Die Ausgangslage - Migrant Solidarity Network

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Die Ausgangslage - Migrant Solidarity Network
Die Ausgangslage
        Das Ziel
     Stop Isolation
          Die gewaltvolle Logik
          der Camps verlassen
    Camps machen krank
 Mehrfach marginalisiert:
 gewaltbetroffene Frauen
 und ihre Familien
Für strukturelle Veränderung
und Freiheit für alle
              Abolitionismus
              Alle Lager abschaffen!
                       Wie wäre es mit
                       Bildung für alle?
                          Eine solidarische Stadt
                            Konkret die Solidarität leben
Die Ausgangslage - Migrant Solidarity Network
Die Ausgangslage

                                                                                                                                                                         Die Ausgangslage
Das Rückkehrcamp Bözingen schliesst Ende Juli 2022.         Der Protest                                            nachvollziehbar.» Um es sich dann leicht zu
                                                                                                                   machen: «Im Kanton Bern gehört die Bereitstel-
Die kantonalen Migrationsbehörden transferierten            Die Bewohnenden woll(t)en nicht weg von Biel.          lung von Unterkünften und die Betreuung von
bereits alleinstehende Frauen und Familien mit deutsch      Nicht im Camp, aber zumindest in der Stadt             asylsuchenden Personen nicht zu den Aufgaben
eingeschulten Kindern gegen deren Willen in ein abgele-     fühlten sie sich wohl. Widerständig haben sie sich     der Gemeinden, sondern zu denjenigen des
                                                            zur Gruppe «Stop Isolation Bözingen» zusammen-         Kantons. (…) Die entsprechende Verantwortung
generes Rückkehrcamp ausserhalb von Enggistein.             geschlossen. Rund um die Perspektive «Wir              liegt nicht bei der Stadt Biel, wobei diese gerne
Andere Bewohnende wurden inhaftiert und im Ausschaf-        bleiben in Biel» organisieren sie sich seit Mona-      bereit ist, den Kanton auf dessen Wunsch und Er-
fungsgefängnis in Moutier weggesperrt. In Bözingen          ten im und um das Rückkehrcamp Bözingen.               suchen nach ihren Möglichkeiten zu unterstüt-
                                                            Unterstützung erhalten sie von Aktivist*innen und      zen». Der Gemeinderat wäre jederzeit frei, sich ak-
leben aktuell noch rund 50 Personen. Es sind mehrheit-      Gruppen ausserhalb des Camps. Gemeinsam                tiv mit dem Kanton in Verbindung setzen, um
lich alleinstehende Männer und einige Familien mit          haben sie bereits zwei Petitionen an den Bieler Ge-    für die geforderten Lösungen in Biel einzustehen.
französisch eingeschulten Kindern. Ihnen droht die Isola-   meinderat gerichtet. Zwei Mal demonstrierten           Durch seine Haltung spielt der Gemeinderat
                                                            sie durch die Strassen von Biel. Medien wurden         mit den Lebensumständen der Personen, die es
tion im berüchtigten Rückkehrcamp Ins/Gampelen,             auf den Protest aufmerksam und berichteten.            direkt trifft.
weit ausserhalb, irgendwo verloren im Grossen Moos.         Laufend solidarisieren sich neue Gruppen, Kir-
                                                            chen, Politiker*innen und Einzelpersonen.              Das Problem
                                                            Die Kündigung                                          Das Programm von Sicherheitsdirektor Philipp
                                                                                                                   Müller und den kantonalen Migrationsbehörden ist
                                                            Das Rückkehrcamp schliesst, weil der Bieler            bekannt. Wenn sie das Zepter übernehmen,
                                                            Gemeinderat dem Kanton den Mietvertrag für das         wird es unmenschlich. Für sie sind Asylsuchende,
                                                            Gelände nicht erneuerte. Dieser Entscheid war          die einen negativen Asylentscheid erhielten,
                                                            richtig. Die Bewohnenden kritisieren die Zustände      entrechtete Körper, die das Land um jeden Preis
                                                            seit der Eröffnung 2019: «Die Isolation in der         verlassen sollen. Jene, die nicht «freiwillig»
                                                            notdürftigen Containersiedlung wirkt zermürbend».      gehen oder untertauchen können oder jene, die
                                                            Ihr Protest führte u.a. zu einer Untersuchung der      sie nicht in Ausschaffungs- oder Beugehaft
                                                            Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter         wegsperren oder gewaltsam ausschaffen können,
                                                            (NKVF), die Menschenrechtsverletzungen fest-           sollen in den Rückkehrcamps zermürbt werden.
                                                            stellte. Ihr Fazit: «Die Kommission ist der Ansicht,   Während Jahren – teilweise Jahrzehnten – müssen
                                                            dass die Bedingungen in den Rückkehrzentren            sie von acht Franken Nothilfegeld pro Tag in not-
                                                            für Familien mit Kindern nicht menschenwürdig          dürftigen Rückkehrcamps (über-)leben. Abgewie-
                                                            sind». Vor kurzem nahmen auch 400 Fachper-             sene Asylsuchende sind ausgeschlossen vom
                                                            sonen aus dem Gesundheitsbereich Stellung und          Recht auf Bildung oder Lohnarbeit und haben nur
                                                            sagten, die Verhältnisse in den Rückkehrcamps          minimalen Zugang zum Gesundheitssystem. In
                                                            «machen krank».                                        den Rückkehrcamps werden die Menschenrechte
                                                                                                                   auf Bewegungsfreiheit, soziale Kontakte und
                                                            Das Wegschauen                                         Privatsphäre über unbestimmt lange Zeit massiv
                                                                                                                   eingeschränkt. Im Kanton Bern wurde die frei-
                                                            Dieser Entscheid des Gemeinderates war jedoch          heitsbeschränkende Anwesenheitspflicht von den
                                                            – bewusst oder unbewusst – nicht zu Ende ge-           Behörden verfügt, auch wenn es dafür weder
                                                            dacht. Er schliesst zwar das Camp Biel-Bözingen,       gesetzliche noch demokratische Grundlagen gibt.
                                                            jedoch schaut er nicht für eine Lösung, die auch       Ausserhalb des Rückkehrcamps drohen aufgrund
                                                            im Sinne der betroffenen Menschen ist. Statt           von Racial Profiling ständig rassistische Polizei-
                                                            proaktiv-solidarisch Verantwortung zu überneh-         kontrollen, die immer wieder zu monatelanger Ad-
                                                            men, wie er es für die Ukrainer*innen tat, ver-        ministrativhaft oder Haftstrafen aufgrund des
                                                            steckt sich der Bieler Gemeinderat hinter Paragra-     Delikts «Illegaler Aufenthalt» führen.
                                                            phen und schaut weg. Nach monatelangem
                                                            Schweigen schreibt er in seiner Antwort auf die
Umzugsbefehl vom April 2022,                                Petitionen zuerst verständnisvoll: «Die vertrete-
  als die ersten Familien nach                              nen Anliegen sind für den Gemeinderat sehr gut
   Enggistein verlegt wurden.
Das Ziel

