Der Zollstreit zwischen der EU und den USA - Ostfalia
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H A N D E L S K R I E G: EU U N D U S A Der Zollstreit zwischen der EU und den USA V O N P R O F. D R . I U R . A C H I M R O G M A N N , L L M ( M U R D O C H ) Im März 2018 führten die USA soge- Handelsministerium) einen weiteren nannte „Strafzölle“ (punitive duties) Bericht, den US-Präsident Trump als auf bestimmte Waren aus Stahl und Grundlage für Strafzölle auf Kraft- Aluminium ein, deren Anwendung fahrzeuge betrachtete und damit für Waren mit Ursprung in der EU zu- eine weitere Eskalationsstufe beim nächst ausgesetzt wurde. Nachdem Zollstreit einleitete. Da das Verfahren die Trump-Regierung diese Zölle trotz hinsichtlich der Automobile auf die aller Verhandlungen mit Vertretern gleiche Rechtsgrundlage gestützt ist der EU und ihrer Mitgliedsstaaten und „Strafzölle“ auf Autos sich auch zum 1. Juni 2018 auch auf EU-Produk- WTO-rechtlich am gleichen Maßstab te erhob, hat die EU ihrerseits zum messen lassen müssen, stehen die 1. Juli 2018 „Strafzölle“ in Höhe von Einfuhrzölle auf Stahl- und Alumini- 25 Prozent auf eine Reihe von Waren umprodukte nachfolgend im Vorder- mit Ursprung in den USA eingeführt. grund; das Verfahren dient quasi als Mitte Februar 2019 übermittelte Vorreiter für alle weiteren sicherheits- das Department of Commerce (US- bezogenen Maßnahmen der USA. BELS-Report | 23
AU S G A N G S P U N K T: die Umstände der globalen Über- Section 232 des Trade Expansion Act D I E M A SS N A H M E N D E R U S A kapazitäten für die Aluminium- und zu beeinträchtigen drohten. Er sprach Stahlproduktion die innere Wirt- daher die Empfehlung aus, dass der Die Maßnahmen der USA müssen zu- schaft der USA schwächten und die Präsident sofort tätig werde, „um das nächst auf eine Ermächtigungsgrund- Vereinigten Staaten fast vollständig Einfuhrniveau der betreffenden Waren lage nach nationalem Recht gestützt auf ausländische Produzenten von anzupassen“, somit die Einfuhren zu werden können. Zudem sollten sie in Primäraluminium angewiesen seien. drosseln. Einklang mit den WTO-rechtlichen Zudem bestehe die Gefahr, dass die Verpflichtungen der USA stehen. Erst USA vollständig von ausländischen Zur Abwehr der Bedrohung der ame- im Anschluss kann die Zulässigkeit Produzenten hochreinen Aluminiums rikanischen Sicherheit hat das De- von Gegenmaßnahmen der EU beur- abhängig seien, die für wichtige mi- partment of Commerce sodann drei teilt werden. litärische und kommerzielle Systeme Möglichkeiten vorgeschlagen: unerlässlich seien. 1. Einfuhrzölle auf Einfuhren aus al- len Ländern; V E R E I N B A R K E I T M I T U S - R EC H T 2. Zölle nur auf Einfuhren aus bestimmten Ländern; Die US-Regierung stützt ihre Maß »Das Pentagon 3. Globale Einfuhrquoten. nahmen auf Section 232 des Trade Angesichts dieser Schlussfolgerung Expansion Act of 1962. Im Januar warnte zudem vor empfahl der Handelsminister Maß- 2018 leitete der US-Secretary of nahmen zur Anpassung der Alumini- Commerce dem Präsidenten der USA den negativen Aus umeinfuhren, damit diese Einfuhren Untersuchungsberichte über die die nationale Sicherheit nicht weiter Auswirkungen von Aluminium- und wirkungen der beeinträchtigen. Zu diesen Empfeh- Stahleinfuhren in die USA zu, nach- lungen gehörte ein globaler Zolltarif dem Präsident Trump das Department vorgeschlagenen von 7,7 Prozent auf Einfuhren von of Commerce im April 2017 unter Aluminiumgegenständen und von 24 Berufung auf Section 232 angewiesen Handelsmaßnahmen Prozent auf Stahlerzeugnisse, um die hatte, Untersuchungen über die Aus- Einfuhren auf ein Niveau zu senken, wirkungen von Stahl- und Aluminiu- auf die wichtigsten das nach Einschätzung des Ministers meinfuhren auf die nationale Sicher- heimischen Aluminiumproduzenten heit vorzunehmen. Untersuchungen Verbündeten der die Möglichkeit geben würde, etwa 80 auf dieser Basis wurden zuletzt 2001 Prozent der vorhandenen inländischen durchgeführt; seit 1980 kam es aber USA.« Produktionskapazitäten zu nutzen. nur in einem Fall (Embargo gegen Dadurch sollte eine langfristige wirt- Rohöl mit Ursprung in Libyen im Jahr schaftliche Rentabilität durch erhöhte 1982) zur Einführung zusätzlicher Zöl- Produktion erreicht werden. Diese le. Schon im Mai 2018 wurde ein wei- Aufgrund dieser Risiken und der Ge- Vorschläge standen in Einklang mit teres Untersuchungsverfahren einge- fahr, dass die heimische Aluminium- Section 232 des Trade Expansion Act, leitet, dieses Mal zu Autoimporten in und Stahlindustrie die bestehenden welche den US-Präsidenten ermäch- die USA. nationalen Sicherheitsanforderungen tigt, die Mengen und Umstände von nicht erfüllen oder nicht auf eine na- Einfuhren einer Ware und ihrer Deriva- Der US-Handelsminister kam im tionale Sicherheitsnotlage reagieren te in die Vereinigten Staaten so anzu- Rahmen des ersten Untersuchungs- könne, die eine starke Zunahme der passen, dass die nationale Sicherheit verfahrens zu dem Ergebnis, dass inländischen Produktion erfordere, nicht gefährdet wird. Aluminium- und Stahlerzeugnisse in und unter Berücksichtigung der en- solchen Mengen und unter solchen gen Beziehung des wirtschaftlichen Das US-Verteidigungsministerium Umständen in die Vereinigten Staa- Wohlergehens der Nation und ihrer sprach in einer Stellungnahme zwar ten eingeführt würden, dass eine nationalen Sicherheit, gelangte der ebenfalls von einer Bedrohung der Gefährdung der nationalen Sicher- Minister zu dem Schluss, dass die nationalen Sicherheit durch unfaire heit drohe. Der Minister stellte fest, derzeitigen Mengen und Umstände Handelspraktiken bei Stahl und Alu- dass die gegenwärtigen Mengen an der Aluminium- und Stahlimporte die minium. Es sah aber keine Gefahr für Aluminium- und Stahlimporten und nationale Sicherheit im Sinne von die Versorgungssicherheit für Zwe- BELS-Report | 24
