Der NORDIRLAND-Konf likt: Eine Fotodokumentation, S. 46 19.9.2019 - Magazinos.com
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OHLINDA BY BRETZ INTERIOR INNOVATION AWARD WINNER ALEXANDER-BRETZ-STR. 2 D-55457 GENSINGEN TEL. 06727-895-0 INFO@BRETZ.DE BRETZ.DE FLAGSHIPS: STILWERK BERLIN HOHE STR. 1 DORTMUND WILSDRUFFER STR. 9 DRESDEN STILWERK DÜSSELDORF ALTE GASSE 1 FRANKFURT STILWERK HAMBURG KAISER-WILHELM-STR. 9 HAMBURG HOHENSTAUFENRING 62 KÖLN BACHSTR.8 HOHENSTAUFENRING62 BACHSTR. 8 KONSTANZ-KREUZLINGEN REUDNITZERSTR.1 REUD NITZER STR. 1 LEIPZIG HOHENZOLL- ERNSTR. 100 MÜNCHEN HALLPLATZ 37 NÜRNBERG KÖNIGSBAU PASSAGEN STUTTGART SALZGRIES 2 WIEN
Die P L A N E T E N und ich, S. 32 E in Gespräch mit der jüngsten Tochter der NS-E rziehungsratgeberin Johanna Haarer
19.9.19 N 39 0 8 Martenstein über Knabenchöre 10 Heiter bis glücklich Ganz viel Buntes, ein Blazer und Eigelb auf dem Teller Haben Sie auch eine Frage an Janosch? Schreiben Sie an janosch@zeit.de 12 Wochenmarkt Gern mal was anbrennen lassen: Ein Dip aus gerösteten Zwiebeln 14 Deutschlandkarte Wo die Theaterintendanten herkommen 15 Gesellschaftskritik Jonathan Safran Foer will kein Vegetarier-Vorbild mehr sein 16 Fotokolumne Wer bist du? Folge 39 18 Titelgeschichte Wie sich die Tochter einer überzeugten Nationalsozialistin ihrer Geschichte stellt HERR JANOSCH, WAS MACHT MAN, 32 Zu den Sternen! WENN DER PARTNER IM BETT SCHNARCHT ? Unser Autor macht sich auf, die Planeten zu erkunden » Mit ihm zusammen so lange sozusagen in einem 44 Ich habe einen Traum Wettkampf schnarchen, bis er entweder selbst nicht mehr schlafen Die Schauspielerin Andie kann oder eben beide schnarchend schlafen.« MacDowell träumt von Häusern 46 Irisches Tagebuch Bilder, die der Fotograf Gilles Peress in Nordirland machte 62 Stil Der Designer Alber Elbaz und ein besonderer Schuh 63 Unter Strom Endlich ein Mittel gegen juckende Mückenstiche Titelfotos Tanja Kernweiss Titel 1 privat [M] 65 Eine Frage der Liebe Wer von beiden setzt die Beziehung aufs Spiel? 69 Prüfers Töchter Wenn der Papa peinlich wird 70 Rettung Diese Woche in der Tablet- und Smartphone-App »DIE ZEIT«: Die Politikerin Jutta Ditfurth Szenen aus dem Film »Ready or Not« mit Andie MacDowell über ihre adelige Familie
8 Harald Martenstein Über Knabenchöre, Meerschweinchen im Hasenstall und soziale Bewegungen, die man vor sich selbst schützen muss Fast alle Zeitungen brachten die Nachricht, dass ein Mädchen unbe kischen Kultur, aber die wunderbare Dolly Parton würde so etwas dingt in einen Berliner Knabenchor aufgenommen werden wollte. Gemeines sicher nie tun. Vielleicht handelte es sich auch um einen Wunsch der Eltern und Ich bin übrigens auch dagegen, dass der YouTuber Rezo als Kan nicht so sehr des Mädchens selbst. Die Eltern klagten jedenfalls, ein didatin bei Germany’s Next Topmodel mitmachen darf oder Dieter Gericht lehnte das Ansinnen ab. Bohlen, falls er mal zufällig Single ist, bei Bauer sucht Frau. Er ist Aber das ist doch sowieso ein unmöglicher, sinnloser Wunsch! Ge nun mal kein Bauer. Ich lehne also auch männliche Privilegien ab. nauso gut könnten die Eltern vor Gericht verlangen, dass ihrer Toch Wenn aber tatsächlich die Donkosaken ihren Chor dichtmachen ter Engelsflügel wachsen oder, damit es nicht wieder das weibliche müssen, dann würde ich denen raten, sich in die Frauencafés hinein Klischee erfüllt, ein Vollbart. Kein irdischer Richter kann Unmög zuklagen. Da dürfen keine Männer hinein, bei uns um die Ecke ist liches anordnen. Ab dem Moment, in dem ein Mädchen Mitglied eines. Die Frauen möchten unter sich sein – was ist schon dabei? eines Knabenchores wird, handelt es sich nämlich logischerweise Wenn dann aber die heimatlos gewordenen Kosaken, gleiches Recht um keinen Knabenchor mehr, sondern um einen gemischten Chor. für alle, in das Frauencafé hineingehen, sich breitbeinig hinhocken Ein Knabenchor mit Mädchen darin wäre das Gleiche wie ein und mit ihren Bässen auf männlich-dominante Art Schwarze Augen Hasenstall mit Meerschweinchen darin. Das wäre dann halt kein und Moskauer Nächte singen, dann ist das bestimmt nicht gut für Hasenstall mehr, sondern ein Kleintierstall. Mit diesem Beispiel will das Feeling im Frauencafé. Ich will doch nur das Beste für alle. ich jetzt aber nicht die Meerschweinchen herabsetzen, das sage ich Außerdem wird gefordert, nicht nur in den USA, dass Fußballerinnen hiermit ganz klar. Die Eltern verlangten also erstens etwas logisch die gleichen hohen Gagen kriegen wie die männlichen Stars. Manch Unmögliches. Sie träumen einen unmöglichen Traum. Zweitens mal muss man soziale Bewegungen vor ihren eigenen Forderungen wollten sie etwas erstreiten, was sie auch ohne Prozess überall be in Schutz nehmen. Weil es bei den Frauen viel weniger Zuschauer kommen können. Gemischte Chöre gibt es ja zuhauf. gibt – keine Ahnung, wieso –, würden alle Frauenclubs wegen dieser Letzten Endes liefe es darauf hinaus, dass es keine Knabenchöre Gagen sofort pleitegehen, zumindest hierzulande. Klar, in Deutsch mehr gibt. Ich möchte aber gern in einer bunten und vielfältigen land könnte man einen Frauenfußball-Solidaritätsbeitrag einführen. Gesellschaft leben, mit Chören jedweder Art. Nehmen Sie als Bei Ich würde das gern zahlen, aber wer sonst? Kürzlich hatte ich übri spiel die Donkosaken. Das war ursprünglich ein Chor mit lauter gens die Idee, dass man im Wetterbericht auch die Shitstürme er Kosaken vom Don. Ich glaube, jetzt nehmen sie, aus Kosaken wähnt, also: Boris Palmer hat gerade wieder einen, bei Julia Klöck mangel, auch andere, aber die müssen zumindest kosakisch klingen ner zieht er ab, bei AKK baut sich wieder was auf, aus diesem und und Männer sein. Wenn sich Dolly Parton bei den Donkosaken jenem Grund. Da wäre ich natürlich dafür, dass alle Shitstürme ab hineinklagen könnte, dann wäre dies wohl das Ende der kosa wechselnd männliche und weibliche Namen kriegen. Harald Martenstein Illustration Martin Fengel ist Redakteur des »Tagesspiegels« Zu hören unter www.zeit.de/audio
10 Unsere Entdeckungen der Woche Die britische Künstlerin Alexandra Daisy Ginsberg beschäftigt sich mit der Frage, wie synthetische Organismen helfen Man spielt nicht mit Essen, aber das können, die Natur zu retten. Ihre Bilder Auge isst mit – deshalb erklären sind im Vitra Design Museum in Weil am Gourmetköche in dem Buch »Story on Rhein zu sehen (bis 24. November) a Plate«, wie man etwa dieses Eigelb kunstvoll auf den Teller bringt (Gestalten) Heiter bis Fotos Signe Birk / Story on a plate; Alexander Gowers; Gregoire Alexandre / Because Music; Keneth Ize; Ettore Palmiotta; Craig & Karl / Taschen glücklich »Metronomy Forever«, das neue Album der Band Metronomy, klingt so hibbelig wie ein Flummi, der sich in die Disco verirrt hat Ausgewählte Entwürfe der Finalisten des diesjährigen LVMH-Prize-Mode wettbewerbs bekommt man auf 24s.com – etwa diesen laubbunten Blazer des nigerianischen Designers Kenneth Ize »Keiner hat so eine krasse Energie wie diese alten Männer« In dem Bildband »The Illustrator« Der Dokumentarfilm »Wer vier sind« kann man sich in der geht dem Geheimnis der Stuttgarter kaugummibunten Welt der 100 Hip-Hop-Band Die Fantastischen So sieht das also aus, wenn besten Illustratoren der Gegenwart Vier auf den Grund, die auch nach sich ein Beistelltisch Ringelstrümpfe verlieren. Dieses Bild stammt über 30 Jahren immer noch zusammen überzieht (marktex.de) von dem Duo Craig & Karl (Taschen) Musik machen (im Kino) Von Claire Beermann
TAG HEUER CARRERA CALIBRE HEUER 02 Mats Hummels gehört zu den besten Innenverteidigern der Bundesliga. Technisch und taktisch ein Ausnahmetalent, setzt er wie TAG Heuer neue Maßstäbe und hält getreu dem Motto „Don’t Crack Under Pressure“ jedem Druck stand.
