Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte - Band 104 2018 - Körber-Stiftung
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte Band 104 2018 Z.H.G. 104 2018
Zu den Abbildungen auf dem Umschlag vgl. S. 88 und S. 164 Zuschriften und Besprechungsexemplare erbeten an Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte c/o Staatsarchiv Kattunbleiche 19, 22041 Hamburg ISSN 0083-5587 Herstellung: VDS VERLAGSDRUCKEREI SCHMIDT, 91413 Neustadt an der Aisch
ZEITSCHRIFT DES VEREINS FÜR HAMBURGISCHE GESCHICHTE BAND 104 HAMBURG VERLAG VEREIN FÜR HAMBURGISCHE GESCHICHTE 2018
Für den Druck dieses Zeitschriftenbandes haben den Verein durch besondere Zuwendungen im Jahr 2018 unterstützt: Hamburger Sparkasse (Lotteriesparen) Patriotische Gesellschaft von 1765 Prof. Dr. Gerhard Ahrens Ilse Niemeyer
Inhalt Aufsätze Jesuiten und Lutheraner im frühneuzeitlichen Hamburg. Katholische Seelsorge im Norden des Alten Reichs zwischen Konversionen, Konfessionskonflik- ten und interkonfessionellen Kontakten Von M a r k u s F r i e d r i c h ............................................................................. 1 Vom Speersort zum Universitätscampus. Gebäude der Staats- und Universitäts- bibliothek Hamburg Von G e r d R ö n d i g s ..................................................................................... 79 Zerstörung einer Welt. Ausgrenzung, Entrechtung und Ermordung der jüdi- schen Familie Hammerschlag im „Dritten Reich“ Von M a g d a T h i e r l i n g ............................................................................... 121 „Eine wirkliche Freundschaft“? Die asymmetrische Beziehung zwischen dem Politiker Helmut Schmidt und dem Unternehmer und Stifter Kurt A. Kör- ber Von J o s e f S c h m i d ....................................................................................... 155 Rezensionen und Hinweise Allgemeine und politische Geschichte .................................................................. 187 Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Sportgeschichte ............................................ 242 Rechtsgeschichte ..................................................................................................... 271 Architekturgeschichte ............................................................................................. 285 Religionsgeschichte ................................................................................................. 309 Geistes-, Wissenschafts- und Kulturgeschichte ................................................... 318 Kunstgeschichte ...................................................................................................... 367 Musikgeschichte ...................................................................................................... 391 Geschichte einzelner Stadtteile und Nachbarorte ............................................... 402 Ausgewählte historische Belletristik ..................................................................... 414 Literaturhinweise und eingegangene Bücher ....................................................... 423 Rezensierte Veröffentlichungen ............................................................................. 435
Bildnachweis: Föderaler Öffentlicher Dienst Sozialsicherheit – Generaldirektion Kriegsopfer, Abteilung Archiv und Dokumentation, Brüssel: Thierling, Abb. 3 Generalstaatsarchiv Belgien, Brüssel: Thierling, Abb. 1 Helmut Schmidt-Archiv, Hamburg: Schmid, Abb. 4 Körber-Stiftung/Körber AG: Schmid, Abb. 1 und 5 Presse- und Informationsamt der Bundesregierung – Bundesbildstelle: Schmid, Abb. 2, 3 und 6 Privatbesitz Renée Klish, Alexandria/Virginia, USA: Thierling, Abb. 2 Staatsarchiv Hamburg: Thierling, Abb. 4 Magda Thierling: Thierling, Abb. 5 Ansichten und Baurisse der neuen Gebäude für Hamburgs öffentliche Bildungsanstalten. Hg. von Johann Georg Christian Lehmann und Christian Petersen. Hamburg 1840, Tab. I, II, V, VI, VII: Röndigs, Abb. 1-5 Werner Kayser: 500 Jahre wissenschaftliche Bibliothek in Hamburg 1479-1979. Von der Ratsbücherei zur Staats- und Universitätsbibliothek. Hamburg 1979, Abb. 60: Röndigs, Abb. 6 Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek: 1. Bericht, umfassend die Zeit vom 1. Januar 1917 bis zum 31. März 1927. Erstattet von dem Direktor Prof. Dr. Gustav Wahl. Hamburg 1928, Tafel 3, 5, 6: Röndigs, Abb. 7-9 Die Universität Hamburg. [Verantwortlich für den redaktionellen Teil: Heinrich Sieveking.] Düsseldorf [ca. 1930], S. 25: Röndigs, Abb. 10 Wilhelm-Gymnasium Hamburg 1881-1956. [Zusammengestellt und hg. von Franz Bömer.] Hamburg 1956, Tafel II: Röndigs, Abb. 11 Architektenbüros Dr. Schween und Partner, Hamburg: Röndigs, Abb. 12 und 14 Der Wiederaufbau der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg. Jahresbericht 13/17 für 1957/61. Hamburg 1963, Tafel I: Röndigs, Abb. 13
Redaktion des Aufsatzteils: Dr. Dirk Brietzke, Prof. Dr. Rainer Nicolaysen Autorinnen und Autoren des Aufsatzteils: Prof. Dr. Markus Friedrich Universität Hamburg Fakultät für Geisteswissenschaften Fachbereich Geschichte Überseering 35 #5 22297 Hamburg markus.friedrich@uni-hamburg.de Dr. Gerd Röndigs c/o Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg – Carl von Ossietzky Von-Melle-Park 3 20146 Hamburg gerd.roendigs@sub.uni-hamburg.de Dr. Josef Schmid Barnerstraße 43 22765 Hamburg josef.schmid1@freenet.de Magda Thierling Ostpreußenstraße 2a 34359 Reinhardshagen magda.thierling@rhgmail.de
Redaktion des Besprechungsteils: Dr. Angela Graf und Prof. Dr. Franklin Kopitzsch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Besprechungsteils Augner, Dr. Gerd 271–280 Bachmann, Dr. Sarah A. 280–282, 330–332 Behrens, Dr. Reinhard, Staatsrat a.D. 256–258 Beleites, Jörg 293–296 Berlin, Dr. Jörg 332–343, 353–357 Bissinger, Manfred 361–363 Boehlke, Fabian 219–221, 248–250 Brede, Ale- xander 260–262, 386–388, 406f. Bresciani, Francesco 377–380 Cassel, Dr. Tim 267– 269 Denecke, Wulf 385f., 390f. Eigenmann, Dr. Susanne 364–367 Fischer, Prof. Dr. Manfred F. 296–300 Fischer, Prof. Dr. Norbert 224f. Fischer, Dr. Ole 312–314 Flitner, Dr. Hugbert 347–350 Gleßmer, Dr. Uwe 303–306 Gossler, Dr. Claus 246f., 251f. Graf, Dr. Angela (AGr.) 384f., 416–418, 433f. Graßmann, Prof. Dr. Antjekathrin 242f., 309f. Gronemeyer, Prof. Dr. Horst 322f. Haberland, Dipl.-Ing. Kai 290f. Hagenah, Ulrich 324–326, 343–345 Hamann, Frauke 188–192, 351–353, 421–423 Hedrich, Dr. Markus 414–416 Heitmann, Dr. Bernhard 252–254, 367–377 Hennigs, Dipl.-Ing. Burkhard von 300–303, 407–409 Hilger, Prof. Dr. Marie-Elisabeth 310–312, 314f. Hirschfeld, Dipl.-Ing. Gerhard 285–290 Hoffmann, Gerd 306f. Holst, Friedhelm 398–402 Jaacks, Prof. Dr. Gisela 391–396 Kopitzsch, Prof. Dr. Franklin 318–320 Kopitzsch, Wolfgang, Polizeipräsident a.D. 226–228, 232f. Lehmann, Benet 203f. Lippke, Achim 315–318 Lock, Dr. Peter 234 Lorenz, Prof. Dr. Ina 243–246 Meiners, Dr. Werner 198–202 Merkel, Sebastian 388–390 Meyer, Anne Lena 412–414 Meyer, Dr. Beate 222–224 Meyer-Lenz, Dr. Johanna 216–219 Mürner, Hannes 202f. Nicolaysen, Prof. Dr. Rai- ner 292f., 357–361 Nottscheid, Dr. Mirko 208–211 Onken, William 402f. Ostersehlte, Dr. Christian 258–260, 264 Overhoff, Prof. Dr. Jürgen 327–330 Povijaã, Nicolli 187 Rath, Dr. Jürgen 255f. Reinking, J. 418–421 Reißmann, Volker 194–197, 264f. Rhein- hold-Farenholtz, Dr. Sabine 350f. Schaack, Dr. Thomas, Oberkirchenrat 228f. Schlot- tau, Dr. Klaus 409–412 Schröder, PD Dr. Dorothea 396–398 Schröder, Prof. Dr. Wilt Aden 345–347 Skrentny, Werner 213–216, 269–271 Smith, Dr. Ariane 192–194 Spie- kermann, Gerd 326f., 363f. Stahncke, Dr. Holmer 307–309, 380, 403f. Strenge, Hans- Peter, Staatsrat a.D. 265–267, 404–406 Strenge, Dr. Irene 283–285 Szodrzynski, Joachim 211–213, 229–232 Theis, Frederic 262–264 Timmann, Peter 320–322 War- zecha, Jasper 380–384 Weinke, Dr. Wilfried 234–242 Zimmermann, Dr. Gunnar B. 204–208.
