Ein transatlantisches Relikt? - Zur Zukunft der WTO und ihrer Rolle für die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen - Konrad-Adenauer-Stiftung

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Ein transatlantisches Relikt? - Zur Zukunft der WTO und ihrer Rolle für die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen - Konrad-Adenauer-Stiftung
Quelle: © Joshua Roberts, Reuters.

                                                    Der Blick nach Westen

                                     Ein transatlantisches
                                            Relikt?
                                       Zur Zukunft der WTO und ihrer Rolle für die
                                        transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen

                                                David Gregosz / Stephen Woolcock

                                                                                     97
Ein transatlantisches Relikt? - Zur Zukunft der WTO und ihrer Rolle für die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen - Konrad-Adenauer-Stiftung
Die ­WTO muss sich den Veränderungen des Welthandels
und der Investitionsströme anpassen, sonst wird sie in
Zukunft eine weniger bedeutsame Rolle spielen als heute.
Europa und die USA müssen ihre Differenzen hinter sich
lassen und ihr Gewicht zugunsten der dringend notwendigen
Reformschritte in die Waagschale werfen. Die Alternative zur
WTO-basierten Weltwirtschaftsordnung wäre eine Weltwirt-
schaftsunordnung. Und das kann weder dies- noch jenseits des
Atlantiks gewollt sein.

Was wird in Zukunft aus der                          bestehende wirtschaftliche Differenzen extrem
transatlantischen Wirtschaftspartnerschaft?          verschärfen. Hier drohen dann Handelssanktio-
                                                     nen sowie transatlantische Wirtschaftsboykotte.
Diese sowohl für Europa als auch Amerika             Die geostrategischen Differenzen und entspre-
 bedeutsame Frage ist nicht leicht zu beantwor-      chend unnachgiebig geführten wirtschaftlichen
 ten und kristallisiert sich in gewisser Hinsicht    Auseinandersetzungen könnten zu einer Wagen-
 an und in der Welthandelsorganisation (­WTO).       burg-Mentalität führen – „Wirtschaftsmacht U
                                                                                                ­ SA“
Entscheidungsträger aus Politik, Wirtschaft          gegen „Wirtschaftsmacht Europa“.
 und Gesellschaft sind mit einer paradoxen Situ-
 ation konfrontiert: Auf politischer Ebene hat       Die ­WTO als Kristallisationspunkt
 die aggressive Handelspolitik der Trump-Ad-         transatlantischer Spannungen
 ministration einige Verwerfungen in der trans­
 atlantischen Wirtschaftspartnerschaft ausgelöst.    Die andauernden Konflikte um die Welthan-
Insbesondere die Beziehungen zwischen den             delsorganisation deuten an, dass sich die trans-
­USA und Deutschland wurden stark in Mitlei-          atlantische Wirtschaftspartnerschaft derzeit
 denschaft gezogen. Auf wirtschaftlicher Ebene       in keinem guten Zustand befindet. Mehr noch:
 sind Europa und Amerika hingegen durch              Die ­WTO ist zu einem Kristallisationspunkt
 einen Anstieg wechselseitiger Investitions- und      der unterschiedlichen Auffassungen auf beiden
Handelsströme stärker zusammengewachsen               Seiten des Atlantiks geworden und soll daher in
 als je zuvor. Europa und Amerika unterhalten         diesem Beitrag im Mittelpunk stehen. Die Insti­
 nach wie vor die weltweit bedeutendsten Wirt-        tution und das offene Handelssystem, das ihr
 schaftsbeziehungen. Grundsätzlich bilden beide       zugrunde liegt, erleben eine Phase der Instabili-
Wirtschaftsräume damit das Fundament einer            tät. Diese wurde jüngst durch aggressive, einsei-
 fortschreitenden Integration der gesamten Welt-      tige Maßnahmen der amtierenden US-Regierung
 wirtschaft.                                          noch verstärkt. Als Reaktion darauf traf sich im
                                                     Oktober 2018 ein Bündnis aus industrialisierten
Es ist offen, welche Folgen die politischen Span-    ­OECD-Volkswirtschaften sowie Schwellen- und
nungen auf die bilateralen Beziehungen haben         Entwicklungsländern in Ottawa, um eine Reform
werden. Unterschiedliche Szenarien sind denk-         der W­ TO zu besprechen, eine gewisse Stabilität
bar. Bestenfalls können bestehende Streitigkei-       wiederherzustellen und gemeinsam eine Füh-
ten gelöst werden. Beide Partner fänden dadurch       rungsrolle mit Blick auf die Handelspolitik zu
wieder zu einer engen Wirtschafts­        allianz,    übernehmen.1
begleitet von einer koordinierten, transatlan-
tischen Handelspolitik. Im schlimmsten Fall          Im Gegensatz zu alarmistischen Behauptun-
könnten die politischen Auseinandersetzungen         gen ist es unwahrscheinlich, dass die W
                                                                                           ­ TO

