Die Ausgangslage - Migrant Solidarity Network
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Die Ausgangslage Das Ziel Stop Isolation Die gewaltvolle Logik der Camps verlassen Camps machen krank Mehrfach marginalisiert: gewaltbetroffene Frauen und ihre Familien Für strukturelle Veränderung und Freiheit für alle Abolitionismus Alle Lager abschaffen! Wie wäre es mit Bildung für alle? Eine solidarische Stadt Konkret die Solidarität leben
Die Ausgangslage Die Ausgangslage Das Rückkehrcamp Bözingen schliesst Ende Juli 2022. Der Protest nachvollziehbar.» Um es sich dann leicht zu machen: «Im Kanton Bern gehört die Bereitstel- Die kantonalen Migrationsbehörden transferierten Die Bewohnenden woll(t)en nicht weg von Biel. lung von Unterkünften und die Betreuung von bereits alleinstehende Frauen und Familien mit deutsch Nicht im Camp, aber zumindest in der Stadt asylsuchenden Personen nicht zu den Aufgaben eingeschulten Kindern gegen deren Willen in ein abgele- fühlten sie sich wohl. Widerständig haben sie sich der Gemeinden, sondern zu denjenigen des zur Gruppe «Stop Isolation Bözingen» zusammen- Kantons. (…) Die entsprechende Verantwortung generes Rückkehrcamp ausserhalb von Enggistein. geschlossen. Rund um die Perspektive «Wir liegt nicht bei der Stadt Biel, wobei diese gerne Andere Bewohnende wurden inhaftiert und im Ausschaf- bleiben in Biel» organisieren sie sich seit Mona- bereit ist, den Kanton auf dessen Wunsch und Er- fungsgefängnis in Moutier weggesperrt. In Bözingen ten im und um das Rückkehrcamp Bözingen. suchen nach ihren Möglichkeiten zu unterstüt- Unterstützung erhalten sie von Aktivist*innen und zen». Der Gemeinderat wäre jederzeit frei, sich ak- leben aktuell noch rund 50 Personen. Es sind mehrheit- Gruppen ausserhalb des Camps. Gemeinsam tiv mit dem Kanton in Verbindung setzen, um lich alleinstehende Männer und einige Familien mit haben sie bereits zwei Petitionen an den Bieler Ge- für die geforderten Lösungen in Biel einzustehen. französisch eingeschulten Kindern. Ihnen droht die Isola- meinderat gerichtet. Zwei Mal demonstrierten Durch seine Haltung spielt der Gemeinderat sie durch die Strassen von Biel. Medien wurden mit den Lebensumständen der Personen, die es tion im berüchtigten Rückkehrcamp Ins/Gampelen, auf den Protest aufmerksam und berichteten. direkt trifft. weit ausserhalb, irgendwo verloren im Grossen Moos. Laufend solidarisieren sich neue Gruppen, Kir- chen, Politiker*innen und Einzelpersonen. Das Problem Die Kündigung Das Programm von Sicherheitsdirektor Philipp Müller und den kantonalen Migrationsbehörden ist Das Rückkehrcamp schliesst, weil der Bieler bekannt. Wenn sie das Zepter übernehmen, Gemeinderat dem Kanton den Mietvertrag für das wird es unmenschlich. Für sie sind Asylsuchende, Gelände nicht erneuerte. Dieser Entscheid war die einen negativen Asylentscheid erhielten, richtig. Die Bewohnenden kritisieren die Zustände entrechtete Körper, die das Land um jeden Preis seit der Eröffnung 2019: «Die Isolation in der verlassen sollen. Jene, die nicht «freiwillig» notdürftigen Containersiedlung wirkt zermürbend». gehen oder untertauchen können oder jene, die Ihr Protest führte u.a. zu einer Untersuchung der sie nicht in Ausschaffungs- oder Beugehaft Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter wegsperren oder gewaltsam ausschaffen können, (NKVF), die Menschenrechtsverletzungen fest- sollen in den Rückkehrcamps zermürbt werden. stellte. Ihr Fazit: «Die Kommission ist der Ansicht, Während Jahren – teilweise