„Eine wirkliche Freundschaft“? Die asymmetrische Beziehung zwischen dem Politiker Helmut Schmidt und dem Unternehmer und Stifter Kurt A. Körber Von Josef Schmid Am 23. Dezember 2018 wäre Helmut Schmidt (1918-2015), einer der bedeutendsten deutschen Politiker des 20. Jahrhunderts, 100 Jahre alt geworden. Schon zu seinen Lebzeiten entstanden zahlreiche Biografien, die unterschiedliche Facetten seines Lebens und Wirkens beleuchten. Seit seinem Tod am 10. November 2015 kamen mehrere Neuauflagen, aktualisierte und erweiterte Ausgaben sowie neue biografische Studien hinzu; weitere lebensgeschichtliche Würdigungen im Jubiläumsjahr sind angekündigt.1 So unterschiedlich die jeweiligen Perspektiven auf den Bundeskanzler a. D. sind, weisen sie doch nahezu alle auf einflussreiche „Weggefährten“ hin. Schmidt selbst hatte insofern die Fährte gelegt, als er in diversen öffentlichen Stellungnahmen die grundlegende Relevanz seiner vielfältigen freundschaftlichen Kontakte im In- und Ausland für den eigenen beruflichen Werdegang erwähnte.2 Allerdings steht die historische Aufarbeitung des personalen Netzwer- kes von Schmidt erst am Anfang. Im Mittelpunkt bisheriger Studien standen „Freundschaften“ mit politischen Amtsträgern.3 Dagegen fanden 1 Zuletzt erschien in der Reclam-Reihe „100 Seiten“ Meik Woyke: Helmut Schmidt. 100 Seiten. Stuttgart 2018. Außerdem bereiten mehrere Presseorgane ausführliche Würdigungen von Schmidts Lebenswerk anlässlich seines 100. Geburtstages vor. Eine umfassende Bibliografie der Werke von und Studien über Helmut Schmidt bietet mit über 14.000 Einträgen die Helmut-Schmidt-Univer- sität in Hamburg: https://ub.hsu-hh.de/helmut-schmidt-bibliografie [letzter Zugriff am 4.7.2018]. 2 Besonders Helmut Schmidt: Weggefährten. Erinnerungen und Reflexionen. Ber- lin 1996. 3 Vgl. u. a. Matthias Waechter: Helmut Schmidt und Valéry Giscard d’Estaing. Auf der Suche nach Stabilität in der Krise der 70er Jahre (Studien der Helmut-und- Loki-Schmidt-Stiftung, Bd. 6). Bremen 2011; Gunter Hofmann: Willy Brandt und Helmut Schmidt. Geschichte einer schwierigen Freundschaft. München 2012.
156 Josef Schmid jene, die eher privat angesiedelt schienen, weniger Aufmerksamkeit. Dabei stützt eine 2014 publizierte Monografie über die Freundschaft zwischen Helmut Schmidt und dem Schriftsteller Siegfried Lenz die Ver- mutung, dass Beziehungen zwischen zwei Persönlichkeiten der Zeit- geschichte immer auch historische Bedeutung aufweisen und insofern nur bedingt als private Verbindung zu interpretieren sind. Zudem gewähren solche Untersuchungen Einblicke in persönliche Motive der Beteiligten, die das jeweilige politische Verhalten mit erklären.4 Besonders gilt dies, wenn es sich um Freundschaften zwischen Unter- nehmern und Politikern handelt, da hier die viel diskutierte Frage nach dem Verhältnis von wirtschaftlicher und politischer Macht tangiert ist. Wiederholt waren solche Beziehungen Gegenstand öffentlicher Diskus- sionen über angebliche oder tatsächliche Vorteilsnahmen von Politikern. Für manchen Spitzenpolitiker brachte allein ein solcher Verdacht das vorzeitige Karriereaus.5 Wenngleich Schmidt in dieser Hinsicht zeitlebens einen tadellosen Ruf genoss, ist bisher doch erstaunlich wenig über seine freundschaftlichen Kontakte zu Wirtschaftsführern bekannt geworden.6 4 Jörg Magenau: Schmidt – Lenz. Geschichte einer Freundschaft. Hamburg 2014; dazu die Rezension von Jochen Hieber: Helmut Schmidt und Siegfried Lenz sind Freunde. Der Band, der ihre geteilte Geschichte erzählt, ist ein Loblied auf beide, auf die Literatur und die Staatskunst. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 4.10.2014, S. L 12. 5 Prominentestes Beispiel ist hier wohl die Affäre um den früheren Bundespräsi- denten Christian Wulff, der in der Folge derartiger Vorwürfe nach weniger als zwei Jahren Amtsdauer zurücktrat. Zu diesem von Beginn an umstrittenen Vor- gang vgl. Nikolaus Harbusch/Martin Heidemanns: Affäre Wulff. Bundespräsi- dent für 598 Tage – die Geschichte eines Scheiterns. Berlin 2012; Michael Göt- schenberg: Der böse Wulff? Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien. Kulbach 2013. Ein weiteres bekanntes Beispiel ist der Rücktritt von Lothar Späth als Ministerpräsident von Baden-Württemberg 1991, nachdem ihm Vorteilsnahme bei Ferienreisen vorgeworfen worden war. Vgl. Martin Born/ Benno Bertsch: Die Maultaschen-Connection. Die außerparlamentarische Wirt- schaftspolitik der CDU in Baden-Württemberg. Göttingen 1992, S. 24-93. 6 Gerade in der emotional aufgeladenen Debatte um Wulff diente Helmut Schmidt zuweilen als ein leuchtendes Gegenbeispiel: „Nein, niemand muss sich beschen- ken lassen. Auch ein Politiker ist Herr über die eigene Käuflichkeit. Vorbilder wie Helmut Schmidt oder Hans-Jochen Vogel kamen zeitlebens ohne anrüchige Hauskäufe oder Ferienreisen aus“, kritisierte Hans-Jürgen Jakobs Ende 2011 in der „Süddeutschen Zeitung“ den damaligen Bundespräsidenten. Worauf er Schmidts Vorbildfunktion stützt, führt Jakobs nicht aus. Dies ist insofern erstaunlich, als über Geschenke an Schmidt bis in die Gegenwart öffentlich berichtet wird. Auch Schmidt selbst ging mit dieser Frage offen um. Hans-Jürgen Jakobs: Gefährliche Funkstille. In: Süddeutsche Zeitung vom 27.12.2011, S. 4;
