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Nachrichten aus der Wissenschaft Mai 2021 Lebensmittel | Ernährung | Lebensstil | Nachhaltigkeit «#likeme! #likethis!» Kompetenzen statt Verbote – der Umgang Heranwachsender mit Werbung in einer digitalisierten Umwelt. Dr. phil. Eveline Hipeli, Pädagogische Hochschule Zürich (PHZH), Zürich Herausgeber: Dr. Frank Heckel – Lebensmittelchemisches Institut (LCI) des Bundesverbandes der Deutschen Süßwarenindustrie e. V., Köln Als PDF verfügbar unter: www.bdsi.de/presse/nachrichten-aus-der-wissenschaft/
Nachrichten aus der Wissenschaft Lebensmittel | Ernährung | Lebensstil | Nachhaltigkeit «#likeme! #likethis!» Kompetenzen statt Verbote – der Umgang Heranwachsender mit Werbung in einer digitalisierten Umwelt. Dr. phil. Eveline Hipeli, Pädagogische Hochschule Zürich (PHZH), Zürich Zusammenfassung Werbung ist ein nicht wegzudenkender Teil der Medienwelt, mit dem Kinder und Jugendliche praktisch täglich konfrontiert sind. Doch es hat sich einiges getan, seit der Zeit, wo Werbung «nur» via Fernsehen, Radio und Printmedien zu den jungen Rezipien- ten gelangt ist. Neue Online-Werbeformen kommen personalisierter daher, machen Werbung schwieriger erkennbar und die «Werber» treten in Sozialen Medien wie enge Freunde und Bekannte auf. Die frühe Förderung verschiedener Werbekompetenzen ist heute deshalb wichtiger denn je. Die Tatsache, dass Werbung unter anderem dazu beiträgt, Kinder aufzuklären, verlangt deshalb danach, Strategien der Heranwachsen- den im Umgang mit Werbung zu fördern. Verbote sind zwar rasch umgesetzt, befähigen die Empfänger langfristig aber nicht dazu, ressourcen- und handlungskompetent zu entscheiden. Der Weg über pädagogische Begleitmaßnahmen ist zeitintensiver und aufwändiger. Aber die Vermittlung von Medien- und Werbekompetenz lohnt sich. www.lci-koeln.de www.bdsi.de 16 | 3
Mai 2021 Wo begegnen Kinder schiedene Formen von Werbung auf. Und und Jugendliche über- es ist zuvorderst das Smartphone, welches als beinahe ständiger Begleiter eine Viel- haupt Werbung? zahl an Gelegenheiten bietet, um mit Wer- Kinder und Jugendliche werden immer bung in Kontakt zu kommen. stärker zur Zielgruppe der Werbetreiben- den, die mit klassischen und neuen Wer- Blickt man nun spezifisch auf «neuere» beformen direkt angesprochen werden. Formen von Werbung, denen Kinder und Schließlich gelten sie als Konsumenten Jugendliche während ihrer Aufenthalts- der Zukunft und nehmen bereits im jungen zeit im digitalen Raum begegnen, lassen Alter mit Einfluss auf die Kaufentschei- sich unterschiedliche Formen vorfinden, dungen der Eltern [1]. Sie treffen in ver- wie Online-Markenwelten, Spiele, inter- schiedenen Situationen auf Werbung: zu aktive Banner, Werbung im Deckmantel Hause beim Fernsehen, auf dem Weg zur von Information und Beratung und ‚High Schule auf Plakaten, in der Freizeit beim Tech-Advertainment’ unter Einbindung Gamen oder beim Durchblättern der Lieb- der Rezipientinnen und Rezipienten [3] lingszeitschrift. Sie begegnen Werbung sowie Influencer-Werbung [4]. Gerade aber vor allem dann, wenn sie die Medien Plattformen wie Facebook, Instagram ihrer Wahl nutzen. Betrachtet man sich die oder YouTube beinhalten eine große Mediennutzung von Heranwachsenden, Bandbreite an unterschiedlichen Werbe- wird rasch deutlich, dass die Ausstattung formen, auch spezifische Werbeformate, der Haushalte und Kinderzimmer eine die nur in Sozialen Netzwerken auftau- chen. Nicht immer sind sie als Werbung gekennzeichnet und die Plattformen nut- zen persönliche Angaben der Nutzer, um Die neuen Formen von Werbung Werbung individualisiert