Fit für die Welt Die deutschen Hochschulen auf dem Weg zum Europäischen Hochschulraum
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Fit für die Welt Die deutschen Hochschulen auf dem Weg zum Europäischen Hochschulraum baker*2 Eine Veröffentlichung zur europäischen Bildungsminister-Konferenz in London
Editorial Liebe Leserin, lieber Leser, Prof. Dr. Margret Wintermantel in diesen Tagen treffen sich die Bildungsminister der Mitgliedsstaaten im Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz Bologna-Prozess in London. Ihre gemeinsamen Themen: Die Fortschritte im Bologna- Prozess und die zukünftige Gestaltung des Europäischen Hochschulraumes. Diese Konferenz wird mit Spannung erwartet und ist für die Hochschulrektorenkonferenz der Anlass, diese Beilage herauszugeben. Auf den nächsten Seiten wollen wir nach- zeichnen, welche Tragweite die Bologna-Reformen für Deutschland und für Europa haben. Und wir möchten eine Plattform bieten, auf der die Bologna-Akteure und Experten aus Hochschulen und Berufswelt sowie aus Wissenschaftsorganisationen ihre Standpunkte darstellen. Dem Bundesministerium für Bildung und Forschung danken wir für die finanzielle Unterstützung. Hinter uns liegen acht Jahre eines Reformprozesses, der in vielerlei Hinsicht ohne Beispiel ist. Bologna steht für eine umfassende Modernisierung aller Studienange- bote und für international verständliche Studienabschlüsse. Es geht um einen Perspektivenwechsel hin zum Lernenden und hin zu den im Studium zu erwerben- den Kompetenzen. Am Ende steht eine bessere Qualität von Lehre und Forschung. Das ist eines der wesentlichen Ziele im Bologna-Prozess. Die deutschen Hochschulen übernehmen dabei eine immer größere Verantwortung und leisten Enormes. Über 5.660 Studiengänge führen inzwischen zum europaweit vergebenen Bachelor- oder Masterabschluss – das entspricht fast der Hälfte des deutschen Studienangebots. Darauf können wir stolz sein! Gleichzeitig aber müssen wir uns den anstehenden Herausforderungen stellen. Die gute Zusammenarbeit mit Politik und Wirtschaft ist dafür eine wertvolle Grundlage. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir die Qualität und die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Hochschulsystems international behaupten können. Damit tragen wir gemeinsam zur Attraktivität des gesamten Europäischen Hochschulraumes bei. Der Bologna-Prozess 3
Grußworte Das vereinte Europa ist Wirklichkeit geworden. Besonders deutlich erleben das Studierende und Forscher. Gemeinsam mit seinen europäischen Nachbarn hat sich Deutschland 1999 in Bologna das Ziel gesetzt, bis zum Jahre 2010 einen Europäischen Hochschulraum zu schaffen. Mittlerwei- le nehmen 45 Staaten daran teil. Der Bologna-Prozess ist die tiefgreifendste Hochschulreform der vergangenen Jahrzehnte. Er hat das Ziel, vergleichbare Abschlüsse zu schaffen, um die Mobilität von Studierenden und Hochschullehrern zu erhöhen, und die Studienbedingungen und Berufs- chancen junger Akademikerinnen und Akademiker umfassend zu verbessern. Dabei geht es nicht um Gleichmacherei. Vielfalt ist das Stichwort. Wo es, wie etwa bei den verschiedenen Wegen zur Promotion, sinnvoll ist, wollen wir unterschiedliche Wege zulassen. Dr. Annette Schavan Gerade im internationalen Streben nach Wissen ist eines in den vergangenen Jahren besonders Bundesministerin für Bildung deutlich geworden: Wir brauchen den Bologna-Prozess, denn nur so können wir die Talente und und Forschung die Kreativität, die an den europäischen Hochschulen zu finden sind, für alle nutzbar machen. Vorschläge zur Stufung der Studienangebote kennt Deutschland seit über 20 Jahren. Modularisie- rung und Leistungspunkte sind auch keine Erfindung des Bologna-Prozesses. Die Qualitätssiche- rung ist seit mehr als zehn Jahren als Aufgabe der Hochschulen in den Hochschulgesetzen veran- kert. Aber erst die Einbindung in eine von fast allen europäischen Staaten getragene Bewegung, wie sie seit der Erklärung von Bologna in Gang gekommen ist, hat die Realisierung dieser Konzep- te so befördert, dass wir heute von beachtlichen Erfolgen berichten können. Dass viel zu tun bleibt für den Gemeinsamen Europäischen Hochschulraum, ist unbestritten. Die Umstellung der Studien- gänge auf die gestufte Struktur braucht weiter Zeit. Viel Überzeugungsarbeit ist noch zu leisten. Bachelor- und Masterstudiengänge ohne Kreditpunkte dürfte es künftig nicht mehr geben. Das Diploma Supplement soll seit 2005 kostenfrei und automatisch ausgestellt werden. Fragen der Prof. Dr. Jürgen Zöllner Mobilität und Anerkennung werden uns auch künftig intensiv beschäftigen. In London können wir Präsident der Kultusminister- jedoch eine durchaus positive Bilanz ziehen und die Schwerpunkte für die nächsten zwei Jahre set- konferenz zen. Die Idee des Gemeinsamen Europäischen Hochschulraums 2010 mobilisiert die jungen Men- schen und leistet einen wichtigen Beitrag für das Zusammenwachsen unseres Kontinents. Die Verpflichtung gegenüber Europa, den Bologna-Prozess bis 2010 weitgehend zu realisieren, ist eine große Chance für die Hochschulen. Studienstrukturen können an veränderte Anforderungen angepasst und so ausgerichtet werden, dass durch Modularisierung für die Studierenden mehr Fle- xibilität und Mobilität entstehen. Zur Sicherung und Verbesserung der Qualität werden Studien- gänge akkreditiert und evaluiert. Berufs- und Beschäftigungsfelder können verändert, Weiterbil- dungsangebote entwickelt werden. Durch fach-, fakultäts-, hochschul- und länderübergreifende Vernetzungen bilden die Hochschulen neue Profile. Die Umstellung auf gestufte Studiengänge ist natürlich auch ein enormer, aber notwendiger Kraft- akt, denn Hochschulen, Studierende und Arbeitgeber haben mit Recht einen transparenten, struk- Ute Erdsiek-Rave turell einheitlichen, an Leistungsansprüchen ausgerichteten Europäischen Hochschulraum einge- Vize-Präsidentin der fordert, damit sich die Absolventinnen und Absolventen ebenso wie die Hochschulen im globalen Kultusministerkonferenz; Bildungs- und Arbeitsmarkt behaupten können. Vertreterin der Länder auf der London-Konferenz 4 Der Bologna-Prozess