Jahrzehnten – müssen dass die Bedingungen in den Rückkehrzentren sie von acht Franken Nothilfegeld pro Tag in not- für Familien mit Kindern nicht menschenwürdig dürftigen Rückkehrcamps (über-)leben. Abgewie- sind». Vor kurzem nahmen auch 400 Fachper- sene Asylsuchende sind ausgeschlossen vom sonen aus dem Gesundheitsbereich Stellung und Recht auf Bildung oder Lohnarbeit und haben nur sagten, die Verhältnisse in den Rückkehrcamps minimalen Zugang zum Gesundheitssystem. In «machen krank». den Rückkehrcamps werden die Menschenrechte auf Bewegungsfreiheit, soziale Kontakte und Das Wegschauen Privatsphäre über unbestimmt lange Zeit massiv eingeschränkt. Im Kanton Bern wurde die frei- Dieser Entscheid des Gemeinderates war jedoch heitsbeschränkende Anwesenheitspflicht von den – bewusst oder unbewusst – nicht zu Ende ge- Behörden verfügt, auch wenn es dafür weder dacht. Er schliesst zwar das Camp Biel-Bözingen, gesetzliche noch demokratische Grundlagen gibt. jedoch schaut er nicht für eine Lösung, die auch Ausserhalb des Rückkehrcamps drohen aufgrund im Sinne der betroffenen Menschen ist. Statt von Racial Profiling ständig rassistische Polizei- proaktiv-solidarisch Verantwortung zu überneh- kontrollen, die immer wieder zu monatelanger Ad- men, wie er es für die Ukrainer*innen tat, ver- ministrativhaft oder Haftstrafen aufgrund des steckt sich der Bieler Gemeinderat hinter Paragra- Delikts «Illegaler Aufenthalt» führen. phen und schaut weg. Nach monatelangem Schweigen schreibt er in seiner Antwort auf die Umzugsbefehl vom April 2022, Petitionen zuerst verständnisvoll: «Die vertrete- als die ersten Familien nach nen Anliegen sind für den Gemeinderat sehr gut Enggistein verlegt wurden.
Das Ziel Das Ziel Der Protest will verhindern, dass die abgewiesenen Asyl- suchenden von Biel weg müssen und in anderen Camps Wir bleiben in Biel isoliert werden. Das solidarische Biel hat Platz für Privat- und wollen nicht an einem abgelegenen sphäre, soziale Kontakte, Bewegungsfreiheit und Selbst- bestimmung... auch für abgewiesene Asylsuchende. Ort isoliert werden. Wir wollen, dass die Die Chance: Eine Kollektivprivatun- terkunft in Biel schaffen Die Stadt Biel könnte eine Pionierrolle einnehmen und die dringend nötige Alternative zur Privat- Kinder weiter hier zur unterbringung für Einzelpersonen erschaffen. Pri- vatunterbringung bedeutet für abgewiesene Asylsuchende, dass sie statt im Rückkehrcamp Schule gehen können. in Zimmern von Wohnungen von Freund*innen oder solidarischen Personen wohnen. Das kanto- nale Parlament hat diese Möglichkeit letztes Wir wollen in Wohn- Jahr gutgeheissen, nachdem sie von solidarischen Personen und Kreisen entwickelt, vorgeschlagen und erkämpft wurde. Aufgrund von (finanziellen) ungen leben. Hürden finden nicht alle abgewiesenen Asyl- suchenden Zugang zu Privatunterbringungen. Es braucht deshalb kollektive selbstbestimmte Wir brauchen Aufent- Lösungen. haltsbewilligungen für eine Perspektive. Durch Solidarität könnte in Biel eine alternative, kollektive Form der Privatunterbringung ent- stehen. Das ehemalige leerstehende Alterheim «Oberes Ried» bietet hierfür Platz und eine Gelegenheit. Die Stadt wollte dort ohnehin Ukrai- ner*innen kollektiv privatunterbringen. Auf- grund des neuen Verteilschlüssels des Bundes sind nun doch keine Ukrainer*innen eingezogen. Das Konzept, das für die Ukrainer*innen vor- gesehen war, könnte nun für die Personen des Rückkehrcamps Bözingen verwendet werden. Menschen sind Menschen. Es braucht keine Un- gleichbehandlung. Bild aus dem schulischen Malatelier in Biel, gemalt von einem Kind mit Migrationsvorsprung