„Eine wirkliche Freundschaft“? 157 Dies ist eine erhebliche Forschungslücke, da wissenschaftliche Studien jenseits von stets auch zeitgebundenen Skandalisierungen den grund- sätzlichen Einfluss solcher personaler Beziehungen auf politische Ent- wicklungen belegen.7 Der international erfolgreiche Unternehmer und Stifter Kurt A. Kör- ber (1909-1992) gehörte zweifelsfrei zum engsten Freundeskreis von Hel- mut Schmidt. „Für Loki und mich ist der Tod von Kurt A. Körber ein Schock und ein sehr schwerer persönlicher Verlust. Wir waren mehr als 30 Jahre eng befreundet“, schrieb Schmidt am 11. August 1992 im „Ham- burger Abendblatt“ über sein Verhältnis zum tags zuvor verstorbenen Körber.8 Bei vielen weiteren Gelegenheiten bekräftigte der Politiker, dass Körber für ihn ein naher Freund war und zu der überschaubaren Zahl an Menschen gehörte, mit denen er sich „ganz unhamburgisch“ duzte.9 Ähnlich wie mit Lenz habe Schmidt und Körber „eine wirkliche Freund- schaft“ verbunden; sie sei keine gewesen, die Schmidt – was bei Politikern aus Opportunitätsgründen oft vorkomme – nur so genannt habe, bestätigen mehrere Biografen des Politikers.10 Allerdings widmen sie sich dieser personalen Beziehung nur fragmentarisch. Die Frage, worauf sie basierte und wie sie sich entwickelte, beantworten sie nicht. Dies soll erstmals mit der nachfolgenden historischen Skizze des amikalen Verhältnisses von Schmidt und Körber versucht werden. Hamburger Abendblatt Online, 30.9.2017, https://www.abendblatt.de/hamburg/ article212095019/Auktion-mit-Schaetzen-von-Helmut-Schmidt.html [letzter Zugriff am 25.5.2018]. 7 Ein jüngstes Beispiel hierfür ist die Dissertation von Volker Köhler: Genossen – Freunde – Junker. Die Mikropolitik personaler Beziehungen im politischen Han- deln der Weimarer Republik. Göttingen 2018. 8 Helmut Schmidt: Was er machte, es gelang. In: Hamburger Abendblatt vom 11.8.1992, S. 3. 9 Helmut Schmidt-Archiv (HSA), Hamburg, 588, EA, 14.8.1992, Nr. 10, Broschü- re Trauerfeier für Herrn Dr. h.c. Kurt A. Körber, Ehrenbürger der Freien und Hansestadt Hamburg, im Hamburger Rathaus am Freitag, dem 14. August 1992, um 11 Uhr, darin, S. 6-13, Trauerrede des Bundeskanzlers a. D. Helmut Schmidt, Zitat S. 6. Siehe auch Schmidt: Weggefährten (wie Anm. 2), S. 25 und 543-548; ders.: Vorwort. In: Josef Schmid/Dirk Wegner: Kurt A. Körber. Annäherungen an einen Stifter. Hamburg 2002, S. 9-11, hier S. 11. 10 Michael Schwelien: Helmut Schmidt. Ein Leben für den Frieden. Hamburg 2003, Zitat S. 176. Vgl. Thomas Karlauf: Helmut Schmidt. Die späten Jahre. München 2016, S. 103; Mainhardt von Nayhauß: Helmut Schmidt. Mensch und Macher. Bergisch Gladbach 1988, S. 132 f.; Hartmut Soell: Helmut Schmidt 1918-1969. Vernunft und Leidenschaft. München 2003, S. 648; ders.: Helmut Schmidt 1969 bis heute. Macht und Verantwortung. München 2008, S. 941.
158 Josef Schmid Dabei lassen unterschiedliche Charakterisierungen des Freundschafts- verhältnisses durch die beiden Protagonisten eine ungleiche Beziehung vermuten. Auf den dauerhaft guten und engen Kontakt verwies auch Körber, er zählte Schmidt „zu meinen ältesten Hamburger Freunden“ und fügte hinzu, dass für ihn der neun Jahre jüngere Schmidt ein wichtiger Ratgeber in politischen Fragen und in mehrfacher Hinsicht ein Vorbild gewesen sei. „Menschlich und politisch“ habe er sich von ihm von Anfang an „sehr angesprochen“ gefühlt.11 Zudem räumte der Unternehmer den Einfluss des Politikers auf eigene Handlungen und Initiativen ein, was die bisherige biografische Forschung stützt.12 Einen vergleichbaren Einfluss scheint es dagegen umgekehrt nicht gegeben zu haben. Schmidt selbst begründete seine Wertschätzung Körbers vorrangig mit dessen Leistungen als gemeinwohlorientierter Unternehmer und innovativer Stifter, wobei er ihn meistens in Zusammenhang mit anderen von ihm ähnlich wert- geschätzten „Weggefährten“ stellte.13 Nur selten führt er Beispiele an, die das auch enge private Verhältnis zum Unternehmer veranschaulichen.14 Hinzu kommt, dass Körber in einer ganzen Reihe von Biografien über Schmidt – im Unterschied etwa zu Lenz – nicht einmal erwähnt wird.15 Insofern soll mit den nachfolgenden Ausführungen auch geklärt werden, ob der „Duzfreund“ Körber für den Politiker Schmidt eine Bedeutung 11 Kurt A. Körber: Das Profit-Programm. Ein Unternehmer geht stiften. Hamburg 1992, S. 167-172, Zitate S. 167 f. 12 Schmid/Wegner (wie Anm. 9), S. 141 f. und 203; Hermann Schreiber: Kapitalist mit Gemeinsinn. Ein Essay über Kurt A. Körber. Hamburg 2009, S. 163, 186. 13 Schmidt verweist in seinem Erinnerungsband „Weggefährten“ zwar an mehreren Stellen auf die enge Freundschaft, widmet Körber aber – im Unterschied u. a. zu Siegfried Lenz – kein eigenes Kapitel. Als Stifter würdigt er Körber zwar ausführ- licher, aber auch hier im Kontext mit Alfred C. Toepfer. Schmidt: Weggefährten (wie Anm. 2), S. 539-548. Vgl. ders.: Neue Wege gewiesen. Zum Tode von Kurt A. Körber. In: Die Zeit vom 14.8.1992, S. 1; ders.: Kurt A. Körber. In: Die großen Stifter. Lebensbilder – Zeitbilder. Hg. von Joachim Fest. Berlin 1997, S. 457-466; ders.: Vorwort (wie Anm. 9). 14 So etwa in Schmidt: Weggefährten (wie Anm. 2), S. 547 f. 15 Vgl. u. a. Kristina Spohr: Helmut Schmidt. Der Weltkanzler. Darmstadt 2016; Gunter Hofmann: Helmut Schmidt. Soldat, Kanzler, Ikone. München 2015; Mar- tin Rupps: Helmut Schmidt. Politikverständnis und geistige Grundlagen. Bonn 1997; ders.: Helmut Schmidt. Mensch – Staatsmann – Moralist. Freiburg i. Br./ Basel/Wien 2008; ders.: Helmut Schmidt. Ein Jahrhundertleben. Grundlegend überarb. und erweiterte Neuausgabe. Freiburg i. Br./Basel/Wien 2013; ders.: Der Lotse. Helmut Schmidt und die Deutschen. Zürich 2015; Harald Steffahn: Hel- mut Schmidt. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek b. Hamburg 1990.
