Fit für die Welt Die deutschen Hochschulen auf dem Weg zum Europäischen Hochschulraum

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Fit für die Welt Die deutschen Hochschulen auf dem Weg zum Europäischen Hochschulraum
Fit für die Welt
          Die deutschen Hochschulen auf dem Weg
          zum Europäischen Hochschulraum
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          Eine Veröffentlichung zur europäischen Bildungsminister-Konferenz in London
Fit für die Welt Die deutschen Hochschulen auf dem Weg zum Europäischen Hochschulraum
Fit für die Welt Die deutschen Hochschulen auf dem Weg zum Europäischen Hochschulraum
Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,
                                                                                     Prof. Dr. Margret Wintermantel
in diesen Tagen treffen sich die Bildungsminister der Mitgliedsstaaten im            Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz
Bologna-Prozess in London. Ihre gemeinsamen Themen: Die Fortschritte im Bologna-
Prozess und die zukünftige Gestaltung des Europäischen Hochschulraumes. Diese
Konferenz wird mit Spannung erwartet und ist für die Hochschulrektorenkonferenz
der Anlass, diese Beilage herauszugeben. Auf den nächsten Seiten wollen wir nach-
zeichnen, welche Tragweite die Bologna-Reformen für Deutschland und für Europa
haben. Und wir möchten eine Plattform bieten, auf der die Bologna-Akteure und
Experten aus Hochschulen und Berufswelt sowie aus Wissenschaftsorganisationen
ihre Standpunkte darstellen. Dem Bundesministerium für Bildung und Forschung
danken wir für die finanzielle Unterstützung.

Hinter uns liegen acht Jahre eines Reformprozesses, der in vielerlei Hinsicht ohne
Beispiel ist. Bologna steht für eine umfassende Modernisierung aller Studienange-
bote und für international verständliche Studienabschlüsse. Es geht um einen
Perspektivenwechsel hin zum Lernenden und hin zu den im Studium zu erwerben-
den Kompetenzen. Am Ende steht eine bessere Qualität von Lehre und Forschung.
Das ist eines der wesentlichen Ziele im Bologna-Prozess.

Die deutschen Hochschulen übernehmen dabei eine immer größere Verantwortung
und leisten Enormes. Über 5.660 Studiengänge führen inzwischen zum europaweit
vergebenen Bachelor- oder Masterabschluss – das entspricht fast der Hälfte des
deutschen Studienangebots. Darauf können wir stolz sein!

Gleichzeitig aber müssen wir uns den anstehenden Herausforderungen stellen. Die
gute Zusammenarbeit mit Politik und Wirtschaft ist dafür eine wertvolle Grundlage.
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir die Qualität und die Wettbewerbsfähigkeit
des deutschen Hochschulsystems international behaupten können. Damit tragen wir
gemeinsam zur Attraktivität des gesamten Europäischen Hochschulraumes bei.

                                                                                                Der Bologna-Prozess         3
Fit für die Welt Die deutschen Hochschulen auf dem Weg zum Europäischen Hochschulraum
Grußworte

                               Das vereinte Europa ist Wirklichkeit geworden. Besonders deutlich erleben das Studierende und
                               Forscher. Gemeinsam mit seinen europäischen Nachbarn hat sich Deutschland 1999 in Bologna
                               das Ziel gesetzt, bis zum Jahre 2010 einen Europäischen Hochschulraum zu schaffen. Mittlerwei-
                               le nehmen 45 Staaten daran teil. Der Bologna-Prozess ist die tiefgreifendste Hochschulreform der
                               vergangenen Jahrzehnte. Er hat das Ziel, vergleichbare Abschlüsse zu schaffen, um die Mobilität
                               von Studierenden und Hochschullehrern zu erhöhen, und die Studienbedingungen und Berufs-
                               chancen junger Akademikerinnen und Akademiker umfassend zu verbessern. Dabei geht es nicht
                               um Gleichmacherei. Vielfalt ist das Stichwort. Wo es, wie etwa bei den verschiedenen Wegen zur
                               Promotion, sinnvoll ist, wollen wir unterschiedliche Wege zulassen.
Dr. Annette Schavan            Gerade im internationalen Streben nach Wissen ist eines in den vergangenen Jahren besonders
Bundesministerin für Bildung   deutlich geworden: Wir brauchen den Bologna-Prozess, denn nur so können wir die Talente und
und Forschung                  die Kreativität, die an den europäischen Hochschulen zu finden sind, für alle nutzbar machen.

Vorschläge zur Stufung der Studienangebote kennt Deutschland seit über 20 Jahren. Modularisie-
rung und Leistungspunkte sind auch keine Erfindung des Bologna-Prozesses. Die Qualitätssiche-
rung ist seit mehr als zehn Jahren als Aufgabe der Hochschulen in den Hochschulgesetzen veran-
kert. Aber erst die Einbindung in eine von fast allen europäischen Staaten getragene Bewegung,
wie sie seit der Erklärung von Bologna in Gang gekommen ist, hat die Realisierung dieser Konzep-
te so befördert, dass wir heute von beachtlichen Erfolgen berichten können. Dass viel zu tun bleibt
für den Gemeinsamen Europäischen Hochschulraum, ist unbestritten. Die Umstellung der Studien-
gänge auf die gestufte Struktur braucht weiter Zeit. Viel Überzeugungsarbeit ist noch zu leisten.
Bachelor- und Masterstudiengänge ohne Kreditpunkte dürfte es künftig nicht mehr geben. Das
Diploma Supplement soll seit 2005 kostenfrei und automatisch ausgestellt werden. Fragen der             Prof. Dr. Jürgen Zöllner
Mobilität und Anerkennung werden uns auch künftig intensiv beschäftigen. In London können wir           Präsident der Kultusminister-
jedoch eine durchaus positive Bilanz ziehen und die Schwerpunkte für die nächsten zwei Jahre set-       konferenz
zen. Die Idee des Gemeinsamen Europäischen Hochschulraums 2010 mobilisiert die jungen Men-
schen und leistet einen wichtigen Beitrag für das Zusammenwachsen unseres Kontinents.

                               Die Verpflichtung gegenüber Europa, den Bologna-Prozess bis 2010 weitgehend zu realisieren, ist
                               eine große Chance für die Hochschulen. Studienstrukturen können an veränderte Anforderungen
                               angepasst und so ausgerichtet werden, dass durch Modularisierung für die Studierenden mehr Fle-
                               xibilität und Mobilität entstehen. Zur Sicherung und Verbesserung der Qualität werden Studien-
                               gänge akkreditiert und evaluiert. Berufs- und Beschäftigungsfelder können verändert, Weiterbil-
                               dungsangebote entwickelt werden. Durch fach-, fakultäts-, hochschul- und länderübergreifende
                               Vernetzungen bilden die Hochschulen neue Profile.
                               Die Umstellung auf gestufte Studiengänge ist natürlich auch ein enormer, aber notwendiger Kraft-
                               akt, denn Hochschulen, Studierende und Arbeitgeber haben mit Recht einen transparenten, struk-
Ute Erdsiek-Rave               turell einheitlichen, an Leistungsansprüchen ausgerichteten Europäischen Hochschulraum einge-
Vize-Präsidentin der           fordert, damit sich die Absolventinnen und Absolventen ebenso wie die Hochschulen im globalen
Kultusministerkonferenz;       Bildungs- und Arbeitsmarkt behaupten können.
Vertreterin der Länder
auf der London-Konferenz

4     Der Bologna-Prozess
Fit für die Welt Die deutschen Hochschulen auf dem Weg zum Europäischen Hochschulraum
Inhalt

     Von Bologna nach London:                                    Bologna als Treiber der Studienreform
 6   Der lange Weg einer guten Idee
     Eine Bilanz der Bologna-Reformen in Deutschland
                                                            28   Die Rahmenbedingungen für den Bologna-Prozess
                                                                 Von Peter Greisler
     Von Jan-Martin Wiarda
                                                                 Reformieren mit kompetenter Beratung

 8   Offene Blicke auf den Arbeitsmarkt
     Die London-Konferenz aus deutscher Sicht
                                                            30   Modellhochschulen als Vorreiter
                                                                 Von Birgit Hennecke und Peter A. Zervakis
     Von Margret Wintermantel
                                                                 Bologna und die Bundesländer

 9   Forschung für den Doktor in Europa
     Die London-Konferenz aus europäischer Sicht
                                                            31   Wie sich die Förderalismusreform auf die Hochschulen auswirkt
                                                                 Von Wolfgang Löwer
     Von Georg Winckler
                                                                 Freiräume besser nutzen

