DGUV Information 250-001 - Berufliche Beurteilung bei Epilepsie und nach erstem epileptischen Anfall 250-001 - Januar 2015 - aktualisierte ...

Die Seite wird erstellt Silvester Hartung
 
WEITER LESEN
DGUV Information 250-001 - Berufliche Beurteilung bei Epilepsie und nach erstem epileptischen Anfall 250-001 - Januar 2015 - aktualisierte ...
250-001
                                               DGUV Information 250-001
© beawolf/Fotolia.com

                                               Berufliche Beurteilung
                                               bei Epilepsie und nach erstem
                                               epileptischen Anfall

                        Januar 2015 – aktualisierte Fassung Dezember 2019


Impressum

Herausgeber:
Deutsche Gesetzliche
Unfallversicherung e.V. (DGUV)

Glinkastraße 40
10117 Berlin
Telefon: 030 13001-0 (Zentrale)
Fax: 030 13001-9876
E-Mail: info@dguv.de
Internet: www.dguv.de

Ausschuss Arbeitsmedizin der Gesetzlichen Unfallversicherung (AAMED-GUV)

Unter Mitarbeit von:
Ralf Berkenfeld, Schwerpunktpraxis für Epilepsie, Neukirchen-Vluyn
Susanne Bonnemann, BG ETEM, Köln
Peter Brodisch dipl. Päd., Netzwerk Epilepsie und Arbeit, München
Dr. med. Kristin Hupfer, BASF AG, Ludwigshafen
Dr. med. Reinhard Legner, Deutsche Rentenversicherung, Landshut
Dr. med. Ulrich Specht, Epilepsie-Zentrum Bethel, Bielefeld
Dr. med. Martin Stumpf, Bundesagentur für Arbeit, Herford
Rupprecht Thorbecke M. A., Epilepsie-Zentrum Bethel, Bielefeld

Ausgabe: Januar 2015 – aktualisierte Fassung Dezember 2019

DGUV Information 250-001 zu beziehen bei Ihrem zuständigen Unfallversicherungsträger
oder unter www.dguv.de/publikationen


Berufliche Beurteilung bei Epilepsie und
nach erstem epileptischen Anfall

DGUV Information 250-001
Inhaltsverzeichnis

                                                                                                                           Seite                                                                                                                       Seite

Vorbemerkung.........................................................................................................            5   4                  Beurteilung ausgewählter Berufe................................... 15

1                      Arbeitsmedizinische Beurteilung der Epilepsien.                                                           6   4.1                Allgemeines.................................................................................... 15

1.1                    Allgemeines....................................................................................           6   4.2                Maschinenbautechnische und elektrotechnische
                                                                                                                                                        Berufe................................................................................................. 15
1.2.                   Beurteilung des Gefährdungspotenzials der
                       Anfälle................................................................................................   6   4.3                Berufe des Gesundheitswesens....................................... 15

1.3                    Häufigkeit der Anfälle..............................................................                      7   4.4                Berufsrechtliche Besonderheiten bei sozialpfle-
                                                                                                                                                        gerischen und sozialpädagogischen Berufen.......... 15
1.4                    Behandlungsstand und Prognose...................................                                          8
                                                                                                                                     5                  Tätigkeitsbezogene Gefährdungseinschätzung
1.5                    Anfallsauslöser und anfallsbegünstigende                                                                                         nach erstem epileptischen Anfall.................................... 16
                       Umstände – Nacht- und Schichtarbeit..........................                                             8
                                                                                                                                     6                  Abbildungen 2–17...................................................................... 17
1.6                    Alleinarbeit – Hilfeleistung bei Anfällen......................                                           8

1.7                    Praktisches Vorgehen..............................................................                        8   Anhang 1           Literatur............................................................................................ 34
                                                                                                                                     Anhang 2	Anschriften für allgemeine und weiterführende
2                      Beurteilung beruflicher Risiken bei Epilepsie......... 11
                                                                                                                                               Informationen............................................................................... 35

2.1                    Gefährdungsbeurteilung........................................................ 11

2.2                    Beurteilung einzelner Arbeitsplätze............................... 11

2.3                    Beurteilung der Berufseignung.......................................... 11

2.4                    Haftungsfragen............................................................................. 12

3                      Beurteilung ausgewählter Tätigkeiten......................... 13

3.1                    Allgemeines.................................................................................... 13

3.2                    Bildschirmarbeit.......................................................................... 13

3.3                    Tätigkeiten mit Absturzgefahr............................................. 13

3.4                    Fahr -, Steuer- und Überwachungstätigkeiten.......... 14

4
Vorbemerkung

Diese Schrift, deren Vorversionen den Titel „Empfehlun-      Die bisherigen Ausgaben dieser Schrift haben sich an
gen zur Beurteilung beruflicher Möglichkeiten von Per-       den Fahreignungsleitlinien bei der Festlegung akzeptab-
sonen mit Epilepsie“ (1) (2) (3) (4) trugen, gibt Anhalts-   ler beruflicher Risiken orientiert (1) (2) (3) (4). 2009 wur-
punkte zur sachgerechten Beurteilung der beruflichen         den die Begutachtungsleitlinien für die Kraftfahreignung
Möglichkeiten von Personen mit Epilepsie und von Per-        an die Richtlinie der Europäischen Kommission von 2009
sonen nach einem ersten epileptischen Anfall, um deren       (Richtlinie 2009/112/EG der Kommission vom 25. August
Eingliederungschancen zu verbessern.                         2009 über den Führerschein) angepasst (14). Danach gilt
                                                             als wesentliche Voraussetzung für das Führen von Fahr-
Dabei werden nur die Einschränkungen, die sich durch         zeugen der Gruppe 1 eine anfallsfreie Zeit von 1 Jahr. Die
die Anfälle ergeben, berücksichtigt. Darüber hinausge-       Empfehlungen in den Berufsgenossenschaftlichen Infor-
hende Funktionsstörungen, z. B. psychische Beeinträch-       mationen von 2007 (BGI 585) waren noch von einer zwei-
tigungen oder Lähmungen, bedürfen gesonderter Beur-          jährigen Anfallsfreiheit als wesentliche Voraussetzung
teilung, ggf. in einer Facheinrichtung für Epilepsie oder    für die Gruppe 1 ausgegangen (4). Insofern wurde eine
einer Rehabilitationseinrichtung.                            Überarbeitung notwendig und in differenzierter Weise
                                                             eine Anpassung an die neuen Regelungen vorgenommen.
Die Schrift gibt einerseits Hinweise zur Gefährdungsbe-
urteilung an konkreten Arbeitsplätzen unter Berücksich-      Darüber hinaus sind in der betrieblichen Praxis erste
tigung des individuellen Krankheitsbildes, der Tätigkeit     epileptische Anfälle ein erhebliches Problem für alle Sei-
und des Arbeitsumfeldes (Abschnitt 2.2 Beurteilung           ten. Das Risiko weiterer Anfälle ist, abhängig von der
einzelner Arbeitsplätze, Abschnitt 3. Beurteilung ausge-     Ursache, sehr unterschiedlich. Es kann jedoch so gut
wählter Tätigkeiten). Andererseits werden Hinweise für       abgeschätzt werden, dass differenzierte Regelungen für
die Beurteilung der Berufseignung bei der Berufswahl         die Kraftfahrereignung möglich wurden. Die vorliegende
gegeben (Abschnitt 4. Beurteilung ausgewählter Berufe).      Ausgabe enthält daher ein neues Kapitel zum Vorgehen
Die Empfehlungen zu einzelnen Berufen beziehen sich          nach einem ersten epileptischen Anfall (Abschnitt 5).
auf die Gesamtheit der Tätigkeiten in einem Beruf und
machen keine Aussagen über konkrete Arbeitsplätze in
diesem Beruf. Dies kann bedeuten, dass bei Berufen, die
aufgrund der anfallsbedingten Risiken in dieser Schrift
als in der Mehrzahl der Arbeitsplätze nicht möglich be-
urteilt werden, sich im Einzelfall dennoch ein leidens-
gerechter Arbeitsplatz finden kann. Dies ist besonders
in Situationen, in denen eine Epilepsie erst nach einer
abgeschlossenen Berufsausbildung begonnen hat, zu
berücksichtigen.

Die Empfehlungen dieser Schrift haben zunehmend Ein-
gang in die Beratungspraxis bei Berufswahlentscheidun-
gen von Menschen mit Epilepsie gefunden und sind auch
Richtschnur bei der betrieblichen Eignungsbeurteilung.
In einem Urteil aus dem Jahre 2006 hat das Bundessozi-
algericht zum Stellenwert der DGUV Information 250-001
(damalige Bezeichnung: BGI 585) entschieden: „Nur auf
dieser Grundlage werden Feststellungen zur beruflichen
Einsetzbarkeit eines Epilepsiekranken nachvollziehbar“
(BSG Urteil 12.12.2006 Aktenzeichen: B 13 R 27/06 R).

