Konkrete Beispiele zu Behandlungsfehlern aus dem Archiv der VKB
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Konkrete Beispiele zu Behandlungsfehlern aus dem Archiv der VKB – korrespondierend zu den Ergebnissen der APS-Arbeitsgruppen - Ass. jur. Jürgen Müller, Abteilungsleiter Heilwesen, Schadenabteilung Risk Management Stand: 19.10.2011 © Versicherungskammer Bayern Seite 1
Was so alles „vergessen“ wird: 15 cm langes abgerissenes Drainageschlauchstück Mullbinde Tupfer Tupferklemme Teilstück einer Metallzange 3 cm große Nadel Operationsbesteck 17 cm lange Schere Handtuch 70 cm langer Katheterführungsdraht 15 cm langes Fragment eines Venenkatheters 201 03 053698 CHM Bulldogklemme 10 cm langes Tackermagazin abgebrochenes Kanülenstück etc. Stand: 19.10.2011 © Versicherungskammer Bayern Seite 3
Fallgruppe „vergessene“ Gegenstände besonders gefährliche Haftungsfälle, da hohes Pressepotenzial!! selten „ist nur einer schuld“, häufig Versagen von mehreren Sicherungsmechanismen Vergessen von Fremdkörpern = grober Fehler, voll beherrschbares Risiko (i.d.R.) => Beweislastumkehr, auch für Folgeschäden (z.B. Infektion) Zählkontrolle bzw. Kontrolle der Instrumente auf Vollständigkeit (und Dokumentation!) sehr wichtig Stand: 19.10.2011 © Versicherungskammer Bayern Seite 4
Abgerissene Drainage 08.04.2003: Cholezystektomie bei 70jähriger Patienten wegen entzündlicher Verhältnisse wird eine Robinson-Drainage gelegt 10.04.2003: Entfernung der Drainage durch Pflegekraft im September 2003 Behandlung wegen eines Leberabszesses hierbei wird festgestellt, dass ein ca. 15 cm langes Stück der Drainage im Bauchraum verblieben ist => Revisionsoperation, keine bleibenden Beeinträchtigungen Fachberater: es kann passieren, dass eine Drainage beim Entfernen abreißt – man hätte die Drainage jedoch sofort auf Vollständigkeit kontrollieren (Dokumentation!) und ggf. gleich revidieren müssen Abfindungsvergleich mit Patientin i.H.v. 3.000,00 € Az.: 201 03 053698 CHM Stand: 19.10.2011 © Versicherungskammer Bayern Seite 5
„Vergessenes“ Bauchtuch 211/ 08 – 067633 Has 28-jährige Frau erwartet im November 2005 ihr erstes Kind. Am 29.11.2005 wird nach sectio ein lebensfrischer Junge geboren. Im OP-Bericht ist die Verwendung von 15 Bauchtüchern dokumentiert. Am Ende der Operation werden nur 14 Bauchtücher gezählt. ... „ Bauchtuch sicher aus dem Abdomen entfernt. Offensichtlich ein Paket mit 4 Tüchern.“ ... Im Feb. 2008 berichtet die Ast Ihrem Frauenarzt, sie beobachte seit der Entbindung einen zunehmenden Bauchumfang. Ansonsten sei sie beschwerdefrei. Es wurde eine stationäre Behandlung bei Verdacht auf Ovarialkarzinom dringend angeraten. Bei der Laparotomie am 29.02.2008 findet sich ein 25 kg (!) schwerer, größtenteils zystischer Tumor. Feingeweblich erweist sich der 45 cm große Tumor als große Entzündungskapsel, in deren Inneren sich neben Flüssigkeit ein großes Bauchtuch findet. Stand: 19.10.2011 © Versicherungskammer Bayern Seite 6
„Vergessenes“ Bauchtuch“ 211/ 08 – 067633 Has Stand: 19.10.2011 © Versicherungskammer Bayern Seite 7
