Schutz der Biodiversität, Erholungsräume, Tourismus) fördern, zu hohen Wohlfahrtsge- winnen führen können. Im Mittel können durch ein Szenarium „Intensivierung Naturschutz“ rund 180 Mio. EUR pro Jahr an zusätzlichen Nutzeffekten geschaffen werden. Der Beitrag zeigt im Überblick die wesentlichen Zielkonflikte einer naturnäheren Bewirtschaftung und weist auf die hohe Zahlungsbereit- schaft der Bevölkerung für den Schutz der Biodiversität hin. 1 Einleitung: Ökosystemleistun- Ökosystemleistungen (z.B. Schutz der Biodiversität und Erholung als kulturelle Ökosystemleistungen; Erosions- gen des Waldes und deren öko- schutz in Schutzwäldern als regulierende Leistung) eige- nomische Bewertung ner, nicht-marktlicher Bewertungsverfahren. Die Komple- mentarität der (multifunktionalen) Zielerreichung wird Die "multifunktionale Forstwirtschaft" als Grundkonzep- allerdings verschiedentlich infrage gestellt. Theoretisch, tion und Ausrichtung der Waldbewirtschaftung und die methodisch und empirisch wurden in den letzten Jahr- damit verbundene „Kielwassertheorie“ gehen innerhalb zehnten zahlreiche und vielfältige Untersuchungen durch- einer gewissen Bandbreite der Intensität der forstlichen geführt, die zu gesicherten Erkenntnissen über den Wert Bewirtschaftung davon aus, dass sich verschiedene Ziel- von (häufig einzelnen) Ökosystemleistungen des Waldes setzungen (Holzproduktion, Erhalt der Biodiversität, Auf- führen, allerdings hierbei auch häufig Zielkonflikte aufzei- rechterhaltung der Schutzwaldfunktion, Erholungsräume) gen (Turkelboom et al., 2018). Insbesondere Himes et al. nicht ausschließen, sondern auf Waldflächen gemeinsam (2020) zeigen diese Zielkonflikte anhand des Zusammen- erreicht werden können (zuletzt BMNT, 2018). Im Rah- hangs zwischen forstlicher Bewirtschaftung und kulturel- men dieser Grundannahme könnte somit auch die gleich- len Ökosystemleistungen auf. zeitige Verbesserung oder Stabilisierung verschiedener, nicht-marktlicher Ökosystemleistungen gewährleistet Der vorliegende Beitrag stellt die wesentlichen Ergeb- werden. Während die Holzproduktion als versorgende nisse eines vierjährigen Forschungsprogramms mit dem Ökosystemleistung (vgl. CICES, Haines-Young & Potschin, Titel „Werte der Natur“ vor, welches darauf abzielte, die 2018) mit Marktpreisen bewertbar ist, bedürfen andere Ökosystemleistungen der Wälder im Eigentum der Repub- Vol. 47(1) | 2021 | Der öffentliche Sektor – The Public Sector 7
Michael Getzner, Hanns Kirchmeier lik Österreich zu bewerten. Die Österreichischen Bundes- 2 Methodik und Entwurf von forste (ÖBf) bewirtschaften als öffentliches Unternehmen rund 13% der österreichischen Wälder bzw. 10% der Lan- Managementszenarien desfläche. Dadurch üben sie einen signifikanten Einfluss auf Ökosysteme und Landschaften, somit auch auf Ökosys- Für die Ermittlung und Bewertung von Ökosystemleis- temleistungen nicht nur auf den ÖBf-Flächen im engeren tungen der Bundesforste wurden der aktuelle Zustand Sinn, sondern im Sinne räumlicher externer Effekte auf („Status quo 2016“) erhoben sowie drei Managementstra- viele andere Räume aus (vgl. Fisher et al., 2009). Im Mit- tegien – sogenannte „Szenarien“ –entworfen. Die grund- telpunkt der Untersuchung standen die räumliche Erfas- legende Methodik beruht auf einer breiten Anwendung sung und Darstellung, Quantifizierung und Bewertung naturwissenschaftlich-ökologischer und ökonomischer dreier Managementszenarien (Optionen) für die ÖBf. Ziel Bewertungsmethoden, unter anderen wurden folgende war somit, die Ökosystemleistungen, die von Flächen der Me-thoden gewählt: ÖBf ausgehen, räumlich, ökologisch und ökonomisch zu bewerten. » Erfassung der räumlichen Bestandsdaten und Nutzungsindikatoren, Zugrunde liegt ein Verständnis von Ökosystemleistun- gen, welche auf ökologischen Prozessen und auf ökolo- » funktionale Quantifizierung der ökologischen gischen Funktionen der verschiedenen Ökosystemtypen, Leistungen und räumliche Modellierung, wie beispielsweise Wälder, Feuchtgebiete, Seen oder alpines Grasland, beruhen. Diese Dienstleistungen der » Ableitung von impliziten Bewertungen aus Natur befriedigen vielfältige menschliche Bedürfnisse. Marktpreisen, Für die ÖBf sind insbesondere die versorgenden (z.B. Nut- zung von Biomasse wie Holz), regulierenden (z.B. Schutz » Erfassung der Kosten technischer Ersatzmaßnah- vor Lawinen durch Schutzwälder oder Speicherung von men (kostenbasierte Verfahren), sowie Kohlenstoff für den Klimaschutz) und kulturellen Ökosys- temleistungen (Erholungs- und Freizeiträume, Tourismus » Reisekosten- und Zahlungsbereitschaftsanalysen. oder Schutz der biologischen Vielfalt) von Relevanz. Die Ergebnisse der Bewertungen sind als Wertschätzungen Ausgangspunkt für die Bewertungen war der ökologische für den Erhalt oder die Weiterentwicklung der Ökosys- Zustand der ÖBf-Flächen im Jahr 2016 („Status quo 2016“). temleistungen der ÖBf zu begreifen. Diese Werte werden Für dieses Jahr liegt eine umfassende und räumlich präzise monetarisiert, d.h. in Geldeinheiten (EUR) ausgedrückt, Datengrundlage für alle Flächen der ÖBf (insgesamt rund um Ökosystemleistungen sichtbar und vergleichbar zu 844.000 Hektar, davon rund 510.000 Hektar Wald) vor. machen und in ihrer Größenordnung darzustellen. Der Für Waldflächen