Der NORDIRLAND-Konf likt: Eine Fotodokumentation, S. 46 19.9.2019 - Magazinos.com

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Der NOR DIR LA N D-Konf likt: Eine Fotodokumentation, S. 46

N 0 39                                                                 19.9.2019

                            »MUTTER«
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Die P L A N E T E N und ich, S. 32

   E in Gespräch mit der jüngsten Tochter
der NS-E rziehungsratgeberin Johanna Haarer
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Glicine

Nomos
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19.9.19 N 39                 0                          8    Martenstein
                                                                                                                                                 über Knabenchöre

                                                                                                                                            10   Heiter bis glücklich
                                                                                                                                                 Ganz viel Buntes, ein Blazer und
                                                                                                                                                 Eigelb auf dem Teller
Haben Sie auch eine Frage an Janosch? Schreiben Sie an janosch@zeit.de

                                                                                                                                            12   Wochenmarkt
                                                                                                                                                 Gern mal was anbrennen lassen:
                                                                                                                                                 Ein Dip aus gerösteten Zwiebeln

                                                                                                                                            14   Deutschlandkarte
                                                                                                                                                 Wo die Theaterintendanten
                                                                                                                                                 herkommen

                                                                                                                                            15   Gesellschaftskritik
                                                                                                                                                 Jonathan Safran Foer will kein
                                                                                                                                                 Vegetarier-Vorbild mehr sein

                                                                                                                                            16   Fotokolumne
                                                                                                                                                 Wer bist du? Folge 39

                                                                                                                                            18   Titelgeschichte
                                                                                                                                                 Wie sich die Tochter einer
                                                                                                                                                 überzeugten Nationalsozialistin
                                                                                                                                                 ihrer Geschichte stellt

                                                                               HERR JANOSCH, WAS MACHT MAN,                                 32   Zu den Sternen!
                                                                            WENN DER PARTNER IM BETT SCHNARCHT ?                                 Unser Autor macht sich auf,
                                                                                                                                                 die Planeten zu erkunden

                                                                               » Mit ihm zusammen so lange sozusagen in einem               44   Ich habe einen Traum
                                                                         Wettkampf schnarchen, bis er entweder selbst nicht mehr schlafen        Die Schauspielerin Andie
                                                                                 kann oder eben beide schnarchend schlafen.«                     MacDowell träumt von Häusern

                                                                                                                                            46   Irisches Tagebuch
                                                                                                                                                 Bilder, die der Fotograf Gilles
                                                                                                                                                 Peress in Nordirland machte

                                                                                                                                            62   Stil
                                                                                                                                                 Der Designer Alber Elbaz und
                                                                                                                                                 ein besonderer Schuh

                                                                                                                                            63   Unter Strom
                                                                                                                                                 Endlich ein Mittel gegen
                                                                                                                                                 juckende Mückenstiche
Titelfotos  Tanja Kernweiss      Titel 1  privat [M]

                                                                                                                                            65   Eine Frage der Liebe
                                                                                                                                                 Wer von beiden setzt die
                                                                                                                                                 Beziehung aufs Spiel?

                                                                                                                                            69   Prüfers Töchter
                                                                                                                                                 Wenn der Papa peinlich wird

                                                                                                                                            70   Rettung
                                                                         Diese Woche in der Tablet- und Smartphone-App »DIE ZEIT«:               Die Politikerin Jutta Ditfurth
                                                                          Szenen aus dem Film »Ready or Not« mit Andie MacDowell                 über ihre adelige Familie
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                                    Harald Martenstein
     Über Knabenchöre, Meerschweinchen im Hasenstall und soziale
           Bewegungen, die man vor sich selbst schützen muss

Fast alle Zeitungen brachten die Nachricht, dass ein Mädchen unbe­          kischen Kultur, aber die wunderbare Dolly Parton würde so etwas
dingt in einen Berliner Knabenchor aufgenommen werden wollte.               Gemeines sicher nie tun.
Vielleicht handelte es sich auch um einen Wunsch der Eltern und             Ich bin übrigens auch dagegen, dass der YouTuber Rezo als Kan­
nicht so sehr des Mädchens selbst. Die Eltern klagten jedenfalls, ein       didatin bei Germany’s Next Topmodel mitmachen darf oder Dieter
Gericht lehnte das Ansinnen ab.                                             Bohlen, falls er mal zufällig Single ist, bei Bauer sucht Frau. Er ist
Aber das ist doch sowieso ein unmöglicher, sinnloser Wunsch! Ge­            nun mal kein Bauer. Ich lehne also auch männliche Privilegien ab.
nauso gut könnten die Eltern vor Gericht verlangen, dass ihrer Toch­        Wenn aber tatsächlich die Donkosaken ihren Chor dichtmachen
ter Engelsflügel wachsen oder, damit es nicht wieder das weibliche          müssen, dann würde ich denen raten, sich in die Frauencafés hinein­
Klischee erfüllt, ein Vollbart. Kein irdischer Richter kann Unmög­          zuklagen. Da dürfen keine Männer hinein, bei uns um die Ecke ist
liches anordnen. Ab dem Moment, in dem ein Mädchen Mitglied                 eines. Die Frauen möchten unter sich sein – was ist schon dabei?
eines Knabenchores wird, handelt es sich nämlich logischerweise             Wenn dann aber die heimatlos gewordenen Kosaken, gleiches Recht
um keinen Knabenchor mehr, sondern um einen gemischten Chor.                für alle, in das Frauencafé hineingehen, sich breitbeinig hinhocken
Ein Knabenchor mit Mädchen darin wäre das Gleiche wie ein                   und mit ihren Bässen auf männlich-dominante Art Schwarze Augen
Hasen­stall mit Meerschweinchen darin. Das wäre dann halt kein              und Moskauer Nächte singen, dann ist das bestimmt nicht gut für
Hasenstall mehr, sondern ein Kleintierstall. Mit diesem Beispiel will       das Feeling im Frauencafé. Ich will doch nur das Beste für alle.
ich jetzt aber nicht die Meerschweinchen herabsetzen, das sage ich          Außerdem wird gefordert, nicht nur in den USA, dass Fußballerinnen­
hiermit ganz klar. Die Eltern verlangten also erstens etwas logisch         die gleichen hohen Gagen kriegen wie die männlichen Stars. Manch­
Unmögliches. Sie träumen einen unmöglichen Traum. Zweitens                  mal muss man soziale Bewegungen vor ihren eigenen Forderungen
wollten sie etwas erstreiten, was sie auch ohne Prozess überall be­         in Schutz nehmen. Weil es bei den Frauen viel weniger Zuschauer
kommen können. Gemischte Chöre gibt es ja zuhauf.                           gibt – keine Ahnung, wieso –, würden alle Frauenclubs wegen dieser
Letzten Endes liefe es darauf hinaus, dass es keine Knabenchöre             Gagen sofort pleitegehen, zumindest hierzulande. Klar, in Deutsch­
mehr gibt. Ich möchte aber gern in einer bunten und vielfältigen            land könnte man einen Frauenfußball-Solidaritätsbeitrag ein­führen.
Gesellschaft leben, mit Chören jedweder Art. Nehmen Sie als Bei­            Ich würde das gern zahlen, aber wer sonst? Kürzlich hatte ich übri­
spiel die Donkosaken. Das war ursprünglich ein Chor mit lauter              gens die Idee, dass man im Wetterbericht auch die Shit­stürme er­
Kosaken vom Don. Ich glaube, jetzt nehmen sie, aus Kosaken­                 wähnt, also: Boris Palmer hat gerade wieder einen, bei Julia Klöck­
mangel, auch andere, aber die müssen zumindest kosakisch klingen            ner zieht er ab, bei AKK baut sich wieder was auf, aus diesem und
und Männer sein. Wenn sich Dolly Parton bei den Donkosaken                  jenem Grund. Da wäre ich natürlich dafür, dass alle Shitstürme ab­
hineinklagen könnte, dann wäre dies wohl das Ende der kosa­                 wechselnd männliche und weibliche Namen kriegen.