«Wir bleiben in Biel»-Kundgebung am 8. April 2022 in Biel
Stop Isolation Stop Isolaation «Es ist nicht so, dass wir es gut finden mit 8 Franken pro Tag in Containern zu leben. Es hat in meinem Zimmer früher getropft, wenn es geregnet hat. Es ist im Winter kalt und im Sommer heiss. Es hat zu wenig Toiletten, es sind zu viele Leute, es ist eng hier. Ich setze mich nicht ein für das Camp in Biel Bözingen, weil es so gut ist. Aber ich kämpfe hier zu bleiben, weil ich sonst noch grössere Schwierig- keiten habe. Denn in Enggistein oder in Gampelen sind wir nicht mehr in der Stadt. In Biel können wir uns mit 8 Franken bewegen ohne Geld für Bus- ticket zu brauchen. Hier können wir das wenige Geld brauchen, um Lebensmittel einzukaufen. Wir können in der Stadt spazieren. Hier sind wir ei- nige unter anderen, wenn wir durch die Strassen lau- fen. In Gampelen sind wir die «Abgewiesenen». Für uns ist die Anonymität der Stadt gut. Wir kennen Biel. Wir haben kein Zuhause. Aber wir haben in den Strassen Biels manchmal ein wenig Ruhe und Frieden.» H. wohnhaft im Rückkehrcamp Biel-Bözingen Protest vor dem Camp in Biel-Bözingen, April 2022 Gruppe «Stopp Isolation Bözingen» «Mitte April wurden wir gegen unseren Willen nach Enggistein transferiert. Nach den zahlreichen Transfers der letzten Jahre, war es für viele von uns einer zu viel. Die ständige Unsicherheit macht Familien psychisch kaputt. Der Ort ist weit weg von allem, was wir brauchen. Klar, wir hatten Kritik an den Wohncontainern in Bözingen, doch in der Stadt Biel fühlten wir uns wohl. Unsere Kinder gingen in Biel zur Schule und fanden in Biel ein Zuhause» T.N. wohnhaft im Rückkehrcamp Enggistein Bild aus dem schulischen Malatelier in Biel, gemalt von einem Kind mit Migrationsvorsprung
Die gewaltvolle Logik Die gewaltvolle Logik der Camps verlassen der Camps verlassen Nothilfecamps, so steht es in den kantonalen Die Menschen in den Camps haben viele Bewälti- Verträgen mit Organisationen wie der ORS, gungsstrategien, um zumindest zu versuchen, die die Lager führen, «bilden das letzte Auffang- gesund zu bleiben, sich den Demütigungen nicht netz für Ausreisepflichtige. Eine Reintegration auszusetzen, mit eingeschränkten Möglichkei- in die regulären Strukturen des Asylbereichs ist ten Widerstand zu leisten. Aber wenn man länger nicht vorgesehen. Das festgelegte Setting soll in den Camps leben muss, wird es zunehmend dazu beitragen, dass Ausreisepflichtige sich rasch schwierig, den Angriffen zu entfliehen. Denn darum bemühen, selbstständig die Schweiz zu die Logik der Institution ist eine gewaltvolle, zer- verlassen». mürbende Praxis wider aller Menschlichkeit. Nothilfecamps sind – in Anlehnung an den Sozio- Nothilfecamps sind von der Gesellschaft geschaf- logen Erving Goffman – eine Form von totaler fene Institutionen. Sie können und müssen von der Institution. Gesellschaft auch wieder abgeschafft werden! Was heisst das? Es herrscht in den Camps eine Es braucht andere Orte zum Leben für abgewie- bürokratische Organisation, bestimmt durch sene Geflüchtete. Und Biel, du hättest die Möglich- Hausordnungen und Regeln, die nicht für die Men- keit: Das ehemalige Altersheim «Oberes Ried» schen und schon gar nicht von den Menschen, wäre eine Alternative, den krankmachenden insti- die in einem solchen Camp leben, bestimmt sind. tutionellen Logiken des Lagerlebens entfliehen Ausgerichtet ist die Organisation der Lager