sind beispielsweise Daten auf Ebene der absolute „Wert der Natur“ kann nicht festgestellt werden, Waldorte als kleinste Management-Einheiten (u.a. Bau- denn dieser wäre unendlich hoch, da Menschen in ihrer marten, Schichtung, Altersverteilung) vorhanden. Tabelle Existenz auf die Natur angewiesen sind. Die Darstellung 1 enthält einen Überblick über die wichtigsten Ökosystem- in Geldeinheiten führt nicht dazu, dass Ökosystemleis- leistungen, die von Flächen der Bundesforste ausgehen, tungen (die „Natur“) gekauft oder verkauft werden kön- und die Modellierungs- und Bewertungsmethoden sowie nen, sondern es werden die Wohlfahrtswirkungen der die wesentlichsten Unsicherheiten der ökonomischen Bereitstellung der Ökosystemleistungen erfasst. Demnach Bewertung. steht der ökologische und ökonomische Wert der durch die unterschiedlichen Managementstrategien (Szenarien) Die ökologisch-räumlichen und ökonomischen Modellie- bedingten Veränderung von Ökosystemleistungen (Δ) im rungen der Untersuchung gehen von einer hypothetischen Mittelpunkt (vgl. z.B. Johansson, 1993; Markussen et al., Vollumsetzung der Szenarien aus, um die möglichen und 2003). Mit anderen Worten bedeutet dies, dass das vorlie- plausiblen Entwicklungen im Rahmen dieser Szenarien im gende Forschungsprogramm Rückschlüsse auf die Wohl- Vergleich zum Status Quo (2016) zu bewerten. Zukünf- fahrtswirkungen bei Umsetzung verschiedener Manage- tige externe Einflüsse und Veränderungen (Entwicklungs- mentoptionen zulässt, aber nicht (direkt) dazu geeignet trends) sind wissenschaftlich kaum über lange Zeit-räume ist, tatsächliche Zahlungsströme zu analysieren oder für prognostizierbar (z.B. Klimawandel, ökologische Verän- die Zukunft zu entwickeln. derungsprozesse, sozio-demographische Entwicklungen, Veränderungen des Einkommens, der Präferenzen und der Zah-lungsbereitschaften). Da diese externen Einflüsse einerseits mit großer Unsicherheit behaftet sind, aber andererseits auf alle drei bewerteten Szenarien prak- tisch im gleichen Ausmaß wirken, wurden sie in der vor- liegenden Beurteilung der Managementeinflüsse auf die Ökosystemleistungen in getrennter Form berücksichtigt. Die Studienautor*innen sind jedoch der Auffassung, dass 8 Der öffentliche Sektor – The Public Sector | 2021 | Vol. 47(1)
Ökosystemleistungen des Waldes: Modellierung und Bewertung von Managementoptionen der Österreichischen Bundesforste Tabelle 1: Übersicht über die wesentlichen bewerteten Ökosystemleistungen der Österreichischen Bundesforste Detaillierte und publizierte Ergebnisse zu diesen Ökosys- Wie oben bereits erwähnt, wurden drei Szenarien zu mög- temleistungen sind verfügbar: lichen Managementstrategien der ÖBf entwickelt: „Inten- a Getzner et al., 2017. sivierung Forstwirtschaft“, „Ökologie & Ökonomie“ und b Getzner und Meyerhoff, 2020. „Intensivierung Naturschutz“. Der „Status quo 2016“ bil- c Getzner, 2020. det hierbei die Ausgangsbasis, anhand dessen die Unter- d Getzner et al., 2018. schiede der drei Szenarien betrachtet werden. Beschrie- Quelle: Eigene Übersicht, 2020. ben werden die Ökosystemleistungen der ÖBf auf Basis des „Planungsnullfalls“ (siehe Abbildung 1). Jedes Szena- der Klimawandel der mit Abstand relevanteste Faktor für rium ist durch 18 Indikatoren beschrieben, die sich direkt künftige Veränderungen sein wird. Er betrifft, direkt oder auf eine oder mehrere Ökosystemleistungen auswirken indirekt, praktisch jede der untersuchten Ökosystemleis- (siehe Getzner et al., 2019). tungen. Szenarium „Intensivierung Forstwirtschaft“: Dieses Szena- rium unterstellt eine verstärkt auf betriebswirtschaftliche Vol. 47(1) | 2021 | Der öffentliche Sektor – The Public Sector 9
Michael Getzner, Hanns Kirchmeier Erfordernisse ausgerichtete Forstwirtschaft. Es wird ange- „Status Quo 2016“ dargestellt. Die Abbildung zeigt aus- nommen, dass innerhalb des vorhandenen gesetzlichen gewählte Eingangsparameter für die Szenarien sowie die (rechtlichen) Rahmens (insbesondere Forst- und ÖBf-Ge- Bewertung der Unterschiede (als „Δ ÖSL“ bezeichnet). setz sowie Naturschutzregulierungen) die Forstwirtschaft Die Abbildung geht zunächst von einer Klassifi-kation der auf den bereits bewirtschafteten Flächen intensiviert wird einzelnen Szenarien auf Basis des erzielten Naturnähe- und derzeit nicht oder kaum genutzte Flächen verstärkt in (Biodiversität-) Index aus. Der Indexwert 5 würde dann Nutzung genommen und insgesamt der Holzeinschlag um vergeben, wenn es sich um ein völlig von menschlichen knapp 20% gesteigert werden. Einfluss unberührtes Ökosystem handeln würde, während der Indexwert 1 eine strukturarme, gleichaltrige, nur von Szenarium „Ökologie & Ökonomie“: Dieses Szenarium stellt einer Baumart aufgebaute, junge Waldbestand entspricht, die Umsetzung des aktuellen Unter-nehmenskonzepts dar, die nur geringe ökologische Funktion aufweist. Die Natur- welches von den ÖBf im Rahmen des Projekts „Ökologie & nähe wird anhand einer Vielzahl von ökologischen Indi- Ökonomie“ (Nohel et al., 2016) ausgearbeitet wurde. Kon- katoren auf Basis des Hemerobie-Konzepts (Grabherr kret wird angenommen, dass im Szenarium folgende Maß- et al., 1998) bewertet. Die Szenarien unterscheiden sich nahmen bzw. Bewirtschaftungsformen der Forstwirtschaft unter an-derem aufgrund ihrer Naturnähe, die durch eine umgesetzt sind: geringe Erhöhung des Holzeinschlags; unterschiedlich intensive Holzproduktion verursacht wird, Beibehaltung der Erntezeit von 120 Jahren; Reduktion von als auch durch das Ausmaß an Schutzgebieten auf den Kahlschlägen und Erhöhung der Baumartenvielfalt; Beibe- ÖBf-Flächen. haltung der Aufschließungsdichte; geringe Verschiebung der Baumarten hin zu einem höheren Nadelholzanteil (mehr Lärche, Tanne und Douglasie) und Beibehaltung der derzeitigen Schutzgebiete. 