cke der Verteidigung. Das Pentagon Die Proclamations nahmen von vorn- Auch wenn die Anwendung der warnte zudem vor den negativen Aus- herein die NAFTA-Partner Kanada und US-Maßnahmen für Produkte mit Ur- wirkungen der vorgeschlagenen Han- Mexiko von den Abwehrmaßnahmen sprung in der EU zunächst ausgesetzt delsmaßnahmen auf die wichtigsten aus. Zudem wird jedes Land, mit dem wurde, schwebten sie wie ein Damok- Verbündeten der USA. die USA eine Sicherheitsbeziehung lesschwert über den betroffenen Her- (security relationship) unterhalten ein- stellern in der EU. Die das WTO-Sys- Section 604 des Trade Act von 1974 geladen, mit dem Präsidenten alterna- tem ausmachende Planungssicherheit räumt dem Präsidenten wiederum die tive Wege zur Begegnung der Sicher- war damit schon vor der eigentlichen Kompetenz zur Aufnahme von Ein- heitsgefährdung zu diskutieren. Der Erhebung der Zölle zerstört. Die glei- fuhrmaßnahmen, einschließlich der che Strategie verfolgten die USA in Änderung, Aufrechterhaltung oder Bezug auf Autoimporte, wo sich schon Auferlegung eines Zollsatzes oder seit Einleitung des Untersuchungs- einer anderen Einfuhrbeschränkung, »Selbst wenn die verfahrens Hoffen und Bangen immer in den Harmonisierten Zolltarif der wieder ablösten und immer wieder Vereinigten Staaten (HTSUS) ein. Eine Trump-Regierung Verhandlungen zwischen EU, Automo- positive Stellungnahme der amerika- bilindustrie und der Trump-Regierung nischen International Trade Commis- wenig Neigung zeigt, geführt wurden. sion (ITC), wie sie für die Einführung von Antidumping- oder Ausgleichszöl- sich internationalen Seit dem 01.06.2018 werden die len erforderlich wäre, ist im Verfahren US-Strafzölle auch auf Produkte mit nach Section 232 nicht vorgesehen. Verpflichtungen Ursprung in den EU-Mitgliedsstaaten erhoben. Maßgeblich ist das Ur- Auf dieser Rechtsgrundlage folgte unterzuordnen, ist sprungs- und nicht das Ausfuhrland, Präsident Trump der Empfehlung des wobei die Ursprungsregeln von den Department of Commerce und führte der amerikanische USA festgelegt werden. Eine Befris- mit den Proclamations 9704 (Alumini- tung der Maßnahme sieht die Entschei- um) und 9705 (Stahl) vom 08.03.2018 Präsident von seinen dung des US-Präsidenten nicht vor. zur Anpassung von Einfuhren ab dem 23.03.2018 unbefristete Schutzmaß- Plänen abgerückt, die nahmen in Form von Zollerhöhungen V E R E I N B A R K E I T M I T W T O - R EC H T in Höhe von 25 beziehungsweise 10 USA aus der WTO Prozent auf bestimmte Stahl- und Kennzeichnend für die US-Maßnah- Aluminiumerzeugnisse ein. Diese Zölle herauszuführen.« men ist, dass sie rechtlich nur an sind zusätzlich zu etwaigen bereits Section 232 gemessen werden; ein bestehenden Zollsätzen zu erheben Abgleich mit den Anforderungen des und sollen der amerikanischen Stahl- WTO-Rechts hat – zumindest offi- und Aluminiumindustrie helfen, still- Präsident sei bereit, Maßnahmen ge- ziell – nicht stattgefunden. Selbst gelegte Anlagen wiederzubeleben, gen diese Länder auszusetzen, sobald wenn das US-Recht eine hinreichende notwendige Fähigkeiten durch Einstel- die Gefahr für die nationale Sicherheit Rechtsgrundlage für die Einführung lung neuer Stahlarbeiter zu erhalten nicht mehr drohe und gegebenenfalls von Schutzmaßnahmen bieten sollte, und die Produktion aufrechtzuerhal- die Zölle bei den verbleibenden Län- müssen sich die zusätzlichen Zölle ten oder zu erhöhen. Dadurch soll auf dern anzupassen. Erst am 22.03.2018 auf Aluminium und Stahl auch am Seiten der USA die Notwendigkeit, – also einen Tag vor der Einführung WTO-Recht messen lassen. Selbst sich auf ausländische Produzenten der zusätzlichen Zölle – wurde die wenn die Trump-Regierung wenig Nei- für Stahl und Aluminium verlassen zu Anwendung für betroffene Waren mit gung zeigt, sich internationalen Ver- müssen, verringert werden und die Ursprung in der EU und mehreren an- pflichtungen unterzuordnen, ist der US-Stahl- und Aluminiumindustrie in deren WTO-Mitgliedern zunächst bis amerikanische Präsident von seinen die Lage versetzt werden, weiterhin zum 01.05.2018 und im Falle der EU zwischenzeitlich verlautbarten Plänen die gesamten für kritische Industrien erneut bis zum 01.06.2018 ausgesetzt. abgerückt, die USA aus der WTO he- und die nationale Verteidigung not- Eine weitere Ausnahme für die EU rauszuführen. Solange die USA aber wendigen Mengen zu liefern. lehnte die US-Regierung auch nach Mitglied der WTO sind, müssen sie intensiven Verhandlungen ab. sich mit ihren Maßnahmen im Rahmen BELS-Report | 25