Inhalt Von Bologna nach London: Bologna als Treiber der Studienreform 6 Der lange Weg einer guten Idee Eine Bilanz der Bologna-Reformen in Deutschland 28 Die Rahmenbedingungen für den Bologna-Prozess Von Peter Greisler Von Jan-Martin Wiarda Reformieren mit kompetenter Beratung 8 Offene Blicke auf den Arbeitsmarkt Die London-Konferenz aus deutscher Sicht 30 Modellhochschulen als Vorreiter Von Birgit Hennecke und Peter A. Zervakis Von Margret Wintermantel Bologna und die Bundesländer 9 Forschung für den Doktor in Europa Die London-Konferenz aus europäischer Sicht 31 Wie sich die Förderalismusreform auf die Hochschulen auswirkt Von Wolfgang Löwer Von Georg Winckler Freiräume besser nutzen 10 Die Tücke der Details Die Trends-Studie: Gradmesser der Reformen 32 Was sich im Bologna-Prozess noch ändern sollte Von Christiane Gaehtgens Von Lesley Wilson Lob der Vielfalt 12 Gute Zeiten für Nest-Flüchtlinge? Das Mobilitätsverhalten deutscher Studenten 34 Jedes Land reformiert die Hochschulen auf seine eigene Weise Von Johanna Witte Von Christoph Heine und Peter Müßig-Trapp TÜV für neue Studiengänge 14 Grenzenlose Mobilität in Europa Die Verwirklichung einer Utopie 36 Die Akkreditierung auf dem Prüfstand Von Peter Findlay und Ton Vroeijenstijn Von Christian Bode Frischer Wind im Heiligtum 15 Studieren im Ausland, punkten an der Heimat-Uni Joint-Degree-Programme liegen im Trend 38 Die Studienreform bei Medizinern und Juristen Von Stefan Bienefeld und Patrick A. Neuhaus Von Hans R. Friedrich Gute Balance 16 Ohne Sorgen quer durch Europa Die soziale Dimension im Bologna-Prozess 40 Der Qualifikationsrahmen als neue Maßeinheit Von Jan Rathjen Von Achim Meyer auf der Heyde Spielraum für die Kreativität 17 Der steinige Weg nach Bologna Die Reformen aus studentischer Sicht 42 Nationale Qualifikationsrahmen als Chance für die Hochschulen Von Volker Gehmlich Von Elke Michauk Transparenz für alle 18 Pendeln zwischen Berlin und Berkeley Ein Blick auf die Hochschulen in Amerika und Europa 44 Warum der Qualifikationsrahmen in Sozialer Arbeit gut funktioniert Von Ulrich Bartosch, Anita Maile und Christine Speth Von Ulrich Schreiterer Offene Türen für den Bachelor 19 Neugier auf eine europäische Erfindung Der Europäische Hochschulraum im globalen Kontext 46 Die Arbeitgeber stehen hinter der Studienreform Von Dieter Hundt Von Michael Harms Der Beruf im Mittelpunkt 20 USA: Vorbild oder Partner? Die Zukunft des transatlantischen Hochschulraums 47 Wie die neuen Studiengänge auf den Arbeitsmarkt vorbereiten müssen Von Andreas Keller Von Sybille Reichert Stabile Brücke zur Wirtschaft 22 Der Aufbruch als Chance Die Zukunft des Bologna-Prozesses 48 Das Promotionsstudium zwischen Verschulung und Berufspraxis Von Horst Hippler Von Stephan Bieri 24 Europa als weltweiter Maßstab für Qualität Wohin strebt Europa im Post-Bologna-Prozess? 49 Bologna-Glossar Von Ján Figel’ Freie Bewegung für das Wissen 50 Autoren 26 Die Freizügigkeit als Chance für den Standort Europa Von Birger Hendriks 51 Impressum Der Bologna-Prozess 5
DER EUROPÄISCHE HOCHSCHULRAUM IM WERDEN Von Bologna nach London: Der lange Weg einer guten Idee Die Umstellung auf Bachelor und Master ist ein ehrgeiziges Projekt. Die ersten Erfolge zeigen, dass sich die Mühe lohnt – aber auch, dass an den Hochschulen und in der Politik noch Einiges zu tun ist A uf den ersten Blick wirkten die Ergebnisse von Bergen wenig spektaku- lär. Doch die Bürokratensprache, in der die Bologna-Staaten auf ihrer Konferenz in der westnorwegischen Provinz die Agenda für die nächsten zwei Jahre formulierten, täuscht. Die „Umsetzung von Standards und Leitlinien für die Qualitätssicherung“, verbunden mit der Etablierung „nationaler Qualifikations- rahmen“, bedeutet einen Kampf an zwei Fronten. Beispiel Deutschland: Die Umstrukturierung aller Studiengänge bis 2010 ist schwer Timo*3 genug angesichts nicht weniger reformkritischer Professoren und immer noch ineffi- zienter Verwaltungsstrukturen. Dabei aber auch noch die Qualität zu steigern und nicht etwa dem Reformtempo zu opfern, das ist ein Unternehmen, das an Ehrgeiz Teamarbeit: Ob die Studienreform gelingt, liegt nicht nur an den kaum zu überbieten ist. Schaut man sich die Entwicklung seit Bergen an, kann man Hochschulen. Es ist auch eine Frage zumindest für Deutschland sagen: Der Mut hat sich gelohnt. des politischen Willens Die quantitative Seite ist beeindruckend. Nach verhaltenem Start ist der Anteil der gestuften Studiengänge Bachelor und Master am deutschen Studienangebot bis Ende 2006 auf 45 Prozent gestiegen. 2007 werden 50 Prozent erreicht, zwei Drittel liegen im Bereich des Möglichen. Drei Jahre vor dem angepeilten Ziel ist das ein Wert, der weit besser ist, als viele Bergen-Teilnehmer vor zwei Jahren zu hoffen wagten. Gleichzeitig stellt sich jedoch die Qualitätsfrage immer mehr als entscheidende Hür- de heraus. Dass manche Professoren den Bachelor für ein Schmalspur-Studium hal- ten, ist nicht tragisch; doch dass daher gerade die Geisteswissenschaftler die Studi- engänge mancherorts nur halbherzig reformieren, dürfte fatale Folgen haben. Ein wesentlicher Bestandteil der Reform ist ja die berufsqualifizierende Ausbildung der Bachelor-Absolventen – sie wird unmöglich, wenn sich die Bologna-Gegner gegen 6 Der Bologna-Prozess
© Andrew Dunn Farl*3 Meilensteine auf dem Weg zum Europäischen Hochschulraum: In London (links) treffen sich die Bildungsminister in diesem Jahr, die Deklaration aus dem norwegischen Bergen (rechts) hat vor zwei Jahren wichtige Weichen gestellt inhaltliche Veränderungen stemmen me den Studenten vermitteln müssen, turen, die immer gleiche Sorgfalt und und etwa an liebgewordener Theorie- um akkreditiert zu werden. In der Theo- Strenge bei der Bewertung walten zu vermittlung festhalten, die den Rahmen rie ist das Problem also gelöst. Was die lassen. Eine Lösung könnte die Prozess- eines sechssemestrigen Studiums Praxis bislang an Statistiken bietet, Akkreditierung sein, also die Akkreditie- sprengt und den nötigen Raum für weist ebenfalls in die richtige Richtung: rung ganzer Fachbereiche oder Hoch- berufsvorbereitende Inhalte blockiert. Viele Studienfächer melden sinkende schulen, die selbst geeignete Qualitätssi- Die daraus resultierende fachliche Enge Abbrecherraten, die Mehrzahl der cherungssysteme aufgebaut haben. ist für einen weiteren Missstand verant- Bachelor-Studenten scheint das Studium Vor London bleibt somit eine grundsätz- wortlich, der gerade unter Studenten in der Regelstudienzeit zu bewältigen, lich positive, aber auch nüchterne den Ruf des Bachelors gefährdet: was in Deutschland ein Novum ist. Und Bilanz: Die Qualitätsprobleme liegen auf Eigentlich soll die Bologna-Reform Aus- laut Umfragen sind auch die – bislang dem Tisch, auch die Lösungen sind landsaufenthalte erleichtern, doch in allerdings nur wenigen – Bachelor- bekannt. Worauf es jetzt ankommt, ist letzter Zeit klagen viele Studenten dar- Absolventen, die in den Arbeitsmarkt der politische Wille, sie gegen Wider- über, dass