3 Ergebnisse Szenarium „Intensivierung Naturschutz“: Dieses Szena- Die Analysen zeigen, dass die ökonomische Bedeutung rium stellt eine deutliche Stärkung von Naturschutzaspek- des Schutzes der Biodiversität herausragend ist: die Sze- ten in der Waldbewirtschaftung und eine Erhöhung der narien unterscheiden sich (im Vergleich zum „Status quo Artenvielfalt dar. Dadurch werden nicht-marktliche Güter 2016“) diesbezüglich am stärksten, gefolgt von der Ermög- und Dienstleistungen in höherem Ausmaß bereitgestellt. lichung von Erholungs- und Freizeitaktivitäten im Rahmen Es wird in diesem Szenarium der Schutzgebietsanteil und der Naherholung (Erholungsleistung). Der Schutz der Bio- die Baumartenvielfalt gegenüber dem „Status quo 2016“ diversität trägt beispielsweise im Szenarium „Intensivie- deutlich vergrößert, das Erntealter erhöht und der Nut- rung Naturschutz“ (wertmäßig) zu rund 60% zur Verbes- zungsdruck auf der Fläche durch einen geringeren Hol- serung der Ökosystemleistungen dieses Szenariums bei. zeinschlag reduziert. Aber auch die Bedeutung der erhaltenen Natur- und Kul- turlandschaften für den Tourismus ist hierbei zu nennen. Je nach Szenarium können sich daher die natürlichen Somit spielen die kulturellen Ökosystemleistungen insge- Systeme, und damit die Ökosystemleistungen verändern samt die größte Rolle. Gerade für Österreich von enor- (Abbildung 1). Dabei werden in der Ergebnisdarstellung mer Bedeutung sind darüber hinaus der Erosions-schutz nicht die absoluten Werte der Ökosystemleistungen, (Schutzwälder für Siedlungsgebiete und Infrastrukturen) sondern die Unterschiede zwischen den Szenarien zum sowie die Speicherung von Kohlenstoff in der Wald-Bio- Abbildung 1: Szenarien (Managementmaßnahmen) als Abweichungen vom „Status quo 2016“ berechnet Quelle: Eigene Darstellung und Berechnungen TU/ECO, 2019. 10 Der öffentliche Sektor – The Public Sector | 2021 | Vol. 47(1)
Ökosystemleistungen des Waldes: Modellierung und Bewertung von Managementoptionen der Österreichischen Bundesforste masse, letzteres ist auch im Hinblick auf Mitigationsmaß- (rund 8,7 Mio. EUR pro Jahr) durch verschiedene ökolo- nahmen (Klimaschutz) von großer Relevanz. Die Verände- gi-schen Maßnahmen (z.B. höheres Durchschnittsalter rung der Holzernte und damit der Holzproduktion ist einer der Bestände, höhere Baumartenvielfalt, Ausweitung der wesentlichen Einflussfaktoren für die betrachteten von Schutzgebieten) bei Weitem aufgewogen wird. Die Ökosystemleistungen. Abbildung 2 zeigt die Szenarien Zunahme des Wertes des Schutzes der Biodiversität sowie die verschiedenen Ökosystemleistungen im Ver- beträgt in diesem Szenarium rund 109,8 Mio. EUR pro gleich. Jahr, wobei die Steigerung des Wertes der Erholungsleis- tung mit rund 45,6 Mio. EUR ebenfalls sehr groß ist. Auch Das Szenarium „Intensivierung Forstwirtschaft“ ergibt im die Wertsteigerung durch das naturnähere Landschafts- Vergleich zum „Status quo 2016“ insgesamt einen Wohl- bild für den Tourismus (rund 15,9 Mio. EUR p.a.) und den fahrtsverlust von rund 90,2 Mio. EUR pro Jahr.1 Während Erosionsschutz (rund 12,1 Mio. EUR p.a.) schlagen hierbei durch die Steigerung der Holzerntemenge der ökonomi- sche Wert der Holzproduktion um 18,3 Mio. EUR erhöht Abbildung 2: Veränderungen der Werte der wichtigsten werden könnte, sinkt die Bewertung der Biodiversitäts- Ökosystemleistungen der Österreichischen Bundesforste (ÖBf) leistung um fast das Dreifache (rund 49 Mio. EUR p.a.). nach Szenarien (in Mio. EUR pro Jahr) Verbunden mit diesem Szenarium ist ebenfalls eine Reduktion des Erholungs- und Freizeitnutzens (Erholungs- leistung) in Höhe von über 20 Mio. EUR, des Wertes des Erosionsschutzes (Verlust von 17 Mio. EUR p.a.) und der Speicherung von Kohlenstoff (rund 16 Mio. EUR p.a.). Dieses Szenarium vermindert auch den Wert des Land- schaftsbildes für den Tourismus in der Größenordnung von rund 7 Mio. EUR pro Jahr. Das derzeit umgesetzte Szenarium „Ökologie & Ökono- mie“ führt durch die qualitative Verbesserung von Ökosys- temleistungen im Vergleich zum „Status quo 2016“ zu einer Steigerung der Wohlfahrtswirkungen in Höhe von insgesamt rund 55,3 Mio. EUR pro Jahr. In diesem Pro- gramm wird versucht, bei gleichzeitiger (relativ geringer) Ausweitung der Holzproduktion die Biodiversität durch Quelle: Eigene Darstellung und Berechnungen TU/E.C.O., verschiedene Maßnahmen zu fördern und somit einen 2019. Kompromiss zwischen marktlichen und nicht-marktlichen Leistungen zu finden. Dies gelingt im Hinblick auf die gesi- zu Buche. In Bezug auf Klimaschutz zeigt sich, dass durch cherten Ökosystemleistungen nur bedingt: Während der die bilanziell höhere Speicherung von Kohlenstoff in der ökonomische Wert der Holzproduktion um rund 5,6 Mio. Waldbiomasse (anstatt