Der Nutrition Care Process - VDD
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Fokus · Professionelles Handeln Der Nutrition Care Process Im Bereich der Diättherapie und Ernährungsberatung prozessgeleitet arbeiten Die verpflichtende Einführung des „Diätologischen Prozesses“ in die Ausbildung der Diätassistenten (Diaeto- logen) in Österreich [1] hat im Handlungsfeld Diättherapie und Ernährungsberatung im deutschsprachigen Raum die Diskussion über prozessgeleitetes Arbeiten angestoßen. Diese Diskussion ist für Diätassistenten in den deutschsprachigen Ländern ein relativer neuer Ansatz, ihr Handlungsfeld zu betrachten. Die Sicht auf an- dere Gesundheitsfachberufe – wie beispielsweise auf die Gesundheits- und Krankenpflege, Ergotherapie oder Physiotherapie - zeigt aber, dass dort prozessgeleitetes Handeln längst Bestandteil in der beruflichen Tätigkeit geworden ist. Dies trifft ebenso auf Diätassistenten in verschiedenen europäischen Ländern, wie den Niederlan- den oder Schweden und nicht-europäischen Ländern, wie beispielsweise den USA oder Australien, zu. 10 D&I · 5/2011
Fokus · Professionelles Handeln D er nachfolgende Beitrag stellt die Hintergrün- dass bereits 1985 der Pflegeprozess in den Ausbildungs- de dar, vor dem Prozesse in den verschiedenen gesetzen der Gesundheits- und Krankenpflege verankert Handlungsfeldern in der Gesundheitsversor- wurde [2]. Die Entstehung des Pflegeprozesses und auch gung entstanden sind und nimmt Bezug auf existie- die anderen Prozessmodelle in den diversen Hand- rende Prozesse in der Diättherapie und Ernährungs- lungsfeldern der Gesundheitsversorgung sind vor allem beratung. Fokussiert wird dabei auf den in den USA vor dem Hintergrund der Professionalisierung der ver- entwickelten und vom europäischen Dachverband der schiedenen Berufsgruppen zu sehen. In der Pflege re- Diätassistenten—Verbände (EFAD) empfohlene Nutriti- sultierten die Professionalisierungsbestrebungen unter on Care Process. Schließlich werden die Implikationen anderem aus der Abgrenzung der professionellen Pflege und Herausforderungen für Deutschland beschrieben, durch Fachkräfte von der Laienpflege, z.B. durch Fami- die bei der Etablierung eines Prozesses in der Diätthera- lienangehörige. Diese Abgrenzung des Professionellen pie und Ernährungsberatung von Bedeutung sind. vom Laien ist durch ein Prozessmodell – in diesem Fall einen Pflegeprozess - möglich. Gründe für die Entstehung von Prozessen in der Ge- Wie viele Prozessmodelle besteht auch der Pflegepro- sundheitsversorgung am Beispiel der Pflege zess aus einer Reihe logisch voneinander abhängenden Überlegungs-, Entscheidungs- und Handlungsschritten, Bereits in den 50er/60er Jahren des letzten Jahrhun- die auf eine Problemlösung ausgerichtet sind. Im Sinne derts wurde ausgehend von den USA der Pflegeprozess eines Regelkreises ist eine Rückkopplung in Form von definiert und in das Tätigkeitsfeld US-amerikanischer Beurteilungen und Neuanpassungen vorgesehen. Dabei Pflegekräfte eingeführt. Ende der 70er Jahre erreichte wird möglichst alles integriert, was sich an Rahmenbe- die Diskussion auch Deutschland mit der Konsequenz, dingungen und Beziehungen während der Pflege eines Abbildung 1: Nutrition Care Process Modell Quelle: Lacey K, Pritcheit E (2003): Nutrition Care process and Model: ADA adopts road map to quality care and outcomes management. Journal of the American Dietetic Association (ADA); 103 (10): 1062. D&I · 5/2011 11