die Spezialisierung ihres Stu- gestartet sind, zufrieden mit ihrem stände durchzusetzen. Die rasante Ent- diengangs es ihnen fast unmöglich beruflichen Erfolg. wicklung der vergangenen Jahre stimmt macht, ohne Zeitverlust ein Semester an Dennoch steckt die Akkreditierung in optimistisch, dass der nötige Mut auch einer ausländischen Hochschule zu ver- einer Krise. Die schiere Menge der Studi- diesmal vorhanden sein wird. bringen. engänge, die derzeit umgestellt werden, Keine Frage: Der Bachelor leidet noch erschwert es den Akkreditierungsagen- Jan-Martin Wiarda immer unter einem Akzeptanzproblem, ist Experte für Bildungspolitik bei der Wochenzeitung Die Zeit auch außerhalb der Hochschulen: Wäh- rend die Großkonzerne sich an medien- wirksamen „Bachelor Welcome“-Aktio- nen beteiligen, zeigen Umfragen im Gelungener Start: Die Abbrecherraten Mittelstand, dass sich die meisten Fir- men noch kaum mit der neuen Genera- sinken, das Studientempo steigt und tion von Absolventen auseinanderge- die Chancen der Absolventen auf dem setzt haben. Die Antwort auf all die skeptischen Fra- Arbeitsmarkt stehen gut gen gibt wiederum Bergen: Qualitätssi- cherung. In Nationalen Qualifikations- rahmen ist genau definiert, was Bache- lor-, Master- und Promotionsprogram- Der Bologna-Prozess 7
DER EUROPÄISCHE HOCHSCHULRAUM IM WERDEN Offene Blicke auf den Arbeitsmarkt Die London-Konferenz aus deutscher Sicht: Der enge Dialog mit der Wirtschaft ist wichtig. Die Hoheit über den Lehrplan muss aber bei den Hochschulen bleiben Der Bologna-Prozess steht und fällt mit bessere Ausbildung des wissenschaftli- Blickfeld standen. Dazu gehört ein der Veränderungsbereitschaft der Hoch- chen Nachwuchses auch für eine Aufga- Zugang zur Hochschulbildung, der aus- schulen. Ihr Engagement ist unerlässlich be außerhalb der Hochschulen ist rich- schließlich von den Fähigkeiten der für das Zusammenwachsen der europäi- tig. Es ist aber klar, dass die eigenverant- Bewerber abhängt. Außerdem muss das schen Bildungseinrichtungen. Die Bil- wortliche Forschung der Kernpunkt blei- Potenzial der gestuften Studienstruktur dungsminister haben diesen Zusammen- ben muss. noch besser genutzt werden, sei es im hang von Beginn an erkannt. Ein klares Das besondere Profil des Hochschulstu- Masterstudium, sei es bei der Weiterbil- Signal der politischen Unterstützung ist diums – wissenschaftsbasiert und for- dung. Und es bedarf der Beseitigung von wichtig für die Hochschulen – aber die schungsorientiert – verschafft den Ab- weiteren Mobilitätshindernissen – etwa Konferenz in London muss noch mehr solventen auch auf der Bachelor- und bei der Pensionsübertragung, wenn Wis- leisten. Masterstufe die Kompetenzen, die spä- senschaftler in ein anderes Land wech- Die Bologna-Länder haben sich in den tere Arbeitgeber schätzen. Die Hoch- seln. Auch diese Botschaft sollten die vergangenen Jahren sehr auf nationale schulen erleben es als produktiv, mit den Minister in ihre Heimatstaaten mitneh- Themen konzentriert. Das war nötig – Arbeitgebern über die Qualifikationspro- men: Dass auch andere Politikbereiche aber trotzdem dürfen die internationale file der Studiengänge zu sprechen. Das am Ausbau des Europäischen Hoch- Mobilität und die Kompatibilität der Stu- bedeutet aber auch, dass die Wirtschaft schulraums mitarbeiten müssen. dienprogramme nicht aus dem Blick mehr Verantwortung übernehmen muss, geraten. Darüber hinaus müssen die etwa über Stiftungen oder Stipendien. Prof. Dr. Margret Wintermantel Bologna-Staaten einen engeren Kontakt Diese Dimensionen der Zusammenarbeit ist Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) mit den Ländern außerhalb Europas sollten die Minister deutlich benennen. suchen und dort die Anerkennung der Formell endet der Bologna-Prozess im Abschlüsse sichern. Jahr 2010, aber das Projekt ist damit Wichtig ist auch eine Einigung über die noch nicht abgeschlossen. Die London- Promotionsphase. Die Debatte über eine Konferenz muss deshalb Perspektiven für die Zeit danach aufzeigen. Nötig ist eine unabhängige Analyse des Prozesses – aber auch eine Beschäftigung mit den Themen, die bisher noch zu wenig im 8 Der Bologna-Prozess
Bildungsexperten im Gespräch: Der Europäische Hochschulraum lebt von der Vielfalt Forschung für den Doktor in Europa Die London-Konferenz aus europäischer Sicht: Ein Wissenschafts-Standort braucht attraktive Promotionsangebote. Wie sie in Zukunft aussehen, ist eine Kernfrage an die Politik An den europäischen Universitäten wird research“ heißt dazu das Stichwort der den Zugang zum Studium und die Inter- intensiv über Curricula diskutiert. Dies Universitäten. Das Ziel ist die Vorberei- nationalisierung der Programme. ist etwas Alltägliches. Neu hingegen ist tung sowohl auf eine akademische wie Das von der EU angestrebte Europa des das Thema Doktoratsstudien. Als Folge auf eine außeruniversitäre Karriere. Die Wissens braucht starke Universitäten der Umsetzung der Bologna-Studienar- Doktoranden sollen eng vernetzt in mit attraktiven Promotionsangeboten, in chitektur zeichnet sich derzeit eine Auf- einem Team von Wissenschaftlern denen die Doktoranden stärker als bis- wertung des Doktoratsstudiums ab. Die zusammenarbeiten. lang in die Forschung der Hochschulen Wurzeln dazu liegen im Jahr 2005: Im Die Doktoratsstudien sind an gut ausge- eingebunden sind. Die Ideen der Jungen Bergen-Communiqué wiesen die euro- wiesene Forschungsbereiche der jeweili- treiben diese Forschung voran. Aufgabe päischen Bildungsminister bereits auf gen Universität anzubinden. Die Qualität der Universitäten ist es, sie zur Innovati- die Bedeutung der Doktoratsstudien hin. Im Mai 2007 werden die Ergebnisse der Diskussionen zu diesem Thema vorlie- Die Ideen der Jungen treiben die gen. Die Empfehlungen der europäi- Wissenschaft voran. Im Gegenzug schen Universitäten, durch die European University Association (EUA) vertreten, müssen die Universitäten eine werden als Eckpunkte der künftigen Doktoratsprogramme in Europa dienen. Anleitung zur Innovation geben Die hiesigen Doktoratsstudien müssen weltweit attraktiv sein und mindestens eines Programms wird künftig wesent- on innerhalb und außerhalb der Hoch- drei Jahre dauern. Wichtig ist die wissen- lich daran gemessen, ob sich Absolven- schule anzuleiten. schaftliche Orientierung – „advance- ten anderer europäischer Universitäten ment of knowledge through original für diese Studienprogramme bewerben. Prof. Dr. Georg Winckler Die gesamtuniversitäre Verantwortung ist Präsident der European University Association (EUA) für die Doktoratsstudien muss gestärkt werden – besonders in Hinblick auf deren Struktur und Organisation, auf die Vermittlung von Karriereperspektiven, Der Bologna-Prozess 9