der WTO-rechtlichen Verpflichtungen Artikel XXI GATT 1994 hat folgenden bewegen und sich den Kontrollmecha- Wortlaut (nicht amtliche Überset- nismen der WTO unterwerfen, wollen zung): sie nicht ihrerseits erhebliche Gegen- maßnahmen der anderen WTO-Mit- Keine Bestimmung des vorliegenden glieder in Kauf nehmen. Abkommens soll dahin ausgelegt wer- den (…) In den langwierigen Verhandlungen b) dass ein Vertragspartner daran der Uruguay-Runde, die zur Gründung gehindert wird, die Maßnahmen zu der WTO im Jahr 1995 führte, sind die treffen, die er zum Schutz seiner USA Zollzugeständnisse eingegangen, Sicherheit die in der maßgeblichen Liste nieder- (i) bei spaltbaren Stoffen oder sol- gelegt sind. Nach Artikel II:1 Buchsta- chen Stoffen, aus denen diese be a) des Allgemeinen Zoll- und Han- erzeugt werden; delsabkommens (General Agreement (ii) beim Handel mit Waffen, Mu- on Tariffs and Trade (GATT)) gewährt nition und Kriegsmaterial und jedes WTO-Mitglied dem Handel der bei jedem Handel mit anderen anderen WTO-Mitglieder eine nicht Waren, die unmittelbar oder weniger günstige Behandlung als in mittelbar zur Versorgung der dem betreffenden Teil der entspre- bewaffneten Streitkräfte be- chenden Liste vorgesehen ist. Es dür- stimmt sind; fen also keine Zölle erhoben werden, (iii) in Kriegszeiten oder im Falle welche die in der Liste vorgesehenen einer anderen ernsten inter Zollsätze übersteigen. nationalen Spannung; für erforderlich hält (…). Allerdings gestattet es das WTO- Recht, in bestimmten Fällen die ver- Während Artikel XXI GATT 1994 keine einbarten Zollsätze zu überschreiten. Aussage darüber trifft, welche Maß- Artikel II:2(a) GATT 1994 nennt hierzu nahmen zum Schutz der Sicherheit Antidumping- oder Ausgleichszölle ergriffen werden können, werden die gemäß Artikel VI GATT 1994. Aller- Voraussetzungen durchaus deutlich dings werfen die USA der EU weder aufgeführt. In Betracht kommt bei glieds abzustellen, was sich aus der Dumping noch verbotene Subventi- den betroffenen Produkten allenfalls Formulierung „nach ihrer Auffassung“ onen für Stahl und Aluminium (bzw. die Regelung in Buchstabe b) Ziffer ii) ergebe. Daher ist bereits umstritten, Automobile) vor. Sie stützen ihre „Handel mit Waren, die unmittelbar ob es sich um eine „self-judging“- Strafzölle vielmehr ausschließlich auf oder mittelbar zur Versorgung der be- Norm handelt, deren Anwendung Fragen der nationalen Sicherheit. waffneten Streitkräfte bestimmt sind“. der Überprüfung durch ein Panel Entscheidungen zur Auslegung dieser entzogen ist. Ein GATT-Panel hat sich Hier liegt die Brisanz des Falles, Bestimmung durch das dafür zuständi- im Fall US-Nicaraguan Trade im Jahr denn Artikel XXI des GATT 1994 er- ge Streitbeilegungsgremium der WTO 1986 dahingehend geäußert, dass das laubt den WTO-Mitgliedern durchaus gibt es bislang nicht. Kontrollrecht eines Panels inhaltslos Maßnahmen zum Schutz nationaler würde und nationale Maßnahmen Sicherheitsinteressen. Diese Norm In der Literatur wird die Auffassung unter Berufung auf die Ausnahmere- kann zur Rechtfertigung von Maß- vertreten, dass die Anforderungen an gelung exzessiv oder außerhalb der nahmen herangezogen werden, die die WTO-Konformität eher niedrig in Artikel XXI GATT vorgesehenen eigentlich gegen die Bestimmungen anzusetzen sind. Statt einer strikten Fälle ergriffen werden könnten. Dieser des GATT 1994 verstoßen. Genau auf Verhältnismäßigkeitsprüfung genü- Panel-Bericht wurde seinerzeit jedoch diese Norm berufen sich die USA um ge die Eignung einer Maßnahme für nicht angenommen. Es ist daher nach die zusätzlichen Zölle auf Stahl und die Zielerreichung. Zudem sei für die wie vor unklar, ob Maßnahmen, die Aluminium auch WTO-rechtlich zu Beurteilung, was die wesentlichen auf Artikel XXI GATT 1994 gestützt rechtfertigen. Sicherheitsinteressen erfordern, auf werden, überhaupt im Rahmen des die Einschätzung des jeweiligen Mit- WTO-Streitbeilegungssystems ange- BELS-Report | 26
griffen werden können. Auch wenn Selbst wenn man der Auffassung der Beschwerdegegner unter Geltung folgt, dass die Auslegung des Artikel des WTO-Rechts die Einsetzung eines »Wobei es sich bei XXI(b) GATT 1994 durch ein WTO- Panels nicht verhindern kann, ist nicht Panel überprüft werden könne, muss gewährleistet, dass sich ein solches Einfuhrmaßnahmen man der jeweiligen Regierung einen Panel überhaupt mit hochpolitischen nicht unerheblichen Beurteilungs- Fragen der nationalen Sicherheit be- gegen Automobile spielraum einräumen. Allerdings darf fassen würde. die Ausnahme auch wieder nicht zu nur schwer erkennen weit ausgelegt werden, da sie sonst Im Falle des Kuba-Embargos der USA als Generalklausel für die Rechtfer- (unter dem sog. Helms-Burton Act) ha- lässt, woraus sich tigung protektionistischer Maßnah- ben die USA 1996 die Auffassung ver- men eingesetzt werden könnte und treten, dass der Handelsstreit Fragen ein Sicherheitsrisiko Missbrauch vorgebeugt werden muss. der Diplomatie und der nationalen Im Fall US-Nicaraguan Trade stellte Sicherheit betreffe und nicht handels- für die USA ergeben das Panel fest, dass das GATT seine bezogene Maßnahmen. Er falle daher grundlegenden Ziele nur erreichen nicht in den Zuständigkeitsbereich der könnte.« könne, wenn Vertragsparteien bei der WTO. Es ist davon auszugehen, dass Anwendung von Artikel XXI GATT ihre die USA auch im aktuellen Streitver- Sicherheitsinteressen sorgfältig gegen fahren eine ähnliche Argumentations- das Erfordernis stabiler Handelsbezie- linie verfolgen. hungen abwägen. Eine überzeugende BELS-Report | 27