„Eine wirkliche Freundschaft“? 159 erlangt hat, die in der bisherigen Forschung zuweilen nur übersehen wurde. Interessenüberschneidungen in den 1960er Jahren Die persönlichen Erinnerungen an den Beginn des Kontaktes differieren. Kurt A. Körber zufolge lernten er und Helmut Schmidt sich bereits kennen, als dieser „noch ein kaum beachteter junger Abgeordneter war. Er kandidierte damals, Anfang der fünfziger Jahre, für die Hamburger Bürgerschaft [sic!], und da sein Wahlkreis in Hamburg-Bergedorf lag [sic!], wollte er auf einer Betriebsversammlung in den Hauni-Werken sprechen. Ich lehnte ab, zum Feierabend aber stand ein Raum zur Verfügung. Helmut Schmidt sprach, obwohl das Unternehmen damals schon ungefähr 500 Mitarbeiter zählte, vor nicht mehr als 30 Zuhörern, alle wohl – außer mir – treue Sozialdemokraten, die er nicht zu bekehren brauchte.“ An den Inhalt der Rede Schmidts könne er sich nicht mehr erinnern, „aber wie er es sagte, das war mitreißend, kraftvoll, scharf und, wie die Engländer sagen ‚to the point‘. Der Mann, der später im Parlament den Beinamen ‚Schmidt-Schnauze‘ bekam, ist ein begnadeter Redner. Sein Aufstieg war früh zu ahnen, denn sein scharfes und kämpferisches intellektuelles Temperament ist verbunden mit einem äußerst nüchternen Realitätssinn.“16 Trotz dieser angeblich frühen Wertschätzung und „Ahnung“ von Schmidts politischen Karrierechancen suchte Körber offenbar zunächst nicht die Nähe zum späteren Spitzenpolitiker. Im Fokus von Körbers Aufmerksamkeit standen in den 1950er Jahren Hamburgs langjähriger Erster Bürgermeister Max Brauer und andere hochrangige Lokalpolitiker.17 Helmut Schmidt erinnerte sich später nicht mehr an die von Körber geschilderte erste Begegnung. Sein Wahlkreis für den Deutschen Bundestag lag damals auch noch nicht in Hamburg-Bergedorf, sondern in Hamburg- Nord.18 Schmidt war der Name des Bergedorfer Unternehmers Körber nach eigener Aussage zwar früh ein Begriff geworden, er habe ihn aber erst bei offiziellen Anlässen Ende der 1950er, Anfang der 1960er Jahre 16 Körber: Profit-Programm (wie Anm. 11), S. 167. 17 Schmid/Wegner (wie Anm. 9), S. 48-76. 18 Für die Hamburgische Bürgerschaft kandidierte Schmidt nie. Vgl. Rupps: Jahr- hundertleben (wie Anm. 15), S. 98-113.
160 Josef Schmid persönlich wahrgenommen.19 Hannelore („Loki“) Schmidt, die Körber nach eigener Erinnerung auf einer gemeinsamen Schifffahrt nach Helgo- land „zwischen 1961 und 1965“ kennenlernte, bestätigte später, dass sich ein intensiverer Kontakt zwischen Körber und ihrem Mann erst entwickelt habe, als dieser Innensenator (1961-1965) in Hamburg gewesen sei.20 Zu diesem Zeitpunkt hatten Schmidt und Körber also bereits wichtige berufliche Karriereschritte hinter sich. Helmut Schmidt stammte aus einem kleinbürgerlichen Elternhaus. Seinem Vater war als Studienrat der soziale Aufstieg gelungen. Er ließ Sohn Helmut die reformpädagogische Lichtwarkschule in Hamburg besuchen, die dieser 1937 mit dem Abitur abschloss. „Über Politik wurde mit Schmidt zu Hause nicht gesprochen. Den Zweiten Weltkrieg durchlebte er als Wehrmachtsoffizier an der Front und im Reichsluft- fahrtministerium, wo er – trotz frühzeitig vorhandener und wachsender Zweifel – dem verbrecherischen NS-Regime diente.“21 Dieses Verhalten sollte Schmidt später Kritik einbringen.22 Nach dem Krieg studierte er Volkswirtschaftslehre und machte 1949 sein Diplom. Zudem engagierte er sich ab 1945 in der SPD mit dem Ziel, gesellschaftliche Reformen durchzusetzen. 1953 zog er erstmals in den Deutschen Bundestag ein. Dort erwarb er sich fraktionsübergreifend einen Ruf als Experte für Verkehrs-, später besonders für Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. Parallel profilierte Schmidt sich in der Öffentlichkeit als ein Politiker, der durch eigenständiges Denken und Handeln, auch in innerparteilichen Auseinandersetzungen, auffiel. Er zeigte Bereitschaft, in schwierigen Krisensituationen Verantwortung zu übernehmen. Erst etwa zwei Monate als Polizeisenator in Hamburg im Amt, erlangte Schmidt bundesweite Reputation durch sein als tatkräftig wahrgenommenes Engagement bei 19 So die Äußerung Helmut Schmidts am 7. Juni 2006 am Rande eines Interviews, das der Verfasser über dessen Erfahrungen mit dem „Bergedorfer Gesprächs- kreis“ geführt hat. Eine Abschrift des Interviews inklusive Anmerkungen des Verfassers mit Notizen zu den „Randbemerkungen“ Schmidts befindet sich im Körber-Archiv, Archiv der Körber-Stiftung/Hamburg (KöA), Vorstandsarchiv (VA). 20 KöA, VA, Interview des Verfassers mit Loki Schmidt, 28.11.2000, Ms., 20 Seiten, S. 1 f.; Helmut Schmidt war ab Dezember 1961 Polizeisenator und von Juni 1962 bis Dezember 1965 Innensenator in Hamburg. 21 Meik Woyke: Zum Gedenken an Helmut Schmidt (1918-2015). In: Deutschland Archiv, 23.12.2015, www.bpb.de/217820 [letzter Zugriff am 4.7.2018]. 22 Vor allem ausgelöst durch Sabine Pamperrien: Helmut Schmidt und der Scheiß- krieg. Die Biografie 1918 bis 1945. München/Zürich 2014.
„Eine wirkliche Freundschaft“? 161 der Flutkatastrophe Mitte Februar 1962.23 Wenige Monate später übernahm er die Leitung der von ihm initiierten „Behörde für Inneres und Sport“ in Hamburg, in der die örtliche Polizeibehörde aufging. Schmidts beruflicher Ehrgeiz war damit aber erkennbar nicht gestillt.24 Der 1909 in Berlin geborene Kurt A. Körber war der Sohn eines aus einfachen Verhältnissen stammenden Technikers, der sich in den 1920er Jahren bei einem sächsischen Motorrad- und Automobilhersteller in eine leitende Position hochgearbeitet hatte. Körber besuchte damals eine Handelsschule und absolvierte eine Ausbildung zum Elektrotechniker. Als im Herbst 1929 eine weltweite wirtschaftliche Depression einsetzte, brach Körber sein kurz zuvor begonnenes Ingenieurstudium ab und nahm eine Beschäftigung in Berlin auf. Anders als bei Schmidts war Politik in der Familie Körber früh Gesprächsgegenstand. Körbers Mutter, zu der er nach eigenem Bekunden eine besonders enge Beziehung hatte, sympathisierte mit den radikaldemokratischen Ideen Rosa Luxemburgs. 1935 wechselte Körber in eine Dresdner Zigarettenmaschinenfabrik, die sich wenig später auch in der Rüstungswirtschaft engagierte. Körber machte dort Karriere und stieg 1944 zum Technischen Direktor auf. Sein teilweise opportunistisches Verhalten während des Zweiten Weltkrieges brachte ihm schon in den 1960er Jahren Kritik ein, die in jüngster Zeit wieder neu entflammt ist.25 1946 gründete Körber in Hamburg-Bergedorf die Firma Hauni. Diese errang in den 1950er Jahren national eine monopolartige und weltweit eine dominante Position in der Produktion von Filterzigarettenmaschinen.26 Körber wurde dadurch zum mehrfachen Millionär, der privat – ähnlich wie Schmidt – einen vergleichsweise bescheidenen Lebensstil pflegte. Einen Teil seines Vermögens wollte er, 23 Vgl. u. a. Ronald D. Gerste: Wie das Wetter Geschichte macht. Katastrophen und Klimawandel von der Antike bis heute. Stuttgart 2015, S. 247-256; mit kritischen Anmerkungen zum Engagement von Schmidt siehe auch Helmut Stubbe da Luz: Große Katastrophen in Hamburg. Menschliches Versagen in der Geschichte – wehrhafte Stadtentwicklung für die Zukunft? Begleitband zur Ausstellung in der Bibliothek der Helmut-Schmidt-Universität, 10. April bis 31. Juli 2018. Ham- burg 2018, S. 99-153. 24 Vgl. Soell: Schmidt 1918-1969 (wie Anm. 10), S. 377-393; Spohr (wie Anm. 15), S. 14 f. 25 Josef Schmid/Frank Bajohr: Gewöhnlicher unternehmerischer Opportunismus? Kurt A. Körber und die Dresdner „Universelle“ im Nationalsozialismus. In: Zeitgeschichte in Hamburg 2011. Hg. von der Forschungsstelle für Zeitgeschich- te in Hamburg. Hamburg 2012, S. 73-101; Die Kurt-A.-Körber-Chaussee darf bleiben, aber… In: Bergedorfer Zeitung vom 22.7.2017, S. 18. 26 Vgl. Schmid/Wegner (wie Anm. 9), S. 65-76.
162 Josef Schmid nicht zuletzt zur Steigerung des eigenen Ansehens, dem öffentlichen Wohl zugutekommen lassen. Mit der Gründung der Kurt A. Körber- Stiftung 1959, einer Vorläuferin der heutigen Körber-Stiftung, hatte er diesen Bestrebungen einen ersten Rahmen gegeben. Ab den 1960er Jahren weitete er seine stifterischen Initiativen stark aus.27 Vor diesem Hintergrund kam im Miteinander von Schmidt und Körber zunächst gemeinsamen Interessen wie jenem für Musik, speziell für Musiktheater und Oper, eine verbindende Rolle zu. Körber hatte bereits in den 1950er Jahren mit der Förderung kultureller Einrichtungen in Hamburg begonnen und gehörte 1960 zum Kreis derjenigen, die die Stiftung zur Förderung der Hamburgischen Staatsoper gründeten. Für Schmidt, der bei der Bundestagswahl 1961 nicht mehr kandidierte, um sich auf die Landespolitik zu konzentrieren, endete damit bis auf Weiteres die zeitaufwendige Pendelei zwischen Bonn und Hamburg. Dies ermög- lichte ihm nach eigener Aussage, sich wieder stärker seiner musikalischen Neigung zuzuwenden. Parallel baute er zu immer mehr Förderern seiner Heimatstadt, wenngleich in sehr unterschiedlicher Intensität, direkte Kontakte auf.28 Dabei mehrten sich auch seine Begegnungen mit Körber. Dessen vielfältiges Engagement für Hamburgs Kultur imponierte Schmidt nach eigener Aussage, und zwar vor allem deshalb, weil Körber nicht nur traditionell mäzenatisch, sondern „an-stifterisch“ tätig wurde, d. h., er versuchte bewusst Nachahmung zu provozieren. Schmidt erkannte darin nach eigener Aussage eine innovative Fortentwicklung des Stiftungs- gedankens.29 Körber engagierte sich u. a. dauerhaft für die Hamburgische Staatsoper, was Schmidt später gern als prominentes Beispiel für den seiner Meinung nach vorbildlichen Stifter Körber anführte.30 Ab Mitte der 1960er Jahre verabredeten sich die Ehepaare Schmidt und Körber – vermutlich auf Kurt A. Körbers Anregung – zu gemeinsamen Opernbesuchen. Solche Unternehmungen sollten, wenngleich zeitweilig mit größeren Abständen, bis zu Körbers Tod ein verbindendes Element bleiben. Der langjährige Intendant der Hamburgischen Staatsoper Rolf Liebermann wurde später ein gemeinsamer „Freund“ von Kurt A. Körber und Helmut Schmidt.31 Zudem regte Körber bisweilen an, sich 27 Ebd., S. 172-225. 28 Vgl. Schmidt: Weggefährten (wie Anm. 2), besonders S. 523-558. 29 Schmidt: Vorwort (wie Anm. 9), S. 10. 30 Wie Anm. 13. 31 Helmut Schmidt war sich später unsicher, ob er Liebermann über Körber oder über Karl Klasen kennengelernt hatte. Loki Schmidt und Körber saßen ab Mitte der 1970er Jahre gemeinsam im Kuratorium zur Förderung der Hamburgischen
„Eine wirkliche Freundschaft“? 163 vor dem Kulturgenuss zum gemeinsamen Abendessen zu treffen, um sich auszutauschen. Themen waren oft stifterische Initiativen Körbers.32 In den ersten Jahren blieben die Kontakte der Ehepaare Körber und Schmidt auf solche Begegnungen im öffentlichen Rahmen begrenzt. Körbers Frau Anna-Katharina („Anni“) hielt sich bei den vielfältigen gesellschaftlichen Kontakten ihres Mannes grundsätzlich im Hintergrund und mied eher öffentliche Auftritte; so sollte es auch mit Blick auf das Ehepaar Schmidt bleiben.33 Loki Schmidt war ein anderer Charakter, zwischen ihr und Körber entstand später eine eigenständige freund- schaftliche Verbindung, aus der gemeinsame Projekte hervorgehen sollten. Ein Kontakt beider Schmidts zu Kurt A. Körber, der dann auch zunehmend Begegnungen im rein privaten Rahmen umfasste, entstand nach einer gemeinsamen Kreuzfahrt nach Madeira zum Jahreswechsel 1967/68.34 Zuvor war es bereits zu einem engen Arbeitskontakt zwischen Helmut Schmidt und Kurt A. Körber infolge der Mitwirkung des Innensenators am „Bergedorfer Gesprächskreis“ gekommen. Idee und Ausgestaltung des 1961 ins Leben gerufenen Gesprächskreises waren nicht Körbers Verdienst gewesen, sondern das von Vertrauten wie dem langjährigen Rektor der Universität Nürnberg-Erlangen Prof. Friedrich-Wilhelm Schoberth und dem Hauni-Betriebssoziologen Gerhard Böhme. Körber bemängelte bald eine zu geringe öffentliche Wirkung der Tagungen. Auf seine Initiative hin veranstaltete der Kreis mit ausgewählten Teilnehmern zeitweilig ein öffentliches „Forumsgespräch“, um den Treffen zu größerer Staatsoper. Schmidt: Weggefährten (wie Anm. 2), S. 44; zum diesbezüglichen Engagement Körbers vgl. Schmid/Wegner (wie Anm. 9), S. 190-193. 32 Friedrich-Ebert-Stiftung, Helmut-Schmidt-Archiv im Archiv der sozialen Demokratie/Bonn (FES, HSA), A005363, Kurt A. Körber an Helmut Schmidt am 7.2.1968. Im Mittelpunkt standen damals das Engagement Schmidts für den „Bergedorfer Gesprächskreis“ und gemeinsame Aktivitäten für die Bildungspoli- tik. 33 Erst viele Jahre später entstand zwischen Anni Körber und Loki Schmidt eine etwas größere Nähe, die sich auf gelegentliche Korrespondenz und den rein pri- vaten Rahmen beschränkte; HSA, Hamburg, Hannelore Schmidt, Korr. 1978/189, Km-Kz. 34 KöA, VA, Interview des Verfassers mit Loki Schmidt, 28.11.2000, Ms., 20 Seiten, S. 1 f. Zur Kreuzfahrt nach Madeira vgl. Schreiber (wie Anm. 12), S. 111-113. Körber lud anschließend mehrere Hamburger Teilnehmer inklusive des Ehepaars Schmidt in sein Privathaus am Tegernsee zur „Film- und Photo-HANSEATIC- KREUZFAHRT-NACHLESE“ ein; KöA, Bergedorfer Gesprächskreis (BG) 29/1968, Kurt A. Körber an Helmut Schmidt am 7.2.1968.