DER EUROPÄISCHE HOCHSCHULRAUM IM WERDEN Die Tücke der Details Wie es um die Studienreform bestellt ist, können die Hochschulen am besten selbst einschätzen. In einem gemeinsamen Report ziehen sie jetzt Bilanz – und kommen oft zu einem anderen Ergebnis als die Regierungen D ass sich die europäischen Län- der auf einen gemeinsamen Kurs in der Hochschulpolitik einigen würden, hätte noch vor wenigen Jahren niemand geglaubt. Je weiter der sion über den Sinn der neuen Program- me und ihre Abstimmung: Mehr chirur- gisch als bildungsreformerisch erfolgte oft der Schnitt, der ein langes Programm einfach in zwei kürzere teilte. Erst all- Reformprozess voranschreitet, desto mählich setzt sich die Erkenntnis durch, mehr stellt sich die Frage, wie es um die dass allein die Anzahl der Jahre keinen konkrete Umsetzung an den Hochschu- Master oder Bachelor macht. Die Berech- len bestellt ist – denn um die Situation nung der Kreditpunkte beruht häufig wirklich zu verbessern, muss man sie ausschließlich auf Studiensemestern. Die zunächst einmal kennen. Einen wichtigen Lernziele, um die es eigentlich gehen Beitrag dazu leistet der Trends-Report muss, werden zwar überall debattiert, der Europäischen Universitätsvereini- von einer europawei- gung (EUA). Für die aktuelle Ausgabe ten Einführung ist man wurden fast 1.000 europäische Hoch- aber noch weit ent- Mobilität ist nicht alles. schulen befragt. Das Ergebnis ist ein Blick auf den Bologna-Prozess aus der fernt. An den Schwie- rigkeiten mit dem Zu einem guten Studium Perspektive der Hochschulen – und die unterscheidet sich nicht selten von jener ECTS-Kreditpunktesy- stem hat sich wenig gehören auch Beratung, der Regierungen. geändert: Fast jede Betreuung und Förderung Die gute Nachricht gleich vorweg: Das zweite Hochschule Konzept des europäischen Hochschul- gibt an, dass „einige Studenten Proble- raums funktioniert. Das meinen immer- me haben“, und meint damit zumeist die hin mehr als drei Viertel der befragten geregelte Anerkennung von ausländi- Hochschulen. Selbst die skeptische Min- schen Studienleistungen. derheit hält zumindest die Idee für gut, Bologna bedeutet auch und vor allem, lediglich die Umsetzung komme zu früh. dass die Hochschulen stärker als bisher Doch die Studie Trends V zeigt auch, dass die Bedürfnisse der Studenten berück- sich der Bologna-Prozess den Aufgaben sichtigen. Das ist mit guter Absicht allein neu stellen muss. Die Frage lautet künftig nicht getan, sondern bedarf flexibler weniger, ob, sondern vielmehr wie die Lernwege sowie effizienter Beratungs- Reform umgesetzt wird. Die Grundele- und Betreuungsdienste und Fördermaß- mente wie etwa die Bachelor- und nahmen. Die Trends-Studie zeigt deut- Master-Programme und das Europäische lich, dass sich Deutschland in diesem Kreditpunktesystem (ECTS) haben die Bereich verbessert – aber auch, dass in meisten Länder bereits eingeführt. Die ganz Europa noch viel zu tun ist. Tücke liegt allerdings im Detail. Zum Bei- Die politischen Entscheidungen, die jetzt spiel in Deutschland: Hier bestehen alte auf dem Bildungsminister-Treffen in Lon- MichaelWu*4 und neue Strukturen nebeneinander, was don getroffen werden, könnten eine Stär- einen langwierigen Umsetzungsprozess kung der europäischen Dimension bewir- befürchten lässt. Zwar sind schon 45 Pro- ken. Bislang stehen in den meisten Län- zent der Studienprogramme umgestellt, dern, darunter auch in Deutschland, ein- aber davon profitieren bislang tatsäch- deutig regionale und nationale Bezüge lich nur 12 Prozent der Studenten. für die Hochschulen im Vordergrund. Andererorts ist man zwar scheinbar wei- Trends belegt jedoch schon heute einen ter, steht aber eigentlich erst ganz am stetigen Anstieg der europaweiten Anfang. Das bezieht sich auf die Diskus- Zusammenarbeit. Auch ein gestiegenes 10 Der Bologna-Prozess
Welche Ausrichtung steht für die Hochschulen im Vordergrund? TRENDS III (2003) TRENDS V (2007) 7 26,9 Regional 7 23,7 Regional 7 12,5 Weltweit 7 17,2 Weltweit Quelle: EUA 7 6,8 Europaweit 7 9,2 Europaweit 1 1 % % 48,3 National 49,3 National Interesse an Regionen außerhalb Europas Zweifeln über das, was sie geleistet Einfache Rechnung: ist festzustellen, vor allem an Asien und haben und was noch zu erreichen ist. Nordamerika. Um eine symbiotische Wenn Trends den Unterschied zwischen Bachelor plus Master Beziehung zwischen diesen beiden Ent- reformerischem Anspruch und der Wirk- reicht nicht immer – wicklungen zu ermöglichen, müssen die lichkeit aufzeigt, dann geschieht das Minister in London darüber beraten, in nicht, um die realen Fortschritte in Frage auf die richtigen welchem Maße die internationale Zu- zu stellen. Vielmehr geht es darum, die Inhalte kommt es an sammenarbeit ein Aspekt des Europäi- Erfolgsbedingungen zu unterstreichen. schen Hochschulraums sein kann. Zum Zieldatum 2010 kann man nicht In der Bologna-Deklaration wird die einfach die Akten schließen. Die Reform- Anerkennung und Wettbewerbsfähigkeit bemühungen und vor allem der Aus- dieses Hochschulraums eindeutig als tausch müssen fortgesetzt werden. Des- eines der Ziele erwähnt. Den Reaktionen halb wird es die Trends-Berichte der EUA nach zu urteilen, sieht das nichteuropäi- weiterhin geben – auch über das Jahr sche Ausland vom Mittelmeerraum über 2010 hinaus. Asien und Australien bis hin nach Süd- und Nordamerika dem mit einer gewis- Lesley Wilson sen Erwartung entgegen. Nur die Euro- ist Generalsekretärin der European päer selbst wiegen sich mancherorts in University Association (EUA) Sprachlabor für Studenten Flexible Lernwege sollten stärker in den Mittelpunkt des Bologna- Prozesses rücken Der Bologna-Prozess 11