10   Die Tücke der Details
     Die Trends-Studie: Gradmesser der Reformen
                                                            32   Was sich im Bologna-Prozess noch ändern sollte
                                                                 Von Christiane Gaehtgens
     Von Lesley Wilson
                                                                 Lob der Vielfalt

12   Gute Zeiten für Nest-Flüchtlinge?
     Das Mobilitätsverhalten deutscher Studenten
                                                            34   Jedes Land reformiert die Hochschulen auf seine eigene Weise
                                                                 Von Johanna Witte
     Von Christoph Heine und Peter Müßig-Trapp
                                                                 TÜV für neue Studiengänge

14   Grenzenlose Mobilität in Europa
     Die Verwirklichung einer Utopie
                                                            36   Die Akkreditierung auf dem Prüfstand
                                                                 Von Peter Findlay und Ton Vroeijenstijn
     Von Christian Bode
                                                                 Frischer Wind im Heiligtum

15   Studieren im Ausland, punkten an der Heimat-Uni
     Joint-Degree-Programme liegen im Trend
                                                            38   Die Studienreform bei Medizinern und Juristen
                                                                 Von Stefan Bienefeld und Patrick A. Neuhaus
     Von Hans R. Friedrich
                                                                 Gute Balance

16   Ohne Sorgen quer durch Europa
     Die soziale Dimension im Bologna-Prozess
                                                            40   Der Qualifikationsrahmen als neue Maßeinheit
                                                                 Von Jan Rathjen
     Von Achim Meyer auf der Heyde
                                                                 Spielraum für die Kreativität

17   Der steinige Weg nach Bologna
     Die Reformen aus studentischer Sicht
                                                            42   Nationale Qualifikationsrahmen als Chance für die Hochschulen
                                                                 Von Volker Gehmlich
     Von Elke Michauk
                                                                 Transparenz für alle

18   Pendeln zwischen Berlin und Berkeley
     Ein Blick auf die Hochschulen in Amerika und Europa
                                                            44   Warum der Qualifikationsrahmen in Sozialer Arbeit gut funktioniert
                                                                 Von Ulrich Bartosch, Anita Maile und Christine Speth
     Von Ulrich Schreiterer
                                                                 Offene Türen für den Bachelor

19   Neugier auf eine europäische Erfindung
     Der Europäische Hochschulraum im globalen Kontext
                                                            46   Die Arbeitgeber stehen hinter der Studienreform
                                                                 Von Dieter Hundt
     Von Michael Harms
                                                                 Der Beruf im Mittelpunkt

20   USA: Vorbild oder Partner?
     Die Zukunft des transatlantischen Hochschulraums
                                                            47   Wie die neuen Studiengänge auf den Arbeitsmarkt vorbereiten müssen
                                                                 Von Andreas Keller
     Von Sybille Reichert
                                                                 Stabile Brücke zur Wirtschaft

22   Der Aufbruch als Chance
     Die Zukunft des Bologna-Prozesses
                                                            48   Das Promotionsstudium zwischen Verschulung und Berufspraxis
                                                                 Von Horst Hippler
     Von Stephan Bieri

24   Europa als weltweiter Maßstab für Qualität
     Wohin strebt Europa im Post-Bologna-Prozess?
                                                            49   Bologna-Glossar

     Von Ján Figel’

     Freie Bewegung für das Wissen                          50   Autoren

26   Die Freizügigkeit als Chance für den Standort Europa
     Von Birger Hendriks
                                                            51   Impressum

                                                                                                   Der Bologna-Prozess                5
Fit für die Welt Die deutschen Hochschulen auf dem Weg zum Europäischen Hochschulraum
DER EUROPÄISCHE HOCHSCHULRAUM IM WERDEN

Von Bologna nach London:
Der lange Weg einer guten Idee
Die Umstellung auf Bachelor und Master ist ein ehrgeiziges Projekt. Die ersten
Erfolge zeigen, dass sich die Mühe lohnt – aber auch, dass an den Hochschulen
und in der Politik noch Einiges zu tun ist

                                      A            uf den ersten Blick wirkten die Ergebnisse von Bergen wenig spektaku-
                                                   lär. Doch die Bürokratensprache, in der die Bologna-Staaten auf ihrer
                                                   Konferenz in der westnorwegischen Provinz die Agenda für die nächsten
                                      zwei Jahre formulierten, täuscht. Die „Umsetzung von Standards und Leitlinien für
                                      die Qualitätssicherung“, verbunden mit der Etablierung „nationaler Qualifikations-
                                      rahmen“, bedeutet einen Kampf an zwei Fronten.
                                      Beispiel Deutschland: Die Umstrukturierung aller Studiengänge bis 2010 ist schwer
Timo*3

                                      genug angesichts nicht weniger reformkritischer Professoren und immer noch ineffi-
                                      zienter Verwaltungsstrukturen. Dabei aber auch noch die Qualität zu steigern und
                                      nicht etwa dem Reformtempo zu opfern, das ist ein Unternehmen, das an Ehrgeiz
Teamarbeit: Ob die Studienreform
gelingt, liegt nicht nur an den       kaum zu überbieten ist. Schaut man sich die Entwicklung seit Bergen an, kann man
Hochschulen. Es ist auch eine Frage   zumindest für Deutschland sagen: Der Mut hat sich gelohnt.
des politischen Willens               Die quantitative Seite ist beeindruckend. Nach verhaltenem Start ist der Anteil der
                                      gestuften Studiengänge Bachelor und Master am deutschen Studienangebot bis
                                      Ende 2006 auf 45 Prozent gestiegen. 2007 werden 50 Prozent erreicht, zwei Drittel
                                      liegen im Bereich des Möglichen. Drei Jahre vor dem angepeilten Ziel ist das ein Wert,
                                      der weit besser ist, als viele Bergen-Teilnehmer vor zwei Jahren zu hoffen wagten.
                                      Gleichzeitig stellt sich jedoch die Qualitätsfrage immer mehr als entscheidende Hür-
                                      de heraus. Dass manche Professoren den Bachelor für ein Schmalspur-Studium hal-
                                      ten, ist nicht tragisch; doch dass daher gerade die Geisteswissenschaftler die Studi-
                                      engänge mancherorts nur halbherzig reformieren, dürfte fatale Folgen haben. Ein
                                      wesentlicher Bestandteil der Reform ist ja die berufsqualifizierende Ausbildung der
                                      Bachelor-Absolventen – sie wird unmöglich, wenn sich die Bologna-Gegner gegen

6        Der Bologna-Prozess
Fit für die Welt Die deutschen Hochschulen auf dem Weg zum Europäischen Hochschulraum
© Andrew Dunn

                                                                                                                                                   Farl*3
Meilensteine auf dem Weg zum Europäischen Hochschulraum: In London (links) treffen sich die Bildungsminister in diesem Jahr, die Deklaration aus
dem norwegischen Bergen (rechts) hat vor zwei Jahren wichtige Weichen gestellt