Wochenmarkt 12 EIN ZITRONIGER ZWIEBEL-DIP Dip aus gerösteten Zwiebeln 500 g Zwiebeln, etwas Olivenöl, 100 g Frischkäse, 100 g Sauerrahm, 1 EL Zitronensaft, 1 TL Abrieb von der Zitrone, 1 Msp. Chilipulver, Salz , Pfeffer Nehmen Sie eine Tüte Zwiebelsuppe, und verrühren Sie das Pulver Meinung nach ein Hochgenuss, vor allem wenn das Verbrannte auf mit etwas Crème fraîche, fertig ist der Zwiebeldip. Kleiner Scherz. den unschuldig frischen Sauerrahm trifft. Man kann den Dip zu Würde ich niemals tun. Hier im Wochenmarkt ist natürlich noch Chips essen, was sehr intensiv schmeckt. Besonders gut passt er zu alles handgemacht und saisonal. Also muss man erst mal ein halbes Karotten, Stangensellerie, Paprika oder einfach zu Brot. Kilo Zwiebeln schälen und vierteln, wahrscheinlich leider tränen- Zwiebeln schälen, vierteln, mit etwas Olivenöl einölen. Im Ofen überströmt. Aber das war es dann eigentlich auch. Denn für dieses bei 200 Grad Ober-/Unterhitze 60 Minuten lang backen. Danach Rezept werden die Zwiebeln nicht in der Pfanne langsam mit viel Zwiebeln mit dem Pürierstab pürieren, mit Frischkäse, Sauerrahm, Herumrühren gegart, bis sie weich sind. Nein, sie werden im Ofen Zitronensaft, Zitronenabrieb, Chili, Pfeffer und Salz vermengen. gebacken. Das dauert lange, nämlich eine Stunde. Dafür geht das Dann abschmecken. An dieser Stelle können Sie überlegen, ob Sie wie von selbst, man wendet sie nur ab und zu. noch 2 TL Worcestersoße hinzufügen. Wenn Sie keine besitzen und Ich habe überlegt, ob ich das Rezept »Dip aus verbrannten Zwie- womöglich auch noch nie davon gehört haben, vergessen Sie, was beln« nennen soll, aber ich ahne, dass es einige abschrecken würde. ich gesagt habe. Ich will Sie nicht auf falsche Gedanken bringen. Es hilft allerdings auch nicht, es zu verschweigen: Die Zwiebeln Dies ist, wie gesagt, eine seriöse Kochkolumne. Mit Fertigsoßen haben schwarze Stellen, wenn sie aus dem Ofen kommen. Meiner haben wir hier nichts zu tun. Von Elisabeth Raether Foto Silvio Knezevic
Deutschlandkarte 14 THEATERINTENDANTEN Joachim Lux Karin Beier Thalia Theater Deutsches Schauspielhaus Michael Börgerding Hamburg Theater Bremen Schwerin Johan SimonsJohan Simons Klaus Dörr Schauspielhaus Bochum Schauspielhaus Bochum Volksbühne Lohne Andreas Döring Michael Heicks Wilfried Schulz Bühnen und Orchester Schlosstheater Ulrich Khuon Düsseldorfer Falkensee Berlin Deutsches Theater der Stadt Bielefeld Celle Schauspielhaus Sonja Anders Shermin Langhoff Heerjansdam Kranenburg Münster Staatstheater Hannover Maxim Gorki Theater Hannover Castrop- Mülheim Rauxel Duisburg Lutz Hillmann Deutsch-Sorbisches Volkstheater Bautzen Michael Grosse Theater Krefeld Düsseldorf Mönchengladbach Bischofswerda Bursa Enrico Lübbe Joachim Klement Köln Bad Schauspiel Sächsische Staatstheater Honnef Ehringshausen Leipzig Dresden Stefan Bachmann Bühnen Köln Markus A. Müller Bonn Staatstheater Mainz Anselm Weber Städtische Bühnen Frankfurt Marc Stefan Sickel Jens-Daniel Herzog Nationaltheater Mannheim Staatstheater Nürnberg Neustadt Holger Schultze, Theater und Orchester Heidelberg Knut Weber Peter Spuhler Stadttheater Ingolstadt Badisches Staatstheater Karlsruhe Andreas Beck Bayerisches Staatsschauspiel Axel Vornam Stuttgart Theater Heilbronn Matthias Lilienthal Marc-Oliver Hendriks Staatstheater Stuttgart München Münchner Kammerspiele Christian Stückl Münchner Volkstheater Quelle Deutscher Bühnenverein, Theaterstatistik 2016/17 und eigene Recherchen Kempten Oberammergau Christoph Nix Theater Konstanz Zürich Woher stammen die Theaterintendanten? Arbeitsort (rosa) und Geburtsort (blau) der Intendanten der 30 beliebtesten Theater (nur öffentlich geförderte; die Beliebtheit ist gemessen an den Zuschauerzahlen von Schauspiel-Inszenierungen der Saison 2016/17) Mögen die Leiter von Deutschlands städtischen und staatlichen Büh- ßes Pflaster, was die Debatten angeht: Nachdem Chris Dercon 2017 nen noch so unterschiedlich sein, eins haben sie fast alle gemeinsam: den Volksbühnen-Chef Frank Castorf ablöste, kritisierte man, dass Sie kommen von weit her. Von den Intendanten der 30 populärsten ein Fachfremder aus London importiert wurde. Seit Dercons Rück- Theater kann einzig Lutz Hillmann entspannt in seine alte Heimat tritt ein Jahr später leitet Klaus Dörr interimsmäßig die Geschäfte, er reisen – 20 Kilometer sind es von Bautzen nach Bischofswerda. Sher- stammt aus Neustadt an der Weinstraße. Ab 2021 soll René Pollesch min Langhoff lebt sogar fast 2500 Kilometer von ihrem Geburtsort übernehmen, aus Friedberg in Hessen. Die Berliner Stücke fanden entfernt, dem türkischen Bursa. Langhoff ist eine von vier Intendan- beim Publikum 2016/2017 vergleichsweise wenig Zuspruch: Bei den tinnen auf der Karte. Darauf sind so viele Frauen wie gebürtige Berli- Zuschauerzahlen führen die Sächsischen Staatstheater, das Hambur- ner verzeichnet, die die meisten Intendanten stellen. Berlin ist ein hei- ger Schauspielhaus und die Bayerischen Staatstheater. Von Johannes Palm Illustration 1kilo
EIN MAGAZIN Gesellschaftskritik ÜBER WIDERSPRÜCHE (NICHT) NUR FÜR MÄNNER! Ja, wie jetzt? Der Autor Jonathan Safran Foer, Held der Vegetarier, mag plötzlich doch Fleisch Der New Yorker Autor Jonathan Safran ist seine Aufmerksamkeitsspanne,die der Foer hat ein neues Buch geschrieben. eines Eichhörnchens gleicht. Es heißt Wir sind das Klima!, und es Platz zwei: Bas Kast, Bekenntnisse eines geht um sein eigenes inkonsequentes Sugardaddys. Claim: Ja, Bas Kast hat Verhalten im Angesicht der Klimakrise. einen Millionenseller über sein Leben Manchmal, so gesteht er in seinem mit der Essenz der Essenz aus 330 Diä- Buch, esse er sogar heimlich Fleisch. ten und Ernährungsstudien geschrieben Das ist deshalb bemerkenswert, weil der (ausgewogen essen; kein Fast Food). In Autor vor ein paar Jahren mit seinem diesem Buch stellt er sich der Tatsache, JETZT Buch Tiere essen zu einem der Helden der Vegetarier-Bewegung wurde. Jetzt dass er sich immer öfter nachts vor sei- nem Kühlschrank wiederfand, in der AM KIOSK erfahren wir aus einem Interview im Hand eine Tiefkühlpizza und das neue Spiegel: Es gebe »wohl kaum jemanden, Ben & Jerry’s »Topped Love is ...« mit der ein noch stärkeres Verlangen« nach Erdbeerherzen drin. Natürlich ist ihm F. habe, »irre peinlich« sei ihm das. Aber das peinlich. Aber er weiß auch: Nur genau das, so Foer, sei ja das Interessan- wer sein Verhalten radikal akzeptiert, te: Wie damit umgehen, dass man weiß, hat eine Chance, es zu verändern. Entdecken Sie jetzt das neue was das Richtige wäre, aber es nicht Platz drei: Marie Kondo, Chaostheorie. Männermagazin der ZEIT! schafft, das Richtige zu tun? Claim: Yep, Marie Kondo hat einen Starke Charaktere berichten Das ist weise, finden wir. Und clever. Weltbestseller geschrieben, in welchem von den Entscheidungen ihres Weil: Warum noch mal über dasselbe sie das Aufräumen zum Zen erhebt. Was Lebens und der Suche nach Thema ein Buch schreiben, wenn doch kaum jemand weiß (außer ihrem Mann die Gegenthese zum vorherigen Buch und ihren 13 Siamkatzen): Während die dem persönlichen Glück. jetzt garantiert viel mehr Aufmerksam- Welt immer aufgeräumter wurde, ver- keit bekommt? sank das Leben der Autorin im Chaos. www.zeitmagazin.de/mann Foto Daniele Venturelli / Getty Images [M] Wir haben uns mal vorgestellt, wie die Bis sie eines Tages über Berge von unge- Bestsellerliste 2021 aussehen könnte. öffneten Verlagsabrechnungen, Dollar- Platz eins: Peter Wohlleben, Das geheime scheinen und alten Ben-&-Jerry’s-Eis- Leben von mir selbst. Claim: Ja, der bechern stieg, um in eines ihrer vier mit deutsche Oberförster streift gerne durch Katzenhaaren beklebten MacBooks den den Wald. Genauer: streifte gerne durch Satz zu tippen, von dem sie nun hofft, den Wald. Noch lieber klebt er an seinem dass er der erste Schritt zu ihrer Heilung Smartphone – und alles, was ihn noch sein wird: Mein Name ist Marie Kondo, mit seinem früheren Leben verbindet, und ich bin Messie. Von Heike Faller