DER EUROPÄISCHE HOCHSCHULRAUM IM WERDEN Gute Zeiten für Nest-Flüchtlinge? Der Weg über die Grenzen ist für Studenten so einfach wie noch nie. Nur: Diese Chance nutzen noch längst nicht alle, wie eine neue Statistik zeigt. Vor allem die Bachelors bleiben häufig lieber zu Hause F örderung der Mobilität durch Über- windung der Hindernisse, die der Freizügigkeit in der Praxis im Wege stehen“ – rund acht Jahre nach der Verab- schiedung dieser Kernforderung im Bolo- schen Hochschulwechsel liegen die neuen und die traditionellen Studiengänge dage- gen mit jeweils 13 Prozent gleichauf. Dabei unterscheiden sich die Ergebnisse für Bachelor- bzw. Master-Programme jedoch gna-Abkommen von 1999 kommen die stark voneinander. Master-Studenten füh- deutschen Hochschulen diesem Ziel zumin- ren im Vergleich zu ihren Bachelor-Kollegen dest ein wenig näher. Bachelor und Master wesentlich mehr innerdeutsche studienbe- machen mittlerweile gut 45 Prozent der zogene Aufenthalte durch (63 % vs. 30 %) Studienangebote an deutschen Hochschu- und haben auch deutlich häufiger bereits len aus. Und: Eine aktuelle Studie des die Hochschule in- Hochschul-Informationssystems (HIS) im nerhalb Deutschlands Auftrag der HRK zeigt, dass es in den neu- gewechselt (24 % vs. Mehr Kooperationen en Studiengängen bereits weniger struktu- relle und bürokratische Hindernisse gibt, 10 %). Zudem liegen die Master-Studenten und bessere Praktika: die in den traditionellen Studiengängen Magister und Diplom häufig noch die bei den absolvierten Auslandsaufenthalten Die Hochschulen müssen Mobilität hemmen. vorn (35 % vs. 12 %). ihre Studenten stärker ins Vor allem klagen weniger Studenten aus Dass die angehenden den Bachelor- und Masterstudiengängen Bachelors so wenig Ausland locken über Probleme bei der Anerkennung von mobil sind, liegt auch Leistungsnachweisen: Während bei den an der neuen Studienstruktur: Da die Pro- traditionellen Studiengängen 23 Prozent gramme auf einen kurzen und kompakten der Befragten nach einem Hochschulwech- Umfang ausgelegt sind, bieten sich hier sel von Schwierigkeiten berichten, sind es weniger Möglichkeiten, studienbezogen bei den Bachelor- und Masterstudenten nur mobil zu werden. Die höhere Mobilität in noch 18 Prozent. „Zeitverluste im Studi- Master-Studiengängen dürfte teilweise mit um“ erlitten 43 Prozent der Hochschul- den Praxisphasen zusammenhängen, die wechsler in traditionellen Studiengängen, häufig in den Curricula vorgeschrieben aber nur 35 Prozent in Bachelor- und sind; teilweise auch damit, dass sich mit Master-Programmen. dem Übergang zum Master ein Hochschul- Insgesamt entspricht das Mobilitätsverhal- wechsel geradezu anbietet, etwa weil an ten in den neuen Studiengängen allerdings der bisherigen Hochschule ein individuell noch nicht dem Niveau bei den Magister- passendes Angebot (noch) fehlt. und Diplomprogrammen. Studienbezogene Für Bachelor-Studenten ergeben sich grö- Aufenthalte wie Seminarbesuche an ande- ßere Chancen zur Mobilität offenbar erst ren Hochschulen, Summer-Schools oder beim Wechsel in einen Master-Studiengang Praktika absolvieren nur 35 Prozent der – ein Umstand, der für die Mobilitätsent- Studenten aus den neuen Studiengängen – wicklung in Deutschland problematisch bei den traditionellen Programmen liegt sein könnte. Schließlich soll der Bachelor die Quote bei 47 Prozent. Beim innerdeut- künftig der Regelabschluss sein und direkt in die Berufstätigkeit führen; so haben es die Kultusminister der Länder zumindest vor vier Jahren beschlossen. Dadurch besteht jedoch die Gefahr einer paradoxen Entwicklung: Der gemeinsame Europäische 12 Der Bologna-Prozess
Hochschulraum und das für den Bologna- Prozess essentielle Ziel von erhöhter Mobi- lität könnte gerade durch die Bachelor-Ein- führung beschädigt werden. Das gilt jeden- falls dann, wenn die meisten Studenten an den Bachelor kein weiteres Studium mehr anschließen (können). Abhilfe könnten beispielsweise vermehrte obligatorische Praktika oder die verstärkte Kooperation mit fachverwandten Hoch- schulen schaffen. Eine weitere Möglichkeit sind internationale Pflichtphasen, die in den Studienplan integriert sind. An der Bereitschaft der Bachelor-Studenten jeden- betroffen war, mit 15 Prozent deutlich Raus aus dem Sessel! falls mangelt es nicht: 17 Prozent von größer als bei den traditionellen Studien- Nicht nur zu Hause ihnen planen „(ganz) sicher“ im Inland gängen (10 %). Unklar ist gegenwärtig einen Hochschulwechsel - wahrscheinlich noch, ob dafür zu stark spezialisierte Studi- lässt es sich gut lernen haben sie dabei schon den Master im engänge verantwortlich sind oder ob es Visier. Damit liegen sie nicht nur deutlich schlicht Reibungsverluste sind, die bei dem über dem Durchschnitt (8 %), sondern auch tiefgreifenden Umbau der deutschen Hoch- weit vor den Magister- und Diplom-Studen- schullandschaft quasi zwangsläufig ent- ten (6 % und 7 %). Hoch ist auch die Bereit- stehen. Die Antwort auf diese Frage wird schaft, über die Grenze zu gehen: 40 Pro- erst eine Wiederholungsstudie geben. zent der Bachelor-Studenten planen einen Auslandsaufenthalt, in den traditionellen Dr. Christoph Heine Studiengängen sind es nur 34 Prozent. ist Arbeitsbereichsleiter Studierendenforschung der HIS GmbH In Hinblick auf kompatible Studienangebo- te steht indes noch wichtige Aufbauarbeit Peter Müßig-Trapp an. So ist etwa die Gruppe der Bachelor- ist Arbeitsbereichsleiter Informations- und Master-Studenten, die bei ihrem Hoch- systeme und Online-Forschung der schulwechsel von einem „fehlenden An- HIS GmbH gebot an kompatiblen Studiengängen“ © Caro/Waechter Sonnenplätzchen gesucht? Vor allem Master-Studenten wechseln oft an eine andere Hochschule – neue Erfahrungen sind dabei garantiert Der Bologna-Prozess 13
DER EUROPÄISCHE HOCHSCHULRAUM IM WERDEN © ljavierperez Grenzenlose Mobilität in Europa Der Bologna-Prozess hat eine Utopie innerhalb kürzester Zeit zur Wirklichkeit gemacht: Alle Barrieren, die sich über Jahrhunderte zwischen den Nationalstaaten aufgetürmt haben, sind überwunden – und doch bleiben einige Wünsche unerfüllt In ganz Europa grenzenlos forschen, leh- ten und das ständig wachsende Eras- ren und studieren können; einen mus-Programm, das in einigen Jahren Abschluss machen, der überall aner- rund 300.000 Studenten pro Jahr über kannt wird und beruflich in ganz Europa die Grenzen von mehr als 30 Ländern genutzt werden kann: So lautet das ein- Europas bewegen wird – das alles sind Gepackte Koffer: Der problemlose fache wie ehrgeizige Ziel, das sich die Errungenschaften, die noch vor einem Weg ins Ausland war noch vor Regierungschefs der EU gesetzt haben. Jahrzehnt utopisch erschienen. zehn Jahren undenkbar Es soll für den gesamten Bologna-Raum Und doch gibt es auch Probleme und mit seinen 45 Staaten gelten, von Coim- Sorgen, die den Prozess begleiten; eben- bra bis Chabarovsk. Dies alles formuliert so wie weitere Wünsche und Hoffnun- sich in ministeriellen Communiqués gen. Die oftmals zu eng gestrickten drei- recht einfach, aber der Teufel steckt im jährigen Bachelor-Studiengänge etwa Detail. Nur mit Enthusiasmus, Mut zum lassen zu wenig Raum für längere Aus- Unterschied und gegenseitigem Respekt landserfahrungen. Die Anrechnung von lassen sich die Barrieren überwinden, erbrachten Leistungen ist häufig noch die die Nationalstaaten im Laufe