Thinking at the Edge (TAE) in der Praxis

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Thinking at the Edge (TAE) in der
Praxis
von Evelyn Proß

„Wir sind es gewohnt und darin sehr geübt, unser Wissen einzubringen. Erfahrung dagegen ist
etwas Diffuses, oft nicht konkret formulierbar und eher ein unklares Gefühl. Erfahrung beinhaltet
jedoch mehr als unser direkt verfügbares Wissen … es beinhaltet über das Wissen hinaus un-
sere Erlebnisse, Gefühle, Einschätzungen … alles was wir an Eindrücken und Erkenntnissen im
Laufe unseres Lebens gesammelt haben.“

Der TAE-Prozess                                         wie er selbst sagt, nie behalten konnte, legen
                                                        sich wie eine Last auf den TAE-
Dieses Zitat aus einem TAE-Prozess einer                Praktizierenden. In meinem ersten TAE-
Therapeutin über „Erfahrung“ trifft den Kern von        Prozess habe ich mich zeitweise mehr mit den
Thinking at the Edge. TAE ist ein Denken an             einzelnen Schritten als mit meinem Thema
der Grenze (Edge) zwischen dem noch nicht               auseinandersetzt. Irgendwann befand ich mich
strukturierten körperlichen Spüren und den              in einem Dickicht aus vielen Worten und Sätzen
Symbolisierungen durch Worte, Konzepte,                 mit dem Gefühl, nie wieder herauszufinden.
Bilder und Handlungen. Der 14-stufige Prozess
beruht auf Gendlins Philosophie des Impliziten          Dennoch hat mich TAE von Anfang an faszi-
(Gendlin, 1997a) und den von ihm beschriebe-            niert und es wurde zu meiner Arbeitsmethode.
nen funktionalen Beziehungen zwischen Sym-              Mit einem partnerschaftlichen TAE-Prozess
bolisierung und Erleben (Gendlin, 1997b). Im            verbinden sich für mich zwei Kriterien für ein
TAE-Prozess wird, wie im Focusing, immer                kreatives und motivierendes Arbeiten: einen
wieder zwischen diesen beiden Ebenen ge-                Gesprächspartner zu haben, dem ich meine
wechselt. Das implizite Wissen, das Erlebte             Ideen, Gedanken und Pläne erzählen kann,
und Erfahrene, das in einem Felt Sense spür-            und die Möglichkeit, meine Erfahrung in meine
bar ist, wird versprachlicht. Zu Beschreibungen,        Arbeit einzubringen. Ich startete einen TAE-
die zu einem Thema schon da sind, seien es              Prozess, um TAE für partnerschaftliches Arbei-
Begriffe, Sätze, Geschichten oder erlebte Situa-        ten weiterzuentwickeln und TAE gebrauchsfä-
tionen (Beispiele), wird tiefer in die zugehörige       higer zu machen. Teile des Prozesses werde
gefühlte Bedeutung eingetreten.                         ich im folgenden Abschnitt schildern, um meine
                                                        persönliche Vorstellung von TAE darzulegen
Das Wechselspiel zwischen Denken und Spü-               und um in den TAE-Prozess einzuführen. Im
ren verändert jeweils das andere, es findet ein         zweiten Teil dieses Artikels gehe ich umgekehrt
Weitertragen (carrying forward) statt. Das The-         vor. Ich wandere mit Ihnen durch die einzelnen
menfeld weitet sich aus und differenziert sich          Zimmer des TAE-Hauses und veranschauliche
immer mehr, wie ein Baum mit seinen Veräste-            die TAE-Schritte (Gendlin, 2004) mit Beispie-
lungen. Man dringt jedoch auch immer tiefer in          len. Zum Schluss stelle ich verschiedene An-
das Thema ein, in die Wurzeln des Baumes.               wendungen für TAE vor.
Die TAE-Schritte sind Stufen einer Leiter, mit
der sich zu den Wurzeln der Erfahrung hinun-
tersteigen lässt und dann hinauf in die verästel-       Das TAE Haus
te Baumkrone der Ideen, Erkenntnisse, überra-
schenden Gedanken und neuen Begriffe, um                Gleich zu Beginn entstand in mir das Bild eines
daraus eine Theorie zu entwickeln.                      Hauses als Metapher für den TAE-Prozess. Die
Im Gegensatz zum Focusing hat sich TAE noch             einzelnen TAE-Schritte befinden sich in den
wenig verbreitet. Die ursprüngliche Absicht, mit        Zimmern des Hauses. Die Sequenz, in der die
dem TAE-Prozess eine Theorie zu entwickeln,             Zimmer aufgesucht werden und die Dauer des
mag abschrecken. Ein anderer Grund liegt wohl           Verweilens können selbst bestimmt werden. Es
in der Komplexität des Prozesses. Allein die            war mir wichtig, aus dem engen Korsett der
Anzahl der Schritte, deren Reihenfolge Gendlin,         Abfolge der einzelnen TAE-Schritte herauszu-