zu schalten – stellen deutlich eine Herausfor- nicht selten erscheint sie dem Nutzer wie von Freunden weiterempfohlen. derung an die Medienkompetenz der jungen Beworbenen dar. Werbung – was ist neu? Dem gilt es, mit Initiativen zur Was die Art betrifft, wie Werbung sich Kompetenzvermittlung zu einer Zielgruppe präsentiert, hat sich also viel getan zwischen Plakaten auf Litfaß- begegnen. säulen und trendigem Influencer Mar- keting. Letztere Marketingart zieht seit etwa fünf Jahren verstärkt große medi- ale Aufmerksamkeit auf sich [5]. Das Ziel Vielzahl an Möglichkeiten für einen Kon- von Werbung ist jedoch über die Jahre takt mit Werbung bietet. Gemäß Medien- hinweg gleichgeblieben. Werbung hatte nutzungsstudien gehören die Nutzung von schon immer die Absicht, persuasiv auf Smartphones und Internet, Musikhören, eine bestimmte Zielgruppe zu wirken und Videospielen, Fernsehen und das Stö- damit einen Konsumwunsch zu erzeugen bern und die aktive Teilnahme in Sozialen oder eine Einstellungsänderung hervorzu- Medien für Jugendliche zum Alltag dazu rufen. Was ein Mediennutzer an Inhalten [2]. Während all dieser Tätigkeiten, die konsumiert, entscheidet er heute zuneh- mithilfe unterschiedlicher Gerätschaften mend selbst. Dies schafft Raum für Werbe- ausgeübt werden können, tauchen ver- möglichkeiten, die zielgenauer auf die Ziel- 4|16 www.lci-koeln.de www.bdsi.de
Nachrichten aus der Wissenschaft Lebensmittel | Ernährung | Lebensstil | Nachhaltigkeit Medienbeschäftigung Jugendlicher in Deutschland Internet* 89 8 Smartphone 93 4 Musik hören 80 13 Videos im Internet 66 89 Fernsehen* 45 89 Video-Streaming-Dienste 35 89 Digitale Spiele 41 89 Radio* 37 21 Tablet 21 16 Bücher (gedruckt) 15 20 DVDs/Bluerays/Augez. Filme/Serien 7 15 Tageszeitung online 7 11 Hörspiele/Bücher 7 10 Podcasts hören 6 11 Tageszeitung (gedruckt) 5 11 Zeitschriften/Magazine (online) 5 9 Zeitschriften/Magazine (gedruckt) 3 9 E-Books lesen 3 6 0 25 50 75 100 täglich mehrmals die Woche Abbildung 1: Quelle: JIM 2020, Angaben in Prozent; *) egal, über welchen Verbreitungsweg, Basis: alle Befragten, n = 1.200 gruppen zugeschnitten werden können Videospiele, Soziale Medien, Streaming- [6]. Die neuen Formen von Werbung stel- Portale und praktisch sämtliche Internet- len deutlich eine Herausforderung an die seiten mit Bannern, Popups, Produktplat- Medienkompetenz der jungen Beworbe- zierungen und Gewinnspielen dafür, dass nen dar [7]. Kurt Tucholsky sagte einmal: über diese neuen Kanäle Werbebotschaf- «Wer auf andere Leute wirken will, der ten direkt dort platziert werden können, muss erst einmal in ihrer Sprache mit ihnen wo der Konsument sich gerade virtuell reden.» Noch eine Generation früher rich- aufhält. Heute spricht Werbung noch mehr tete sich Werbung an Heranwachsende denn je die «Sprache» ihrer Zielgruppe. zwar ebenso mit für Kinder und Jugendli- Denn die Werbebotschaften kommen che ansprechenden Figuren und Botschaf- nicht mehr nur direkt daher, sondern auch ten an ihre Zielgruppe. Wo aber Plakat-, immer öfter sehr subtil: aus dem Mund Zeitschriften-, Radio- und Fernsehwer- der Peers und Gleichgesinnten der Ziel- bung bereits genügten, sorgen heute Apps, gruppe selber. Gemeint sind sogenannte www.lci-koeln.de www.bdsi.de 16 | 5