Harald Martenstein                                                          Illustration Martin Fengel
ist Redakteur des »Tagesspiegels«                                           Zu hören unter www.zeit.de/audio
Der NORDIRLAND-Konf likt: Eine Fotodokumentation, S. 46 19.9.2019 - Magazinos.com
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Der NORDIRLAND-Konf likt: Eine Fotodokumentation, S. 46 19.9.2019 - Magazinos.com
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                                                     Unsere
                                                  Entdeckungen
                                                   der Woche
                                                                                      Die britische Künstlerin Alexandra Daisy
                                                                                       Ginsberg beschäftigt sich mit der Frage,
                                                                                        wie synthetische Organismen helfen
  Man spielt nicht mit Essen, aber das                                                können, die Natur zu retten. Ihre Bilder
     Auge isst mit – deshalb erklären                                                sind im Vitra Design Museum in Weil am
 Gourmet­köche in dem Buch »Story on                                                    Rhein zu sehen (bis 24. November)
  a Plate«, wie man etwa dieses Eigelb
kunstvoll auf den Teller bringt (Gestalten)

                                                 Heiter
                                                   bis

                                                                                                                                  Fotos  Signe Birk / Story on a plate; Alexander Gowers; Gregoire Alexandre / Because Music; Keneth Ize; Ettore Palmiotta; Craig & Karl / Taschen
                                                glücklich
 »Metronomy Forever«, das neue Album
     der Band Metronomy, klingt so
 hibbelig wie ein Flummi, der sich in die
             Disco verirrt hat
                                                                                      Ausgewählte Entwürfe der Finalisten
                                                                                      des diesjährigen LVMH-Prize-Mode­
                                                                                     wettbewerbs bekommt man auf 24s.com
                                                                                       – etwa diesen laubbunten Blazer des
                                                                                      nigerianischen Designers Kenneth Ize

                                                                                       »Keiner hat so eine krasse Energie wie
                                                                                               diese alten Männer«

                                                In dem Bildband »The Illustrator«      Der Dokumentarfilm »Wer vier sind«
                                                       kann man sich in der            geht dem Geheimnis der Stuttgarter
                                                 kaugummibunten Welt der 100            Hip-Hop-Band Die Fantastischen
        So sieht das also aus, wenn             besten Illustratoren der Gegenwart      Vier auf den Grund, die auch nach
   sich ein Beistelltisch Ringelstrümpfe          verlieren. Dieses Bild stammt       über 30 Jahren immer noch zusammen
          überzieht (marktex.de)              von dem Duo Craig & Karl (Taschen)             Musik machen (im Kino)

                                                    Von Claire Beermann
TAG HEUER CARRERA CALIBRE HEUER 02
Mats Hummels gehört zu den besten Innenverteidigern der Bundesliga. Technisch
und taktisch ein Ausnahmetalent, setzt er wie TAG Heuer neue Maßstäbe und hält
getreu dem Motto „Don’t Crack Under Pressure“ jedem Druck stand.
Wochenmarkt                                                           12                        EIN ZITRONIGER ZWIEBEL-DIP

                                                  Dip aus gerösteten Zwiebeln
                      500 g Zwiebeln, etwas Olivenöl, 100 g Frischkäse, 100 g Sauerrahm, 1 EL Zitronensaft,
                                 1 TL Abrieb von der Zitrone, 1 Msp. Chilipulver, Salz , Pfeffer

Nehmen Sie eine Tüte Zwiebelsuppe, und verrühren Sie das Pulver            Meinung nach ein Hochgenuss, vor allem wenn das Verbrannte auf
mit etwas Crème fraîche, fertig ist der Zwiebeldip. Kleiner Scherz.        den unschuldig frischen Sauerrahm trifft. Man kann den Dip zu
Würde ich niemals tun. Hier im Wochenmarkt ist natürlich noch              Chips essen, was sehr intensiv schmeckt. Besonders gut passt er zu
alles handgemacht und saisonal. Also muss man erst mal ein halbes          Karotten, Stangensellerie, Paprika oder einfach zu Brot.
Kilo Zwiebeln schälen und vierteln, wahrscheinlich leider tränen-          Zwiebeln schälen, vierteln, mit etwas Olivenöl einölen. Im Ofen
überströmt. Aber das war es dann eigentlich auch. Denn für dieses          bei 200 Grad Ober-/Unterhitze 60 Minuten lang backen. Danach
Rezept werden die Zwiebeln nicht in der Pfanne langsam mit viel            Zwiebeln mit dem Pürierstab pürieren, mit Frischkäse, Sauerrahm,
Herumrühren gegart, bis sie weich sind. Nein, sie werden im Ofen           Zitronensaft, Zitronenabrieb, Chili, Pfeffer und Salz vermengen.
gebacken. Das dauert lange, nämlich eine Stunde. Dafür geht das            Dann abschmecken. An dieser Stelle können Sie überlegen, ob Sie
wie von selbst, man wendet sie nur ab und zu.                              noch 2 TL Worcestersoße hinzufügen. Wenn Sie keine besitzen und
Ich habe überlegt, ob ich das Rezept »Dip aus verbrannten Zwie-            womöglich auch noch nie davon gehört haben, vergessen Sie, was
beln« nennen soll, aber ich ahne, dass es einige abschrecken würde.        ich gesagt habe. Ich will Sie nicht auf falsche Gedanken bringen.
Es hilft allerdings auch nicht, es zu verschweigen: Die Zwiebeln           Dies ist, wie gesagt, eine seriöse Kochkolumne. Mit Fertigsoßen
haben schwarze Stellen, wenn sie aus dem Ofen kommen. Meiner               haben wir hier nichts zu tun.

Von Elisabeth Raether                                                      Foto Silvio Knezevic
Deutschlandkarte                                                            14                                    THEATERINTENDANTEN

                                                     Joachim Lux    Karin Beier
                                                     Thalia Theater Deutsches Schauspielhaus
                                     Michael Börgerding                     Hamburg
                                     Theater Bremen                                          Schwerin
 Johan SimonsJohan Simons                                                                                                Klaus Dörr
 Schauspielhaus Bochum
             Schauspielhaus Bochum                                                                                       Volksbühne
                                        Lohne                               Andreas Döring
                       Michael Heicks
 Wilfried Schulz       Bühnen und Orchester                                 Schlosstheater                               Ulrich Khuon
 Düsseldorfer                                                                                   Falkensee         Berlin Deutsches Theater
                       der Stadt Bielefeld                                  Celle
 Schauspielhaus
                                                                            Sonja Anders                                 Shermin Langhoff
 Heerjansdam       Kranenburg     Münster                                   Staatstheater Hannover                       Maxim Gorki Theater
                                                                            Hannover
                                        Castrop-
                                Mülheim Rauxel
                    Duisburg                                                                                     Lutz Hillmann
                                                                                                                 Deutsch-Sorbisches
                                                                                                                 Volkstheater Bautzen

 Michael Grosse
 Theater Krefeld                    Düsseldorf
 Mönchengladbach                                                                                                 Bischofswerda                     Bursa
                                                                                                 Enrico Lübbe Joachim Klement
                                        Köln Bad                                                 Schauspiel   Sächsische Staatstheater
                                             Honnef Ehringshausen                                Leipzig      Dresden
 Stefan Bachmann
 Bühnen Köln
 Markus A. Müller                    Bonn
 Staatstheater Mainz
 Anselm Weber
 Städtische Bühnen Frankfurt
 Marc Stefan Sickel                                                                           Jens-Daniel Herzog
 Nationaltheater Mannheim                                                                     Staatstheater Nürnberg
                                     Neustadt
 Holger Schultze, Theater
 und Orchester Heidelberg
                                                                                              Knut Weber
 Peter Spuhler                                                                                Stadttheater Ingolstadt
 Badisches Staatstheater
 Karlsruhe                                                                                                   Andreas Beck
                                                                                                             Bayerisches Staatsschauspiel
 Axel Vornam                                                     Stuttgart
 Theater Heilbronn                                                                                       Matthias Lilienthal
                                                           Marc-Oliver Hendriks
                                                           Staatstheater Stuttgart               München Münchner Kammerspiele
                                                                                                            Christian Stückl
                                                                                                            Münchner Volkstheater

                                                                                                                                                            Quelle  Deutscher Bühnenverein, Theaterstatistik 2016/17 und eigene Recherchen
                                                                       Kempten     Oberammergau
                                                          Christoph Nix
                                                          Theater Konstanz
                                                 Zürich
                                                                                  Woher stammen die Theaterintendanten? Arbeitsort (rosa)
                                                                                  und Geburtsort (blau) der Intendanten der 30 beliebtesten Theater
                                                                                  (nur öffentlich geförderte; die Beliebtheit ist gemessen an den
                                                                                  Zuschauerzahlen von Schauspiel-Inszenierungen der Saison 2016/17)

Mögen die Leiter von Deutschlands städtischen und staatlichen Büh-                ßes Pflaster, was die Debatten angeht: Nachdem Chris Dercon 2017
nen noch so unterschiedlich sein, eins haben sie fast alle gemeinsam:             den Volksbühnen-Chef Frank Castorf ablöste, kritisierte man, dass
Sie kommen von weit her. Von den Intendanten der 30 populärsten                   ein Fachfremder aus London importiert wurde. Seit Dercons Rück-
Theater kann einzig Lutz Hillmann entspannt in seine alte Heimat                  tritt ein Jahr später leitet Klaus Dörr interimsmäßig die Geschäfte, er
reisen – 20 Kilometer sind es von Bautzen nach Bischofswerda. Sher-               stammt aus Neustadt an der Weinstraße. Ab 2021 soll René Pollesch
min Langhoff lebt sogar fast 2500 Kilometer von ihrem Geburtsort                  übernehmen, aus Friedberg in Hessen. Die Berliner Stücke fanden
entfernt, dem türkischen Bursa. Langhoff ist eine von vier Intendan-              beim Publikum 2016/2017 vergleichsweise wenig Zuspruch: Bei den
tinnen auf der Karte. Darauf sind so viele Frauen wie gebürtige Berli-            Zuschauerzahlen führen die Sächsischen Staatstheater, das Hambur-
ner verzeichnet, die die meisten Intendanten stellen. Berlin ist ein hei-         ger Schauspielhaus und die Bayerischen Staatstheater.