                                                                                                                        5
1 Arbeitsmedizinische Beurteilung der
  Epilepsien

1.1    Allgemeines                                                             • Sturz: Bestandteil des Anfalls oder nicht
                                                                               • Verhalten im Anfall: ruhig/unruhig/nicht situations-
       Bei der Beurteilung beruflicher Möglichkeiten von                          angepasste Handlungen
       Perso­nen mit Epi­lep­sie wird davon ausgegangen, dass
                                                                               • Verhalten nach dem Anfall: vorübergehende Lähmung
       es verschie­dene Formen von Epilepsie mit individuell
                                                                                  oder Sprachstörung; unangemessene Handlungen;
       unter­schiedlichen Auswirkungen gibt und dass Epilep-
                                                                                  sofort wieder orientiert oder allmähliche Reorientie-
       sien wirksam behandelt werden können (5). Fortschritte
                                                                                  rung; Nachschlaf
       in Diagnostik und Therapie der verschiedenen For­men
       von Epilep­sie und eine zunehmende Vielfalt von Beru-                   • Dauer bis zur Wiederherstellung der Funktionsfähig-
       fen und Tätigkeiten innerhalb einzelner Berufsfelder                       keit (einschließlich Reorientierungsphase)
       machen heute in jedem Einzelfall eine differen­zierte Ab­               • Bindung des Auftretens der Anfälle an den Schlaf-
       stim­mung zwischen indivi­duellen krankheitsbedingten                      Wach-Rhythmus: aus dem Schlaf, nach dem Aufwa­
       Einschränkungen und beruflichen Möglichkeiten not-                         chen, am Feierabend, ohne zeitliche Bindung
       wendig. Dabei müssen berücksichtigt wer­den:                            • Individuelle auslösende Situationen, deren Beach-
       a. Schwere der Epilepsie (Art, Häufigkeit, Behand-                         tung zur Vermeidung von Anfällen/Anfallsfolgen die-
          lungsstand und Prognose der Anfälle)                                    nen kann: z. B. Schlafverschiebung (Nachtschicht).
       b. Art des Berufes und Unfallgefährdung in verschiede-
                                                                               All diese Anfallsmerkmale sollten berücksichtigt wer-
          nen Tätigkeitsfeldern innerhalb dieses Berufes
                                                                               den, wenn es um die Beurteilung der Einsatzmöglichkei-
       c. Berufssituation mit oder ohne Berufserfahrung.                       ten für den einzelnen Arbeitsplatz geht.

                                                                               Für die Beurteilung der beruflichen Möglichkeiten (Be-
1.2.   Beurteilung des Gefährdungspotenzials der Anfälle                       rufsprognose) sollten fünf arbeitsmedizinisch relevante
                                                                               Gefährdungskategorien berücksich­tigt werden (Abbil-
       Anfälle sollten in ihrem Ablauf genau beschrieben wer-                  dung 1, siehe Abschnitt 1.7).
       den, so dass eine individuelle Beurteilung der arbeits-
       medizinischen Risiken möglich wird. Besonders zu                        Die 0-Kategorie mit ar­beitsmedizinisch nicht relevan­
       beachten sind:                                                          ten Anfallssymptomen beinhaltet einfach fokale An-
       • Aura („Vorgefühl“; subjektive Sensationen zu Anfalls-
                                                                               fälle mit die Fahrtauglichkeit nicht einschränkenden
         beginn): alles, was der Betroffene selbst vom Anfalls-                Anfallssymp­tomen (14).
         beginn wahrnimmt; Dauer der Aura sowie Reaktions-
         vermögen und Schutzmöglichkeit während der Aura                       Wissenschaftliche Studien (18, 20) und praktische
                                                                               Erfahrungen zeigen, dass in bestimmten Berufsbe-
       • Bewusstsein während des Anfalls: erhalten/gestört
                                                                               reichen Anfäl­le mit Verlust der Haltungskontrolle (Ka-
       • Verfügbarkeit der rechten/linken Hand bzw. des rech-                  tegorie C) und Anfälle mit unangemessenen Handlun­
         ten/linken Beines: erhalten/aufgehoben                                gen bei Bewusstseinsstörungen (Katego­rie D) aus

        „O“    erhaltenes Bewusstsein, erhaltene Haltungskontrolle und Handlungsfähigkeit
               Kommentar: Anfälle ausschließlich mit Befindlichkeitsstörungen ohne arbeitsmedizinisch relevante Symptome und ohne Über-
               gang in Anfälle der Kategorien A, B, C oder D; möglicherweise wird eine Handlung bewusst unterbrochen bis zum Ende der sub-
               jektiven Symptome
        „A“    Beeinträchtigung der Handlungsfähigkeit bei erhaltenem Bewusstsein mit Haltungskontrolle
               Kommentar: Anfälle mit Zucken, Versteifen oder Erschlaffen einzelner Muskelgruppen
        „B“    Handlungsunterbrechung bei Bewusstseinsstörung mit Haltungskontrolle
               Kommentar: plötzliches Innehalten, allenfalls Minimalbewegungen ohne Handlungscharakter
        „C“    Handlungsunfähigkeit mit/ohne Bewusstseinsstörung bei Verlust der Haltungskontrolle
               Kommentar: plötzlicher Sturz ohne Schutzreflex, langsames In-sich-Zusammensinken, Taumeln und Sturz mit Abstützen
        „D“    unangemessene Handlungen bei Bewusstseinsstörung mit/ohne Haltungskontrolle
               Kommentar: unkontrollierte komplexe Handlungen oder Bewegungen, meist ohne Situationsbezug

       Tabelle 1   Gefährdungskategorien (zum praktischen Vorgehen siehe Abbildung 2 und Abschnitt 1.7)

6
Arbeitsmedizinische Beurteilung der Epilepsien

                                                                           Willkürmotorik erhalten                             O

                                         Sturz nein

       Bewusstsein erhalten                                                 Willkürmotorik gestört                             A

                                           Sturz ja

                                                                                                                                C

                                                                      keine unangemessene Handlungen

                                           Sturz ja

        Bewusstsein gestört                                             Unangemessene Handlungen                               D

                                         Sturz nein

                                                                      keine unangemessene Handlungen                           B

      Abb. 1 Einordnung in Gefährdungskategorien (Entscheidungsbaum von links nach rechts)

      arbeitsmedizinischer Sicht „gefährdender“ anzusehen
      sind als Anfälle mit Beeinträch­tigung der Handlungs-                  Langfristige Anfallsfreiheit:
      fähigkeit bei erhaltenem Bewusstsein oder Anfälle mit                  • Anfallsfrei ≥ 5 Jahre ohne antiepileptische Therapie
      Handlungsunterbrechung bei Bewusstseinsstörung
                                                                             Mittelfristige Anfallsfreiheit:
      (Kate­gorie A und B). Die Unterteilung der Anfallssymp-
                                                                             • Anfallsfrei ≥ 1 Jahr
      tome in die Kategorien A bis D drückt deshalb den Ge-                  • Anfälle nur aus dem Schlaf ≥ 3 Jahre
      fährdungsgrad unter arbeitsmedizini­schen Gesichts­                    • Kategorie „0“ ≥ 1 Jahr
      punkten, zunehmend von A nach D aus.
                                                                             Anfälle ≤ 2/Jahr
      Sollten mehrere Anfallstypen gleichzeitig vorliegen, so                Anfälle ≥ 3/Jahr
      ist derjenige mit dem höheren Gefährdungspotenzial
      maßgebend.                                                            Als Regelfall für mittelfristige Anfallsfreiheit gilt eine
                                                                            mindestens 1-jährige Anfallsfreiheit nach epilepsie-
      Die Beschreibung der Anfälle sollte immer durch einen                 chirurgischem Eingriff oder mit antiepileptischer Phar-
      Facharzt oder Fachärztin für Neurologie, einen Nerven-                makotherapie. In ausgewählten Einzelfällen kann bei
      arzt bzw. Nervenärztin oder Arzt bzw. Ärztin der Neuro-               prognostisch günstiger Konstellation auf eine Pharma-
      pädiatrie erfolgen, um so eine Einstufung in die zutref-              kotherapie verzichtet werden. In diesem Fall ist eine
      fende Gefährdungskategorie zu ermöglichen.                            regelmäßige Betreuung durch einen in der Epilepsiebe-
                                                                            handlung erfahrenen Arzt oder Ärztin der Neurologie,
                                                                            Nervenheilkunde oder der Neuropädiatrie erforderlich.
1.3   Häufigkeit der Anfälle
                                                                            In besonderen Fällen kann mittelfristige Anfallsfreiheit
      Neben den Anfallssymptomen ist ihre Häufigkeit ein                    als Voraussetzung zur uneingeschränkten Ausübung
      wesentliches Merkmal der Schwere einer Epilepsie. Die                 eines Berufes erst nach 2-jähriger Anfallsfreiheit ange-
      Anfallshäufigkeit wurde in 4 Stufen unterteilt:                       nommen werden.