inhaltliche Veränderungen stemmen               me den Studenten vermitteln müssen,              turen, die immer gleiche Sorgfalt und
und etwa an liebgewordener Theorie-             um akkreditiert zu werden. In der Theo-          Strenge bei der Bewertung walten zu
vermittlung festhalten, die den Rahmen          rie ist das Problem also gelöst. Was die         lassen. Eine Lösung könnte die Prozess-
eines sechssemestrigen Studiums                 Praxis bislang an Statistiken bietet,            Akkreditierung sein, also die Akkreditie-
sprengt und den nötigen Raum für                weist ebenfalls in die richtige Richtung:        rung ganzer Fachbereiche oder Hoch-
berufsvorbereitende Inhalte blockiert.          Viele Studienfächer melden sinkende              schulen, die selbst geeignete Qualitätssi-
Die daraus resultierende fachliche Enge         Abbrecherraten, die Mehrzahl der                 cherungssysteme aufgebaut haben.
ist für einen weiteren Missstand verant-        Bachelor-Studenten scheint das Studium           Vor London bleibt somit eine grundsätz-
wortlich, der gerade unter Studenten            in der Regelstudienzeit zu bewältigen,           lich positive, aber auch nüchterne
den Ruf des Bachelors gefährdet:                was in Deutschland ein Novum ist. Und            Bilanz: Die Qualitätsprobleme liegen auf
Eigentlich soll die Bologna-Reform Aus-         laut Umfragen sind auch die – bislang            dem Tisch, auch die Lösungen sind
landsaufenthalte erleichtern, doch in           allerdings nur wenigen – Bachelor-               bekannt. Worauf es jetzt ankommt, ist
letzter Zeit klagen viele Studenten dar-        Absolventen, die in den Arbeitsmarkt             der politische Wille, sie gegen Wider-
über, dass die Spezialisierung ihres Stu-       gestartet sind, zufrieden mit ihrem              stände durchzusetzen. Die rasante Ent-
diengangs es ihnen fast unmöglich               beruflichen Erfolg.                              wicklung der vergangenen Jahre stimmt
macht, ohne Zeitverlust ein Semester an         Dennoch steckt die Akkreditierung in             optimistisch, dass der nötige Mut auch
einer ausländischen Hochschule zu ver-          einer Krise. Die schiere Menge der Studi-        diesmal vorhanden sein wird.
bringen.                                        engänge, die derzeit umgestellt werden,
Keine Frage: Der Bachelor leidet noch           erschwert es den Akkreditierungsagen-            Jan-Martin Wiarda
immer unter einem Akzeptanzproblem,                                                              ist Experte für Bildungspolitik bei
                                                                                                 der Wochenzeitung Die Zeit
auch außerhalb der Hochschulen: Wäh-
rend die Großkonzerne sich an medien-
wirksamen „Bachelor Welcome“-Aktio-
nen beteiligen, zeigen Umfragen im
                                                Gelungener Start: Die Abbrecherraten
Mittelstand, dass sich die meisten Fir-
men noch kaum mit der neuen Genera-
                                                sinken, das Studientempo steigt und
tion von Absolventen auseinanderge-             die Chancen der Absolventen auf dem
setzt haben.
Die Antwort auf all die skeptischen Fra-        Arbeitsmarkt stehen gut
gen gibt wiederum Bergen: Qualitätssi-
cherung. In Nationalen Qualifikations-
rahmen ist genau definiert, was Bache-
lor-, Master- und Promotionsprogram-

                                                                                                               Der Bologna-Prozess          7
Fit für die Welt Die deutschen Hochschulen auf dem Weg zum Europäischen Hochschulraum
DER EUROPÄISCHE HOCHSCHULRAUM IM WERDEN

Offene Blicke auf den Arbeitsmarkt
Die London-Konferenz aus deutscher Sicht: Der enge Dialog mit der Wirtschaft ist wichtig.
Die Hoheit über den Lehrplan muss aber bei den Hochschulen bleiben

Der Bologna-Prozess steht und fällt mit     bessere Ausbildung des wissenschaftli-         Blickfeld standen. Dazu gehört ein
der Veränderungsbereitschaft der Hoch-      chen Nachwuchses auch für eine Aufga-          Zugang zur Hochschulbildung, der aus-
schulen. Ihr Engagement ist unerlässlich    be außerhalb der Hochschulen ist rich-         schließlich von den Fähigkeiten der
für das Zusammenwachsen der europäi-        tig. Es ist aber klar, dass die eigenverant-   Bewerber abhängt. Außerdem muss das
schen Bildungseinrichtungen. Die Bil-       wortliche Forschung der Kernpunkt blei-        Potenzial der gestuften Studienstruktur
dungsminister haben diesen Zusammen-        ben muss.                                      noch besser genutzt werden, sei es im
hang von Beginn an erkannt. Ein klares      Das besondere Profil des Hochschulstu-         Masterstudium, sei es bei der Weiterbil-
Signal der politischen Unterstützung ist    diums – wissenschaftsbasiert und for-          dung. Und es bedarf der Beseitigung von
wichtig für die Hochschulen – aber die      schungsorientiert – verschafft den Ab-         weiteren Mobilitätshindernissen – etwa
Konferenz in London muss noch mehr          solventen auch auf der Bachelor- und           bei der Pensionsübertragung, wenn Wis-
leisten.                                    Masterstufe die Kompetenzen, die spä-          senschaftler in ein anderes Land wech-
Die Bologna-Länder haben sich in den        tere Arbeitgeber schätzen. Die Hoch-           seln. Auch diese Botschaft sollten die
vergangenen Jahren sehr auf nationale       schulen erleben es als produktiv, mit den      Minister in ihre Heimatstaaten mitneh-
Themen konzentriert. Das war nötig –        Arbeitgebern über die Qualifikationspro-       men: Dass auch andere Politikbereiche
aber trotzdem dürfen die internationale     file der Studiengänge zu sprechen. Das         am Ausbau des Europäischen Hoch-
Mobilität und die Kompatibilität der Stu-   bedeutet aber auch, dass die Wirtschaft        schulraums mitarbeiten müssen.
dienprogramme nicht aus dem Blick           mehr Verantwortung übernehmen muss,
geraten. Darüber hinaus müssen die          etwa über Stiftungen oder Stipendien.          Prof. Dr. Margret Wintermantel
Bologna-Staaten einen engeren Kontakt       Diese Dimensionen der Zusammenarbeit           ist Präsidentin der
                                                                                           Hochschulrektorenkonferenz (HRK)
mit den Ländern außerhalb Europas           sollten die Minister deutlich benennen.
suchen und dort die Anerkennung der         Formell endet der Bologna-Prozess im
Abschlüsse sichern.                         Jahr 2010, aber das Projekt ist damit
Wichtig ist auch eine Einigung über die     noch nicht abgeschlossen. Die London-
Promotionsphase. Die Debatte über eine      Konferenz muss deshalb Perspektiven
                                            für die Zeit danach aufzeigen. Nötig ist
                                            eine unabhängige Analyse des Prozesses
                                            – aber auch eine Beschäftigung mit den
                                            Themen, die bisher noch zu wenig im

8    Der Bologna-Prozess
Fit für die Welt Die deutschen Hochschulen auf dem Weg zum Europäischen Hochschulraum
Bildungsexperten im Gespräch:
                                                                     Der Europäische Hochschulraum
                                                                     lebt von der Vielfalt

Forschung für den Doktor in Europa
Die London-Konferenz aus europäischer Sicht: Ein Wissenschafts-Standort braucht attraktive
Promotionsangebote. Wie sie in Zukunft aussehen, ist eine Kernfrage an die Politik

An den europäischen Universitäten wird       research“ heißt dazu das Stichwort der      den Zugang zum Studium und die Inter-
intensiv über Curricula diskutiert. Dies     Universitäten. Das Ziel ist die Vorberei-   nationalisierung der Programme.
ist etwas Alltägliches. Neu hingegen ist     tung sowohl auf eine akademische wie        Das von der EU angestrebte Europa des
das Thema Doktoratsstudien. Als Folge        auf eine außeruniversitäre Karriere. Die    Wissens braucht starke Universitäten
der Umsetzung der Bologna-Studienar-         Doktoranden sollen eng vernetzt in          mit attraktiven Promotionsangeboten, in
chitektur zeichnet sich derzeit eine Auf-    einem Team von Wissenschaftlern             denen die Doktoranden stärker als bis-
wertung des Doktoratsstudiums ab. Die        zusammenarbeiten.                           lang in die Forschung der Hochschulen
Wurzeln dazu liegen im Jahr 2005: Im         Die Doktoratsstudien sind an gut ausge-     eingebunden sind. Die Ideen der Jungen
Bergen-Communiqué wiesen die euro-           wiesene Forschungsbereiche der jeweili-     treiben diese Forschung voran. Aufgabe
päischen Bildungsminister bereits auf        gen Universität anzubinden. Die Qualität    der Universitäten ist es, sie zur Innovati-
die Bedeutung der Doktoratsstudien hin.
Im Mai 2007 werden die Ergebnisse der
Diskussionen zu diesem Thema vorlie-
                                             Die Ideen der Jungen treiben die
gen. Die Empfehlungen der europäi-           Wissenschaft voran. Im Gegenzug
schen Universitäten, durch die European
University Association (EUA) vertreten,      müssen die Universitäten eine
werden als Eckpunkte der künftigen
Doktoratsprogramme in Europa dienen.         Anleitung zur Innovation geben
Die hiesigen Doktoratsstudien müssen
weltweit attraktiv sein und mindestens       eines Programms wird künftig wesent-        on innerhalb und außerhalb der Hoch-
drei Jahre dauern. Wichtig ist die wissen-   lich daran gemessen, ob sich Absolven-      schule anzuleiten.
schaftliche Orientierung – „advance-         ten anderer europäischer Universitäten
ment of knowledge through original           für diese Studienprogramme bewerben.        Prof. Dr. Georg Winckler
                                             Die gesamtuniversitäre Verantwortung        ist Präsident der European University
                                                                                         Association (EUA)
                                             für die Doktoratsstudien muss gestärkt
                                             werden – besonders in Hinblick auf
                                             deren Struktur und Organisation, auf die
                                             Vermittlung von Karriereperspektiven,