Von Johannes Palm                                                                 Illustration 1kilo
EIN MAGAZIN
                                                     Gesellschaftskritik                      ÜBER WIDERSPRÜCHE

                                                                                                                                        (NICHT) NUR
                                                                                                                                        FÜR MÄNNER!
                                                                                                     Ja, wie jetzt?
                                                                                            Der Autor Jonathan Safran Foer,
                                                                                                 Held der Vegetarier,
                                                                                              mag plötzlich doch Fleisch

                                              Der New Yorker Autor Jonathan Safran         ist seine Aufmerksamkeitsspanne,­die der
                                              Foer hat ein neues Buch geschrieben.         eines Eichhörnchens gleicht.
                                              Es heißt Wir sind das Klima!, und es         Platz zwei: Bas Kast, Bekenntnisse eines
                                               geht um sein eigenes inkonsequentes         Sugardaddys. Claim: Ja, Bas Kast hat
                                               Verhalten im Angesicht der Klimakrise.­     einen Millionenseller über sein Leben
                                               Manchmal, so gesteht er in seinem           mit der Essenz der Essenz aus 330 Diä-
                                               Buch, esse er sogar heimlich Fleisch.       ten und Ernährungsstudien geschrieben
                                               Das ist deshalb bemerkenswert, weil der     (ausgewogen essen; kein Fast Food). In
                                               Autor vor ein paar Jahren mit seinem        diesem Buch stellt er sich der Tatsache,              JETZT
                                               Buch Tiere essen zu einem der Helden
                                              der Vegetarier-Bewegung wurde. Jetzt
                                                                                           dass er sich immer öfter nachts vor sei-
                                                                                           nem Kühlschrank wiederfand, in der
                                                                                                                                                AM KIOSK
                                              erfahren wir aus einem Interview im          Hand eine Tiefkühlpizza und das neue
                                              Spiegel: Es gebe »wohl kaum jemanden,        Ben & Jerry’s »Topped Love is ...« mit
                                              der ein noch stärkeres Verlangen« nach       Erdbeerherzen drin. Natürlich ist ihm
                                              F. habe, »irre peinlich« sei ihm das. Aber   das peinlich. Aber er weiß auch: Nur
                                              genau das, so Foer, sei ja das Interessan-   wer sein Verhalten radikal akzeptiert,
                                              te: Wie damit umgehen, dass man weiß,        hat eine Chance, es zu verändern.            Entdecken Sie jetzt das neue
                                              was das Richtige wäre, aber es nicht         Platz drei: Marie Kondo, Chaostheorie.       Männermagazin der ZEIT!
                                              schafft, das Richtige zu tun?                Claim: Yep, Marie Kondo hat einen            Starke Charaktere berichten
                                              Das ist weise, finden wir. Und clever.       Weltbestseller geschrieben, in welchem       von den Entscheidungen ihres
                                              Weil: Warum noch mal über dasselbe           sie das Aufräumen zum Zen erhebt. Was
                                                                                                                                        Lebens und der Suche nach
                                              Thema ein Buch schreiben, wenn doch          kaum jemand weiß (außer ihrem Mann
                                              die Gegenthese zum vorherigen Buch           und ihren 13 Siamkatzen): Während die        dem persönlichen Glück.
                                              jetzt garantiert viel mehr Aufmerksam-       Welt immer aufgeräumter wurde, ver-
                                              keit bekommt?                                sank das Leben der Autorin im Chaos.
                                                                                                                                           www.zeitmagazin.de/mann
Foto  Daniele Venturelli / Getty Images [M]

                                              Wir haben uns mal vorgestellt, wie die       Bis sie eines Tages über Berge von unge-
                                              Bestsellerliste 2021 aussehen könnte.        öffneten Verlagsabrechnungen, Dollar-
                                              Platz eins: Peter Wohlleben, Das geheime­    scheinen und alten Ben-&-Jerry’s-Eis-
                                               Leben von mir selbst. Claim: Ja, der        bechern stieg, um in eines ihrer vier mit
                                              ­deutsche Oberförster streift gerne durch    Katzenhaaren beklebten MacBooks den
                                               den Wald. Genauer: streifte gerne durch     Satz zu tippen, von dem sie nun hofft,
                                               den Wald. Noch lieber klebt er an seinem    dass er der erste Schritt zu ihrer Heilung
                                               Smartphone – und alles, was ihn noch        sein wird: Mein Name ist Marie Kondo,
                                               mit seinem früheren Leben ver­bindet,       und ich bin Messie.

                                              Von Heike Faller
Florian Jaenicke                                           16                                       WER BIST DU? (39)

                                                     Ein Tag am Meer

          Der Fotograf Florian Jaenicke, 50, macht Bilder von seinem Sohn Friedrich, um ihn besser zu verstehen.
                             Friedrich ist seit seiner Geburt 2005 mehrfach schwerstbehindert
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     Yoshi Hamburg               Fette Kuh Köln                Chutnify Berlin                                            Takumi Düsseldorf

                                                                                                                          Brian’s Steak & Lobster Hamburg

    Es geht um das Besondere. Um
    Leidenschaft, Hingabe und Tradition.
    Um Gerichte, die Maßstäbe setzen.
    Zu erleben, zu sehen und zu
    erschmecken beim »The Original
    Way – Coke Food Festival«.

    Originell genießen,
    Originale schmecken
    Nichts ist so gut wie das Origi-        September in der XPOST in            Coke Food Festivals« auch ein     ganze Welt führte. Nun gehen
    nal. Sei es bei Filmen oder bei         Köln und am 7. und 8. Septem-        tolles Programm mit zum Bei-      sie auf Tour. Zudem veröffent-
    Musik, bei Kunstwerken oder in          ber in der Alten Münze in Berlin     spiel Koch-Workshops, bei de-     licht das Unternehmen auf You-
    der Mode, geschweige denn bei           – servieren einige der besten        nen die Restaurantchefs und       Tube sowie seinen Social Media
    Stars und ihren Doppelgängern.          Chefköche Deutschlands ihre          Köche einen Blick hinter die      Kanälen sechs weitere Episo-
    Das Original hat Maßstäbe ge-           signature dishes – welche, die       Kulissen gewähren, ihre ganz      den von »The Original Way«.
    setzt, die für Qualität stehen.         keinen Trends folgen, sondern        persönliche Geschichte und        Porträtiert werden wieder aus-
    Für ein ganz besonderes Erleb-          Originale sind. Leckere Masala       Philosophie erzählen und so die   g ewä h lte Re s t a u ra nt s in
    nis, das beeindruckt, das gefällt.      Dosas zum Beispiel kommen            Möglichkeit bieten, die Tradi-    Deutschland, die Klassiker ori-
    Das gilt auch für originale kuli-       von Aparna Aurora, Chefin des        tion verschiedenster Gerichte     ginal servieren. Außerdem wird
    narische Köstlichkeiten. Ob die         indischen Restaurants »Chut-         zu erfahren, zu erleben – zu      rund um den Globus nach den
    Neapolitanische Pizza aus Itali-        nify« in Berlin, handgemachte        erschmecken.                      Ursprüngen großartiger Ge-
    en, Miso-Ramen aus Japan oder           Burger mit Fleisch von nieder-                                         richte gesucht, die in emotiona-
                                                                                    Im Web um die Welt reisen,
    Ceviche aus Peru – mögen diese          rheinischen Weidetieren von                                            len Geschichten in Szene ge-
                                                                                    dem Original auf der Spur
    Gerichte noch so verschieden            Martin Block von der »Fetten                                           setzt werden und den Appetit
    sein, es eint sie ihre Tradition,       Kuh« in Köln, Haruhiko Saeki,        Nicht von ungefähr steht hinter   auf mehr wecken. In der Web-
    ihre einzigartige Herkunft, ihre        Geschäftsführer der Restau-          alledem die Marke Coca-Cola.      serie und auch auf dem Food
    Authentizität. Diese haben sie          rants »Takumi« in Düsseldorf,        Auch sie ist ein Original – das   Festival zelebriert Coca-Cola
    zu einem Original und dem ganz          Hamburg, Barcelona oder Rot-         Original. Mit dem »The Original   die kulinarischen Originale als
    besonderen Geschmackserleb-             terdam, tischt seine Miso-Ra-        Way – Coke Food Festival«         Teil des Programms »Das Origi-
    nis werden lassen. Eines, das           men auf und der Däne Brian           knüpft Coca-Cola so zum einen     nal. Original serviert.«
    Menschen in ganz Deutschland            Bojsen vom Restaurant »Brian’s       die Verbindung zu seiner le-      www.coke.de/foodfestival
    jetzt erleben können: auf dem           Steak & Lobster« in Hamburg          gendären 0,2 Liter-Glasflasche.
    »The Original Way – Coke Food           auf den gewünschten Garpunkt         Zum anderen ist es die Fortfüh-
    Festival« von Coca-Cola.                genau saftige Steaks und fang-       rung des Erfolgs aus dem ver-
                                            frischen Hummer.                     gangenen Jahr. Bereits da wid-
        Miso-Ramen und Burger,
                                                 Damit aber nicht genug:         mete Coca-Cola ausgewählten
        Samosas und Lobster
                                            Neben den vielen kulinarisch         kulinarischen Gerichten und
    In drei Städten – in München am         abwechslungsreichen Food-            ihren Schöpfern die Webserie
    24. und 25. August auf der Pra-         Ständen erwartet die Besucher        »The Original Way«, die auf den
    terinsel, am 31. August und 1.          auf den »The Original Way –          Spuren dieser Originale um die
Gertrud Haarer, 77, begriff erst als erwachsene Frau, welche Rolle ihre Mutter im Nationalsozialismus gespielt hatte
Von ANNA KEMPER                    19                  Fotos TANJA KERNWEISS