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„zerbricht“, aber wenn sie sich nicht an die Ver-     Wie schlimm ist es wirklich?
  änderungen in der Struktur des Welthandels und
  der Investitionsströme anpassen kann, wird sie       Nach Jahren spöttischer Witze darüber, dass
  eine weniger bedeutsame Rolle spielen als heute.     die W­ TO weder tot noch lebendig sei, bietet
 Die Ursachen dafür, dass die ­WTO zunehmend           sich derzeit ein tristes Bild.2 Die unmittelbare
  ihre Plattformfunktion verliert, reichen tief und    Krise wurde durch die Androhung und Verhän-
  ergeben sich aus Fragen der politischen Koor-        gung von Zöllen seitens der U ­ SA ausgelöst, um
  dination in der W ­ TO sowie den politischen         Zugeständnisse von anderen ­WTO-Ländern
 Herausforderungen, denen sich die Regierun-           zu erzwingen. Dabei folgt die US-Regierung
  gen der ­WTO-Länder gegenübersehen. Das              offenkundig einem Muster und hat gegen-
 ­Koordinationsproblem besteht in der Frage, wie       über ihren Nachbarn Kanada und Mexiko
  man mit der ökonomischen Kräfteverschiebung          beim North American Free Trade Agreement
  hin nach Asien und neuen Wirtschaftsmächten         (­NAFTA)-Folgeabkommen ­United States-Mexico-
  umgeht. Die implizite Führung des US-­OECD-          Canada Agreement (­USMCA) eine ähnliche Stra-
  Clubs, der maßgeblich zur Etablierung der beste-     tegie verfolgt. Auch hier ging es um die Infrage-
  henden Handelsordnung beigetragen hat, ist mit       stellung von Handelsvereinbarungen und das
  Blick auf die neuen Gewichte der Weltwirtschaft      Fordern neuer vertraglicher Grundlagen. Es
  kaum noch zeitgemäß. Die Herausforderung für         drängt sich die Frage auf, ob die freihandels-
  Staaten im Innenverhältnis besteht darin, das        kritischen US-Positionen (mit Blick auf W  ­ TO
­WTO-Regelwerk, welches den Rahmen für die             und ­NAFTA) wirklich neu sind. Dies kann ver-
  Globalisierung von Produktion und Investitionen      neint werden. Zwar sind Stil und Rhetorik des
  setzt, mit den Sorgen, die im jeweiligen Land        amtierenden US-Präsidenten in ihrer Zuspitzung
  wegen des Kontrollverlustes über den nationa-        einmalig, aber die Kritik am globalen Handels-
  len Politik- oder Regulierungsrahmen bestehen,       regime wird im demokratischen (eher freihan-
  in Einklang zu bringen.                              delskritischen) Lager, siehe Bernie Sanders oder
                                                       Hillary Clinton, ebenso geteilt wie mittlerweile
Die Aufrechterhaltung eines offenen, regel­            bei vielen Republikanern, die ursprünglich stark
basierten Handelssystems liegt im vitalen Inte-        für eine Liberalisierung des Welthandels argu-
resse aller Länder. Um dies zu erreichen, bedarf       mentierten. Faktoren für den Sinneswandel der
es einer kollektiven Führung durch ein Bündnis         republikanischen Partei im Hinblick auf den
von Industrie- und Schwellenländern innerhalb          Freihandel sind sicherlich die massive Deindus-
der W­ TO. Die U ­ SA nehmen derzeit keine Füh-        trialisierung der ­USA in den vergangenen zwan-
rungsrolle wahr, und China wünscht bislang             zig Jahren, das Gefühl einer dysfunktionalen
keine multilaterale Einbindung, die seine Indus-      ­WTO anzugehören sowie das geschickte Agieren
trie- und Technologiepolitik beschränkt. Europa        Chinas (als vermeintliches Entwicklungsland)
kommt damit eine wichtige Mittlerrolle zu. Einer-      innerhalb des ­WTO-Regimes.
seits muss es auf die ­USA einwirken, um einen
wichtigen Eckstein transatlantischer Handelspo-       Gerade das Beispiel China zeigt, dass die ­WTO
litik funktionsfähig zu halten. Andererseits muss     mit den neuen realpolitischen Entwicklungen
Europa auf China Einfluss nehmen, damit das           kaum Schritt halten konnte. Dies wird daran
Trittbrettfahren innerhalb des W  ­ TO-Regimes        deutlich, dass die bestehenden Handelsbe-
aufhört. Kurzfristig ist es zweifellos notwendig,     stimmungen weitgehend aus dem Jahr 1995
den Bedrohungen des Systems durch einen Kom-          stammen, wenn nicht sogar noch aus der Zeit,
promiss zu begegnen. Eine dauerhafte Lösung           als die Uruguay-Verhandlungsrunde abge-
aber bedarf eines echten Konsenses auf interna-       schlossen und die W  ­ TO eingerichtet wurde.
tionaler wie auch auf nationaler Ebene.               Das war, bevor die Globalisierung Ängste aus-
                                                      löste, bevor das Internet das Management auch
                                                      verstreuter Produktionsstätten ermöglichte,
                                                      bevor globale Wertschöpfungsketten enorme

Der Blick nach Westen                                                                               99
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Wettbewerbsvorteile boten und bevor China          Was treibt die Vereinigten Staaten an?
als wichtiger Fixpunkt eines multipolaren Welt-
handelssystems auftauchte.3 Freilich werden die    Die derzeitige Krise wurde dadurch ausgelöst,
Schwierigkeiten der W­ TO seit geraumer Zeit       dass die U­ SA aus „Gründen der nationalen
von Experten erkannt und benannt. Aber bisher      Sicherheit“ Zölle auf die Einfuhr von Stahl und
hat noch kein großes W ­ TO-Land den Fortbe-       Aluminium aus einer Reihe von Ländern erho-
stand der Organisation in Frage gestellt, wie es   ben haben und widerkehrend die Verhängung
die jetzige US-Regierung tut.                      von Zöllen auf Automobilimporte androhen.4

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Dealmaker: Der stark auf den eigenen Vorteil be-
                                                dachte Ansatz der Trump‘schen Strategie untergräbt
                                                multilaterale Institutionen. Quelle: © Shannon
                                                Stapleton, Reuters.