                                                                                                                                         7
Arbeitsmedizinische Beurteilung der Epilepsien

        Die genannten anfallsfreien Fristen gelten auch für Be-          Konsequenzen:
        troffene, bei denen nach Erreichen von Anfallsfreiheit           a. Bei der Bewertung sollten nur solche Schichtsyste-
        die Medikation erfolgreich, d. h. ohne Wiederauftreten              me beachtet werden, die tatsächlich einen Schlaf-
        der Anfälle abgesetzt wurde.                                        entzug bzw. eine wesentliche Störung des Schlaf-
                                                                            Wach-Rhythmus bedingen.
        Die Häufigkeit der Anfälle kann aus der Dokumentation
                                                                         b. Es sollte immer der Einzelfall - mit Wertung der anam-
        des Betroffenen (z. B. Anfallskalender) oder den Anga-
                                                                            nestischen Angaben zur Anfalls­frequenz in Verbin-
        ben des behandelnden Arztes oder der behandelnden
                                                                            dung mit Schlafentzug - beurteilt werden. So kann
        Ärztin bestimmt werden.
                                                                            im Einzelfall Nachtschicht dann bejaht werden,
                                                                            wenn der bisherige Verlauf der Epilepsie gezeigt hat,
                                                                            dass ein Schlafdefizit nicht zur Anfallsprovokation
1.4     Behandlungsstand und Prognose
                                                                            geführt hat.
        Die Prognose einer Epilepsie hängt ab von der Art der
        Epilepsie und der Anfälle, dem Ausschöpfen der nach
        den Standards der modernen Epilepsiebehandlung             1.6   Alleinarbeit – Hilfeleistung bei Anfällen
        eingesetzten therapeutischen Möglichkeiten (12) (sie-
        he auch www.dgn.org) und der Mitarbeit des Patienten,            Grundsätzlich – also unabhängig vom Bestehen einer
        insbesondere der zuverlässigen Medikamenteneinnah-               Epilepsie – sollten gefährliche Arbeiten nur bei beson-
        me. Technische Befunde (z. B. Elektroenzephalogramm              deren betrieblichen Umständen von einer Person allei-
        (EEG), Magnetresonanz-Tomographie (MRT) oder Serum-              ne ausgeführt werden (10); siehe auch Abschnitt 2.1).
        spiegel der antiepileptischen Medikation) können das
        Behandlungsergebnis nicht verlässlich prognostizieren,           Bei epilepsiekranken Mitarbeitern, die mittelfristige
        einziger Parameter einer erfolgreichen Therapie ist das          Anfallsfreiheit (siehe oben Abschnitt 1.3) noch nicht er-
        Ausbleiben der Anfälle. Die Prognose sollte von in Epi-          reicht haben und alleine arbeiten, muss geprüft werden,
        lepsiebehandlung erfahrenen Ärztinnen und Ärzten der             ob anfallsbezogene Hilfeleistungen, sollte es während
        Neurologie, Nervenheilkunde oder Neuropädiatrie ge-              der Arbeitszeit zu einem Anfall kommen, erforderlich
        stellt werden. Im Einzelfall kann es angezeigt sein, ei-         sind. Notwendigkeit und Art der Hilfeleistungen, z. B.
        nen Arzt bzw. Ärztin einer Schwerpunktpraxis für Epilep-         Installation eines Sturzmelders, orientieren sich an der
        sie oder einer Anfallsambulanz beratend hinzuzuziehen            Gefährdungskategorie der Anfälle und an den Gegeben-
        (Adressen über http://www.dgfe.info).                            heiten des Arbeitsplatzes.

        Für die arbeitsmedizinische Beurteilung sollte der Be-
        handlungsstand stabil sein. Es sollten keine tätigkeits-   1.7   Praktisches Vorgehen
        relevanten Auswirkungen der Antiepileptika auf die Auf-
        merksamkeit und die Reaktionsfähigkeit vorliegen.                Für die Einordnung in die Gefährdungskategorien 0,
                                                                         A, B, C oder D ist eine Be­schrei­bung der Anfälle erfor-
                                                                         derlich, nach der folgende Fragen beantwortet wer­den
1.5     Anfallsauslöser und anfallsbegünstigende Umstände –              können:
        Nacht- und Schichtarbeit                                         a. Ist das Bewusstsein erhalten?
                                                                         b. Kommt es zu Haltungsverlust?
        Bestimmte Berufe (z. B. ärztliche, pflegerische, sozi-
        alpädagogische) und viele andere Tätigkeiten erfor-              c. Ist die Willkürmotorik gestört?
        dern Schichtarbeit mit Nachtarbeit oder nächtlicher              d. Kommt es zu unangemessenen Handlungen?
        Rufbereitschaft.
                                                                         Die alleinige Klassifizierung der Anfälle mit medizini-
        Verschiebungen des Schlaf-Wach-Rhythmus können                   schen Kategorien wie Ab­sence, psychomotorischer An-
        Anfälle begünstigen, insbesondere Schlafentzug. Es               fall etc. ist nicht ausreichend zur Beantwortung dieser
        gibt kein Untersuchungsverfahren, mit dem eine ent-              Fra­gen. Entscheidend ist die Beschreibung in den ar-
        sprechende Disposition festzustellen ist. Für den beruf-         beitsmedizinisch relevanten Gefährdungskategorien.
        lichen Einsatz im Schichtbetrieb ergeben sich folgende

8
Arbeitsmedizinische Beurteilung der Epilepsien

 Anfalls-Klassifikation     Bewusstseins-   Haltungs-        Motorik          Gefährdungs-     Anfallsbeschreibung
                            lage            kontrolle                         kategorie
 Myoklonische Anfälle       nicht gestört   meist erhalten   gestört               A           plötzliche ein- oder mehrmalige heftige Zu-
                                                                                               ckung, meist im Schulter-Arm-Bereich

                            nicht gestört   selten Sturz     gestört               C           bei Beteiligung der Beine oft Sturz

 Einfach-fokale             nicht gestört   z. T. erhalten   gestört               A           plötzliche Verkrampfung oder Zuckun-
 Anfälle1)                                  z. T. Sturz      gestört               C           gen einzelner Muskelgruppen oder
 • mit motorischer                                                                             Körperteile, oder Bewegungen ohne
    Symptomatik                                                                                Handlungscharakter

 • mit sensibler, sen-      nicht gestört   erhalten         nicht gestört         O           äußerlich nicht sichtbare Empfindung,
   sorischer oder psy-                                                                         wie Kribbeln, Wahrnehmungsänderungen,
   chischer Sympto-                                                                            Gefühlsänderungen
   matik („Aura“)

 Absencen                   gestört         meist erhalten   gestört, meist        B           plötzliche sekundenlange Bewusstseins-
                                                             Bewegungs-                        pause, nur mit Innehalten
                                                             losigkeit

                            gestört         meist erhalten   selten unan-          D           z. T. mit automatischer Fortführung der Tä-
                                                             gemessene                         tigkeit; bei längerer Dauer auch neu auftre-
                                                             Handlungen                        tende automatische Bewegungen

 Generalisierter            gestört         Sturz            gestört               C           z. T. Vorgefühle (Aura) verschiedener Dauer
 tonisch-klonischer                                                                            und Ausprägung; Bewusstlosigkeit, Sturz,
 Anfall                                                                                        Verkrampfung (tonische Phase), dann Zu-
 („Grand mal“, „bilate-                                                                        ckungen (klonische Phase), z. T. Zungen-
 ral-konvulsiver Anfall“)                                                                      biss, Blauwerden, Einnässen, Speichel-
                                                                                               fluss; unterschiedlich lange Erholungszeit,
                                                                                               z. T. Nachschlaf

                            gestört         Sturz            z. T. unan-           D           nicht selten bei oder nach Anfallsende Ver-
                                                             gemessene                         wirrtheitszustände mit unangemessenen
                                                             Handlungen                        Handlungen