164 Josef Schmid Aufmerksamkeit zu verhelfen. Schmidt gehörte schon bei seiner ersten Teilnahme im Mai 1964 zu jenen, die den anwesenden Medienvertretern pointiert ihre Perspektive auf das Tagungsthema „Wohin Deutschland in Europa?“ darlegten. Weitere vergleichbare Auftritte Schmidts sollten später folgen. So bot der Gesprächskreis dem „Meister der Selbstinsze- nierung“ eine Bühne, um seinen früh bewussten und aktiven Umgang mit Medien und medialer Öffentlichkeit weiter zu perfektionieren.35 Aller- dings blieb die mediale Wirkung des Gesprächskreises zunächst noch auf die Fachwelt und regional begrenzt.36 Abb. 1: Von links: Carl Friedrich von Weizsäcker, Edgar Salin, Helmut Schmidt und Kurt A. Körber unterhalten sich einer Pause des 24. Bergedorfer Gesprächskreises 1966. 35 Der Mann in Hut und Mantel. In: Zeit-Online, 16.11.2015, https://www.zeit. de/2015/46/helmut-schmidt-nachruf-stilikone-selbstinszenierung [letzter Zu- griff am 17.3.2018]. Zu Schmidts Umgang mit den Medien vgl. Astrid Zipfel: Der Macher und die Medien. Helmut Schmidts politische Öffentlichkeitsarbeit. Tübingen/Stuttgart/Heidelberg 2005; Thomas Birkner: Mann des gedruckten Wortes. Helmut Schmidt und die Medien (Studien der Helmut-und-Loki- Schmidt-Stiftung, Bd. 10). Bremen 2014. 36 FES, HSA, A005137, Korrespondenz Schmidt-Bergedorfer Gesprächskreis (Böhme), März-Mai 1964.
„Eine wirkliche Freundschaft“? 165 Damals dominierte in der Initiative die innenpolitische oder zumindest deutsche Perspektive, was Schmidt später bemängelte: „Der Bergedorfer Gesprächskreis war […] von vornherein so angelegt, dass er internationale Beteiligung vorsah, was aber erst so nach und nach umgesetzt wurde.“37 Wie wenig Körber zu Beginn in solchen politischen Kategorien dachte, illustriert die Tatsache, dass er den Gesprächskreis zunächst als PR-Maßnahme der Hauni steuerlich absetzte und ihn erst nach einigen Jahren als reine Stiftungsinitiative führte.38 Er machte sie sich aber bald mit hohem persönlichen Engagement zu eigen, förderte bewusst ihre internationale Ausrichtung und nannte sie später sogar stolz seine „beste Erfindung“.39 Anfangs lief der Kontakt zwischen „Bergedorfer Gesprächskreis“ und Helmut Schmidt über den Organisator der Tagungen Gerhard Böhme und dessen Mitarbeiter Horst Rödinger. Doch spätestens ab 1966 war der Umgang mit Helmut Schmidt „Chefsache“, und die bilaterale Kom- munikation lag fortan fast ausnahmslos bei Körber.40 „Der Bergedorfer Gesprächskreis war für mich einer von vielen Gesprächskreisen, in denen ich viel dazu gelernt habe“, erinnerte sich Helmut Schmidt später.41 Sein Interesse am Bergedorfer Kreis wuchs offenkundig, als dieser sich ganz in seinem Sinn stärker international auszurichten begann, und zwar zunächst über den „Eisernen Vorhang“ hinweg. Der spätere „Weltkanzler“ Schmidt (Kristina Spohr) hatte bereits früh seine Ambitionen, auf der internatio- nalen politischen Bühne tätig zu werden, deutlich werden lassen: „In den 60er Jahren veröffentlichte er zwei Bestseller über militärische Strategie und Verteidigungsfragen, die jeweils ins Englische übersetzt wurden und 37 KöA, VA, Interview des Verfassers mit Helmut Schmidt, 7.6.2006, Ms., 8 Seiten, S. 2; vgl. Schmid/Wegner (wie Anm. 9), S. 137 f.; Josef Schmid: 50 Jahre Reden ist Handeln (Bergedorfer Gesprächskreis). In: KörberWorld. Das Magazin der Kör- ber AG 17 (2011), H. 2, S. 48-50, hier S. 48. 38 Schmid/Wegner (wie Anm. 9), S. 144. 39 Zitiert nach Schmid: Reden ist Handeln (wie Anm. 37), S. 48. 40 KöA, VA, Josef Schmid: Kommentar zum Aktenbestand „Bergedorfer Gesprächs- kreis“, Ms., 161 Seiten, Hamburg 2005, S. 60. Vgl. den alphabetisch geordneten Schriftwechsel im Bestand „Helmut-Schmidt-Archiv“ in der Friedrich-Ebert- Stiftung: Dort sind Schriftwechsel Schmidts zum „Bergedorfer Gesprächskreis“ für 1964/65 nur via Böhme/Rödinger dokumentiert (FES, HSA, A005137). Ab 1966 lief die einschlägige Korrespondenz Schmidts nur noch partiell über Böh- me/Rödinger und zunehmend über Körber (FES, HSA, A005413 und A005363). 41 KöA, VA, Interview des Verfassers mit Helmut Schmidt, 7.6.2006, Ms., 8 Seiten, S. 1.
166 Josef Schmid ihm auf beiden Seiten des Atlantiks den Ruf eines Verteidigungs-Intellek- tuellen einbrachten.“42 Körber war ökonomisch längst international ausgerichtet. Schon kurz nach der Gründung seiner Firma 1946 hatte er den Weltmarkt in den Blick genommen und begonnen, internationale Kontakte zu knüpfen. Spätestens mit der Errichtung der Hauni-Filiale in Richmond/Virginia, USA, 1955 war sein Unternehmen als Global Player gefestigt. Ab Anfang der 1960er Jahre nutzte Körber verstärkt Gelegenheiten, mit osteuro- päischen Vertretern ins Gespräch zu kommen. In der Folge schloss die Hauni erste wichtige Verträge für unternehmerische Aktivitäten in ost- europäischen Ländern ab. Aber Körbers Interesse an Osteuropa reduzierte sich nicht auf wirt- schaftliche Fragen. So gehörte er 1966 zu den Gastgebern eines hochrangig besetzten deutsch-sowjetischen Gespräches in Hamburg. Im April 1967 folgte er einer Einladung des „Sowjetischen Komitees zum Schutz des Friedens“, zusammen mit 20 namhaften westdeutschen Wissenschaftlern, Gewerkschaftern, Theologen und Journalisten im Rahmen einer „Studien- reise“ die Sowjetunion zu erkunden. Körber schilderte anschließend in einer von ihm selbst herausgegebenen Broschüre seine Reiseeindrücke. Ein sachkundiger SPD-Bundestagsabgeordneter charakterisierte sie damals als eine Mischung aus vorurteilsfreier Offenheit gegenüber den sowjetischen Gastgebern und politischer Naivität.43 Helmut Schmidt attestierte Körber später, er sei zeitlebens „politisch ein bisschen naiv, aber sehr interessiert und sehr engagiert“ geblieben.44 Parallel begann Körber mit dem „Bergedorfer Gesprächskreis“ auszuloten, inwieweit Gespräche über den „Eisernen Vorhang“ hinweg möglich wären. Im Rahmen dieses „ostpolitischen Engagements“ Kör- bers, das ihm später den Ruf eines Unterstützers der sozialdemokrati- schen „Neuen Ostpolitik“ einbrachte, avancierte Schmidt zu seinem wichtigsten politischen Ratgeber.45 Körber informierte Schmidt, der inzwischen wieder in den Bundestag nach Bonn gewechselt war und dort ab 1967 als Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion fungierte, bald 42 Spohr (wie Anm. 15), S. 14; vgl. Soell: Schmidt 1918-1969 (wie Anm. 10), S. 516- 549. 43 So der später erste sozialdemokratische Bundesfinanzminister Alexander Möller. Schmid/Wegner (wie Anm. 9), S. 155. 44 KöA, VA, Interview des Verfassers mit Helmut Schmidt, 7.6.2006, Ms., 8 Seiten, S. 7. 45 Zur „Neuen Ostpolitik“ vgl. etwa Ulrich Herbert: Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert. München 2014, S. 867-876.