jahr- kleinherzig bis kleinkariert. Außerdem ist hundertelanger Konflikte zwischen sich ein Auslandsaufenthalt für viele zu teuer, aufgetürmt haben. die nationalen Förderprogramme sind zu klein dimensioniert und die Fremdspra- Ohne Großzügigkeit und Respekt chen-Kompetenz der Teilnehmer ist oft unzureichend. Deshalb sollte die „gren- kommt Bologna nicht weiter zenlose Mobilität“ auf der nächsten Ministerkonferenz in London wieder Der Bologna-Prozess bietet eine einmali- dorthin gerückt werden, wo sie am ge Chance und hat inzwischen eine nie Anfang des Bologna-Prozesses stand: an für möglich gehaltene Dynamik ange- die Spitze der Agenda. nommen. Universitäten vernetzen sich und die nationalen Konzepte zur Hoch- Dr. Christian Bode schulpolitik werden aufeinander abge- ist Generalsekretär des Deutschen stimmt. Die Fortschritte sind unverkenn- Akademischen Austauschdienstes (DAAD) bar: Harmonisierte Abschlusssysteme, anrechenbare Kreditpunkte, bessere Informationen über Studienmöglichkei- 14 Der Bologna-Prozess
© mr starbuck Gelebte Integration: Ein gemeinsames Curriculum verbindet Studenten aus mehreren Ländern – und verspricht ein gefragtes Zeugnis Studieren im Ausland, punkten an der Heimat-Uni Rüstzeug für einen schnellen Joint-Degree-Programme sind Studienan- denten bei kürzeren Studienzyklen. Hinzu gebote, die an mindestens zwei verschie- kommt, dass ein gemeinsam entwickeltes Abschluss: Arbeiten mehrere denen europäischen Hochschulen statt- Curriculum meist ein höheres internatio- Hochschulen zusammen, kön- finden. Sie basieren auf einem gemein- nales Niveau hat als ein rein national ent- nen die Studenten ohne Zeit- sam entwickelten Studienplan; auch das wickeltes. Arbeitgeber wissen das zu Abschlusszeugnis stellen die beteiligten schätzen. verlust ins Ausland wechseln Hochschulen zusammen aus, wenn der Grenzüberschreitend konzipierte Pro- gesetzliche Rahmen gegeben ist. Ersatz- gramme wirken auch europäisch integra- weise gibt es die so genannten Doppel- tiv. Wegen der höheren Vorbereitungsko- diplome, die aber nicht das Ziel der Idee sten werden nur solche Programme ent- von „joint programmes“ darstellen. wickelt, die international Ansehen und Das Ziel ist vielmehr ein neuer, europäi- Bestand haben. Dahinter stehen meist scher Typ des Abschlusses, den die Hoch- Hochschullehrer mit besonderem Engage- schulen gemeinsam bescheinigen. Wenn ment und Idealismus. Die Studenten erhal- mindestens eine Hochschule aus einem ten diese gefragten Zutaten kostenlos. der 27 EU-Staaten beteiligt war, wird der Mit gezielt gestalteten Joint-Degree-Pro- Abschluss automatisch in allen Ländern grammen können die Hochschulen ihr der Europäischen Union anerkannt. Eine Profil prägen. Das geht nicht nur die vergleichbare Regelung wird für den jeweiligen Fakultäten an, sondern ist gesamten Bologna-Raum mit seinen 45 auch eine Leitungsaufgabe. Die Vorberei- Mitgliedsstaaten angestrebt. tung solcher Programme sollte deshalb Joint-Degree-Programme haben eine Rei- gezielt gefördert werden. he von Vorteilen. So erlaubt es der abge- stimmte Studienplan, Auslandsaufenthal- Prof. Hans R. Friedrich te an einer oder mehreren Partnerhoch- lehrt an der Hochschule Bremen und an der Fachhochschule Osnabrück. Er ist schulen zu verbringen, ohne dabei Studi- Ministerialdirektor a.D. und war von 1990 enzeit zu verlieren. Man studiert fachlich bis 2002 Leiter der Hochschulabteilung im „wie zu Hause“, kann aber gleichzeitig Bundesministerium für Bildung und die sprachliche und kulturelle Erfahrung Forschung. Er ist Mitverfasser des Entwurfs eines Auslandsaufenthaltes machen. Alles der Bologna-Erklärung wird gegenseitig anerkannt. Diese Pro- gramme sind damit die Chance schlecht- hin für den Erhalt der Mobilität von Stu- Der Bologna-Prozess 15
DER EUROPÄISCHE HOCHSCHULRAUM IM WERDEN Ohne Sorgen quer durch Europa Die soziale Situation der Studenten ist in jedem Land anders. Die grenzenlose Mobilität bleibt deshalb für viele ein Traum. Zeit, Bologna vom Kopf auf die Füße zu stellen Bis 2010 soll eine schöne Vision Wirk- ßig das Abstraktum der „sozialen lichkeit werden: 45 Länder verschmel- Dimension“ – gefüllt ist es bislang aller- zen zu einem Europäischen Hochschul- dings nicht. Der Dachverband European raum mit einheitlichen Bachelor- und Council for Student Affairs hat daher Master-Abschlüssen; rund 20 Millionen eine klare Aufgabe für die Bologna- Studenten läuten eine neue Epoche Nachfolgekonferenz in London formu- grenzenloser Mobilität ein, der Hoch- liert: das Schlagwort mit Leben zu füllen schulstandort Europa gewinnt weltweit und Bologna gleichsam vom Kopf auf an Attraktivität. die Füße zu stellen. Allerdings ist es leichter geträumt als Die Bildungsminister müssen sich zu getan, einen Bachelor in Bonn zu einer länderübergreifenden Bestands- © Caro Fotoagentur/A.Froese machen, einen Master in Manchester aufnahme der Student Services ver- oder umgekehrt. Neugier und Mut allein pflichten, die dann in verbindliche Stan- reichen nicht aus. Studenten brauchen dards mündet. Sonst bleibt die grenzen- auch ein günstiges Dach über dem Kopf, lose Mobilität für viele Studenten ein eine ausreichende Finanzierung, gutes unerreichbarer Traum. Im Vergleich mit Essen und Beratung. Das gilt in Regens- Regionen wie etwa Amerika, in denen burg genauso wie in Riga. Student Services auf hohem Niveau Mühelos vorwärts kommen: Neugier und Mut reichen für einen Der Weg an eine neue Uni sollte so einfach wie möglich sein Auslandsaufenthalt nicht aus. Wichtig ist auch ein günstiges Dach über dem Kopf Im Europäischen Hochschulraum mögen angeboten werden, würde das die die Abschlüsse einheitlich sein, die Attraktivität des Hochschulstandorts soziale Situation der Studenten ist es Europa nachhaltig schwächen. nicht. In Deutschland und Frankreich etwa sind die Studentenwerke für die so Achim Meyer auf der Heyde genannten Student Services verantwort- ist Generalsekretär des Deutschen Studen- tenwerks und Präsident des europäischen lich, also für Beratungs- und Dienstlei- Studentenwerks-Dachverbands ECStA stungsangebote. Ähnliche Organisatio- nen sind in anderen europäischen Län- dern unzureichend und teilweise gar nicht ausgeprägt. Die europäischen Bildungsminister ver- wenden in ihren Deklarationen regelmä- 16 Der Bologna-Prozess
