Helmut Schmidt und die Philosophie - Volker Gerhardt

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AKTUELLES

         Volker Gerhardt
         Helmut Schmidt und die Philosophie

                  Seit Platon wiegen sich die Philosophen in der Überzeugung, kraft ihres über-
                  legenen Wissens und der ihnen zuwachsenden Weisheit am Ende die einzig wirk-
                  lich befähigten Herrscher zu sein. Kant widersprach, Regieren und Philosophieren
                  seien zwei verschiedene Tätigkeiten. Ist Helmut Schmidt aber nicht der lebende
                  Gegenbeweis?

                   Volker Gerhardt                           Tat umzusetzen. Sein Geschäft ist die »aus-
            (*1944) ist seit 1992 Professor                  übende Rechtslehre«, bei dem er auf öf-
         für Praktische Philosophie an der
          Humboldt-Universität zu Berlin.
                                                             fentliche Zustimmung angewiesen ist. Die-
                                                             se Wendung Kants gibt eine gute Defini-
                                                             tion dessen, was als Spezifikum des Poli-
                                                             tischen gelten kann: Es stehen die Anwen-
Volker.Gerhardt@Philosophie.hu-berlin.de                     dung und die Umsetzung praktischer Vor-
                                                             haben im Vordergrund. Da sie sich unter
                                                             den Bedingungen öffentlicher Rechtfer-
              Philosophenkönige                              tigung zu vollziehen haben, müssen sie
                                                             nicht nur auf einen für viele erkennbaren
         Die Philosophen sollen nach Platon                  Erfolg angelegt sein; sie sind auch auf Zu-
         Könige werden. Das haben die Philoso-               stimmung im Augenblick angewiesen. Da-
         phen gerne zitiert und manche glauben               durch ist die Politik hochgradig anfällig für
         immer noch daran. Doch Kant erklärt,                Stimmungen, denen sie sich in dem durch
         Platon habe sich geirrt. Die Philosophen            sie geförderten Meinungsstreit ohnehin
         seien nicht geeignet, ein hohes Staatsamt           nicht verschließen kann.
         wahrzunehmen. Es sei daher noch nicht                    Während die Politik, so langfristig sie
         einmal zu wünschen, dass sie leitende poli-         auch rechnen und so viel Zukunft sie auch
         tische Positionen übernähmen.                       versprechen mag, die Gegenwart zu beste-
             Die Begründung ist nicht, dass die              hen hat, ist die Philosophie in ihrem
         Philosophen auf die politischen Aufgaben            Anspruch auf Erkenntnis und Einsicht auf
         nicht hinreichend vorbereitet sind. Hier            Dauer angelegt. Während der Politiker da-
         hätte Platon sogleich mit dem Hinweis auf           von abhängig ist, dass er sein Gegenüber
         die von ihm eingeplante Ausbildung von              im Augenblick der Entscheidung über-
         mindestens fünfundvierzig Jahren parie-             zeugt, muss sich der Philosoph um Argu-
         ren können. Kant hat vielmehr ein originär          mente bemühen, die, wenn nicht für alle
         platonisches Argument, indem er auf die             Zeiten, so doch mit Blick auf alle denkba-
         Arbeitsteilung verweist: Das Regieren und           ren Gegenpositionen zwingend sind.
         das Philosophieren sind zwei verschiedene                Der Politiker hat es in erster Linie mit
         Tätigkeiten, die sich nicht in einer Aufgabe        Menschen zu tun, denen er Sachverhal-
         vereinen lassen.                                    te nahe bringen muss, um ihrem Ver-
             Wer regiert, hat die im Zusammen-               langen nach Schutz und Sicherheit entge-
         leben vieler Menschen tagtäglich anste-             gen zu kommen. Der Philosoph hingegen
         henden Probleme mit dem ernsthaften                 muss sich ganz auf die Sachverhalte kon-
         Versprechen einer Lösung anzugehen. Er              zentrieren, um zu einem möglichst gesi-
         hat gegensätzliche Ansprüche auszuglei-             cherten Wissen zu gelangen. Das hat er
         chen, Entscheidungen zu fällen und in die           triftig und schlüssig darzutun. Streng ge-