Mai 2021 Immer öfter werden Influencer, also Personen, die aufgrund Vorbild und dessen Bewunderern. Folgt Kinder und Jugendliche zu Influencern im Netz und ihrer Präsenz in Sozialen Netzwerken als man einer Person über eine bestimmte Vermarktern von Produkten, Werbeträger für die gezielte Vermarktung Zeit, entsteht trotz der virtuellen Gege- allen voran in den Sozialen bestimmter Produkte eingesetzt werden. benheiten durch gemeinsame Interessen Netzwerken. Viele Profile auf Kanälen wie YouTube, und die Möglichkeiten zur Interaktion TikTok oder Instagram entwickeln sich zu und Kommunikation eine gewisse Nähe und Vertrautheit. Meist gibt sich ein Influ- encer seinen Followern gewollt authen- Influencer Marketing: tisch, worauf sich auf der Seite des Rezi- pienten das Gefühl entwickeln kann, man Für alle Angebote gilt bereits kenne diese Person tatsächlich [9]. Folgt die verordnete strikte Trennung man nun diesen sympathischen Menschen, die auf ihren Kanälen in den Sozialen von Werbung und Redaktion. Medien Sport-, Make-up-Tipps und Back- rezepte beschreiben, ist der Wunsch oft nicht weit, auch jene Produkte zu testen und zu besitzen, welche das «Idol» anpreist Reichweiten-Phänomenen, ihre Inhaber oder ganz subtil selbst verwendet, denn werden zu Meinungsführern ihres Fach- «Menschen vertrauen Menschen – heute gebiets, die für alle Werbetreibenden und morgen» [10]. hochrelevant sind [8]. Betrachtet man Influencer und Follower, so lässt sich diese In rechtlicher Hinsicht wirft das Influ- «Beziehung» vergleichen mit einem Idol/ encer-Marketing komplexe Fragestel- 6|16 www.lci-koeln.de www.bdsi.de
Nachrichten aus der Wissenschaft Lebensmittel | Ernährung | Lebensstil | Nachhaltigkeit lungen auf. Die Kennzeichnungspflichten che erkennen sollte und sie auch als solche sind für die Influencer-Angebote je nach gekennzeichnet wäre: Der Wunsch, ein Art der Tätigkeiten unterschiedlich, doch Produkt zu besitzen, wird dadurch nicht allen gemeinsam ist die strikte Trennung unbedingt kleiner. zwischen dem werblichen und dem redak- tionellen Teil [11]. In der Praxis jedoch Chancen und Grenzen ist es nicht immer deutlich, ob ein Blog- ger oder Youtuber nun für einen Beitrag von Werbekompetenz entlohnt wurde, Geschenke erhalten hat (-förderung) oder aus eigenem Interesse etwas prä- sentiert. Besonders junge Kinder dürften Werbung hat es mithilfe Sozialer Medien Mühe damit haben, zu unterscheiden, ob und ganz normaler Menschen, die als der nette Junge auf Youtube sein Paket Influencer agieren, geschafft, sich auf eine aus reiner Neugierde auspackt oder dafür neue, persuasive Evolutionsstufe zu bege- bezahlt worden ist, dies vor seinen Follo- ben. Denn selbst wenn der Konsument wern zu tun. Die wachsende Bedeutung weiß, dass es sich bei einer Anzeige um von neuen Werbeformen, die auch für Werbung handelt, kommt diese Werbung Erwachsene schwer zu erkennen sind [12] nicht mehr zwingend von einer unbekann- in Kombination mit der noch nicht ausge- ten Person, sondern von einer Art Vorbild. reiften kognitiven und sozialen Kompe- Werbung und ihre Absichten zu erken- tenz von Kindern erklärt ihre Empfänglich- nen, ist das eine. Doch um tatsächlich von keit für persuasive Botschaften [13]. Und Werbekompetenz zu sprechen, gehören selbst wenn ein Kind die Werbung als sol- Gefühlsregulierung und Impulskontrolle Verstehen ist besser als verbieten. Den Nachwuchs von allem abzuschirmen, schafft keine gesellschaftlich fitten Kinder und Jugendliche. Bildung und Kompetenzver- mittlung sollten im Zentrum der Bemühungen stehen. www.lci-koeln.de www.bdsi.de 16 | 7