Sichtweise zur Reichweite des Kon DIE REAKTION DER EU mens über Schutzmaßnahmen (SMÜ) trollrechts ist somit, dass eine Über- ergriffen werden. prüfung insoweit möglich sein muss, Sicherlich auch wegen der unklaren ob die vom jeweiligen WTO-Mitglied Rechtslage bei der Anwendung von Die Einführung von Schutzmaß- gelieferte Erklärung plausibel ist oder Artikel XXI GATT 1994 hat die EU nahmen auf eine Ware durch ein ob die getroffenen Maßnahmen einen eine Verteidigungsstrategie entwi- WTO-Mitglied ist nur zulässig, „wenn offensichtlichen Missbrauch der Aus- ckelt, bei der die Unwägbarkeiten es gemäß den nachstehenden Bestim- nahmeregelung darstellen. der Sicherheitsausnahme umschifft mungen (des SMÜ) festgestellt hat, werden. Die EU vertritt nämlich die dass diese Ware absolut oder im Ver- Rein wirtschaftliche Gründe können Auffassung, dass es sich bei den gleich zu der inländischen Produktion dabei nicht geltend gemacht werden, Schutzmaßnahmen losgelöst von der in derart erhöhten Mengen und unter da allein „wesentliche Sicherheits- Charakterisierung durch die USA um derartigen Bedingungen in sein Gebiet interessen“ eine Ausnahme von den solche nach Artikel XIX GATT hande- eingeführt wird, dass dem inländi- Marktzugangsverpflichtungen er- le. Sie fühlt sich hierzu berechtigt, da schen Wirtschaftszweig, der gleich möglichen. Diese müssen hinreichend artige oder unmittelbar konkurrieren- nachvollziehbar dargelegt werden. de Waren herstellt, ein ernsthafter Waren, die nur mittelbar der Versor- Schaden zugefügt wird oder zugefügt gung der Streitkräfte dienen, können »Die EU leitete zu werden droht“ (Art. XIX GATT i.V.m. nur dann unter die Ausnahmerege- Art. 2.1 SMÜ). lung fallen, wenn sie eine gesteigerte die erforderlichen Bedeutung für die Versorgung der Die USA haben ihre Abwehrzölle aus Streitkräfte haben, da sich sonst Schritte ein, um den gutem Grund nicht auf Artikel XIX wiederum eine Generalermächtigung GATT 1994 gestützt. Selbst im Unter- für Handelsbeschränkungen ergeben ihrer Meinung nach suchungsbericht des Department of würde, durch welche die eingegange- Commerce zur Lage der Aluminium nen Liberalisierungszugeständnisse WTO-widrigen industrie wird dargelegt, dass der nahezu beliebig unterlaufen werden Anteil der Einfuhren am Verbrauch im könnten. Selbst wenn eine Überprü- Zöllen der USA Zeitraum von 2006 bis 2016 lediglich fung der amerikanischen Maßnahmen von 51 auf 64 Prozent gestiegen ist. im Rahmen des Streitbeilegungssys- möglichst schnell mit Ein solcher Anstieg über einen Zeit- tems der WTO möglich sein sollte, ist raum von zehn Jahren reflektiert aber nicht ausgemacht, dass sie als Verstoß WTO-konformen ganz gewöhnliche Entwicklungen im gegen WTO-rechtliche Verpflichtun- Welthandel und keine unvorherge- gen eingestuft würden, wobei es sich Maßnahmen zu sehene Entwicklung, die dringende bei Einfuhrmaßnahmen gegen Auto Schutzmaßnahmen rechtfertigen mobile aber nur schwer erkennen begegnen.« könnte. Auch im Untersuchungsbericht lässt, woraus sich ein Sicherheitsrisiko zu den Stahleinfuhren fehlen Hinwei- für die USA ergeben könnte. Bis zu se auf eine erhebliche Steigerung der einer Entscheidung im Rahmen des Einfuhren im Sinne von Artikel XIX WTO-Streitbeilegungssystems wird es die USA ihre Zölle nicht bei der WTO GATT 1994. somit umstritten bleiben, ob Artikel notifiziert haben und damit auch XXI GATT 1994 als Rechtfertigung keine offizielle Erklärung abgegeben Bei Stahlprodukten ist das Import- („Keine Bestimmung des vorliegen- haben, auf welcher WTO-rechtli- volumen im Jahr 2017 verglichen zu den Abkommens soll dahin ausgelegt chen Grundlage die zusätzlichen 2011 um 44 Prozent gestiegen, wobei werden …“) für einen Verstoß gegen Zölle eingeführt wurden. Die EU die Importe lediglich gut 30 Prozent die sich aus dem GATT ergebenden lässt sich bei ihrer Einordnung von des nationalen Verbrauchs decken. Im Kernverpflichtungen (insbes. zur der ihrer Meinung nach wirklichen Bericht ist dann auch nur davon die Meistbegünstigung, der Inländer- Natur der Maßnahmen und nicht der Rede, dass die derzeitigen Mengen gleichbehandlung und Einhaltung der US-internen Kategorisierung lenken. und Umstände von Stahleinfuhren Zollzugeständnisse) dienen kann. Schutzmaßnahmen nach Artikel XIX die US-Wirtschaft schwächen und GATT dürfen nur im Einklang mit den die nationale Sicherheit, wie sie in Vorschriften des WTO-Übereinkom- Section 232 definiert ist, beeinträch- BELS-Report | 28