Fokus · Professionelles Handeln Menschen entwickelt. Daraus ist das zielorientierte Ar- beiten ablesbar, jeder Schritt muss durchdacht, ausge- führt, dokumentiert und bewertet werden. Es gelingt, die eigene Tätigkeit kritisch zu reflektieren, sowie die Qualität erfassbar und überprüfbar zu machen und auch Ergebnisse wissenschaftlich zu erforschen [2]. Der Nutrition Care Process (NCP) Vermutlich waren ähnliche Gründe wie die, die zur Ent- stehung des Pflegeprozesses führten, ausschlaggebend für die Entwicklung und Implementierung des NCP in den USA durch die American Dietetic Association (ADA) im Jahr 2003. Vor der Einführung des NCP existierten in den Vereinigten Staaten eine Vielzahl von Prozess- modellen in der Diättherapie und Ernährungsberatung. Vorrangiges Ziel der Entwicklung und Implementierung des NCP war es, eine hohe Qualität in der Diättherapie und Ernährungsberatung zu erreichen. Dieses Ziel wird von der ADA beschrieben als „das Richtige, zur richti- gen Zeit, mit dem richtigen Weg, für die richtige Person zu tun, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen.“1 [3]. Weiterhin zeigt die Implementierung von standardisier- ten Prozessen, dass Ergebnisse eine geringe Variation und eine größere Vorhersagbarkeit aufweisen [4]. Der NCP stellt die Rahmenbedingungen dar, in der die standardisierte individuelle Diättherapie und Ernäh- rungsberatung stattfindet und „ist eine Methode der sys- tematischen Problemlösung, die von dietetic professio- nals2 angewendet wird, um kritisch zu denken und um Entscheidungen treffen zu können, die es ermöglichen, ernährungsbezogene Probleme qualitätskontrolliert und sicher zu lösen“3 [3]. Der visualisierte NCP – das NCP- Modell - stellt die verschiedenen Schritte des Prozesses und den weiteren Kontext, in dem der NCP stattfindet, sowie weitere Faktoren, die Einfluss auf die Diättherapie und Ernährungsberatung haben dar (Abbildung 1). Dies soll im Folgenden kurz dargestellt und erläutert werden. Das Nutrition Care Process-Modell (NCP-Modell) Im Zentrum des NCP-Modells steht die Beziehung Die Abgrenzung des Professionellen vom Laien ist durch ein Pro- zwischen Patienten (auch: Klienten, Kunden und Grup- zessmodell möglich pen) und dem dietetic professional. Der mittlere Ring 1 Eigene Übersetzung aus dem US-Englischen 2 Dietietc professional: in den USA gibt es zwei anerkannte Berufsgruppen, die in der Diättherapie und Ernährungsberatung tätig sind. Dies sind der „registered Dietitian“ (RD) und der Dietetic Technician Registered (DTR). Der RD ist das (akademisierte) Äquivalent zum deutschen Diätassis- tenten, der DTR kann als Assistent des RD gesehen werden. 3 Eigene Übersetzung aus dem US-Englischen 4 Zwar hat der deutsche Begriff „Diagnose“ die gleiche Bedeutung wie der englische Begriff „Diagnosis“, dennoch ist die Verwendung im Kontext von nicht-ärztlicher Diagnostik in Deutschland problematisch, da die Diagnostik gemeinhin als ärztliche Vorbehaltsaufgabe angesiedelt ist - so auch in den Heilmittelrichtlinien. So wird auch in der Physiotherapie in Deutschland nicht von physiotherapeutischer Diagnose, sondern Befund/Befun- dung gesprochen. An diese Vorgehensweise lehnen sich die hier verwendeten Begriffe „diättherapeutische/r Befund/ung“ an. 12 D&I · 5/2011