der Holzernte für Holzprodukte EUR pro Jahr steigt, sinkt im praktisch gleichen Ausmaß und zum Ersatz fossiler Brennstoffe) ein Wertzuwachs in der Wert der Kohlenstoffspeicherung (Reduktion um rund Höhe von 6 Mio. EUR pro Jahr entsteht. Die höhere Koh- 4,9 Mio. EUR pro Jahr). Immerhin wird durch die Verbes- lenstoff-Speicherleistung im Waldbestand im Vergleich serung der Naturnähe auf einigen Flächen der Schutz der zur Speicherung im Holzproduktepool liegt an der Kurzle- Biodiversität um rund 35 Mio. EUR höher bewertet, auch bigkeit von Holzprodukten (nur 30% der Holzerntemenge die Erholungsleistung weist einen um rund 14,5 Mio. EUR wird als Schnittholz genutzt; 50% des Schnittholzes wird pro Jahr höheren Wert auf. innerhalb von nur 13,5 Jahren wieder entsorgt; Mittel- werte aus Schwarzbauer et al., 2015, sowie Mantau und Das in Bezug auf die nicht-marktlichen Leistungen der Bilitewski, 2010)) und des bereits hohen Anteils an erneu- ÖBf am höchsten bewertete Szenarium „In-tensivierung erbarer Energie aus Wind- und Wasserkraft im Österrei- Naturschutz“ weist im Vergleich zum „Status quo 2016“ chischen Energiemix. einen jährlichen Wohlfahrtsgewinn von rund 180,7 Mio. EUR auf. Damit zeigt sich grundsätzlich, dass der ökono- Abbildung 2 zeigt zusammenfassend den Wert der mische Verlust durch die Reduktion der Holzproduktion betrachteten Ökosystemleistungen, und zwar jeweils als Unterschied zum „Status quo 2016“, in Mio. EUR pro Jahr 1 Die Wohlfahrtsgewinne bzw. -verluste der einzelnen Managemen- (Preisbasis 2018). toptionen werden entsprechend dem Konzept des Total Economic Value (TEV) beurteilt. Die Aggregation von Bewertungen auf Basis sehr unterschiedlicher Bewertungsmethoden (z.B. Marktpreis-, Insgesamt ergeben sich für die einzelnen Szenarien kostenbasierte und präferenzerfassende Methoden) wird im Sinne (Managementmaßnahmen) unterschiedliche Gesamt- der Anschaulichkeit vorgenommen. Methodisch messen diese werte (immer als Abweichungen vom „Status quo 2016“ Ansätze jedoch unterschiedliche Dimensionen der Bewertung (z.B. berechnet). Die folgende Tabelle 2 gibt einen Überblick. Konsumentenrente, Kostenersparnis, Deckungsbeiträge), eine Agg- regation ist daher aus wissen-schaftlicher Sicht problematisch. Vol. 47(1) | 2021 | Der öffentliche Sektor – The Public Sector 11
Michael Getzner, Hanns Kirchmeier Tabelle 2: Veränderungen der Werte der wichtigsten Ökosystemleistungen der Österreichischen Bundesforste (ÖBf) nach Szenarien (in Mio. EUR pro Jahr) Anm.: änderungen der Holzproduktion. Eine weitere Forcie- MW: Plausibler Mittelwert der ökonomischen Bewertung. rung von Naturschutzzielen im Rahmen des Szenariums „Intensivierung Naturschutz“ würde im Vergleich dazu die UG/OG: Untergrenze/Obergrenze der ökonomischen nicht-marktlichen Ökosystemleistungen auf rund 180,7 Bewertung auf Basis entsprechender Abweichungen vom Mio. EUR pro Jahr steigern, ebenfalls bereits unter Berück- Mittelwert. sichtigung der Reduktion der Holzproduktion. Die Szena- rien „Ökologie & Ökonomie“ sowie insbesondere „Inten- Quelle: Eigene Darstellung und Berechnungen (TU/E.C.O.), sivierung Naturschutz“ zeigen, dass die Verringerung des 2019. ökonomischen Wertes der Holzproduktion vielfach durch den Wohlfahrtsgewinn infolge der Intensivierung der Naturschutzanstrengungen bei anderen Ökosystemleis- Die hohen Wohlfahrtsgewinne insbesondere des Szenari- tungen (insbesondere Schutz der Biodiversität, Erholungs- ums „Intensivierung Naturschutz“ verdeutlichen, dass die leistungen, Erosionsschutz, Speicherung von Kohlenstoff) Wertschätzungen gegenüber dem Naturschutz und den aufgewogen wird. damit verbundenen Ökosystemleistungen wirtschaftlich höchst relevant sind, und es ist zu erwarten, dass diese in Über das Szenarium „Intensivierung Naturschutz“ hinaus- Zukunft noch weiter ansteigen werden. gehende Anstrengungen zur Ausweitung des Naturschut- zes führen nicht notwendigerweise zu einem proportional höheren ökonomischen Wert der Ökosystemleistungen, weil die Zahlungsbereitschaft für den Naturschutz über 4 Resümee einer ge-wissen Schwelle in geringerem Ausmaß ansteigt (Getzner et al., 2018). Die Untersuchung zeigt grundsätzlich den Handlungsspiel- raum in der Gegenüberstellung der einzelnen Szenarien Somit sind Managementmaßnahmen, die den Naturschutz für die ÖBf auf und kann somit eine wichtige Entschei- und eine noch naturnähere Bewirtschaftung forcieren, dungsgrundlage für das Ma-nagement und die politischen auch unter Einbeziehung der Reduktion der Holzproduk- Entscheidungsträger*innen bieten. Die ökologischen und tion, mit wesentlichen volkswirtschaftlichen Nutzeffekten ökonomi-schen Bewertungen der einzelnen, mit realisti- (Wohlfahrtsgewinnen) verbunden. Es ist daher ökolo- schen, jedenfalls zumindest plausiblen, Annahmen cha- gisch und ökonomisch effizient, die Zielsetzungen der ÖBf rakterisierten Szenarien werden anhand der mit diesen im Hinblick auch auf die nationalen und internationalen verbundenen Veränderungen der Ökosystemleistungen Verpflichtungen Österreichs (z.B. Konvention zum Schutz mit einem einheitlichen Wohlfahrtsmaßstab, jenem von der biologischen Vielfalt; Pariser Abkommen zum Klima- Geldeinheiten (in EUR), quantifiziert und dadurch ver- schutz) rechtlich verstärkt auf den Naturschutz auszu- gleichbar gemacht. richten. Es zeigt sich somit, dass die ÖBf zur signifikanten Erhöhung ihres gesellschaftlichen Beitrags zur Wohlfahrt Die ÖBf schaffen jedes Jahr durch das derzeit in Reali- im Sinne der nicht-marktlichen Leistungen insbesondere sierung befindliche Programm „Ökologie & Ökonomie“ in den Bereichen des Schutzes der Biodiversität, der Erho- nicht-marktliche Ökosystemleistungen in Höhe von rund lungsleistung und des Tourismus, aber auch durch die 55,3 Mio. EUR, dies schon unter Einbeziehung von Ver- Speicherung von Kohlenstoff und den Erosionsschutz, 12 Der öffentliche Sektor – The Public Sector | 2021 | Vol. 47(1)