Mai 2021 ebenfalls zu den Fähigkeiten, die es auszu- Medienkunde lässt sich die Werbung als bilden gilt. Doch was verbirgt sich hinter Thema verorten (siehe Abb. 3). dem Begriff der Werbekompetenz und vermag sie es, Rezipienten im Kindes- und Innerhalb der Literatur existiert weder Erwachsenenalter vor den Einflüssen der eine einheitliche Definition noch ein uni- Werbung zu schützen? verselles Konzept von Werbekompe- tenz, weil den einzelnen Konzepten von Werbekompetenz kann als ein Bestand- Werbekompetenz aufgrund einer inter- teil von Medienkompetenz verstanden disziplinären Betrachtung verschiedene werden, wobei letztere als Ziel einen theoretische Annahmen zugrunde liegen Medienkompetenz VERMITTLUNG ZIELORIENTIERUNG Medien Medien Medien Medien Kritik Kunde Nutzung Gestaltung 1) analytisch 1) informativ 1) rezeptiv 1) innovativ anwenden 2) reflexiv 2) instrumentell- 2) kreativ qualifikatorisch 2) interativ 3) ethisch anbieten Abbildung 2: Medienkompetenz Dimensionen (Baacke, Dieter. 1997. Medienpädagogik. Niemeyer, Tübingen) Mediennutzer sieht, der sich Wissen [16]. Folgende Bedingungen [17] müs- über die Medien selbst angeeignet hat, sen erfüllt sein, damit ein Kind Werbung verschiedene Medieninhalte kritisch sowohl erkennt als auch dazu in der Lage betrachtet, Medien sozial verantwortlich ist, diese zu verarbeiten. Dazu zählen: nutzen lernt und mithilfe der Medien auch • die Unterscheidung zwischen kreativ werden kann [14; 15]. Betrach- Programm und Werbung, tet man die verschiedenen Dimensionen • die Zuschreibung von Werbung von Medienkompetenz, wird beson- zum Werbetreibenden, ders deutlich, weshalb deshalb auch • das Erkennen des angesprochenen die Förderung von Werbekompetenz Zielpublikums, ganz organisch einen Bestandteil von • die Identifikation sowohl der Medienkompetenzförderung darstellt. informatorischen als auch persuasiven Vor allem im Bereich der Kritikfähig- Absicht sowie keit gegenüber Medieninhalten und der • das Verstehen der Symbole 8|16 www.lci-koeln.de www.bdsi.de
Nachrichten aus der Wissenschaft Lebensmittel | Ernährung | Lebensstil | Nachhaltigkeit In einem anderen Modell wird Werbekom- Für eine reflektierte Einordnung von petenz in vier Niveaudifferenzierungen Online-Werbung benötigen Rezipienten unterteilt: einerseits Wissen darüber, dass es Ange- • Die Fähigkeit, Werbung innerhalb ihres bote mit unterschiedlicher Intention gibt, Umfelds gezielt zu identifizieren, die den Nutzer in unterschiedlichen Rollen • zwischen Informationen über ein Produkt und dessen Bewerbung zu differenzieren, • die wirtschaftlichen Hintergründe von Gefühlsregulierung und Impuls- Werbung zu erkennen und zwischen kontrolle müssen ausgebildet den Funktionen der Werbeindustrie und der Massenmedien zu unter werden. Nur so kann Werbe- scheiden und letztlich kompetenz entstehen. • die Fähigkeit, Werbung in all ihren Erscheinungsformen zu erkennen und die dahinterliegenden Absichten zu begreifen [18]. ansprechen, sowie Kenntnisse über kon- krete Kriterien, anhand derer sie Angebote Dies gilt alles auch für den Bereich der mit unterschiedlichen Intentionen erken- Online-Werbekompetenz, wobei im nen können. Die werblichen Erscheinungs- Bereich der Online-Medien schon das formen sowie die sich ständig wandeln- Erreichen der ersten Niveaustufe für Kin- den Angebote verlangen vom kindlichen der deutlich erschwert sein und so das Nutzer eine permanente Aktualisierung, Erreichen weiterer Stufen für Kinder, aber Erweiterung und Anpassung kognitiver auch Erwachsene mit Schwierigkeiten ver- Schemata und Handlungsstrategien. Darü- bunden sein dürfte [20] . ber hinaus müssten die Nutzer verstehen, Strategien und Techniken der Werbung kennen Stufen der Werbekompetenz 4 Verstehen lomplexer marktwirschaftlicher Strukturen Persuasive Absichten der Werbung erkennen 3 Wissen über wirtschaftliche Funktionen der Werbeindustrie Werbeinhalte nicht als objektive Informationen betrachten 2 Verkaufsabsichten von Werbung erkennen 1 Werbeinhalte von redaktionellen Inhalten differenzieren Inhaltliche Aspekte der Werbekompetenz Abbildung 3: Stufen von Werbekompetenz nach Kröger (Kröger 2015, 21) www.lci-koeln.de www.bdsi.de 16 | 9