 Komplex fokale             gestört         meist erhalten   gestört, z. T.        B           z. T. mit Vorgefühlen (Aura) verschiedener
 Anfälle2)                                                   Bewegungslo-                      Dauer und Ausprägung beginnend, einge-
 („dyskognitive                                              sigkeit                           schränktes bis aufgehobenes Bewusstsein,
 Anfälle“)                                                                                     Unterbrechung der Tätigkeit, zum Teil ohne
                                                                                               weitere Symptome

                            gestört         meist erhalten   meist unan-           D           z. T. mit Vorgefühlen (Aura) verschiedener
                                                             gemessene                         Dauer und Ausprägung beginnend, oft au-
                                                             Handlungen                        tomatische Bewegungen, unangemessene
                                                                                               Handlungen unterschiedlicher Ausprägung,
                                                                                               z. T. auch mit Umherlaufen

                            gestört         Zu-Boden-        keine unan-           C           z. T. mit Vorgefühlen (Aura) verschiedener
                                            Gehen oder       gemessenen                        Dauer und Ausprägung beginnend, (sel-
                                            Sturz            Handlungen                        tener) Sturz z. B. , wenn initiale tonische
                                                                                               Muskelverkrampfung („C“ nur wenn keine
                                                                                               unangemessenen Handlungen)

Tabelle 2: Medizinische Bezeichnungen, Anfallsbeschreibungen und die zugehörigen Gefährdungskategorien bei den häufigsten
           Anfallstypen
1)      Fokale Anfälle ohne Einschränkung des Bewusstseins
2)      Fokale Anfälle mit Einschränkung des Bewusstseins oder der Aufmerksamkeit (7, 8)

                                                                                                                                              9
Arbeitsmedizinische Beurteilung der Epilepsien

        Das Vorgehen bei der Einordnung in Gefährdungskate-            –– Tageszeitliche Bindung: Für Menschen mit
        gorien ist Abbildungen 1 und Tabelle 1 zu entnehmen.              Epilepsie, deren Anfälle ausschließlich nach
        Tabelle 1 zeigt, welche Fragen dem Betroffenen und den            dem Aufwachen auftreten, kann nur dann ein
        Zeugen seiner Anfälle gestellt werden müssen, um zu ei-           geringeres Gefährdungsrisiko an­genom­men
        ner raschen und eindeutigen Einordnung in die zutreffen-          werden, wenn diese tageszeitliche Bindung
        de Gefährdungskategorie zu gelangen. Abbildung 1 hilft            mindestens schon drei Jahre besteht und eine
        beim Vorliegen von Anfallsbeschreibungen, die zutref-             enge Bindung an die Aufwachsituation be-
        fende Gefähr­dungskatego­rie zu bestimmen. Besondere              steht, so dass keine Anfälle auf dem Arbeits-
        Sorgfalt ist bei der Zuordnung von komplex-fokalen An-            weg oder am Arbeitsplatz zu erwarten sind.
        fällen zu den einzelnen Gefährdungskategorien geboten,            Solche Personen sollten unter die mittelfristig
        da sie Kategorie D, aber auch B oder C entsprechen kön-           Anfalls­freien eingeordnet werden (0-Katego-
        nen (siehe Tabelle 2). Im Anschluss an das eigentliche            rie). Das Gleiche gilt für Personen mit Anfällen,
        Anfallsgeschehen kann es bei generalisierten tonisch-             die länger als drei Jahre ausschließ­lich aus
        klonischen Anfällen (Grand mal-Anfällen) manchmal zu              dem Schlaf aufgetreten sind.
        Verwirrtheitszuständen mit unangemessenen Handlun-             –– Anfallsauslöser, die vorhersehbar sind: Wenn
        gen kommen, die dann der Kategorie D zuzuordnen sind.             die Person gelernt hat, einen Auslöser wirksam
                                                                          zu vermeiden, kann da­durch das Risiko von
        Die anhand von Tabelle 1 oder Abbildung 1 gefun-                  Anfällen am Arbeitsplatz herabgesetzt werden
        dene Gefährdungskategorie muss mit der aktu­ellen                 (z. B. Weg­schauen bei geringer werdender
        Anfallshäufig­keit (Angaben des Betroffenen, nach Mög-            Drehzahl, wenn drehende Teile anfallsauslö-
        lichkeit durch Anfall­skalender oder Fremdbeobach-                send wirken, oder Tragen einer polarisierenden
        tung belegt) kombiniert werden. Hieraus ergibt sich               Sonnenbrille bei Fotosensibilität). Solche
        die Schwere der Epilepsie unter arbeitsmedizinischen              Schutz­möglich­kei­ten sollten bei der arbeits-
        Gesichts­punk­ten (siehe Abbildungen zur Beurteilung              medizinischen Beurteilung berücksich­tigt
        ausgewählter Tätigkeiten bzw. ausgewählter Berufe).               werden.
        • Mehrere arbeitsmedizinisch relevante Anfallssymp-
           tome
           Beim Vorliegen mehrerer Anfallsformen bei einer
           Person muss für die Einordnung in die Gefährdungs-
           kategorien immer die arbeitsmedizi­nisch Gefährden-
           dere zugrunde gelegt werden.
        • Anfallssymptome, die arbeitsmedizinisch nicht rele-
           vant sind
           Bei epileptischen Symptomen, bei denen Bewusst-
           sein und Haltungs­kontrolle erhal­ten sind und bei
           denen die Handlungsfähigkeit nicht beeinträchtigt
           ist, z. B. bei isolierten Auren oder Anfällen mit motori-
           schen Phänomenen im Gesicht, sollten entsprechend
           den Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahreignung
           grundsätz­lich keine Einschränkungen gemacht, d. h.
           die 0-Kategorie gewählt werden.
        • Protektive Mechanismen
                –– Auren („Vorgefühle“) sollen als Schutzmöglich-
                   keit be­rücksichtigt wer­den, wenn durch Fremd-
                   beobachtungen gesichert ist, dass die Aura es
                   dem Epilep­sie­kran­ken erlaubt, geeignete
                   Schutzmaßnahmen zu ergreifen und diese Mög-
                   lichkeit in angemessener Weise genutzt wird. Im
                   Einzelfall bedeutet dies, dass statt Kategorie D
                   oder C Kate­gorie A gewählt werden sollte.

10
2 Beurteilung beruflicher Risiken bei Epilepsie

2.1   Gefährdungsbeurteilung                                              Beispiele für ökonomische Risiken sind Fehlprogram-
                                                                          mierungen, falsche oder unterlassene Reaktionen bei
      Kriterien für die Abstufung der Gefährdung sind vor                 der Arbeit in Prozessleitsystemen.
      allem Eigengefährdung, Fremdgefährdung und ökono-
      misches Risiko. Bei der Beur­teilung einer beruflichen              Im Rahmen von Einstellungs-/Eignungsuntersuchungen
      Tä­tigkeit ist zu berücksichtigen, dass innerhalb eines             und der Wiedereingliederung sollte die Einsatzfähigkeit
      Berufes die Risiken bei den ein­zelnen Tätigkeiten unter-           von Personen mit Epilepsie in der Regel vom Betriebs-
      schiedlich sein können. Diese Tatsache verlangt neben               arzt bzw. der Betriebsärztin in Zusammenarbeit mit dem
      der betriebsärztlichen Beurteilung die Mit­wirkung einer            Facharzt oder der Fachärztin für Neurologie/Nervenarzt/
      für das spezielle Berufsbild sachkundigen Person (z. B.             Neuropädiatrie beurteilt werden.
      Fachkraft für Arbeitssicherheit).