                                                                                                     Das Ziel
Der Protest will verhindern, dass die abgewiesenen Asyl-
suchenden von Biel weg müssen und in anderen Camps
                                                               Wir bleiben in Biel
isoliert werden. Das solidarische Biel hat Platz für Privat-   und wollen nicht an
                                                               einem abgelegenen
sphäre, soziale Kontakte, Bewegungsfreiheit und Selbst-
bestimmung... auch für abgewiesene Asylsuchende.
                                                               Ort isoliert werden.
                                                               Wir wollen, dass die
Die Chance: Eine Kollektivprivatun-
terkunft in Biel schaffen
Die Stadt Biel könnte eine Pionierrolle einnehmen
und die dringend nötige Alternative zur Privat-                Kinder weiter hier zur
unterbringung für Einzelpersonen erschaffen. Pri-
vatunterbringung bedeutet für abgewiesene
Asylsuchende, dass sie statt im Rückkehrcamp
                                                               Schule gehen können.
in Zimmern von Wohnungen von Freund*innen
oder solidarischen Personen wohnen. Das kanto-
nale Parlament hat diese Möglichkeit letztes                   Wir wollen in Wohn-
Jahr gutgeheissen, nachdem sie von solidarischen
Personen und Kreisen entwickelt, vorgeschlagen
und erkämpft wurde. Aufgrund von (finanziellen)
                                                               ungen leben.
Hürden finden nicht alle abgewiesenen Asyl-
suchenden Zugang zu Privatunterbringungen. Es
braucht deshalb kollektive selbstbestimmte                     Wir brauchen Aufent-
Lösungen.
                                                               haltsbewilligungen
                                                               für eine Perspektive.
Durch Solidarität könnte in Biel eine alternative,
kollektive Form der Privatunterbringung ent-
stehen. Das ehemalige leerstehende Alterheim
«Oberes Ried» bietet hierfür Platz und eine
Gelegenheit. Die Stadt wollte dort ohnehin Ukrai-
ner*innen kollektiv privatunterbringen. Auf-
grund des neuen Verteilschlüssels des Bundes
sind nun doch keine Ukrainer*innen eingezogen.
Das Konzept, das für die Ukrainer*innen vor-
gesehen war, könnte nun für die Personen des
Rückkehrcamps Bözingen verwendet werden.
Menschen sind Menschen. Es braucht keine Un-
gleichbehandlung.

                                                               Bild aus dem schulischen Malatelier
                                                               in Biel, gemalt von einem Kind mit
                                                               Migrationsvorsprung
«Wir bleiben in Biel»-Kundgebung am 8. April 2022 in Biel
Stop Isolation

                                                                                                                 Stop Isolaation
«Es ist nicht so, dass wir es gut finden mit 8 Franken
pro Tag in Containern zu leben. Es hat in meinem
Zimmer früher getropft, wenn es geregnet hat. Es
ist im Winter kalt und im Sommer heiss. Es hat
zu wenig Toiletten, es sind zu viele Leute, es ist eng
hier. Ich setze mich nicht ein für das Camp in Biel
Bözingen, weil es so gut ist. Aber ich kämpfe hier zu
bleiben, weil ich sonst noch grössere Schwierig-
keiten habe. Denn in Enggistein oder in Gampelen
sind wir nicht mehr in der Stadt. In Biel können
wir uns mit 8 Franken bewegen ohne Geld für Bus-
ticket zu brauchen. Hier können wir das wenige
Geld brauchen, um Lebensmittel einzukaufen. Wir
können in der Stadt spazieren. Hier sind wir ei-
nige unter anderen, wenn wir durch die Strassen lau-
fen. In Gampelen sind wir die «Abgewiesenen».
Für uns ist die Anonymität der Stadt gut. Wir kennen
Biel. Wir haben kein Zuhause. Aber wir haben in
den Strassen Biels manchmal ein wenig Ruhe und
Frieden.»

 H.
 wohnhaft im Rückkehrcamp Biel-Bözingen                  Protest vor dem Camp in Biel-Bözingen, April 2022
 Gruppe «Stopp Isolation Bözingen»

                                                         «Mitte April wurden wir gegen unseren Willen nach
                                                         Enggistein transferiert. Nach den zahlreichen
                                                         Transfers der letzten Jahre, war es für viele von uns
                                                         einer zu viel. Die ständige Unsicherheit macht
                                                         Familien psychisch kaputt. Der Ort ist weit weg von
                                                         allem, was wir brauchen. Klar, wir hatten Kritik an
                                                         den Wohncontainern in Bözingen, doch in der Stadt
                                                         Biel fühlten wir uns wohl. Unsere Kinder gingen
                                                         in Biel zur Schule und fanden in Biel ein Zuhause»

                                                           T.N.
                                                           wohnhaft im Rückkehrcamp Enggistein
    Bild aus dem schulischen Malatelier
      in Biel, gemalt von einem Kind mit
                   Migrationsvorsprung
Die gewaltvolle Logik

                                                                                                                                                                        Die gewaltvolle Logik der Camps verlassen
der Camps verlassen
Nothilfecamps, so steht es in den kantonalen         Die Menschen in den Camps haben viele Bewälti-
Verträgen mit Organisationen wie der ORS,            gungsstrategien, um zumindest zu versuchen,
die die Lager führen, «bilden das letzte Auffang-    gesund zu bleiben, sich den Demütigungen nicht
netz für Ausreisepflichtige. Eine Reintegration      auszusetzen, mit eingeschränkten Möglichkei-
in die regulären Strukturen des Asylbereichs ist     ten Widerstand zu leisten. Aber wenn man länger
nicht vorgesehen. Das festgelegte Setting soll       in den Camps leben muss, wird es zunehmend
dazu beitragen, dass Ausreisepflichtige sich rasch   schwierig, den Angriffen zu entfliehen. Denn
darum bemühen, selbstständig die Schweiz zu          die Logik der Institution ist eine gewaltvolle, zer-
verlassen».                                          mürbende Praxis wider aller Menschlichkeit.

Nothilfecamps sind – in Anlehnung an den Sozio-      Nothilfecamps sind von der Gesellschaft geschaf-
logen Erving Goffman – eine Form von totaler         fene Institutionen. Sie können und müssen von der
Institution.                                         Gesellschaft auch wieder abgeschafft werden!