Fokus · Professionelles Handeln beschreibt die Stärken und Fähigkeiten des dietetic Diese wird vom dietetic professional gestellt und ist un- professional. Dies sind z.B. das diätetische Fachwissen, abhängig von der medizinischen Diagnose. Sie kann Fähigkeiten und Kompetenzen, das kritische Denken sich im Verlauf der Diättherapie ändern. Beispielsweise (Clincial Reasoning), die interprofessionelle Zusam- könnte die Medizinische Diagnose lauten „Insulinab- menarbeit und die evidenzbasierte Praxis. Der äußere hängiger Diabetes mellitus“ und die Nutrition Diagnosis Ring stellt die Umgebungsfaktoren dar, die ebenfalls „exzessive Fettaufnahme“. Im Laufe der diättherapeuti- Einfluss auf die Diättherapie und Ernährungsberatung schen Intervention könnte sich das von einer Diätassis- haben, wie das Setting (z.B. stationär oder ambulant), tentin diagnostizierte Ernährungsproblem „exzessive das Gesundheitssystem (z.B. Anzahl der gezahlten Fettaufnahme“ in eine moderate Fettaufnahme ändern Therapieeinheiten/Beratungen), das Sozialsystem, aber - der Insulinabhängige Diabetes mellitus bleibt aber auch die wirtschaftliche Lage des Landes/der Region. bestehen. Die Nutrition Diagnosis führt zum 3. Schritt; Zwischen dem Zentrum und den Ringen sind die Pro- der Nutrition Intervention. Die Nutrition Intervention zessschritte des NCP im Uhrzeigersinn verlaufend auf- umfasst die Auswahl, Planung und Implementierung gezeigt. aller notwendigen Maßnahmen zur Lösung von Ernäh- Die 4 Prozessschritte werden durch Screening und rungsproblemen. Dies ist zuallererst die Festlegung Überweisung eingeleitet. Diese sind zwar essentiell, der geeigneten Diättherapie – wenn möglich immer in aber kein direkter Bestandteil des NCP, da sie nicht (im- Zusammenarbeit mit dem Patienten. Dazu zählen die mer) von einem dietetic professional durchgeführt wer- Berechnung des individuellen Energie- und Nährstoff- den. Nach dem Screening und der Überweisung beginnt bedarfs, die Erstellung von Diättherapieplänen sowie die der 1. Schritt des NCP, das Nutritional Assessment und Auswahl geeigneter Darreichungsformen. Dies kann Re-Assessment. Dieser Schritt beinhaltet primär das auch eine enterale oder parenterale Ernährung sein. Er- Sammeln und Erheben von Daten, die für den 2. Schritt gänzend kommen eine individuelle Diätberatung, eine des NCP benötigt werden. Der 2. Schritt des Modells ist Gruppenschulung oder Informationen zur verordneten die Nutrition Diagnosis. Dabei handelt es sich um die Diät im Krankenhaus hinzu. Eine Nutrition Intervention Befundung4 eines oder mehrerer Ernährungsprobleme. verlangt nach Nutrition Monitoring und Evaluation, die Anzeige Was Ernährung mit Ressourcen-Schonung zu tun hat? Finden Sie es heraus! Experten bestätigen: Für eine klima- und umwelt- freundliche Ernährung ist eine Neubewertung des Ernährungsverhaltens und des Ressourcen-Ein- Wussten Sie schon,… satzes notwendig. Weltweit wird 90 % der Acker- > dass für die Produktion von 1l flächen allein für die Tierhaltung bzw. den Anbau Sojadrink 3 x weniger Land und von Tierfutter genutzt (UNEP). Vor dem Hintergrund, dass sich der Konsum von 2,5 x weniger Wasser gebraucht tierischen Produkten bis 2050 verdoppeln und der Milchkonsum um 80 % steigen sowie 5 x weniger CO2 erzeugt wird (FAO), trägt der Ersatz tierischer durch mehr pflanzliche Lebensmittel aktiv dazu bei, die Treibhausgase, den Wasserverbrauch und den Flächenbedarf für wird, als für 1l Kuhmilch? die Grundversorgung mit Lebensmitteln erheblich zu mindern. > dass wenn jeder Deutsche ein- mal pro Woche ein Milch- oder Pflanzliche Lebensmittel lassen sich unkompliziert in die tägliche Ernährung Fleischprodukt durch eine so- integrieren. Wie? Erfahren Sie hier mehr: www.die-sojawoche.de jabasierte Alternative ersetzen würde, die Einsparung an CO2 so groß wäre, als würden 2,2 Millionen Autos weniger auf den deutschen Straßen fahren? Kontrolliert ohne Gentechnik: Der Alpro-Sojaanbau in Südfrankreich. D&I · 5/2011 13