Ökosystemleistungen des Waldes: Modellierung und Bewertung von Managementoptionen der Österreichischen Bundesforste die vorhandenen Management- und Geschäftsstrategien mentoptionen, und für die Forst- und Naturschutzpolitik ändern könnten und aus ökologischer und ökonomischer generell, bieten kann. Sicht auch ändern sollten. Aus methodisch-konzeptioneller Sicht zeigt die Untersu- chung, dass Zielkonflikte zwischen den ein-zelnen Ökosys- Danksagung temleistungen relevant sind, und ein unreflektierter Bezug zur "multifunktionalen Fortwirtschaft" nicht nahegelegt Die Autoren danken den Österreichischen Bundesfors- wird. Vielmehr bestehen diese Trade-offs sowohl in öko- ten (ÖBf) für die Beauftragung und dem internationalen logischer Hinsicht (Flächenkonkurrenz) als auch in öko- wissenschaftlichen Beirat für die kritische Begleitung des nomisch-bewertender Perspektive (Wahrnehmung von diesem Beitrag zugrundliegenden Forschungspro-gramms Ökosystemleistungen und Knappheit der Ressourcen). „Werte der Natur“. Des Weiteren gebührt Dank an G. Die vorliegende Untersuchung zeigt jedenfalls, dass die Plattner (ÖBf) für Kommentare zu einem Entwurf dieses Bewertung von Ökosystemleistungen auf Basis plausibler Beitrags. Alle verbleibenden Mängel liegen in der Verant- rechtlich, ökologisch und ökonomisch fundierter Szena- wortung der Autoren. rien wichtige Grundlagen für die Diskussion von Manage- Quellenverzeichnis BMNT (2018). Österreichische Waldstrategie 2020+. Bundesministerium Himes, A., Puettmann, K., Muraca, B. (2020). Trade-offs between für Nachhaltigkeit und Tourismus (BMNT), Wien. ecosystem services along gradients of tree species diversity and values. Ecosystem Services 44, 101133. Fisher, B., Turner, R. K., Morling, P. (2009). Defining and classifying ecosystem services for decision making. Eco-logical Economics 68, Johansson, P.-O. Cost-Benefit Analysis of Environmental Change; Cam- 643-653. bridge University Press: Cambridge, UK, 1993. Getzner, M. (2020). Visitors’ preferences for landscape conservation Mantau, U., Bilitewski, B., (2010). Stoffstrom-Modell-Holz. Bestimmung in Alpine environments: Differences across regions, conservation des Aufkommens, der Verwendung und des Verbleibs von Holzpro- programs, and socio-economic groups. Landscape Research 45, dukten. Forschungsbericht für den Verband Deutscher Papierfabri- 503-519. ken e. V. (VDP). Celle. Getzner, M., Gutheil-Knopp-Kirchwald, G., Kreimer, E., Kirchmeir, Markussen, M., Buse, R., Garrelts, M., Manez Costa, M., Menzel, S., H., Huber, M. (2017). Gravitational natural hazards: Valuing the Marggraf, R. (2003). Valuation and Conserva-tion of Biodiversity; protective function of Alpine forests. Forest Policy and Economics Springer: Berlin, Germany; New York, NY, USA, 2003. 80, 150-159. Nohel, C., Gottschall, S., Putzgruber, N., Völkl F., Langmair-Kovács, S., Getzner und Kirchmeir (Projektleitung) (2019). Werte der Natur – Plattner, G. (2016). Strategieprozess Ökolo-gie – Ökonomie. Be- Modellierung der Szenarien und Bewertung der Managemen- richt, brainbows informationsmanagement, Wien, und Österreichi- toptionen. Endbericht, E.C.O. Institut für Ökologie, Klagenfurt; sche Bundesforste (ÖBf), Purkersdorf. Technische Universität Wien. Schwarzbauer, P., Braun, M. & Stern, T. (2015). Klimaschutz durch den Getzner, M., Meyerhoff, J. (2020). The influence of forest management Aufbau eines Harvested Wood Product Pools: Von der Berech- on local recreation benefits and the importance of quietude and nung von THG-Emissionseinsparungen bis zur Steuerung der natural environments. Forests 11, 326. Speicherwirkung durch Harvested Wood Products. Projektbericht Klimafonds-Projekt Nr. B287609. 108 S. Getzner, M., Meyerhoff, J., Schläpfer, F. (2018). Willingness to Pay for Nature Conservation Policies in State-Owned Forests: An Austrian Turkelboom, F. (und 36 weitere Autor*innen) (2018). When we cannot Case Study. Forests 9, 537. have it all: Ecosystem services trade-offs in the context of spatial planning. Ecosystem Services 29 (Part C), 566-578. Grabherr, G., Koch, G., Kirchmeir, H., Reiter, K. (1998). Hemerobie ös- terreichischer Waldökosysteme. Publica-tions of the Austrian MaB Program, Volume 17, MaB: Innsbruck, Austria. Haines-Young, R. and M.B. Potschin (2018). Common International Classification of Ecosystem Services (CICES) V5.1and Guidance on the Application of the Revised Structure, 53 p (www.cices.eu) Vol. 47(1) | 2021 | Der öffentliche Sektor – The Public Sector 13
Michael Getzner, Hanns Kirchmeier 14 Der öffentliche Sektor – The Public Sector | 2021 | Vol. 47(1)