Was heisst das? Es herrscht in den Camps eine        Es braucht andere Orte zum Leben für abgewie-
bürokratische Organisation, bestimmt durch           sene Geflüchtete. Und Biel, du hättest die Möglich-
Hausordnungen und Regeln, die nicht für die Men-     keit: Das ehemalige Altersheim «Oberes Ried»
schen und schon gar nicht von den Menschen,          wäre eine Alternative, den krankmachenden insti-
die in einem solchen Camp leben, bestimmt sind.      tutionellen Logiken des Lagerlebens entfliehen
Ausgerichtet ist die Organisation der Lager einzig   zu können. Das (Zusammen-)leben selbst zu orga-
auf einen reibungslosen Ablauf im Sinne der          nisieren und zu gestalten. Die Regeln nach
Behörden, auf Effizienz und Störungsvermeidung.      den Bedürfnissen der Menschen auszurichten
Es herrscht eine Logik der Kontrolle, des Über-      und nicht nach denen der Bürokratie. Selbst
wachens und Verwaltens. Die totale Institution der   bestimmen und dabei ein solidarischer Ort für
Nothilfecamps ist gekennzeichnet durch den           abgewiesene geflüchtete Menschen in einer
Verlust von Privatsphäre, durch strikte, aber oft    solidarischen Stadt werden. Jetzt, Biel, wäre die
nicht nachvollziehbare Regeln, Anwesenheits-         Gelegenheit eine No-Lager-Politik anzugehen:
pflichten, einem System von impliziten Belohnun-     Eine Politik der Solidarität.
gen (wenn man gehorcht) und Bestrafungen
(wenn man sich nicht an die Regeln hält) und einer
                                                       Simone Marti, Migrant Solidarity Network
dauernden Kontrolle durch das Personal. Die
Menschen in den Camps haben keine Möglichkeit
zur Selbstbestimmung und individuellen Gestal-
tung ihres Lebens.

Das Ziel der Nothilfecamps ist es, dass die Men-
schen sich der Institution und deren Regelwerken
unterwerfen.

Dazu, so Goffman, gibt es die zuvor geschilderten
Mittel, die alles «Angriffe» auf das Selbst der
Personen, auf ihre Identität – und damit auf das
Menschsein an sich – sind. Die Mittel, die dazu
eingesetzt werden, sind tägliche «Erniedrigungen,
Degradierungen, Demütigungen und Entwür-
digungen». Ziel ist es, perfekte «Insass*innen» zu
formen. Auf Dauer machen diese Mittel jedoch
vor allem eines: physisch und psychisch krank.

                                                                                                            «Wir bleiben in Biel»-Kundgebung am 8. April 2022 in Biel
Camps machen krank

                                                                                                                                                                                                         Camps machen krank
Zusammen mit Freund*innen habe ich einen              Zustand zu verbessern, erlebt sie einen hohen         Die Strategie der Nicht-Zugehörigkeit, der geziel-
Bericht zu den psychischen Gesundheitsfolgen für      Grad an Ohnmacht und Entmutigung. Sie                 ten Ausgrenzung, Abschottung, Nicht-Teilhabe
abgewiesene Geflüchtete im Nothilfesystem             erlebt einen zunehmenden Kontrollverlust, verliert    am Sozialen greift die abgewiesenen Geflüchteten
verfasst. Auf der Grundlage dieses Berichts haben     Initiative, zieht sich zurück, erlebt Gefühle         im Kern ihres Bemühens an, sich von der Flucht
drei Organisationen – Solinetz Zürich, terre des      des Ausgeliefertsein und der Wertlosigkeit und        zu erholen, sich in der Aufnahmegesellschaft zu
hommes und NCBI – einen Offenen Brief für eine        wird mit der Zeit depressiv. Durch das Beschäf-       orientieren, Interessen zu entwickeln und zu
humane Behandlung von abgewiesenen Asyl-              tigungs-, Arbeits- und Bildungsverbot, durch das      verfolgen, sich ein neues sinnerfülltes Leben auf-
suchenden zu Handen von Politiker*innen, Behör-       Installieren eines chronischen Provisoriums           zubauen.
den, Entscheidungsträger*innen verfasst.              werden genau solche Bedingungen geschaffen,
Dieser Offene Brief prangert die unmenschlichen,      die zur systematischen Zermürbung der abge-           Neben politischer Antidiskriminierungsarbeit,
krankmachenden Lebensbedingungen im                   wiesenen Geflüchteten führen. Durch das Fehlen        Verteidigung der Rechte abgewiesener Geflüchte-
Nothilfesystem an. Rund 450 Ärzt*innen, Psychia-      jeder Tagesstruktur verschwimmt das Zeitgefühl.       ter, ist der konkrete soziale Beistand, der die
ter*innen und Psychotherapeut*innen aus der           Ein Gefühl der Ohnmacht setzt ein und führt           Einbindung der Geflüchteten in ein tragendes und
ganzen Schweiz haben diesen Brief unterzeichnet.      oft zu Angst und Verzweiflung, zu Niedergeschla-      solidarisches Netzwerk und somit eine Rest-
Sie haben damit bezeugt, dass aus fachlicher          genheit, psychosomatischen Beschwerden und            zugehörigkeit garantiert, der wichtigste Beitrag.
Sicht die Leidenszustände, aufbauend auf den Ver-     Apathie.                                              Dies könnte die Stadt Biel und die solidarische
letzlichkeiten, die Geflüchtete schon vor und                                                               Bevölkerung jetzt leisten! Lassen Sie es nicht zu,
während der Flucht angehäuft haben, durch die         Die konsequente Verweigerung der wirtschaft-          dass man den abgewiesenen Geflüchteten auch
prekären, menschenunwürdigen und klar men-            lichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte       noch den letzten sozialen Halt nimmt und sie noch
schenrechtswidrigen Verhältnisse im Nothilfere-       (WSK-Rechte, UNO-Sozialpakt I) bedeutet               unsichtbarer macht.
gime in unverantwortlicher Weise verschärft           ein radikales Verbot an jeder gesellschaftlichen
werden. Der Offene Brief nennt eine ganze Reihe       Teilhabe. Die Verweigerung jeder gesellschaft-
                                                                                                              Urs Ruckstuhl
von Forderungen, die eine Voraussetzung für           lichen Teilhabe ist menschenrechtswidrig. Die ritu-     aktiv in der Solidaritätsbewegung für Geflüchtete
ein minimales Wohlbefinden, Sicherheit und Ent-       elle Berufung auf bestehende Gesetze seitens            Psychologe aus Zürich
wicklung abgewiesener Geflüchteter sind. Ich          der Behörden macht das Verfahren nicht mensch-
greife kurz drei Beispiele auf:                       licher, sondern verweist auf eine fortgeschrittene
                                                      Verrohung von Mitgefühl und menschlicher Anteil-
Armut: Arm gilt in der Schweiz (1-P.-Haushalt), wer   nahme.
über ein Einkommen von Fr. 2279.– Franken
verfügt. Das vom SKOS festgelegte Minimum der         Soziale Isolation: Offenbar sollen in Biel abgewie-
Sozialhilfe beträgt Fr. 997.– (ohne Wohnung           sene Geflüchtete in andere Notunterkünfte umge-
und Krankenkasse). Bei einem täglichen Beitrag        siedelt werden. Dieser Vorgang missachtet
von Fr. 8.50 für abgewiesene Geflüchtete ist          die über längere Zeit unter prekären Umständen
der Betrag Fr. 238.- monatlich. Die drastischen       aufgebauten menschlichen Beziehungsnetze
Folgen grosser Armut (und dies erst recht im          und Kontaktmöglichkeiten. So sollen also die not-
Kontext eines reichen Landes) auf alle Lebensbe-      dürftig aufgebauten und durch die Unterstützung
reiche (Wohnen, Ernährung, Gesundheit, Auf-           eines solidarischen Netzwerkes aufrechterhal-
stiegschancen) ist hinreichend belegt, so z.B. von    tenen Verbindungen zur Gesellschaft auch noch
Caritas immer wieder untersucht und themati-          gekappt werden. Dabei zeigen alle psychologi-
siert. Ein Selbstversuch würde einiges klar ma-       schen Studien, dass es nichts relevanteres in einer
chen: Leben Sie nur eine Woche von Fr. 8.50 und       preklären Lebenssituation gibt als sichere Bezie-
beobachten Sie die Auswirkungen dieser so             hungen und Zugehörigkeit. Zuwendung und Aner-
krass reduzierten materiellen Verhältnisse auf ihr    kennung in Beziehungen fördern Orientierung,
Leben. Stellen Sie sich am Ende des Experimen-        Neugier, Interessen, den Glauben an eine Zukunft.
tes auch vor, dass diese Lebensumstände sich bis      Aber das Wichtigste: Sie beruhigen die Stress-
auf Weiteres nicht ändern.                            achse. Umgekehrt führen Nichtbeachtung, Aus-
                                                      grenzung, Isolation, Verunsicherung, Desorien-
Zwang zur Inaktivität und Ohnmacht: Die Psycho-       tierung, nicht gewählte Einsamkeit und im Falle
logie sagt, dass wenn eine Person nichts              Biels die mutwillige Zerstörung eines sozialen
dazu beitragen kann, einen schlimmen Zustand zu       Rest-Netzwerkes zu chronischem Stress, Resig-
beenden oder nichts tun kann, um einen elenden        nation, Angstzuständen und Depression.
                                                                                                            Bild aus dem schulischen Malatelier in Biel, gemalt von einem Kind mit Migrationsvorsprung
Mehrfach marginalisiert:

                                                                                                                                    Mehrfach marginalisiert: gewaltbetroffene Frauen und ihre Familien
gewaltbetroffene Frauen
und ihre Familien
Für gewaltbetroffene Frauen und ihre Familien, was leider die grosse
Mehrheit aller geflüchteten Frauen ausmacht, ist es essentiell,
dass sie zur Ruhe kommen und Stabilität erfahren können. Nur so
können sie Trauma und andere Gewaltfolgen verarbeiten, sich
psychisch stabilisieren und ihre Kräfte und Energien für sich und
ihr Umfeld stärkend einsetzen. Ein (oft erneuter) Transfer in
eine andere Unterkunft bedeutet ja immer auch eine neue Umge-
bung, eine neue Gemeinde, in ein neues Schulhaus, neue Haus-
ärzt*innen, neue Wege etc., was sehr viel Energie kostet. Energie
über welche geflüchtete Frauen mit negativem Asylentscheid
oft nicht (mehr) verfügen, da sie fast alle schon unzählige Ortswech-
sel und somit ständige Entwurzelungen erfahren haben durch ihre
Fluchtgeschichte und die Wechsel der Asylzentren in der Schweiz.
Zudem erleben sie durch die ungewissen Bleibeperspektive
natürlich auch kaum Stabilität bezüglich ihrer Zukunft. Geflüchtete
Frauen mit Kindern treffen erzwungene Ortswechsel doppelt.
Denn meist sind sie es, welche die Hauptverantwortung für die Kin-
der übernehmen. Eine Destabilisierung der Kinder durch den
Schulwechsel, der Verlust von aufgebauten Freundschaften, Neu-
orientierung in einer neuen Umgebung kann für die Kinder psy-
chisch schwierig sein. Meist sind es dann die Mütter, welche nebst
ihren eigenen Belastungen auch die Verunsicherung und Ängste
der Kinder abfangen müssen.

Je abgelegener die Unterkunft, was leider für die Unterkunft in
Enggistein zutrifft, desto schwieriger ist es, neue Wurzeln schlagen
zu können und allenfalls die früheren aufgebauten Kontakte und
Freundschaften weiter pflegen zu können. Damit gewaltbetroffene
Geflüchtete von ihren Sorgen und Ängsten Ablenkung erfahren
können, ist ein Austausch mit anderen Menschen, Aufgehobenheit
in Religionsgemeinschaften oder anderen Gefässen, die Geborgen-
heit und Vertrautheit bedeuten sehr wichtig.

  Stellungnahme von Brava – Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen

                                                                        «Wir bleiben in Biel»-Kundgebung am 8. April 2022 in Biel
Für strukturelle Veränderung

                                                                                                                                                                            Für strukturelle Veränderung und Freiheit für alle kämpfen
und Freiheit für alle
Wenn Sie wirklich wissen wollen, wie das Recht in einem Land ge-
handhabt wird, fragen Sie nicht die Polizei, die Anwältinnen,
die Richterinnen oder die geschützten Mitglieder der Mittelschicht.
Man wendet sich an die Ungeschützten – die Menschen, die den
Schutz des Gesetzes am meisten brauchen – und hören Sie sich
an, was sie zu sagen haben. Seit Jahren versuchen die Bewohnen-
den des Lagers, auf die unmenschlichen Bedingungen und den
Zugang aufmerksam zu machen, aber der Staat erlegt ihnen durch
private Unternehmen wie die ORS ein noch schwereres Joch
auf. Es ist ein charakteristisches Verhalten von rassistischen Insti-
tutionen und ein Herangehensweise, Menschen ohne Rechte nicht
ernst zu nehmen.

Die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) erklärt
erneut, was die Bewohnenden bereits erwähnt haben. Ausge-
hend von den Überprüfungsfaktoren schafft die Rückkehrzentren
nach Ansicht der Kommission eine kritische Situation für alle
Bewohnenden und eine unmenschliche Situation für Kinder und
ihre Familien. Seit der Veröffentlichung des Berichts hat sich
die Situation in diesen Lagern nicht geändert. Was nützen den Be-
troffenen diese leeren Empfehlungen? Was sind die Lösungen
der sogenannten demokratischen Institution angesichts der allge-
genwärtigen physischen, sozialen, wirtschaftlichen und psycho-
logischen Gewalt, der die Bewohnenden des Lagers Biel-Bözingen
ausgesetzt sind?

Die Praxis der Grenzziehung grenzt Zonen des Zugangs, der Inklu-
sion und des Privilegs von Zonen der Unsichtbarkeit, der Aus-
grenzung und des Todes ab. Es ist höchste Zeit für Biel, eine Politik
der Solidarität und des Antirassismus zu gewährleisten.

Der Protest in Biel ist ein antistaatlicher Protest. Er muss und soll
jedoch strategisch auch die Staatsapparat adressieren, um er-
folgreiche Kämpfe zu führen für diejenigen die von Inhaftierung und
Abschiebung betroffen sind. Die kämpfe sind deswegen nicht
einfach reformistisch. Denn sie stellen sicher, dass diejenigen spre-
chen und handeln, die direkt von den Ungerechtigkeiten des
Grenzregimes betroffen sind. Solche Kämpfe ermöglichen struktu-
relle Veränderung und kollektive Freiheit.