einzig zu können. Das (Zusammen-)leben selbst zu orga- auf einen reibungslosen Ablauf im Sinne der nisieren und zu gestalten. Die Regeln nach Behörden, auf Effizienz und Störungsvermeidung. den Bedürfnissen der Menschen auszurichten Es herrscht eine Logik der Kontrolle, des Über- und nicht nach denen der Bürokratie. Selbst wachens und Verwaltens. Die totale Institution der bestimmen und dabei ein solidarischer Ort für Nothilfecamps ist gekennzeichnet durch den abgewiesene geflüchtete Menschen in einer Verlust von Privatsphäre, durch strikte, aber oft solidarischen Stadt werden. Jetzt, Biel, wäre die nicht nachvollziehbare Regeln, Anwesenheits- Gelegenheit eine No-Lager-Politik anzugehen: pflichten, einem System von impliziten Belohnun- Eine Politik der Solidarität. gen (wenn man gehorcht) und Bestrafungen (wenn man sich nicht an die Regeln hält) und einer Simone Marti, Migrant Solidarity Network dauernden Kontrolle durch das Personal. Die Menschen in den Camps haben keine Möglichkeit zur Selbstbestimmung und individuellen Gestal- tung ihres Lebens. Das Ziel der Nothilfecamps ist es, dass die Men- schen sich der Institution und deren Regelwerken unterwerfen. Dazu, so Goffman, gibt es die zuvor geschilderten Mittel, die alles «Angriffe» auf das Selbst der Personen, auf ihre Identität – und damit auf das Menschsein an sich – sind. Die Mittel, die dazu eingesetzt werden, sind tägliche «Erniedrigungen, Degradierungen, Demütigungen und Entwür- digungen». Ziel ist es, perfekte «Insass*innen» zu formen. Auf Dauer machen diese Mittel jedoch vor allem eines: physisch und psychisch krank. «Wir bleiben in Biel»-Kundgebung am 8. April 2022 in Biel
Camps machen krank Camps machen krank Zusammen mit Freund*innen habe ich einen Zustand zu verbessern, erlebt sie einen hohen Die Strategie der Nicht-Zugehörigkeit, der geziel- Bericht zu den psychischen Gesundheitsfolgen für Grad an Ohnmacht und Entmutigung. Sie ten Ausgrenzung, Abschottung, Nicht-Teilhabe abgewiesene Geflüchtete im Nothilfesystem erlebt einen zunehmenden Kontrollverlust, verliert am Sozialen greift die abgewiesenen Geflüchteten verfasst. Auf der Grundlage dieses Berichts haben Initiative, zieht sich zurück, erlebt Gefühle im Kern ihres Bemühens an, sich von der Flucht drei Organisationen – Solinetz Zürich, terre des des Ausgeliefertsein und der Wertlosigkeit und zu erholen, sich in der Aufnahmegesellschaft zu hommes und NCBI – einen Offenen Brief für eine wird mit der Zeit depressiv. Durch das Beschäf- orientieren, Interessen zu entwickeln und zu humane Behandlung von abgewiesenen Asyl- tigungs-, Arbeits- und Bildungsverbot, durch das verfolgen, sich ein neues sinnerfülltes Leben auf- suchenden zu Handen von Politiker*innen, Behör- Installieren eines chronischen Provisoriums zubauen. den, Entscheidungsträger*innen verfasst. werden genau solche Bedingungen geschaffen, Dieser Offene Brief prangert die unmenschlichen, die zur systematischen Zermürbung der abge- Neben politischer Antidiskriminierungsarbeit, krankmachenden Lebensbedingungen im wiesenen Geflüchteten führen. Durch das Fehlen Verteidigung der Rechte abgewiesener Geflüchte- Nothilfesystem an. Rund 450 Ärzt*innen, Psychia- jeder Tagesstruktur verschwimmt das Zeitgefühl. ter, ist der konkrete soziale Beistand, der die ter*innen und Psychotherapeut*innen aus der Ein Gefühl der Ohnmacht setzt ein und führt Einbindung der Geflüchteten in ein tragendes und ganzen Schweiz haben diesen Brief unterzeichnet. oft zu Angst und Verzweiflung, zu