Ökonomische Bewertung der Kulturlandschaften Österreichs Laura Eckart Die von der kleinstrukturierten Land- und Forstwirtschaft geprägten und vielseitigen Kulturlandschaften Österreichs sind aufgrund des Agrarstrukturwandels zunehmend bedroht. Kulturlandschaften entstehen durch die Bewirtschaftung von Boden, Land- und ForstwirtInnen werden jedoch nicht für deren Erhal- tung entlohnt. Sollen sie in ihrer bisherigen Form erhalten bleiben, müssen Anreizprogramme geboten werden. Damit diese effizient und zielgerichtet gestaltet werden, muss der ökonomische Wert der ver- schiedenen Kulturlandschaften bekannt sein. Ziel dieses Beitrags ist es, auf Basis vorhandener Literatur zur ökonomischen Bewertung von Kulturlandschaften zu eruieren, wie der ökomische Wert der unter- schiedlichen Kulturlandschaften in Österreichs ermittelt werden kann. Einleitung den kann (Dabbert/Braun 2021: 47). Da Landwirte aber nicht für die Bereitstellung der Kulturlandschaft entlohnt Das Landschaftsbild Österreichs ist geprägt von einer klein- werden, besteht für sie kein ökonomischer Anreiz, Kul- strukturierten Land- und Forstwirtschaft. Die dadurch ent- turlandschaften in ihrem Zustand zu erhalten oder diese stehenden vielfältigen Kulturlandschaften locken Jahr für besonders schonend zu bewirtschaften. Staatliche Ein- Jahr zahlreiche Reisende in das Land. Während aufgrund griffe und Anreizprogramme für jene, die Flächen bewirt- der Corona-Pandemie in den letzten Monaten ein Groß- schaften, erscheinen deshalb zielführend (Kantelhardt/ teil der internationalen Reisenden ausblieb, zeigten über- Hübner 2010: 20f.). Diese müssen effizient und zielge- füllte Parkplätze in beliebten Naherholungsgebieten ein- richtet gestaltet werden. Um dies zu erreichen, muss eine drucksvoll, wie wichtig diese Kulturlandschaften auch für ökonomische Bewertung der Ökosystemleistungen der die Lebensqualität der einheimischen Bevölkerung sind. Land- und Forstwirtschaft (unter welche auch die Erhal- Durch den fortschreitenden Agrarstrukturwandel sind tung der Kulturlandschaft fällt) erfolgen (Kantelhardt/Hüb- Teile dieser einzigartigen Kulturlandschaften allerdings ner 2010: 23f.), da sich der ökonomische Wert bzw. die mittelfristig bedroht. Denn mit dem Agrarstrukturwandel Zahlungsbereitschaft seitens der Nutzer_innen womöglich geht eine Intensivierung der Land- und Forstwirtschaft zwischen verschiedenen Kulturlandschaften unterschei- einher. Während unproduktive Flächen (beispielsweise den. Verdient beispielsweise eine Landwirtin im schwierig im alpinen Raum) aufgegeben werden, werden andere zu bewirtschaftenden alpinen Raum mehr Unterstützung Flächen intensiver bewirtschaftet und immer größere bei der Erhaltung der Kulturlandschaft als ein Landwirt Bewirtschaftungseinheiten entstehen. Dies hat Folgen für im intensiv bewirtschafteten Marchfeld? Kenntnisse über das (Kultur-) Landschaftsbild, aber auch die Biodiversität den ökonomischen Wert verschiedener Kulturlandschaf- (Umweltbüro Klagenfurt 2007: 20, Greif et al. 2003: 1). ten können helfen, diese Frage zu beantworten und effi- zientere, zielgerichtete Anreizprogramme zu erstellen. Es Bei Kulturlandschaften handelt es sich um öffentli- stellt sich deshalb die Frage: Wie können Unterschiede im che Güter, welche durch land- und forstwirtschaftliche ökonomischen Wert unterschiedlicher Kulturlandschaften Betriebe als Koppelprodukte bereitgestellt werden (Kan- in Österreich festgestellt werden? telhardt/Hübner 2010: 20f.). Eine Koppelproduktion liegt vor, wenn bei der Produktion eines Gutes zwangsläufig Um sich dem Thema zu nähern, soll in Kapitel 2 zuerst ein zweites Gut produziert wird. So wird bei beispiels- eine Definition von Kulturlandschaft versucht und deren weise bei der Getreideproduktion immer auch Stroh an, Bedeutung aufgezeigt werden. Es folgt die Darstellung das wiederum als Einstreu oder Dünger verwendet wer- von Kosten und Nutzen von Kulturlandschaft als Ökosys- Vol. 47(1) | 2021 | Der öffentliche Sektor – The Public Sector 15
Laura Eckart temleistung der Landwirtschaft sowie eine Übersicht über Folglich macht immer der Mensch Landschaft zu Kultur- die verschiedenen Kulturlandschaften und ihre Bedeu- landschaft. Dabei stehen seine Bedürfnisse im Vorder- tung, insbesondere im Hinblick auf die biologische Viel- grund. Diese ändern sich, beispielsweise bedingt durch falt. In Kapitel 3 wird eine Einführung in die ökonomische neue Technologien, im Laufe der Zeit und somit ist auch Bewertung von Umweltgütern gegeben. Kapitel 4 stellt die Kulturlandschaft, und damit unter Umständen auch ihr mögliche Methoden zur Bewertung österreichischer ökonomischer Wert, einem andauernden Wandel unterle- Kulturlandschaften als Ergebnisse einer durchgeführten gen (Stotten 2015: 13). Die UNESCO definiert Kulturland- Literaturanalyse vor, in Kapitel 5 erfolgt eine genauere schaft als Kulturgüter, die das kombinierte Werk von Natur Analyse und Einordnung der Literatur. Kapitel 6 fasst die und Mensch repräsentieren (UNESCO 2017: 81). Spricht Ergebnisse zusammen und zeigt offen gebliebene Fragen man von einer Landschaft als Kulturlandschaft erscheint mit weiterem Forschungsbedarf auf. es naheliegend, dass das Gegenstück der Kulturlandschaft die Naturlandschaft ist. In der Literatur lassen