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kommen. Daraus ergab sich der Satz [Kernsatz         Das TAE-Haus symbolisiert den ganzen Pro-
in Schritt 1]:                                       zess auf einen Blick und erleichtert es, sich im
Ein TAE-Haus gestalten und mit Leben erfüllen.       TAE-Prozess zurechtzufinden.

                                     Abb. 1: Das TAE-Haus

Ich habe mir das Wort „Haus“ als Schlüsselwort       tentstehung zu erkunden. Es ist die Baustelle
weiter vorgenommen. Bei der Suche nach               für die Gestaltung eines Konzeptes. Die Ergeb-
Wortbedeutungen [Schritt 3] bin ich auf das          nisse aus dem Besuch der einzelnen TAE-
Synonym „Gebäude (building)“ gestoßen. „Buil-        Räume bilden dabei die Bausteine aus dem
ding“ hat den Prozess des Bauens und das             das Konzept, ein nach außen sichtbares
Ergebnis des Bauens in sich vereint. Im Deut-        (Bau)Werk, aufgebaut wird.
schen bietet das Wort „Bau“ viele Variationen:       Es drängten sich Widersprüche auf [Schritt 2],
Bauweise, Bauart, Aufbau, Baustelle, Bauwerk,        die mit dem Zusammenhang von Struktur und
Anti-Bau. Jedem dieser Begriffe ordnete ich          Prozess zu tun haben. Die Struktur der TAE-
meine eigenen Bedeutungen zu [Schritt 4] und         Schritte wird benötigt, um einen Prozess durch-
daraus formulierte ich eine erste, eigene Vor-       führen zu können, und die Struktur ist ein Er-
stellung des TAE-Prozesses [Schritt 5]:              gebnis des sich entwickelnden Prozesses.
TAE bietet die grundlegende Bauweise, wie ein        Einerseits ist es notwendig, eine Struktur zu
Konzept oder eine Theorie – das Bauwerk –            haben, um den Prozess zu erlernen. Anderer-
entwickelt wird, an. TAE kann als ein Gebäude        seits hindert eine rigide Struktur den Prozess-
aufgefasst werden, in dem die unterschiedli-         fluss. Dem Prozess wird das Leben entzogen.
chen Methoden (Schritte) in den Zimmern un-          Neben den vielen Bedeutungen von „Bau“
tergebracht sind. Die Zimmer können in unter-        steckte noch mehr in der Metapher bzw. dem
schiedlicher Reihenfolge besucht oder auch           dazugehörigen Felt Sense des TAE-Hauses.
nicht besucht werden, um ein Konzept zu ent-         Es war kurz vor Weihnachten, und ich erkannte
wickeln. Das TAE-Gebäude ist somit kein „Bau“        die Analogie zur Weihnachtsgeschichte, in der
im Sinne eines Gefängnisses, sondern ein             die Suche von Maria und Josef nach einem Ort
Gebäude, das besucht werden kann, um die             zum Schutz für die Geburt Jesu beschrieben
individuelle Bauart des Prozesses der Konzep-        wird. Genauso bietet das TAE-Gebäude Schutz

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und Sicherheit für das noch ungeborene Kon-            Person, die den TAE-Prozess durchführt. Doch
zept. (Die Weihnachtsgeschichte kann als ein           wie lässt sich dies in die Anleitungen integrie-
Beispiel aufgefasst werden [Schritt 6]. Aus            ren? Im Domain-Focusing (Lee, 1998) gibt es
meinem momentanen Erleben zu der Ge-                   neben dem Denken und Fühlen (Felt-Sensing)
schichte, konnte ich ein relevantes Muster darin       die Selbstempathie als dritte Säule des Focu-
finden [Schritt 7]).                                   sing-Prozesses. Vom Platz der Selbstempathie
Das TAE-Haus bietet der noch ungeborenen               aus lassen sich Blockaden und Kritikerprozes-
Idee (dem Konzept, der Theorie) Sicherheit und         se, aufkommende Emotionen, Überforderungen
Schutz, um nach und nach symbolisiert zu               mit dem TAE-Prozess oder Schwierigkeiten mit
werden. Es bietet Schutz und Sicherheit für die        einzelnen Schritten bearbeiten.