Niedergeschla- solidarisches Netzwerk und somit eine Rest- Sie haben damit bezeugt, dass aus fachlicher genheit, psychosomatischen Beschwerden und zugehörigkeit garantiert, der wichtigste Beitrag. Sicht die Leidenszustände, aufbauend auf den Ver- Apathie. Dies könnte die Stadt Biel und die solidarische letzlichkeiten, die Geflüchtete schon vor und Bevölkerung jetzt leisten! Lassen Sie es nicht zu, während der Flucht angehäuft haben, durch die Die konsequente Verweigerung der wirtschaft- dass man den abgewiesenen Geflüchteten auch prekären, menschenunwürdigen und klar men- lichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte noch den letzten sozialen Halt nimmt und sie noch schenrechtswidrigen Verhältnisse im Nothilfere- (WSK-Rechte, UNO-Sozialpakt I) bedeutet unsichtbarer macht. gime in unverantwortlicher Weise verschärft ein radikales Verbot an jeder gesellschaftlichen werden. Der Offene Brief nennt eine ganze Reihe Teilhabe. Die Verweigerung jeder gesellschaft- Urs Ruckstuhl von Forderungen, die eine Voraussetzung für lichen Teilhabe ist menschenrechtswidrig. Die ritu- aktiv in der Solidaritätsbewegung für Geflüchtete ein minimales Wohlbefinden, Sicherheit und Ent- elle Berufung auf bestehende Gesetze seitens Psychologe aus Zürich wicklung abgewiesener Geflüchteter sind. Ich der Behörden macht das Verfahren nicht mensch- greife kurz drei Beispiele auf: licher, sondern verweist auf eine fortgeschrittene Verrohung von Mitgefühl und menschlicher Anteil- Armut: Arm gilt in der Schweiz (1-P.-Haushalt), wer nahme. über ein Einkommen von Fr. 2279.– Franken verfügt. Das vom SKOS festgelegte Minimum der Soziale Isolation: Offenbar sollen in Biel abgewie- Sozialhilfe beträgt Fr. 997.– (ohne Wohnung sene Geflüchtete in andere Notunterkünfte umge- und Krankenkasse). Bei einem täglichen Beitrag siedelt werden. Dieser Vorgang missachtet von Fr. 8.50 für abgewiesene Geflüchtete ist die über längere Zeit unter prekären Umständen der Betrag Fr. 238.- monatlich. Die drastischen aufgebauten menschlichen Beziehungsnetze Folgen grosser Armut (und dies erst recht im und Kontaktmöglichkeiten. So sollen also die not- Kontext eines reichen Landes) auf alle Lebensbe- dürftig aufgebauten und durch die Unterstützung reiche (Wohnen, Ernährung, Gesundheit, Auf- eines solidarischen Netzwerkes aufrechterhal- stiegschancen) ist hinreichend belegt, so z.B. von tenen Verbindungen zur Gesellschaft auch noch Caritas immer wieder untersucht und themati- gekappt werden. Dabei zeigen alle psychologi- siert. Ein Selbstversuch würde einiges klar ma- schen Studien, dass es nichts relevanteres in einer chen: Leben Sie nur eine Woche von Fr. 8.50 und preklären Lebenssituation gibt als sichere Bezie- beobachten Sie die Auswirkungen dieser so hungen und Zugehörigkeit. Zuwendung und Aner- krass reduzierten materiellen Verhältnisse auf ihr kennung in Beziehungen fördern Orientierung, Leben. Stellen Sie sich am Ende des Experimen- Neugier, Interessen, den Glauben an eine Zukunft. tes auch vor, dass diese Lebensumstände sich bis Aber das Wichtigste: Sie beruhigen die Stress- auf Weiteres nicht ändern. achse. Umgekehrt führen Nichtbeachtung, Aus- grenzung, Isolation, Verunsicherung, Desorien- Zwang zur Inaktivität und Ohnmacht: Die Psycho- tierung, nicht gewählte Einsamkeit und im Falle logie sagt, dass wenn eine Person nichts Biels die mutwillige Zerstörung eines sozialen dazu beitragen kann, einen schlimmen Zustand zu Rest-Netzwerkes zu chronischem Stress, Resig- beenden oder nichts tun kann, um einen elenden nation, Angstzuständen und Depression. Bild aus dem schulischen Malatelier in Biel, gemalt von einem Kind mit Migrationsvorsprung