       »Ich stand
         vor ihr
      wie vor einem
        Richter«
Die Ärztin Johanna Haarer schrieb 1934 den Ratgeber »Die deutsche
Mutter und ihr erstes Kind«. Das Buch war während der Nazi-Zeit ein
Bestseller, in abgemilderter Form wurde es bis in die Achtzigerjahre ver-
kauft. Haarer propagierte darin eine unerbittliche Erziehung. Wie war
sie selbst als Mutter? Ein Gespräch mit ihrer jüngsten Tochter
Frau Haarer, wenn Sie an Ihre frühe Kindheit denken: Was
ist die stärkste Erinnerung an Ihre Mutter?
    Der Moment, als sie aus dem Internierungslager zurück-
    kam. Das war im Herbst 1946, ich war vier Jahre alt, fast
    fünf. Es klingelte, ich rannte den Flur hinunter und öff-
    nete die Haustür. Und dann stand da diese mir eigentlich
    fremde Frau.
Ihre Mutter war wegen ihrer Rolle im Nationalsozialismus
fast anderthalb Jahre in Lagern der US-Streitkräfte inter-
niert gewesen.
    Sie trug, das weiß ich noch ganz genau, ein graues Kos-
    tüm und einen burgunderfarbenen Hut. Sie fragte mich:
    »Kennst du mich nicht mehr, Trudchen? Ich bin’s, die
    Mutter!« Erst da hat es bei mir klick gemacht.
Sie wussten nicht, dass sie nach Hause kommen würde?
    Wir wussten nicht mal, dass sie überhaupt freigelassen wor-
    den war. Ich bin dann zurück in den Flur und habe laut ge-
    rufen: »Die Mutter ist wieder da!« Es war ein großes Haus,
    zwei Stockwerke, mein Bruder und meine drei Schwestern
    kamen herbeigerannt und auch die Großeltern.
Verbinden Sie ein Gefühl mit diesem Moment?
    Nein. Ich bin wie neben mir gestanden. Das hatte ich öf-
    ters in meinem Leben. Wenn irgendwas schwierig war oder
    kompliziert, dann habe ich mich, in der Psychologie würde
    man sagen: abgespalten. Das war ein Trick für mich, um
    zurechtzukommen. Und in der Szene war das auch so. Ich        Die Ärztin und Autorin Johanna Haarer, Gertrud Haarers
    sah mich selber.                                                          Mutter, 1932 als 32-jährige Frau
Was sehen Sie, wenn Sie sich dieses Bild vor Augen holen?
    Ein kleines Mädchen mit rosa Strickhöschen und Locken-
    kopf. Mehr nicht. Dass ich mich gefreut hätte oder der        Johanna Haarers Erziehungsratgeber von 1934 wurde zum
    Mutter um den Hals gefallen wäre – das war nicht so. Sie           Standardwerk in den Mütterschulen der Nazis
    war mir einfach fremd.
Hatten Sie sie nicht vermisst?
    Mir muss schon bewusst gewesen sein, dass sie nicht da
    war. In der Familie war immer die Rede von »der Mutter«.
    Ich habe aber kaum konkrete Erinnerungen, da ist alles
    schwarz. Meine frühe Kindheit kommt mir vor wie eine
    leere, staubige Theaterbühne, auf der nichts gespielt wird.
Ein paar Monate zuvor hatte Ihr Vater sich umgebracht,
Ihre Geschwister und Sie lebten allein mit den Großeltern
in Ihrem Elternhaus in München.
    Eine meiner Schwestern sagte mir mal: »Du hast ja nichts
    mitbekommen, du warst ja noch so klein!« Aber ich habe
    die Stimmung zu Hause gespürt, und das ist sicher nicht
    spurlos an mir vorübergegangen.
Wie war die Atmosphäre nach der Rückkehr Ihre Mutter?
    Geradezu depressiv. Die Konten der Familie waren gesperrt.
    Anfangs durfte meine Mutter wegen ihrer NS-Vergangen-
    heit noch nicht wieder als Ärztin arbeiten. Und sie musste
    für acht Menschen sorgen. Der Großvater war schon leicht
    dement, die Großmutter hat kaum noch gesprochen. Die
    war immer nur in der Küche im Souterrain. Da kochte sie
    und hat versucht, den Haushalt zu schmeißen. Sie war ja
    auch schon über 70, und das war nicht einfach mit fünf
    Kindern zwischen vier und 13.
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                  Wussten Sie, warum Ihre Mutter interniert gewesen war?              der Nazis, die bis 1945 geschätzt fünf Millionen Frauen
                    Nein.                                                            ­besuchten.
                  Und wussten Sie, warum Ihr Vater nicht mehr da war?                 Nach 1945 erschien ihr Buch bis 1987 unter dem Titel Die
                    Man hat in der Familie über den Selbstmord des Vaters             Mutter und ihr erstes Kind weiter, von nationalsozialistischer
                    nicht gesprochen. Das wurde totgeschwiegen. Als Kind bin          Rhetorik bereinigt und zunehmend milder in den Methoden.
                    ich oft eine steile Leiter rauf auf den Spitzboden, habe die      Es erreichte eine Gesamtauflage von mehr als 1,2 Millionen.
                    Dachluke aufgemacht und mich aufs Dach gesetzt. Das               1988 starb Johanna Haarer. Sie hat nicht nur Gertrud Haarer
                    war meine Möglichkeit, mich aus dem ganzen Familiären             und ihre vier älteren Geschwister erzogen, sondern auch die
                    herauszukatapultieren. Da ging’s mir gut. Ich habe mich           Erziehung von Millionen von Deutschen geprägt. Darum soll
                    auf die Bretter für die Kaminkehrer draufgesetzt und ge-          es am Küchentisch in Italien gehen: Wer war die Frau, die die
                    dacht: Wenn ich ein Vogel wäre, würde ich davonfliegen.           Psyche eines ganzen Landes beeinflusst hat? Woher kam ihre
                                                                                      Härte? Und wie war es, mit ihr aufzuwachsen?
                  Norditalien. Gertrud Haarer sitzt in ihrer großen Küche, an
                  der Decke helle Balken, im offenen Kamin knistert ein Feuer.       Ihre Mutter beschreibt in »Die deutsche Mutter und ihr
                  Vor rund 25 Jahren hat die 77-Jährige ihre Heimat M   ­ ünchen     erstes Kind«, wie eine Mutter zu sein hat: streng, zuweilen
                  verlassen, seitdem lebt sie mit ihrem Lebensgefährten in           hart, jederzeit Herrin über Haushalt und Kinder. Was für
                  einem­alten, renovierten Landgut an einer Dorfstraße. Eigent-      eine Mutter war sie selbst?
                  lich trägt sie den Nachnamen ihres ersten Mannes, von dem              Mütterlich war sie nicht. Aber man konnte sich auf sie ver-
                  sie schon seit Jahrzehnten geschieden ist. Sie möchte seinen           lassen. Sie war groß, stattlich, hat Respekt eingeflößt. Sie
                  Namen jedoch nicht »da« mit reinziehen, sagt sie. Mit »da«             war ganz anders als andere Mütter. Ich habe sie nie kochen,
                  meint sie die Geschichte ihrer Familie und damit auch ihre             waschen oder bügeln sehen. Zu Hause war sie kaum, weil sie
                  eigene. Es ist eine Geschichte, über die sie, auch unter ihrem         ab Ende der Vierzigerjahre als Lungenfachärztin in Gesund-
                  Mädchennamen, vor sieben Jahren ein nur wenig beachtetes               heitsämtern in Oberbayern unterwegs war. Unter der Wo-
                  Buch geschrieben hat.                                                  che haben wir eigentlich nur zusammen Abend gegessen.
                  Diese Geschichte beginnt mit ihrer Mutter: Johanna Haarer,         Dabei schreibt Ihre Mutter in »Die deutsche Mutter und
                  geboren 1900, Lungenfachärztin, Nationalsozialistin, fünf-         ihr erstes Kind«: »Die Mutterschaft und die Aufzucht ihrer
                  fache Mutter. 1934 veröffentlichte sie einen Ratgeber für junge    Kinder, dafür ist die Frau da.«
                  Mütter: Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind. Ein Buch, das         Aufzucht! Das ist ein Wort, das macht mich wahnsinnig.
                  ein Bestseller wurde und als Schlüsselwerk gilt, wenn man die          Hühner tut man aufziehen, aber doch nicht Kinder! Und
                  Geschichte der Erziehung in Deutschland und ihre Besonder-             was den Inhalt des Satzes angeht: Sie war keine Frau für
                  heiten verstehen will.                                                 einen Haushalt mit fünf Kindern. Sie hatte als junge Frau
                  Haarer klärt darin über Schwangerschaft und Entbindung                 sehr dafür gekämpft, Medizin studieren zu können. Als
                  auf, beschreibt, wie man einen Säugling wickelt und ernährt.           Hausfrau wäre sie nie zufrieden gewesen.
                  Und sie propagiert eine strenge Erziehung des Kindes von An-       Ihre Mutter musste ja nach dem Tod Ihres Vater berufstätig
                  fang an. Mutter und Kind sollen direkt nach der Entbindung         sein. Sie meinen, das war ihr ganz recht?
                  getrennt werden, das Kind wird der Mutter im Wochenbett                Ja. Zu meiner Einschulung zum Beispiel musste ich ganz
                  »nur zum Stillen gereicht«. Nachts gelte: »Schreien lassen! Je-        allein gehen. Ich hatte auch keine Schultüte dabei. Alle
                  der Säugling soll von Anfang an nachts allein sein. (...) Nach         anderen hatten Mütter und Schultüten. Aber man konnte
                  wenigen Nächten (...) hat das Kind begriffen, daß ihm sein             sich ja nicht freinehmen nur wegen eines Kindes! Dass das
                  Schreien nichts nützt, und ist still.« Dies sei eine der »Kraft-       Kind dann vielleicht unglücklich ist, spielte keine Rolle.
                  proben« zwischen Mutter und Kind im ersten Lebensjahr, »sie            Das fiel alles unter Verzärtelung.
                  in der richtigen Weise zu bestehen, ist das Geheimnis aller Er-    Zärtlichkeit, schreibt Ihre Mutter, »kann verderblich sein
                  ziehung. (...) Auch das schreiende und widerstrebende Kind         und muß auf Dauer verweichlichen. Eine gewisse Sparsam-
                  muß tun, was die Mutter für nötig hält, und wird, falls es sich    keit in diesen Dingen ist dem deutschen Menschen und
                  weiterhin ungezogen aufführt, gewissermaßen ›kaltgestellt‹, in     dem deutschen Kinde sicherlich angemessener.« Können
                  einem Raum verbracht, wo es allein sein kann und so lange          Sie sich an körperliche Zuwendung erinnern?
                  nicht beachtet, bis es sein Verhalten ändert.« Mit ihrem Buch          Nein. Nur einmal, so meine Erinnerung, hielt sie mich auf
                  habe Haarer, so heute eine gängige Sichtweise vieler Autoren,          dem Arm. Das war im Krieg während der Evakuierung,
                  den perfekten, gehorsamen, gefühllosen Menschen für das na-            ich muss so zwei Jahre alt gewesen sein. Unser Vater war
                  tionalsozialistische System erziehen wollen.                           mit den Eltern meiner Mutter in München geblieben, er
                  Johanna Haarer schrieb weitere Bücher (darunter ein national-          war nicht eingezogen worden, weil er als Lungenfacharzt in
                  sozialistisches, zutiefst antisemitisches Kinderbuch), aber kei-       Oberbayern die Lungenversorgung aufbaute. Wir Kinder
Porträt  privat