Mai 2021 Modellland Schweiz: Medien- wie die technischen Abläufe und Persona- dem großen Durchbruch des Internets mit und Werbekompetenz sind dort Teil des Schulunterrichts lisierungstechniken im Bereich der Online- 12 bis 13 Jahren als relativ werbekompe- geworden. Werbung funktionieren, um das eigene tent [25], dürfte sich diese Messlatte im Online-Handeln mit seinen Konsequenzen Online-Bereich angesichts der komplexer auf die personalisierte Ansprache kritisch werdenden Anforderungen altersseitig zu reflektieren. Diese Aspekte verdeutli- nach oben verschoben haben. chen die besonderen Herausforderungen, mit denen Kinder im Rahmen ihrer Online- Verbote versus Nutzung konfrontiert sind [21]. Kompetenzen Betrachtet man all diese Herausforderun- Grundsätzlich bieten sich zwei Strategien gen, so haben Kinder im Vor- und Grund- für den Umgang mit Werbung an, wenn man schulalter ein rudimentäres Verständnis Heranwachsende vor negativen Einflüs- von Werbung und können noch nicht sen bewahren möchte: Man kann gewisse sicher Werbung von anderen redaktio- Arten von Werbung in bestimmten Kontex- nellen Inhalten unterscheiden. Erst mit ten verbieten oder man geht den Weg der zunehmendem Alter und der entsprechen- Exposition mit pädagogischen Begleitmaß- den kognitiven Entwicklung sind sie in der nahmen zur Förderung der Werbekom- Lage, Werbung sicher zu erkennen und ihre petenz der jungen Rezipienten. Werbung Absichten zu verstehen [22]. Ab welchem bietet ihren jungen Rezipienten schließlich Alter genau die als „advertising literacy“ auch Informationen über die Produkt- und [23] bezeichnete Kompetenz oder Werbe- Warenwelt und dient zur Orientierung. Die kompetenz als voll ausgebildet gilt, ist nicht Tatsache, dass Werbung unter anderem ganz deutlich [24]. Galten Kinder noch vor dazu beiträgt, Kinder aufzuklären, verlangt 10|16 www.lci-koeln.de www.bdsi.de
Nachrichten aus der Wissenschaft Lebensmittel | Ernährung | Lebensstil | Nachhaltigkeit deshalb danach, Strategien der Heranwach- und Vermarktern neue Akteure hinzuge- senden im Umgang mit Werbung zu fördern, kommen. Die Frage stellt sich dabei nicht nur anstatt Werbung generell zum Feindbild zu in rechtlicher, sondern auch in medien- und stilisieren [26]. Zudem sind Verbote zwar werbeethischer Hinsicht, wenn es darum rasch umgesetzt, befähigen die Rezipienten geht, wie viel Werbung auf Kinderseiten langfristig aber nicht dazu, mit den Gefühlen notwendig oder vertretbar ist [30]. Ein umzugehen, die Werbung in ihnen auslöst. regelmäßiger, öffentlicher Diskurs über die Der Weg über pädagogische Begleitmaß- Verantwortung der einzelnen Akteure im nahmen ist zeitintensiver und aufwändi- «Gesamtkonzert im Bereich der Onlinewer- ger. Aber er lohnt sich. Aus der Forschung bekommunikation» erscheint deshalb nur ist bekannt, dass Online-Werbeerkennung sinnvoll [31]. und Hintergrundwissen über Werbung mit dem Alter der Kinder ansteigen. Noch bei Was können Eltern und Grundschülern gibt es große Unsicherhei- Schule tun? ten bei der Unterscheidung von kommer- ziellen und redaktionellen Online-Inhalten. Sicher ist, dass die soziale Umgebung, in der Ob die jungen Rezipienten Online-Werbung ein Kind Werbung begegnet, dessen Ein- erkennen, hängt zudem von der Gestaltung stellungen und Bewertungen maßgeblich der Werbemaßnahmen und dem Aufbau der prägt. Nur im Gespräch – etwa wenn die Webseiten ab [27]. Studien zeigen ebenso, Eltern Werbung als