Der steinige Weg © Caro/Waechter nach Bologna Viele Hindernisse blockieren einen Erfolg der Hochschulreform. So wichtig die Veränderungen auch sind: Studiengebühren, fehlender Praxisbezug und die unsicheren Berufsaussichten der Absolventen überschatten die Vorteile Das Zieldatum für die Umsetzung des Bologna-Prozesses ist das Jahr 2010. Ein Blick auf die Agenda zeigt jedoch deutlich: Diese Vorgabe, der sich die Bologna-Staaten verpflichtet haben, lässt sich kaum einhalten. Bislang sind zwar schon 48 Prozent der Studiengänge auf Bachelor und Master umgestellt, aber das sagt noch lange nichts über die Qualität der Umstellung aus. Aus studentischer Sicht gehört mehr als nur die formale Einführung von Bachelor und Master zum Bologna-Prozess. Im Mittelpunkt steht nach wie vor die Forderung nach einer Bestandsaufnahme im Bereich der sozialen Dimension und nach einer Öffnung des Hochschulzugangs. Weiterhin müssen die Anerkennung von erworbe- nen Leistungen und die Mobilität von Lehrenden, Studenten und Mitarbeitern vor- angetrieben werden. Der Grundbaustein auf dem Weg zu diesen Zielen ist die Betei- ligung aller Akteure. Deutschland sieht sich dabei vor einem Berg an Problemen: So sind die neuen Stu- diengänge laut einer Studie des Hochschul-Informationssystems (HIS) nicht so attraktiv, wie es die Arbeitgeber gern sehen würden. Mögliche Ursachen sind im feh- lenden Praxisbezug, in den unsicheren Berufsaussichten, der zunehmenden Verschu- lung, der nicht eintretenden Erhöhung der Mobilität und in der Einführung von Stu- diengebühren zu sehen. Zäher Fortschritt Bei der Umsetzung der Vorhaben steht sich Deutschland selbst im Wege: Die zuneh- mende Verschulung der Studienfächer, verbunden mit Anwesenheitspflicht und Bis der frische Wind in den höherer Prüfungsbelastung, schränkt die Studenten in ihrer Mobilität ein. Die Gefahr, Hörsälen ankommt, müs- dass erbrachte Leistungen nicht anerkannt werden, hängt wie ein Damoklesschwert über den Köpfen der Betroffenen. Diese Mängel kann auch das deutsche Akkreditie- sen die Hochschulen noch rungssystem, das sich mit seiner bevorstehenden Neuausrichtung hin zur Prozessak- einen Berg an Problemen kreditierung noch ein entscheidendes Stück weiter vom angestrebten Ziel der Qua- litätssicherung sowie der Vergleichbarkeit von Studiengängen entfernt, nicht aus überwinden dem Weg räumen. Die Errichtung des Europäischen Hochschulraums beginnt im eigenen Land und nicht etwa mit der Orientierung am Ausland: Ziele, die hier verfehlt werden, lassen sich auch auf europäischer Ebene nicht erreichen. Elke Michauk ist Vorstandsmitglied im freien zusammenschluss von studentInnenschaften (fzs) Der Bologna-Prozess 17
DER EUROPÄISCHE HOCHSCHULRAUM IM WERDEN Pendeln zwischen Berlin und Berkeley Die akademische Reise von Europa nach Amerika wird dank Bologna einfacher – zumindest theoretisch. Noch allerdings trauen die US-Hochschulen der Entwicklung in der Alten Welt nicht so richtig Elpav*2 In den USA beobachtet man den Bolo- einen studienbezogenen Auslandsauf- gna-Prozess mit einer Mischung aus enthalt. Neugier, Irritation und Gleichgültigkeit. Eliteunis rekrutieren weltweit Studenten Neugierig sind alle, die mit der Zulas- und Professoren, geben sich allerdings sung ausländischer Studenten zu tun zugeknöpft, wenn es um Studentenaus- haben. Sie wollen wissen, was der „aka- tausch oder feste Beziehungen mit ande- demische Euro“ wert ist und wie man ren Hochschulen geht. Viele Amerikaner Bachelor aus Aachen oder Zagreb einstu- meinen, die europäischen Unis seien fen soll, die sich in Atlanta oder Yale um überlastet und ausgeblutet. Sie schwär- ein Graduiertenstudium bewerben. men lieber von den enormen Potenzialen Irritiert reagiert das Hochschulestablish- Indiens und Chinas. Der Bologna-Prozess ment, das der globale Wettbewerb um kann daran nur wenig ändern. Neue Stu- Talente und Patente umtreibt. Bologna, dienformate und das Kreditpunkte- argwöhnt man hier, könnte mehr Stu- System mögen mehr Vergleichbarkeit denten nach Europa locken und die Posi- bringen, aber weder verkürzen sie den tion der USA auf dem internationalen Weg zu einem Studium in den USA noch Hochschulmarkt schwächen. Die übrige machen sie den europäischen Hoch- higher education community schweigt schulraum für Amerikaner attraktiver. dazu. Was in der alten Welt passiert, Hier heißt es eben schlicht: Konvergenz Aushängeschild: Die Bibliothek an der Yale University interessiert im amerikanischen Hoch- ist gut, Konkurrenz ist besser. Globale Kompetenz liegt in Amerika voll im Trend. Ins Ausland wollen trotzdem die wenigsten Studenten schulraum nur wenige. Verbindliche Dr. Ulrich Schreiterer Regeln oder Standards gibt es dort nicht. ist Senior Research Scholar und Lecturer Jede Hochschule entscheidet nach eige- in Soziologie an der Yale University nem Gutdünken über Leistungsanforde- in New Haven, USA rungen, die Anerkennung ausländischer Examina und die Zulassung von Studien- bewerbern. Zwar ist es hip, von „globa- ler Kompetenz“ zu schwadronieren und Studenten anzuhalten, wenigstens für kurze Zeit ins Ausland zu gehen. Das Interesse aber bleibt gering: Nur 2,6 Pro- zent aller undergraduates absolvieren 18 Der Bologna-Prozess
Neugier auf eine europäische Erfindung Der Bologna-Prozess sorgt international für Furore. Selbst in China und Australien verfolgen Bildungsexperten mit Interesse, was sich an den hiesigen Hochschulen tut. Für den Wettbewerb um die klügsten Köpfe ist das ein gutes Zeichen Die Bologna-Reformen hatten von jeher mindestens drei Zielrichtungen in ihren Stinson*1 räumlichen Auswirkungen: erstens nach innen in die jeweiligen nationalen Hoch- schulsysteme, zweitens in den Europäischen Hochschulraum hinein, den es mit dem Bologna-Prozess zu erschaffen gilt, und drittens nach draußen in die übrigen Länder der Welt. Je mehr der Reformprozess an Fahrt gewinnt, desto wichtiger wird die Außenwir- kung, die früher als „externe Dimension“ bezeichnet wurde. Noch vor kurzem konn- ten nur Hochschulexperten und Insider in den USA, in China, Kanada und Australien etwas mit dem Begriff „Bologna-Prozess“ anfangen. In den vergangenen Jahren aber ist das Interesse an den beispiellosen Veränderungen in den Hochschulsyste- men des alten und neuen Europa spürbar gewachsen. Deutlich wird dies an vielen internationalen Konferenzen und Publikationen, die sich mit dem Thema beschäfti- gen – und auch daran, dass andere Länder offizielle Beobachter zu Informationsrei- sen in den Europäischen Hochschulraum entsenden. Zu den wichtigsten Zielen des Bologna-Prozesses gehörte von Anfang an die Steige- rung der Attraktivität der Hochschulen in Europa. Dieser Vorsatz deutet an, dass es um einen globalen Wettbewerb geht: Europa soll fit gemacht werden, um mit den anderen Ländern der Erde und ihren Hochschulsystemen um die klügsten Köpfe zu Weltweiter Erfolg konkurrieren, die man für die Herausforderungen der Zukunft braucht. Hier liegt eine Riesenchance für die europäischen Hochschulen – wenn es denn gelingt, den begon- Selbst in Asien stoßen die nenen Prozess gemeinsam zu einem Erfolg werden zu lassen. Bologna-Reformen auf Dafür ist es notwendig, dass sich Europa nicht abschottet, sondern weiter öffnet. Dazu gehört unter anderem eine verbesserte Informationspolitik „nach draußen“, Interesse aber auch eine flexiblere Praxis der Anerkennung von Abschlüssen, die außerhalb des Bologna-Raums erworben wurden. Nur wenn mit dem Bologna-Modell überzeu- gende Standards gesetzt werden, kann auch die globale Dimension des Reformpro- zesses erfolgreich sein. Dr. Michael Harms leitet die Arbeitsbereiche Internationale Angelegenheiten sowie Lehre und Forschung in Deutschland und Europa bei der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) Der Bologna-Prozess 19