                  nes war so erfolgreich wie ihr erstes: Rund 600.000-mal ver-           waren mit der Mutter in Haag in Oberbayern in einem
                  kaufte sich Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind bis 1945,          Gasthaus evakuiert. Als die Amerikaner anrückten, sollte
                  das Buch wurde zum Standardwerk in den »Mütterschulen«                 meine Mutter mit ihnen reden, weil sie sehr gut Englisch
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    sprach. Und da nahm sie mich auf den Arm, weil sie wusste,          gen. Das war natürlich unmöglich. Ich machte dann eine
    dass die Amerikaner kinderlieb sind.                                Buchhändlerlehre, das war wie eine Befreiung.
Saßen Sie mal auf ihrem Schoß?                                     Wie hat Ihre Mutter gelobt?
    Das gab es nicht.                                                   Mich nie. Da war ja nichts zu loben. Aber auch bei meinen
Hielt die Fremdheit an, die Sie empfunden hatten, als Ihre              Geschwistern habe ich da nichts mitbekommen. Alles, was
Mutter wiederkam?                                                       lobenswert war, wurde als selbstverständlich erachtet.
    Wir hatten irgendwie keinen Kontakt. Ich wäre niemals          Gab es Momente, in denen Sie sich Ihrer Mutter näher ge-
    mit Sorgen zu ihr gegangen. Da bin ich immer zu mei­           fühlt haben?
    ner nächstälteren Schwester, das war meine Hauptbezugs­             Wenn ich krank war. Ich hatte als Kind furchtbare Mittel­
    person. Nur wenn irgendwas Ernsteres passiert war, habe             ohrentzündungen, immer wieder. Wenn die Mutter vom
    ich mich an die Mutter gewendet. Dann fragte ich sie: »Ich          Dienst kam, hat sie mir warmes Öl ins Ohr geträufelt. Da
    muss mit dir sprechen, wann hast du Zeit?« Und dann sagte           ging es mir schlagartig besser. Ich fühlte mich sicher. Ich
    sie: »Morgen Nachmittag um drei.«                                   durfte in ihrem Arbeitszimmer auf dem Diwan liegen und
Sie mussten sich anmelden?                                              schlafen, sie saß, wie immer, hinter ihrem Schreibtisch, war
    Ja. Bis dahin hatte ich natürlich keine Ruhe. Dann erschien         aber sehr zugewandt und fragte: »Trudchen, brauchst du
    ich zum Termin in ihrem Arbeitszimmer. Sie saß hinter ih­           noch was? Soll ich dir noch was holen?«
    rem Schreibtisch, der war völlig überdimensioniert. Später     Haben Sie das genossen?
    habe ich ihn immer »Hitlerschreibtisch« genannt. Ich kannte         Sehr.
    von Fotos und Filmen diese Riesenräume, durch die man          Sie sagen oft »die Mutter«, wenn Sie über Ihre Mutter re-
    ewig gehen musste, und dann saß dieser Wicht von Hitler        den. Haben Sie und Ihre Geschwister sie als Kinder auch
    hinter einem Schreibtisch. Das war Einschüchterung, das        schon so genannt?
    gehörte zur Machterhaltung. Und dieses Gefühl hatte ich             Sie war immer »die Mutter«. Da war Abstand. Die Mutter
    vor diesem Schreibtisch. Ich habe nie in meinem Leben je­           war die oberste Instanz. Mama? Mutti? Ach, du lieber Gott,
    manden erlebt, der hinter einem solchen Schreibtisch saß.           das war verpönt bei uns. Später, als sie alt war, habe ich aber
    Nur meine Mutter. Ich stand vor ihr wie vor einem Richter.          oft Mütterchen zu ihr gesagt. Da war sie auch ein Mütter­
Nach welchen Prinzipien hat sie geurteilt?                              chen, gebeugt und hinfällig. Da hat sie mir leidgetan.
    Man musste Leistung bringen und sich anständig ver­            Die bekannteste Stelle aus »Die deutsche Mutter und ihr
    halten. Wir hatten zu parieren. Und wer nicht parierte,        erstes Kind« lautet: »Versagt auch der Schnuller, dann,
    war ich. Ich hatte immer irgendwas ausgefressen, und ich       liebe Mutter, werde hart! Fange nur ja nicht an, das Kind
    war eine totale Schulversagerin. Dabei wusste ich, dass ich    aus dem Bett herauszunehmen, es zu tragen, zu wiegen, zu
    nicht blöd bin. Aber bei uns hieß es Leistung, Leistung,       fahren oder es auf dem Schoß zu halten, es gar zu stillen.
    Leistung. Dieser Zwang hat mich abgeschreckt. Ich sehe         Das Kind begreift unglaublich rasch, daß es nur zu schreien
    das noch vor mir: Nachmittags hockten meine Geschwister        braucht, um eine mitleidige Seele herbeizurufen (...). Nach
    auf ihren Zimmern und büffelten, und in mir hat das einen      kurzer Zeit fordert es diese Beschäftigung mit ihm als ein
    Widerstand ausgelöst.                                          Recht, gibt keine Ruhe mehr, bis es wieder getragen, ge-
Widerstand gegen das Lernen oder gegen Ihre Mutter?                wiegt oder gefahren wird – und der kleine, aber unerbitt-
    Damit konnte ich die Mutter am meisten treffen. Das war        liche Haustyrann ist fertig!« Haben Sie sich gefragt, ob Ihre
    es sicherlich. Die Mutter hat mir mit dem Internat gedroht.    Mutter Sie selbst als Säugling auch so behandelt hat?
    Das Kind will nicht, das Kind sträubt sich – anstatt zu             Ich gehe davon aus. Ich weiß, dass eine meiner Schwestern
    fragen: Was ist mit dem Kind? Vielleicht wäre ein Schul­            schwer getrotzt hat, und die Mutter hat rigoros versucht,
    wechsel gut? Es wurde kein Ausweg gesucht. In der sechsten          sie zu erziehen. Meine Schwester ist dann trotzend im Bett
    Klasse bin ich sitzen geblieben, und dann sollte ich später         stehen geblieben, bis sie eingeschlafen und umgefallen ist.
    noch mal durchfallen. Ich bin ohne mittlere Reife abgegan­          Warum hat die Mutter sie nicht trösten können? Das habe
                                                                        ich nie verstanden. Sie wollte den Willen des Kindes bre­
                                                                        chen. Wenn ich daran denke, habe ich immer vor Augen,
   Gertrud Haarer, 1942 geboren, ist eines                              wie man einen biegsamen jungen Haselnussstecken aus­ein­
   von fünf Kindern der Lungenfachärztin Johanna                        an­der­bricht, sodass die Enden in der Luft gesplittert sind.
                                                                        Zu was führt das denn?
   Haarer. Sie wuchs in München auf, wo sie                        Was glauben Sie?
   später als Buchhändlerin und Altenpflegerin                          Ich habe das Buch von Sigrid Chamberlain gelesen, die sich
   arbeitete. Heute lebt sie in Italien. Über das                       mit den Büchern meiner Mutter auseinandergesetzt hat ...
                                                                   ... es ist 1997 erschienen und heißt »Adolf Hitler, die deut-
   Leben ihrer Mutter und ihre eigene Kindheit
                                                                   sche Mutter und ihr erstes Kind«.
   veröffentlichte sie 2012 das Buch »Die deutsche                      Sie beschreibt, wie wichtig gerade diese ganz frühkindliche
   Mutter und ihr letztes Kind« (Offizin Verlag)                        Bindung ist. Wenn die zerstört wird, zerstört das natürlich
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                                                                                 NEU:
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                         Jo Nesbø | Thomas Gottschalk | Ken Follett | Bela B. |
                         Maja Lunde | Deniz Yücel | Nele Neuhaus | Ulrich Wickert |
                         Colson Whitehead | Margaret Atwood | Axel Hacke |
                         Sophie Passmann | Die Lochis | u.v.a.m.