Mehrfach marginalisiert: Mehrfach marginalisiert: gewaltbetroffene Frauen und ihre Familien gewaltbetroffene Frauen und ihre Familien Für gewaltbetroffene Frauen und ihre Familien, was leider die grosse Mehrheit aller geflüchteten Frauen ausmacht, ist es essentiell, dass sie zur Ruhe kommen und Stabilität erfahren können. Nur so können sie Trauma und andere Gewaltfolgen verarbeiten, sich psychisch stabilisieren und ihre Kräfte und Energien für sich und ihr Umfeld stärkend einsetzen. Ein (oft erneuter) Transfer in eine andere Unterkunft bedeutet ja immer auch eine neue Umge- bung, eine neue Gemeinde, in ein neues Schulhaus, neue Haus- ärzt*innen, neue Wege etc., was sehr viel Energie kostet. Energie über welche geflüchtete Frauen mit negativem Asylentscheid oft nicht (mehr) verfügen, da sie fast alle schon unzählige Ortswech- sel und somit ständige Entwurzelungen erfahren haben durch ihre Fluchtgeschichte und die Wechsel der Asylzentren in der Schweiz. Zudem erleben sie durch die ungewissen Bleibeperspektive natürlich auch kaum Stabilität bezüglich ihrer Zukunft. Geflüchtete Frauen mit Kindern treffen erzwungene Ortswechsel doppelt. Denn meist sind sie es, welche die Hauptverantwortung für die Kin- der übernehmen. Eine Destabilisierung der Kinder durch den Schulwechsel, der Verlust von aufgebauten Freundschaften, Neu- orientierung in einer neuen Umgebung kann für die Kinder psy- chisch schwierig sein. Meist sind es dann die Mütter, welche nebst ihren eigenen Belastungen auch die Verunsicherung und Ängste der Kinder abfangen müssen. Je abgelegener die Unterkunft, was leider für die Unterkunft in Enggistein zutrifft, desto schwieriger ist es, neue Wurzeln schlagen zu können und allenfalls die früheren aufgebauten Kontakte und Freundschaften weiter pflegen zu können. Damit gewaltbetroffene Geflüchtete von ihren Sorgen und Ängsten Ablenkung erfahren können, ist ein Austausch mit anderen Menschen, Aufgehobenheit in Religionsgemeinschaften oder anderen Gefässen, die Geborgen- heit und Vertrautheit bedeuten sehr wichtig. Stellungnahme von Brava – Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen «Wir bleiben in Biel»-Kundgebung am 8. April 2022 in Biel
Für strukturelle Veränderung Für strukturelle Veränderung und Freiheit für alle kämpfen und Freiheit für alle Wenn Sie wirklich wissen wollen, wie das Recht in einem Land ge- handhabt wird, fragen Sie nicht die Polizei, die Anwältinnen, die Richterinnen oder die geschützten Mitglieder der Mittelschicht. Man wendet sich an die Ungeschützten – die Menschen, die den Schutz des Gesetzes am meisten brauchen – und hören Sie sich an, was sie zu sagen haben. Seit Jahren versuchen die Bewohnen- den des Lagers, auf die unmenschlichen Bedingungen und den Zugang aufmerksam zu machen, aber der Staat erlegt ihnen durch private Unternehmen wie die ORS ein noch schwereres Joch auf. Es ist ein charakteristisches Verhalten von rassistischen Insti- tutionen und ein Herangehensweise, Menschen ohne Rechte nicht ernst zu nehmen. Die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) erklärt erneut, was die Bewohnenden bereits erwähnt haben. Ausge- hend von den Überprüfungsfaktoren schafft die Rückkehrzentren nach Ansicht der Kommission eine kritische Situation für alle Bewohnenden und eine unmenschliche Situation für Kinder und ihre Familien. Seit der Veröffentlichung des