Der schmale Grat zwischen Nutzen und Risiken - SCHLAFMITTEL
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INHALTSVERZEICHNIS Referatsübersicht Es war einmal… Aktuelle Praxis Off-label Bereich Störenfriede Zukünftige Therapien Zusammenfassung Careum Weiterbildung
Interessenskonflikte Finanzielle oder Eigentümerinteressen: – keine Tätigkeiten für die pharmazeutische Industrie und andere Firmen des Gesundheitssystems: – Universitäre Altersmedizin Felix Platter Drittmittel / Spenden: – keine Persönliche Beziehungen: – keine Sonstige Mitgliedschaften: – GSASA (Gesellschaft für Spital- und Amtsapotheker) Careum Weiterbildung 01.06.2021 3
Klinische Pharmazie Durchführen von Visiten und Konsilien Überwachung und Optimierung der Patientenmedikation mit Augenmerk auf Nebenwirkungen, Dosisanpassungen, Interaktionen und Kontraindikationen Schulung/Weiterbildung von Pflege- und Arztdienst Grundsätze: Primum non nocere – keinen Schaden anrichten Möglichst evidenzbasiert Im Zweifelsfall bewährte Medikamente den neuen vorziehen Erhöhung der Arzneimittelsicherheit Careum Weiterbildung 01.06.2021 |5
Geschichtliches – Antike: Schlafmohn (Opium), Myrrhe, Bilsenkraut, Tollkirsche, Alraunen, Alkohol – Mittelalter: Baldrian, Melisse, Schierling, Hopfen – 18. Jahrhundert: Passionsblume – 19. Jahrhundert: Cannabis und erste synthetische Schlafmittel Careum Weiterbildung 01.06.2021 |7
Geschichtliches – Pflanzliche Extrakte sind chemisch gesehen Vielstoffgemische – Opium enthält 37 unterschiedliche Alkaloide Quelle: Wikipedia – Häufig wurden verschiedene Pflanzenextrakte gemischt und schlussendlich mit Alkohol versetzt und getrunken – Pillen, Pastillen, Suppositorien, Umschläge, Öle, Salben, Räucherungen und Schlafschwämme Careum Weiterbildung 01.06.2021 |8
Chloralhydrat – 1832 synthetisiert – Weites Anwendungsgebiet: neben Insomnie wurde damit auch Keuchhusten, Neuralgien, Tetanus und die Seekrankheit behandelt – i.v. Narkose – 50 Tonnen Verbrauch in den ersten 18 Monaten nach Einführung in England… – Rasche Toleranzentwicklung, tödliche Überdosierungen – Hepato-, nephro, kardiotoxisch Careum Weiterbildung 01.06.2021 9
Barbiturate – Barbitursäure 1864 synthetisiert – Ebenfalls krampflösende und anästhesierende Wirkung – Veronal 1903 die erste Zulassung – Halbwertszeit (HWZ) von 100 Stunden – Ab 1907 Rezeptpflichtig – Abhängigkeit und tödliche Überdosierungen – Verwendung in der Sterbehilfe und (bis 2016) bei der Todesstrafe Careum Weiterbildung 01.06.2021 | 10
Thalidomid – Contergan wurde 1957 zugelassen – Liess sich fast nicht überdosieren – 1961 Marktrückzug wegen fetalen Fehlbildungen – Erster grosser Pharma-Skandal, der schlussendlich die ganze Pharmaindustrie veränderte Careum Weiterbildung 01.06.2021 | 11
Benzodiazepine – Librium wurde 1960 zugelassen – angstlösend, beruhigend, antikonvulsiv, muskelrelaxierend, schlafinduzierend je nach Wirkstoff unterschiedliche Wirkspektren – Kaum tödlichen Überdosierungen möglich – Z-Präparate folgten in den 80/90er Jahren “Doctor please, some more of these – «Benzodiazepin-ähnlich» Outside the door, she took four more – Spezifischere Wirkung v.a. sedierend … And if you take more of those, you will get an overdose” Careum Weiterbildung 01.06.2021 | 12
Aktuelle Praxis Fokus: primäre Insomnie Careum Weiterbildung 01.06.2021 13