Fokus · Professionelles Handeln im 4. Schritt des NCP dargestellt sind. Dabei handelt es Ist-Situation und NCP: Was ist neu? sich um die Überprüfung und Messung definierter Para- meter eines Individuums oder der Gruppe zu einem (im Bei der genaueren Betrachtung des NCP wird deutlich, Vorhinein) bestimmten Zeitpunkt. dass bereits viele Aspekte in der Diättherapie und Ernäh- Diese könnte z.B. die Kontrolle des Körpergewichts, die rungsberatung in Deutschland umgesetzt werden und Überprüfung eines Blutwertes oder die Bewertung der längst etabliert sind. Auch heute werden in der Ernäh- Lebensqualität nach einem bestimmten Zeitraum sein. rungsanamnese Daten gesammelt, die letztlich dazu Im Gegensatz dazu handelt es sich bei der Evaluation genutzt werden, einen Befund zu stellen, die wiederum um einen systematischen Vergleich des aktuellen Status die Grundlage für die diättherapeutische Intervention mit dem vorherigen Status, z.B. der aktuelle HbA1-Wert ist. Das neue am NCP sind also weniger die inhaltlichen mit dem vor Beginn der diättherapeutischen Interven- Aspekte. Der NCP benennt aber einzelne Elemente und tion. Für das Monitoring und die Evaluation werden Teilschritte in der Therapie und Beratung dezidiert und ausgewählte Indikatoren verwendet, die relevant für die setzt sie in den entsprechenden Kontext. Gerade das ist Bedürfnisse des Individuums/der Gruppe, die Nutrition von immenser Bedeutung, denn was nicht eindeutig Diagnosis, die Therapieziele oder das Krankheitsstadi- benannt wird, kann nicht kontrolliert, finanziert, unter- um sind. richtet, erforscht oder politisch diskutiert werden. Letzt- Alle Ergebnisse führen rückwirkend immer wieder zur lich ist es auch nicht möglich, den Anspruch auf Bezah- Anpassung der Nutrition Intervention, somit ist im Pro- lung zu erheben, wenn nicht eindeutig und klar benannt zessverlauf eine ständige Rückkopplung im Sinne einer und dokumentiert wird, was denn Gegenstand der Be- Feedbackschleife vorgesehen. zahlung ist. So ist es ohne eine standardisierte Sprache, Monitoring und Evaluation münden im „Outcome Ma- mit der die diättherapeutische Versorgung beschrieben nagement System“, in dem die Effektivität und Effizienz werden kann, kaum möglich, die berufliche Tätigkeit der Nutrition Intervention evaluiert werden. Ähnlich wie von Diätassistenten/-innen abzubilden [5]. Überweisung und Screening ist dieses zwar relevant für den Prozess als solches, aber da dies nicht zwingend in Der Diätologische Prozess und der NCP den Tätigkeitsbereich eines dietetic professional fällt, ist das „Outcome Management System“ kein Bestandteil Wie in der Einleitung beschrieben, ist es vor allem der des NCP [3]. verpflichtenden Aufnahme des Diätologischen Prozes- 14 D&I · 5/2011