                                                    Artikel ­XXI des Allgemeinen Zoll- und Handels­
                                                    abkommens (General Agreement on Tariffs and
                                                    Trade, ­GATT) sieht tatsächlich eine Ausnahme
                                                    vor, wenn die nationale Sicherheit bedroht ist.
                                                    Bisher jedoch haben es alle W­ TO-Mitglieder –
                                                    mit Ausnahme der ­USA im Falle des Helms-­
                                                    Burton-Gesetzes von 1996 – vermieden, sie als
                                                    Begründung für das Einführen von Schutzzöllen
                                                    anzuführen. Würde sich die W   ­ TO gegen eine
                                                    solche Maßnahme aussprechen, könnte das
                                                    dahingehend ausgelegt werden, dass Handelsbe-
                                                    stimmungen die nationale Sicherheit gefährden.
                                                    Würde ein W ­ TO-Ausschuss bei den Stahl- und
                                                    Aluminiumzöllen gegen die U   ­ SA entscheiden,
                                                    würde dies die amerikanische Unterstützung für
                                                    den Multilateralismus weiter schwächen. Sollte
                                                    die ­WTO feststellen, dass diese Zölle mit Arti-
                                                    kel ­XXI des ­GATT vereinbar sind, würde dies
                                                    die Grundsätze und Maßregeln, auf denen das
                                                    regelbasierte System der ­WTO beruht, auf fatale
                                                    Weise untergraben.

                                                    Das zweite Element der amerikanischen Heraus-
                                                    forderung betrifft den Kern des Streitbeilegungs-
                                                    mechanismus der ­WTO selbst. Die ­USA haben
                                                    die Funktionsweise der Streitbeilegung in Frage
                                                    gestellt und insbesondere die Ernennung von
                                                    Mitgliedern des Berufungsgremiums (Appellate
                                                    Body, AB) blockiert. Zum Zeitpunkt der Erstel-
                                                    lung dieses Beitrags verbleiben nur noch drei
                                                    Mitglieder des AB, was dem Minimum entspricht,
                                                    das erforderlich ist, um eine Beschwerde gegen
                                                    eine Entscheidung des Ausschusses zur Streitbei-
                                                    legung zu bearbeiten. Zwei von ihnen verlassen
Die US-Regierung führte außerdem in großem          das Gremium im Dezember 2019, womit das AB
Stil Importzölle auf chinesische Produkte ein, da   und damit die Streitbeilegungsfunktion der ­WTO
Peking – so der Vorwurf – etwa Eigentumsrechte      nicht mehr funktionsfähig wäre.
nicht schütze oder durch eine Subventionierung
von Staatsunternehmen unlauteren Wettbewerb          Es bleibt unklar, was die mittel- bis länger-
betreibe. Der Verweis auf die „nationale Sicher-     fristigen Ziele der US-Regierung sind. Sollte
heit“ bei der US-Zollpolitik kann als ein kalku-     damit eine Krise ausgelöst werden, um die
lierter Affront gegen die W
                          ­ TO betrachtet werden.   ­WTO-Mitglieder zu zwingen, Lösungen für

Der Blick nach Westen                                                                                101
einige seit Langem bestehende Probleme zu fin-           das sicherstellt, dass die Entscheidungen des
den, könnte man die Destabilisierung als zweck-          Gremiums mit den Vereinbarungen im Einklang
dienlich ansehen.5 Danach sieht es derzeit nicht         stehen.7 Nach der Finanzkrise 2008 waren die
aus. Vielmehr ist festzustellen, dass die aktuelle      ­WTO-Bestimmungen und deren effektive Durch-
US-Regierung einen schleichenden Trend weg               setzung in Form des Streitbeilegungsverfahrens
vom Multilateralismus hin zu unilateraler Politik        wichtig für die Eindämmung protektionistischer
drastisch beschleunigt. Der stark auf den eigenen       Tendenzen. Nach 24 Jahren bedürfen einige
Vorteil bedachte Ansatz der Trump’schen Stra-           Aspekte dieses Verfahrens allerdings einer Über-
tegie hat unweigerlich zu Gegenmaßnahmen in              arbeitung, die schon während der Doha-Runde
den betroffenen Ländern geführt. Infolgedessen           diskutiert, jedoch nicht umgesetzt wurde. Ein
scheinen die Dinge Anfang 2019 eine gefährliche          Grund für die Wirksamkeit des ­WTO-Verfahrens
Eigendynamik zu entwickeln. Das hat bei einer            zur Streitbeilegung ist, dass es einem Mitglieds-
Gruppe von ­WTO-Ländern zu Bemühungen                    land nicht erlaubt ist, Entscheidungen des Gremi-
geführt, eine neue Form kollektiver Führung zu           ums zu umgehen. Sie können zwar angefochten
schaffen und zu versuchen, der handelspoliti-            werden, doch wenn das Berufungsgremium ent-
schen Zusammenarbeit neues Leben einzuhau-               schieden hat, ist grundsätzlich Recht gesprochen.
chen und dabei auf einige der gegen die ­WTO
vorgebrachten Kritikpunkte zu reagieren.6
                                                           Entwicklungsländer nehmen
Wirksamkeit und Legitimität                                die WTO-Bestimmungen oft
                                                           als Versuch der Einflussnahme
Grundsätzlich ruht die Arbeit der ­WTO auf drei
Säulen:
                                                           durch Industrieländer wahr.

