Die Angst kommt mit den Altersflecken - Reformierte Stadtkirche
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Die Angst kommt mit den Altersflecken Zwei Uraufführungen am Burgtheater und am Akademietheater. Bühnenklassi- ker umgeschrieben und neu verfasst, anders wieder einmal. Der Jedermann von Hofmannsthal und Shakespeares Romeo und Julia. Das Thema von Liebe und Leben im Schatten des Todes bei den beiden auch nicht neu, aber weithin die markanten Titel. Luk Perceval schreibt an dem klassischen, tragischen Liebespaar weiter, was bereits mit Ephraim Kishon (Es war die Lerche) und im letzten Jahr Micha- el Niavarani (Die höchst beklagenswerte und gänzlich unbekannte Ehetragödie von - ROMEO & JULIA - Ohne Tod kein Happy End) kabarettistisch verarbeitet worden ist. Das Paar hat überlebt, ist in die Jahre gekommen und ihre Liebe denn auch. Der flämische Regisseur Luk Perceval bearbeitet die Geschichte in Anlehnung an den Roman seines Landsmanns Dimitri Verhulst Der Bibliothe- kar, der lieber dement war, als zu Hause bei seiner Frau (von 2014) für sein Stück Rosa oder Die barmherzige Erde, das er selbst am Akademiethea- ter inszeniert und uraufgeführt hat (Premiere am 10. März). Vor der Kulisse der Zuschauerränge wie in einem Amphitheater (Bühne Katrin Brack), auf dem ein paar betagte alte Damen vor sich hindämmern (der „Vergissmeinnicht-Chor“) dreht sich auf einer kleinen rotierenden Arena alles um den exzentrischen Désiré Cordier (Tobias Moretti), der sich seiner Familie überdrüssig unter der Vorgabe des Altersschwachsinns in ein Pflege- heim hat einweisen lassen. Tobias Moretti und der Vergissmeinnicht-Chor Die erwarteten neuen Freiheiten infolge der Selbstbefreiung von Verant- wortung und gepflegtem Benehmen („Zu meinem Erstaunen hab ich jetzt völlig spontan ins Bett gekackt!“) wollen aber nicht gelingen. Flucht aus der Wirklich- keit führt unweigerlich in den Verlust derselben. Die unverhoffte Wiederbegeg- nung mit Rosa (Mariia Shulga auf eine schweigende Statistenrolle reduziert), einer einstigen Liebe, trägt zur Verwirrung bei, insbesondere weil diese ihn nicht wiedererkennt und alsbald stirbt. Die verlorene Liebe vermischt sich mit
den vertrauten Worten aus dem Shakespeare’schen Liebesdrama. Bei allem Gedächtnisverlust sind dem einstigen Bibliothekar, der sich bestens in seinen Büchern auskannte, nicht untypisch in der Demenz die gebundenen Worte wei- terhin vertraut. Aber dem Spiel mit dem Tod, das Romeo und Julia in den Tod führte, entspricht die zunehmende Selbstauflösung und der echte Durchbruch der Demenz bei dem sich selbst überschätzenden Désiré, der schlussendlich seiner Rosa in den Tod folgt. Zuvor der vergebliche Versuch von Frau und Tochter, ihn zurückzuholen. Das Gekeife seiner Ehefrau Moniek (Gertraud Jesserer), die den Zustand ih- res Mannes nicht wahrhaben will, ihn beschimpft, sich über die Ehejahre mit ihm beschwert und ihn doch nach Hause holen möchte sowie der Pflegemana- gerin (Sylvie Rohrer) Leichtfertigkeit aus Geldgier unterstellt. Sie ist Opfer der Krankheit und des Spiels damit. „Und das Schlimmste ist, bald werde ich keinen Mann mehr haben, den ich beschimpfen und anschreien kann, ich wer- de endgültig allein im Bett liegen.“ Ebenso herzzerreißend der Versuch der Tochter (Sabine Haupt), sich ihrem Vater fern seiner früheren Dominanz an- zunähern und Verständnis zu suchen, sich auf seinen Schoß setzt und mit ihm Zigaretten raucht, „sich zu diesem ,selbstmörderischen Genussmittel des Pö- bels‘ erniedrigt“ und nach der Beichte ihrer gescheiterten Ehe resigniert: „Du weißt überhaupt nicht mehr, wer ich bin, oder?... Scheiße. Deine Krankheit geht mir so an die Nieren, Paps, weißt du? Mir besonders.“ Sabine Haupt, Gertraud Jesserer, Tobias Moretti Sirenengesänge im Kopf (Musik Mathis Nitschke), chargierender Ton aus Verstärkerboxen oder freiem Sprechen auf der Bühne lassen die Unwirk- lichkeit nachempfinden. Der unkontrollierte Wechsel zwischen Kopfgespinsten und tatsächlichem Geschehen. Das Heimpersonal in seinen Rollen, das über- gangslos die Texte des Shakespearedramas rezitiert und von irgendwo zu hö- ren ist, sowie die Spielweise von Tobias Moretti geben der kargen Szenerie den verstörenden Eindruck des Wahns. Womit sich die Frage nach dem Abend stellt: Warum der schockierende Einblick in die schrecklichen Folgen einer Krankheit, von der womöglich selbst betroffen zu werden man mit jedem Lebensjahr näher rückt, die Auslöschung eines Menschen in seinem Kopf und die furchtbaren Folgen für die Angehöri- gen? Das freiwillige Vergessen des Bibliothekars, der lieber dement war, als zu