Florian Jaenicke 16 WER BIST DU? (39) Ein Tag am Meer Der Fotograf Florian Jaenicke, 50, macht Bilder von seinem Sohn Friedrich, um ihn besser zu verstehen. Friedrich ist seit seiner Geburt 2005 mehrfach schwerstbehindert
ANZEIGE Yoshi Hamburg Fette Kuh Köln Chutnify Berlin Takumi Düsseldorf Brian’s Steak & Lobster Hamburg Es geht um das Besondere. Um Leidenschaft, Hingabe und Tradition. Um Gerichte, die Maßstäbe setzen. Zu erleben, zu sehen und zu erschmecken beim »The Original Way – Coke Food Festival«. Originell genießen, Originale schmecken Nichts ist so gut wie das Origi- September in der XPOST in Coke Food Festivals« auch ein ganze Welt führte. Nun gehen nal. Sei es bei Filmen oder bei Köln und am 7. und 8. Septem- tolles Programm mit zum Bei- sie auf Tour. Zudem veröffent- Musik, bei Kunstwerken oder in ber in der Alten Münze in Berlin spiel Koch-Workshops, bei de- licht das Unternehmen auf You- der Mode, geschweige denn bei – servieren einige der besten nen die Restaurantchefs und Tube sowie seinen Social Media Stars und ihren Doppelgängern. Chefköche Deutschlands ihre Köche einen Blick hinter die Kanälen sechs weitere Episo- Das Original hat Maßstäbe ge- signature dishes – welche, die Kulissen gewähren, ihre ganz den von »The Original Way«. setzt, die für Qualität stehen. keinen Trends folgen, sondern persönliche Geschichte und Porträtiert werden wieder aus- Für ein ganz besonderes Erleb- Originale sind. Leckere Masala Philosophie erzählen und so die g ewä h lte Re s t a u ra nt s in nis, das beeindruckt, das gefällt. Dosas zum Beispiel kommen Möglichkeit bieten, die Tradi- Deutschland, die Klassiker ori- Das gilt auch für originale kuli- von Aparna Aurora, Chefin des tion verschiedenster Gerichte ginal servieren. Außerdem wird narische Köstlichkeiten. Ob die indischen Restaurants »Chut- zu erfahren, zu erleben – zu rund um den Globus nach den Neapolitanische Pizza aus Itali- nify« in Berlin, handgemachte erschmecken. Ursprüngen großartiger Ge- en, Miso-Ramen aus Japan oder Burger mit Fleisch von nieder- richte gesucht, die in emotiona- Im Web um die Welt reisen, Ceviche aus Peru – mögen diese rheinischen Weidetieren von len Geschichten in Szene ge- dem Original auf der Spur Gerichte noch so verschieden Martin Block von der »Fetten setzt werden und den Appetit sein, es eint sie ihre Tradition, Kuh« in Köln, Haruhiko Saeki, Nicht von ungefähr steht hinter auf mehr wecken. In der Web- ihre einzigartige Herkunft, ihre Geschäftsführer der Restau- alledem die Marke Coca-Cola. serie und auch auf dem Food Authentizität. Diese haben sie rants »Takumi« in Düsseldorf, Auch sie ist ein Original – das Festival zelebriert Coca-Cola zu einem Original und dem ganz Hamburg, Barcelona oder Rot- Original. Mit dem »The Original die kulinarischen Originale als besonderen Geschmackserleb- terdam, tischt seine Miso-Ra- Way – Coke Food Festival« Teil des Programms »Das Origi- nis werden lassen. Eines, das men auf und der Däne Brian knüpft Coca-Cola so zum einen nal. Original serviert.« Menschen in ganz Deutschland Bojsen vom Restaurant »Brian’s die Verbindung zu seiner le- www.coke.de/foodfestival jetzt erleben können: auf dem Steak & Lobster« in Hamburg gendären 0,2 Liter-Glasflasche. »The Original Way – Coke Food auf den gewünschten Garpunkt Zum anderen ist es die Fortfüh- Festival« von Coca-Cola. genau saftige Steaks und fang- rung des Erfolgs aus dem ver- frischen Hummer. gangenen Jahr. Bereits da wid- Miso-Ramen und Burger, Damit aber nicht genug: mete Coca-Cola ausgewählten Samosas und Lobster Neben den vielen kulinarisch kulinarischen Gerichten und In drei Städten – in München am abwechslungsreichen Food- ihren Schöpfern die Webserie 24. und 25. August auf der Pra- Ständen erwartet die Besucher »The Original Way«, die auf den terinsel, am 31. August und 1. auf den »The Original Way – Spuren dieser Originale um die
Gertrud Haarer, 77, begriff erst als erwachsene Frau, welche Rolle ihre Mutter im Nationalsozialismus gespielt hatte
Von ANNA KEMPER 19 Fotos TANJA KERNWEISS »Ich stand vor ihr wie vor einem Richter« Die Ärztin Johanna Haarer schrieb 1934 den Ratgeber »Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind«. Das Buch war während der Nazi-Zeit ein Bestseller, in abgemilderter Form wurde es bis in die Achtzigerjahre ver- kauft. Haarer propagierte darin eine unerbittliche Erziehung. Wie war sie selbst als Mutter? Ein Gespräch mit ihrer jüngsten Tochter
Frau Haarer, wenn Sie an Ihre frühe Kindheit denken: Was ist die stärkste Erinnerung an Ihre Mutter? Der Moment, als sie aus dem Internierungslager zurück- kam. Das war im Herbst 1946, ich war vier Jahre alt, fast fünf. Es klingelte, ich rannte den Flur hinunter und öff- nete die Haustür. Und dann stand da diese mir eigentlich fremde Frau. Ihre Mutter war wegen ihrer Rolle im Nationalsozialismus fast anderthalb Jahre in Lagern der US-Streitkräfte inter- niert gewesen. Sie trug, das weiß ich noch ganz genau, ein graues Kos- tüm und einen burgunderfarbenen Hut. Sie fragte mich: »Kennst du mich nicht mehr, Trudchen? Ich bin’s, die Mutter!« Erst da hat es bei mir klick gemacht. Sie wussten nicht, dass sie nach Hause kommen würde? Wir wussten nicht mal, dass sie überhaupt freigelassen wor- den war. Ich bin dann zurück in den Flur und habe laut ge- rufen: »Die Mutter ist wieder da!« Es war ein großes Haus, zwei Stockwerke, mein Bruder und meine drei Schwestern kamen herbeigerannt und auch die Großeltern. Verbinden Sie ein Gefühl mit diesem Moment? Nein. Ich bin wie neben mir gestanden. Das hatte ich öf- ters in meinem Leben. Wenn irgendwas schwierig war oder kompliziert, dann habe ich mich, in der Psychologie würde man sagen: abgespalten. Das war ein Trick für mich, um zurechtzukommen. Und in der Szene war das auch so. Ich Die Ärztin und Autorin Johanna Haarer, Gertrud Haarers sah mich selber. Mutter, 1932 als 32-jährige Frau Was sehen Sie, wenn Sie sich dieses Bild vor Augen holen? Ein kleines Mädchen mit rosa Strickhöschen und Locken- kopf. Mehr nicht. Dass ich mich gefreut hätte oder der Johanna Haarers Erziehungsratgeber von 1934 wurde zum Mutter um den Hals gefallen wäre – das war nicht so. Sie Standardwerk in den Mütterschulen der Nazis war mir einfach fremd. Hatten Sie sie nicht vermisst? Mir muss schon bewusst gewesen sein, dass sie nicht da war. In der Familie war immer die Rede von »der Mutter«. Ich habe aber kaum konkrete Erinnerungen, da ist alles schwarz. Meine frühe Kindheit kommt mir vor wie eine leere, staubige Theaterbühne, auf der nichts gespielt wird. Ein paar Monate zuvor hatte Ihr Vater sich umgebracht, Ihre Geschwister und Sie lebten allein mit den Großeltern in Ihrem Elternhaus in München. Eine meiner Schwestern sagte mir mal: »Du hast ja nichts mitbekommen, du warst ja noch so klein!