„Eine wirkliche Freundschaft“? 167 über alle wichtigen privaten und stifterischen Aktivitäten, die er mit Blick auf einen Austausch mit osteuropäischen Nachbarn entwickelte. Immer öfter bat er vorab um dessen Meinung. Schmidt war ein kritisch- solidarischer Ratgeber, da er, wie er später betonte, Körber als „auf dem außenpolitischen Felde nicht sonderlich erfahren, aber von seinem Grundverständnis her […] auf Austausch und Ausgleich bedacht“ einstufte.46 Im Vorfeld der ersten Ost-West-Tagung des „Bergedorfer Gesprächs- kreises“ zum Thema „Fördern die Bündnissysteme die Sicherheit Euro- pas?“ am 24./25. März 1968 stimmte Körber erstmals auch die Teilneh- merliste mit Schmidt ab. Dieser sparte nicht mit kritischen Einwänden gegenüber vorgesehenen westlichen Teilnehmern, die ihm politisch als zu „links“ oder zu wenig „realpolitisch“ orientiert erschienen.47 Körber ging damals wiederholt sehr unbefangen mit Vertretern unterschiedlicher politischer Couleur um, hörte aber in solchen Fragen auf Vertraute. Schmidt, der an diesem mit mehreren prominenten Teilnehmern aus Ost und West besetzten Gesprächskreis persönlich teilnahm, wollte mit seinen Hinweisen im Vorfeld offenkundig verhindern, dass ein aus seiner Sicht falsches politisches Signal in die Welt gesendet wurde. Er war sich hier einig mit anderen wichtigen Beratern des Gesprächskreises und auf der Tagung dann auch mit der deutlichen Mehrheit der westdeutschen Teilnehmer. Die Diskussion wurde hart geführt und die politischen Standpunkte zwischen Ost und West blieben konträr. Schmidt stellte unmissverständlich klar, dass ein Herauslösen der USA aus dem euro- päischen Sicherheitssystem, wie es die Sowjetunion anstrebte, für die Bundesrepublik Deutschland nicht infrage komme. Im anschließend großen internationalen Medienecho erhielten die pointierten Aussagen Schmidts die größte Aufmerksamkeit, wobei die sowjetische Presse seine Stellungnahmen als „unfasslich“ kritisierte.48 46 KöA, VA, Interview des Verfassers mit Helmut Schmidt, 7.6.2006, Ms., 8 Seiten, S. 7; vgl. KöA, VA, Josef Schmid: Kommentar zum Aktenbestand „Bergedorfer Gesprächskreis“, Ms., 161 Seiten, Hamburg 2005, S. 22 f.; ders.: Abschlussbericht über die Recherchen in externen Archiven für das Projekt „‚Netzwerker‘ zwi- schen Ost und West. Der Bergedorfer Gesprächskreis, die KSZE und die Ent- spannungspolitik 1968-1990“, Ms., 163 Seiten, S. 11, Hamburg, 29.8.2008. 47 Ebd.; vgl. FES, HSA, A 005363 und A 005392, Gesprächsnotizen und Schrift- wechsel Schmidt-Körber 1968/69. 48 Zitiert nach Schmid/Wegner (wie Anm. 9), S. 147; vgl. Schmid: Reden ist Handeln (wie Anm. 37), S. 48.
168 Josef Schmid Für den „Bergedorfer Gesprächskreis“ markierte diese Tagung den Durchbruch, von wichtigen politischen Instanzen als bedeutendes inter- nationales Forum anerkannt zu werden. Mit dem Auswärtigen Amt in Bonn begann ein dauerhafter Arbeitskontakt, worüber Körber Schmidt umgehend und mit sichtlichem Stolz informierte.49 Zahlreiche Tagungen zu vielfältigen europäischen und anderen internationalen Fragen folgten. Helmut Schmidt sollte bis 1996 insgesamt 15-mal persönlich daran teilnehmen. Über die anderen Treffen wurde er bis zu Körbers Tod von diesem persönlich informiert. Ost-West-Gespräche blieben bis zum Ende des sogenannten Kalten Krieges zu Beginn der 1990er Jahre ein heraus- ragendes Betätigungsfeld des „Bergedorfer Gesprächskreises“. Die bis heute aktive Initiative sollte sich später einen Ruf als geeignetes Format für die Diskussion mit „schwierigen Partnern“ wie dem Iran oder China erwerben.50 Für Körber war eine solche auf indirekte und Langzeitwirkung angelegte Initiative wie der „Bergedorfer Gesprächskreis“ allerdings eher untypisch. Ab Mitte der 1960er Jahre sondierte er Bereiche, in denen er politisch stärker und unmittelbarer Einfluss nehmen könnte. Als Versuchsfeld wählte er zunächst die Bildungspolitik, ein Thema, das ihm, wie zahlreiche seiner diesbezüglichen Initiativen belegen, seit Jahren am Herzen lag.51 Ein von Fachleuten erarbeitetes Thesenpapier sollte als parteiübergreifende Resolution in den Bundestag eingebracht werden und damit konsensfähige Akzente in der damaligen Bildungsdebatte setzen. Er gewann Helmut Schmidt, der sich zu dieser Zeit ebenfalls über ausbleibende Reformen auf diesem Gebiet ärgerte, als Leitfigur für sein Vorhaben und übernahm die Finanzierung der Treffen, die wiederholt im Bonner Hotel „Königshof“ stattfanden.52 „Durch die Initiative des mit 49 Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, B 41-96, Bl. 266, Staatssekretär Georg Ferdinand Duckwitz an Kurt A. Körber am 2.4.1968; FES, HSA, A005363, Kor- respondenz Schmidt-Körber März-April 1968. 50 Schmid: Reden ist Handeln (wie Anm. 37), S. 49 f.; vgl. auch die 15 vom Verfasser 2006/07 zum Thema „Bergedorfer Gesprächskreis“ geführten Interviews mit westdeutschen Politikern und internationalen Experten; KöA, VA. 51 Körber hatte bereits in den 1950er Jahren durch Errichtung des „Tabak Techni- kum Hamburg“ mit Nachwuchsförderung in der Branche begonnen, sein Enga- gement weitete sich später aber auf andere Bereiche aus. Vgl. Schmid/Wegner (wie Anm. 9), S. 126-135. 52 FES, HSA, A005347, Kurt A. Körber an Helmut Schmidt am 4.10.1967. Zur damaligen Bildungsreformdebatte vgl. Alfons Kenkmann: Von der bundesdeut- schen „Bildungsmisere“ zur Bildungsreform in den 60er Jahren. In: Axel Schildt/ Detlef Siegfried/Karl Christian Lammers (Hg.): Dynamische Zeiten. Die 60er
„Eine wirkliche Freundschaft“? 169 Schmidt befreundeten und sozial sehr engagierten Hamburger Industriel- len Kurt A. Körber“, so berichtet Schmidt-Biograf Hartmut Soell später, „hatte sich ein fraktionsübergreifender Kreis von Politikern – Schmidt und Ulrich Lohmar von der SPD, Hans Dichgans und Berthold Martin von der Union sowie Wolfgang Mischnick von der FPD – im Herbst 1967 mehrfach getroffen, um eine Reihe hochschulpolitischer Forderungen an Bund und Land zu formulieren. Eine gemeinsame ‚Plattform‘ kam tatsächlich zustande.“53 Deren zentrale Ergebnisse trug Schmidt in einer Bundestagsdebatte im November 1967 vor. Aber nur die SPD machte sich die Forderungen voll zu eigen. Zur großen Enttäuschung Körbers scheiterte die Initiative wenig später am Widerstand der anderen Fraktio- nen und am Widerspruch einzelner Länder. Der erfahrene Politiker Schmidt dagegen sah sich in seiner Skepsis bestätigt – er hatte eine unmittelbare Umsetzung bereits im Vorfeld für wenig wahrscheinlich gehalten.54 In der Folgezeit versuchte Körber, Schmidt noch stärker in die ost- politischen Ambitionen des „Bergedorfer Gesprächskreises“ einzubinden. Doch es kam anders. Um bei den östlichen Partnern als eigenständige Initiative wahrgenommen zu werden, führte der Gesprächskreis nach mehreren Anläufen gegen das Votum des Auswärtigen Amtes im Juni 1970 erstmals eine Tagung in der Sowjetunion, und zwar in Leningrad, durch. Diese Tagung schuf viel Vertrauen bei sowjetischen Partnern und öffnete die Tür für weitere Tagungen mit DDR-Vertretern, aber wichtige Bonner Politiker wie der neue Außenminister Walter Scheel (FDP), zu dem Körber inzwischen ebenfalls einen direkten Kontakt aufgebaut hatte, gingen vorübergehend auf Distanz zu den Bergedorfern.55 Schmidt hielt sich ebenfalls zurück und nahm – offiziell aus Termingründen – mehrere Jahre nicht mehr am Gesprächskreis teil. Er ließ sich aber durch Körber kontinuierlich über den Fortgang der Initiative informieren. Wiederholt fanden Körbers interne Berichte, wie jener über die Tagung in Leningrad, die Aufmerksamkeit des nunmehrigen Verteidigungsministers: Jahre in den beiden deutschen Gesellschaften (Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, Bd. 37). Hamburg 2000, S. 402-423. 53 Soell: Schmidt 1918-1969 (wie Anm. 10), S. 648. 54 Ebd., S. 648-652. 55 KöA, VA, Josef Schmid: Abschlussbericht über die Recherchen in externen Archiven für das Projekt „‚Netzwerker‘ zwischen Ost und West. Der Bergedor- fer Gesprächskreis, die KSZE und die Entspannungspolitik 1968-1990“, Ms., 163 Seiten, Hamburg, 29.8.2008, S. 8 f.; KöA, VA, Josef Schmid: Kommentar zum Aktenbestand „Bergedorfer Gesprächskreis“, Ms., 161 Seiten, Hamburg 2005, S. 24.