sich zwei Gründe erkennen, warum diese Differenzierung nicht sinnvoll erscheint. Zum einen hat die etymologische Sicht 1 Kulturlandschaft auf den Begriff Landschaft bereits gezeigt: Landschaft ist durch (menschliches) Schaffen gestaltetes Land (Stein- hardt 2012: 26f.). Zum anderen lassen sich heute kaum 1.1 Definition von Kulturlandschaft mehr Regionen finden, die nicht durch menschliche Ein- flüsse zu Kulturlandschaften geworden sind (Stotten 2015: Eine eindeutige, allgemeingültige Definition des Begriffs 14). Kulturlandschaft gib es nicht. Näherungsweise soll eine Definition entlang der Begriffe Kultur sowie Landschaft Die Kulturlandschaft ist eine der Ökosystemleistungen, erfolgen, aus welchen sich der Begriff Kulturlandschaft die durch die Land- und Forstwirtschaft bereitgestellt wird zusammensetzt. Eine Definition von Landschaft ist jedoch (Umweltbundesamt 2011: 21). Ökosystemleistungen sind ebenfalls nicht ohne Weiteres möglich, da der Begriff Beiträge von Ökosystemen, die zum Wohlergehen des sowohl in der Wissenschaft als auch im allgemeinen Menschen beitragen (TEEB 2010: 43). Zu diesen Leistun- Sprachgebrauch mit sehr unterschiedlichen Sinngehal- gen zählen Versorgungs-, Regulierungs-, Lebensräume/ ten verwendet wird (Steinhardt et al. 2012: 23). Erstmals unterstützende sowie kulturelle Leistungen. Beispielweise verwendet wurde der Landschaftsbegriff von Alexander die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen zu von Humboldt (Steinhardt et al. 2012: 23), der die Land- den Versorgungsleistungen, kulturelle Leistungen zielen schaft als Totaleindruck oder Totalgefühl einer Erdgegend auf den Menschen ab und umfassen u.a. Erholung, Tou- beschreib, die mehr als das Abbild der Erdoberfläche ist rismus sowie ästhetischen Genuss (TEEB 2010: 45f.). Im (Stotten 2015: 11). Während Humboldt dabei den ästhe- Hinblick auf die monetäre Bewertung von Ökosystemleis- tischen Aspekt der Landschaft hervorhebt, definieren tungen ist die Definition von Boyd und Banzhaf relevant. Geographen und Ökologen diese später vermehrt aus Sie definieren diese als Komponenten der Natur, die direkt kausalanalytisch-genetischen Sichtweisen (Steinhardt et genossen, konsumiert und geerntet werden, um mensch- al. 2012: 24). Eine etymologische Sicht auf den Begriff lie- liches Wohlergehen zu erzeugen. Das bedeutet: sie wer- fert weitere interessante Erkenntnisse. So lässt die Zusam- den direkt konsumiert, es handelt sich um Komponenten mensetzung des Wortes aus den Teilen „Land-„ sowie der Natur und sie können mit Mengen- und Preisangaben „-schaft“ auch die Deutung als „Durch Schaffen gestalte- versehen werden (Boyd/Banzhaf 2007: 619f.). tes Land“ (Haber 1996 zitiert nach Steinhardt et al. 2012: 26). Enden Begriffe im Deutschen auf „-schaft“, bezeich- Das Umweltbundesamt definiert sechs Ökosystemleistun- nen sie außerdem oft auch etwas Zusammengehörendes, gen in den Nutzenkategorien Wirtschaft und Gesundheit, beispielsweise im Fall von „Mannschaft“ (Steinhardt et al. welche sich durch die Bereitstellung der Kulturlandschaft 2012: 26). seitens der Land- und Forstwirtschaft in Österreich erge- ben. Dies sind beispielsweise das „Angebot von wertvol- Ähnlich wie Landschaft ist auch Kultur ein häufig verwen- len Natur- und Kulturlandschaften für die kommerzielle deter Begriff, dessen Definition nicht eindeutig erfolgen Nutzung im Tourismus“ (Umweltbundesamt 2011: 24) kann, da sehr unterschiedliche Kulturbegriffe existie- oder die „Identifikationsermöglichung durch schöne und ren (Nünning 2012: online). Die lateinischen Wurzeln landwirtschaftlich geprägte Landschaften (Natur- und Kul- des Begriffes liefern jedoch entscheidende Hinweise. So turerbe)“ (Umweltbundesamt 2011: 25). stammt Kultur vom lateinischen „colere“ ab, welches mit „pflegen, urbar machen“ übersetzt werden kann sowie von den Worten „cultura“ bzw. „cultus“, welche beispiels- 1.2 Soziale und ökonomische Betrach- weise mit „Anbau, Bebauung“ übersetzt werden kön- tung von Kulturlandschaft nen. Der Begriff stammt also aus der Landwirtschaft und umschreibt etwas vom Menschen gemachtes oder gestal- Im Rahmen dieser „Identifikationsermöglichung“ spielt tetes (Nünning 2012: online). Kulturlandschaft auch eine Rolle für die sogenannte Place 16 Der öffentliche Sektor – The Public Sector | 2021 | Vol. 47(1)
Ökonomische Bewertung der Kulturlandschaften Österreichs Identity des Menschen. Diese stellen Proshansky et al. Gleichzeitig versuchen Einheimische zu kontrollieren, wie (1983) als Teil des Selbstverständnisses eines jeden Men- sie sich und ihre Heimat präsentieren (Tilley 2006: 16). schen dar, welches sich zusammensetzt aus den Erkennt- Somit hat auch der Tourismus einen nicht zu unterschät- nissen der physischen Umwelt des Menschen, beispiels- zenden Einfluss auf die Place Identity der in Tourismusge- weise in Form von Erinnerungen (Proshansky et al. 1983: bieten lebenden Personen. Einerseits weil eine ursprüng- 59). Wo (also auch in welcher Landschaft) der Mensch lebt liche Landschaft erhalten bleiben soll, um Tourist_innen und aufwächst, prägt somit über die Place Identity auch anzulocken, andererseits weil er die Bevölkerung dazu dessen Selbstverständnis. Mit zunehmender Bindung bringt, sich und ihren Wohnort entsprechend zu