                                                                                                      Der Bologna-Prozess        9
Fit für die Welt Die deutschen Hochschulen auf dem Weg zum Europäischen Hochschulraum
DER EUROPÄISCHE HOCHSCHULRAUM IM WERDEN

Die Tücke der Details
Wie es um die Studienreform bestellt ist, können die Hochschulen am besten
selbst einschätzen. In einem gemeinsamen Report ziehen sie jetzt Bilanz – und
kommen oft zu einem anderen Ergebnis als die Regierungen

D          ass sich die europäischen Län-
           der auf einen gemeinsamen
           Kurs in der Hochschulpolitik
einigen würden, hätte noch vor wenigen
Jahren niemand geglaubt. Je weiter der
                                             sion über den Sinn der neuen Program-
                                             me und ihre Abstimmung: Mehr chirur-
                                             gisch als bildungsreformerisch erfolgte
                                             oft der Schnitt, der ein langes Programm
                                             einfach in zwei kürzere teilte. Erst all-
Reformprozess voranschreitet, desto          mählich setzt sich die Erkenntnis durch,
mehr stellt sich die Frage, wie es um die    dass allein die Anzahl der Jahre keinen
konkrete Umsetzung an den Hochschu-          Master oder Bachelor macht. Die Berech-
len bestellt ist – denn um die Situation     nung der Kreditpunkte beruht häufig
wirklich zu verbessern, muss man sie         ausschließlich auf Studiensemestern. Die
zunächst einmal kennen. Einen wichtigen      Lernziele, um die es eigentlich gehen
Beitrag dazu leistet der Trends-Report       muss, werden zwar überall debattiert,
der Europäischen Universitätsvereini-        von einer europawei-
gung (EUA). Für die aktuelle Ausgabe         ten Einführung ist man
wurden fast 1.000 europäische Hoch-          aber noch weit ent-
                                                                       Mobilität ist nicht alles.
schulen befragt. Das Ergebnis ist ein
Blick auf den Bologna-Prozess aus der
                                             fernt. An den Schwie-
                                             rigkeiten mit dem
                                                                       Zu einem guten Studium
Perspektive der Hochschulen – und die
unterscheidet sich nicht selten von jener
                                             ECTS-Kreditpunktesy-
                                             stem hat sich wenig
                                                                       gehören auch Beratung,
der Regierungen.                             geändert: Fast jede       Betreuung und Förderung
Die gute Nachricht gleich vorweg: Das        zweite Hochschule
Konzept des europäischen Hochschul-          gibt an, dass „einige Studenten Proble-
raums funktioniert. Das meinen immer-        me haben“, und meint damit zumeist die
hin mehr als drei Viertel der befragten      geregelte Anerkennung von ausländi-
Hochschulen. Selbst die skeptische Min-      schen Studienleistungen.
derheit hält zumindest die Idee für gut,     Bologna bedeutet auch und vor allem,
lediglich die Umsetzung komme zu früh.       dass die Hochschulen stärker als bisher
Doch die Studie Trends V zeigt auch, dass    die Bedürfnisse der Studenten berück-
sich der Bologna-Prozess den Aufgaben        sichtigen. Das ist mit guter Absicht allein
neu stellen muss. Die Frage lautet künftig   nicht getan, sondern bedarf flexibler
weniger, ob, sondern vielmehr wie die        Lernwege sowie effizienter Beratungs-
Reform umgesetzt wird. Die Grundele-         und Betreuungsdienste und Fördermaß-
mente wie etwa die Bachelor- und             nahmen. Die Trends-Studie zeigt deut-
Master-Programme und das Europäische         lich, dass sich Deutschland in diesem
Kreditpunktesystem (ECTS) haben die          Bereich verbessert – aber auch, dass in
meisten Länder bereits eingeführt. Die       ganz Europa noch viel zu tun ist.
Tücke liegt allerdings im Detail. Zum Bei-   Die politischen Entscheidungen, die jetzt
spiel in Deutschland: Hier bestehen alte     auf dem Bildungsminister-Treffen in Lon-
                                                                                           MichaelWu*4

und neue Strukturen nebeneinander, was       don getroffen werden, könnten eine Stär-
einen langwierigen Umsetzungsprozess         kung der europäischen Dimension bewir-
befürchten lässt. Zwar sind schon 45 Pro-    ken. Bislang stehen in den meisten Län-
zent der Studienprogramme umgestellt,        dern, darunter auch in Deutschland, ein-
aber davon profitieren bislang tatsäch-      deutig regionale und nationale Bezüge
lich nur 12 Prozent der Studenten.           für die Hochschulen im Vordergrund.
Andererorts ist man zwar scheinbar wei-      Trends belegt jedoch schon heute einen
ter, steht aber eigentlich erst ganz am      stetigen Anstieg der europaweiten
Anfang. Das bezieht sich auf die Diskus-     Zusammenarbeit. Auch ein gestiegenes

10      Der Bologna-Prozess
Welche Ausrichtung steht für die Hochschulen im Vordergrund?
              TRENDS III (2003)                                        TRENDS V (2007)

                                            7 26,9 Regional                                                 7 23,7 Regional

                                            7 12,5 Weltweit                                                 7 17,2 Weltweit
Quelle: EUA

                                            7 6,8 Europaweit                                                7 9,2 Europaweit

                             1                                                           1
                                              %                                                               %
                        48,3 National                                              49,3 National

Interesse an Regionen außerhalb Europas     Zweifeln über das, was sie geleistet         Einfache Rechnung:
ist festzustellen, vor allem an Asien und   haben und was noch zu erreichen ist.
Nordamerika. Um eine symbiotische           Wenn Trends den Unterschied zwischen         Bachelor plus Master
Beziehung zwischen diesen beiden Ent-       reformerischem Anspruch und der Wirk-        reicht nicht immer –
wicklungen zu ermöglichen, müssen die       lichkeit aufzeigt, dann geschieht das
Minister in London darüber beraten, in      nicht, um die realen Fortschritte in Frage
                                                                                         auf die richtigen
welchem Maße die internationale Zu-         zu stellen. Vielmehr geht es darum, die      Inhalte kommt es an
sammenarbeit ein Aspekt des Europäi-        Erfolgsbedingungen zu unterstreichen.
schen Hochschulraums sein kann.             Zum Zieldatum 2010 kann man nicht
In der Bologna-Deklaration wird die         einfach die Akten schließen. Die Reform-
Anerkennung und Wettbewerbsfähigkeit        bemühungen und vor allem der Aus-
dieses Hochschulraums eindeutig als         tausch müssen fortgesetzt werden. Des-
eines der Ziele erwähnt. Den Reaktionen     halb wird es die Trends-Berichte der EUA
nach zu urteilen, sieht das nichteuropäi-   weiterhin geben – auch über das Jahr
sche Ausland vom Mittelmeerraum über        2010 hinaus.
Asien und Australien bis hin nach Süd-
und Nordamerika dem mit einer gewis-        Lesley Wilson
sen Erwartung entgegen. Nur die Euro-       ist Generalsekretärin der European
päer selbst wiegen sich mancherorts in      University Association (EUA)

                                                                   Sprachlabor für Studenten
                                                                   Flexible Lernwege sollten stärker
                                                                   in den Mittelpunkt des Bologna-
                                                                   Prozesses rücken

                                                                                                   Der Bologna-Prozess   11
DER EUROPÄISCHE HOCHSCHULRAUM IM WERDEN

Gute Zeiten für Nest-Flüchtlinge?
Der Weg über die Grenzen ist für Studenten so einfach wie noch nie.
Nur: Diese Chance nutzen noch längst nicht alle, wie eine neue Statistik zeigt.
Vor allem die Bachelors bleiben häufig lieber zu Hause