•     erstens der Aushandlung neuer Bestimmungen,
•     zweitens der Beilegung von Streitigkeiten und     Die laufende Arbeit der Organisation bildet die
•     drittens der fortlaufenden Organisationsarbeit,   dritte Säule der W­ TO. Sie erfolgt, indem die
      die den praktischen Warenaustausch verbes-        Anwendung der verschiedenen Abkommen
      sern soll.                                        überwacht wird. Eine solche Überwachung hängt
                                                        weitgehend vom Entgegenkommen der Staaten
 Seit einigen Jahren funktioniert die erste Säule       und von nationaler Transparenz ab. Umset-
 der Regelsetzung nur noch bedingt. Die Ent-            zung und Einhaltung vieler ­WTO-Abkommen
 wicklungsagenda von Doha (Doha Development             erfordern ständige Anstrengungen. So werden
Agenda, ­DDA), eine 2001 eingeleitete Verhand-          beispielsweise bei Vereinbarungen über Regu-
 lungsrunde multilateraler Handelsvereinba-             lierungsmaßnahmen, wie etwa zur Produkt-,
 rungen, war die erste dieser Gesprächsreihen,          Lebensmittel- oder Verbrauchersicherheit, per-
 die seit der Gründung des ­GATT im Jahr 1948           manent neue nationale Vorschriften eingeführt.
 scheiterte. Dieses Scheitern wird vor allem in den     In solchen Fällen regeln die Handelsbestimmun-
­OECD-Ländern als einer der Hauptgründe dafür           gen das Verfahren, mit dem die W
                                                                                       ­ TO-Länder die
 angesehen, dass die W­ TO mit der Globalisierung       wettbewerbsverzerrenden Auswirkungen solcher
 nicht Schritt halten konnte.                           neuen Vorschriften minimieren können. Es gibt
                                                        Berichtspflichten für allgemeine handelspoliti-
Die zweite Säule der Streitbeilegung wurde              sche Entwicklungen im Rahmen des Trade Policy
zum Zeitpunkt der Gründung der ­WTO gestärkt            Review Mechanism (­TPRM) sowie für spezifische
und hat sich bei der Durchsetzung bestehen-             Vereinbarungen und Themen. Dazu gehören
der Regeln weitgehend bewährt. Das System               regionale oder präferenzielle Handelsabkom-
der Streitbeilegung besteht aus einem Schlich-          men sowie nationale Subventionen. Die Wirk-
tungsverfahren, Gremien zur Bearbeitung von             samkeit dieser dritten Säule, besonders der des
Beschwerden sowie einem Berufungsgremium,               Ausschusses für regionale Handelsabkommen,

102                                                                         Auslandsinformationen 1|2019
wurde jedoch durch die Nachlässigkeit einiger        einige Handelsökonomen, dass es falsch sei, die
­ TO-Staaten bei der Berichterstattung beein-
W                                                     ­ TO mit „neuen Themen“ wie Dienstleistungen
                                                      W
 trächtigt. Die dritte Säule sieht auch einen stän-   und geistigen Eigentumsrechten zu überfrach-
 digen Dialog und damit die Möglichkeit vor,          ten, ganz zu schweigen von Arbeits- und Umwelt-
 handelspolitische Probleme effizient zu lösen.       normen. Andere sprachen sich dafür aus, dass
 Ohne eine aktive Beteiligung der Streitparteien      die Handelsbestimmungen die Art des Handels
 kann es jedoch keine Fortschritte bei grenzüber-     widerspiegeln müssten und dies eine stärkere
 schreitenden Handelsstreitigkeiten geben. In der     Abdeckung von „handelsbezogenen“ Themen
 Folge wird ein wichtiges multilaterales Forum        erfordere. Heute stellt sich die Frage, ob die Han-
 zersetzt und ein Vakuum entsteht. Während die        delsbestimmungen nicht nur für Dienstleistun-
­WTO von vielen Experten als eine Organisation        gen, sondern auch für den ­elektronischen Handel
 betrachtet wird, die hinter den Anforderungen        gelten sollten, und wenn ja, wie das Verhältnis
 einer globalisierten Weltwirtschaft zurückgeblie-    zwischen der Regulierungskompetenz auf natio-
 ben ist, sehen andere sie als eine der Hauptquel-    naler oder EU-Ebene und einer weiteren Libera-
 len einer entfesselten Globalisierung und aller      lisierung aussehen sollte. Sollten W
                                                                                         ­ TO-Vorgaben
 damit verbundenen Probleme. Letztgenannte            heute beispielsweise die Rolle von Staatsunter-
Ansicht vertreten einige zivilgesellschaftliche,      nehmen regulieren, oder sollten die Entwick-
 nicht-staatliche Organisationen (­NGOs), die die     lungsländer diese und andere Instrumente der
 Regelungsarbeit in der ­WTO als dem politischen      Industriepolitik nutzen können, um zu anderen
 oder regulatorischen Rahmen zuwiderlaufend           Staaten aufzuschließen? Zu bedenken ist, dass
 betrachten. Jene zivilgesellschaftlichen N ­ GOs     die meisten europäischen Volkswirtschaften
 stellen auch die Legitimität der W ­ TO in Frage,    in der Zeit nach 1945 über einen bedeutenden
 da Prozesse der Entscheidungsfindung und Ver-        öffentlichen Sektor mit großen Staatsunter-
 handlungen als nicht demokratisch legitimiert        nehmen verfügten, der langsam zurückgebaut
 oder transparent angesehen werden. Oft sehen         wurde. Da staatliche und private Investitionen
 Entwicklungsländer in den Bemühungen um              für das Gedeihen globaler Wertschöpfungs-
 eine Ausweitung der W  ­ TO-Bestimmungen auch        ketten von zentraler Bedeutung sind – sollte es
 eine Bedrohung ihres politischen Spielraums und      dann keinen multilateralen Investitionsrahmen
 damit ihrer Fähigkeit, im Industrialisierungspro-    geben und, wenn doch, wie sollte er den Inves-
 zess aufzuholen. Ganz abgesehen davon, dass          titionsschutz und das Recht auf Regulierung in
 Handelsbestimmungen als von den Industrie-           Einklang bringen? In vielen Ländern wie auch in
 staaten vorgeprägt angesehen werden. Bislang         der Europäischen Union gibt es keinen breiten
 war dies auch der Fall, wenngleich die ­WTO mit      innenpolitischen Konsens über diese Fragen.
 ihrem System des „ein Mitglied – eine Stimme“        Ohne eine Debatte über die Rolle der Handels-
 demokratischer ist als andere internationale         und Investitionspolitik eines Landes wird es
 Wirtschaftsinstitutionen. Angesichts zivilgesell-    schwierig bleiben, auf internationaler Ebene
 schaftlicher Widerstände in einzelnen Ländern        Fortschritte zu erzielen.
 scheuten die Regierungen gegenüber neuen Ver-
 pflichtungen also zurück. Hierdurch entsteht ein     Warum hat die W
                                                                    ­ TO nicht Schritt gehalten?
 Spannungsverhältnis zwischen Wirksamkeit und
 Legitimität.                                         Abgesehen vom Fehlen eines inneren Konsen-
                                                      ses über Ziele und Geltungsbereich multilatera-
Was sollte die Zielsetzung der W
                               ­ TO sein?             ler Handelsbestimmungen war das wohl größte
                                                      Hindernis für den Fortschritt in der ­WTO die
Eine Ursache latenter Handelsspannungen war           Schwierigkeit, die Mitgliedsländer nach ihren
das Fehlen eines Konsenses über den Anwen-            Entwicklungsständen zu unterscheiden. Worüber
dungsbereich der ­WTO-Regeln. Auch dies ist           sich die ­USA derzeit unter anderem beschweren
keine neue Debatte.8 Schon während der Ver-           ist die Möglichkeit, sich in der ­WTO selbst den
handlungen zur Uruguay-Runde argumentierten           Status eines Entwicklungslandes zu verleihen.