« Aber ich habe die Stimmung zu Hause gespürt, und das ist sicher nicht spurlos an mir vorübergegangen. Wie war die Atmosphäre nach der Rückkehr Ihre Mutter? Geradezu depressiv. Die Konten der Familie waren gesperrt. Anfangs durfte meine Mutter wegen ihrer NS-Vergangen- heit noch nicht wieder als Ärztin arbeiten. Und sie musste für acht Menschen sorgen. Der Großvater war schon leicht dement, die Großmutter hat kaum noch gesprochen. Die war immer nur in der Küche im Souterrain. Da kochte sie und hat versucht, den Haushalt zu schmeißen. Sie war ja auch schon über 70, und das war nicht einfach mit fünf Kindern zwischen vier und 13.
21 Wussten Sie, warum Ihre Mutter interniert gewesen war? der Nazis, die bis 1945 geschätzt fünf Millionen Frauen Nein. besuchten. Und wussten Sie, warum Ihr Vater nicht mehr da war? Nach 1945 erschien ihr Buch bis 1987 unter dem Titel Die Man hat in der Familie über den Selbstmord des Vaters Mutter und ihr erstes Kind weiter, von nationalsozialistischer nicht gesprochen. Das wurde totgeschwiegen. Als Kind bin Rhetorik bereinigt und zunehmend milder in den Methoden. ich oft eine steile Leiter rauf auf den Spitzboden, habe die Es erreichte eine Gesamtauflage von mehr als 1,2 Millionen. Dachluke aufgemacht und mich aufs Dach gesetzt. Das 1988 starb Johanna Haarer. Sie hat nicht nur Gertrud Haarer war meine Möglichkeit, mich aus dem ganzen Familiären und ihre vier älteren Geschwister erzogen, sondern auch die herauszukatapultieren. Da ging’s mir gut. Ich habe mich Erziehung von Millionen von Deutschen geprägt. Darum soll auf die Bretter für die Kaminkehrer draufgesetzt und ge- es am Küchentisch in Italien gehen: Wer war die Frau, die die dacht: Wenn ich ein Vogel wäre, würde ich davonfliegen. Psyche eines ganzen Landes beeinflusst hat? Woher kam ihre Härte? Und wie war es, mit ihr aufzuwachsen? Norditalien. Gertrud Haarer sitzt in ihrer großen Küche, an der Decke helle Balken, im offenen Kamin knistert ein Feuer. Ihre Mutter beschreibt in »Die deutsche Mutter und ihr Vor rund 25 Jahren hat die 77-Jährige ihre Heimat M ünchen erstes Kind«, wie eine Mutter zu sein hat: streng, zuweilen verlassen, seitdem lebt sie mit ihrem Lebensgefährten in hart, jederzeit Herrin über Haushalt und Kinder. Was für einemalten, renovierten Landgut an einer Dorfstraße. Eigent- eine Mutter war sie selbst? lich trägt sie den Nachnamen ihres ersten Mannes, von dem Mütterlich war sie nicht. Aber man konnte sich auf sie ver- sie schon seit Jahrzehnten geschieden ist. Sie möchte seinen lassen. Sie war groß, stattlich, hat Respekt eingeflößt. Sie Namen jedoch nicht »da« mit reinziehen, sagt sie. Mit »da« war ganz anders als andere Mütter. Ich habe sie nie kochen, meint sie die Geschichte ihrer Familie und damit auch ihre waschen oder bügeln sehen. Zu Hause war sie kaum, weil sie eigene. Es ist eine Geschichte, über die sie, auch unter ihrem ab Ende der Vierzigerjahre als Lungenfachärztin in Gesund- Mädchennamen, vor sieben Jahren ein nur wenig beachtetes heitsämtern in Oberbayern unterwegs war. Unter der Wo- Buch geschrieben hat. che haben wir eigentlich nur zusammen Abend gegessen. Diese Geschichte beginnt mit ihrer Mutter: Johanna Haarer, Dabei schreibt Ihre Mutter in »Die deutsche Mutter und geboren 1900, Lungenfachärztin, Nationalsozialistin, fünf- ihr erstes Kind«: »Die Mutterschaft und die Aufzucht ihrer fache Mutter. 1934 veröffentlichte sie einen Ratgeber für junge Kinder, dafür ist die Frau da.« Mütter: Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind. Ein Buch, das Aufzucht! Das ist ein Wort, das macht mich wahnsinnig. ein Bestseller wurde und als Schlüsselwerk gilt, wenn man die Hühner tut man aufziehen, aber doch nicht Kinder! Und Geschichte der Erziehung in Deutschland und ihre Besonder- was den Inhalt des Satzes angeht: Sie war keine Frau für heiten verstehen will. einen Haushalt mit fünf Kindern. Sie hatte als junge Frau Haarer klärt darin über Schwangerschaft und Entbindung sehr dafür gekämpft, Medizin studieren zu können. Als auf, beschreibt, wie man einen Säugling wickelt und ernährt. Hausfrau wäre sie nie zufrieden gewesen. Und sie propagiert eine strenge Erziehung des Kindes von An- Ihre Mutter musste ja nach dem Tod Ihres Vater berufstätig fang an. Mutter und Kind sollen direkt nach der Entbindung sein. Sie meinen, das war ihr ganz recht? getrennt werden, das Kind wird der Mutter im Wochenbett Ja. Zu meiner Einschulung zum Beispiel musste ich ganz »nur zum Stillen gereicht«. Nachts gelte: »Schreien lassen! Je- allein gehen. Ich hatte auch keine Schultüte dabei. Alle der Säugling soll von Anfang an nachts allein sein. (...) Nach anderen hatten Mütter und Schultüten. Aber man konnte wenigen Nächten (...) hat das Kind begriffen, daß ihm sein sich ja nicht freinehmen nur wegen eines Kindes! Dass das Schreien nichts nützt, und ist still.« Dies sei eine der »Kraft- Kind dann vielleicht unglücklich ist, spielte keine Rolle. proben« zwischen Mutter und Kind im ersten Lebensjahr, »sie Das fiel alles unter Verzärtelung. in der richtigen Weise zu bestehen, ist das Geheimnis aller Er- Zärtlichkeit, schreibt Ihre Mutter, »kann verderblich sein ziehung. (...) Auch das schreiende und widerstrebende Kind und muß auf Dauer verweichlichen. Eine gewisse Sparsam- muß tun, was die Mutter für nötig hält, und wird, falls es sich keit in diesen Dingen ist dem deutschen Menschen und weiterhin ungezogen aufführt, gewissermaßen ›kaltgestellt‹, in dem deutschen Kinde sicherlich angemessener.« Können einem Raum verbracht, wo es allein sein kann und so lange Sie sich an körperliche Zuwendung erinnern? nicht beachtet, bis es sein Verhalten ändert.« Mit ihrem Buch Nein. Nur einmal, so meine Erinnerung, hielt sie mich auf habe Haarer, so heute eine gängige Sichtweise vieler Autoren, dem Arm. Das war im Krieg während der Evakuierung, den perfekten, gehorsamen, gefühllosen Menschen für das na- ich muss so zwei Jahre alt gewesen sein. Unser Vater war tionalsozialistische System erziehen wollen. mit den Eltern meiner Mutter in München geblieben, er Johanna Haarer schrieb weitere Bücher (darunter ein national- war nicht eingezogen worden, weil er als Lungenfacharzt in sozialistisches, zutiefst antisemitisches Kinderbuch), aber kei- Oberbayern die Lungenversorgung aufbaute. Wir Kinder Porträt privat nes war so erfolgreich wie ihr erstes: Rund 600.000-mal ver- waren mit der Mutter in Haag in Oberbayern in einem kaufte sich Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind bis 1945, Gasthaus evakuiert. Als die Amerikaner anrückten, sollte das Buch wurde zum Standardwerk in den »Mütterschulen« meine Mutter mit ihnen reden, weil sie sehr gut Englisch