tigen könnten. Von einer drohenden Dazu hat sie folgende Schritte bei der ihrerseits Gegenmaßnahmen anwen- Schädigung der Stahlindustrie ist WTO unternommen: den, sofern dieses WTO-Gremium dagegen keine Rede. Zudem muss » Einreichung eines Antrags auf dagegen keine Einwände erhebt (Art. ein WTO-Mitglied, das Maßnahmen Konsultationen mit den USA über 8 Abs. 2 SMÜ). Entsprechend kündigte nach Artikel XIX GATT einführt, die Handelskompensationen, die Kommission mit der Durchfüh- davon betroffenen WTO-Mitglieder » umgehende Notifizierung von zu- rungsverordnung (EU) 2018/724 an, umgehend entschädigen. Eine solche sätzlichen Zöllen auf US-Waren, den Rat für den Handel mit Waren bei Verpflichtung besteht bei Maßnahmen » Einleitung eines Streitbeilegungs- der WTO spätestens zum 18.05.2018 nach Artikel XXI GATT nicht. Hier hät- verfahrens. davon in Kenntnis zu setzen, dass te die EU erst im Streitbeilegungsver- Diese Schritte sollen nachfolgend er- die EU sich das Recht vorbehalte, fahren obsiegen müssen und den USA läutert werden. mit Wirkung ab dem 20.06.2018 die die Verpflichtung auferlegt werden Anwendung der im Rahmen der WTO müssen, ihre Regelung in Einklang mit getroffenen Zollzugeständnisse für WTO-Recht zu bringen. A N T R AG AU F KO N S U LTAT I O N E N B E I die im Anhang I der DurchführungsVO DER W TO festgelegten Waren mit Ursprung in Bis zu einer möglichen Einführung den USA auszusetzen und zusätzliche von Gegenmaßnahmen wären so Jahre Schon am 16.04.2018 beantragte die Zölle in Höhe von 25 Prozent einzu- vergangen. Insoweit hat die EU die EU bei der WTO Konsultationen mit führen. Maßnahme der USA auch deshalb in den USA nach Artikel 12.3 SMÜ, die eine Schutzmaßnahme nach Artikel eigentlich schon vor Einführung der Die erforderliche Notifikation nach XIX umklassifiziert, um sofortige Ge- US-Maßnahmen hätten durchgeführt Artikel 12 Absatz 5 SMÜ wurde dem genmaßnahmen einführen zu können. werden müssen. In ihrem Antrag rügte WTO-Rat für den Handel mit Waren Nach Artikel 8.3 SMÜ ist jedoch die die EU auch, dass die USA dem zu- dann auch am 18.05.2018 übermittelt, Aussetzung von Zugeständnissen in ständigen Ausschuss für Schutzmaß- indem mitgeteilt wurde, dass die EU den ersten drei Jahren unzulässig, nahmen nicht wie in Artikel 12.1(c) die Anwendung der im Rahmen der sofern die Schutzmaßnahme als Re- SMÜ vorgesehen die Annahme des WTO getroffenen Zugeständnisse aktion auf den absoluten Anstieg der Beschlusses über die Anwendung der bei den Einfuhrzöllen für zahlreiche Einfuhren getroffen wurde und im Schutzmaßnahmen notifiziert hatten. Waren mit Ursprung in den USA mit Einklang mit dem SMÜ steht. Die EU Ergreift ein WTO-Mitglied Schutz- Wirkung ab 20.06.2018 auszusetzen geht offenbar davon aus, dass die Vor- maßnahmen nach Artikel XIX GATT gedenkt. Diese Aussetzung erfolge bis aussetzungen für diese Einschränkung 1994, können die davon betroffenen zu einem Umfang, der dem Betrag, der nicht gegeben sind. Mitglieder ihrerseits Handelskonzes- sich aus der Anwendung der Zölle der sionen suspendieren. Dazu muss den USA auf die Einfuhren von Stahl- und Auch wenn sich die USA immer mehr betroffenen Mitgliedern ausreichend Aluminiumerzeugnissen aus der EU aus multilateralen Regelwerken zu- Gelegenheit zu vorausgehenden Kon- ergibt, entspreche. rückziehen: Solange sie Mitglied in sultationen über angemessene Kom- der WTO sind, sind sie an die mit der pensationen gegeben werden. Der Rat für den Handel mit Waren Mitgliedschaft verknüpften Verpflich- hat innerhalb von 30 Tagen keine tungen gebunden. Die Reaktion der Einwände gegen die von der EU in EU auf die zusätzlichen Zölle der USA E I N F Ü H RU N G VO N Aussicht gestellte Aussetzung von Zu- auf Aluminium- und Stahlprodukte G EG E N M A SSN A H M E N I N FO R M geständnissen erhoben. Das bedeutet ließ nicht lange auf sich warten. Die VO N Z U S AT ZZÖ L L E N allerdings nicht zwangsläufig, dass die EU leitete die erforderlichen Schrit- EU-Maßnahmen auch mit den Rege- te ein, um den ihrer Meinung nach Wenn ein WTO-Mitglied Schutzmaß- lungen des WTO-Rechts in Einklang WTO-widrigen Zöllen der USA mög- nahmen nach Artikel XIX GATT 1994 stehen. Zwar hatten einige WTO-Mit- lichst schnell mit WTO-konformen einführt, können die davon betrof- glieder bereits in der maßgeblichen Maßnahmen zu begegnen. fenen Exportnationen spätestens Sitzung vom 23.03.2018 Bedenken 90 Tage nach der Anwendung der gegen die US-Zölle auf Stahl und Alu- Schutzmaßnahmen und frühestens minium gegenüber dem Rat geäußert. 30 Tage nach Eingang einer entspre- Die USA verwiesen aber auf ihre be- chenden schriftlichen Mitteilung beim rechtigten Sicherheitsinteressen. WTO-Rat für den Handel mit Waren BELS-Report | 29