  Selam Habtemariam, Migrant Solidarity Network

                                                                        Oben: «Wir bleiben in Biel»-Kundgebung am 8. April 2022 in Biel
                                                                        Unten: Bild aus dem schulischen Malatelier in Biel, gemalt von einem Kind mit Migrationsvorsprung
Abolitionismus

                                                                                                                                                                                                                              Abolitionismus – Alle Lager abschaffen!
Alle Lager abschaffen!
Lager und Camps zielen auf soziale, zivile und         «Wir sind hier, weil ihr da wart, und weil ihr
gesellschaftliche Tode ab. Sie sind, mit dem           immer noch da seid, und weil ihr unsere Länder
afrikanischen Philosophen Achille Mbembe ge-           zerstört», durch Krieg, durch die Zerstörung
sprochen Teil einer Nekropolitik, einer Politik        der Lebensgrundlagen und durch den industriell-
der brutalen Gewalt und des Todes. Das meint           kapitalistischen-gemachten Klimawandel.
nicht immer nur den physischen Tod, sondern            Das erklären selbst-organisierte Bewegungen von
kann auch den zivilen, sozialen oder gesellschaft-     geflüchteten Menschen bereits seit den 1980er
lichen Tod bezeichnen. Die kleinen und langsa-         Jahren. Vor diesem Hintergrund, Schweiz, Biel, ist
men Tode, durch Ausschluss vom Leben, durch            es das MINDESTE, dass Rückkehrcamps,
Ausschluss aus dem, was Leben ausmacht: Bewe-          Ausschaffungsgefängnisse, alle Lager, abgeschafft
gungsfreiheit, soziale Beziehungen aber auch           werden. In Anbetracht dieser Tatsache ist die
privaten Rückzug, das Recht auf Bildung, Gesund-       Spaltung und Trennung in legitime Asylsuchende
heit, Würde und ein selbstbestimmtes Leben.            und illegitime Asylsuchende eine Farce, viel
                                                       schlimmer: lebensbedrohlich. Denn diese Tren-
Lager gehen auf den Ursprung des kolonialen            nung hat selbst eine koloniale Entstehungs-
Kapitalismus zurück. Das ist wichtig, da wir die Re-   geschichte, wie sich an den Bestrebungen der
gulation sowie Kriminalisierung von Migration          europäischen Kolonialmächte, die Genfer
und Kolonialismus zusammen denken müssen.              Flüchtingskonvention mit einer «Kolonialklausel»
Es ging dabei um das Produktivmachen von               zu versehen, zeigt.
Menschen für die kapitalistische Ausbeutung.
Besonders mittellose Menschen, also arme               Die Gruppe «Stop Isolation Bözingen» sowie ihre
Menschen, wurden diszipliniert um sie im kapita-       Unterstützer*innen kämpfen demnach nicht
listischen System ausbeuten zu können. In              nur gegen menschenunwürdige Isolation und Ge-
den europäischen Kolonien war die Logik des            walt an. Kämpfe gegen Lager sind Kämpfe
Lagers besonders grausam: Es ging darum                gegen den Kapitalismus, sind anti-koloniale Käm-
Widerstand zu brechen, und Arbeit, ohne Lohn,          pfe, sind feministische Kämpfe, sind queer-            Protest vor dem Camp in Biel-Bözingen, April 2022
von versklavten Menschen und kolonisierten             feministische Kämpfe, sind anti-rassistische Käm-
Menschen, abzuschöpfen, sie überauszubeuten.           pfe, sind Kämpfe für andere Welten! Lager
Dadurch ist das Europa entstanden, das wir             produzieren viele Formen der Tode und reprodu-         schon seit zwanzig Jahren: «Keine Lager für Frau-     Zivilgesellschaft. Das ist eine Chance. Es ist eine
heute kennen.                                          zieren Formen von vergeschlechtlichter und             en und Kinder! Alle Lager abschaffen!»                Form der Reparation. Es gibt bereits einen Raum
                                                       sexualisierter Gewalt gegen Frauen, nicht-binäre                                                             dafür, das ehemalige und leerstehende Altersheim
Seit dem Wandel des Kapitalismus in der letzten        Menschen und Kinder. «Wir bleiben in Biel»             Es geht um die radikale Veränderung eines Sys-        «Oberes Ried«.
Hälfte des 20. Jahrhunderts haben sich die             durchbrechen mit ihren Forderungen auch die            tems, welches Spaltungen zwischen Menschen
Überausbeutungsverhältnisse geändert. Damit            Spaltungen, die dieses System produziert.              schafft, Tode produziert, hin zu lebensbejahenden     Gegen die Spaltung und für lebensbejahende
geht auch eine Änderung der Rolle des Lagers           Sie wollen in Biel bleiben, selbstbestimmt in Woh-     Institutionen. Es geht also nicht einfach darum       Institutionen für alle!
einher. Lager sind heute weniger mit der Produktiv-    nungen leben, sich bewegen können, eine Pers-          etwas abzuschaffen, sondern Welten und Institu-
machung für kapitalistische Ausbeutung und             pektive für sich und ihre Kinder haben. Sie fordern    tionen zu schaffen, in denen wir alle leben können.
                                                                                                                                                                      Vanessa E. Thompson,
Überausbeutung beschäftigt als vielmehr mit der        lebensbejahende Institutionen.                         Es geht, wie die Abolitionistin Harsha Walia er-        Rassismusforscherin, Mitglied in der Internationalen
Einkerkerung, totalen Kontrolle und Deportation                                                               klärt, nicht einfach um die Abschaffung von Grenz-      Unabhängigen Kommission zur Aufklärung der
                                                                                                                                                                      Wahrheit über den Tod des Oury Jalloh und in trans-
von «überflüssiger Menschheit» befasst. So wer-        Das ist Teil von Abolitionismus. Abolitionismus,       regimen oder Lager, sondern um die Schaffung            national-feministischen abolitionistischen Netzwerken
den rassifizierte Menschen aus den ehema-              als soziale Bewegung und theoretische Perspekti-       von Institutionen und Räumen in denen Menschen          aktiv.
ligen Kolonien oder den Kriegsgebieten westlicher      ve, geht historisch bis auf die Kämpfe gegen           sicher ankommen können, selbstbestimmt
imperialistischer Kriege zu grossen Teilen             Versklavung und den Kolonialismus zurück. Ge-          wohnen können, sich frei bewegen und selbstbe-
nicht mehr für das Funktionieren des Kapitalismus      genwärtig beziehen sich die Kämpfe vor allem           stimmt leben können.Es geht um gemeinsame
«gebraucht», sondern werden im Mittelmeer              auf Polizeigewalt, Grenzen, Gefängnisse und Lager,     Räume des Lebens statt einer Politik des Todes.
ertrunken gemacht, an den Aussengrenzen brutal         auch in hiesigen Kontexten. Denn, Menschen
zurückgedrängt, durch Deportationen oft in             haben immer gegen unwürdige Bedingungen ge-            In Biel könnte eine alternative, kollektive und
den Tod geschickt, und in Lagern ihrer Lebenszeit      kämpft. Die selbstorganisierte Gruppe «Women           lebensbejahende Form der Privatunterbringung
beraubt.                                               in Exile and Friends», aktiv in Deutschland, fordert   entstehen. Es gibt breite Unterstützung in der
Bild aus dem schulischen Malatelier in Biel, gemalt von einem Kind mit Migrationsvorsprung
Wie wäre es mit