F       örderung der Mobilität durch Über-
        windung der Hindernisse, die der
        Freizügigkeit in der Praxis im Wege
stehen“ – rund acht Jahre nach der Verab-
schiedung dieser Kernforderung im Bolo-
                                              schen Hochschulwechsel liegen die neuen
                                              und die traditionellen Studiengänge dage-
                                              gen mit jeweils 13 Prozent gleichauf.
                                              Dabei unterscheiden sich die Ergebnisse für
                                              Bachelor- bzw. Master-Programme jedoch
gna-Abkommen von 1999 kommen die              stark voneinander. Master-Studenten füh-
deutschen Hochschulen diesem Ziel zumin-      ren im Vergleich zu ihren Bachelor-Kollegen
dest ein wenig näher. Bachelor und Master     wesentlich mehr innerdeutsche studienbe-
machen mittlerweile gut 45 Prozent der        zogene Aufenthalte durch (63 % vs. 30 %)
Studienangebote an deutschen Hochschu-        und haben auch deutlich häufiger bereits
len aus. Und: Eine aktuelle Studie des        die Hochschule in-
Hochschul-Informationssystems (HIS) im        nerhalb Deutschlands
Auftrag der HRK zeigt, dass es in den neu-    gewechselt (24 % vs.
                                                                        Mehr Kooperationen
en Studiengängen bereits weniger struktu-
relle und bürokratische Hindernisse gibt,
                                              10 %). Zudem liegen
                                              die Master-Studenten
                                                                        und bessere Praktika:
die in den traditionellen Studiengängen
Magister und Diplom häufig noch die
                                              bei den absolvierten
                                              Auslandsaufenthalten
                                                                        Die Hochschulen müssen
Mobilität hemmen.                             vorn (35 % vs. 12 %).     ihre Studenten stärker ins
Vor allem klagen weniger Studenten aus        Dass die angehenden
den Bachelor- und Masterstudiengängen         Bachelors so wenig        Ausland locken
über Probleme bei der Anerkennung von         mobil sind, liegt auch
Leistungsnachweisen: Während bei den          an der neuen Studienstruktur: Da die Pro-
traditionellen Studiengängen 23 Prozent       gramme auf einen kurzen und kompakten
der Befragten nach einem Hochschulwech-       Umfang ausgelegt sind, bieten sich hier
sel von Schwierigkeiten berichten, sind es    weniger Möglichkeiten, studienbezogen
bei den Bachelor- und Masterstudenten nur     mobil zu werden. Die höhere Mobilität in
noch 18 Prozent. „Zeitverluste im Studi-      Master-Studiengängen dürfte teilweise mit
um“ erlitten 43 Prozent der Hochschul-        den Praxisphasen zusammenhängen, die
wechsler in traditionellen Studiengängen,     häufig in den Curricula vorgeschrieben
aber nur 35 Prozent in Bachelor- und          sind; teilweise auch damit, dass sich mit
Master-Programmen.                            dem Übergang zum Master ein Hochschul-
Insgesamt entspricht das Mobilitätsverhal-    wechsel geradezu anbietet, etwa weil an
ten in den neuen Studiengängen allerdings     der bisherigen Hochschule ein individuell
noch nicht dem Niveau bei den Magister-       passendes Angebot (noch) fehlt.
und Diplomprogrammen. Studienbezogene         Für Bachelor-Studenten ergeben sich grö-
Aufenthalte wie Seminarbesuche an ande-       ßere Chancen zur Mobilität offenbar erst
ren Hochschulen, Summer-Schools oder          beim Wechsel in einen Master-Studiengang
Praktika absolvieren nur 35 Prozent der       – ein Umstand, der für die Mobilitätsent-
Studenten aus den neuen Studiengängen –       wicklung in Deutschland problematisch
bei den traditionellen Programmen liegt       sein könnte. Schließlich soll der Bachelor
die Quote bei 47 Prozent. Beim innerdeut-     künftig der Regelabschluss sein und direkt
                                              in die Berufstätigkeit führen; so haben es
                                              die Kultusminister der Länder zumindest
                                              vor vier Jahren beschlossen. Dadurch
                                              besteht jedoch die Gefahr einer paradoxen
                                              Entwicklung: Der gemeinsame Europäische

12      Der Bologna-Prozess
Hochschulraum und das für den Bologna-
Prozess essentielle Ziel von erhöhter Mobi-
lität könnte gerade durch die Bachelor-Ein-
führung beschädigt werden. Das gilt jeden-
falls dann, wenn die meisten Studenten an
den Bachelor kein weiteres Studium mehr
anschließen (können).
Abhilfe könnten beispielsweise vermehrte
obligatorische Praktika oder die verstärkte
Kooperation mit fachverwandten Hoch-
schulen schaffen. Eine weitere Möglichkeit
sind internationale Pflichtphasen, die in
den Studienplan integriert sind. An der
Bereitschaft der Bachelor-Studenten jeden-     betroffen war, mit 15 Prozent deutlich                Raus aus dem Sessel!
falls mangelt es nicht: 17 Prozent von         größer als bei den traditionellen Studien-            Nicht nur zu Hause
ihnen planen „(ganz) sicher“ im Inland         gängen (10 %). Unklar ist gegenwärtig
einen Hochschulwechsel - wahrscheinlich        noch, ob dafür zu stark spezialisierte Studi-         lässt es sich gut lernen
haben sie dabei schon den Master im            engänge verantwortlich sind oder ob es
Visier. Damit liegen sie nicht nur deutlich    schlicht Reibungsverluste sind, die bei dem
über dem Durchschnitt (8 %), sondern auch      tiefgreifenden Umbau der deutschen Hoch-
weit vor den Magister- und Diplom-Studen-      schullandschaft quasi zwangsläufig ent-
ten (6 % und 7 %). Hoch ist auch die Bereit-   stehen. Die Antwort auf diese Frage wird
schaft, über die Grenze zu gehen: 40 Pro-      erst eine Wiederholungsstudie geben.
zent der Bachelor-Studenten planen einen
Auslandsaufenthalt, in den traditionellen      Dr. Christoph Heine
Studiengängen sind es nur 34 Prozent.          ist Arbeitsbereichsleiter
                                               Studierendenforschung der HIS GmbH
In Hinblick auf kompatible Studienangebo-
te steht indes noch wichtige Aufbauarbeit      Peter Müßig-Trapp
an. So ist etwa die Gruppe der Bachelor-       ist Arbeitsbereichsleiter Informations-
und Master-Studenten, die bei ihrem Hoch-      systeme und Online-Forschung der
schulwechsel von einem „fehlenden An-          HIS GmbH
gebot an kompatiblen Studiengängen“
                                                                              © Caro/Waechter

                                                                                                Sonnenplätzchen gesucht?
                                                                                                Vor allem Master-Studenten
                                                                                                wechseln oft an eine andere
                                                                                                Hochschule – neue Erfahrungen
                                                                                                sind dabei garantiert

                                                                                                           Der Bologna-Prozess   13
DER EUROPÄISCHE HOCHSCHULRAUM IM WERDEN

                                                                                                                 © ljavierperez
Grenzenlose Mobilität in Europa
Der Bologna-Prozess hat eine Utopie innerhalb kürzester Zeit zur Wirklichkeit
gemacht: Alle Barrieren, die sich über Jahrhunderte zwischen den Nationalstaaten
aufgetürmt haben, sind überwunden – und doch bleiben einige Wünsche unerfüllt