22 sprach. Und da nahm sie mich auf den Arm, weil sie wusste, gen. Das war natürlich unmöglich. Ich machte dann eine dass die Amerikaner kinderlieb sind. Buchhändlerlehre, das war wie eine Befreiung. Saßen Sie mal auf ihrem Schoß? Wie hat Ihre Mutter gelobt? Das gab es nicht. Mich nie. Da war ja nichts zu loben. Aber auch bei meinen Hielt die Fremdheit an, die Sie empfunden hatten, als Ihre Geschwistern habe ich da nichts mitbekommen. Alles, was Mutter wiederkam? lobenswert war, wurde als selbstverständlich erachtet. Wir hatten irgendwie keinen Kontakt. Ich wäre niemals Gab es Momente, in denen Sie sich Ihrer Mutter näher ge- mit Sorgen zu ihr gegangen. Da bin ich immer zu mei fühlt haben? ner nächstälteren Schwester, das war meine Hauptbezugs Wenn ich krank war. Ich hatte als Kind furchtbare Mittel person. Nur wenn irgendwas Ernsteres passiert war, habe ohrentzündungen, immer wieder. Wenn die Mutter vom ich mich an die Mutter gewendet. Dann fragte ich sie: »Ich Dienst kam, hat sie mir warmes Öl ins Ohr geträufelt. Da muss mit dir sprechen, wann hast du Zeit?« Und dann sagte ging es mir schlagartig besser. Ich fühlte mich sicher. Ich sie: »Morgen Nachmittag um drei.« durfte in ihrem Arbeitszimmer auf dem Diwan liegen und Sie mussten sich anmelden? schlafen, sie saß, wie immer, hinter ihrem Schreibtisch, war Ja. Bis dahin hatte ich natürlich keine Ruhe. Dann erschien aber sehr zugewandt und fragte: »Trudchen, brauchst du ich zum Termin in ihrem Arbeitszimmer. Sie saß hinter ih noch was? Soll ich dir noch was holen?« rem Schreibtisch, der war völlig überdimensioniert. Später Haben Sie das genossen? habe ich ihn immer »Hitlerschreibtisch« genannt. Ich kannte Sehr. von Fotos und Filmen diese Riesenräume, durch die man Sie sagen oft »die Mutter«, wenn Sie über Ihre Mutter re- ewig gehen musste, und dann saß dieser Wicht von Hitler den. Haben Sie und Ihre Geschwister sie als Kinder auch hinter einem Schreibtisch. Das war Einschüchterung, das schon so genannt? gehörte zur Machterhaltung. Und dieses Gefühl hatte ich Sie war immer »die Mutter«. Da war Abstand. Die Mutter vor diesem Schreibtisch. Ich habe nie in meinem Leben je war die oberste Instanz. Mama? Mutti? Ach, du lieber Gott, manden erlebt, der hinter einem solchen Schreibtisch saß. das war verpönt bei uns. Später, als sie alt war, habe ich aber Nur meine Mutter. Ich stand vor ihr wie vor einem Richter. oft Mütterchen zu ihr gesagt. Da war sie auch ein Mütter Nach welchen Prinzipien hat sie geurteilt? chen, gebeugt und hinfällig. Da hat sie mir leidgetan. Man musste Leistung bringen und sich anständig ver Die bekannteste Stelle aus »Die deutsche Mutter und ihr halten. Wir hatten zu parieren. Und wer nicht parierte, erstes Kind« lautet: »Versagt auch der Schnuller, dann, war ich. Ich hatte immer irgendwas ausgefressen, und ich liebe Mutter, werde hart! Fange nur ja nicht an, das Kind war eine totale Schulversagerin. Dabei wusste ich, dass ich aus dem Bett herauszunehmen, es zu tragen, zu wiegen, zu nicht blöd bin. Aber bei uns hieß es Leistung, Leistung, fahren oder es auf dem Schoß zu halten, es gar zu stillen. Leistung. Dieser Zwang hat mich abgeschreckt. Ich sehe Das Kind begreift unglaublich rasch, daß es nur zu schreien das noch vor mir: Nachmittags hockten meine Geschwister braucht, um eine mitleidige Seele herbeizurufen (...). Nach auf ihren Zimmern und büffelten, und in mir hat das einen kurzer Zeit fordert es diese Beschäftigung mit ihm als ein Widerstand ausgelöst. Recht, gibt keine Ruhe mehr, bis es wieder getragen, ge- Widerstand gegen das Lernen oder gegen Ihre Mutter? wiegt oder gefahren wird – und der kleine, aber unerbitt- Damit konnte ich die Mutter am meisten treffen. Das war liche Haustyrann ist fertig!« Haben Sie sich gefragt, ob Ihre es sicherlich. Die Mutter hat mir mit dem Internat gedroht. Mutter Sie selbst als Säugling auch so behandelt hat? Das Kind will nicht, das Kind sträubt sich – anstatt zu Ich gehe davon aus. Ich weiß, dass eine meiner Schwestern fragen: Was ist mit dem Kind? Vielleicht wäre ein Schul schwer getrotzt hat, und die Mutter hat rigoros versucht, wechsel gut? Es wurde kein Ausweg gesucht. In der sechsten sie zu erziehen. Meine Schwester ist dann trotzend im Bett Klasse bin ich sitzen geblieben, und dann sollte ich später stehen geblieben, bis sie eingeschlafen und umgefallen ist. noch mal durchfallen. Ich bin ohne mittlere Reife abgegan Warum hat die Mutter sie nicht trösten können? Das habe ich nie verstanden. Sie wollte den Willen des Kindes bre chen. Wenn ich daran denke, habe ich immer vor Augen, Gertrud Haarer, 1942 geboren, ist eines wie man einen biegsamen jungen Haselnussstecken ausein von fünf Kindern der Lungenfachärztin Johanna anderbricht, sodass die Enden in der Luft gesplittert sind. Zu was führt das denn? Haarer. Sie wuchs in München auf, wo sie Was glauben Sie? später als Buchhändlerin und Altenpflegerin Ich habe das Buch von Sigrid Chamberlain gelesen, die sich arbeitete. Heute lebt sie in Italien. Über das mit den Büchern meiner Mutter auseinandergesetzt hat ... ... es ist 1997 erschienen und heißt »Adolf Hitler, die deut- Leben ihrer Mutter und ihre eigene Kindheit sche Mutter und ihr erstes Kind«. veröffentlichte sie 2012 das Buch »Die deutsche Sie beschreibt, wie wichtig gerade diese ganz frühkindliche Mutter und ihr letztes Kind« (Offizin Verlag) Bindung ist. Wenn die zerstört wird, zerstört das natürlich
23 NEU: BUCHVERK AUF JETZT DAS GANZE WOCHENENDE! Themen Tiefgang Tacheles Am spannendsten Ort der Welt. Auf der Frankfurter Buchmesse. Jo Nesbø | Thomas Gottschalk | Ken Follett | Bela B. | Maja Lunde | Deniz Yücel | Nele Neuhaus | Ulrich Wickert | Colson Whitehead | Margaret Atwood | Axel Hacke | Sophie Passmann | Die Lochis | u.v.a.m. Publikumstage: 19. – 20. Oktober 2019 Öffnungszeiten: Samstag 9.00 – 18.30 Uhr Sonntag 9.00 – 17.30 Uhr #fbm19 A I R L I N E PA RT N E R : Inspiration. Jetzt Ticket kaufen: Auf der Messe und 365 Tage in der buchmesse.de/besuchen Buchhandlung. #BUCHMOMENT