                                                                                 Publikumstage:
                                                                                 19. – 20. Oktober 2019
                                                                                 Öffnungszeiten:
                                                                                 Samstag 9.00 – 18.30 Uhr
                                                                                 Sonntag 9.00 – 17.30 Uhr

#fbm19
                                                   A I R L I N E PA RT N E R :
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    auch in dem kleinen Menschen etwas. Und das trägt man                und geschrieben hat, dazu fehlten ihr meiner Ansicht nach
    unter Umständen sein ganzes Leben mit sich rum.                      die psychologischen Kenntnisse.
Chamberlain schreibt: »Etwas erstirbt in dem Säugling, und
zwar nicht nur einzelne Fähigkeiten, sondern die Lebendig-           Der Name Johanna Haarer steht bis heute für eine Erziehung,
keit überhaupt, es findet hier wahrscheinlich das früheste           die nationalsozialistischen Idealen entsprang. Haarers harsche
und wirkungsvollste Aberziehen von Gefühlen statt.« Das              Grundsätze waren 1934 allerdings nicht neu und weder auf den
Kind lerne, »von klein auf sich betäuben zu müssen, eigene           Nationalsozialismus noch auf Deutschland eingrenzbar, so die
Gefühle und Empfindungen nicht wahrnehmen zu können«.                Historikerin Miriam Gebhardt, die in ihrem Buch Die Angst
    Das stimmt. Ich habe mir mal bei einem Fahrradausflug mit        vor dem kindlichen Tyrannen die Geschichte der Erziehung im
    meiner Schwester bei einem Sturz den Arm gebrochen. Wir         20. Jahrhundert erforscht hat. Standardwerke in der Weimarer
    sind aber weiter in ein Wäldchen gefahren, haben den Tag        Republik propagierten ähnlich rigide Methoden. Auch in ande-
    dort verbracht, obwohl mein Arm dicker und dicker wurde,        ren Ländern empfahlen Experten damals eine strenge, kontakt-
    zurück konnte ich nur mit einer Hand fahren. Wir sind           arme Erziehung vom ersten Lebenstag an, so wie der Amerika-
    noch in der Leopoldstraße in eine Eisdiele gegangen. Der        ner John B. Watson, Gründer des Behaviourismus, der empfahl,
    helle Wahnsinn. Aber typisch. Ich war sogar stolz darauf,       Kinder nicht auf den Schoß zu nehmen oder zu küssen.
    dass ich die Schmerzen aushielt und hart im Nehmen war.         Und doch gibt es eine deutsche Besonderheit: In der Nazi-
Ihre Mutter empfahl, bei leichteren Stürzen ein Kind nicht          Zeit blieben diese Konzepte kein Expertendiskurs, sondern ge-
sofort in den Arm zu nehmen: »Hascht es nach Mitleid, will          langten an die Basis, zu den Eltern. Vor allem durch Johanna
es nicht aufstehen, so rufen wir seine Selbständigkeit förm-        Haarers Bücher. Sie waren so ungeheuer populär, weil in ih-
lich an: ›So ein großes Kind steht doch allein auf!‹«               nen eine Mutter zu Müttern sprach. Weil in Deutschland die
    Einmal bin ich in unserem Garten schwer auf den Bo-             Mütter womöglich empfänglicher waren für Haarers autoritäre
    den geklatscht. Ich bin auf allen vieren ins Wohnzimmer         Bestimmtheit. Weil ihre Grundsätze so perfekt zur Nazi-Ideo-
    rein, schnappte nach Luft – und eine meiner Schwestern          logie passten, die ihre Jugend hart wie Kruppstahl wünschte,
    sah mich und fing an zu lachen. Statt dass sie mir aufhilft!    und weil die Nazis ihre Bücher in den Mütterschulen zum
    Diese­Lacherei war bei uns ganz typisch. Ich erinnere mich,     Standardwerk machten.
    dass eines Nachmittags meine Mutter nach Hause kam, der         Gertrud Haarers Kindheit war weder außergewöhnlich grau-
    Bleischutz vom Röntgenapparat war ihr aufs Bein geknallt,       sam noch außergewöhnlich liebevoll. Vielleicht ist gerade ­diese
    und ihr Knie stand seltsam ab. Als sie in den Hausflur          Erkenntnis so erschreckend: dass eine solche Kindheit, mit
    humpelte, fingen wir alle gleich an zu lachen. Das war so       ­einem abwesenden Vater, einer harten Mutter, einer Erziehung
    eine Übersprungsreaktion, unsere Art, uns abzureagieren.         ohne Zärtlichkeit, normal war. Und auch als die Nazi-Zeit ver-
    Wir hatten nicht gelernt, Anteilnahme zu zeigen.                 gangen war, wirkte diese Erziehung fort. Haarers Buch erschien
Gab es überhaupt mal Tränen bei Ihnen zu Hause?                      schon 1949 in einer neuen Auflage. Mütter gaben das, was sie
    Daran kann ich mich nicht erinnern. Nur einmal habe ich          gelernt hatten, an ihre Töchter weiter. Kinderschwestern, die
    die Mutter weinen sehen. Im Wohnzimmer stand ein Se-             während des Nationalsozialismus ausgebildet wurden, waren
    kretär, und als Kind fand ich in einem Geheimfach einen          noch lange im Dienst. Mittlerweile werden die Folgen dieser
    Brief auf Luftpostpapier. Als ich ihn meiner Mutter zeigte,      Erziehung erkundet: In Selbsthilfegruppen, Symposien und
    ist sie in Tränen ausgebrochen. Das hat mich wahnsinnig          Büchern suchen die Kriegskinder und Kriegsenkel danach, wie
    erschreckt. Sie sagte mir dann, dass es ein Brief unseres to-    die Vergangenheit in ihrer Psyche fortwirkt.
    ten Vaters sei, den er ihr ins Lager geschickt habe.
Wissen Sie, was darin stand?                                        Seit einigen Jahren finden Kriegskinder in ihrer Familien-
    Nach Ihrem Tod habe ich ihn wiedergefunden im Akten-            vergangenheit Gründe für psychische Probleme und Muster,
    schrank der Mutter. Ein Satz hat sich mir eingeprägt. Er        die sich vererbt haben. Dabei geht es nicht nur um Kriegs-
    schreibt: »Es ist merkwürdig, wie kühl die Kinder deine         traumata, sondern auch um die Beziehung von Eltern und
    Abwesenheit hinnehmen.«                                         Kindern. Beziehungen, die vermutlich auch von den Grund-
Viele Autoren, die sich mit den Büchern Ihrer Mutter                sätzen geprägt wurden, die Ihre Mutter verbreitete.
befassen, schreiben sinngemäß, das Ziel Ihrer Mutter sei                Ich denke schon, dass meine Mutter viele Eltern beeinflusst
gewesen, eine bindungsgestörte Jugend heranzuziehen,                    hat. In den Mütterschulen wurde das den Frauen ja einge-
deren innere Leere durch Ideologie und Gruppenzuge-                     trichtert. Das finde ich ganz schrecklich. Ich hoffe immer,
hörigkeit gefüllt werden kann. Mit anderen Worten: den                  dass bei vielen der gesunde Menschenverstand dazu geführt
perfekten Menschen für ein totalitäres Regime wie den Na-               hat, vieles nicht zu befolgen.
tionalsozialismus zu schaffen.                                      Woher, glauben Sie, kam die Härte Ihrer Mutter?
    Das ist jedenfalls bis zu einem gewissen Grad die Folge der         Ich denke, von ihrer Mutter. Sie war enorm streng und un-
    Bücher meiner Mutter und dieser Art von Erziehung. Das              nachsichtig. Ich kann sie mir nicht als liebevoll vorstellen.
    will ich gar nicht abstreiten. Aber dass sie das so dezidiert   Ihre Großmutter hat Ihre Mutter auch als erwachsene Frau
    im Hinblick auf eine willenlose Anhängerschaft entworfen        noch »Kind« genannt.