                                   In ganz Europa grenzenlos forschen, leh-    ten und das ständig wachsende Eras-
                                   ren und studieren können; einen             mus-Programm, das in einigen Jahren
                                   Abschluss machen, der überall aner-         rund 300.000 Studenten pro Jahr über
                                   kannt wird und beruflich in ganz Europa     die Grenzen von mehr als 30 Ländern
                                   genutzt werden kann: So lautet das ein-     Europas bewegen wird – das alles sind
Gepackte Koffer: Der problemlose   fache wie ehrgeizige Ziel, das sich die     Errungenschaften, die noch vor einem
Weg ins Ausland war noch vor       Regierungschefs der EU gesetzt haben.       Jahrzehnt utopisch erschienen.
zehn Jahren undenkbar              Es soll für den gesamten Bologna-Raum       Und doch gibt es auch Probleme und
                                   mit seinen 45 Staaten gelten, von Coim-     Sorgen, die den Prozess begleiten; eben-
                                   bra bis Chabarovsk. Dies alles formuliert   so wie weitere Wünsche und Hoffnun-
                                   sich in ministeriellen Communiqués          gen. Die oftmals zu eng gestrickten drei-
                                   recht einfach, aber der Teufel steckt im    jährigen Bachelor-Studiengänge etwa
                                   Detail. Nur mit Enthusiasmus, Mut zum       lassen zu wenig Raum für längere Aus-
                                   Unterschied und gegenseitigem Respekt       landserfahrungen. Die Anrechnung von
                                   lassen sich die Barrieren überwinden,       erbrachten Leistungen ist häufig noch
                                   die die Nationalstaaten im Laufe jahr-      kleinherzig bis kleinkariert. Außerdem ist
                                   hundertelanger Konflikte zwischen sich      ein Auslandsaufenthalt für viele zu teuer,
                                   aufgetürmt haben.                           die nationalen Förderprogramme sind zu
                                                                               klein dimensioniert und die Fremdspra-
    Ohne Großzügigkeit und Respekt                                             chen-Kompetenz der Teilnehmer ist oft
                                                                               unzureichend. Deshalb sollte die „gren-
    kommt Bologna nicht weiter                                                 zenlose Mobilität“ auf der nächsten
                                                                               Ministerkonferenz in London wieder
                                   Der Bologna-Prozess bietet eine einmali-    dorthin gerückt werden, wo sie am
                                   ge Chance und hat inzwischen eine nie       Anfang des Bologna-Prozesses stand: an
                                   für möglich gehaltene Dynamik ange-         die Spitze der Agenda.
                                   nommen. Universitäten vernetzen sich
                                   und die nationalen Konzepte zur Hoch-       Dr. Christian Bode
                                   schulpolitik werden aufeinander abge-       ist Generalsekretär des Deutschen
                                   stimmt. Die Fortschritte sind unverkenn-    Akademischen Austauschdienstes (DAAD)
                                   bar: Harmonisierte Abschlusssysteme,
                                   anrechenbare Kreditpunkte, bessere
                                   Informationen über Studienmöglichkei-

14      Der Bologna-Prozess
© mr starbuck
 Gelebte Integration: Ein gemeinsames Curriculum verbindet Studenten aus mehreren Ländern – und verspricht ein gefragtes Zeugnis

Studieren im Ausland, punkten
an der Heimat-Uni
Rüstzeug für einen schnellen                  Joint-Degree-Programme sind Studienan-          denten bei kürzeren Studienzyklen. Hinzu
                                              gebote, die an mindestens zwei verschie-        kommt, dass ein gemeinsam entwickeltes
Abschluss: Arbeiten mehrere
                                              denen europäischen Hochschulen statt-           Curriculum meist ein höheres internatio-
Hochschulen zusammen, kön-                    finden. Sie basieren auf einem gemein-          nales Niveau hat als ein rein national ent-
nen die Studenten ohne Zeit-                  sam entwickelten Studienplan; auch das          wickeltes. Arbeitgeber wissen das zu
                                              Abschlusszeugnis stellen die beteiligten        schätzen.
verlust ins Ausland wechseln
                                              Hochschulen zusammen aus, wenn der              Grenzüberschreitend konzipierte Pro-
                                              gesetzliche Rahmen gegeben ist. Ersatz-         gramme wirken auch europäisch integra-
                                              weise gibt es die so genannten Doppel-          tiv. Wegen der höheren Vorbereitungsko-
                                              diplome, die aber nicht das Ziel der Idee       sten werden nur solche Programme ent-
                                              von „joint programmes“ darstellen.              wickelt, die international Ansehen und
                                              Das Ziel ist vielmehr ein neuer, europäi-       Bestand haben. Dahinter stehen meist
                                              scher Typ des Abschlusses, den die Hoch-        Hochschullehrer mit besonderem Engage-
                                              schulen gemeinsam bescheinigen. Wenn            ment und Idealismus. Die Studenten erhal-
                                              mindestens eine Hochschule aus einem            ten diese gefragten Zutaten kostenlos.
                                              der 27 EU-Staaten beteiligt war, wird der       Mit gezielt gestalteten Joint-Degree-Pro-
                                              Abschluss automatisch in allen Ländern          grammen können die Hochschulen ihr
                                              der Europäischen Union anerkannt. Eine          Profil prägen. Das geht nicht nur die
                                              vergleichbare Regelung wird für den             jeweiligen Fakultäten an, sondern ist
                                              gesamten Bologna-Raum mit seinen 45             auch eine Leitungsaufgabe. Die Vorberei-
                                              Mitgliedsstaaten angestrebt.                    tung solcher Programme sollte deshalb
                                              Joint-Degree-Programme haben eine Rei-          gezielt gefördert werden.
                                              he von Vorteilen. So erlaubt es der abge-
                                              stimmte Studienplan, Auslandsaufenthal-         Prof. Hans R. Friedrich
                                              te an einer oder mehreren Partnerhoch-          lehrt an der Hochschule Bremen und an
                                                                                              der Fachhochschule Osnabrück. Er ist
                                              schulen zu verbringen, ohne dabei Studi-        Ministerialdirektor a.D. und war von 1990
                                              enzeit zu verlieren. Man studiert fachlich      bis 2002 Leiter der Hochschulabteilung im
                                              „wie zu Hause“, kann aber gleichzeitig          Bundesministerium für Bildung und
                                              die sprachliche und kulturelle Erfahrung        Forschung. Er ist Mitverfasser des Entwurfs
                                              eines Auslandsaufenthaltes machen. Alles        der Bologna-Erklärung
                                              wird gegenseitig anerkannt. Diese Pro-
                                              gramme sind damit die Chance schlecht-
                                              hin für den Erhalt der Mobilität von Stu-

                                                                                                         Der Bologna-Prozess           15
DER EUROPÄISCHE HOCHSCHULRAUM IM WERDEN

Ohne Sorgen quer durch Europa
Die soziale Situation der Studenten ist in jedem Land anders. Die grenzenlose Mobilität bleibt
deshalb für viele ein Traum. Zeit, Bologna vom Kopf auf die Füße zu stellen

                                                                Bis 2010 soll eine schöne Vision Wirk-     ßig das Abstraktum der „sozialen
                                                                lichkeit werden: 45 Länder verschmel-      Dimension“ – gefüllt ist es bislang aller-
                                                                zen zu einem Europäischen Hochschul-       dings nicht. Der Dachverband European
                                                                raum mit einheitlichen Bachelor- und       Council for Student Affairs hat daher
                                                                Master-Abschlüssen; rund 20 Millionen      eine klare Aufgabe für die Bologna-
                                                                Studenten läuten eine neue Epoche          Nachfolgekonferenz in London formu-
                                                                grenzenloser Mobilität ein, der Hoch-      liert: das Schlagwort mit Leben zu füllen
                                                                schulstandort Europa gewinnt weltweit      und Bologna gleichsam vom Kopf auf
                                                                an Attraktivität.                          die Füße zu stellen.
                                                                Allerdings ist es leichter geträumt als    Die Bildungsminister müssen sich zu
                                                                getan, einen Bachelor in Bonn zu           einer länderübergreifenden Bestands-
                                  © Caro Fotoagentur/A.Froese

                                                                machen, einen Master in Manchester         aufnahme der Student Services ver-
                                                                oder umgekehrt. Neugier und Mut allein     pflichten, die dann in verbindliche Stan-
                                                                reichen nicht aus. Studenten brauchen      dards mündet. Sonst bleibt die grenzen-
                                                                auch ein günstiges Dach über dem Kopf,     lose Mobilität für viele Studenten ein
                                                                eine ausreichende Finanzierung, gutes      unerreichbarer Traum. Im Vergleich mit
                                                                Essen und Beratung. Das gilt in Regens-    Regionen wie etwa Amerika, in denen
                                                                burg genauso wie in Riga.                  Student Services auf hohem Niveau

Mühelos vorwärts kommen:                                        Neugier und Mut reichen für einen
Der Weg an eine neue Uni sollte
so einfach wie möglich sein                                     Auslandsaufenthalt nicht aus.
                                                                Wichtig ist auch ein günstiges Dach
                                                                über dem Kopf
                                                                Im Europäischen Hochschulraum mögen        angeboten werden, würde das die
                                                                die Abschlüsse einheitlich sein, die       Attraktivität des Hochschulstandorts
                                                                soziale Situation der Studenten ist es     Europa nachhaltig schwächen.
                                                                nicht. In Deutschland und Frankreich
                                                                etwa sind die Studentenwerke für die so    Achim Meyer auf der Heyde
                                                                genannten Student Services verantwort-     ist Generalsekretär des Deutschen Studen-
                                                                                                           tenwerks und Präsident des europäischen
                                                                lich, also für Beratungs- und Dienstlei-   Studentenwerks-Dachverbands ECStA
                                                                stungsangebote. Ähnliche Organisatio-
                                                                nen sind in anderen europäischen Län-
                                                                dern unzureichend und teilweise gar
                                                                nicht ausgeprägt.
                                                                Die europäischen Bildungsminister ver-
                                                                wenden in ihren Deklarationen regelmä-