„Vergessenes Bauchtuch“ 211/ 08 – 067633 Has Vergleichsverhandlungen scheitern an überzogenen Schadenersatzforderungen der Ast; z.B. Schmerzensgeldvorschuss (!) 100.000.-- € Nach Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 50.000.-- € sowie weiterer 15.000.-- € auf den geltend gemachten Haushaltsführungsschaden sowie außer- gerichtlicher Anwaltskosten an die Ast Klage zum LG im April 2010 (Streitwert 125.000.-- €) gerichtlicher Vergleich im Mai 2011: Gesamterledigung der Angelegenheit gegen Zahlung weiterer 15.000.-- €. parallel Strafverfahren gegen die operierende Assistenzärztin und den assistierenden Chefarzt Verurteilung zu Geldstrafen wegen fahrlässiger Körperverletzung Stand: 19.10.2011 © Versicherungskammer Bayern Seite 8
„Vergessenes“ Bauchtuch 211/ 08 – 067633 Has Stand: 19.10.2011 © Versicherungskammer Bayern Seite 10
„Vergessenes“ Bauchtuch 211/ 08 – 067633 Has Stand: 19.10.2011 © Versicherungskammer Bayern Seite 11
Seitenverwechslung 201 05 055928 NR Stand: 19.10.2011 © Versicherungskammer Bayern Seite 12
Patientenverwechslung bei einer 78jährigen Patientin sollte ein Hämatom am Oberschenkel ausgeräumt werden stattdessen erfolgte am 29.02.2008 eine Rektumamputation => künstlicher Darmausgang, irreversibel 201 08 059100 CHM Stand: 19.10.2011 © Versicherungskammer Bayern Seite 13
Patientenverwechslung im OP-Plan war vorgesehen, zunächst das Hämatom bei der Patientin K. zu operieren und sodann die komplizierte Rektum-OP bei Frau T. vorzunehmen kurzfristige OP-Plan-Änderung: Um eine Pause sinnvoll zu nutzen, beschloss das OP-Team auf Vorschlag des OP-Pflegepersonals, die Rektum-OP vorzuziehen der Operateur war vorher in einem anderen OP tätig und bat nach Abschluss dieser OP den dortigen Anästhesisten, die Pat. für die Rektumamputation von der Station abzurufen Lt. Station wurde aber irrtümlich die Patientin K. in den OP bestellt – hier unklar, wie es dazu gekommen ist Übergabe an OP-Personal mit Krankenakten und der Information „Frau K. ist da.“ – vorzunehmender Eingriff wurde wohl nicht angesprochen 201 08 059100 CHM Stand: 19.10.2011 © Versicherungskammer Bayern Seite 14
Patientenverwechslung Die Patientin war bei Hinzutreten der Ärzte aufgrund der Prämedikation bereits so schläfrig, dass sie nicht mehr nach dem vorzunehmenden Eingriff gefragt werden konnte auf dem Prämedikationsprotokoll war der geplante Eingriff nicht eingetragen auch ansonsten waren nicht alle Unterlagen vollständig im OP vorhanden Pat. war bei Hinzutreten des Operateurs bereits für die Rektum-OP in Steinschnittlagerung gelagert keine ärztliche Kontrolle: weder Anästhesist noch Operateur fiel die Verwechslung auf erst die ablösende Anästhesistin bemerkte die Verwechslung, es war aber schon zu spät 201 08 059100 CHM Stand: 19.10.2011 © Versicherungskammer Bayern Seite 15
Patientenverwechslung Haftung klar großes Presseecho ferner strafrechtliches Ermittlungsverfahren 201 08 059100 CHM Stand: 19.10.2011 © Versicherungskammer Bayern Seite 16
Patientenverwechslung bisherige Zahlungen: an die Patientin (Abfindung): 181.592,01 € Rechtsanwaltskosten: 10.183,07 € Krankenkasse: 19.880,31 € insgesamt: 211.655,39 € Rückstellung für Zukunft: rd. 45.000,00 € 201 08 059100 CHM Stand: 19.10.2011 © Versicherungskammer Bayern Seite 17
201 08 059100 CHM Stand: 19.10.2011 © Versicherungskammer Bayern Seite 18
Patientenverwechslung Aktionsbündnis für Patientensicherheit: Handlungsempfehlungen zur Eingriffsverwechslung in der Chirurgie, Juli 2006 legt 4 Kontrollstufen zur Vermeidung von Eingriffs- bzw. Patientenverwechslungen fest: – Aufklärung des Patienten: Eingriff eindeutig dokumentieren – Markierung des Eingriffsortes nach aktiver Befragung des Patienten (idealerweise durch Operateur) – Identifikation des Patienten vor Narkoseeinleitung – Team Time-Out (unmittelbar vor dem Schnitt Kontrolle aller Patientendaten anhand einer „Mini-Checkliste“) 201 08 059100 CHM Stand: 19.10.2011 © Versicherungskammer Bayern Seite 19