Schlafmittel Konsum in der Schweiz – Suchtmonitoring CH – CoRoIAR: Continuous Rolling Survey of Addictive Behaviours and Related Risks – 11’000 telefonische Befragungen pro Jahr – Frage nach «Schlaf- oder Beruhigungsmitteln» – tägliche Einnahme ≥ 1 Jahr = problematisch 1.8% der Männer und 3.5% der Frauen (> 15-jährig) Hochgerechnet auf CH Bevölkerung: ca. 200'000 Personen! Careum Weiterbildung 01.06.2021 14
British Medical Journal Vol. 288, 14. April 1984 Mother’s little Helper wurde 1966 veröffentlicht… Toleranz, Abhängigkeit und Entzugssymptome bleiben ein Problem Bisher bei allen potenten Schlafmitteln ein Thema Psychische und physische Abhängigkeit Verstärkt durch Rebound Insomnie beim Absetzversuch Hauptverantwortlich für die low-dose Abhängigkeit Careum Weiterbildung 01.06.2021 | 15
Benzodiazepine Vorteile: – Tödliche Überdosierung kaum möglich – Sehr potente hypnotische Wirkung – Durch angstlösende und beruhigende Wirkung auch bei sekundären Insomnien oft gute Wirkung Nachteile: – Schwindel, verlangsamte Reaktion, Koordinationsprobleme, Benommenheit, Muskelschwäche (durch Relaxierung), Sehstörungen, Hangover Erhebliches Sturz- und Unfallrisiko – Weniger Tief- und REM-Schlaf (nach Absetzen REM-Rebound mit Alpträumen) – Paradoxe Reaktionen bei geriatrischen Patienten möglich Nicht mehr erste Wahl, bei psychiatrischen Co-Morbiditäten aber durchaus noch berechtigt Wirkstoffe mit kurzer HWZ bevorzugen: Triazolam (Halcion), Temazepam (Normison) Careum Weiterbildung 01.06.2021 16
Z Präparate (Zolpidem, Zopiclone) Vorteile: – Spezifischere Wirkung als Benzos weniger Nebenwirkungen – Geringere Beeinflussung der Schlafstadien als die Benzos – Kurze HWZ: Zolpidem 2-3h, Zopiclone 5-6h Nachteile: – Abhängigkeit, Stürze und Unfälle immer noch ein Thema – Retardierte Präparate verstärken Hangover (z.B. Stilnox CR) Bei enger Begleitung und kurzer Einnahmedauer (< 4 Wochen!), Therapie der Wahl bei Menschen < 65 Jahren Startdosis ½ Tablette (Zolpidem bei Frauen und älteren Menschen nicht höher dosieren) Retardierte Präparate meiden Careum Weiterbildung 01.06.2021 17
6 K Regel für Benzodiazepin und Z-Präparat Verschreibung – Klare Indikation – Kleinst-mögliche Dosierung – Kürzest-möglich Behandlungszeit (i.d.R. nicht länger als 4 Wochen) – Keinesfalls abrupt absetzten – Kontraindikationen und – Komedikation beachten (Neben- und Wechselwirkungen) – intermittierende Gabe kann evaluiert werden (4-6 Nächte pro Monat) – 6 K Regel gut auf andere Medikamentenklassen adaptierbar Careum Weiterbildung 01.06.2021 18
Melatonin (Circadin) Zugelassen ab 55 Jahren Vorteile: – selten Nebenwirkungen, weil körpereigenes Hormon – Ungefährlich auch bei Überdosierung – Keine Beeinflussung der Schlafarchitektur Nachteile: – Bei schweren Schlafstörungen nicht genug potent Bei älteren Menschen die erste Wahl! Careum Weiterbildung 01.06.2021 19
Baldriantropfen, Orangenblütentees und weitere pflanzliche Mischpräparate Vorteile: – beruhigende Wirkung von Baldrian anerkannt – Wenige Nebenwirkungen, keine Abhängigkeit – Freiverkäuflich Nachteile: – Hypnotische Wirkung fraglich erste Wahl in der Selbsttherapie von leichten Symptomen Lassen Sie sich von Ihrer Apothekerin beraten „Nützt‘s nüt, so schadt‘s nüt“ Careum Weiterbildung 01.06.2021 20