      Beispiele für Eigengefährdung sind: Physikalische Ein-      2.2     Beurteilung einzelner Arbeitsplätze
      wirkungen (z. B. elektrischer Strom, Hitze), chemische
      (Gefahrstoffe) und biologische Einwirkungen (z. B. in-              Soweit es um die arbeitsmedizinische Beurteilung ei-
      fektiöse Stoffe), Gefährdung durch Arbeitsablauf/-mittel            ner anfallskranken Person in Bezug auf einen konkreten
      (z. B. ungeschützte bewegte Maschinenteile, Absturz-                Arbeitsplatz geht, sollte zunächst das Gefährdungspo-
      möglichkeit, Arbeit in engen Räumen, Alleinarbeit). Auf             tenzial bzw. die Gefährdungskategorie der Anfälle ent-
      den Einzelfall bezogen sollte geprüft werden, ob durch              sprechend den in dieser Schrift gegebenen Hinweisen
      geeignete technische Vor­richtungen und Hilfen die                  ermittelt werden (Abbildung 1) und dann in Kenntnis
      Unfall­gefähr­dung an einem bestimmten Arbeitsplatz so              des Arbeitsplatzes geprüft werden, ob und ggf. welche
      redu­ziert wer­den kann, dass er für eine Person mit Epi-           gesundheitlichen Bedenken und welche Möglichkeiten
      lepsie geeignet ist.                                                bestehen. Zur sachgerechten Beurteilung ist in der Re-
                                                                          gel die Betriebsärztin oder der Betriebsarzt, ggf. auch
      Fremdgefährdung ist gegeben z. B. bei anfallsbedingter              die Aufsichtsperson des Unfallversicherungsträgers, die
      Unterbrechung der Aufsicht Minderjähriger bzw. geistig              Fachkraft für Arbeitssicherheit und der Sicherheitsbe-
      oder körperlich behinderter Menschen im Bereich sozi-               auftragte des Betriebes hinzuzuziehen. Diese unterstüt-
      al-pflegerischer oder pädagogischer Berufe. In welchem              zen den Unternehmer bei der erforderlichen Erstellung
      Ausmaß eine Aufsicht erforderlich ist, hängt von dem                der Gefährdungsbeurteilung unter Berücksichtigung des
      Grad der körperli­chen oder geistigen Einschränkungen               Krankheitsbildes, der Tätigkeit und des Arbeitsumfeldes.
      sowie vom Grad der Gefährdung in der jeweiligen Situ-
      ation ab.                                                           Hilfreich zur Reduzierung von Gefährdungen können
                                                                          u. a. die folgenden Maßnahmen sein:
       Zur Reduzierung des Risikos der Eigen- bzw. Fremdge-               • Information der Arbeitskollegen und -kolleginnen
      fährdung, sollte nach dem S-T-O-P-Prinzip (Grundlage                   über die Anfälle und die damit verbundenen Risiken1)
      Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), Gefahrstoffverordnung
                                                                          • Herausnahme bestimmter Tätigkeiten, zeitlich befris-
      (GefStoffV), Biostoffverordnung (BioStoffV)) vorgegan-
                                                                             tet oder auf Dauer
      gen werden:
                                                                          • auf Anfälle bezogene Sicherheitsvorkehrungen und
       S	Substitution, z. B. weniger giftige Gefahrstoffe                   Arbeitsassistenz.
          verwenden

       T	Technische Schutzmaßnahmen zur Verringerung             2.3     Beurteilung der Berufseignung
          der Gefährdung auswählen u. anwenden
                                                                          Es ist zwischen der Berufswahl vor der Erstausbildung
       O	Organisatorische Schutzmaßnahmen, z. B. Arbeiten                und der Situation, in der eine Epilepsie erst nach einer
          zu zweit

       P	Persönliche Schutzmaßnahmen, z. B. Gehör-, An-          1) Videobeispiele epileptische Anfälle auf DVD mit Zuordnung der
          seilschutz, schnittfeste Kleidung                          Anfälle zur Gefährdungskategorie siehe 13 Ebner A, Brandt C,
                                                                     Specht U, Murafi L (2010) Epileptische Anfälle. Springer, München

                                                                                                                                     11
Beurteilung beruflicher Risiken bei Epilepsie

         abgeschlos­senen Berufs­aus­bildung zu einem Wechsel             werden können. Ggf. sollte dies im Rahmen einer medi-
         der Tätigkeit zwingt, zu unterscheiden.                          zinischen Rehabilitationsbehandlung geklärt werden.

         Bei einer Erstausbildung ist darauf zu achten, dass im
         ange­strebten Beruf möglichst viele Tätigkeitsfelder of-   2.4   Haftungsfragen
         fen stehen. Frühzeitig sollte deshalb eine Rehaberatung
         eingeschaltet werden, die den Betroffenen über mög-              Ein epileptischer Anfall während der Arbeitszeit stellt
         liche Berufsalternativen berät und ggf. Leistungen zur           im Allgemeinen keinen Arbeitsunfall dar. Seine Folgen
         Teilhabe am Arbeitsleben ver­anlassen kann.                      sind nicht zu entschädigen, da es sich hierbei um einen
                                                                          so genannten "Unfall aus innerer Ursache" handelt. Nur
         Eine Ausbildung sollte nicht an Arbeiten mit erhöh-              wenn betriebliche Umstände wesentlich zur Entstehung
         ter Unfall­gefährdung schei­tern, die aufgrund der Aus-          oder zur Schwere des Unfalles beigetragen haben, liegt
         bildungsordnung für das Berufsbild nur während der               ein Arbeitsunfall vor (z. B. Sturz infolge epileptischen
         Ausbildung ausgeführt werden müssen, für das Ausbil-             Anfalls in eine besonders gefährdende Maschine).
         dungsziel aber nicht wesentlich sind und bei der späte-
         ren Berufstätigkeit nicht mehr zwingend gefor­dert wer-          Ein Regress des Unfallversicherungsträgers gegen Un-
         den, beispielsweise Arbeiten an einer Drehmaschine in            ternehmer oder Arbeitskollegen ist nur dann möglich,
         der Ausbildung „Technischen Systemplaner Stahl- und              wenn sie den Arbeitsunfall vorsätzlich oder grob fahrläs-
         Metallbautechnik“ oder der Nachtdienst in der Aus-               sig herbeigeführt haben (vgl. § 110 SGB VII).
         bildung zum pflegerischen Beruf. Die gesetzlichen Be-
         stimmungen erlauben in vielen Fällen, mit der für die            Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Gegebenhei-
         Prüfung zuständigen Stelle zu vereinbaren, dass sie              ten besteht kein Anlass für eine restriktive Beurteilung
         auch dann als er­folg­reich abgeschlossen gilt, wenn die         der beruflichen Möglichkeiten von Personen mit Epilep­
         Person mit Behinderung diese Ausbildungsab­schnitte              sie. Bei sachgerechter Prüfung der Einsatzmöglichkeiten
         nicht als Ausführender durchlaufen hat.                          entsprechend den vor­liegenden Empfehlungen wird ein
                                                                          grob fahrlässiges oder gar vorsätzliches Handeln des
         Bei Personen, die nach einer Berufsausbildung - evtl.            Unternehmers oder von Vorgesetzten selbst dann nicht
         auch erst im fortge­schritte­nen Lebensalter - zu einem          angenom­men werden können, wenn sich wider Erwar-
         Tätigkeits­wechsel gezwungen sind, sollte in erster Li-          ten im Einzelfall doch einmal ein Arbeitsunfall infol­ge
         nie geprüft werden, ob - z. B. im Rahmen einer betrieb-          eines epileptischen Anfalls ereignen sollte.
         lichen Umsetzung - die Möglich­keit besteht, weiterhin
         eine Tätigkeit auszuüben, bei der vor­beste­hende be-
         rufliche Kenntnisse und Erfahrungen verwertet werden
         können und die den behinderungsbedingten Einschrän-
         kungen Rechnung trägt. Die sich dabei ergebenden
         Fragen sollten zwischen betroffener Person, Betriebs-
         arzt oder Betriebsärztin, Fachkraft für Arbeitssicher-
         heit, Arbeitgeber, Betriebsrat bzw. Personalrat und ggf.
         Schwerbehinderten-Ver­trauensperson geklärt werden.
         Erst wenn sich herausstellt, dass dieser Weg nicht mög-
         lich ist, sollten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsle-
         ben erwogen werden. Eine fundierte Empfehlung für
         einen bestimmten Beruf wird oft nur möglich sein, wenn
         sie sich auf eine diffe­renzierte, individuelle sozial­
         medizinische Beur­teilung stützen kann, ver­bunden mit
         einer eingehenden psycholo­gischen Untersuchung und
         einer prakti­schen Arbeitserprobung oder einem Prak-
         tikum, durch die verlässliche Anhaltspunkte für die
         späteren beruflichen Einsatzmöglichkeiten gewonnen

12
3 Beurteilung ausgewählter Tätigkeiten

3.1   Allgemeines                                                     Denkbar ist eine Anfallsauslösung bei Personen mit Fo-
                                                                      tosensibilität, wenn schnell wechselnde kontrastreiche
      Bei der Beurteilung von Tätigkeiten wird jeweils unter-         Bildschirminhalte - unabhängig von der Art des Bild-
      schieden zwischen                                               schirmes - auftreten, z. B. Streifenmuster. Solche Bild-
                                                                      schirminhalte kommen in aller Regel in der Berufspraxis
      (+) Grundsätzlich keine Bedenken                                nicht vor.