präsen- an einen Ort identifizieren wir uns mit diesem. Dies gilt tieren. sowohl im kleinen Maßstab (z.B. für eine Nachbarschaft) als auch auf einer größeren ebene (z.B. für eine Nation). Die Kulturlandschaft ist ein öffentliches Gut welches durch Deutlich wird die Place Identity als Teil unseres Selbstver- die Bewirtschaftung von Land und Forst als Koppelpro- ständnisses beispielsweise dann, wenn Personen sich als dukt entsteht. Das bedeutet, Land- und Forstwirt_innen „Stadtmensch“ oder als „Landei“ definieren (Hauge 2007: werden für die Bereitstellung der Kulturlandschaft nicht 44). Die Place Identity eines Menschen zeigt Stabilität und entlohnt, Kosten werden nicht erstattet und Konsument_ ist dennoch Veränderungen unterworfen. Klarerweise innen bezahlen nicht für den für sie entstehenden Nutzen verändert sich das räumliche Umfeld im Zuge des Erwach- der Kulturlandschaft, wenn auch eine gewisse Zahlungs- senwerdens, dennoch prägt das räumliche Umfeld, in dem bereitschaft bestehen würde (Kantelhardt/Hübner 2010: ein Mensch aufwächst, diesen sein Leben lang. Aber auch 20, Hampicke 2013: 131). äußere Einflüsse können eine Veränderung der Place Iden- tity bewirken. Die physische Umgebung eines Menschen Zwei Merkmale machen die Kulturlandschaft zu einem kann sich auch ohne dessen Einfluss drastisch verändern, öffentlichen Gut. Zum einen ist eine Nicht-Ausschließbar- langsam über einen längeren Zeitraum (beispielsweise keit gegeben (Hampicke 2013: 127). Beispielsweise kön- durch Klimaveränderungen) oder auch sehr schnell (etwa nen keine Personen vom Genuss (z.B. durch eine Wande- durch Naturkatastrophen oder Baumaßnahmen). Dann rung) der Kulturlandschaft im Weinviertel ausgeschlossen passen das physische Umfeld und die Place Identity einer (oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand wie einer Person nicht mehr zusammen und der Mensch ist gezwun- Umzäunung der gesamten Region) werden. Zum ande- gen, seine Place Identity anzupassen. Vorgänge wie das ren besteht keine Nutzungskonkurrenz (Hampicke 2013: Auftreten von unerwünschten Gruppen, Kriminalität oder 127). Beliebig viele Personen können das Weinviertel Verfall können die emotionale Bindung eines Menschen genießen, ohne dass dies für nachfolgende Personen zu and einen Ort sogar intensivieren. Werden Personen aber Beeinträchtigungen oder Nicht-Konsumierbarkeit dieser aus ihrer gewohnten Umgebung gerissen, entsteht oft ein Kulturlandschaft führt. Vor allem die Land- und Forstwirt- Gefühl des Verloren seins (Proshansky et al. 1983: 64ff.). schaft schafft Kulturlandschaften. Diese entstehen dabei als, positive oder negative, externe Effekte durch die Land- Aber auch Trends wie die zunehmende Globalisierung, bewirtschaftung. Im Falle von negativen Effekten müssen Urbanisierung, Massentourismus und das Internet stellen die Land- und Forstwirt_innen nicht aufkommen, erhal- laut Tilley (2006) unser Selbstverständnis in Frage, mit der ten aber auch keine Entlohnung für entstehende positive Konsequenz, dass Menschen umso mehr einen Ort einen Effekte (Hampicke 2013: 126f.), wie beispielsweise eine Ort für das eigene Ich brauchen (Tilley 2006: 8). Die wahr- besonders ästhetische Kulturlandschaft. Externe Effekte genommenen Bedrohungen für die Landschaft, beispiels- entziehen sich also den Regelungsprinzipien des Marktes weise auch durch (Massen-) Tourismus und Zersiedelung, (Hampicke 2013: 126). treffen auf Menschen, die angesichts der genannten welt- weiten Trends einen Platz der Zuflucht und Selbstverwirk- Das Bereitstellen und Erhalten der Kulturlandschaft ist lichung suchen. Dies führt zu nostalgischen Bildern von nicht Hauptziel land- und forstwirtschaftlicher Tätigkeiten. Landschaften und den Versuch, diese in Erhaltungs- und Die Kulturlandschaft und andere Ökosystemleistungen sind Bewahrungsprojekten zu erhalten (Tilley 2006: 13f.). Nach ein Koppelprodukt der land- und forstwirtschaftlichen Pro- Tilley (2006) sehnen sich Menschen angesichts einer dem duktion (Kantelhardt/Hübner 2010: 20). Dies verursacht Wandel unterworfenen Welt nach ursprünglichen Orten Kostenzurechnungsprobleme. Es kann nicht bestimmt Welt. In der Kombination mit den Bedrohungen für eben werden, ob und wie die den Land- und Forstwirt_innen jene Orte durch diesen Wandel, können Landschaften entstehenden Kosten zwischen land- und forstwirtschaft- nicht mehr einfach nur sein. Sorgfältige Planung, Erhal- licher Produktion und der Bereitstellung und Erhaltung tung, Überwachung und Rekonstruktion ist notwendig von Ökosystemleistungen wie der Kulturlandschaft auf- (Tilley 2006: 14). geteilt werden sollen. Produziert eine Landwirtin oder ein Landwirt beispielsweise Sonnenblumenkerne, entsteht Im Zuge des Tourismus wird die lokale Kultur und damit als Koppelprodukt ein ästhetisches Element in der Kultur- auch die Identität der einheimischen Bevölkerung konsu- landschaft. Da sie die Sonnenblumenkerne ohnehin pro- miert. Eine Identität, die aufgrund des zuvor genannten duzieren, auch wenn dies keinen ästhetischen Wert hätte, Trends aber auch zunehmend verloren zu gehen droht. werden alle Kosten der Produktion der Sonnenblumen- Vol. 47(1) | 2021 | Der öffentliche Sektor – The Public Sector 17
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