Der Blick nach Westen                                                                               103
Dies erlaube es Ländern wie China und Indien         Ein weiterer Grund für das Scheitern der Doha-
sowie anderen Schwellenländern, Verpflich-           Runde ist die Tatsache, dass Präferenzabkom-
tungen zu umgehen. Offenkundig sind jene              men (­PTAs) eine vielversprechende Alternative
Länder nicht mehr bereit, Regeln zu akzeptie-         boten. Es besteht eindeutig ein Zusammen-
ren, die von den ­OECD-Ländern geprägt wur-           hang zwischen der wachsenden Zahl von P      ­ TAs
den. Als Wendepunkt in dieser Hinsicht kann           und der Stagnation des Multilateralismus, aber
das ­WTO-Ministertreffen von Cancún im Jahr           eine Kausalität ist schwieriger nachzuweisen.
2003 betrachtet werden, auf dem sich eine G20-­      Bis Ende der 1990er Jahre waren die ­P TAs so
Koalition von Entwicklungs- und Schwellen-            etwas wie „Bausteine“ für ein umfassenderes
ländern bildete, die der gemeinsamen Führung          internationales Abkommen. Aber etwa nach
von ­USA und EU entgegentrat. Die ­OECD und           dem Jahr 2000 verstärkte sich eine Tendenz
vor allem die ­USA sind nicht mehr bereit, soge-      hin zu Strategien einer „wettbewerbsfähigen
nanntes Trittbrettfahren zu tolerieren, insbeson-    Liberalisierung“, die P­ TAs als Alternative sahen.
dere von systemrelevanten Akteuren wie China,        Die ­P TAs haben es ermöglicht, die Handelsbe-
woraus sich – neben fundamentalen Interessen-         stimmungen auf neue Bereiche auszudehnen,
unterschieden – der Stillstand in multilateralen      für die die ­WTO nicht zuständig ist, und damit
Handelsrunden ergibt.                                 die Handels- und Investitionsbestimmungen zu
                                                      aktualisieren. Sie spiegeln die Vertiefung glo-
                                                      baler Wertschöpfungsketten wider, da die von
   Entscheidungsfindung in                            den O­ ECD-Ländern abgeschlossenen Verträge
   der WTO wird dadurch                              Bestimmungen zu Investitionen, E-Commerce,
                                                      mehr Dienstleistungen sowie häufig eine Kumu-
   erschwert, dass Vetomächte
                                                      lierung von Ursprungsregeln umfassen. Das
   häufig Verhandlungen                               Gute an den in den 2000er Jahren und bis zu
   blockieren.                                        einem gewissen Grad auch heute vereinbarten
                                                     ­PTAs ist, dass eine Tendenz besteht, schon exis-
                                                      tierende internationale Normen umzusetzen.
                                                      Dabei handelt es sich um in der ­OECD, konkret
 Ein zweites Hindernis war das grundsätzlich          in der Weltzollorganisation, der Internationa-
 konsensorientierte System der Entscheidungs-         len Arbeitsorganisation oder in multilateralen
 findung in der W­ TO, das auf dem Prinzip „ein       Umweltabkommen entwickelte Standards, z. B.
 Mitglied – eine Stimme“ basiert. Dies führt zwar     für das öffentliche Beschaffungswesen. Viele der
 zu einer integrativen, demokratischen Entschei-      Bestimmungen gehen in verfahrenstechnischer
 dungsfindung, aber auch zu vielen Vetomächten.       Hinsicht über W­ TO-Standards hinaus. Mit ande-
 Und es hat zusammen mit dem Konzept der              ren Worten, sie übernehmen die bestehenden
„gemeinsamen Handlungseinheit“ die Dinge sehr       ­WTO-Bestimmungen und bieten Verfahren zu
 schwierig gemacht. Das gemeinschaftliche Vor-        deren wirksamerer Umsetzung.
 gehen ist die Norm, wonach Verhandlungen wie
 etwa die Doha-Runde von allen W  ­ TO-Ländern      Auf dem Weg zu mehr Flexibilität
 vereinbart werden müssen. Das Prinzip wurde
 von den entwickelten Volkswirtschaften in der      Der Abschluss der Doha-Runde kam der Umset-
 Uruguay-Runde eingeführt, um sicherzustel-         zung im Jahr 2008 wohl am nächsten. In der
 len, dass weniger entwickelte ­WTO-Mitglieder      Folgezeit wurden Anstrengungen unternom-
Abkommen über geistiges Eigentum und Dienst-        men, um verschiedene Teilschritte zur Unter-
 leistungen sowie Abkommen, die Entwicklungs-       stützung der Entwicklungsländer umzusetzen,
 länder begünstigten, unterzeichneten. Heute        doch auch diese erwiesen sich als nicht gangbar.
 bietet sie nun großen Entwicklungsländern oder     Die Diskussion drehte sich anschließend um die
 Koalitionen die Möglichkeit, Verhandlungen zu      Einführung flexiblerer Ansätze. Der Abschluss
 blockieren.                                        des 2017 in Kraft getretenen Trade Facilitation