                                                                                                                                                                                      Wie wäre es mit Bildung für alle?
Bildung für alle?
Isoler les gens, c’est mettre à mal l’intelligence        l’éducation vous le diront, les besoins fondamen-        L’éducation et la formation ne concernent pas que
collective.                                               taux des enfants doivent être remplis pour qu’iels       les enfants, ce sont des sujets cruciaux pour
                                                          puissent apprendre.                                      les adultes également. L’agenda intégration de la
Déplacer des lieux de vie contre le gré des person-                                                                Confédération ne prévoit de cours de langues
nes qui les habitent témoigne d’un mépris grave           L’atteinte de ces besoins est toujours plus comple-      subventionnés que pour certaines catégories de
de leur existence. Les personnes que le canton de         xe chez les enfants exilé∙es. Plus la situation          permis. Pour tous les autres, l’apprentissage
Berne veut parquer ailleurs sont des femmes*,             sociale et administrative des parents est précaire,      de la langue se fait en fonction des offres gratuites
des hommes, des familles et des enfants qui se con-       plus les obstacles sont nombreux. Et c’est bien          et solidaires disponibles. Or, c’est dans les cen-
struisent une vie dans des circonstances qu’au-           là que l’école doit jouer un rôle: les nouvelles         tres urbains qu’elles sont proposées. C’est égale-
cune personne privilégiée en Suisse ne jugerait           relations qui y sont créées et négociées contribu-       ment dans ces centres que les offres culturelles,
acceptable pour elle-même.                                ent au besoin d’appartenance. La relation avec           sociales et solidaires sont les plus nombreuses,
                                                          les enseignant∙es, les autres élèves, le personnel       c’est dans les centres urbains que l’on peut obtenir
Certains des enfants du camp de Bözingen ont              administratif, le personnel de soin d’une école          un repas à prix libre, que l’on peut voir un spec-
déjà dû changer d’école à plusieurs reprises.             joue un rôle crucial dans les apprentissages qui à       tacle à prix réduit et que l’on peut nouer des con-
Leur imposer un nouveau changement démontre               leur tour permettent des réussites scolaires,            tacts. Isoler les personnes exilées, s’inscrire
que les enjeux de l’école et de l’apprentissage           sportives et sociales qui contribuent à l’estime et à    dans une logique de camps, c’est diviser la socié-
échappent totalement aux décideurs politiques.            la réalisation de soi.                                   té, c’est refuser de contribuer à l’intelligence
L’école, ce n’est pas que les tables de multiplica-                                                                collective, qui se créée à la faveur des rencontres,
tion, les textes à trous ou les cours de gym. L’école     Forcer les familles à déménager, c’est imposer aux       des échanges et des coups de main.
c’est les copain∙es, la récré, la confrontation avec      enfants un nouveau déracinement, un nouveau
les enseignant∙es, et les réunions des délégué∙es         changement d’école. Une fois encore, iels seront le      Il est grand temps de considérer les personnes
de classe. L’école c’est apprendre à vivre ensemble       nouveau, la nouvelle de la classe. Encore une            exilées comme des êtres humains à part
et se confronter aux différents acteurs institu-          fois, il faudra recommencer le travail de socialisa-     entière, avec des besoins, des envies et des rêves.
tionnels et sociaux qui feront partie de la vie future.   tion au début. Une fois encore, il faudra se refaire     Il faut cesser de les considérer comme des
L’école c’est l’espace où les enfants sortent du          une place dans le groupe, une fois encore, il            paquets que l’on déplace au gré des envies logisti-
milieu de la famille et construisent leur identité en     faudra reconstruire une identité, et la modeler au       ques de dirigeants qui ont toujours pu effectuer
dehors de ce cercle-là. L’école, c’est l’endroit où       contact de nouveaux autres. Cette nouvelle               leurs parcours scolaire et professionnel dans les
se créent de nouvelles appartenances, où se forge         adaptation aura des conséquences, sur la santé           meilleures conditions possibles.
l’esprit critique et où l’on devient sa propre per-       psychique, sur la motivation et sur les appren-
sonne. L’école, c’est parfois un refuge quand le quo-     tissages des enfants. Les déraciner encore une
                                                                                                                     Sophie Guignard, Solidarité sans frontières
tidien à la maison est trop lourd.                        fois est irresponsable.

La Suisse se vante très souvent de caracoler en           Dans un entretien accordé au Temps, le directeur
tête des classements internationaux de PISA. Ces          de la santé, des affaires sociales et de l’intégra-
scores remarquables ne sont pas seulement                 tion Pierre Alain Schnegg affirmait « Entre des con-
dû à la qualité de l’enseignement suisse, mais bel et     tainers qui permettent de maintenir une certaine
bien à la relative sécurité socio-économique de           vie familiale ou un centre collectif sans intimité,
ses élèves. Si l’on considère la tête du classement,      mon choix est vite fait ». Là est bien le problème, ce
on voit très bien que les pays riches s’en sortent        qui nous intéresse ce n’est pas l’avis de Pierre
beaucoup mieux. Parce que pour apprendre à                Alain Schnegg, mais bien la vie quotidienne
l’école, il ne suffit pas d’écouter en silence en clas-   de familles, et d’enfants. Décider à leur place, sans
se et de s’asseoir régulièrement à la table de la         leur demander, c’est par ailleurs bafouer l’art. 12
cuisine pour faire ses devoirs. Si travailler dur pour    de la convention relative aux droits de l’enfant de
réussir économiquement fonctionnait, cela                 l’ONU « L’enfant a le droit, dans toute question
ferait longtemps que les inégalités sociales aurai-       ou procédure le concernant, d’exprimer librement
ent disparu. Pour bien apprendre et réussir               son opinion et de voir cette opinion prise en
selon les critères élitaires en vigueur en Suisse,        considération ». Pierre Alain Schnegg a-t-il accor-
il faut que les conditions de vie des enfants             dé un entretien aux enfants qu’il souhaite faire                                     Bild aus dem schulischen Malatelier
                                                                                                                                                 in Biel, gemalt von einem Kind mit
soient correctes. La plupart des spécialistes de          changer d’école ?                                                                                   Migrationsvorsprung
Biel – eine solidarische Stadt                                                                                                                                                Utopien und ein vielfältige Begegnungsstätte.