      (-) Nicht möglich                                               Monitore und Fernsehgeräte bei beruflicher Tätigkeit

                                                                      Monitore oder Fernsehgeräte werden z. B. bei Überwa-
3.2   Bildschirmarbeit                                                chungstätigkeiten (siehe auch Abschnitt 3.4 „Fahr-,
                                                                      Steuer- und Überwachungstätigkeiten“) eingesetzt. Bei
      An diesen Arbeitsplätzen werden Bildschirme zur Dar-            Personen mit fotosensibler Epilepsie kann es in folgen-
      stellung alphanumerischer Zeichen oder zur Grafikdar-           den Situationen zu einer Anfallsauslösung kommen:
      stellung ungeachtet des Darstellungsverfahrens einge-           • bei Verwendung von Röhrenmonitoren älterer Bauart,
      setzt. Die Arbeitsplätze können ausgestattet sein mit             die in 50 Hertz-Technik im „interlaced“ Verfahren
      Einrichtungen zur Erfassung von Daten; Software, die              arbeiten und damit in der Sekunde etwa 25 Bilder
      den Beschäftigten bei der Ausführung ihrer Arbeitsauf-            aufbauen.
      gaben zur Verfügung stehen; Zusatzgeräten und sonsti-
                                                                      • bei Überwachungskameras mit einer Übertragung von
      gen Arbeitsmitteln.
                                                                        25 bis 50 Bildern pro Sekunde, bei denen auch auf
                                                                        einem eigentlich nicht flimmernden LCD Monitor ein
      Personen mit Epilepsie sind an solchen Arbeitsplät-
                                                                        flimmerndes Bild entsteht.
      zen einsetzbar, da im Allgemeinen keine Selbst- oder
      Fremdgefährdung durch Anfälle besteht. Eine Eingliede-          Wie oben erwähnt, weisen lediglich ca. 5 % aller Perso-
      rung ist grundsätzlich ohne besondere Einschränkun-             nen mit Epilepsie eine Fotosensibilität auf, von denen
      gen möglich.                                                    etwa 90 % durch geeignete pharmakologische Behand-
                                                                      lung die fotosensible Reaktion verlieren. Bei persistie-
      Dem gegenüber wird häufig die Befürchtung geäußert,             render Fotosensibilität ist eine Versorgung mit Hilfsmit-
      dass an Bildschirmarbeitsplätzen ein erhöhtes Risiko            teln, z. B. einer polarisierenden, abdunkelnden Brille,
      für die Auslösung von Anfällen bei Personen mit Epilep-         oft wirksam (9).
      sie aufgrund einer bestehenden Fotosensibilität, d. h.
      das Auftreten epilepsietypischer Veränderungen bei              Bei Personen mit Epilepsie, die an Monitoren und Fern-
      intermittierenden Lichtreizen, vorliegt und hierdurch           sehgeräten beruflich tätig sind, sollte bei Hinweisen auf
      epileptische Anfälle ausgelöst werden können. Solche            eine Fotosensibilität eine Untersuchung durch einen
      Reaktionen treten nur bei etwa 5 % aller Betroffenen            Facharzt oder eine Fachärztin für Neurologie/Nervenheil-
      auf und zeigen sich in der Regel nur in sehr niedrigen          kund/Neuropädiatrie durchgeführt werden. Bei Bestä-
      Frequenzbereichen, am häufigsten zwischen 15 und 20             tigung einer Fotosensibilität sollten die Personen hin-
      Hertz. Bei einer Frequenz von 65 Hertz und mehr sind            sichtlich einer Auslösung von Anfällen durch Muster oder
      nach Literaturangaben nur noch bei 4 % der fotosen-             schnell laufende Bilder in enger Kooperation mit dem
      siblen Personen mit Epilepsie EEG-Veränderungen zu              Betriebsarzt oder der Betriebsärztin beraten werden.
      beobachten (21). Auch weisen Bildschirmgeräte mit Ka-
      thodenstrahlröhrenanzeige (CRT) in der Regel Bildwech-
      selfrequenzen zwischen 75 und 85 Hertz auf. In diesem     3.3   Tätigkeiten mit Absturzgefahr
      Bereich wurden keine fotosensiblen Reaktionen bei
      Personen mit Epilepsie beobachtet. Überwiegend wer-             In der Regel sind bei Absturzhöhen von mehr als 1 Me-
      den heute Bildschirme mit Flüssigkristallanzeige (LCD),         ter Maßnahmen gegen Absturz erforderlich. Wegen
      bei denen (wegen des fehlenden zeilenweisen Bildauf-            der Vielfalt der Arbeitsplätze vor allem im Handwerk
      baus) kein Risiko einer Anfallsauslösung besteht und            werden auch abweichende Regelungen beschrieben.
      nur noch für spezielle Anforderungen Bildschirme mit            Vorrang hat auf jeden Fall eine vollständige, umfas-
      CRT eingesetzt.                                                 sende, aktuelle arbeitsplatz- und tätigkeitsbezogene
                                                                      Gefährdungsbeurteilung.

                                                                                                                              13
Beurteilung ausgewählter Tätigkeiten

        Die Einteilung in der Abbildung 2 gibt einen Überblick       Vergleichbar zu den Begutachtungsleitlinien zur Kraft-
        über das Ausmaß möglicher Gefährdungen im Zusam-             fahreignung muss bei der Beurteilung der gesundheit-
        menhang mit Anfällen. Sofern die Gefährdungsbeur-            lichen Risiken am Arbeitsplatz das Risiko eines Anfalls
        teilung nichts anderes ergibt, bestehen bei Tätigkeiten      minimal sein, wenn eine Selbstgefährdung oder die
        bis zu einer Absturzhöhe von 1 m im Allgemeinen keine        Fremdgefährdung möglich ist. Dabei kann die Diffe-
        gesundheitlichen Bedenken, da diese Gefährdung in            renzierung der gesundheitlichen Voraussetzungen für
        der Regel denen des täglichen Lebens vergleichbar ist.       Fahrzeuge der Gruppen 1 und 2, wie in den Begutach-
        Sehr schwere Epilepsien mit bis zu täglich auftretenden      tungsleitlinien für die Kraftfahreignung, als Maßstab
        Anfällen der Gefährdungskategorien C und D bedürfen          genommen werden.
        einer gesonderten Beurteilung. In der Praxis dürfte dies
        nur sehr selten vorkommen.                                   Die Abbildungen 4 und 5 tragen der hohen Variabili-
                                                                     tät bzw. den individuell zu beurteilenden Umständen
        Bei der Beurteilung von beruflichen Möglichkeiten ist        Rechnung.
        darauf zu achten, inwieweit Tätigkeiten mit Absturzge-
        fahr berufsbestimmend sind oder nur gelegentlich vor-        Es ist nicht möglich, alle Arten von Fahr-, Steuer- und
        kommen. Bei gelegentlichem Vorkommen kann Eignung            Überwachungstätigkeiten zu erfassen, insbesondere
        bestehen, wenn die gefährdenden Tätigkeiten nicht aus-       auch deshalb, weil sich in dieser Domäne ein sehr ra-
        geführt werden müssen, z. B. weil ein Kollege bzw. eine      scher technischer Wandel vollzieht. Um die Eignung des
        Kollegin sie übernimmt (siehe Abbildung 3).                  Geräteführers für Arbeitsgeräte und -verfahren beurtei-
                                                                     len zu können, die nicht aufgeführt sind, wie z. B. Ma-
                                                                     nipulatoren und Geräte zum zerstörungsfreien Prüfen,
3.4     Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten                   ist eine exakte tätigkeitsbezogene Gefährdungsbeurtei-
                                                                     lung unerlässlich. Die in den Abbildungen genannten
        Das Gefährdungspotenzial der verschiedenen Fahr-,            Tätigkeiten können dabei in Analogie als Anhaltspunkte
        Steuer- und Überwachungstätigkeiten ist ausgespro-           dienen.
        chen unterschiedlich, auch innerhalb der Untergruppen
        der einzelnen Tätigkeiten.

        So existieren beispielsweise im Arbeitsbereich "Flurför-
        derzeuge" Tätigkeiten, die als relativ ungefährlich einge-
        stuft werden können, wenn Gefährdungen weder durch
        das Transportgut noch durch die örtlichen Gegebenhei-
        ten vorliegen, wie z. B. beim Befördern von Torfsäcken
        oder Ähnlichem mit einem einzelnen Gabelstapler in
        einer Gärtnerei. Dem gegenüber können von Stapler-
        fahrern auch mit einem hohen Gefährdungspotenzial
        verbundene Tätigkeiten verlangt werden, beispielswei-
        se Be- und Entladen von Hochregallagern, Laden und
        Entladen von Gefahrstoffen, insbesondere wenn das
        Umfeld durch Unübersichtlichkeit oder hohes Verkehrs-
        aufkommen zusätzliche Gefahren birgt. Hier können die
        gesundheitlichen Anforderungen sogar höher zu bewer-
        ten sein, als sie für das Lenken eines solchen Gerätes
        im öffentlichen Straßenverkehr gestellt würden (siehe
        dazu Abbildung 4).