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nommen ist das Wissen sein einziges Mit-            Das kann sich immer wiederholen. Da-
tel, um mit und in seinem Metier zu über-      her ist es wichtig zu wissen, dass die durch
zeugen.                                        Arbeitsteilung begründete Trennung zwi-
     Man sieht: Es gibt elementare Unter-      schen Philosophie und Politik eine ganz
schiede in den Einstellungen, in den Ver-      andere Form der Beratung nach sich zieht.
fahren und in den Zielen von Politik und       Ich scheue mich nicht, sie als ursprünglich
Philosophie. Demgegenüber fällt die Ge-        demokratisch zu bezeichnen: Da die Politik
meinsamkeit, dass beide in ihrer Tätigkeit     von ihrer Anlage her ein öffentliches Ge-
so überzeugend zu sein haben, dass sie An-     schehen ist, hat der Philosoph die Pflicht,
deren ein Beispiel zu geben vermögen,          sich öffentlich zu äußern. Was schon für
kaum ins Gewicht. Denn wir erwarten von        sein Verhältnis zu den Wissenschaften gilt,
jedem, ganz gleich, ob er Philosoph oder       kommt nun auch in seiner Beziehung zur
Politiker, Pilot oder Polizist, Pastor oder    Politik zur Geltung: Er hat als Kritiker zu
Profisportler ist, dass er sich exemplarisch   wirken. Er hat zu allen zu sprechen, damit
verhält und damit Anderen als Vorbild die-     alle zu einem Urteil gelangen können, mit
nen kann.                                      dem die Politik sich nicht nur auseinander-
                                               zusetzen hat, sondern dem sie sich letztlich
                                               unterwerfen muss.
   Kopernikanische Wende                            Und damit die Bestimmung des Gan-
                                               zen durch das mehrheitliche Urteil aller
Platon und Kant sind sich allerdings einig     möglich ist, hat die Politik den öffent-
darin, dass der Staatsmann und der Philo-      lichen Raum mit der gleichen Grundsätz-
soph ein gemeinsames Interesse am Wohl-        lichkeit zu sichern wie die Grenzen ihres
ergehen der Menschen haben. Beide, Politi-     Territoriums. In ihm hat sie die Stimme
ker und Philosoph, sind auf das Ganze eines    der Philosophie auch dann zu ertragen,
Lebenszusammenhangs bezogen, und bei-          wenn sie ihr lästig ist – selbst in jenen
den sollte es darum gehen, das individuelle    Fällen, in denen sie einzelnen Personen
wie das gesellschaftliche Befinden der Men-    oder Parteien gefährlich sein kann.
schen zu befördern.Wenn nun der eine dies           Helmut Schmidt hat seit dem Beginn
durch sein Handeln erreichen muss, wäh-        seiner politischen Laufbahn von der Ar-
rend der andere das Glück hat, darüber         beitsteilung zwischen Politik und Philo-
nachdenken zu dürfen, dann haben sie, nach     sophie gewusst. Er sah sich nicht nur viele
Kant, die besondere Pflicht, wechselseitig     Jahre genötigt, sie in seiner Partei und ge-
aufeinander zu hören. Daraus folgt, dass es    genüber außen stehenden Kritikern zu
dem Politiker obliegt, dem Philosophen Ge-     verteidigen. Er scheint sie durch seine bei-
hör zu verschaffen, so wie es für den Philo-   spielhafte Karriere nach dem Ausscheiden
sophen selbstverständlich sein sollte, sich    aus den staatlichen Ämtern zugleich auch
auch im politischen Raum kundig zu ma-         zu widerlegen.
chen. Wenn der Politiker klug ist, holt er          Helmut Schmidt, den man zwei Jahr-
sich den Rat des Philosophen, den der Phi-     zehnte lang als bloßen »Macher« und
losoph, wenn er seine Pflichten kennt, nach    visionslosen »Pragmatiker« abzuwerten
Möglichkeit nicht verweigern sollte.           suchte, obgleich er gerade auch in seinen
     Der Pflicht, als Berater zu wirken, hat   grundsätzlichen Einsichten und in seinen
sich schon Platon nicht entzogen. Dreimal      weit reichenden Zielvorstellungen so gut
ist er nach Syrakus gereist, um einen sich     wie allen anderen Politikern seiner Genera-
aufgeklärt gebenden Tyrannen bei der Re-       tion überlegen war, hat sich im Urteil der
gierung zu helfen. Dreimal ist er gründlich    bundesdeutschen Publizistik, kaum dass
gescheitert.                                   er das Bundeskanzleramt verlassen hatte,