Fokus · Professionelles Handeln ses in die Ausbildung österreichischer Diätassistenten USA sprechen unbedingt dafür, sich zeitnah für einen 2006 [1] und der ersten Publikation zum Diätologischen verbindlichen Prozess in der Diättherapie und Ernäh- Prozesses 2010 zu verdanken [6], dass prozessgeleitetes rungsberatung zu entscheiden, an dem alle Diätassis- Handeln in der Diättherapie und Ernährungsberatung tenten ihr praktisches Handeln ausrichten. Die in die- auch im deutschsprachigen Raum zu einem Gegenstand sem Beitrag dargestellten Aspekte sprechen eindeutig der Diskussion geworden ist. Obwohl der Diätologische dafür, der EFAD-Empfehlung zu folgen und den NCP in Prozess und der NCP im Kern identisch sind, lassen sich Deutschland zu etablieren. aber auch einige Unterschiede auffinden; wie beispiels- weise die Anzahl der Prozessschritte, die visuelle Dar- Literatur: stellung oder die in der Literatur beschriebene Fokussie- rung auf die individuelle Diät- und Ernährungsberatung [1] Bundesgesetz für die Republik [4] Wheeler D. Understanding Va- im Diätologischen Prozess [6,7], die aber nicht immer Österreich Jahrgang 2006. 2. Ver- riation: The Key to Managing Cha- die einzige Intervention darstellen muss. Weiterhin han- ordnung: FH-MTD-Ausbildungs- os. 2. Auflage. Knoxville, TN: SPC delt es sich beim NCP um einen bewährten und evalu- verordnung – FH-MTD-AV. 2. Ver- Press (2000) ordnung der Bundesministerin für ierten Prozess, was für den Diätologischen Prozess noch Gesundheit und Frauen über Fach- [5] Hakel-Smith N, Lewis NM aussteht, da dieser ja vergleichsweise jung ist. hochschul- Bakkalaureatsstudien- (2004): A standardized nutrition gänge für die Ausbildung in den care process and language are es- Implikationen für Deutschland gehobenen medizinisch-techni- sential components of a conceptual schen. Diensten (FH-MTD-Ausbil- model to guide and document nu- Vor dem Hintergrund der Professionalisierungsbestre- dungsverordnung – FH-MTD-AV. trition care and patient outcomes. bungen aller Berufsgruppen in der Gesundheitsver- Anlage 4: Fachlich-methodische Journal of the American Dietetic sorgung in Deutschland, aber auch der ausgeprägten Kompetenzen der/der Diätologen/ Association 104 (12) :1878-1884. Problematik der Abgrenzung zu nicht-qualifizierten Er- in Anlage 13: Mindestanforderung nährungsberatern, Diätberatern, Ernährungstherapeu- an die praktische Ausbildung [6] Purtscher A E. Beratungskom- ten usw., ist es nicht nur wichtig, sondern essentiell für eines/r Diätologen/in. petenz im Rahmen des diätologi- Diätassistenten hierzulande, sich mit prozessgeleitetem schen Prozesses. In Ledochowski M. Ernährungsmedizin. Springer- Handeln in der Diättherapie und Ernährungsberatung [2] Oelke, U (Hrsg.): In guten Hän- Verlag Wien (2010) intensiv zu beschäftigen. Dem VDD kommt dabei die den 1 Gesundheits- und Kranken- Aufgabe zu, den zu erwartenden Diskurs zu moderie- pflege. 1. Auflage. Cornelsen-Ver- [7] Hofbauer A et al. (2011): Der di- ren, um letztlich zu einer Empfehlung für einen Prozess lag (2007) ätologische Prozess als Instrument im originären Handlungsfeld von Diätassistenten zu ge- der Qualitätssicherung. Journal für langen. Ernährungsmedizin,13 (1); 18-19 EFAD empfiehlt, den NCP in den Mitgliedsländern [3] Lacey K, Pritcheit E (2003): Nu- einzuführen. Ähnlich wie es in Schweden der Fall war, trition Care process and Model: [8] Dietisternas Riksförbund könnte der NCP auch in Deutschland unter Modifizie- ADA adopts road map to quality (DRF): Using the International rung und Anpassung an die politischen und gesetzli- care and outcomes management. Dietetics and Nutrition Termino- chen Gegebenheiten übernommen werden [8]. Wei- Journal of the American Dietetic logy (IDNT) to describe care pro- terhin muss die Benennung der einzelnen Elemente Association (ADA); 103 (10): 1061- vided in context of Nutrition Care 1072 Process. Session 2. 