Berichts hat sich die Situation in diesen Lagern nicht geändert. Was nützen den Be- troffenen diese leeren Empfehlungen? Was sind die Lösungen der sogenannten demokratischen Institution angesichts der allge- genwärtigen physischen, sozialen, wirtschaftlichen und psycho- logischen Gewalt, der die Bewohnenden des Lagers Biel-Bözingen ausgesetzt sind? Die Praxis der Grenzziehung grenzt Zonen des Zugangs, der Inklu- sion und des Privilegs von Zonen der Unsichtbarkeit, der Aus- grenzung und des Todes ab. Es ist höchste Zeit für Biel, eine Politik der Solidarität und des Antirassismus zu gewährleisten. Der Protest in Biel ist ein antistaatlicher Protest. Er muss und soll jedoch strategisch auch die Staatsapparat adressieren, um er- folgreiche Kämpfe zu führen für diejenigen die von Inhaftierung und Abschiebung betroffen sind. Die kämpfe sind deswegen nicht einfach reformistisch. Denn sie stellen sicher, dass diejenigen spre- chen und handeln, die direkt von den Ungerechtigkeiten des Grenzregimes betroffen sind. Solche Kämpfe ermöglichen struktu- relle Veränderung und kollektive Freiheit. Selam Habtemariam, Migrant Solidarity Network Oben: «Wir bleiben in Biel»-Kundgebung am 8. April 2022 in Biel Unten: Bild aus dem schulischen Malatelier in Biel, gemalt von einem Kind mit Migrationsvorsprung
Abolitionismus Abolitionismus – Alle Lager abschaffen! Alle Lager abschaffen! Lager und Camps zielen auf soziale, zivile und «Wir sind hier, weil ihr da wart, und weil ihr gesellschaftliche Tode ab. Sie sind, mit dem immer noch da seid, und weil ihr unsere Länder afrikanischen Philosophen Achille Mbembe ge- zerstört», durch Krieg, durch die Zerstörung sprochen Teil einer Nekropolitik, einer Politik der Lebensgrundlagen und durch den industriell- der brutalen Gewalt und des Todes. Das meint kapitalistischen-gemachten Klimawandel. nicht immer nur den physischen Tod, sondern Das erklären selbst-organisierte Bewegungen von kann auch den zivilen, sozialen oder gesellschaft- geflüchteten Menschen bereits seit den 1980er lichen Tod bezeichnen. Die kleinen und langsa- Jahren. Vor diesem Hintergrund, Schweiz, Biel, ist men Tode, durch Ausschluss vom Leben, durch es das MINDESTE, dass Rückkehrcamps, Ausschluss aus dem, was Leben ausmacht: Bewe- Ausschaffungsgefängnisse, alle Lager, abgeschafft gungsfreiheit, soziale Beziehungen aber auch werden. In Anbetracht dieser Tatsache ist die privaten Rückzug, das Recht auf Bildung, Gesund- Spaltung und Trennung in legitime Asylsuchende heit, Würde und ein selbstbestimmtes Leben. und illegitime Asylsuchende eine Farce, viel schlimmer: lebensbedrohlich. Denn diese Tren- Lager gehen auf den Ursprung des kolonialen nung hat selbst eine koloniale Entstehungs- Kapitalismus zurück. Das ist wichtig, da wir die Re- geschichte, wie sich an den Bestrebungen der gulation sowie Kriminalisierung von Migration europäischen Kolonialmächte, die Genfer und Kolonialismus zusammen denken müssen. Flüchtingskonvention mit einer «Kolonialklausel» Es ging dabei um das Produktivmachen von zu versehen, zeigt. Menschen für die kapitalistische Ausbeutung. Besonders mittellose Menschen, also arme Die Gruppe «Stop Isolation Bözingen» sowie ihre Menschen, wurden diszipliniert um sie im kapita- Unterstützer*innen kämpfen demnach nicht listischen System ausbeuten zu können. In nur gegen menschenunwürdige Isolation und Ge- den europäischen Kolonien war die Logik des walt an. Kämpfe gegen Lager sind Kämpfe Lagers besonders grausam: Es ging darum gegen den Kapitalismus, sind