     Gertrud Haarer lebt seit 25 Jahren in Italien – in München war ihr die Vergangenheit ihrer Familie zu präsent
26
    Meine Mutter hat immer danach getrachtet, Respekt von               Trotzdem hat meine Mutter ihn sehr geliebt. Er hat sie ver-
    ihr zu bekommen. Aber sie blieb für sie das Kind.                   standen und gefördert. Als sie sagte, sie wolle studieren, war
In Ihrem eigenen Buch, das Sie »Die deutsche Mutter und                 meine Großmutter strikt dagegen. Er hat sie unterstützt.
ihr letztes Kind« genannt haben, haben Sie auch die auto-           Ihre Mutter besuchte dann mit 16 in Deutschland ein In-
biografischen Notizen veröffentlicht, die Ihre Mutter in            ternat, um Abitur zu machen.
den Jahren vor ihrem Tod verfasst hatte. Dort schreibt Ihre             Das war 1916, mitten im Krieg, und sie bekam kein Visum
Mutter, dass sie als Kind durch Liebesentzug bestraft wurde.            für Deutschland. Sie hat sich dann tagelang in der Deut-
Sie fand das furchtbar: »abgeschnitten von der eigenen Mut-             schen Botschaft in Prag auf den Gang gesetzt, bis der Bot-
ter, nichts konnte mich darüber hinwegtrösten«. Trotzdem                schafter gefragt hat, was sie denn da wolle. So hat sie dann
empfahl sie in ihren Büchern: »Die unerschütterliche Liebe              doch das Visum gekriegt. Wenn sie sich etwas in den Kopf
der Mutter sollte dem Kind nicht zu deutlich gezeigt wer-               gesetzt hatte, hat sie das durchgedrückt.
den, sondern man soll ihm vorübergehend das Wohlwollen              Auf dem Internat in Thüringen war sie das einzige Mäd-
entziehen, das bedeutet in vielen Fällen schon Strafe genug,        chen unter 90 Jungen. Wie kam es dazu?
das Kind sucht nach Versöhnung.« Warum gab Ihre Mutter                  Der Großvater hatte eine deutschnationale Schule für sie
weiter, worunter sie selbst gelitten hatte?                             gesucht und ein reformpädagogisches Landerziehungsheim
    Das ist für mich das Erstaunliche. Söhne werden von ihrem           gefunden, das keine Juden aufnahm. Es war aber eine reine
    Vater geschlagen und schlagen später selber. Das begreife           Jungenschule. Der Direktor hat sich die Mutter angeschaut
    ich nicht.                                                          und gesagt: Das probieren wir.
Sie haben selbst keine Kinder. Haben Sie Angst gehabt, die          Ihre Mutter schreibt: »Ich war entschlossen, mich von die-
Erziehung Ihrer Mutter zu wiederholen?                              ser geballten Männlichkeit nicht unterkriegen zu lassen.«
    Ja, das steckt ja in einem. Ich wusste nicht, wie das geht,     Geholfen habe ihr, dass sie »absolut furchtlos« gewesen sei.
    eine vernünftige, liebevolle, nachsichtige Erziehung. Es ist        Das stimmt. Das war sie auch.
    doch merkwürdig, dass von uns fünf Kindern nur zwei             Sie musste unter anderem sechs Jahre Mathematik nach-
    selbst Kinder bekommen haben.                                   holen, stand um vier Uhr morgens auf und lernte.
Wie sah die Kindheit Ihrer Mutter aus?                                  Das blieb so, auch später, wenn sie Bücher schrieb. Ich höre
    Sie ist in Bodenbach aufgewachsen, einer tschechischen              die Schreibmaschine noch klappern. Sie brauchte nicht viel
    Kleinstadt an der Elbe, die damals zu Österreich-Ungarn             Schlaf. Kalt duschen und los. Das war ihr innerer Motor.
    gehörte. Meine Großmutter war Tschechin, ein unehe-                 Sie hatte viel Ehrgeiz. Und sie hat das Abitur dort geschafft.
    liches Kind, das war damals eine unglaubliche Schande. Die      Im Medizinstudium in München lernte Ihre Mutter ihren
    Mutter meiner Großmutter war von ihrem Vater halb tot-          ersten Mann kennen.
    geschlagen worden, als der von der Schwangerschaft erfuhr.          Das war eine sehr große Liebe. Aber er hat sie nach Strich
Was wissen Sie über Ihren Großvater?                                    und Faden betrogen. Als eine seiner Freundinnen schwan-
    Seine Eltern starben, als er zehn Jahre alt war. Er musste          ger wurde, brach für meine Mutter eine Welt zusammen.
    das Gymnasium verlassen, wurde von seiner Schwester ge-             Sie ließ sich scheiden, fühlte sich weggeworfen, geradezu
    trennt. In seiner Lehre musste er schwer tragen und be-             vernichtet.
    kam einen Buckel. Er und meine Großmutter haben sich            1932 heiratet sie zum zweiten Mal, einen Kollegen aus dem
    geradezu gesucht, gefunden und geheiratet. Sie führten          Krankenhaus, den Lungenfacharzt Otto Haarer. War auch
    gemeinsam einen Schreibwarenladen. Aufgrund seiner Be-          das eine Liebesheirat?
    hinderung und schlechten Ausbildung hat sich mein Groß-             Für ihn war es schon die große Liebe, denke ich. Für sie
    vater als Underdog gefühlt, einen starken Antisemitismus            war es eher ein willkommener Anker.
    entwickelt und sich in den Alkohol geflüchtet.                  1933 wurden die beiden ersten Kinder geboren, Zwillinge.
Hatte Ihre Mutter Geschwister?                                      »Beruf und Ehe und Kinder, wie ich doch hoffte, waren
    Einen zwei Jahre älteren Bruder. Er starb an Hirnhautent-       damals üblicherweise nicht zu vereinbaren«, schreibt Ihre
    zündung, als meine Mutter acht Jahre alt war. Sie schreibt      Mutter. Sie musste ihre Stellung als Ärztin aufgeben und
    darüber nur wenig und leidenschaftslos. Ich habe das Ge-        wurde Hausfrau. Hat Sie auch aus dieser Enttäuschung
    fühl, das war keine enge geschwisterliche Bindung. Sein         heraus angefangen, Bücher zu schreiben?
    Tod hat wohl aber in ihr den Wunsch aufkommen lassen,               Ganz sicher war das ein Grund. Nur Hausfrau zu sein passte
    Medizin zu studieren.                                               nicht zu ihr. Sie hat mir einmal erzählt, dass sie während ih-
Sein Tod muss doch furchtbar für sie gewesen sein?                      rer ersten Schwangerschaft keinen Ratgeber gefunden hatte,
    Eigentlich ja, aber sie schreibt darüber ganz kühl.                 der ihre Fragen beantwortete. Also bot sie dem Völkischen
Ihre Mutter beschreibt in ihren autobiografischen Noti-                 Beobachter eine Kolumne zur Säuglingspflege an. Die war
zen, wie sie mit acht Jahren ihren Vater in Kneipen suchen              dann so erfolgreich, dass daraus das erste Buch wurde.
                                                                                                                                         Porträt  privat