1. Generation Antihistaminika (Benocten, Sanalepsi etc.) Vorteile: – Auch antiemetisch und antiallergisch – Grosse therapeutische Breite – Freiverkäuflich Nachteile – Schneller Wirkverlust – ungünstiges Nebenwirkungsprofil v.a. für ältere Menschen (anticholinerg!) Bei leichten Formen der Insomnie mit vorübergehender Ursache (Lärm, Reisen, kurzzeitiger Stress) eine Option für Menschen < 65 Jahren Careum Weiterbildung 01.06.2021 21
Ab hier: off-label Bereich… Careum Weiterbildung Präsentationstitel, Anlass, RednerIn 01.06.2021 22
Antidepressiva – Sedierende Antidepressiva heutzutage oftmals als Schlafmittel eingesetzt – Grundsätzlich «off-label», die Verantwortung liegt bei der Ärztin – Abhängigkeit scheint kein Problem zu sein – Nebenwirkungsspektren unterschiedlich – Sturz- und Unfallgefahr grundsätzlich auch erhöht – Die Dosen sind tiefer als bei der antidepressiven Therapie – Langzeit-Studien fehlen in der Regel Careum Weiterbildung 01.06.2021 23
Trazodon (Trittico) Vorteile: – Relativ gute Studienlage für tiefdosierte (25-100 mg), kurzfristige Therapie – kurze HWZ, wenig Hangover – Insgesamt leichte Nebenwirkungen Nachteile: – Noch unklar, ob Effekt über längeren Zeitraum anhält – Orthostatische Hypotonie möglich Gute zweite Wahl für alle Altersgruppen bei primärer Insomnie Bei Schlafproblemen im Rahmen einer Depression sehr gute Wahl (möglicherweise mehrere Gaben pro Tag notwendig) Careum Weiterbildung 01.06.2021 24
Mirtazapin (Remeron) Tief dosiert starten ½ 15 mg Tablette Vorteile: – Stark sedierende Wirkung Nachteile: – Lange Halbwertszeit, v.a. zu Therapiebeginn Hangover – Restless-Legs als mögliche Nebenwirkung – Langzeitstudien fehlen auch hier Gute Wahl bei depressiven Patienten mit Schlafproblemen Careum Weiterbildung 01.06.2021 25
Weitere sedierende Antidepressiva Mianserin: – Sehr ähnliches Profil wie Mirtazapin Trimipramin, Amitryptilin: – Alte trizyklische Antidepressiva (viel Erfahrung) – Anticholinerge Nebenwirkungen Vorsicht in der Altersmedizin! – u.U. bereits in sehr kleinen Dosen schlafanstossend Careum Weiterbildung 01.06.2021 26
Neuroleptika/Antipsychotika V.a. die neueren «atypischen» Neuroleptika sind sedierend: Quetiapin, Clozapin, Risperidon, Olanzapin Vorteile: – Bereits sehr tiefe Dosen sind u.U. sedierend – Weniger Muskelrelaxierung als die Benzodiazepine Nachteile: – Breites Nebenwirkungsprofil – Erhöhte Mortalität bei dementen Patienten – Gegenüber den sedierenden Antidepressiva kaum Vorteile Aufgrund des schlechten Nutzen/Risiko Verhältnis, kann nicht empfohlen werden, Neuroleptika als Schlafmittel einzusetzen. Careum Weiterbildung 01.06.2021 27
Störenfriede Careum Weiterbildung Präsentationstitel, Anlass, RednerIn 01.06.2021 28
Schlafraubende Medikamente – Acetylcholinesterasehemmer (Alzheimertherapie) – Antidepressiva: SSRIs (Citalopram, Sertralin, Paroxetin ect), SSNRIs (Venlafaxin, Duloxetin) – Cortison, NSAR – Diuretika (Thiazide) – Stimulanzien: Ritalin, Kokain, Amphetamine, Koffein Bevorzugt immer am Morgen einnehmen! Bei anhaltender Insomnie nach Therapiebeginn, soll mit der Ärztin nach einer anderen Therapieoption gesucht werden Careum Weiterbildung 01.06.2021 29
Zukünftige Therapien Careum Weiterbildung Präsentationstitel, Anlass, RednerIn 01.06.2021 30