Thema                            Felt Sense                             Selbstempathie
 Mit welchem Wort möchte ich     Gibt es eine gefühlte Bedeutung,      Was ist eine gute Art von
  starten?                         die mit dem Thema, an dem ich          Selbstempathie, um mit die-
 Was bedeutet das Wort ____       arbeite und in Verbindung zu           sem Schritt zu beginnen?
  für mich in dem Kontext mei-     diesem Wort kommt?                 Kann ich ____ (freundlich,
  nes Themas?                     Kann ich diese gefühlte Bedeu-      sorgsam, akzeptierend, ge-
 Passt das Wort ____oder gibt     tung näher beschreiben   (Wo im     duldig …) sein?
  es ein anderes Wort, das mein    Körper, Gestalt, Struktur, emoti-  Kann ich ____ (Geduld, Ver-
  körperliches Wissen besser       onales Wort, Bewegung,              ständnis) mit mir haben, ein
  ausdrückt?                       Bild…?)                             geeignetes Wort zu finden?
 Kann ich noch ein Wort finden,  Passt das neue   Wort zu meinem    Kann ich anerkennen, dass
  das aus dem Körpergefühl         Körpergefühl?                       die Wörter, die ich finde,
  kommt und einen weiteren,       Was spüre ich in meinem Kör-           nicht genau das ausdrücken,
  wesentlichen Aspekt be-          per, wenn ich das neue Wort            was ich sagen möchte?
  schreibt?                        halte?
               Tabelle 1: Mit Wörtern arbeiten (Schritt 3) im Domain-Focusing-Format

Tabelle 1 zeigt beispielhaft den 3. Schritt des        Sense“ beherbergt. Den von Nelson (2004)
TAE-Prozesses im Format des Domain-                    beschriebenen 0. Schritt zur guten Positionie-
Focusing. Jeder TAE-Schritt umfasst einen              rung integriere ich in Selbstempathie-Fragen:
Focusing-Prozess, der durch den spezifischen           Was ist eine gute Art von Selbstempathie, um
TAE-Schritt strukturiert ist. Das Verbinden zwi-       den Prozess zu beginnen? Oder: Kann ich
schen den Domänen „Felt Sense“ und „Thema“             neugierig, gelassen, offen … den ersten Schritt
entspricht der Pendelbewegung nach innen               beginnen? Im ersten Schritt wird das Thema
(zum Felt Sense) und außen (zur Symbolisie-            aus einem Felt Sense, der die Ahnung einer
rung durch Sprache), die für jeden TAE-Schritt         Idee und die Erfahrung zu einem Thema trägt,
fundamental ist. Die gleichzeitige Präsenz der         identifiziert. Alles was zum Thema schon be-
Domänen „Thema“ und „Felt Sense“ erinnert              wusst ist, wird artikuliert. Eine erlebte Situation,
daran, immer wieder zurück zum Felt Sense zu           die mit dem Thema in Verbindung steht, unter-
kehren und sich nicht im Erzählen zu verlieren.        stützt den Bezug zur eigenen Erfahrungswelt.
Aus der Beschreibung und dem Eintreten in              Ein erster Kernsatz wird formuliert, der die
den Felt Sense lassen sich neue und relevante          Krux, das Dilemma, die Hauptfrage oder Prob-
Bedeutungen und Erkenntnisse zum Thema                 lematik enthält.
herausziehen, wie die Fäden eines Wollknäu-            Von dieser Stelle aus kann mit einem Schlüs-
els. Der Weg über die Selbstempathie kann              selwort im Kernsatz weiter gearbeitet werden.
ebenfalls zu einem Weitertragen des TAE-               In den Schritten 3-5 soll die Barriere der vor-
Prozesses führen. Wenn z.B. nach der Bearbei-          handenen Strukturen, Konzepte und Theorien,
tung einer Schwierigkeit oder einer starken            die auch der Sprache zugrunde liegen, durch-
Emotion die Frage nach der Relevanz für das            brochen werden. Es werden eigene Begrifflich-
Thema gestellt wird, werden die Domänen                keiten gesucht, die sich an der konventionellen
„Selbstempathie“ und „Thema“ verknüpft.                Sprache reiben können, um das zu beschrei-
                                                       ben, was im Felt Sense steckt. Weitere, oft
Die TAE-Schritte                                       ungewöhnliche Wörter liefern neue Aspekte
1. Phase (1. Stockwerk)                                oder sind passender. Es wird tiefer in die Rele-
                                                       vanz der Wörter und in die vielen implizit wir-
Der Eingang ins TAE-Haus führt in das Zimmer,          kenden Bedeutungen eingetreten (Tab.1). Hier-
das den ersten Schritt, „Speaking from the Felt