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zum Philosophen gewandelt – zum strate-               Ich spreche von John Rawls, der bei
gischen Vordenker einer Weltzivilisation,        Helmut Schmidt so gut wie keine Rolle
der er durch seinen überall auf der Erde         spielt. Das sollte den Philosophen zu den-
prononciert gegebenen und fundiert be-           ken geben. Dazu gehört auch die Tatsache,
gründeten Rat bis heute dient.                   dass der Altkanzler Popper treu geblieben
                                                 ist, ohne sich je als dessen Anhänger zu
                                                 bezeichnen. Popper hat seinerseits zur
     Politik im Zeichen der Ethik                Schmidt-Festschrift im Jahre 1989 einen
                                                 Text beigesteuert, den man zu den wich-
Henning Albrecht hat jüngst in seinem            tigsten Abhandlungen der Politischen Phi-
klugen Buch nachgezeichnet, welche philo-        losophie im 20. Jahrhundert rechnen kann.
sophischen Theorien für Helmut Schmidt
von besonderer Bedeutung waren und
sind. Da ist die jüngere Stoa, die mit Marc         Überlegene Diskussion
Aurels Selbstbetrachtungen schon dem                mit Philosophen
Schüler Orientierung und dem Soldaten
elementare Lebenshilfe bot. Da ist die Mo-       Philosophen sei die penible Rekonstruk-
ralphilosophie Immanuel Kants, deren Ein-        tion der Vorgeschichte und des Verlaufs
flüsse ebenfalls schon in den 40er Jahren        jener sagenumwobenen Jubiläumskonfe-
spürbar waren und auf die der reife Poli-        renz der Friedrich-Ebert-Stiftung zum 200.
tiker, insbesondere in seiner Zeit als Bun-      Jahrestag von Kants Kritik der reinen Ver-
deskanzler, mehrfach zurückkommt. Da ist         nunft im Jahre 1981 empfohlen.Auf diesem
Max Webers epochemachender Vortrag               Kongress trat ein damals hoch angesehener
über Politik als Beruf, und da ist schließlich   Philosophieprofessor mit dem Anspruch
der Kritische Rationalismus Karl R. Pop-         auf, man könne keine Politik machen, ehe
pers, dessen Abhandlung über die Offene          man nicht ihre Grundbegriffe aufgearbeitet
Gesellschaft und ihre Feinde schon den           habe. Zu seiner Ehrenrettung sei gesagt,
SPD-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag           dass er sich gleich daran gemacht hat, den
beeindruckte und dessen Sozialphiloso-           in der Tat basalen Begriff des Interesses
phie der Bundeskanzler in seiner Einlei-         nachzubuchstabieren. Doch über die ersten
tung zu einem viel beachteten Sammel-            Schritte ins Feld des gesellschaftlichen
band erörtert hat.                               Handelns kam er in seiner Rede nicht hin-
     In den 80er Jahren kommt es auf Ini-        aus. Auch in seinen Schriften ist er uns die
tiative von Helmut Schmidt auch zu per-          logische Propädeutik der politischen Spra-
sönlichen Begegnungen mit dem bedeu-             che schuldig geblieben. Sie hat, so glaube
tenden Denker, mit dem ihn in dessen letz-       ich, der Politik auch nicht gefehlt.
ten Lebensjahrzehnt eine freundschaftli-              Nach diesem peinlichen Auftakt ließe
che Beziehung verbindet. Leider ist Karl         sich leicht sagen, dass es dem Kanzler ein
Popper nach seinem Tod das Schicksal             Leichtes gewesen sei, als Philosoph zu über-
widerfahren, nur noch wenig Beachtung            zeugen. Doch das wäre nicht fair. Denn hier
zu finden. Seine Einsichten gelten als zu        geschah ganz zwanglos, was man zwanzig
einfach, obgleich jeder weiß, dass sie rich-     Jahre später unter dem Titel Philosophy
tig sind. Die Zunft der Philosophen zieht        meets Politics mühsam zu inszenieren such-
lieber einen Denker vor, der weder als klar      te. 1981 begegneten sie sich in einer einzi-
noch als einfach gelten kann, und dessen         gen Person! Helmut Schmidt entwickelte
Grundannahmen weder wahr noch falsch             beim Kant-Kongress der Friedrich-Ebert-
sind, wohl aber ziemlich abstrakt genannt        Stiftung 1981 in zunehmend freier Rede ei-
werden müssen.                                   ne wahrhaft philosophische Reflexion über