DER EUROPÄISCHE HOCHSCHULRAUM IM WERDEN USA: Vorbild oder Partner? Amerika gilt als schärfster Konkurrent für den Europäischen Hochschulraum. Vor allem die Forschungs-Zusammenarbeit bringt aber Schwung ins trans- atlantische Verhältnis – und verringert den Abstand zwischen den Rivalen D ie Bologna-Reformen stehen seit ihrem Beginn unter einem doppelten Vorzeichen. Einer- seits basieren sie auf dem intensiven Aus- tausch und der engen Zusammenarbeit men aus Europa. Die Befürchtung, der dreijährige europäische Bachelor könnte in den USA auf Anerkennungsschwierig- keiten stoßen, bewahrheitet sich nicht; schließlich hatten auch die Engländer in zwischen den europäischen Ländern, der Vergangenheit keine Probleme mit andererseits sind sie geprägt vom Wett- ihren dreijährigen Bachelor-Titeln. Zudem bewerb Europas mit dem Rest der Welt. brauchen die US-Hochschulen europäi- Viele Ziele des Bologna-Prozesses ent- sche Graduates, weil die Zahl der inländi- springen der jahrzehntelangen Koopera- schen Bewerber rück- tion zwischen europäischen Universitä- läufig ist. ten, deren Erfolge die Hoffnung auf einen Für amerikanische Heilsamer Wettbewerb: gemeinsamen Hochschulraum entstehen ließen. Zu diesen Zielen gehören die ver- Studenten ist Europa das beliebteste Ziel, Die guten Bedingungen an besserte Vergleichbarkeit, die Transpa- renz der Strukturen, die erhöhte Mobili- wenngleich sie häu- fig in hiesigen Pro- US-Universitäten dienen tät, die Qualitätssicherung, aber auch grammen ihrer eige- als Ansporn für die hiesigen beispielsweise die Einführung des euro- nen Hochschulen stu- päischen Kreditpunktesystems ECTS. dieren. Unter den eu- Hochschulen Gleichzeitig verschreibt sich die Bologna- ropäischen Ländern Deklaration an oberster Stelle der „Stär- gibt es nur wenige Nettoimporteure von kung der internationalen Wettbewerbsfä- ausländischen Studenten – Großbritan- higkeit des europäischen Hochschulsy- nien und Deutschland stehen an erster stems.“ Gerade die USA wurden in politi- Stelle. Die neuen Studienabschlüsse und schen Reden und Strategiepapieren die wachsende Anzahl englischsprachiger immer wieder als bedrohlicher Gewinner Programme haben aber bereits an vielen auf dem Markt der mobilen Studenten, Hochschulen einen deutlichen Anstieg der Wissenschaftler und hochqualifizier- ausgelöst. ten Arbeitskräfte beschworen; als ein Bedenklicher ist der Blick auf die Gradu- Wettbewerber, dem es die Stirn zu bieten ierten aus den EU-Ländern, deren Mobili- gilt. Was bleibt also nach Jahren der tät sich als Brain Drain entpuppt. Zwi- Reformen für den transatlantischen Uni- schen 1998 und 2001 wollten 57 Prozent versitäts-Austausch zu hoffen und zu der europäischen Graduierten, die ihren befürchten? Wie durchlässig sind die Doktortitel in den USA erworben haben, Hochschulräume auf beiden Seiten des gleich ganz dort bleiben. Auch wenn Atlantiks inzwischen geworden? Amerika in den vergangenen Jahren bei Was die Lehre betrifft, verfügen die USA vielen Zielgruppen an Anziehungskraft über eine herausragende Attraktivität für verloren hat, muss in Europa noch viel ausländische Studenten. Der globale passieren, um den hiesigen Doktoren ein Marktanteil Amerikas liegt in dieser Hin- Forschungs- oder Berufsumfeld zu bieten, sicht bei 22 Prozent. Dabei stammen das mit den Möglichkeiten in den USA mehr als 56 Prozent der ausländischen mithalten kann. Gerade in Deutschland Studenten aus Asien; nur 13 Prozent kom- wird zwar intensiv versucht, die wissen- 20 Der Bologna-Prozess
Für Graduierte ist Europa wenig attraktiv. Wer seinen Doktortitel in Amerika gemacht hat, bleibt für die Karriere häufig dort schaftlichen Laufbahnen attraktiver zu Ob nun brain drainer, Vorbild oder Partner gestalten; dennoch bleibt viel zu tun: – ein transatlantischer Hochschulraum Durchlässige nationale Wissenschafts- gedeiht immer noch in Konkurrenz am märkte, eine stärkere Leistungsbeloh- besten. Zu hoffen bleibt vor allem, dass nung, bessere Bedingungen für unterneh- merische Initiativen der Akademiker und eine enge Kooperation zwischen Indu- strie und Wissenschaftlern gehören zu den Forderungen. In dieser Hinsicht wir- Amerikanische Unis ken die USA doch noch eher als Vorbild denn als Austauschpartner. brauchen europäische Einen transatlantischen Hochschulraum Graduates, weil die gibt es aber durchaus – in einem ganz anderen Bereich und noch lange nicht Zahl der inländischen ausgewogen: Er entsteht im Rahmen der Bewerber sinkt f/stop*1 Forschungszusammenarbeit, die immer enger wird, und beim konvergierenden Publikationsverhalten der Wissenschaft- ler. Seit 1997 überflügelt die EU die Verei- nigten Staaten hinsichtlich der Anzahl an der europäische Erneuerungswille weit Publikationen und nähert sich stetig dem über Bologna hinauswächst, und dass amerikanischen Anteil an Zitationen, der sich neben dem Willen zur Zusammenar- als Indikator wissenschaftlicher Wirkung beit auch die Lust am Wettbewerb ver- gilt. Mehr noch: Die Zahl der internatio- stärkt. Erst dann könnte ein transatlanti- nalen Publikationen steigt, in denen Wis- scher Hochschulraum entstehen, in dem senschaftler aus verschiedenen Ländern die Gewinnchancen etwas ausgewoge- zusammengearbeitet haben. In ihrer ner auf beiden Seiten winken. wachsenden Verschränktheit orientieren sich die Wissenschaftssysteme zuneh- Dr. Sybille Reichert mend an gemeinsamen Erfolgskriterien hat sich auf die Politik- und Strategie- beratung von Hochschulen spezialisiert. und den selben global anerkannten Zeit- Ihr Unternehmen sitzt in Zürich schriften. Der Bologna-Prozess 21
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