5. April 2011 (Schritte) des Prozesses überdacht werden. Die berufs- politischen Gegebenheiten und die Erfahrungen aus den Die Autoren Daniel Buchholz MPH Sabine Ohlrich Diätassistent DKL/DGE | Diätassistentin | Diplom-Medi- Dipl. Oecotrophologe (FH) zinpädagogin Institut für Medizin-, Pflege- Leiterin des Ausbildungsbe- pädagogik und Pflegewissen- reiches Diätassistenz an der schaft an der Charité – Univer- Charité Gesundheitsakademie sitätsmedizin Berlin – Universitätsmedizin Berlin daniel.buchholz@charite.de sabine.ohlrich@charite.de D&I · 5/2011 15
Fokus · Professionelles Handeln Clinical Reasoning in der Diätassistenz Eine Bestandsaufnahme Im Rahmen der Entscheidung für ein Bachelorstudium für Medizinalfachberufe habe ich 2008 zum ersten Mal von Clinical Reasoning gelesen, ohne zu wissen, worum es genau geht. In der Studienübersicht verteilte sich die Thematik über zwei Semester und im Verlauf habe ich festgestellt, das ist genau das, was mir als Diätassistentin noch gefehlt hat zum besseren Verständnis einer therapeutischen Vorgehensweise. 16 D&I · 5/2011
Fokus · Professionelles Handeln Meine Erfahrungen und mein Bauchgefühl hatten plötz- allem ein stillschweigender, halbbewusster, komplexer lich einen wissenschaftlichen Namen. Parallel habe ich Problemlösungsprozess, der den Klienten nicht mit der festgestellt, dass 2010 in der Arbeitsgruppe „Gesetz“ des medizinischen Diagnose, sondern mit seinem individu- VDD erste Überlegungen auf der Internetseite des VDD, ellen Krankheitserleben in den Mittelpunkt der Betrach- als Positionspapier veröffentlicht wurden. Im Rahmen tung stellt.“ des diesjährigen VDD-Kongresses gab es einen Vortrag Diese Definitionen und Erläuterungen spiegeln gut wie- zu diesem Thema. Clinical Reasoning ist also hochaktu- der, dass der Klient im Clinical Reasoning während der ell und aus meiner Sicht wichtig, wenn wir als Diätas- Behandlung aus einer ganzheitlichen Sicht betrachtet sistenten nachweisen wollen, dass wir wissenschaftlich wird. arbeiten und eine Anerkennung im Gesundheitssystem Nach Burtchen (2007) handelt es sich in gewisser Weise als Therapieberuf haben wollen. Für Ergo-, Physiothe- um Problemlösungsstrategien, in denen es um kogni- rapeuten und Logopäden ist Clinical Reasoning schon tive Fähigkeiten und Fertigkeiten geht. Ziel des Clinical länger Thema (Feiler 2003, Klemme/Siegmann 2006, Reasoning ist es, die Denkstrukturen von Therapeuten Lagemann 2003) und es wird in diesen Berufen regel- so weiter zu entwickeln, dass nicht nur die Behandlung mäßig dazu publiziert. Es lag für mich nahe, das Thema der Erkrankung im Vordergrund steht, sondern die indi- Clinical Reasoning für Diätassistenten im Studium wei- viduellen Rahmenbedingungen des Klienten in die The- ter zu bearbeiten. „Clinical Reasoning in der Diätassis- rapie einbezogen und berücksichtigt werden. tenz – eine Bestandsaufnahme“ lautete das Thema mei- Es geht somit nicht allein um eine somatische Sicht- ner Hausarbeit im Rahmen meines Studiums. weise, sondern zusätzlich um Faktoren, die z. B. die Erkrankung positiv oder negativ beeinflussen können. Begriffsbestimmung Clinical Reasoning Entscheidend ist, wie Therapeut und Klient im Laufe der Behandlung mit den sich eventuell verändernden Rahm- Der Begriff des Clinical Reasoning wird unterschiedlich bedingungen umgehen bzw. der Therapeut die aktuelle übersetzt oder umschrieben. Eine wortwörtliche Über- Situation in den Behandlungsverlauf einbezieht. setzung findet in der Regel nicht statt bzw. hat sich in Das Clinical Reasoning gliedert sich in unterschiedliche Deutschland nicht etabliert. Nach Jones (1997), in Klem- Bereiche, von der Hypothesenbildung über psychologi- me/Siegmann (2006) wird Clinical Reasoning wie folgt sche Anteile bis hin zur Kommunikation. definiert: „Unter Clinical Reasoning sind die Denkvor- Zur besseren Übersicht habe ich ein Mind Map (Abb. 1) gänge und die Entscheidungsfindungen des Therapeu- mit den wichtigsten Teilbereichen des Clinical Reasoning ten während der Untersuchung und Behandlung eines zusammengestellt. Aufgrund dieser Vielfältigkeit habe Klienten zu verstehen.“ Nach der Anthropologin Mattin- ich beschlossen, mich hier auf die ausführliche Beschrei- gly (1991, in Lagemann 2003) ist „Clinical Reasoning vor bung des Clinical Reasoning Prozess zu beschränken. Abb. 1: Mind Map der wichtigsten Teilbereiche des Clincial Reasoning D&I · 5/2011 17
Fokus · Professionelles Handeln Der Clinical Reasoning Prozess Nach Klemme, Siegmann (2006) handelt es sich beim Clinical Reasoning Prozess um eine hypothetisch- 3 Hypothesenproduktion Aus den gesammelten Stich- und Schlüsselwörtern deduktive Vorgehensweise, die als eine mögliche Stra- werden erste Hypothesen z. B. über den Klienten, tegie angesehen wird. Es sollen kognitive Strategien seine Erkrankungen oder seine Prognose entwi- entwickelt werden, um korrekte klinische, in unserem ckelt. Einige Hypothesen werden verworfen, ande- Beruf therapeutische, Entscheidungen zu treffen. re in Betracht gezogen, daraus entwickelt sich eine Die einschlägige Literatur unterteilt diesen Prozess in Richtung oder auch mehrere alternative Richtun- sechs Schritte, die jeweils mit einer Kurzbeschreibung gen in die der Therapeut seine Behandlungsmaß- versehen sind. nahmen lenken könnte. 1 Herausbildung eines „pre-assessment-image“ Der Therapeut macht sich aufgrund der ersten An- 4 „cue interpretation“ Es erfolgen weitere Datensammlungen und Bil- gaben, die er erhält, erste Vorstellungen vom Kli- dung von Schlüsselwörtern, die bestehende Hypo- enten. Dies können Informationen sein, wie: Alter, thesen bestätigen oder widerlegen. Dazu können Geschlecht, medizinische Diagnose von z. B. einer für das Krankheitsbild notwendige Tests herange- ärztlichen Verordnung oder aus der Krankenakte. zogen werden. Die Vorstellungen entstehen u. a. durch Erfahrun- gen mit dem Verlauf von ähnlichen Krankheitsbil- dern oder früheren Begegnungen mit dem Klien- ten. 5 Hypothesenevaluation Alle Hypothesen werden evaluiert und diejenige, die am genauesten zutrifft wird ausgewählt. 