musste, »mit meinem schwankenden, nach Bier riechen-                Wie sah das Leben Ihrer Eltern in den Dreißigerjahren aus?
dem Vater an der Hand ging ich durch die Bodenbacher                    Nach der Geburt der Zwillinge sind die Eltern in das große
Straßen und schämte mich grenzenlos«.                                   Haus mit Garten in der Kaiserstraße in Schwabing gezo-
gen, in dem ich später aufgewachsen bin. Mein Vater hat
                                                             als Oberarzt gut verdient, dazu kam das Geld von den Bü-
                                                             chern meiner Mutter. Mein Vater hatte wohl einen Hang
                                                             zum Luxus. Er hat Meissener Porzellan gekauft, was täg-
                                                             lich benutzt wurde. Er hatte ein Pferd, ist im Englischen
                                                             Garten ausgeritten, fuhr einen Mercedes. Er hat das Geld
                                                             mit vollen Händen ausgegeben, meine Mutter musste ihn
                                                             immer bremsen.
                                                          Haben Sie selbst Erinnerungen an Ihren Vater?
                                                             Nur eine. Da sehe ich mich auf seinen Schultern durch den
                                                             Garten reiten. Aber ich weiß nicht, ob mir das nur erzählt
                                                             wurde. Ich würde gern mehr über ihn wissen. Meine Mutter
                                                             hat immer nur gesagt: Er war ein sehr weicher Mann. Ich
                                                             denke, diese Einschätzung kommt von seinem Ende.
                                                          Wann haben Ihre Eltern sich zum letzten Mal gesehen?
                                                             Meine Mutter schreibt, dass er Ende Dezember 1945 im
                                                             Wald vor dem Zaun des Lagers stand, in dem sie interniert
                                                             war. Reden konnten sie nicht miteinander. Er habe geweint.
                                                             Uns wurde immer suggeriert, dass er ein schwacher Mann
                                                             war. Ja, soll der in der Situation etwa nicht weinen? Solche
                                                             Dinge haben mich später sehr wütend gemacht. Sie war
                                                             inhaftiert, keiner hat gewusst, ob sie wiederkommt. Und er
                                                             allein mit den fünf Kindern und den Großeltern. Das hat
                                                             er nicht gepackt. Wenn man in einer tiefen Depression ist,
                                                             kann man keinerlei Initiative ergreifen, das kenne ich gut.
 »Nach meinem Tode ungeöffnet vernichten«: Drei dieser    Vor Ostern 1946 verschwand Ihr Vater.
Päckchen fand Gertrud Haarer nach dem Tod ihrer Mutter       Er ist wohl tagelang durch die Gegend geirrt, und dann hat
                                                             er sich in die Isar gestürzt, von der Brücke in Hohenschäft-
                                                             larn, in der Nähe des Krankenhauses Harlaching, in dem
 Gertrud Haarer im Jahr 1948: Dass ihr Vater zwei Jahre      meine Eltern sich kennengelernt haben. Er ist im Isarbett
 zuvor Selbstmord begangen hatte, wurde totgeschwiegen       gefunden worden, einige Tage nach seinem Verschwinden.
                                                          Wissen Sie noch, wie Sie von seinem Tod erfahren haben?
                                                             Nein. Zur Beerdigung wurde ich nicht mitgenommen, ich
                                                             war zu klein. Ich dachte lange, er sei im Krieg gefallen oder
                                                             krank gewesen. Es gab ja viele, die vaterlos aufwuchsen da-
                                                             mals. Ich kann mich nicht an einen Moment erinnern, in
                                                             dem ich es erfahren hätte. Das ging irgendwie fließend.
                                                          Haben Sie mit Ihren Geschwistern darüber gesprochen?
                                                             Ich habe nicht danach gefragt, weil ich gespürt habe, dass
                                                             das ein wunder Punkt ist. Ich erinnere mich nur, dass mein
                                                             Bruder mir erzählt hat, dass er in den Tagen, als mein Vater
                                                             vermisst war, unsere Straße runterrannte und vor unserem
                                                             Haus eine Funkstreife stehen sah. Die brachte die nasse
                                                             Aktentasche meines Vaters. Da war er 13.
                                                          Waren Sie jemals wütend auf Ihren Vater, dass er Sie und
                                                          Ihre Geschwister alleingelassen hat?
                                                             Niemals. Er hat mein tiefstes Mitgefühl. Er hat sicher nicht
                                                             gern seine Kinder im Stich gelassen. Er konnte nicht mehr.
                                                             Und dass er von der Brücke springt – als Arzt hätte er sich
                                                             doch irgendwas spritzen oder Tabletten nehmen können.
                                                             Wie verzweifelt muss man sein, dass man so was macht?
                                                          Im Wohnzimmer Ihrer Eltern hing ein Gemälde von Hitler,
                                                          am »besten Platz«, wie Ihre Mutter schreibt. Nach Kriegs­
                                                          ende verbrannte Ihr Vater es, ebenso eine Ausgabe von »Mein
                                                          Kampf«, weil er Angst davor hatte, verhaftet zu werden.
28
    Meine Großmutter erzählte, dass er jedes Mal, wenn es                wusste ich nicht. Erst in der Oberschule haben wir Filme
    klingelte, hochgeschreckt ist, weil er dachte: Jetzt holen sie       über Auschwitz gesehen. Danach war ich fertig. Aber mir
    mich auch. Sie fand es wohl feige, dass ein Mann sich so             war klar, dass ich darüber zu Hause nicht sprechen kann.
    fürchtete.                                                       Sie ahnten, dass das Schweigen zu Hause etwas damit zu
Über das Verbrennen des Bilds schreibt Ihre Mutter in einer          tun haben musste?
der wenigen Äußerungen über Ihren Vater: »Ich fand es ver-               Ja, ich wusste instinktiv, das geht nicht.
ächtlich und lächerlich, seine Gesinnung zu verleugnen.«             Der Inhalt der Bücher Ihrer Mutter war nie Thema gewesen?
    Das ist ungeheuerlich. Seine Ängste waren ja wohl berech-            Nein. Wenn eine neue Auflage von Die Mutter und ihr ers-
    tigt. Ich glaube, meine Mutter hat seinen Selbstmord als             tes Kind rauskam, wurde das zwar immer ein bissl gefeiert.
    Verrat empfunden. An ihr und an uns Kindern. Sie hat es              Welche Auswirkungen das Buch gehabt hatte, wurde mir
    nie gesagt. Aber das glaube ich.                                     aber erst später klar, als ich als Buchhändlerin gearbeitet
Die autobiografischen Notizen Ihrer Mutter enden mit der                 habe. Da konnte ich Auflagenhöhen einordnen und ver-
Heirat 1932. Außerdem schrieb sie einen Bericht über die                 stand, was das für ein Riesenerfolg war.
Monate ihrer Internierung, der 1945 beginnt. Über die                Haben Sie in Ihrem Laden das Buch Ihrer Mutter verkauft?
zwölf Jahre Nationalsozialismus, die Zeit ihres großen Er-               Nein, ich habe es nicht im Sortiment gehabt. Und meine
folgs, schreibt sie nichts.                                              Mutter wusste, dass ich nichts damit zu tun haben wollte.
    Merkwürdig, nicht? Über diese Zeit verliert sie kein Wort.       Viele Kinder Ihrer Generation haben die Auseinanderset-
    Der Sache kann sie sich nicht stellen.                           zung mit der Rolle ihrer Eltern in der Nazi-Zeit gemieden,
                                                                     weil sie ihre Eltern unbewusst schützen wollten. Sie auch?
Johanna Haarer war überzeugte Nationalsozialistin. Von 1936              Das war sicher mit ein Grund. Aber sie war für mich auch
bis 1938 war sie, deren Mutter Tschechin war, Rassenpoliti-              einfach zu sehr Respektsperson. Ich habe mich das nicht
sche Beauftragte der NS-Frauenschaft in München, ab 1937                 getraut. Noch als junge Frau bin ich, wenn man meine
Mitglied in der NSDAP. Im Vorwort zur Ausgabe von 1940                   Mutter angegriffen hat, sogar sofort auf die Barrikaden,
ihres Erziehungsratgebers schreibt sie unter dem Titel »An               ich habe sie verteidigt bis aufs Messer. Das war ganz merk-
die deutsche Frau!«: »Wir erleben heute einen groß angeleg-              würdig. Ich konnte das einfach nicht ertragen.
ten Feldzug unserer Staatsführung mit, in dem das gesunde            Wie erklären Sie sich das heute?
Erbgut und das rassisch wertvolle zäh verteidigt werden gegen            Sie war trotz allem mein Anker. Meine oberste Instanz.
alles Krankhafte und Niedergehende ...«, sie lobt ausdrücklich       Als Kind ist das nachvollziehbar. Aber als erwachsene Frau?
die rassistischen und antisemitischen Nürnberger Gesetze,                Damals hatte ich mich noch nicht richtig mit ihren Bü-
plädiert für die Vier-Kinder-Ehe, um der »riesenhaften Ge-               chern beschäftigt. Das alles war in der hintersten Schub-
fahr des Volkstods« entgegenzuwirken. Stillen hält sie für eine          lade in meinem Kopf. Weil ich es nicht sehen wollte. Ich
»rassische Pflicht«.                                                     wollte eine unantastbare Mutter. Und zugleich wusste ich,
Nach dem großen Erfolg ihres ersten Buchs schreibt sie wei-              dass das nicht geht. Später allerdings hatte ich schwere
tere Ratgeber, 1939 schließlich ein Vorlesebuch für Kinder,              Auseinandersetzungen mit ihr.
es heißt Mutter, erzähl von Adolf Hitler. Darin erzählt eine         Wie liefen die ab?
Mutter ihren kleinen Kindern die Aufstiegsgeschichte der Na-             Sie hat alle Kräfte mobilisiert, um sich zu verteidigen.
tionalsozialisten. Ein Buch, das Adolf Hitler verherrlicht, den          Einmal, da war sie schon sehr alt, ging es um eine meiner
Märtyrertod für das Vaterland idealisiert und vor allem zu-              Schwestern, die schwer krank war. Da habe ich die Mutter
tiefst antisemitisch ist. Juden »schleichen wie Katzen, sodass           gefragt: Was hättest du denn gemacht, wenn deine eigene
die Hunde anschlagen«, »der Jude« soll fortgejagt werden, »er            Tochter »lebensunwertes« Leben gewesen wäre? Da ging es
ist uns fremd. Er geht uns nichts an und hat uns immer nur               natürlich los. Das sei doch etwas ganz anderes! Und ich:
schaden wollen.« »Gott«, so endet das Buch, »hat uns einen               Das ist überhaupt nix anderes! Ich sagte ihr, dass ich nicht
Führer geschickt, wie die Welt ihn noch nicht gesehen hat.               verstehen könne, wie man heute, wo man das Ausmaß der
Ihm wollen wir glauben, ihm vertrauen, ihm folgen, wohin er              Nazi-Verbrechen kennt, die damalige Zeit noch verteidigen
uns führt, jetzt und immerdar.«                                          könne. Da hat sie sich das Hörgerät aus dem Ohr gerissen
                                                                         und geschrien: »Dann war mein ganzes Leben umsonst!«
Wann sind Sie zum ersten Mal mit der nationalsozialistischen             Und ist in Tränen ausgebrochen und ins Bett gegangen. Ich
Vergangenheit Ihrer Mutter konfrontiert worden?                          bin ihr nicht nach. Das konnte ich nicht.
   In der Oberschule, da war ich ungefähr 14 Jahre alt. Da           Was meinte sie mit »Dann ist mein ganzes Leben umsonst«?
   hat ein Lehrer sinngemäß gesagt, ich mit meiner Mutter            Hatte sie das Gefühl, dass sie, wenn sie die Bücher im Nach-
   solle mal ganz still sein, was die alles verbrochen habe. Ich     hinein entwertet, ihr ganzes Leben entwertet?
   wusste gar nicht, wovon der spricht.                                  Das war die große Krux, meiner Meinung nach: Dass sie
Haben Sie daraufhin mit Ihrer Mutter geredet?                            den großen Fehler ihres Lebens nicht zugeben konnte.
   Nein. Sie hat zwar nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie            Schon gar nicht vor uns Kindern, weil sie sich vor einer
   Nationalsozialistin gewesen ist. Aber was das bedeutete, das          Verurteilung fürchtete. Und ich habe sie ja auch verurteilt.
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