                                                   3
zu ein Beispiel über das Schlüsselwort „Ener-           2. Phase (2. Stockwerk)
gie“:                                                   Im zweiten Stockwerk ist die Theoriebildung
Was bedeutet Energie?                                   untergebracht. Um ins 2. Stockwerk des TAE-
Sie ist körperlich spürbar, ein Bild von einem          Hauses zu gelangen, werden wesentliche Be-
Vulkan, etwas, das ausbricht. Etwas, das tief           griffe aus dem bisherigen Prozess durch Prü-
von unten kommt und hoch geht. Energie ist              fung mit dem Felt Sense in einer Liste gesam-
eine zentrale Macht inmitten des Körpers.               melt. Durch logische Verknüpfungen von drei
                                                        ausgewählten Begriffen A, B und C (Schritte
Weitere Begriffe für Energie:
                                                        10-12) werden noch tiefgründigere Bedeutun-
- Stärke: Sie bewegt sich weniger, ist gegen-           gen ausgegraben und es kommen weitere,
  sätzlich zur Energie, sie steht wie ein Berg.         außergewöhnliche Aspekte an die Oberfläche.
  Sie ist stabil, etwas das sich nicht bewegt.
                                                        Das Gleichsetzen zweier Begriffe (Schritt 10)
  Stärke ist Stabilität im Sinne von Sich-nicht-
                                                        entspricht nicht einem Gleichsetzen in der for-
  bewegen, was immer auch passiert.
                                                        malen Logik; es vollzieht sich ein weiteres Ver-
- Kraft: Kraft wird in einer aktiven Art und Wei-       stehen auf experientieller Ebene, wie das fol-
  se genutzt. Stärke steht mehr mit einer Per-          gende Beispiel zeigt:
  son, Kraft steht mehr mit Aktionen in Bezie-          A = ein Appell zur Autonomie; B = keine willkür-
  hung. Kraft bedeutet, einen Einfluss auf ET-          liche Antwort; A = B: Ein Appell zur Autonomie
  WAS zu haben.                                         IST keine willkürliche Antwort.
Erlebnisse und Ereignisse werden als spezifi-            Ein Appell zur Autonomie führt dazu, keine
sche Beispiele hinzugezogen (Schritt 6), um             willkürliche Antwort zu haben. Es ist mehr als
darin Muster zu erkennen (Schritt 7). Ein Mus-          meine eigene Antwort. Keine willkürliche Ant-
ter ist eine Beziehung zwischen Details, das            wort unterscheidet sich von einer eigenen indi-
sich auch auf andere Situationen übertragen             viduellen Antwort. Der Appell zur Autonomie
lässt. Durch „Kreuzen“ bilden sich neue Muster          hat nichts mit Individualismus zu tun.
heraus, die oft das Nicht-Offensichtliche und
Unentdeckte an die Oberfläche bringen (Schritt          Die Suche nach der inhärenten Verknüpfung
8). Das Kreuzen kann als ein Mitnehmen des              der Begriffe [Schritt 11] kann durch die Frage
Musters eines ersten Beispiels in die Betrach-          „Was ist das Wesentliche von A, so dass es
tung eines zweiten Beispiels verstanden wer-            auch B ist?“ erleichtert werden. Hierzu ein Bei-
den. Was erkenne ich frisch in dem zweiten              spiel einer Studentin aus einem Prozess zur
Beispiel, wenn ich es durch das Muster des              Rollenklärung:
ersten Beispiels betrachte?                             A = Front; B = eine Folge eines Fehlers; A ist
Beispiel aus einem Prozess mit dem Thema                inhärent B: Front ist inhärent eine Folge eines
„Arbeiten in Organisationen“:                           Fehlers.
Es gab nur einen Abschlussbericht, der in ein           Offensichtlich ist eine Front etwas Negatives,
computergestütztes Formular eingegeben wer-             das aus einem Missverständnis resultiert. Ein
den musste. Als ich dies für ein 3-Jahresprojekt        Fehler ist ebenfalls etwas Negatives, dem meist
versuchte, war die große Herausforderung es             ein Missverständnis zugrunde liegt. Die gefühl-
so zu kürzen, dass die Zahl der Zeichen nicht           te Bedeutung ist, dass Front und Fehler beide
überschritten wurde. Es blieb praktisch nichts          nicht endgültig sind, sie sind behebbar. Eine
mehr übrig und damit hatte auch das Projekt             Front kann also durch das Aufklären von Feh-
selbst für mich keine Bedeutung mehr. Die               lern behoben werden, genauso wie ein Fehler
Mühe von drei Jahren erfolgreicher Projektar-           aufgeklärt werden kann. Die inhärente Verbin-
beit verpuffte in ein paar bedeutungslosen Sät-         dung ist: behebbar-sein
zen.                                                    Im 12. Schritt wird mit drei oder vier von nun an
Muster: Bedeutungslosigkeit entsteht durch              konstanten Begriffen das Gerüst der Theorie
Reduktion.                                              gebildet. Ein Begriff wird durch die anderen
                                                        definiert. Dies ist immer möglich, da sie aus
Ich verzichte in meinen TAE-Begleitungen auf            demselben Felt Sense stammen. Dieser Schritt
den Schritt 2, jedoch nicht auf das „Mehr als           eignet sich als Abschluss, um die entfaltete
Logische“ als Quelle der Veränderung und des            Erfahrung in einigen Sätzen zusammenzufas-
Neuen. Jede Person, die ich begleitet habe,             sen. Oder er ist der Beginn einer sich immer
stößt meist früher als später auf etwas, das            weiter differenzierenden Theoriebildung, indem
unlogisch, widersprüchlich, paradox erscheint           weitere Begriffe hinzugezogen und logisch
oder ein Dilemma ist, und ich weise darauf hin.         miteinander verknüpft werden [Schritt 14].
Die direkte Intervention des 2. Schrittes: „Finde
etwas, das mehr als logisch ist“, hat für mich
selbst etwas Paradoxes, genauso wie die An-
weisung „sei spontan“.