Das falsche Knie 201/ 11 – 001902 Prk Geplante Arthroskopie am linken Knie: Anästhesist vergewissert sich nach der Einschleußung durch Befragung hinsichtlich seiner Identität, der geplanten OP und der zu operierenden Seite. Die zu operierende Seite waren im OP-Plan und im Narkoseprotokoll richtig vermerkt. Der Patient hatte am linken Bein 2 Pfeile angebracht (an OS und US), die auf das zu operierende Kniegelenk hinwiesen. Nach Eintreffen im OP ist der Anästhesist wegen plötzlich auftretender Beatmungs- probleme betreffend die weitere Vorbereitung des Patienten abgelenkt. Er bemerkt nicht, dass statt des linken, das rechte Bein desinfiziert wird. Trotz durchgeführtem Team time out wird die Verwechslung nicht bemerkt und letztlich der Eingriff am rechten Knie durchgeführt. Als die OP beendet war und die Abdeckbücher entfernt wurden, bemerkte das Team die Markierung (Pfeile) am linken Bein; Es erfolgte in gleicher Sitzung die OP am linken Kniegelenk. Stand: 19.10.2011 © Versicherungskammer Bayern Seite 20
Das falsche Knie 201/ 11 – 001902 Prk Wie konnte das passieren? A: „Durch meine Focussierung auf die notwendig gewordene Intubation realisierte ich weder, welches Bein abgewaschen wurde, noch welche Seite im „time-out“ genannt wurde.“ ... ... „Erst als sämtliche OP-Tücher entfernt wurden und den Blick auf das operierte Bein für mich freigaben, fiel mir auf, dass der Verband am rechten Bein angewickelt wurde ...“ B: „Nachdem ich in den OP-Saal zurückkam, war Herr Dr. P. bereits anwesend, der Patient lag auf dem Rücken, das rechte Bein war in meiner Wahrnehmung aufgedeckt, das linke Bein zugedeckt.“ ... „Während Herr Dr. P. zur Händedesinfektion in den Waschraum ging, desinfizierte ich das rechte Bein des Patienten.““ ... ... „Die zu operierende Seite wird hier (=Team time out) nicht explizit erwähnt.“ ... C: „Nun deckten wir beide den Patienten unter Aussparung des desinfizierten Beines mit sterilen Tüchern ab ...“ ... „Während das geschah, machte Pfleger XY die Sicherheitsprüfung „Team time out“ nach der offiziellen Checkliste. Die zu operierende Seite wird hier nicht explizit erwähnt..“ ... D: „Als ich den Saal betrat, war gerade die Abdeckung erfolgt.“ ... ... „Ich übernahm das Vorlesen der einzelnen Punkte der Checkliste. Ich wies darauf hin, dass das zu operierende Gelenk markiert sei. Es wurde zu diesem Zeitpunkt nicht nochmals auf die zu operierende Seite verwiesen.“ ... Stand: 19.10.2011 © Versicherungskammer Bayern Seite 21
Das falsche Knie 201/ 11 – 001902 Prk Stand: 19.10.2011 © Versicherungskammer Bayern Seite 22
Das „richtige“ Verhalten im Zwischenfall? Stand: 19.10.2011 © Versicherungskammer Bayern Seite 23
Definition des Zwischenfalls Unter Zwischenfall ist das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, oder die konkrete Anspruchstellung (durch den Patienten, seinen Rechtsanwalt, oder eine Krankenkasse), oder die Beschwerde eines Patienten zu verstehen. Nicht hierunter fallen „Lapidarbeschwerden“, die im Rahmen der normalen Kommunikation geklärt werden können. Entscheidend ist hierbei, ob der Adressat der Beschwerde subjektiv davon ausgehen muss, dass sich aus der Beschwerde des Patienten ein Versicherungs- / Haftungsfall für das Haus entwickeln könnte. Stand: 19.10.2011 © Versicherungskammer Bayern Seite 24