        Daher ist zur Abschätzung der Einsetzbarkeit eine repi-
        lepsiekranken beschäftigten Person die Berücksichti-
        gung der speziellen Arbeitsplatzsituation, die ggf. vor
        Ort beurteilt werden muss, unerlässlich.

14
4 Beurteilung ausgewählter Berufe

4.1   Allgemeines                                                       Bewerber nicht in gesundheitlicher Hinsicht zur Aus-
                                                                        übung des Berufs ungeeignet sein darf.
      Bei der Beurteilung ist zu berücksichtigen, dass Beru-
      fe immer eine Vielzahl von Tätigkeiten umfassen und               Auch wenn dies gesetzlich nicht gefordert wird, so ist es
      dass diese in der Praxis unterschiedlich verteilt sein            auch im Bereich der Ergotherapie, Logopädie und Psy-
      können, so dass es im gleichen Beruf mehr oder weni-              chotherapie empfehlenswert, die Eignung zur Berufs-
      ger risikoreiche Arbeitsplätze geben kann. Dies ist bei           ausübung schon bei Ausbildungsbeginn abzuklären.
      Ausbildungsentscheidungen zu berücksichtigen (siehe
      auch Abschnitt 2.3). Bei einem bereits ausgeübten Be-             Sind in der Krankenpflege, der Physio- oder Ergothe-
      ruf sollten jeweils die konkret ausgeübten Tätigkeiten            rapie, Logopädie oder bei der Tätigkeit als Psychothe-
      beurteilt werden.                                                 rapeut nachträglich Tatsachen eingetreten, die die Ab-
                                                                        erkennung der Erlaubnis rechtfertigen würden, so ist
      Für die Beurteilung folgt daraus die Abstufung:                   diese zurückzunehmen bzw. zu widerrufen. Teilgeneh-
                                                                        migungen sind nicht vorgesehen.
      ● grundsätzlich keine Bedenken
      ▲ möglich in der Mehrzahl der Arbeitsplätze                       Die gesundheitliche Eignung ist im Bereich der Kranken-
      ■ möglich in besonderen Fällen                                    pflege dann als nicht (mehr) gegeben anzusehen, wenn
                                                                        wesentliche Tätigkeiten des Berufs nicht (mehr) ausge-
                                                                        übt werden können. Gesundheitliche Eignung bezieht
4.2   Maschinenbautechnische und elektrotechnische Berufe               sich also nicht auf die Fähigkeit, jedwede im Beruf vor-
                                                                        kommende Tätigkeit ausüben zu können (22).
      Zu Einzelheiten siehe Abbildungen 6/6a und 7/7a
                                                                        Zu Einzelheiten siehe Abbildungen 8 -13.

4.3   Berufe des Gesundheitswesens
                                                                  4.4   Berufsrechtliche Besonderheiten bei sozialpflegeri-
      Allgemeine Voraussetzung für die Erteilung der Erlaubnis          schen und sozialpädagogischen Berufen
      zum Führen der Berufsbezeichnung ist in der Kranken-
      pflege § 2 Krankenpflegegesetz, in der Physiotherapie             Die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern, Haus-,
      § 2 Masseur‑ und Physiotherapeutengesetz, in der Ergo-            Familien- und Kinderpflege ist landesrechtlich geregelt.
      therapie § 2 Gesetz über den Beruf des Beschäftigungs‑            Bei Berufen in der Familienpflege und mitunter auch bei
      und Ergotherapeuten, in der Logopädie § 2 Gesetz über             der Kinderpflege muss die gesundheitliche Eignung für
      den Beruf des Logopäden. Dort wird gesagt, dass eine              den Beruf schon vor Ausbildungsbeginn nachgewiesen
      Erlaubnis nur erteilt werden darf, wenn die Person, die           werden. Bei Erzieherinnen und Erziehern wird bei Aus-
      den Antrag stellt „nicht wegen eines körperlichen Gebre-          bildungsbeginn meist kein Nachweis der gesundheitli-
      chens oder wegen Schwäche seiner geistigen oder kör-              chen Eignung verlangt.
      perlichen Kräfte oder wegen einer Sucht zur Ausübung
      des Berufs unfähig oder ungeeignet ist“. Für Psychologen          Die staatliche Anerkennung kann zurückgenommen wer-
      und Psychologinnen, die in niedergelassener Praxis tätig          den, wenn es zu erheblichen Einschränkungen bei der
      werden wollen, bestimmt § 2 des Psychotherapeuten-                Wahrnehmung der Aufsichtspflicht bzw. zu Eigengefähr-
      gesetzes, dass die Approbation nur zu erteilen ist, wenn          dung aufgrund von Störungen im körperlichen, geisti­gen
      die antragstellende Person nicht in gesundheitlicher Hin-         und seelischen Bereich kommt. Die zuständigen Schul-/
      sicht zur Ausübung des Berufs ungeeignet ist.                     Fachaufsichts­behörden prüfen den jeweiligen Einzelfall.

      Die Ausbildung zum Ergotherapeuten oder Logopäden                 Auch wenn seitens der staatlichen Aufsichtsbehör-
      ist durch fehlende gesundheitliche Voraussetzungen                de die gesundheitlichen Voraussetzungen zur Berufs-
      nicht beschränkt. Anders ist die Regelung in den Pfle-            ausübung erst am Ende der Ausbildung oder gar nicht
      geberufen und bei der Physiotherapie. Hier bestimmt               überprüft werden, empfiehlt sich eine solche Abklärung
      § 5 Krankenpflegegesetz bzw. § 10 Masseur- u. Physio-             schon vor Ausbildungsbeginn.
      therapeutengesetz u. a. als Voraussetzung für den Zu-
      gang zu einer Ausbildung, dass die Bewerberin oder der            Zu Einzelheiten siehe Abbildungen 14 - 16.

                                                                                                                                 15
5 Tätigkeitsbezogene Gefährdungseinschät-
  zung nach erstem epileptischen Anfall

Eine von 1000 -2000 Personen erleidet pro Jahr einen ersten               bei einem Rezidivanfall der Anfallstyp gleich bleibt oder sich än-
epileptischen Anfall. Bei etwa der Hälfte handelt es sich um ein          dert. Z. B. könnte als erstes ein Anfall der Gefährdungskategorie
Ereignis, das durch eine akute gesundheitliche Störung hervor-            A und später als Rezidivanfall ein Anfall der Gefährdungskate-
gerufen wird, z. B. eine Intoxikation (Vergiftung) oder eine Ge-          gorie C auftreten. Auch ist nicht sicher davon auszugehen, dass
hirnverletzung (sog. "akut symptomatische Anfälle"), bei der              nach einem ersten Anfall aus dem Schlaf heraus ein weiterer An-
anderen Hälfte um Anfälle ohne akute Ursache (sog. "unprovo-              fall wiederum an den Schlaf gebunden auftreten wird.
zierte Erstanfälle") (15, 16).
                                                                          Die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung tragen diesen
Die Wahrscheinlichkeit, nach einem ersten Anfall noch einmal              Erkenntnissen über epileptische Erstanfälle Rechnung, indem
einen Anfall zu erleiden, hängt bei akut symptomatischen Anfäl-           sie provozierten und unprovozierten Erstanfällen unterschiedli-
len vom auslösenden Faktor und der Möglichkeit, diesen auszu-             che anfallsfreie Beobachtungszeiten zuordnen. Die in Abbildung
schalten, ab. Bei unprovozierten Erstanfällen beträgt das Rezi-           17 ausgesprochenen Empfehlungen für anfallsfreie Beobach-
divrisiko etwa 30 - 40 %, wobei etwa 2/3 der Rezidive innerhalb           tungszeiten bei unterschiedlicher Schwere des Verletzungsrisi-
des ersten Jahres nach dem Erstereignis auftreten, die meisten            kos bzw. Fremdgefährdung in der beruflichen Tätigkeit orientie-
im ersten halben Jahr (6).                                                ren sich an den Begutachtungsleitlinien für die Kraftfahreignung
                                                                          von 2009 (14).
Einteilung von Erstanfällen:
                                                                          Ganz anders ist die Situation nach einem ersten Anfall, wenn
 a        Erstmaliger provozierter Anfall (ohne Hinweise für begin-
          nende Epilepsie) mit vermeidbarem Provokationsfaktor,           bereits eine berufliche Tätigkeit ausgeübt wird. Es muss dann
          z. B. prokonvulsiv wirkende Medikamente                         rasch entschieden werden, ob die Tätigkeit weiter ausgeübt
 b        Erstmaliger unprovozierter Anfall (ohne Hinweise für begin-     werden kann. Möglicherweise müssen besonders gefährden-
          nende Epilepsie)                                                de Einzeltätigkeiten ausgeschlossen werden oder eine zeitlich
 c        Erstmaliger Anfall (provoziert oder unprovoziert) mit Hinwei-   befristete Umsetzung in eine weniger gefährdende Umgebung
          sen für beginnende Epilepsie                                    erfolgen. Eventuell ist auch eine berufliche Um- oder Neuorien-
                                                                          tierung ratsam, z. B. im Rahmen von Leistungen zur Teilhabe. Es
Bei fachgerechter Diagnostik und anschließender Einordnung                wird empfohlen, sich bei diesen Entscheidungen an Abbildung
in die Gruppen a, b oder c lässt sich das Risiko für das Auftre-          17 zu orientieren.
ten weiterer Anfälle recht gut abschätzen. Allerdings kann nach
einem ersten epileptischen Anfall nicht vorhergesagt werden, ob