Zudem bestehe die Möglichkeit, Aus- satzsteuer auch auf den Zollbetrag nahmen von den Handelsmaßnahmen erhoben wird, addiert sich die Erhö- zu beantragen, die schon für Länder, hung der Abgabenbelastung bei der mit denen die USA eine besondere Einfuhr in Deutschland auf Waren, die „security relationship“ unterhielten, dem Regelsteuersatz unterliegen, auf umgesetzt seien. Da auch im Rat für fast 30 Prozent. Die Gegenmaßnah- den Handel mit Waren im Konsens- men bleiben so lange in Kraft, wie die verfahren entschieden wurde, unter- US-Maßnahmen gelten. blieb auch in diesem Fall eine formale Abstimmung, sodass kein Beschluss Zusätzlich wurde durch die Kommis- gefasst wurde. sion am 26.03.2018 eine Schutzmaß- nahmenuntersuchung auf Basis von Nachdem die zusätzlichen Zölle ur- Artikel XIX GATT 1994 beziehungs- sprünglich zum 01.07.2018 eingeführt weise des SMÜ eingeleitet, um das werden sollten, veröffentlichte die Erfordernis von Schutzmaßnahmen Kommission am 21.06.2018 die Durch- gegen die Störungen des EU-Marktes, führungsverordnung (EU) 2018/886, die durch die Umlenkung von Stah- mit der die Zölle bereits ab dem lerzeugnissen weg vom US-Markt 22.06.2018 erhoben werden. Die Liste verursacht werden, zu untersuchen. der betroffenen Waren ist identisch Die EU behielt sich vor, solche Schutz- mit der Liste in der vorherigen DVO maßnahmen noch im Sommer 2018 (EU) 2018/724, die so auch der WTO einzuführen, was wiederum zu Un- am 18.05.2018 übermittelt wurde. Bei- wägbarkeiten im internationalen Han- de DVOen wurden auf Grundlage der del führte. Verordnung (EU) Nr. 654/2014 erlas- sen, welche Regeln und Verfahren zur Tatsächlich führte die EU am Aussetzung oder Rücknahme von Han- 19.07.2018 vorübergehende Schutz- delszugeständnissen festlegt. Sie wur- maßnahmen auf Stahleinfuhren ein. de wiederum auf Basis von Artikel 207 Sie waren allerdings nicht gezielt AEUV (Gemeinsame Handelspolitik) in gegen Stahleinfuhren aus den USA Kraft gesetzt. Bei allen betroffenen Waren (Ausnahme: Spielkarten) hat die EU die gegenüber der WTO notifizierte Höhe ausgeschöpft. »Tatsächlich führte die Über 180 verschiedene Waren (Un- EU vorübergehende terposition KN) mit Ursprung in den USA wurden mit einem Zusatzzoll Schutzmaßnahmen von 25 Prozent belegt. Betroffen sind davon nicht nur die in den Medien auf Stahleinfuhren genannten Waren wie Whiskey, Jeans, Motorräder und Erdnussbutter. Es ein. Sie richteten sich handelt sich um Produkte aus Regio- nen der USA, in denen mehrheitlich nicht gezielt gegen die für Präsident Trump gestimmt wurde. Die Liste der Waren ist in Anhang I der USA, sondern gegen DVO (EU) 2018/724 veröffentlicht. Stahlprodukte, die aus Die zum 22.06.2018 eingeführten „Vergeltungszölle“ der EU werden China stammen.« zusätzlich zum normalen Drittlands- zollsatz erhoben. Da die Einfuhrum- BELS-Report | 30
gerichtet, sondern eher gegen Stahl- dem Antrag macht sie einen Verstoß produkte, die aus China stammen und der USA insbesondere gegen die nach- wegen der Zusatzzölle nicht mehr in folgenden WTO-Regelungen geltend: den USA vermarktet werden konn- » Artikel I:1 des GATT 1994. Hier ten. Diese Maßnahmen wurden per sieht die EU einen Verstoß gegen DurchführungsVO (EU) 2019/159 zum die Verpflichtung zur Meistbe- 02.02.2019 von endgültigen Schutz- günstigung, da die USA nicht alle maßnahmen abgelöst, die bis zum Zollvorteile automatisch auch auf 30.06.2021 anwendbar sind. Sie wur- die EU angewandt hat. Auch nach den in Form von länderspezifischen dem 01.06.2018 blieben nämlich Zollkontingenten mit Schutzzöllen in einzelne Länder (Australien) von Höhe von 25 Prozent auf diejenigen den Abwehrmaßnahmen der USA Einfuhren, welche die Kontingente verschont. überschreiten, eingeführt. Die Einfuhr- » Artikel II:1(a) und (b) des GATT restriktionen wurden WTO-rechtlich 1994. Durch die Handelsmaßnah- auf Artikel XIX GATT und das SMÜ men würde der Handel mit der EU gestützt. Auch wenn der Grundsatz eine weniger günstige Behandlung der Handelsliberalisierung bereits erfahren, als im maßgeblichen Teil im primären EU-Recht verankert ist, der Zugeständnisliste der USA vor- führten die Zusatzzölle der USA zur gesehen sei, da die Zollsätze durch Marktabschottung im Stahlbereich. zusätzlich eingeführte Zölle die in Untersuchungen hatten gezeigt, dass der Liste vorgesehenen Zollsätze die Einfuhren bestimmter Stahler- übersteigen. zeugnisse im Vergleich zu 2013 um bis » Artikel X:3(a) des GATT 1994. Mit zu 426 Prozent angestiegen sind. ihren Maßnahmen verstoßen die USA gegen ihre Verpflichtung, alle Bei Aluminium wurde bereits mit ihre Gesetze, sonstigen Vorschrif- DurchführungsVO (EU) 2018/640 eine ten und Entscheidungen in Bezug vorherige Überwachung für Alumini auf die Maßnahme einheitlich, un- umerzeugnisse eingeführt, um vorbe- parteiisch und gerecht anzuwen- reitet zu sein, falls in diesem Bereich den. Maßnahmen erforderlich sein sollten. » Artikel XI:1 des GATT 1994. Die Hierin kann eine Vorstufe zu Schutz- USA haben durch Einfuhrquoten maßnahmen, die die EU gegebenen- zudem andere Beschränkungen falls auf Basis von Artikel XIX GATT als die allein zulässigen Zölle, Ab- 1994 auch für Aluminiumerzeugnisse gaben oder sonstige Belastungen einführen könnte, gesehen werden. eingeführt. » Artikel XIX:1(a) des GATT 1994. Die USA haben ihre Maßnahmen E I N L E I T U N G E I N E S S T R E I T eingeführt, ohne dass die strengen B E I L EG U N G S V E R FA H R E N S Voraussetzungen dieses GATT-Ar- tikels erfüllt sind. Schutzmaßnah- Direkt nach Einführung der amerika- men sind nach dieser Vorschrift nischen Maßnahmen auch gegen Pro- nur zulässig, wenn die maßgeb- dukte mit Ursprung in der EU hat die lichen Waren in derart erhöhten Union am 01.06.2018 Konsultationen Mengen und unter derartigen mit den USA nach Artikel 4 der Verein- Bedingungen eingeführt werden, barung über Streitbeilegung (Dispute dass dadurch den inländischen Er- Settlement Understanding (DSU)) be- zeugern gleichartiger oder unmit- antragt und damit offiziell ein Streit- telbar konkurrierender Waren in beilegungsverfahren gegen die USA den USA ein ernsthafter Schaden eingeleitet (Verfahrensnr.: DS548). In als Folge von unvorhergesehenen BELS-Report | 31