Verstehhilfe kommen- dass Jugendliche sich zwar kritisch gegen- tieren – ist es dem Kind möglich, die Inhalte über Online-Werbung verschiedener Art der Werbung zu verarbeiten sowie Gefühle äußern, diese aber dennoch eher hinnehmen einzuordnen und Eindrücke zu relativieren und selten unterbinden. Einige Jugendliche gehen auch gezielt auf für sie präsentierte Werbeinhalte zu, wenn diese ihren Inter- essen entsprechen. Nicht immer erkennen Verbote sind zwar rasch sie in diesen Fällen Werbung als solche. umgesetzt, sie befähigen Die Jugendlichen erkennen zwar Gestal- tungsmittel von Werbung, jedoch haben Rezipienten langfristig aber sie Mühe damit, Auswertungsverfahren für nicht dazu, mit den Gefühlen personalisierte Werbung einzuschätzen; gleiches gilt auch für die Geschäftsmodelle umzugehen, die Werbung in vieler Angebote [28]. Jugendlichen ist es oft ihnen auslöst. nicht bewusst, wie Anbieter Daten von Ver- brauchern auswerten. Ihnen fällt es schwer, Konsequenzen ihres Online-Handelns auf sich selbst, aber auch auf gesellschaftlicher [32; 33]. Wenn Kinder in dieser Beziehung Ebene abzuschätzen. Die Reflexion über benachteiligt aufwachsen, können die Defi- ebendiese Aspekte sollte bei der Förderung zite, die entstehen können, zu einem spä- der Verbraucherbildung und Medienkompe- teren Zeitpunkt von Schule oder der Peer- tenzförderung Platz finden [29] Group nur bedingt kompensiert werden [34]. Umso wichtiger erscheint deshalb die Angesichts der Formen von Online-Wer- pädagogische Aufgabe, Eltern (weiterhin bung stellt sich die Frage nach der Verant- und künftig) bei ihrer Erziehungsaufgabe in wortung neu. Waren zuvor ausschließlich puncto Werbung zu unterstützen und ihre die Seitenanbieter für ihre Angebote ver- eigene Werbekompetenz zu verbessern. antwortlich, sind mit den Werbenetzwerken Handreichungen und Empfehlungen hier- www.lci-koeln.de www.bdsi.de 16 | 11
Mai 2021 für behandeln heute nicht nur das Thema schaft zu erkennen, vorhandene Ange- der Kinder als Konsumenten alter und bote und Reize für sich zu sortieren, um neuartiger Werbeformen, sondern geben sich nach einer kritischen Auseinander- Rat, wenn das eigene Kind online Inhalte setzung bewusst entscheiden zu können produziert – also quasi selber zum Kinder- [37]. Medienpädagogische Empfehlungen, Influencer wird [35]. Es wird deutlich, dass wie das Thema Werbung in der Schule Eltern als wichtigste Sozialisationsinstanz eingesetzt werden kann, gibt es bereits in Bezug auf den Umgang ihrer Kinder mit seit längerer Zeit [38]. So setzt sich bei- Medien und Werbung eine hohe Verant- spielsweise die gemeinnützige internati- wortung tragen. Sollten Eltern sich dieser onale Bildungsinitiative Media Smart e. V. Aufgabe alleine nicht gewachsen fühlen, bereits seit 2004 in Deutschland für die stehen im Idealfall Angebote zur Vermitt- Förderung von Werbe- und Medienkom- Die Bildungsinitiative lung von Medien- und Werbekompetenz petenz ein. Der Verein bietet kostenlose Media Smart e. V. bietet kostenlose multimediale niederschwellig zur Verfügung. Materialien und Praxisangebote für unter- Unterrichtsmaterialien für schiedliche Zielgruppen an und arbeitet die Vor-, die Grund- und Insbesondere die Schule hat die Möglich- hierfür mit Fachexperten aus dem In- und weiterführende Schule an. keit, als weitere Instanz die Werbekompe- Ausland zusammen [39]. Mehr unter: www.mediasmart.de tenz der Heranwachsenden zu verbessern. Es hat sich gezeigt, dass schulische Sen- In der Schweiz ist das Thema Werbekom- sibilisierung zum Thema Werbung eher petenz seit 2018 im neuen Lehrplan stär- in einer kritischeren Haltung gegenüber ker verankert und wird bereits zu Beginn Werbung mündet [36]. Als oberstes Lern- der Volksschule (Kindergarten) thema- ziel wird darin gesehen, dass die Schüle- tisiert und setzt sich bis zum Ende der rinnen und Schüler durch den Unterricht 9. Klasse fort. In drei Zyklen werden dazu befähigt werden, selbstbestimmt zu unterschiedliche Aspekte von Wer- handeln, ihre Rolle in der Industriegesell- bung altersgerecht behandelt. So wird 12|16 www.lci-koeln.de www.bdsi.de