170 Josef Schmid „Ich habe ihn mit großem Interesse gelesen“, antwortete Schmidt damals.56 Schmidts öffentliche Zurückhaltung erfolgte vor dem Hintergrund fundamental veränderter politischer Rahmenbedingungen. Mit der Bundestagswahl im September 1969 hatte es einen Machtwechsel gegeben, und die Bildung der sozial-liberalen Koalition ließ CDU/CSU erstmals auf den Oppositionsbänken Platz nehmen. Der neue Bundeskanzler Willy Brandt berief Schmidt am 22. Oktober 1969 als Bundesminister der Verteidigung in die neue Bundesregierung. Nach dem Rücktritt Karl Schillers wurde Schmidt im Juli 1972 Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen und nach der Bundestagswahl vom November 1972 im zweiten Kabinett Brandt Finanzminister. Die von Brandt geführte Bundesregierung verfolgte mit der „Neuen Ostpolitik“ ein kompliziertes und innenpolitisch höchst umstrittenes Unterfangen. Dieses führte von 1970 bis 1973 zu Vertragsabschlüssen mit der Sowjetunion, Polen und der DDR und stellte die Ostpolitik der Bundesrepublik auf eine neue Basis.57 Nach dem Konflikt mit dem Auswärtigen Amt agierte Körber mit Blick auf ostpolitisch relevante Tagungen vorübergehend vorsichtiger. In der Folge nahmen bald wieder vermehrt renommierte Politiker und Experten aus der Bundesrepublik Deutschland und Westeuropa am „Bergedorfer Gesprächskreis“ teil. Schmidt erschien ab 1972 ebenfalls wieder persönlich auf dessen Tagungen. Allerdings wählte er zunächst Themen, die aus seiner Sicht wichtige innenpolitische und Fragen der internationalen Ökonomie betrafen. Als Bundeskanzler (1974-1982) bescherte er Körbers Initiative dann durch pointierte Referate, begleitende Fernsehinterviews und Ähnliches zusätzliche Aufmerksamkeit. Im ab 1973 zunehmenden Engagement des Gesprächskreises für den KSZE- Prozess und später bei Ost-West-Tagungen rückten jedoch andere politische Repräsentanten wie der damalige österreichische Außenminister Rudolf Kirchschläger und der spätere deutsche Bundespräsident Richard von Weizsäcker als Unterstützer des „Bergedorfer Gesprächskreises“ ins öffentliche Rampenlicht. Erst in den 1980er Jahren sollte Schmidt auch bei diesem Thema wieder stärkere öffentliche Präsenz zeigen.58 56 FES, HSA, A005485, Helmut Schmidt an Kurt A. Körber am 15.7.1970. 57 Vgl. Herbert (wie Anm. 45), S. 867-876; Heinrich August Winkler: Geschichte des Westens. Vom Kalten Krieg zum Mauerfall. München 2015, S. 568-587. 58 KöA, VA, Abschlussbericht über die Recherchen in externen Archiven für das Projekt „‚Netzwerker‘ zwischen Ost und West. Der Bergedorfer Gesprächskreis, die KSZE und die Entspannungspolitik 1968-1990“, Ms., 163 Seiten, Hamburg, 29.8.2008, S. 8-10; Schmidt/Wegner (wie Anm. 9), S. 149.
„Eine wirkliche Freundschaft“? 171 Die „Achse Bonn-Bergedorf“ Im Jahr 1969 kandierte Helmut Schmidt erstmals im Wahlkreis Hamburg- Bergedorf für den Bundestag. Er gewann mit über 61 Prozent der Stimmen. Ähnlich deutliche Ergebnisse erzielte er dort dank „seiner enormen Popularität“ (SPD Bergedorf) in den vier folgenden Wahl- kämpfen.59 Ab 1969 lud Körber Schmidt wiederholt zu „Betriebsbesich- tigungen“ in der Hauni ein, was dieser, sofern es sein Terminkalender zuließ, gern annahm.60 Schließlich nutzten solche stets mit großer Medienbegleitung durchgeführten Auftritte beiden: Körber konnte sich im Glanz des immer weiter aufsteigenden Politstars sonnen, und Schmidt konnte die Nähe zu einem Unternehmer demonstrieren, der seinen Profit zwar ungeniert mehrte, ihn aber mit der Belegschaft und der Öffentlichkeit teilte. Aus Sicht Schmidts, der sich „als Verteidigungsminister mit einem Vorstandsvorsitzenden“ verglich, war Körber „das unternehmerische Vorbild schlechthin“.61 In zeitgenössischen Äußerungen Schmidts schimmerte zudem durch, dass es ihm gelegen kam, einen solch Beispiel gebenden Unternehmer und Stifter ausgerechnet in seinem Wahlkreis zu haben.62 Mehrmals setzte Schmidt durch persönliche Auftritte auch für Körbers stifterische Aktivitäten in Bergedorf unterstützende Akzente. Als Körber dort das „Senioren-Centrum Haus im Park“ in Bergedorf errichtete, hielt Schmidt trotz für ihn sehr widriger Umstände im November 1977 die Eröff- nungsrede. Ihn habe hier besonders der „Schritt von der Diskussion zur Tat zugunsten des gemeinen Wohles“ beeindruckt, sagte der Bundeskanzler in seiner Rede.63 59 SPD Bergedorf: In Erinnerung an „Schmidt-Bergedorf“ (1918-2015), 12.11.2015, http://www.spd-bergedorf.de/news/einzelansicht/?tx_ttnews%5Btt_news%5D =432&cHash=57f6d2ede271e730eeecd3f30316642e [letzter Zugriff am 2.2.2018]. 60 FES, HSA, A005717, Kurt A. Körber an Helmut Schmidt am 5.10.1971. 61 Schwelien (wie Anm. 10), S. 178. Körber hatte 1969 die Hauni Stiftung gegrün- det, mit der er eine Erfolgsbeteiligung für alle Arbeiter und Angestellten seines Unternehmens einführte. Bis 1986 sollte die Hauni etwa 120 Millionen DM zusätzlich an Belegschaftsangehörige ausschütten. Zudem führte Körber früh moderne Führungs- und Managementmethoden sowie eine begrenzte Mitbestim- mung in der Hauni ein. Vgl. Schmid/Wegner (wie Anm. 9), S. 114-117. 62 FES, HSA, A005717, Schriftwechsel Schmidt-Körber zu Schmidts Grußworten anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der Hauni und des 40. „Bergedorfer Gesprächskreises“ im August/September 1971. 63 Zitiert nach Schmid/Wegner (wie Anm. 9), S. 178. Als Bundeskanzler war Schmidt damals mit mehreren terroristischen Herausforderungen im „Deutschen
Sie können auch lesen