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politische Verantwortung und sittliche
Verpflichtung. Er gab selbst ein Beispiel für
die von ihm wiederholt eingeklagte Nach-
denklichkeit und demonstrierte ihre Un-
verzichtbarkeit in der Analyse des Zusam-
menhangs von Freiheit, Wissen und Ge-
wissen, von Menschheit und Mitmensch-
lichkeit. Er machte deutlich, warum der Si-
cherung des Friedens der höchste Stellen-
wert zukommt, warum die Vernunft selbst-
kritisch zu sein hat und von der sittlichen
Verbindlichkeit nicht zu trennen ist.
    Auch in der nachfolgenden Debatte
dominierte der Kanzler, obgleich ihm sei-
ne Berater angesichts so vieler professio-
neller Denker Zurückhaltung anempfoh-
len hatten. Doch die Philosophen hielten
selbst mit Blick auf die anstehenden Prob-
leme der Nachrüstung und der Kern-
ernergie am Geländer ihrer Kategorien
fest, während Schmidt, begriffsstark, refle-
xionsmächtig und textsicher anschaulich
machte, dass die allgemeinen Prinzipien
der Vernunft nicht zu erkennen geben, was
man konkret zu tun hat. Sein Diktum, was
der Augenblick des Handelns erfordere,
das müsse jeder »schon selber rausfin-
den«, bezeichnet die Grenze, die definitiv
zwischen Theorie und Praxis verläuft –
und zwar sowohl in der Politik als auch in
der Ethik.

                                                es nur um das Wort »pragmatisch«, das
    Sittliche Verpflichtung                     Helmut Schmidt stets in Verbindung mit
    zum Pragmatischen                           der sittlichen Verpflichtung des Politikers
                                                verwendet hatte.
Umso mehr muss es überraschen, im Buch              Gleichwohl schrieb der Kanzler seinem
von Henning Albrecht auch einen Helmut          Kritiker einen Brief und bat ihn um Auf-
Schmidt zu entdecken, der sich philoso-         klärung. Hinske antwortete mit dem Hin-
phischen Rat geben lässt. Der Autor be-         weis, dass Kant zwischen »technisch«,
richtet von einem Briefwechsel zwischen         »pragmatisch« und »moralisch-praktisch«
Helmut Schmidt und dem Aufklärungs-             unterscheide, und die Sittlichkeit im stren-
forscher Norbert Hinske, der dem Kanzler        gen Sinn des kategorischen Imperativs auf
in einer der Regierung damals wenig ge-         das moralisch-praktische Handeln be-
wogenen Tageszeitung vorgeworfen hatte,         schränkt sei.
er berufe sich zwar auf Kant, wisse aber gar        Der Kanzler bedankte sich für die Be-
nicht, was dessen Begriffe bedeuten. Das        lehrung, nahm sie bereitwillig auf und ließ
war starker Tobak, denn in Wahrheit ging        eine Passage, in der er sich erneut auf das