16
6 Abbildungen 2–17

Tätigkeiten mit Absturzgefahr
                                    Gefährdungskategorie           Tätigkeiten über 3 m oder   Tätigkeiten bis 3 m über       Tätigkeiten bis 1 m über
                                                                   Tätigkeiten mit erhöhter    festem Boden ohne              festem Boden ohne
                                                                   Absturzgefahr               Absturzsicherung               Absturzsicherung
                                                                                                                              (z. B. Bockgerüste)
 Langfristige Anfallsfreiheit:
 • Anfallsfrei ≥ 5 Jahre ohne an-                                             (+)                         (+)                            (+)
   tiepileptische Therapie

 Mittelfristige Anfallsfreiheit:
 • Anfallsfrei ≥ 1 Jahr nach ope-
   rativer Therapie
 • Anfallsfrei ≥ 2 Jahre unter
   Pharmakotherapie                                                           (-)                         (+)                            (+)
 • Anfälle nur aus dem
   Schlaf ≥ 3 Jahre unter
   Pharmakotherapie
 • Kategorie „0“ ≥ 1 Jahr

 Anfälle ≤ 2/Jahr                               A                             (-)                         (+)                            (+)
                                                B                             (-)                          (-)                           (+)
                                                C                             (-)                          (-)                           (+)
                                                D                             (-)                          (-)                           (+)
 Anfälle ≥ 3/Jahr                               A                             (-)                         (+)                            (+)
                                                B                             (-)                          (-)                           (+)
                                                C                             (-)                          (-)                           (+)
                                                D                             (-)                          (-)                           (+)

Abb. 2 Tätigkeiten mit Absturzgefahr
(+) grundsätzlich keine Bedenken
( - ) nicht möglich

Beispiele für Tätigkeiten mit erhöhter Absturzgefahr in unterschiedlichen Berufen
                                    Tätigkeiten über 3 m oder Tätigkei-     Tätigkeiten bis 3 m über festem Bo-   Tätigkeiten bis 1 m über festem Bo-
                                    ten mit erhöhter Absturzgefahr          den ohne Absturzsicherung             den ohne Absturzsicherung
                                                                                                                  (z. B. Bockgerüste)
                                    berufsbestim-      gelegentlich         berufsbestim-      gelegentlich       berufsbestim-        gelegentlich
                                    mend               vorkommend           mend               vorkommend         mend                 vorkommend

 Gerüstbauer, Antennenbauer,
 Freileitungsmonteur,
                                           X
 Dachdecker, Zimmermann,
 Schornsteinfeger

 Elektroinstallateur,
 Betonbauer,
 Stahlbauschlosser,                                            X                    X
 Fernsehmonteur,
 Maurer

 Gärtner, Dekorateur,
 Gebäudereiniger,                                                                                     X                   X
 Tiefbauarbeiter

Abb. 3 Beispiele für Tätigkeiten mit erhöhter Absturzgefahr in unterschiedlichen Berufen

                                                                                                                                                         17
Abbildungen 2–17

Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten
 Fahr-, Steuer- und Über-     Gefähr-      Flurförderzeuge              Hubarbeits-      Erdbaumaschinen            Hebezeuge, z. B. Hebebüh-
 wachungstätigkeiten          dungskate-                                bühnen                                      nen, Grubenheber, Krane4)
                              gorie        Stapler, Re-   Mitgänger-                     als Mitgän-   Mit
                                           galbedien-     Flurförder-                    ger bedient   Fahrersitz
                                           geräte         zeuge2)
 Langfristige
 Anfallsfreiheit:
 • Anfallsfrei ≥ 5 Jahre                       (+)            (+)             (+)            (+)           (+)                 (+)
   ohne antiepileptische
   Therapie

 Mittelfristige                                                                                                          (+) 2 Jahre unter
                                  A            (+)1)          (+)             (+)            (+)            (-)
 Anfallsfreiheit:                                                                                                       Pharmakotherapie
 • Anfallsfrei ≥ 1 Jahr
   nach operativer                                                                                                       (+) 2 Jahre unter
                                  B            (+)1)          (+)             (+)            (+)            (-)
   Therapie                                                                                                             Pharmakotherapie
 • Anfallsfrei ≥ 1 Jahr un-       C            (+)1)          (+)             (+)            (+)            (-)                (-)
   ter Pharmakotherapie
 • Anfälle nur aus dem
                                                                               (+)
   Schlaf ≥ 3 Jahre unter
                                                                         2 Jahre unter
   Pharmakotherapie               D            (+)1)          (+)                            (+)            (-)                (-)
                                                                          Pharmako-
 • Kategorie „0“ ≥ 2                                                        therapie
   Jahre 5)

 Anfälle ≤ 2/Jahr                 A                           (+)             (+)                                              (-)
                                  B                            (-)            (+)                                              (-)
                                  C                           (+)             (+)                                              (-)
                                  D                            (-)            (-)                                              (-)
                                               (-)                                           (-)3)          (-)
 Anfälle ≥ 3/Jahr                 A                           (+)             (+)                                              (-)
                                  B                            (-)            (+)                                              (-)
                                  C                           (+)             (+)                                              (-)
                                  D                            (-)            (-)                                              (-)
Abb. 4 Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten
1)      Bei hohem Gefährdungspotenzial durch Geschwindigkeit, Kollisionsgefahr, heiße Oberflächen, große Massen, Schwerpunktlage,
        Gefahrstoffrisiken ist „langfristige Anfallsfreiheit“ erforderlich.
2)      Vorausgesetzt, es besteht eine Sicherung, die beim Loslassen des Bedienungsschalters/der Deichsel das Gerät zum Stillstand bringt.
3)      Ggf. Einzelfallentscheidung bei risikoarmer Umgebung, unter Berücksichtigung des Gefährdungspotenzial der Maschine und der Umgebung,
        z. B. wenn der Gefahrenbereich um das Gerät abgesperrt ist.
4)      Ausgeschlossen, wenn Absenkung vom Boden aus nicht möglich/oder das Absenken ≥ 10 min dauert; ggf. Einzelfallentscheidung
        bei risikoarmer Umgebung, unter Berücksichtigung des Gefährdungspotenzials der Maschine und der Umgebung.
5)      Einordnung entsprechend der Gefährdungskategorie, die im Krankheitsverlauf vor dem Wechsel nach "0" galt.
        Sofern "0" von Krankheitsbeginn an bestand (sehr selten), Gefährdungskategorie "0"≥ 2 Jahre

         Information

     Falls das Fahrzeug für den Straßenverkehr zugelassen ist (und somit einer Fahrerlaubnisklasse zugeordnet werden kann),
     gelten die gesundheitlichen Voraussetzungen nach der Fahrerlaubnisverordnung bzw. den Begutachtungsleitlinien für die
     Kraftfahrereignung.
     Falls das Fahrzeug nicht für den Straßenverkehr zugelassen ist (und somit nicht einer Fahrerlaubnisklasse zugeordnet wer-
     den kann), und nicht eine Gerätegruppe in der Abbildung zutrifft, ist das Gewicht das entscheidende Kriterium. Ab 3500 kg
     Fahrzeuggewicht gelten dann die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 2.
     Grundsätzlich ist bei besonderen Gefährdungssituationen eine Einzelfallbeurteilung vorzunehmen, auch bei für den
     Straßenverkehr zugelassenen Fahrzeugen.

18
Sie können auch lesen