2 Prozess der „cue acquisition“ Dies bedeutet das Sammeln von Stich- und Schlüs- 6 Festlegung der therapeutischen Diagnose Diese bildet die die Grundlage für die Planung der selwörtern um zusätzliche Informationen zu erhal- weiteren therapeutischen Vorgehensweise. ten. Dies geschieht im Rahmen einer ausführlichen Anamnese und dem Befundungsprozess. Diese Vorgehensweise ist ein dyna- Fließschema mit den Schritten der notwendigen Vorbereitung der in- mischer Prozess, der während des Ernährungsberatung ergänzt. dividuellen Diättherapie. Es werden therapeutischen Verlaufs immer Wie in den angrenzenden thera- z. B. erste Therapieziele und –inhal- wieder neu beginnt. Das Fließsche- peutischen Berufen findet bei Di- te entwickelt sowie passende Mate- ma (Abb.2) verdeutlicht die Dyna- ätassistenten ebenfalls eine Form rialen zur medialen Unterstützung mik dieses Prozesses. Die farbigen der Befundung statt. Es kommt auf- bereit gelegt. Beim ersten Termin Anteile stellen den möglichen Ver- grund des ersten Eindrucks durch wird das genaue Anliegen des Klien- lauf bzw. die Neuorientierung dar. ein Telefonat oder die Angaben auf ten geklärt und in den Therapiepro- Für die Übertragung des Clinical der ärztlichen Verordnung bzw. zess, so weit möglich, einbezogen. Reasoning Prozesses auf die in- in der Krankenakte zur ersten Hy- Durch eine ausführliche Ernäh- dividuelle Diättherapie wurde das pothesenbildung. Diese dient der rungsanamnese, Wiegen, die Inter- 18 D&I · 5/2011
Fokus · Professionelles Handeln pretation vorliegender Labordaten Therapie- und Beratungsziele in Ab- wie z. B. Diabetes Typ 1, Nieren- usw. kann der Ernährungsstatus sprache mit dem Klienten. In den oder Leberkrankungen können sich festgestellt werden. Die genaue Aus- Folgeberatungen soll der Klienten Blutwerte oder das Körpergewicht wertung der Essgewohnheiten er- durch eine angepasste methodisch- verändern. Solche Veränderungen folgt später z. B. aus der Interpre- didaktische Vorgehensweise moti- beeinflussen den Therapie- und Be- tation der Ernährungsanamnese viert werden, sein Essverhalten den ratungsverlauf im Sinne des Clinical und/oder mit einem Nährwertbe- Zielen entsprechend zu verändern. Reasoning und es werden neue Hy- rechnungsprogramm und unter Im therapeutischen Prozess werden pothesen gebildet, die geplante diät- Berücksichtigung aktueller Emp- immer wieder neue Fakten durch therapeutische Vorgehensweise wird fehlungen und/oder Leitlinien der den Klienten in den Prozess einge- entsprechend angepasst. Fachgesellschaften zum diagnosti- bracht. Diätassistenten gehen darauf zierten Krankheitsbild. Alle diese flexibel ein und somit werden bereits Formen des Clinical Reasoning Daten führen, in Kombination mit vorhandene Hypothesen verworfen, den Ess- und Lebensgewohnheiten, eine neue Hypothesenbildung fin- Die aufgezeigten Formen des Cli- zur Festlegung der individuellen det statt. Bei einigen Erkrankungen nical Reasoning (Abb.1) sind in den Clinical Reasoning Prozess einge- Abbildung 2: Fließschema Clinical Reasoning Prozess im Verlauf der bunden und finden in dessen ge- individuellen Diättherapie samten Verlauf statt. Aus Platzgrün- den ist es nicht möglich, diese noch ausführlich darzustellen. Zusammenfassung Clinical Reasoning findet, wie in der Ergo- und Physiotherapie und der Logopädie auch in therapeutischen Prozessen von Diätassistenten statt. Für die Zukunft wäre es wichtig, die- ses Thema in der Ausbildung und in Fort- und Weiterbildungen zu etablieren. Wie in der Einleitung be- schrieben, sind erste Schritte durch diverse Veröffentlichungen bereits im Gange. Die Literaturliste kann bei der Ver- fasserin angefordert werden. Die Autorin Michaela Pohl Diätassistentin, DKL/DGE Lehrkraft für Berufe im Gesundheitswesen (HAGE) michaelapohl@t-online.de D&I · 5/2011 19
Sie können auch lesen