104                                                                      Auslandsinformationen 1|2019
Agreement (­TFA) zeigt, dass gewisse Fortschritte     Maßnahmen eingeleitet oder neu gestartet – han-
 möglich sind.9 Dieses multilaterale Abkommen         delsbezogener elektronischer Transfer, natio-
 ist insofern bemerkenswert, als es das Differen-     nalstaatliche Regulierung von Dienstleistungen,
 zierungsproblem angeht, indem es die Einhal-         Umweltgüter und Investitionserleichterungen.
 tung vereinbarter multilateraler Bestimmungen        Eine Schlüsselfrage bei plurilateralen Initiativen
 davon abhängig macht, inwieweit die Länder           ist, ob sie im Zuge des Meistbegünstigungsprin-
 in der Lage sind, die zu einer Erleichterung des     zips (­MFN) auf nicht teilnehmende ­WTO-Länder
Handelsflusses erforderlichen Zollverfahren           auszuweiten sind. Das Informationstechnologie-
 durchzuführen.10 Die entwickelten ­WTO-Länder        abkommen von 1996 schloss die M     ­ FN ein und
verpflichten sich, wie bei anderen Abkommen           konnte dies auch, weil es eine kritische Masse
 technische und finanzielle Unterstützung zu          an Teilnehmern erreichte. Sicherlich wird es
 leisten. Das T
              ­ FA sieht aber auch eine objektivere   heute schwieriger werden, exklusive plurilate-
Bewertung der Fähigkeit der Länder zur Umset-         rale Abkommen zwischen gleichgesinnten Län-
 zung der Bestimmungen vor und könnte daher           dern zu schließen, deren Bestimmungen dann
 als Modell für den Umgang mit der Differenzie-       nachträglich ausgeweitet werden sollen. Zumal
 rungsfrage angesehen werden. Schwach entwi-          dies kaum zu einer nachhaltigen regelbasierten
 ckelten Volkswirtschaften ohne die Fähigkeit zur     Ordnung beitragen wird. Es ist ohnehin zweifel-
Umsetzung wird mehr Zeit und Hilfe zugestan-          haft, ob sich Schwellenländer auf Vereinbarun-
 den; Schwellenländer oder Länder wie China,          gen einlassen werden, die von einer Gruppe von
 die über ausreichende Kapazitäten verfügen,          Industrieländern ohne sie ausgehandelt wurden.
 sollten in der Lage sein, sich zur Einhaltung und    Ein solcher Buy-in ist nur in zwei Fällen wahr-
­Umsetzung der Bestimmungen zu verpflichten.          scheinlich: wenn das plurilaterale Handelsvolu-
                                                      men so groß ist, dass es positive Externalitäten
                                                      für die Nicht-Teilnehmer schafft; oder wenn ein
   Zentral für eine erfolgreiche                      breiter Konsens über die Bestimmungen besteht.
   Reform der WTO ist ein                             Im ersten Fall wird es ohne China und Indien
                                                      schwierig sein, die für die Erzeugung positiver
   höheres Maß an Flexibilität
                                                      externer Effekte erforderliche kritische Masse zu
   für die Mitglieder.                                erreichen. Im letzten Fall wird sich ein Normen-
                                                      konsens als schwer fassbar erweisen, wenn die
                                                      Entwicklung der Normen mit Fragen des Markt-
Ein weiterer alternativer Ansatz war die Rückkehr     zugangs verbunden ist. Mit anderen Worten,
zum Plurilateralismus. Konkrete Vorschläge für        die Frage ist, ob plurilaterale Abkommen dem
plurilaterale Verhandlungen, in erster Linie von      Ziel einer Stärkung des internationalen Han-
den Vereinigten Staaten, wurden unterbreitet,         delssystems oder den Marktzugangsinteressen
um die Sackgasse der multilateralen Verhand-          bestimmter W  ­ TO-Länder dienen. Bisher scheint
lungen zu überwinden.11 Das Argument lautet           die Debatte über plurilaterale Ansätze von letzte-
jetzt wie im G
             ­ ATT-System der 1960er bis 90er         rem Punkt dominiert worden zu sein.
Jahre, dass gleichgesinnte Länder in bestimmten
Themenbereichen sicher Fortschritte machen            Führung neu denken
könnten. Sobald multilaterale Vereinbarungen
bestehen, werden andere ­WTO-Mitglieder sich          Das Fehlen einer Führungsrolle nach innen und
im Rahmen des Ansatzes eines „Clubs im Club“            außen wurde als weiterer Grund für die derzei-
anschließen. Weitere plurilaterale Initiativen          tige ­WTO-Lähmung benannt. Bei der Gründung
sind die Verhandlungen über ein Trade in Services       der ­WTO gab es eine gemeinsame Führung durch
Agreement (TiSA), bei denen sogar die Frage einer     ­USA und EU, unterstützt von einer Reihe anderer
exklusiven Mitgliedschaft aufgeworfen wurde.           ­OECD-Staaten. Grundsätzlich hatten und haben
Auf der W­ TO-Ministertagung von Buenos Aires           die beiden transatlantischen Akteure gemein-
im November 2017 wurden weitere plurilaterale           same Interessen im Bereich Handelspolitik.