16      Der Bologna-Prozess
Der steinige Weg

                                                                                        © Caro/Waechter
nach Bologna
Viele Hindernisse blockieren einen Erfolg der Hochschulreform.
So wichtig die Veränderungen auch sind: Studiengebühren,
fehlender Praxisbezug und die unsicheren Berufsaussichten
der Absolventen überschatten die Vorteile

Das Zieldatum für die Umsetzung des Bologna-Prozesses ist das Jahr 2010. Ein Blick
auf die Agenda zeigt jedoch deutlich: Diese Vorgabe, der sich die Bologna-Staaten
verpflichtet haben, lässt sich kaum einhalten. Bislang sind zwar schon 48 Prozent der
Studiengänge auf Bachelor und Master umgestellt, aber das sagt noch lange nichts
über die Qualität der Umstellung aus.
Aus studentischer Sicht gehört mehr als nur die formale Einführung von Bachelor
und Master zum Bologna-Prozess. Im Mittelpunkt steht nach wie vor die Forderung
nach einer Bestandsaufnahme im Bereich der sozialen Dimension und nach einer
Öffnung des Hochschulzugangs. Weiterhin müssen die Anerkennung von erworbe-
nen Leistungen und die Mobilität von Lehrenden, Studenten und Mitarbeitern vor-
angetrieben werden. Der Grundbaustein auf dem Weg zu diesen Zielen ist die Betei-
ligung aller Akteure.
Deutschland sieht sich dabei vor einem Berg an Problemen: So sind die neuen Stu-
diengänge laut einer Studie des Hochschul-Informationssystems (HIS) nicht so
attraktiv, wie es die Arbeitgeber gern sehen würden. Mögliche Ursachen sind im feh-
lenden Praxisbezug, in den unsicheren Berufsaussichten, der zunehmenden Verschu-
lung, der nicht eintretenden Erhöhung der Mobilität und in der Einführung von Stu-
diengebühren zu sehen.                                                                                    Zäher Fortschritt
Bei der Umsetzung der Vorhaben steht sich Deutschland selbst im Wege: Die zuneh-
mende Verschulung der Studienfächer, verbunden mit Anwesenheitspflicht und                                Bis der frische Wind in den
höherer Prüfungsbelastung, schränkt die Studenten in ihrer Mobilität ein. Die Gefahr,                     Hörsälen ankommt, müs-
dass erbrachte Leistungen nicht anerkannt werden, hängt wie ein Damoklesschwert
über den Köpfen der Betroffenen. Diese Mängel kann auch das deutsche Akkreditie-                          sen die Hochschulen noch
rungssystem, das sich mit seiner bevorstehenden Neuausrichtung hin zur Prozessak-                         einen Berg an Problemen
kreditierung noch ein entscheidendes Stück weiter vom angestrebten Ziel der Qua-
litätssicherung sowie der Vergleichbarkeit von Studiengängen entfernt, nicht aus
                                                                                                          überwinden
dem Weg räumen.
Die Errichtung des Europäischen Hochschulraums beginnt im eigenen Land und nicht
etwa mit der Orientierung am Ausland: Ziele, die hier verfehlt werden, lassen sich
auch auf europäischer Ebene nicht erreichen.
Elke Michauk
ist Vorstandsmitglied im freien zusammenschluss von studentInnenschaften (fzs)

                                                                                                             Der Bologna-Prozess   17
DER EUROPÄISCHE HOCHSCHULRAUM IM WERDEN

Pendeln zwischen Berlin und Berkeley
Die akademische Reise von Europa nach Amerika wird dank Bologna einfacher –
zumindest theoretisch. Noch allerdings trauen die US-Hochschulen der Entwicklung in
der Alten Welt nicht so richtig  Elpav*2

                                           In den USA beobachtet man den Bolo-          einen studienbezogenen Auslandsauf-
                                           gna-Prozess mit einer Mischung aus           enthalt.
                                           Neugier, Irritation und Gleichgültigkeit.    Eliteunis rekrutieren weltweit Studenten
                                           Neugierig sind alle, die mit der Zulas-      und Professoren, geben sich allerdings
                                           sung ausländischer Studenten zu tun          zugeknöpft, wenn es um Studentenaus-
                                           haben. Sie wollen wissen, was der „aka-      tausch oder feste Beziehungen mit ande-
                                           demische Euro“ wert ist und wie man          ren Hochschulen geht. Viele Amerikaner
                                           Bachelor aus Aachen oder Zagreb einstu-      meinen, die europäischen Unis seien
                                           fen soll, die sich in Atlanta oder Yale um   überlastet und ausgeblutet. Sie schwär-
                                           ein Graduiertenstudium bewerben.             men lieber von den enormen Potenzialen
                                           Irritiert reagiert das Hochschulestablish-   Indiens und Chinas. Der Bologna-Prozess
                                           ment, das der globale Wettbewerb um          kann daran nur wenig ändern. Neue Stu-
                                           Talente und Patente umtreibt. Bologna,       dienformate und das Kreditpunkte-
                                           argwöhnt man hier, könnte mehr Stu-          System mögen mehr Vergleichbarkeit
                                           denten nach Europa locken und die Posi-      bringen, aber weder verkürzen sie den
                                           tion der USA auf dem internationalen         Weg zu einem Studium in den USA noch
                                           Hochschulmarkt schwächen. Die übrige         machen sie den europäischen Hoch-
                                           higher education community schweigt          schulraum für Amerikaner attraktiver.
                                           dazu. Was in der alten Welt passiert,        Hier heißt es eben schlicht: Konvergenz
Aushängeschild: Die Bibliothek
an der Yale University                     interessiert im amerikanischen Hoch-         ist gut, Konkurrenz ist besser.

                                           Globale Kompetenz liegt in Amerika
                                           voll im Trend. Ins Ausland wollen
                                           trotzdem die wenigsten Studenten
                                           schulraum nur wenige. Verbindliche           Dr. Ulrich Schreiterer
                                           Regeln oder Standards gibt es dort nicht.    ist Senior Research Scholar und Lecturer
                                           Jede Hochschule entscheidet nach eige-       in Soziologie an der Yale University
                                           nem Gutdünken über Leistungsanforde-         in New Haven, USA
                                           rungen, die Anerkennung ausländischer
                                           Examina und die Zulassung von Studien-
                                           bewerbern. Zwar ist es hip, von „globa-
                                           ler Kompetenz“ zu schwadronieren und
                                           Studenten anzuhalten, wenigstens für
                                           kurze Zeit ins Ausland zu gehen. Das
                                           Interesse aber bleibt gering: Nur 2,6 Pro-
                                           zent aller undergraduates absolvieren

18      Der Bologna-Prozess
Neugier auf eine
europäische Erfindung
Der Bologna-Prozess sorgt international für Furore. Selbst in
China und Australien verfolgen Bildungsexperten mit Interesse,
was sich an den hiesigen Hochschulen tut. Für den Wettbewerb
um die klügsten Köpfe ist das ein gutes Zeichen