Hause bei seiner Frau und der in der Vergesslichkeit tatsächlich verfällt, ist als absurdes Konstrukt auch Metapher und Spiegel der Geschichtsvergessenheit und Verleugnung, der in diesem Gedenk-/Bedenkjahres versucht wird, entge- gen zu steuern. Dabei gibt das jüngste Jubiläum den sprechensten Vergleich. Der 68-er Aufbruch als Rebellion gegen die schweigende Generation. Da wur- den Barrikaden gegen die Barrieren des Vergessens errichtet. Befreiender anhaltender Applaus. Die zweite der beiden aktuellen Uraufführungen geht auf den besonderen Wunsch der Burgtheaterdirektorin Karin Bergmann zurück. Sie hat Ferdinand Schmalz mit der Neubearbeitung des Hofmannsthal‘schen Dauerbrenners be- auftragt. Als jedermann (stirbt) hatte sie nun am 23. Februar Premiere im Burgtheater. Die Geschichte hat bereits in der Bibel ihren Platz als Erzählung Jesu vom Reichen, den auf dem Höhepunkt seines Erfolges der Tod einholt (Lukas 12, 13- 21), gefunden und ist über die Jahrhunderte in verschiedenen Mysterienspielen kolportiert worden, bevor die Version von Hugo von Hofmannsthal bei den Salzburger Festspielen in jährlichen Aufführung vor dem Salzburger Dom gera- dezu Kultstatus gewonnen hat. Die Medien stürzen sich schon monatelang vor jeder Neuinszenierung auf die Besetzungsliste der vielen kleinen und typisier- ten Rollen und Schauspielerinnen und Schauspieler betrachten es als Ehre, an diesen Open Air-Veranstaltungen im Charakter vieler örtlicher Passionsspiele mitzuwirken. oben: Markus Hering (jedermann), unten: Markus Meyer (dicker vetter), Sebastian Wendelin (dünner vetter), Katharina Lorenz (jedermanns frau), Mavie Hörbiger (mam- mon/werke), Elisabeth Augustin (jedermanns mutter), Oliver Stokowski (armer nachbar gott) Stefan Bachmann gelingt mit seiner Inszenierung der Schmalz‘schen Überschreibung des Stückes eine fulminante Aufführung vom ersten Augen- blick an. Eine geschlossene messinggoldene Bühnenwand im Vordergrund mit einer einzigen Öffnung, in der und aus der heraus das gesamte Schauspielen- semble auftritt (Bühnenbild Olaf Altmann). Die Rollen auf eine geringe Zahl Mitwirkender verteilt und in bezeichnender Zuordnung. Barbara Petritsch die Buhlschaft und den Tod. Mavie Hörbiger den Mammon und die guten Werke.
Oliver Stokowski den armen Nachbarn und Gott. Markus Hering gibt den Jedermann und tobt sich selbstvergessen und selbstherrlich durch die Vorstel- lung, jagt im Hamsterrad durch sein Leben und beherrscht sie alle, die unter ihm an der Bühnenrampe entlangziehen oder sich mit in die Röhre stopfen. Dass zunächst alle in körperengem, blasshellem Leinen quasi nackt auftreten, dann ebenso komplett in goldfarbener und bunter, reicher Robe und schließlich wieder alle gleichermaßen in schwarzem, reich bestücktem Gewand (Kostüme Esther Geremus) strukturiert den Szenenablauf (Choreographie & Körperar- beit Sabina Perry) und lässt an ein Mysterienspiel erinnern wie auch die ge- bundene Sprache mit ihrem wohlgesetzten Rhythmus und der mit auf die Büh- ne ziehenden Musik (Komposition & Musikalische Leitung Sven Kaiser live mit Béla Fischer). Die Modernisierung der Typen als Börsenspekulant oder Chari- ty-Lady und dezente zeitgemäße Anspielungen sind unaufdringlich, geben der zeitlosen Wahrheit und Moral ihr aktuelles Ambiente und werden auch nicht gestört von dem altbacken langbärtigen Gottestyp oder der vordergründig sen- senschwingenden Buhlschaft als Tod. Sebastian Wendelin, Katharina Lorenz, Elisabeth Augustin, Barbara Petritsch, Oliver Stokowski, Markus Meyer, Mavie Hörbiger, Markus Hering Die Aufführung und mit ihr die Textvorlage bestechen durch ihre straffe Anlage, die sich nicht zu fortgesetzten und immer neuen Anspielungen und Anwürfen verführen lässt. Es bleibt genug für Solopartien, in denen die Schau- spielerinnen und Schauspieler glänzen können. Die quirlige Mavie Hörbiger, die mit dem Geld um sich schmeißt und es in die Leute stopft oder die Bene- fizszenerie persiflieren darf. Die herumalbernden dicker und dünner Vetter Markus Meyer und Sebastian Wendelin. Oliver Stokowski in seinen bei- den Rollen eher der Bemitleidenswerte als armer Nachbar und als Gott. Und Barbara Petritsch, die als untypische Buhlschaft nicht nur die Rolle des Todes in sich vereint, sondern in ihren Jahren Jedermanns Frau Katharina Lorenz wie Jedermanns Mutter Elisabeth Augustin die Rollen abkaufen könnte, wenn diese nicht ihrerseits zu brillieren verstünden. Ein Jedermann frei von Pathos als dennoch „lehrreiches“ Schauspiel ein- gängig und überzeugend. Johannes Langhoff Fotos © Reinhard Werner und Georg Soulek, Burgtheater
Sie können auch lesen