Der Blick nach Westen                                                                              105
Mehr Mitsprache: Zentral für die Reform der WTO wäre eine breitere Aufteilung der Führungsverantwortung mit
einer größeren Rolle für die Schwellenländer. Quelle: © Edgar Su, Reuters.

Erstens ist es im Interesse von Wirtschaft und           Europäern sein, dass westliche Bündnis nicht
Politik, in den U
                ­ SA wie in Europa auf ein regelba-      auseinanderdividieren zu lassen, da es um mehr
siertes Handelssystem zurückgreifen zu können,           als wirtschaftspolitische Fragestellungen geht.
welches Vereinbarungen zu Antidumping-Maß-               Mit ihren jüngsten Aktionen haben die U      ­ SA
nahmen, Investitions- und Wettbewerbsrecht,              einer gemeinsamen Führung allerdings einen
zum öffentlichen Beschaffungswesen oder zur              Bärendienst erwiesen. Interessenkonflikte zwi-
Entbürokratisierung von Zollverfahren enthält.           schen Europa und den Vereinigten Staaten über
Zweitens haben beide Wirtschaftsmächte ein               handelspolitische Fragen sind daher 555,84 mm
Interesse daran, sukzessive einen freien Zugang          an der Tagesordnung und es ist wenig überra-
zum chinesischen Markt zu erwirken und Regel-            schend, dass die US-Abkehr von einer multilate-
verstöße Pekings innerhalb des ­WTO-Regimes              ralen Handels­politik zu neuen Allianzen Europas
konsequent zu ahnden (um Nachahmer zu ver-               führen muss. Zu bedenken ist außerdem, dass
hindern und China einzuhegen). Bislang ist man           die EU kein monolithischer Block ist. Sie muss,
bei den Themen „Diebstahl von geistigem Eigen-           anders als die ­USA, nicht nur mit dem jeweiligen
tum“, Industriesubventionen und den Regeln               Handels­partner einen Kompromiss finden, son-
zum Technologietransfer, die die Regierung in            dern auch einen Ausgleich zwischen den Interes-
Peking seinen Handelspartnern aufzwingt, sei-            sen der EU-Mitglieder schaffen, unter denen sich
tens der Europäer zu nachsichtig gewesen. Drit-          auch einzelne Staaten befinden, die stark vom
tens sollte es im Interesse von Amerikanern und          Export profitieren. Intraregionaler Handel spielt

106                                                                            Auslandsinformationen 1|2019
innerhalb der EU eine sehr wichtige Rolle.             Schlussbemerkungen
Augenfällig ist außerdem, dass Europa seine
handelspolitischen Maßnahmen regelmäßig mit            Die ­USA sind ein zentraler Partner für Politik
gesellschaftspolitisch wichtigen Zielen wie dem        und Wirtschaft in Deutschland – trotz der poli-
Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherschutz            tischen Spannungen der letzten Monate. Berlin
verbindet, die ­USA von solchen Verbindungen           und Washington müssen im Gespräch miteinan-
aber wenig halten.                                     der bleiben. Dies gilt nicht nur für das Verhältnis
                                                       untereinander, sondern auch für eine Zusammen-
 Unabhängig vom Tandem ­USA-EU fordern die             arbeit innerhalb der Welthandelsorganisation
 großen Schwellenländer entsprechend ihrer             und für den Umgang mit China. Kurzfristig ist
 gestärkten Handels- und Wirtschaftskraft ein          es zweifellos notwendig, dass besonnene Köpfe
 höheres Maß an Einflussnahme auf das regel-           versuchen, die derzeitigen Spannungen zwischen
 basierte System sowie mehr Mitsprachemög-             den U­ SA und China abzubauen und die Blockade
 lichkeiten bei demselben. Es ist klar, dass es        bei der Auswahl der Mitglieder des Berufungs­
 eines kooperativen Engagements dieser beiden          gremiums aufzuheben. Eben dies war das Ziel der
 Gruppen bedarf, um Fortschritte zu erzielen.          Gruppe von ­WTO-Ländern, die sich im Oktober
 Eine Lösung wäre eine breitere Aufteilung der         2018 in Ottawa trafen. Das Mittel dafür ist die
 Führungsverantwortung innerhalb der W        ­ TO     Fortsetzung eines inklusiven Dialogs über Refor-
 mit einer größeren Rolle für die Schwellenländer.     men. Abschließend sollte man in der Debatte
 Dies kann möglicherweise durch die Schaffung          über die W­ TO nicht aus den Augen verlieren, dass
 eines informellen oder sogar formalen Füh-            die größten Hemmnisse für handelspolitische
 rungsorgans erreicht werden, das sich aus der         Fortschritte auf nationalstaatlicher Ebene liegen.
 G20-Handelsgruppe und je einem Vertreter aus          Die W
                                                           ­ TO ist und bleibt eine mitgliedergetriebene
 jedem der Verhandlungsbündnisse, wie beispiels-       Institution. Und die ­USA und Europa haben in der
 weise der Afrikagruppe, zusammensetzt. Dieses         Hand, wohin sie treibt.
 Gremium könnte eine Schnittstelle zwischen den
 Mitgliedern und dem Erweiterten Rat bilden und
 wäre für die Förderung systemischer Ziele und         David Gregosz ist Koordinator für Internationale
 die Konsensbildung in Verhandlungsfragen ver-         Wirtschaftspolitik der Konrad-Adenauer-Stiftung.

 antwortlich. Die Bereitstellung größerer Mittel
                                                       Dr. Stephen Woolcock ist Leiter der International
 für das ­WTO-Sekretariat, um zu einer aktiveren       Trade Policy Unit an der London School of Economics
 Rolle beitragen zu können – sei es durch eine För-    und lehrt dort Internationale Politische Ökonomie.
 derung des Dialogs und der Konsensfindung oder
 des proaktiven Unterbreitens von Vorschlägen –
 wäre auch ein Beitrag dazu, der Arbeit der W ­ TO
 eine strategischere Ausrichtung zu geben und die
Abhängigkeit von einer Führung durch die Mit-
 glieder zu verringern.12 Dies geschieht zum Teil
 bereits hinter den Kulissen und wäre besonders
 wichtig in einer Situation, in der ein Bündnis von
­WTO-Ländern versucht, eine Führungsrolle zu
 übernehmen. Der Nachteil bei der Etablierung
 einer Form der gemeinsamen Führung besteht
 darin, dass sie per Definition nicht alle einbezie-
 hen kann.