                                                                                                                                                                                                                                               Biel – eine solidarische Stadt
                                                                                                                                                                              Projekte wie jenes in Augsburg sind zum Nach-
                                                                                                                                                                              ahmen empfohlen – auch in Biel! Zukunftsweisen-
In Biel bietet sich aktuell eine grossartige Chance:   heute leben müssen: Wohnen ist ein menschliches                                                                        de Projekte betreiben keine «Unterbringung
Die Stadt und ihre Bewohner*innen haben die            Grundbedürfnis und Menschenrecht und bedeu-                                                                            von Flüchtlingen», sondern schaffen ein men-
Möglichkeit aufzuzeigen, dass Migrationspolitik        tet nicht bloss, «untergebracht» zu sein, sondern                                                                      schengerechte Wohnperspektive für ein selbstbe-
auch ganz anders gemacht werden kann. Die              über private Rückzugsmöglichkeiten zu verfügen                                                                         stimmtes Leben für alle. Sie rücken dabei die
Errichtung einer selbstverwalteten, kollektiven        und diese nach den eigenen Bedürfnissen und                                                                            soziale Frage per se in den Mittelpunkt der Debat-
Form der Privatunterbringung für geflüchtete           Vorlieben gestalten zu können. In den durch private,                                                                   te: Nicht Migration wird als Problem adressiert,
                                                                                                              Fensterdeko, Protestaktion neben Stadtparlement, 9. Juni 2022
Menschen im ehemaligen Altersheim «Oberes              profitorientierte Firmen wie der ORS betriebe-                                                                         sondern die Ungleichheit innerhalb der Stadt – un-
Ried» würde die einmalige Gelegenheit bieten,          nen Camps erleben Geflüchtete hingegen Isolation,      In verschiedenen Städten Europas gibt es bereits                gleiche soziale Rechte und die Hierarchisierung
einerseits geflüchteten Menschen eine menschen-        Entwürdigung und Ausgrenzung. Lagerähnliche            Erfahrungen, an die in Biel angeknüpft werden                   von Menschen entlang ihres Aufenthaltsstatus.
gerechte Wohnperspektive für ein selbstbestimm-        Zustände, die von Fremdbestimmung und fehlen-          kann. In Bezug auf die Ausgangslage in Biel beson-
tes Leben zu gewähren, und andererseits einen          der Privatsphäre geprägt sind, machen nicht            ders inspirierend ist ein Projekt in Deutschland:               Für die Umsetzung eines solchen Pionierprojekts
solidarischen Ort in der Stadt zu schaffen, an dem     nur psychisch krank, sondern sind auch ein Hin-        In Augsburg entstand 2013 inmitten der Altstadt                 besteht auch in Schweizer Städten wie Biel
nicht die Herkunft, sondern die Präsenz, der           dernis für Selbstinitiative und verunmöglichen         das «Grandhotel Cosmopolis» – ein Ort für                       ein Potenzial. Die Stadt hat eine umfassende
Lebensmittelpunkt und die gemeinsame Zukunft           ein solidarisches Zusammenleben.                       Menschen aus der Stadt sowie für Hotelgäste «mit                solidarische Infrastruktur: Verschiedene
im Zentrum stehen.                                                                                            und ohne Asyl». Ein leerstehendes Altersheim                    zivilgesellschaftliche Initiativen, Vereine, kirchli-
                                                       Die Lagerunterbringung ist zudem ein wichtiger         wurde zur Verhandlungszone für die Anerkennung                  che Projekte und soziale Bewegungen schaffen
Biel ist eine weltoffene Stadt. Insbesondere ver-      Faktor bei der Konstruktion rassistischer Pro-         einer kosmopolitischen Wirklichkeit in unserer                  Begegnungsräume (wie das «Haus pour Bienne»),
fügt sie über eine aktive Zivilgesellschaft, die       jektionen und verstärkt Grenzziehungen zwischen        Gesellschaft. Was anfangs eine kühne Idee war,                  engagieren sich für Bildung für alle (wie das
sich auf vielfältige Weise dafür einsetzt, Biel zu     Menschen, die in der gleichen Stadt leben:             wächst tagtäglich und wirkt weit über die Stadt                 Projekt «Multimondo»), garantieren Rechtsbera-
einer Stadt zu machen, in der alle Menschen            Die Konzentration und Isolation von Geflüchteten       hinaus.                                                         tung für illegalisierte Migrant*innen, bieten
unabhängig vom Aufenthaltsstatus ein gutes Le-         in teils gar umzäunten Unterkünften, zusam-                                                                            privaten Wohnraum an (insbesondere aktuell für
ben führen können und in der kein Mensch illegal       men mit dem durch das Arbeitsverbot erzwunge-          Die Diakonie hat in dem Haus mit einer Gesamtflä-               ukrainische Geflüchtete), schaffen temporäre
ist. Die Frage ist: Wagt Biel – und insbesondere       nen Nichtstun, begünstigen in der Dominanz-            che von 2’600 Quadratmetern und 66 Räumen                       Schlafplätze für Menschen in Not (wie der «Sleep-
die städtische Politik – einen weiteren Schritt in     gesellschaft ein Denken in den Kategorien «Wir»        von 1963 bis 2007 ein Altersheim betrieben. Nach                in») und solidarisieren sich mit dem selbstorga-
Richtung einer solidarischen Stadt?                    und «die Anderen». Damit forciert es die               einigen Jahren Leerstand entstand die Idee des                  nisierten Protest von Geflüchteten, die sich gegen
                                                       Wahrnehmung des «Anderen» als fremd und                Grandhotels Cosmopolis. Das Haus, das weiterhin                 unwürdige Bedingungen in Rückkehrzentren
In einer solchen Stadt der Solidarität sollen alle     nicht-zugehörig, da Menschen im Lager durch            der Diakonie gehört, wird seit 2013 von der                     wehren (wie der Verein «Alle Menschen»). Selbst-
Menschen das Recht haben zu leben, zu wohnen           räumliche und soziale Ausgrenzungspraktiken,           öffentlichen Hand (Regierung Schwaben) und vom                  verwaltete Projekte wie Gurzelen, das Schlachthof
und heimisch zu werden. Alle Menschen soll             Überwachung und eingeschränkte Rechte                  Verein «Grandhotel Cosmopolis e.V.» gemietet.                   Projekt oder das Kollektiv ensemble STARK
der Zugang zu Bildung und medizinischer Versor-        begegnet wird. Diese Behandlung trägt zur Bil-         Die Räume werden genutzt für Gäste mit und ohne                 zeigen, zu was Biel alles fähig ist. Und während
gung gewährt werden. Alle Menschen sollen              dung und Verfestigung von rassistischen                Asyl, für den Betrieb einer Gaststätte, eines                   in anderen Städten jahrelang über die Einführung
teilhaben und das Stadtleben mitgestalten kön-         Stereotypen bei, indem der separierten Gruppe          Cafés und verschiedener Ateliers und Werkräume.                 einer City Card debattiert wird, schaffte eine
nen – unabhängig von Aufenthaltsstatus,                ein Bedrohungspotenzial gegenüber der rest-            Im Gegensatz zu «normalen» Flüchtlingsheimen,                   Gruppe von Engagierten den Verein City Card
finanziellen Möglichkeiten, Hautfarbe, Geschlecht,     lichen Gesellschaft und ihres Zusammenhalts            leben Geflüchtete hier nicht abgeschottet und se-               Biel/Bienne und lancierte jüngst kurzerhand
Sexualität, Religion. In vielen Städten in der         zugeschrieben wird.                                    pariert, sondern teilen die Stockwerke mit Hotel-               selber eine City Card «von unten».
Schweiz, in Europa und auf der ganzen Welt ist                                                                gästen. Seit Juli 2013 bewohnen ca. 60 Menschen
der Prozess, eine «Solidarity City» zu werden,         Doch es gibt Alternativen. Die Errichtung einer        – Familien und Alleinreisende aus verschiede-                   Die Gruppe «Stop Isolation Bözingen», unterstützt
schon in vollem Gang. Diese transurbane Bewe-          selbstverwalteten Kollektivunterkunft im               nen Ländern – die Gemeinschaftsunterkunft im                    vom Migrant Solidarity Network, kann also auf
gung für Solidarische Städte wehrt sich gegen          ehemaligen Altersheim «Oberes Ried» würde              Grandhotel.                                                     ein breites solidarisches Netzwerk in Biel aufbau-
eine zunehmend repressive Migrationspolitik auf        die Möglichkeit bieten, diese repressive                                                                               en, wenn es darum geht, das Projekt einer kol-
nationaler und supranationaler (z.B. EU-) Ebene        Verwaltungslogik zu durchbrechen, Menschen             Entstanden ist ein gesellschaftliches Gesamtkunst-              lektiven Privatunterkunft in Angriff zu nehmen. Die
und arbeitet an konkreten Alternativen auf (trans-)    Selbstbestimmung zuzugestehen und in der               werk, das Akzente für ein friedliches und so-                   Bedürfnisse der Geflüchteten sollten dabei im
lokaler Ebene.                                         Stadt einen Ort der Solidarität zu schaffen – eine     lidarisches Zusammenleben in der Stadt setzt.                   Zentrum stehen, ihre Stimmen und Forderungen
                                                       Begegnungsstätte, einen freundlichen, fried-           Den Eigentümern wird eine sinnvolle, gemein-                    müssen endlich erhört und ernst genommen
Eine solidarische Stadt setzt sich zudem aktiv         lichen Ort – offen für alle, die hier sind und noch    nützige Zwischennutzung ermöglicht; Geflüchtete                 werden. Sie gehören genauso zur Stadt – denn
gegen Wohnungslosigkeit ein. Was heute mit             kommen werden. Es bietet sich aktuell die              – sog. Hotelgäste mit Asyl – bekommen die                       «Wir alle sind Biel»!
abgewiesenen Asylsuchenden passiert, ist jedoch        einmalige Gelegenheit, etwas Neues, etwas              Möglichkeit, in der Stadt zu wohnen und sich am
einer solidarischen Stadt unwürdig: Im Grunde          Aussergewöhnliches zu schaffen in Biel:                Hotel- und Kulturbetrieb aktiv zu beteiligen;
genommen ist es eine Politik zur Förderung der         Ein soziales Experiment, in dem erprobt wird,          Hotelgäste auf der Durchreise lernen bei ihrem                    Sarah Schilliger
                                                                                                                                                                                Soziologin, leitet an der Universität Bern (IZFG) ein inter-
Wohnungslosigkeit. Denn Wohnen kann man                wie selbstbestimmtes und menschenwür-                  Aufenthalt ein einzigartiges Projekt kennen;                      nationales Forschungsprojekt zu Solidarischen
dies nicht nennen, wie Menschen in der Nothilfe        diges Wohnen für Geflüchtete aussehen könnte.          und in der Stadt entsteht ein Labor für konkrete                  Städten in Europa und ist Mitglied der Koordinations-
                                                                                                                                                                                gruppe von «Wir alle sind Bern»
Biel – Konkret die