Die Bologna-Reformen hatten von jeher mindestens drei Zielrichtungen in ihren

                                                                                         Stinson*1
räumlichen Auswirkungen: erstens nach innen in die jeweiligen nationalen Hoch-
schulsysteme, zweitens in den Europäischen Hochschulraum hinein, den es mit dem
Bologna-Prozess zu erschaffen gilt, und drittens nach draußen in die übrigen Länder
der Welt.
Je mehr der Reformprozess an Fahrt gewinnt, desto wichtiger wird die Außenwir-
kung, die früher als „externe Dimension“ bezeichnet wurde. Noch vor kurzem konn-
ten nur Hochschulexperten und Insider in den USA, in China, Kanada und Australien
etwas mit dem Begriff „Bologna-Prozess“ anfangen. In den vergangenen Jahren
aber ist das Interesse an den beispiellosen Veränderungen in den Hochschulsyste-
men des alten und neuen Europa spürbar gewachsen. Deutlich wird dies an vielen
internationalen Konferenzen und Publikationen, die sich mit dem Thema beschäfti-
gen – und auch daran, dass andere Länder offizielle Beobachter zu Informationsrei-
sen in den Europäischen Hochschulraum entsenden.
Zu den wichtigsten Zielen des Bologna-Prozesses gehörte von Anfang an die Steige-
rung der Attraktivität der Hochschulen in Europa. Dieser Vorsatz deutet an, dass es
um einen globalen Wettbewerb geht: Europa soll fit gemacht werden, um mit den
anderen Ländern der Erde und ihren Hochschulsystemen um die klügsten Köpfe zu                        Weltweiter Erfolg
konkurrieren, die man für die Herausforderungen der Zukunft braucht. Hier liegt eine
Riesenchance für die europäischen Hochschulen – wenn es denn gelingt, den begon-                     Selbst in Asien stoßen die
nenen Prozess gemeinsam zu einem Erfolg werden zu lassen.                                            Bologna-Reformen auf
Dafür ist es notwendig, dass sich Europa nicht abschottet, sondern weiter öffnet.
Dazu gehört unter anderem eine verbesserte Informationspolitik „nach draußen“,                       Interesse
aber auch eine flexiblere Praxis der Anerkennung von Abschlüssen, die außerhalb
des Bologna-Raums erworben wurden. Nur wenn mit dem Bologna-Modell überzeu-
gende Standards gesetzt werden, kann auch die globale Dimension des Reformpro-
zesses erfolgreich sein.
Dr. Michael Harms
leitet die Arbeitsbereiche Internationale Angelegenheiten sowie Lehre und Forschung in
Deutschland und Europa bei der Hochschulrektorenkonferenz (HRK)

                                                                                                        Der Bologna-Prozess   19
DER EUROPÄISCHE HOCHSCHULRAUM IM WERDEN

USA: Vorbild oder Partner?
Amerika gilt als schärfster Konkurrent für den Europäischen Hochschulraum.
Vor allem die Forschungs-Zusammenarbeit bringt aber Schwung ins trans-
atlantische Verhältnis – und verringert den Abstand zwischen den Rivalen

D          ie Bologna-Reformen stehen
           seit ihrem Beginn unter einem
           doppelten Vorzeichen. Einer-
seits basieren sie auf dem intensiven Aus-
tausch und der engen Zusammenarbeit
                                             men aus Europa. Die Befürchtung, der
                                             dreijährige europäische Bachelor könnte
                                             in den USA auf Anerkennungsschwierig-
                                             keiten stoßen, bewahrheitet sich nicht;
                                             schließlich hatten auch die Engländer in
zwischen den europäischen Ländern,           der Vergangenheit keine Probleme mit
andererseits sind sie geprägt vom Wett-      ihren dreijährigen Bachelor-Titeln. Zudem
bewerb Europas mit dem Rest der Welt.        brauchen die US-Hochschulen europäi-
Viele Ziele des Bologna-Prozesses ent-       sche Graduates, weil die Zahl der inländi-
springen der jahrzehntelangen Koopera-       schen Bewerber rück-
tion zwischen europäischen Universitä-       läufig ist.
ten, deren Erfolge die Hoffnung auf einen    Für amerikanische       Heilsamer Wettbewerb:
gemeinsamen Hochschulraum entstehen
ließen. Zu diesen Zielen gehören die ver-
                                             Studenten ist Europa
                                             das beliebteste Ziel,
                                                                     Die guten Bedingungen an
besserte Vergleichbarkeit, die Transpa-
renz der Strukturen, die erhöhte Mobili-
                                             wenngleich sie häu-
                                             fig in hiesigen Pro-
                                                                     US-Universitäten dienen
tät, die Qualitätssicherung, aber auch       grammen ihrer eige-     als Ansporn für die hiesigen
beispielsweise die Einführung des euro-      nen Hochschulen stu-
päischen Kreditpunktesystems ECTS.           dieren. Unter den eu-   Hochschulen
Gleichzeitig verschreibt sich die Bologna-   ropäischen Ländern
Deklaration an oberster Stelle der „Stär-    gibt es nur wenige Nettoimporteure von
kung der internationalen Wettbewerbsfä-      ausländischen Studenten – Großbritan-
higkeit des europäischen Hochschulsy-        nien und Deutschland stehen an erster
stems.“ Gerade die USA wurden in politi-     Stelle. Die neuen Studienabschlüsse und
schen Reden und Strategiepapieren            die wachsende Anzahl englischsprachiger
immer wieder als bedrohlicher Gewinner       Programme haben aber bereits an vielen
auf dem Markt der mobilen Studenten,         Hochschulen einen deutlichen Anstieg
der Wissenschaftler und hochqualifizier-     ausgelöst.
ten Arbeitskräfte beschworen; als ein        Bedenklicher ist der Blick auf die Gradu-
Wettbewerber, dem es die Stirn zu bieten     ierten aus den EU-Ländern, deren Mobili-
gilt. Was bleibt also nach Jahren der        tät sich als Brain Drain entpuppt. Zwi-
Reformen für den transatlantischen Uni-      schen 1998 und 2001 wollten 57 Prozent
versitäts-Austausch zu hoffen und zu         der europäischen Graduierten, die ihren
befürchten? Wie durchlässig sind die         Doktortitel in den USA erworben haben,
Hochschulräume auf beiden Seiten des         gleich ganz dort bleiben. Auch wenn
Atlantiks inzwischen geworden?               Amerika in den vergangenen Jahren bei
Was die Lehre betrifft, verfügen die USA     vielen Zielgruppen an Anziehungskraft
über eine herausragende Attraktivität für    verloren hat, muss in Europa noch viel
ausländische Studenten. Der globale          passieren, um den hiesigen Doktoren ein
Marktanteil Amerikas liegt in dieser Hin-    Forschungs- oder Berufsumfeld zu bieten,
sicht bei 22 Prozent. Dabei stammen          das mit den Möglichkeiten in den USA
mehr als 56 Prozent der ausländischen        mithalten kann. Gerade in Deutschland
Studenten aus Asien; nur 13 Prozent kom-     wird zwar intensiv versucht, die wissen-

20      Der Bologna-Prozess
Für Graduierte ist
                                                                                            Europa wenig attraktiv.
                                                                                            Wer seinen Doktortitel
                                                                                            in Amerika gemacht
                                                                                            hat, bleibt für die
                                                                                            Karriere häufig dort

schaftlichen Laufbahnen attraktiver zu         Ob nun brain drainer, Vorbild oder Partner
gestalten; dennoch bleibt viel zu tun:         – ein transatlantischer Hochschulraum
Durchlässige nationale Wissenschafts-          gedeiht immer noch in Konkurrenz am
märkte, eine stärkere Leistungsbeloh-          besten. Zu hoffen bleibt vor allem, dass
nung, bessere Bedingungen für unterneh-
merische Initiativen der Akademiker und
eine enge Kooperation zwischen Indu-
strie und Wissenschaftlern gehören zu
den Forderungen. In dieser Hinsicht wir-           Amerikanische Unis
ken die USA doch noch eher als Vorbild
denn als Austauschpartner.                         brauchen europäische
Einen transatlantischen Hochschulraum              Graduates, weil die
gibt es aber durchaus – in einem ganz
anderen Bereich und noch lange nicht
                                                   Zahl der inländischen
ausgewogen: Er entsteht im Rahmen der              Bewerber sinkt
                                                                                                f/stop*1

Forschungszusammenarbeit, die immer
enger wird, und beim konvergierenden
Publikationsverhalten der Wissenschaft-
ler. Seit 1997 überflügelt die EU die Verei-
nigten Staaten hinsichtlich der Anzahl an      der europäische Erneuerungswille weit
Publikationen und nähert sich stetig dem       über Bologna hinauswächst, und dass
amerikanischen Anteil an Zitationen, der       sich neben dem Willen zur Zusammenar-
als Indikator wissenschaftlicher Wirkung       beit auch die Lust am Wettbewerb ver-
gilt. Mehr noch: Die Zahl der internatio-      stärkt. Erst dann könnte ein transatlanti-
nalen Publikationen steigt, in denen Wis-      scher Hochschulraum entstehen, in dem
senschaftler aus verschiedenen Ländern         die Gewinnchancen etwas ausgewoge-
zusammengearbeitet haben. In ihrer             ner auf beiden Seiten winken.
wachsenden Verschränktheit orientieren
sich die Wissenschaftssysteme zuneh-           Dr. Sybille Reichert
mend an gemeinsamen Erfolgskriterien           hat sich auf die Politik- und Strategie-
                                               beratung von Hochschulen spezialisiert.
und den selben global anerkannten Zeit-        Ihr Unternehmen sitzt in Zürich
schriften.

                                                                                                           Der Bologna-Prozess   21
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