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Pragmatische bezog, noch einmal durch           hinaus den Ehrgeiz hatte, der platonischen
den Gelehrten korrigieren. Wann hätte           Philosophie im Ganzen eine römische
man je von einer solchen Bereitschaft ei-       Form zu geben. Aber seinem ständigen
nes Mächtigen gehört, den Rat in einem          philosophischen Begleiter, dem Kaiser
philologischen Detail so wichtig zu neh-        Marc Aurel kommt Helmut Schmidt doch
men? Das ist nur mit einem durchdrin-           ziemlich nahe.
genden Interesse an der Sache zu erklä-              Helmut Schmidt würde vermutlich wi-
ren.                                            dersprechen. Um seinem Einspruch zu ent-
    Die Pointe ist allerdings, dass Helmut      gehen, lassen sich drei uns zeitlich näher
Schmidt mit seinem früheren und, Gott sei       liegende Parallelen nennen: Bismarck, Ra-
Dank, auch weiter beibehaltenen Begriffs-       thenau und Churchill. Alle drei waren Ge-
gebrauch völlig im Recht gewesen ist:           nies des politischen Handelns; alle waren
Wenn er davon gesprochen hätte, er wolle        mit einer großen intellektuellen Begabung
»moralisch-praktisch zu sittlichen Zwe-         ausgezeichnet, haben politisch Großes ge-
cken« handeln, würde er nur eine Tauto-         leistet und überdies ein bedeutendes lite-
logie in die Welt gesetzt haben. Das Mo-        rarisches Werk hinterlassen. Ihnen ist
ralisch-Praktische ist ja bereits durch die     Helmut Schmidt ebenbürtig, auch wenn er
Sittlichkeit definiert. Hier liegt der ganze    als Autor mehr veröffentlicht hat als alle
Zweck des Handelns in der Wahrung der           drei zusammen.
eigenen Autonomie.                                   Sein Werk steht im Zeichen der ethi-
    Ist damit nicht doch bewiesen, dass in      schen Frage. Es nimmt die weltpolitischen
ihm das Politische und das Philosophische       Lehren ernst, die aus der Wirtschaftskrise
zusammenfallen? Was wird aus der ein-           des Jahres 1928, aus den weltpolitischen
gangs so aufwändig entwickelten Alter-          Folgen der Not, aus dem Weltkrieg und
native? Ist Kant durch einen seiner bra-        aus der mit der Entwicklung der Technik
vourösen Schüler widerlegt?                     erstmals für alle sichtbar gewordenen
                                                Gefahr der weltweiten Selbstvernichtung
                                                der Menschheit gezogen werden müssen.
     Selbst in der Nachdenklichkeit             Indem sich Helmut Schmidt im Laufe sei-
     ein politischer Kopf                       nes Lebens dieser Probleme mit wachsen-
                                                der Intensität annimmt, erkennt man, dass
In seiner ethischen Orientierung setzt          seine immer deutlicher zu Tage tretende
Helmut Schmidt selbst einen politischen         Hinwendung zur Philosophie selbst wie-
Primat, dem sein philosophisches Nach-          der politischen Einsichten gehorcht.
denken folgt. Der Ethiker und poltische              Darin ist er immer Politiker geblieben,
Theoretiker, der er in höchst eigenständi-      aber die Philosophen täten gut daran, ihn
ger Weise ist, zeigt daher auch keine Nei-      so ernst zu nehmen, als sei er einer von ih-
gung, seinen Prinzipien ein System zu           nen. Der Philosophie könnte das nur zu
Grunde zu legen, aus dem die sittlichen         Gute komme, ohne dass sie Kants Unter-
Forderungen abzuleiten wären. Folglich          scheidung zwischen Philosophie und Poli-
bleibt er selbst in seiner kaum eine Frage      tik rückgängig machen muss.
auslassenden Nachdenklichkeit ein politi-            (Gekürzter Text der Rede anlässlich der
scher Kopf.                                     Übergabe des von der Helmut und Loki
     Philosoph ist er im Sinne eines Mora-      Schmidt-Stiftung geförderten Buches von
listen, der sich darauf verpflichtet, ein mo-   Henning Albrecht Pragmatisches Handeln
ralischer Politiker zu sein. Man wird ihn       zu sittlichen Zwecken. Helmut Schmidt
daher nicht mit Cicero vergleichen, der ein     und die Philosophie an Helmut Schmidt
bedeutender Politiker war und darüber-          am 13. November 2008 in Hamburg.)

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