Das ideale Schlafmittel Wirkt die ganze Keine Nacht Schneller Gang- Wirkeintritt störung Kein Normales Einfluss auf Schlaf- Kognition muster Keine Kein Atem- Hangover Depression Ideales Schlafmittel Keine Spezifische Wechsel- Wirkung Wirkungen Keine Sicher bei Toleranz Überdosis Keine Keine Abhängig- Rebound- keit Insomnie Careum Weiterbildung 01.06.2021 | 31
Die Zukunft – Orexin-Rezeptor Antagonisten – Relativ neues Wirkprinzip – in den USA zwei Wirkstoffe zugelassen – CH Firma Idorsia hat im April 2021 bei Swissmedic eine Zulassung beantragt – Bisher keine Abhängigkeit beobachtet! – Hangover bei langer HWZ möglich – Bei den Benzos hat man den Wirkmechanismus ca. 20 Jahre nach der Entdeckung des ersten Wirkstoffes entschlüsselt – Heute ist man da einiges weiter bei der Wirkstoffentwicklung… Careum Weiterbildung 01.06.2021 32
Take Home Message – Medikamente sind bei allen Formen der Insomnie nicht erste Wahl! – Die medikamentösen Behandlungen haben sich über die Jahre hinweg stetig verbessert: Spezifischere Wirkung Weniger Nebenwirkungen – ABER: sind immer noch risikobehaftet, v.a. bei unsachgemässem Gebrauch Regulierung durch klare Verordnung und enge Begleitung ist wichtig! – Patientenbezogene Faktoren berücksichtigen – Alter – Co-Morbiditäten (sekundäre Insomnien) – Co-Medikation (Störenfriede, Wechselwirkungen…) – Organfunktionen (Niere, Leber) Careum Weiterbildung 01.06.2021 33
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Careum Weiterbildung Mühlemattstrasse 42, CH-5000 Aarau, Schweiz T +41 62 837 58 58, info@careum-weiterbildung.ch, careum-weiterbildung.ch
Quellen – S3-Leitlinie: Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörung. DGSM 2009. – FDA Safety Annoucement: Risk of next‐morning impairment after use of insomnia drugs; FDA requires lower recommended doses for certain drugs containing zolpidem. 2013. – SL Anderson et al. Quetiapin for insomnia: A review of the litrerature. Am J Health-Syst Pharm 2014. – W Thompson et al. Atypical antipsychotics for insomnia: a systematic review. Sleep Medicine 2016. – KY Jaffer et al. Trazodone for Insomnia: A Systemic Review. Innov Clin Neurosci 2017. – A Matheson et al. Insomnia: Pharmacologic Therapy. Am Fam Physician 2017. – MJ Sateia et al. Cliniacl Practice Guideline for the Pharmacologic Treatment of Chronic Insomnia in Adults: An American Academy of Sleep Medicine Clinical Practice Guideline. JCSM 2017. – T Atkin et al. Drugs for Insomnia beyond Bezodiazepines: Pharmacology, Clinical Applications, and Discovery. Pharmacol Rev 2018. – H Everitt et al. Antidepressants for insomnia in adults (Review). Cochrane 2018. – AR Green et al. Marketing medicines: charting the rise of modern therapeutics through a systematic review of adverts in UK medical journals (1950–1980). BJCP 2018. – D Patel et al. Insomnia in the Elderly: A Review. JCSM 2018. – I Tuin, M Krill. Gestörter Schlaf und Schlaflosigkeit. Traum und Schlaf. SpingerNature 2018. – S Wilson et al. British Association for Psychopharmacology consensus statement on evidence- based treatment of insomnia, parasomnias and circadian rhythm disorders: An update. J Psychopharmcology 2019. – T Karow. Pharmakologie und Toxikologie 2020. Careum Weiterbildung 01.06.2021 35
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