Nachrichten aus der Wissenschaft Lebensmittel | Ernährung | Lebensstil | Nachhaltigkeit das eigentliche Erkennen von Werbung kompetenz ganz klar eine Schlüsselkom- immer wieder thematisiert und die Ziel- petenz für Jung und Alt dar, die es zu setzungen ebendieser, oder es wird daran erlernen und zu entwickeln gilt. Werbung gearbeitet, die Absichten hinter Medien- und ihre Absichten zu erkennen ist wich- beiträgen einschätzen zu lernen [40]. Bei tig. Es ist aber auch höchst menschlich, der Werbeerziehung im Unterricht wird attraktive Dinge und Dienstleistungen den Lehrkräften geraten, das Thema Wer- ansprechend zu finden und diese für sich bung nicht negativ anzugehen («Werbung gewinnen zu wollen. Hersteller und Wer- ist etwas Schlechtes»), aber durchaus die bende tragen eine Verantwortung, doch persuasive Wirkung von Werbung alters- ist es kaum sinnvoll, Kinder und Jugend- gerecht anzusprechen «Werbung möchte, lichen vor Werbung bis zu einem gewis- dass du etwas toll findest». Dabei sollen sen Alter komplett abzuschirmen. Ein die Schülerinnen und Schüler von eigenen Erfahrungen mit Werbung berichten dür- fen, kreativ handeln und mit zunehmen- dem Alter selbst auch Werbung gestalten Lehrkräften in der Schweiz wird und so die Strategien der Menschen «hin- ter der Werbung» ein Stück weit mehr geraten, das Thema Werbung durchschauen zu lernen. Trotz der Inte- nicht negativ anzugehen. gration der Werbekompetenzförderung in den schulischen Bereich sollte aber Werbekompetenz nicht als Allheilmittel gegen alle (vor allem negative) Einflüsse und Effekte von Werbung angesehen wer- achtsames Herantasten an verschiedene den [41], weil die Pädagogik mit dieser Werbeformen und begleitende Maßnah- Aufgabe überfordert wäre [42]. men, um hinter die Kulissen der Wer- bung zu blicken, sind zeitaufwändiger und Damit Werbung das tun kann, was sie kostspieliger als Verbote. Aber langfristig tun soll – uns zu informieren, Verglei- dürften sie sich für die Heranwachsenden che zu ermöglichen und auch charmant bezahlt machen. Das Thema „Werbung auf eine Sache aufmerksam zu machen, verstehen“ ist gerade im Leben von Heran- braucht es jedoch auch Spielregeln. Nebst wachsenden eine Aufgabe, die von mehre- dem Kompetenzerwerb auf der Seite ren Instanzen getragen werden muss, aber des Verbrauchers und Empfängers von ohne Verantwortungsdiffusion. Sie sollte Werbebotschaften sorgen rechtliche möglichst von realistischen Vorstellungen Bestimmungen dafür, dass Werbung sich an die Anforderungen und Kompetenzen in einem geregelten Rahmen bewegt. Die der Heranwachsenden geprägt sein mit Werbetreibenden sind angehalten, sich einem neugierigen und vorausschauen- an den gesetzlichen Rahmenbedingungen den Auge auf die neuen Werbeformen der ihres Landes und in Europa zu orientie- Zukunft. ren. Gewisse Branchen greifen außerdem zu freiwilligen Selbstverpflichtungen und stellen Standards und Richtlinien auf, nach welchen sie ihre Werbemaßnahmen gestalten. Trotz all diesen Regulierungsmodi stellt Werbekompetenz als Teil von Medien- www.lci-koeln.de www.bdsi.de 16 | 13
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