Entwicklungen und Auswirkungen » Artikel 4.1 SMÜ verpflichtet die » Artikel 9 SMÜ verpflichtet die der von den USA durch das GATT WTO-Mitglieder ordnungsgemäß WTO-Mitglieder weiterhin, Schutz- eingegangenen Verpflichtungen festzustellen, dass ein „ernsthafter maßnahmen nicht auf eine Ware zugefügt wird oder zu werden Schaden“ oder „drohender ernst- mit Ursprung in einem Entwick- droht. hafter Schaden“ im Sinne der dort lungsland-Mitglied anzuwenden, » Artikel XIX:2 des GATT 1994. Diese niedergelegten Definition für ei- solange dessen Anteil an den Norm verpflichtet ein WTO-Mit- nen inländischen Wirtschaftszweig Einfuhren der fraglichen Ware im glied, das eine Schutzmaßnahme vorliegt. Einfuhrland 3 Prozent nicht über- nach Artikel XIX:1 einführen will, » Artikel 4.2 SMÜ. Diese Norm steigt und zusammen nicht mehr den davon betroffenen WTO-Mit- verlangt, dass die zuständigen als 9 Prozent der gesamten Einfuh- gliedern die Gelegenheit zu geben, Behörden bei der Untersuchung ren der fraglichen Ware auf solche mit ihm Konsultationen über die alle relevanten objektiven und Länder entfallen. Die USA würden beabsichtigte Maßnahme zu füh- quantifizierbaren Faktoren, die ihre Schutzmaßnahmen aber auf ren. Dieser Verpflichtung sind die die Lage des maßgeblichen Wirt- Entwicklungsland-Mitglieder an- USA jedoch nicht nachgekommen. schaftszweiges beeinflussen, zu wenden, ohne dass die Ausnahme » Artikel 2.1 des WTO-Übereinkom- beurteilen haben. Maßnahmen greife. mens zu Schutzmaßnahmen (SMÜ). dürfen erst dann getroffen wer- » Artikel 11.1(a) SMÜ. Diese Bestim- Danach darf ein Mitglied eine den, wenn diese Untersuchung auf mung verbietet den WTO-Mit- Schutzmaßnahme nur anwenden, der Grundlage objektiver Beweise gliedern, Notstandsmaßnahmen wenn es nach dem in diesem Über- ergibt, dass ein ursächlicher Zu- bei der Einfuhr bestimmter Waren einkommen geregelten Verfahren sammenhang zwischen dem An- gemäß Artikel XIX GATT 1994 nur festgestellt hat, dass die betref- stieg der Einfuhren der fraglichen dann zu ergreifen, wenn solche fende Ware absolut oder im Ver- Waren und dem ernsthaften Scha- Maßnahmen im Einklang mit die- gleich zu der inländischen Produk- den beziehungsweise drohenden sem GATT-Artikel stehen, der ge- tion in derart erhöhten Mengen ernsthaften Schaden besteht. Eine mäß den Bestimmungen des SMÜ und unter derartigen Bedingungen entsprechende Einschätzung hät- angewendet wird. Aus den vor- eingeführt wird, dass dadurch den ten die USA jedoch unterlassen stehenden Rügen ergibt sich aber inländischen Erzeugern gleicharti- » Artikel 5.1 SMÜ, da ein Mitglied aus Sicht der EU, dass die USA in ger oder unmittelbar konkurrieren- Schutzmaßnahmen nur in dem vielfältiger Hinsicht gegen dieses der Waren in den USA ein ernst- Maße anwenden darf, wie dies zur Verbot verstoßen hätten. hafter Schaden zugefügt wird oder Verhinderung oder Beseitigung ei- » Artikel 12.1, 12.2 und 12.3 SMÜ, zu werden droht. nes ernsthaften Schadens oder zur da die USA es unterlassen hätten, » Artikel 2.2 SMÜ. Danach dürfen Erleichterung der Anpassung erfor- jegliche Notifikations- und Konsul- Schutzmaßnahmen auf eine einge- derlich ist. Die USA würden jedoch tationsverpflichtung nach diesen führte Ware nur ungeachtet ihrer Schutzmaßnahmen anwenden, die Bestimmungen zu erfüllen. Herkunft angewendet werden. Die darüber hinaus gingen. » Schließlich wiederum Artikel I:1, USA haben ihre Maßnahmen aber » Artikel 7 SMÜ. Danach dürfen II:1(a) und (b), X:3(a) und XI:1 des nur gegen bestimmte Länder ein- Schutzmaßnahmen nur so lange GATT 1994, als Konsequenz von geführt. angewendet werden, wie dies zur den zuvor aufgeführten Verstößen » Artikel 3.1 SMÜ. Danach darf ein Verhinderung oder Beseitigung gegen Artikel XIX GATT und das Mitglied eine Schutzmaßnahme eines ernsthaften Schadens oder SMÜ. nur aufgrund einer Untersuchung zur Erleichterung der Anpassung anwenden, die seine zuständigen erforderlich ist. Die Geltungsdauer Behörden nach zuvor festgelegten darf dabei grundsätzlich vier Jahre Verfahren und ordnungsgemäßer nicht übersteigen. Zudem besteht Veröffentlichung eines Berichts, die Verpflichtung, die Maßnah- der die Feststellungen und ihre me während ihrer Geltungsdauer mit Gründen versehenen Schluss- schrittweise in regelmäßigen folgerungen zu allen relevanten Abständen zu liberalisieren. Diese Sach- und Rechtsfragen enthalten Vorgaben seien von den USA nicht muss, durchgeführt haben. beachtet worden. BELS-Report | 32