                                                    4
3. Phase (Dach)                                       TAE als Prozess zur persönlichen Entwick-
In meinem Verständnis des TAE-Prozesses               lung
unterscheide ich eine dritte Phase. Das Dach          Die ersten TAE-Prozesse, die ich begleitet
stellt die Verbindung zur Außenwelt dar. In           habe, hatten berufliche Veränderungen zum
dieser können Konzepte von außen ein- und             Thema. Doch wurden daraus meist Prozesse
mit den eigenen Thesen in Verbindung ge-              über persönliche Probleme. Mit TAE lässt sich
bracht werden. Im Dach ist das Zimmer für             eine Theorie über die intensive Erfahrung zu
Schritt 13, die Anwendung bisheriger Erkennt-         einem persönlichen Problem entwickeln. So hat
nisse auf ein anderes Themenfeld, angesiedelt.        fast jeder Erfahrung mit Stress oder Überlas-
Auch das erarbeitete Konzept oder die erstellte       tung zu tun. Ich habe über meine Schreib-
Theorie wird von dieser Stelle aus angewendet         Blockaden mit TAE gearbeitet. Der TAE-
bzw. in die Welt gebracht.                            Prozess gab mir die nötige Distanz, um die
                                                      langjährige Problematik endlich anzugehen,
                                                      und hat dazu geführt, dass ich sehr tief in das
TAE-Anwendungen                                       implizite Wissen dazu eindringen konnte. Die
                                                      vielen Erkenntnisse über die Hintergründe der
TAE wurde nicht nur zu meiner Arbeitsmetho-           Schreibblockade ermöglichten mir einen Weg
de, sondern zu einem Teil meiner Arbeit selbst.       heraus zu finden.
Es haben sich drei Anwendungsfelder heraus-
kristallisiert:                                       TAE-Schritte für Therapie, Beratung,
                                                      Coaching und Seminare
TAE zur Explikation beruflicher Erfahrung
                                                      Die einzelnen Schritte von TAE eignen sich
Das Entschlüsseln und Artikulieren von Erfah-         dazu, losgelöst von der Theoriebildung, um den
rung auf einem bestimmten Gebiet, um eine             Focusing-Prozess zu bereichern oder Klienten
neue Theorie zu bilden, ist die ursprüngliche         zum eigenen Erleben zu bringen. In Seminaren
Anwendung des TAE-Prozesses. Doch auch                zur Stressbewältigung und zum Selbstma-
ohne Theoriebildung ist es eine Bereicherung,         nagement und in Einzelbegleitungen habe ich
sich mit TAE der eigenen Erfahrung bewusst zu         positive Erfahrungen darüber gesammelt, dass
werden. Menschen, die einen TAE-Prozess               die Arbeit mit Begriffen oder Erlebnissen ein
durchführen, sind immer erstaunt, was in ihnen        sicherer Weg zu sich selbst sein kann. Bei der
steckt. Sie beschreiben den Prozess als freudi-       Stressbewältigung lassen sich z.B. die eigene
ge Entdeckungsreise und sind dankbar, Mut für         Bedeutung von Stress definieren, in erlebten
die eigene Position zu einem Thema gefunden           Situationen Stressoren und Stressverstärker
zu haben. Das Anfangszitat macht deutlich, wie        erkennen sowie Bewältigungsmuster und Wohl-
sehr gerade beratende Berufe von der Erfah-           fühlplätze finden (Proß, 2012).
rung leben. Auch bei der Gestaltung von Ge-
schäftsplänen, Trainings- und Beratungskon-           Mit der Auswahl an Themen (Tab. 2) von TAE-
zepten ist dieses experientielle Vorgehen sehr        (Teil-)Prozessen, die ich begleitet oder selbst
                                                      durchgeführt habe, möchte ich Lust auf eine
hilfreich.                                            Entdeckungsreise mit TAE machen.