                                                                                                                   Biel – eine solidarische Stadt
Solidarität leben
Seit Jahren leben geflüchtete Menschen ohne             Gemeinsam menschliche Lösungen finden
Aufenthaltsstatus unter uns, faktisch recht-
los, ohne die Perspektive, eine Zukunft zu haben        Sprechen wir mit den Menschen, hören wir hin auf
mit dem, was jedem Menschen zusteht, weil               Erfahrungen und sprechen wir von dem Recht,
er*sie Mensch ist: Menschenwürdiges Wohnen,             als Menschen mit gleicher Würde unter Menschen
Partizipation in allen Formen, Arbeit. Die              zu leben, zu wohnen und zu arbeiten. Wir schlies-
Verweigerung dessen verletzt die Würde dieser           sen uns der Forderung an: Wir bleiben in Biel.
Menschen, vor allem auch der Kinder. Sie hat
gravierende Folgen für die psychische und physi-        Der Pastoralraum Biel-Pieterlen unterstützt die
sche Gesundheit.                                        Forderung von Geflüchteten aus dem Rückkehr-
                                                        camp Bözingen.
Der jahrelange Ausschluss und die Isolation von
Menschen ist eine Schande und macht auf
                                                          Peter Bernd, Pfarrer
beklemmende Weise deutlich, wie wenig mitten
in unserer Gesellschaft, Menschenrechte für
alle nicht wirksam eingefordert werden können.

Beklemmend ist es, von der Angst zu wissen, ob
und wann der nächste Bescheid kommt, den
Ort zu verlassen, an dem Beziehungen gewachsen
sind und Weisen der Teilhabe möglich sind.
Dabei ist die Situation von Kindern und jungen
Menschen besonders beklemmend, wenn sie
aus einer vertrauten Umgebung und entstandenen
Freundschaften gerissen werden.

Die Strategie der Isolation muss aufhören.

In der Stadt Biel/Bienne sind die Wege kurz, gibt
es leicht erreichbare Möglichkeiten, Menschen
zu treffen, gibt es Angebote, die allen offen stehen,
so dass hier etwas Leben in Würde und Teilhabe
möglich. In Biel gibt es leerstehenden Wohnraum
und Unterbringungsmöglichkeiten für Menschen.
Biel hat Platz. Konkret steht das ehemalige
Alterszentrum Ried in Biel für eine Unterbringung
in Frage. Es wäre ideal, damit Menschen und
Familien in Biel bleiben oder hierher zurückkehren
können. Wir appellieren an die Fantasie, die
Mitmenschlichkeit, die soziale Verantwortung und
das Gewissen von Verantwortlichen in Kanton
und Stadt, ganz konkret etwa an diesem Ort betrof-
fenen Menschen aus Bözingen und denen, die
nach Enggistein/Worb transferiert wurden, einen
Verbleib in Biel zu ermöglichen.

                                                        «Wir bleiben in Biel»-Kundgebung am 29. Mai 2022 in Biel
Wir bleiben in Biel
                         und wollen nicht an
                         einem abgelegenen
                         Ort isoliert werden.
                               Wir wollen, dass die
                               Kinder weiter hier zur
                               Schule gehen können.
                            Wir wollen in Wohn-
                            ungen leben.
                                 Wir brauchen Aufent-
                                 haltsbewilligungen
Impressum:                       für eine Perspektive.
Fotos:
Dokumentation der diversen Protestaktionen
in Biel durch Teilnehmende.

Zeichnungen:
Entstanden im schulischen Malatelier in Biel,
gemalt von Kindern mit Migrationsvorsprung,
Kindergarten bis zur 6. Klasse.

Texte:
Autor*innenschaft ist jeweils unter dem
Text angegeben.

«Wir alle sind Biel» wird getragen von verschie-
denen Kollektiven und engagierten Einzelper-
sonen. Ausführlichere Dokumentation auf der
Website des «Migrant Solidarity Network».

https://migrant-solidarity-network.ch/
category/wirbleibeninbiel/

Biel/Bözingen, Bern, Juni 2022
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