25 auch in dem kleinen Menschen etwas. Und das trägt man und geschrieben hat, dazu fehlten ihr meiner Ansicht nach unter Umständen sein ganzes Leben mit sich rum. die psychologischen Kenntnisse. Chamberlain schreibt: »Etwas erstirbt in dem Säugling, und zwar nicht nur einzelne Fähigkeiten, sondern die Lebendig- Der Name Johanna Haarer steht bis heute für eine Erziehung, keit überhaupt, es findet hier wahrscheinlich das früheste die nationalsozialistischen Idealen entsprang. Haarers harsche und wirkungsvollste Aberziehen von Gefühlen statt.« Das Grundsätze waren 1934 allerdings nicht neu und weder auf den Kind lerne, »von klein auf sich betäuben zu müssen, eigene Nationalsozialismus noch auf Deutschland eingrenzbar, so die Gefühle und Empfindungen nicht wahrnehmen zu können«. Historikerin Miriam Gebhardt, die in ihrem Buch Die Angst Das stimmt. Ich habe mir mal bei einem Fahrradausflug mit vor dem kindlichen Tyrannen die Geschichte der Erziehung im meiner Schwester bei einem Sturz den Arm gebrochen. Wir 20. Jahrhundert erforscht hat. Standardwerke in der Weimarer sind aber weiter in ein Wäldchen gefahren, haben den Tag Republik propagierten ähnlich rigide Methoden. Auch in ande- dort verbracht, obwohl mein Arm dicker und dicker wurde, ren Ländern empfahlen Experten damals eine strenge, kontakt- zurück konnte ich nur mit einer Hand fahren. Wir sind arme Erziehung vom ersten Lebenstag an, so wie der Amerika- noch in der Leopoldstraße in eine Eisdiele gegangen. Der ner John B. Watson, Gründer des Behaviourismus, der empfahl, helle Wahnsinn. Aber typisch. Ich war sogar stolz darauf, Kinder nicht auf den Schoß zu nehmen oder zu küssen. dass ich die Schmerzen aushielt und hart im Nehmen war. Und doch gibt es eine deutsche Besonderheit: In der Nazi- Ihre Mutter empfahl, bei leichteren Stürzen ein Kind nicht Zeit blieben diese Konzepte kein Expertendiskurs, sondern ge- sofort in den Arm zu nehmen: »Hascht es nach Mitleid, will langten an die Basis, zu den Eltern. Vor allem durch Johanna es nicht aufstehen, so rufen wir seine Selbständigkeit förm- Haarers Bücher. Sie waren so ungeheuer populär, weil in ih- lich an: ›So ein großes Kind steht doch allein auf!‹« nen eine Mutter zu Müttern sprach. Weil in Deutschland die Einmal bin ich in unserem Garten schwer auf den Bo- Mütter womöglich empfänglicher waren für Haarers autoritäre den geklatscht. Ich bin auf allen vieren ins Wohnzimmer Bestimmtheit. Weil ihre Grundsätze so perfekt zur Nazi-Ideo- rein, schnappte nach Luft – und eine meiner Schwestern logie passten, die ihre Jugend hart wie Kruppstahl wünschte, sah mich und fing an zu lachen. Statt dass sie mir aufhilft! und weil die Nazis ihre Bücher in den Mütterschulen zum DieseLacherei war bei uns ganz typisch. Ich erinnere mich, Standardwerk machten. dass eines Nachmittags meine Mutter nach Hause kam, der Gertrud Haarers Kindheit war weder außergewöhnlich grau- Bleischutz vom Röntgenapparat war ihr aufs Bein geknallt, sam noch außergewöhnlich liebevoll. Vielleicht ist gerade diese und ihr Knie stand seltsam ab. Als sie in den Hausflur Erkenntnis so erschreckend: dass eine solche Kindheit, mit humpelte, fingen wir alle gleich an zu lachen. Das war so einem abwesenden Vater, einer harten Mutter, einer Erziehung eine Übersprungsreaktion, unsere Art, uns abzureagieren. ohne Zärtlichkeit, normal war. Und auch als die Nazi-Zeit ver- Wir hatten nicht gelernt, Anteilnahme zu zeigen. gangen war, wirkte diese Erziehung fort. Haarers Buch erschien Gab es überhaupt mal Tränen bei Ihnen zu Hause? schon 1949 in einer neuen Auflage. Mütter gaben das, was sie Daran kann ich mich nicht erinnern. Nur einmal habe ich gelernt hatten, an ihre Töchter weiter. Kinderschwestern, die die Mutter weinen sehen. Im Wohnzimmer stand ein Se- während des Nationalsozialismus ausgebildet wurden, waren kretär, und als Kind fand ich in einem Geheimfach einen noch lange im Dienst. Mittlerweile werden die Folgen dieser Brief auf Luftpostpapier. Als ich ihn meiner Mutter zeigte, Erziehung erkundet: In Selbsthilfegruppen, Symposien und ist sie in Tränen ausgebrochen. Das hat mich wahnsinnig Büchern suchen die Kriegskinder und Kriegsenkel danach, wie erschreckt. Sie sagte mir dann, dass es ein Brief unseres to- die Vergangenheit in ihrer Psyche fortwirkt. ten Vaters sei, den er ihr ins Lager geschickt habe. Wissen Sie, was darin stand? Seit einigen Jahren finden Kriegskinder in ihrer Familien- Nach Ihrem Tod habe ich ihn wiedergefunden im Akten- vergangenheit Gründe für psychische Probleme und Muster, schrank der Mutter. Ein Satz hat sich mir eingeprägt. Er die sich vererbt haben. Dabei geht es nicht nur um Kriegs- schreibt: »Es ist merkwürdig, wie kühl die Kinder deine traumata, sondern auch um die Beziehung von Eltern und Abwesenheit hinnehmen.« Kindern. Beziehungen, die vermutlich auch von den Grund- Viele Autoren, die sich mit den Büchern Ihrer Mutter sätzen geprägt wurden, die Ihre Mutter verbreitete. befassen, schreiben sinngemäß, das Ziel Ihrer Mutter sei Ich denke schon, dass meine Mutter viele Eltern beeinflusst gewesen, eine bindungsgestörte Jugend heranzuziehen, hat. In den Mütterschulen wurde das den Frauen ja einge- deren innere Leere durch Ideologie und Gruppenzuge- trichtert. Das finde ich ganz schrecklich. Ich hoffe immer, hörigkeit gefüllt werden kann. Mit anderen Worten: den dass bei vielen der gesunde Menschenverstand dazu geführt perfekten Menschen für ein totalitäres Regime wie den Na- hat, vieles nicht zu befolgen. tionalsozialismus zu schaffen. Woher, glauben Sie, kam die Härte Ihrer Mutter? Das ist jedenfalls bis zu einem gewissen Grad die Folge der Ich denke, von ihrer Mutter. Sie war enorm streng und un- Bücher meiner Mutter und dieser Art von Erziehung. Das nachsichtig. Ich kann sie mir nicht als liebevoll vorstellen. will ich gar nicht abstreiten. Aber dass sie das so dezidiert Ihre Großmutter hat Ihre Mutter auch als erwachsene Frau im Hinblick auf eine willenlose Anhängerschaft entworfen noch »Kind« genannt. Gertrud Haarer lebt seit 25 Jahren in Italien – in München war ihr die Vergangenheit ihrer Familie zu präsent
26 Meine Mutter hat immer danach getrachtet, Respekt von Trotzdem hat meine Mutter ihn sehr geliebt. Er hat sie ver- ihr zu bekommen. Aber sie blieb für sie das Kind. standen und gefördert. Als sie sagte, sie wolle studieren, war In Ihrem eigenen Buch, das Sie »Die deutsche Mutter und meine Großmutter strikt dagegen. Er hat sie unterstützt. ihr letztes Kind« genannt haben, haben Sie auch die auto- Ihre Mutter besuchte dann mit 16 in Deutschland ein In- biografischen Notizen veröffentlicht, die Ihre Mutter in ternat, um Abitur zu machen. den Jahren vor ihrem Tod verfasst hatte. Dort schreibt Ihre Das war 1916, mitten im Krieg, und sie bekam kein Visum Mutter, dass sie als Kind durch Liebesentzug bestraft wurde. für Deutschland. Sie hat sich dann tagelang in der Deut- Sie fand das furchtbar: »abgeschnitten von der eigenen Mut- schen Botschaft in Prag auf den Gang gesetzt, bis der Bot- ter, nichts konnte mich darüber hinwegtrösten«. Trotzdem schafter gefragt hat, was sie denn da wolle. So hat sie dann empfahl sie in ihren Büchern: »Die unerschütterliche Liebe doch das Visum gekriegt. Wenn sie sich etwas in den Kopf der Mutter sollte dem Kind nicht zu deutlich gezeigt wer- gesetzt hatte, hat sie das durchgedrückt. den, sondern man soll ihm vorübergehend das Wohlwollen Auf dem Internat in Thüringen war sie das einzige Mäd- entziehen, das bedeutet in vielen Fällen schon Strafe genug, chen unter 90 Jungen. Wie kam es dazu? das Kind sucht nach Versöhnung.« Warum gab Ihre Mutter Der Großvater hatte eine deutschnationale Schule für sie weiter, worunter sie selbst gelitten hatte? gesucht und ein reformpädagogisches Landerziehungsheim Das ist für mich das Erstaunliche. Söhne werden von ihrem gefunden, das keine Juden aufnahm. Es war aber eine reine Vater geschlagen und schlagen später selber. Das begreife Jungenschule. Der Direktor hat sich die Mutter angeschaut ich nicht. und gesagt: Das probieren wir. Sie haben selbst keine Kinder. Haben Sie Angst gehabt, die Ihre Mutter schreibt: »Ich war entschlossen, mich von die- Erziehung Ihrer Mutter zu wiederholen? ser geballten Männlichkeit nicht unterkriegen zu lassen.