  Die Relevanz der Parsifal-      Blockaden                    Berufliche Veränderung
   Legende für mein Leben          Innen-Außen-Beziehung und  Mein Angebot ist Zuhören
  Über ein Buch von Ken Wil-        persönliche Entwicklung     Focusing und TAE in den
   ber                             Ressourcen und Energie        Transition Town Prozess
  Meine Zufriedenheit             Mutter-Tochter-Beziehungen    einbringen
  Über Authentizität              Passende Kontakte            Die Focusing- und Nicht-
  Erfahrung, Lernen, Lehren       Mein Kulturverständnis        Focusing-Welt überbrücken
  Ver- und Entwicklungen          Unterstützung, die den       Als Focuser in einer Nicht-
  Rollenklärung                     Raum nicht einschränkt       Focusing-Welt überleben
  Automatisch-Sein                Wahre Unterstützung für      Wie erreiche ich Menschen
  Altern und Veränderung            Lehrer                       in der Arbeitswelt?
  Krebserkrankungen von           Ein anderes, natürliches     Geschäftsplan – Profil –
   weiblichen Künstlern              Konzept  über Arbeit         Mission
  Krankheit ist relativ           In Organisationen als        Konzepte für Berichte, Se-
  Das Moralische am Krank-          Mensch gedeihen              mester- und Abschlussarbei-
   sein                            Eine Theorie über meine       ten
  Stressbewältigung                 Zukunft                     Kreatives Schreiben
                              Tabelle 2 – Themen von TAE-Prozessen

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Literatur                                                                      Dr. Evelyn Proß
   Gendlin, E.T. (1997). Experiencing and the Cre-                 Master of Org. Psychology
ation of Meaning . Evanston: Northwestern Uni-                              Dipl. – Mineralogin
versity Press, pp. 90-137.                               Personzentrierte Beraterin (DFG/GwG)
   Gendlin, E.T. (1997). A Process Model.                             Focusing-Trainerin (TFI)
   Gendlin, E.T. (2004). Thinking at The Edge                            79713 Bad Säckingen
(TAE) Steps. In: The Folio. A journal for Focusig                  evelyn.pross@e-prisma.de
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ing Teaching Model. Unveröffentlichtes Manusk-
ript.
   Nelson, Kye (2004). Starting TAE from a Strong
Position. The Folio. A Journal for Focusig and
Experiential Therapy, 19/1, pp. 27-3.
   Proß, Evelyn (2012). Der Belastung eine Spra-
che geben – Ein (Er)Lebens-Prozess zur Stress-
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sonzentrierte Beratung, 1/12, pp. 10-20.

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