Strafanzeige wegen Gesprächsverweigerung: Stand: 19.10.2011 © Versicherungskammer Bayern Seite 25
Was sage ich? Belassen Sie es bei Erörterung des medizinischen Sachverhaltes bei den Tatsachen und geben Sie keine wahrheitswidrigen Tatsachenerklärungen ab. In einem Gespräch mit dem Patienten/ Angehörigen sollten Sie sich auf die Darlegung medizinischer Fakten beschränken. Keine Schuldzuweisungen oder Verschuldensvermutungen äußern. Stand: 19.10.2011 © Versicherungskammer Bayern Seite 26
Die tätige Reue Einer Krebspatientin wurde aufgrund eines Missverständnisses enterale Sondennahrung parenteral über einen Hickmannkatheter in die Vene verabreicht. „Herr Dr. ... hat der Tochter der Patientin versprochen, dass sie Schadenersatz bekommt.“ „Zudem hat Frau Dr. ... der Tochter der Patientin gegenüber die Schuld eingestanden. (...) Frau Dr. ... hat der Tochter der Patientin gegenüber geäußert, dass sie ihre Mutter vergiftet hat. Zudem wäre das nicht der erste Fall.“ 201 05 055639 CHM Stand: 19.10.2011 © Versicherungskammer Bayern Seite 27
Zehn Gebote im Schadenfall: 1. Unverzügliche Meldung eines möglichen Schadenfalles über die Kranken- hausverwaltung an den Haftpflichtversicherer. 2. Prüfen Sie die Krankenunterlagen auf Vollständigkeit. Sollten nachträglich Ergänzungen, Vervollständigungen oder Berichtigungen der Krankenunterlagen erforderlich sein, machen Sie diese als solche kenntlich. Verändern Sie darüber hinaus niemals die Krankenunterlagen. (Straftatbestand) 3. Stellen Sie sicher, dass die Original-Behandlungsunterlagen im Kranken- haus verbleiben. Händigen Sie keine Krankenunterlagen im Original aus (Ausnahme: Beschlagnahme durch Staatsanwalt, dann vorher Kopien fertigen). 4. Erstellen Sie sich ein persönliches Gedächtnisprotokoll über den Tatsachenverlauf. Getrennt von Krankenunterlagen aufbewahren. 5. Gegenüber dem Patienten gibt es keine Verpflichtung zur Selbstanzeige. Warten Sie ab, ob überhaupt Ansprüche gestellt werden. Stand: 19.10.2011 © Versicherungskammer Bayern Seite 28
Zehn Gebote im Schadenfall: 6. Wenn Sie sich gegenüber dem Patienten und / oder dessen Angehörigen äußern müssen oder wollen, empfiehlt es sich, sich auf ausschließlich auf die objektive Darstellung der medizinische Tatsachen zu beschränken. Das Gespräch sollte gut vorbereitet und in Anwesenheit eines Zeugen geführt werden. Der Inhalt sollte protokolliert werden. 7. Geben Sie gegenüber dem Patienten kein Schuld- oder Haftungs- anerkenntnis ab. 8. Äußern Sie gegenüber dem Patienten keine Schuldzuweisungen oder Verschuldensvermutungen. 9. Falls Sie in ein Strafverfahren involviert werden, machen Sie keine Aussage vor Konsultation eines Versicherungsjuristen / Rechtsanwaltes. Möglichst keine münd-lichen Aussage – drängen Sie auf schriftliche Fragestellung. Ggf. Berufung auf Aussageverweigerungsrecht bzw. Erforderlichkeit einer Aussagegenehmigung 10. Offene Darstellung des Sachverhaltes gegenüber dem Haftpflichtversicherer Stand: 19.10.2011 © Versicherungskammer Bayern Seite 29
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Haben Sie noch Fragen? Stand: 19.10.2011 © Versicherungskammer Bayern Seite 30
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