« Ja, das steckt ja in einem. Ich wusste nicht, wie das geht, Geholfen habe ihr, dass sie »absolut furchtlos« gewesen sei. eine vernünftige, liebevolle, nachsichtige Erziehung. Es ist Das stimmt. Das war sie auch. doch merkwürdig, dass von uns fünf Kindern nur zwei Sie musste unter anderem sechs Jahre Mathematik nach- selbst Kinder bekommen haben. holen, stand um vier Uhr morgens auf und lernte. Wie sah die Kindheit Ihrer Mutter aus? Das blieb so, auch später, wenn sie Bücher schrieb. Ich höre Sie ist in Bodenbach aufgewachsen, einer tschechischen die Schreibmaschine noch klappern. Sie brauchte nicht viel Kleinstadt an der Elbe, die damals zu Österreich-Ungarn Schlaf. Kalt duschen und los. Das war ihr innerer Motor. gehörte. Meine Großmutter war Tschechin, ein unehe- Sie hatte viel Ehrgeiz. Und sie hat das Abitur dort geschafft. liches Kind, das war damals eine unglaubliche Schande. Die Im Medizinstudium in München lernte Ihre Mutter ihren Mutter meiner Großmutter war von ihrem Vater halb tot- ersten Mann kennen. geschlagen worden, als der von der Schwangerschaft erfuhr. Das war eine sehr große Liebe. Aber er hat sie nach Strich Was wissen Sie über Ihren Großvater? und Faden betrogen. Als eine seiner Freundinnen schwan- Seine Eltern starben, als er zehn Jahre alt war. Er musste ger wurde, brach für meine Mutter eine Welt zusammen. das Gymnasium verlassen, wurde von seiner Schwester ge- Sie ließ sich scheiden, fühlte sich weggeworfen, geradezu trennt. In seiner Lehre musste er schwer tragen und be- vernichtet. kam einen Buckel. Er und meine Großmutter haben sich 1932 heiratet sie zum zweiten Mal, einen Kollegen aus dem geradezu gesucht, gefunden und geheiratet. Sie führten Krankenhaus, den Lungenfacharzt Otto Haarer. War auch gemeinsam einen Schreibwarenladen. Aufgrund seiner Be- das eine Liebesheirat? hinderung und schlechten Ausbildung hat sich mein Groß- Für ihn war es schon die große Liebe, denke ich. Für sie vater als Underdog gefühlt, einen starken Antisemitismus war es eher ein willkommener Anker. entwickelt und sich in den Alkohol geflüchtet. 1933 wurden die beiden ersten Kinder geboren, Zwillinge. Hatte Ihre Mutter Geschwister? »Beruf und Ehe und Kinder, wie ich doch hoffte, waren Einen zwei Jahre älteren Bruder. Er starb an Hirnhautent- damals üblicherweise nicht zu vereinbaren«, schreibt Ihre zündung, als meine Mutter acht Jahre alt war. Sie schreibt Mutter. Sie musste ihre Stellung als Ärztin aufgeben und darüber nur wenig und leidenschaftslos. Ich habe das Ge- wurde Hausfrau. Hat Sie auch aus dieser Enttäuschung fühl, das war keine enge geschwisterliche Bindung. Sein heraus angefangen, Bücher zu schreiben? Tod hat wohl aber in ihr den Wunsch aufkommen lassen, Ganz sicher war das ein Grund. Nur Hausfrau zu sein passte Medizin zu studieren. nicht zu ihr. Sie hat mir einmal erzählt, dass sie während ih- Sein Tod muss doch furchtbar für sie gewesen sein? rer ersten Schwangerschaft keinen Ratgeber gefunden hatte, Eigentlich ja, aber sie schreibt darüber ganz kühl. der ihre Fragen beantwortete. Also bot sie dem Völkischen Ihre Mutter beschreibt in ihren autobiografischen Noti- Beobachter eine Kolumne zur Säuglingspflege an. Die war zen, wie sie mit acht Jahren ihren Vater in Kneipen suchen dann so erfolgreich, dass daraus das erste Buch wurde. Porträt privat musste, »mit meinem schwankenden, nach Bier riechen- Wie sah das Leben Ihrer Eltern in den Dreißigerjahren aus? dem Vater an der Hand ging ich durch die Bodenbacher Nach der Geburt der Zwillinge sind die Eltern in das große Straßen und schämte mich grenzenlos«. Haus mit Garten in der Kaiserstraße in Schwabing gezo-
gen, in dem ich später aufgewachsen bin. Mein Vater hat als Oberarzt gut verdient, dazu kam das Geld von den Bü- chern meiner Mutter. Mein Vater hatte wohl einen Hang zum Luxus. Er hat Meissener Porzellan gekauft, was täg- lich benutzt wurde. Er hatte ein Pferd, ist im Englischen Garten ausgeritten, fuhr einen Mercedes. Er hat das Geld mit vollen Händen ausgegeben, meine Mutter musste ihn immer bremsen. Haben Sie selbst Erinnerungen an Ihren Vater? Nur eine. Da sehe ich mich auf seinen Schultern durch den Garten reiten. Aber ich weiß nicht, ob mir das nur erzählt wurde. Ich würde gern mehr über ihn wissen. Meine Mutter hat immer nur gesagt: Er war ein sehr weicher Mann. Ich denke, diese Einschätzung kommt von seinem Ende. Wann haben Ihre Eltern sich zum letzten Mal gesehen? Meine Mutter schreibt, dass er Ende Dezember 1945 im Wald vor dem Zaun des Lagers stand, in dem sie interniert war. Reden konnten sie nicht miteinander. Er habe geweint. Uns wurde immer suggeriert, dass er ein schwacher Mann war. Ja, soll der in der Situation etwa nicht weinen? Solche Dinge haben mich später sehr wütend gemacht. Sie war inhaftiert, keiner hat gewusst, ob sie wiederkommt. Und er allein mit den fünf Kindern und den Großeltern. Das hat er nicht gepackt. Wenn man in einer tiefen Depression ist, kann man keinerlei Initiative ergreifen, das kenne ich gut. »Nach meinem Tode ungeöffnet vernichten«: Drei dieser Vor Ostern 1946 verschwand Ihr Vater. Päckchen fand Gertrud Haarer nach dem Tod ihrer Mutter Er ist wohl tagelang durch die Gegend geirrt, und dann hat er sich in die Isar gestürzt, von der Brücke in Hohenschäft- larn, in der Nähe des Krankenhauses Harlaching, in dem Gertrud Haarer im Jahr 1948: Dass ihr Vater zwei Jahre meine Eltern sich kennengelernt haben. Er ist im Isarbett zuvor Selbstmord begangen hatte, wurde totgeschwiegen gefunden worden, einige Tage nach seinem Verschwinden. Wissen Sie noch, wie Sie von seinem Tod erfahren haben? Nein. Zur Beerdigung wurde ich nicht mitgenommen, ich war zu klein. Ich dachte lange, er sei im Krieg gefallen oder krank gewesen. Es gab ja viele, die vaterlos aufwuchsen da- mals. Ich kann mich nicht an einen Moment erinnern, in dem ich es erfahren hätte. Das ging irgendwie fließend. Haben Sie mit Ihren Geschwistern darüber gesprochen? Ich habe nicht danach gefragt, weil ich gespürt habe, dass das ein wunder Punkt ist. Ich erinnere mich nur, dass mein Bruder mir erzählt hat, dass er in den Tagen, als mein Vater vermisst war, unsere Straße runterrannte und vor unserem Haus eine Funkstreife stehen sah. Die brachte die nasse Aktentasche meines Vaters. Da war er 13. Waren Sie jemals wütend auf Ihren Vater, dass er Sie und Ihre Geschwister alleingelassen hat? Niemals. Er hat mein tiefstes Mitgefühl. Er hat sicher nicht gern seine Kinder im Stich gelassen. Er konnte nicht mehr. Und dass er von der Brücke springt – als Arzt hätte er sich doch irgendwas spritzen oder Tabletten nehmen können. Wie verzweifelt muss man sein, dass man so was macht? Im Wohnzimmer Ihrer Eltern hing ein Gemälde von Hitler, am »besten Platz«, wie Ihre Mutter schreibt. Nach Kriegs ende verbrannte Ihr Vater es, ebenso eine Ausgabe von »Mein Kampf«, weil er Angst davor hatte, verhaftet zu werden.