Z W E I T E S T U FE VO N M A SS N A H M E N FA Z I T U N D AU S B L I C K Zu einer weiteren Eskalation im trans atlantischen Zollstreit kann zudem In Anhang II der DVO (EU) 2018/886 Die EU spielt im derzeitigen Handels- der Dauerstreit um Subventionen für sind weitere 158 Waren erfasst, die konflikt mit den USA mit dem Feuer: die Flugzeugbauer Airbus und Boeing ab 01.06.2021 oder gegebenen- Zunächst ist nicht auszuschließen, führen. Die WTO hatte hierzu fest- falls schon früher, und zwar ab dem dass die Sicherheitsausnahme des gestellt, dass beide Unternehmen 5. Tag nach der Feststellung der Artikel XXI GATT 1994 zumindest bei steuerliche Verschonungssubven- Unvereinbarkeit der US-Schutzmaß- den zusätzlichen Zöllen auf Alumini- tionen in Milliardenhöhe erhalten nahmen mit den WTO-Regeln durch um- und Stahlprodukte nicht doch zu haben, die nicht in Einklang mit das WTO-Streitbeilegungsgremium Gunsten der USA greift. Die „Umflag- WTO-Bestimmungen standen. Auf weiteren zusätzlichen Zöllen in un- gung“ der US-Zölle als Schutzmaß- beiden Seiten des Atlantiks wurden terschiedlicher Höhe (10, 25, 35 und nahme nach Artikel XIX GATT 1994 ist die Subventionen in der Folgezeit sogar 50 Prozent) unterworfen wer- daher alles andere als unproblema- heruntergefahren aber nicht so weit, den können, soweit die USA ihre Maß- tisch. Die USA können sich nun ihrer- dass sie nun WTO-rechtlich nicht nahmen nicht bis dahin aufgehoben seits auf den Standpunkt stellen, dass mehr zu beanstanden wären. Diese haben. Kommt es zu keiner Beilegung die Gegenmaßnahmen der EU nicht Situation ermöglicht es beiden Seiten, der Streitigkeit mit den USA, sind die mit WTO-Recht in Einklang stehen wiederum im Rahmen der Streitbeile- erheblichen zusätzlichen Zölle auto- und Vergeltungszölle beschließen, die gungsverfahren die Genehmigung zur matisch anwendbar. aber nur dann sofort eingeführt wer- Einführung von Vergeltungszöllen bei den können, wenn die Maßnahmen der WTO zu beantragen. Beide Seiten Die USA haben gegen diese Maßnah- der EU als Schutzmaßnahme nach Ar- haben bereits umfangreiche Listen mit men der EU ihrerseits Beschwerde bei tikel XIX GATT 1994 einzustufen ist. den Produkten erstellt, die mit Vergel- der WTO eingelegt und am 16.07.2018 tungszöllen – auf Seiten der USA in Konsultationen beantragt (Verfah- Es dürfte Jahre dauern, bis unter dem Höhe von bis zu 11 Milliarden Dollar ren DS559). Die Beschwerde ist der Dach der WTO Klärung herbeigeführt und auf Seiten der EU in eher noch förmliche Schritt zur Einleitung eines wird, welche der Maßnahmen nun größerem Volumen – belegt werden Streitbeilegungsverfahrens. Sie tragen WTO-konform waren. Den Schaden sollen. Die Zeche müssten am Ende darin vor, dass die zusätzlichen Zölle haben bis dahin die am Handel Betei- insbesondere die Verbraucher in der auf US-Produkte gegen Artikel I:1 des ligten, die Verbraucher und auch die EU und den USA bezahlen. GATT 1994 (Meistbegünstigung) und Arbeitnehmer, da die globale Konjunk- Artikel II:1 (a) und (b) des GATT 1994 tur bereits erste Bremsspuren zeigt, Es bleibt zu hoffen, dass die bisher (Übersteigen der zulässigen Zollhöhe die durch weiteren Protektionismus eher halbherzigen Anstrengungen, lt. Zugeständnisliste) verstießen. nur verstärkt werden. ein Abkommen über den Abbau der Diese Einschätzung ist zutreffend; transatlantischen Zölle auszuhandeln, es stellt sich allerdings die Frage, ob Unterdessen steht die Drohung des mehr Schwung erhalten. Sollen aber diese Verstöße gegen das GATT nicht US-Präsidenten, Zusatzzölle von bis nicht automatisch auch alle anderen wiederum – wie von der EU geltend zu 25 Prozent auf Fahrzeuge aus der WTO-Mitgliedsstaaten über die Meist- gemacht – WTO-rechtlich gerechtfer- EU zu erheben, weiterhin im Raum. begünstigung (Artikel I:1 GATT) von tigt sind. Gleichlautende Beschwerden US-Präsident Trump hat bis Mai 2019 den Zollsenkungen profitieren, müss- bei der WTO haben die USA auch ge- die Möglichkeit, solche Zölle einzu- ten die EU und die USA sich auf ein gen Russland, China, Kanada, Mexiko führen. Die Kommission kündigte be- umfassendes Freihandelsabkommen und die Türkei auf den Weg gebracht. reits eine „rasche und angemessene“ einigen. Ein solches wurde jedoch in Das ist insoweit bemerkenswert, als Reaktion auf die Kraftfahrzeug-Zölle Form des TTIP durch US-Präsident die USA seit Jahren die Neubesetzung an, wenn Präsident Trump diese ein- Trump als eine seiner ersten Amts- von Posten im WTO-Berufungsgremi- führen sollte. Allerdings erschließt handlungen auf Eis gelegt. Hier be- um blockieren und in Kürze eine Be- sich nicht ohne Weiteres, worin bei steht also wenig Hoffnung auf einen schlussfähigkeit des Streitbeilegungs- dem Export von Kraftfahrzeugen schnellen Durchbruch. Es steht zu be- gremiums fehlen könnte. in die USA die Gefährdung für die fürchten, dass die EU nach dem Brexit dortige nationale Sicherheit liegen auch den transatlantischen Zollstreit soll. Der entsprechende Bericht des als Hängepartie bewältigen muss. US-Handelsministeriums wurde bis- lang nicht veröffentlicht. BELS-Report | 33
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