Der Blick nach Westen                                                                                     107
1    In einem gemeinsamen Kommuniqué einigten sich             7  Die ­WTO-Regeln bestehen nämlich aus einer Reihe
    Australien, Brasilien, Kanada, Chile, Japan, Kenia,           von Abkommen, u. a. dem Allgemeinen Zoll- und
     Korea, Mexiko, Neuseeland, Norwegen, Singapur,               Handelsabkommen G     ­ ATT (1994), dem Dienstleis-
     die Schweiz und die EU darauf, Lösungen für strittige ­      tungsabkommen (­GATS), dem Abkommen über
    WTO-Fragen zu suchen, siehe Global Affairs Canada             handelsbezogene Rechte an geistigem Eigentum
     2018: Joint Communiqué of the Ottawa Ministerial             (­TRIPs) und dem Abkommen über handelsbezo-
     on WTO Reform, in: https://bit.ly/2PVamQF                    gene Investitionsmaßnahmen (­TRIMs).
    [21.01.2019].                                              8 Siehe hierzu z. B. Anderson, Kym 1997: Environment
2    Hintergrundinformationen zur Debatte über die                and Labour Standards: What role for the World Trade
     Reform und Leistung der W  ­ TO finden Sie unter:            Organization?, Seminarschrift 97-04, Universität
     Sutherland, Peter 2004: The Future of the W  ­ TO,           Adelaide, Zentrum für Wirtschaftspolitik, in:
     Genf; The Warwick Commission 2007: The Multi-                https://bit.ly/2HoZn27 [21.01.2019].
     lateral Trade Regime: Which Way Forward?,                 9 WTO 2017: Trade facilitation, 22.02.2017,
     Coventry; ­WTO 2013: The Future of Trade: The                in: https://bit.ly/1TRw3jW [21.01.2019].
     Challenges of Convergence. Report of the Panel on         10 Um den obigen Punkt über die Entwicklung
     Defining the Future of Trade convened by WTO                 von Normen zu unterstreichen: Das W  ­ TO-
     Director-General Pascal Lamy, 24.04.2013, in:                Handelserleichterungsabkommen stützt sich in
     https://bit.ly/2SQQwdR [15.02.2019]; Meléndez-               hohem Maße auf die in der Weltzollorganisation
     Ortiz, Ricardo / Bellmann, Christophe / Rodriguez            entwickelten Kodizes und Normen.
     Mendoza, Miguel (Hrsg.) 2012: The Future and the          11 Siehe Bacchus, James 2018: Was Buenos Aires the
    ­WTO: Confronting the Challenges. A Collection of             Beginning of the End or the End of the Beginning?
     Short Essays, International Centre for Trade and             The Future of the World Trade Organization, C   ­ ato
     Sustainable Development (ICTSD), 23.07.2012,                 Institute, Policy Analysis 841, 08.05.2018, in:
     in: https://ictsd.org/node/68965 [15.02.2019];               https://bit.ly/2BwSgPJ [15.02.2019]. Der Autor
     Rodriguez Mendoza, Miguel / Wilke, Marie 2011:               führt aus, dass es in den U
                                                                                            ­ SA eine Auffassung gibt,
     Revisiting The Single Under­taking – Towards A               die den Plurilateralismus schon bei der Gründung
     More Balanced Approach To W   ­ TO Negotiations, in:         der ­WTO als den einzuschlagenden Weg sah.
     Deere Birkbeck, Carolyn (Hrsg.): Making Global            12 Für eine ähnliche Sichtweise siehe WTO 2013, N. 2.
    Trade Governance Work For Development, Cam-
     bridge; Baldwin, Richard / Evenett, Simon 2011:
     Keeping the ­WTO on track: A Doha down payment
     plus more, ­VOX ­CEPR Policy Portal, 28.05.2011, in:
     https://bit.ly/2W88ZS3 [21.01.2019].
3    Rede von Bill Brock bei einer Podiumsdiskussion
     des Centers for Strategic International Studies
    (CSIS) der ehemaligen US-Handelsbeauftragten:
     CSIS 2018: A Conversation with Six Former USTRs,
    17.09.2018, Washington D.C., in: https://bit.ly/
     2zmrZD0 [21.01.2019].
4    Rudloff, Bettina 2018: Yes, he can: Trump provoziert
     einen Handelskrieg, SWP-Aktuell 36, 07/2018, in:
     https://bit.ly/2NbVnBm [15.02.2019].
5    Es sei daran erinnert, dass sich Präsident Trump
     und die politischen Beauftragten seiner Regierung
     vor seiner Wahl konsequent gegen die W   ­ TO und
     andere Handelsabkommen ausgesprochen hatten.
6    Zu dieser Gruppe gehören Kanada und die Euro-
     päische Union, Australien, Neuseeland, Brasilien,
     Chile, die Schweiz, Singapur, Norwegen, Südkorea
     und Mexiko, jedoch nicht die Vereinigten Staaten
     oder China – zumindest bislang. Siehe Ljunggren,
     David / Dalgleish, James 2018: Canada to host
     meeting on ­WTO reform, U.S. and China left out
     for now, Reuters, 27.07.2018, in: https://reut.rs/
     2s­EEJkg [21.01.2019].

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