28 Meine Großmutter erzählte, dass er jedes Mal, wenn es wusste ich nicht. Erst in der Oberschule haben wir Filme klingelte, hochgeschreckt ist, weil er dachte: Jetzt holen sie über Auschwitz gesehen. Danach war ich fertig. Aber mir mich auch. Sie fand es wohl feige, dass ein Mann sich so war klar, dass ich darüber zu Hause nicht sprechen kann. fürchtete. Sie ahnten, dass das Schweigen zu Hause etwas damit zu Über das Verbrennen des Bilds schreibt Ihre Mutter in einer tun haben musste? der wenigen Äußerungen über Ihren Vater: »Ich fand es ver- Ja, ich wusste instinktiv, das geht nicht. ächtlich und lächerlich, seine Gesinnung zu verleugnen.« Der Inhalt der Bücher Ihrer Mutter war nie Thema gewesen? Das ist ungeheuerlich. Seine Ängste waren ja wohl berech- Nein. Wenn eine neue Auflage von Die Mutter und ihr ers- tigt. Ich glaube, meine Mutter hat seinen Selbstmord als tes Kind rauskam, wurde das zwar immer ein bissl gefeiert. Verrat empfunden. An ihr und an uns Kindern. Sie hat es Welche Auswirkungen das Buch gehabt hatte, wurde mir nie gesagt. Aber das glaube ich. aber erst später klar, als ich als Buchhändlerin gearbeitet Die autobiografischen Notizen Ihrer Mutter enden mit der habe. Da konnte ich Auflagenhöhen einordnen und ver- Heirat 1932. Außerdem schrieb sie einen Bericht über die stand, was das für ein Riesenerfolg war. Monate ihrer Internierung, der 1945 beginnt. Über die Haben Sie in Ihrem Laden das Buch Ihrer Mutter verkauft? zwölf Jahre Nationalsozialismus, die Zeit ihres großen Er- Nein, ich habe es nicht im Sortiment gehabt. Und meine folgs, schreibt sie nichts. Mutter wusste, dass ich nichts damit zu tun haben wollte. Merkwürdig, nicht? Über diese Zeit verliert sie kein Wort. Viele Kinder Ihrer Generation haben die Auseinanderset- Der Sache kann sie sich nicht stellen. zung mit der Rolle ihrer Eltern in der Nazi-Zeit gemieden, weil sie ihre Eltern unbewusst schützen wollten. Sie auch? Johanna Haarer war überzeugte Nationalsozialistin. Von 1936 Das war sicher mit ein Grund. Aber sie war für mich auch bis 1938 war sie, deren Mutter Tschechin war, Rassenpoliti- einfach zu sehr Respektsperson. Ich habe mich das nicht sche Beauftragte der NS-Frauenschaft in München, ab 1937 getraut. Noch als junge Frau bin ich, wenn man meine Mitglied in der NSDAP. Im Vorwort zur Ausgabe von 1940 Mutter angegriffen hat, sogar sofort auf die Barrikaden, ihres Erziehungsratgebers schreibt sie unter dem Titel »An ich habe sie verteidigt bis aufs Messer. Das war ganz merk- die deutsche Frau!«: »Wir erleben heute einen groß angeleg- würdig. Ich konnte das einfach nicht ertragen. ten Feldzug unserer Staatsführung mit, in dem das gesunde Wie erklären Sie sich das heute? Erbgut und das rassisch wertvolle zäh verteidigt werden gegen Sie war trotz allem mein Anker. Meine oberste Instanz. alles Krankhafte und Niedergehende ...«, sie lobt ausdrücklich Als Kind ist das nachvollziehbar. Aber als erwachsene Frau? die rassistischen und antisemitischen Nürnberger Gesetze, Damals hatte ich mich noch nicht richtig mit ihren Bü- plädiert für die Vier-Kinder-Ehe, um der »riesenhaften Ge- chern beschäftigt. Das alles war in der hintersten Schub- fahr des Volkstods« entgegenzuwirken. Stillen hält sie für eine lade in meinem Kopf. Weil ich es nicht sehen wollte. Ich »rassische Pflicht«. wollte eine unantastbare Mutter. Und zugleich wusste ich, Nach dem großen Erfolg ihres ersten Buchs schreibt sie wei- dass das nicht geht. Später allerdings hatte ich schwere tere Ratgeber, 1939 schließlich ein Vorlesebuch für Kinder, Auseinandersetzungen mit ihr. es heißt Mutter, erzähl von Adolf Hitler. Darin erzählt eine Wie liefen die ab? Mutter ihren kleinen Kindern die Aufstiegsgeschichte der Na- Sie hat alle Kräfte mobilisiert, um sich zu verteidigen. tionalsozialisten. Ein Buch, das Adolf Hitler verherrlicht, den Einmal, da war sie schon sehr alt, ging es um eine meiner Märtyrertod für das Vaterland idealisiert und vor allem zu- Schwestern, die schwer krank war. Da habe ich die Mutter tiefst antisemitisch ist. Juden »schleichen wie Katzen, sodass gefragt: Was hättest du denn gemacht, wenn deine eigene die Hunde anschlagen«, »der Jude« soll fortgejagt werden, »er Tochter »lebensunwertes« Leben gewesen wäre? Da ging es ist uns fremd. Er geht uns nichts an und hat uns immer nur natürlich los. Das sei doch etwas ganz anderes! Und ich: schaden wollen.« »Gott«, so endet das Buch, »hat uns einen Das ist überhaupt nix anderes! Ich sagte ihr, dass ich nicht Führer geschickt, wie die Welt ihn noch nicht gesehen hat. verstehen könne, wie man heute, wo man das Ausmaß der Ihm wollen wir glauben, ihm vertrauen, ihm folgen, wohin er Nazi-Verbrechen kennt, die damalige Zeit noch verteidigen uns führt, jetzt und immerdar.« könne. Da hat sie sich das Hörgerät aus dem Ohr gerissen und geschrien: »Dann war mein ganzes Leben umsonst!« Wann sind Sie zum ersten Mal mit der nationalsozialistischen Und ist in Tränen ausgebrochen und ins Bett gegangen. Ich Vergangenheit Ihrer Mutter konfrontiert worden? bin ihr nicht nach. Das konnte ich nicht. In der Oberschule, da war ich ungefähr 14 Jahre alt. Da Was meinte sie mit »Dann ist mein ganzes Leben umsonst«? hat ein Lehrer sinngemäß gesagt, ich mit meiner Mutter Hatte sie das Gefühl, dass sie, wenn sie die Bücher im Nach- solle mal ganz still sein, was die alles verbrochen habe. Ich hinein entwertet, ihr ganzes Leben entwertet? wusste gar nicht, wovon der spricht. Das war die große Krux, meiner Meinung nach: Dass sie Haben Sie daraufhin mit Ihrer Mutter geredet? den großen Fehler ihres Lebens nicht zugeben konnte. Nein. Sie hat zwar nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie Schon gar nicht vor uns Kindern, weil sie sich vor einer Nationalsozialistin gewesen ist. Aber was das bedeutete, das Verurteilung fürchtete. Und ich habe sie ja auch verurteilt.
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