anti-koloniale Käm- Widerstand zu brechen, und Arbeit, ohne Lohn, pfe, sind feministische Kämpfe, sind queer- Protest vor dem Camp in Biel-Bözingen, April 2022 von versklavten Menschen und kolonisierten feministische Kämpfe, sind anti-rassistische Käm- Menschen, abzuschöpfen, sie überauszubeuten. pfe, sind Kämpfe für andere Welten! Lager Dadurch ist das Europa entstanden, das wir produzieren viele Formen der Tode und reprodu- schon seit zwanzig Jahren: «Keine Lager für Frau- Zivilgesellschaft. Das ist eine Chance. Es ist eine heute kennen. zieren Formen von vergeschlechtlichter und en und Kinder! Alle Lager abschaffen!» Form der Reparation. Es gibt bereits einen Raum sexualisierter Gewalt gegen Frauen, nicht-binäre dafür, das ehemalige und leerstehende Altersheim Seit dem Wandel des Kapitalismus in der letzten Menschen und Kinder. «Wir bleiben in Biel» Es geht um die radikale Veränderung eines Sys- «Oberes Ried«. Hälfte des 20. Jahrhunderts haben sich die durchbrechen mit ihren Forderungen auch die tems, welches Spaltungen zwischen Menschen Überausbeutungsverhältnisse geändert. Damit Spaltungen, die dieses System produziert. schafft, Tode produziert, hin zu lebensbejahenden Gegen die Spaltung und für lebensbejahende geht auch eine Änderung der Rolle des Lagers Sie wollen in Biel bleiben, selbstbestimmt in Woh- Institutionen. Es geht also nicht einfach darum Institutionen für alle! einher. Lager sind heute weniger mit der Produktiv- nungen leben, sich bewegen können, eine Pers- etwas abzuschaffen, sondern Welten und Institu- machung für kapitalistische Ausbeutung und pektive für sich und ihre Kinder haben. Sie fordern tionen zu schaffen, in denen wir alle leben können. Vanessa E. Thompson, Überausbeutung beschäftigt als vielmehr mit der lebensbejahende Institutionen. Es geht, wie die Abolitionistin Harsha Walia er- Rassismusforscherin, Mitglied in der Internationalen Einkerkerung, totalen Kontrolle und Deportation klärt, nicht einfach um die Abschaffung von Grenz- Unabhängigen Kommission zur Aufklärung der Wahrheit über den Tod des Oury Jalloh und in trans- von «überflüssiger Menschheit» befasst. So wer- Das ist Teil von Abolitionismus. Abolitionismus, regimen oder Lager, sondern um die Schaffung national-feministischen abolitionistischen Netzwerken den rassifizierte Menschen aus den ehema- als soziale Bewegung und theoretische Perspekti- von Institutionen und Räumen in denen Menschen aktiv. ligen Kolonien oder den Kriegsgebieten westlicher ve, geht historisch bis auf die Kämpfe gegen sicher ankommen können, selbstbestimmt imperialistischer Kriege zu grossen Teilen Versklavung und den Kolonialismus zurück. Ge- wohnen können, sich frei bewegen und selbstbe- nicht mehr für das Funktionieren des Kapitalismus genwärtig beziehen sich die Kämpfe vor allem stimmt leben können.Es geht um gemeinsame «gebraucht», sondern werden im Mittelmeer auf Polizeigewalt, Grenzen, Gefängnisse und Lager, Räume des Lebens statt einer Politik des Todes. ertrunken gemacht, an den Aussengrenzen brutal auch in hiesigen Kontexten. Denn, Menschen zurückgedrängt, durch Deportationen oft in haben immer gegen unwürdige Bedingungen ge- In Biel könnte eine alternative, kollektive und den Tod geschickt, und in Lagern ihrer Lebenszeit kämpft. Die selbstorganisierte Gruppe «Women lebensbejahende Form der Privatunterbringung beraubt. in Exile and Friends», aktiv in Deutschland, fordert entstehen. Es gibt breite Unterstützung in der
Bild aus dem schulischen Malatelier in Biel, gemalt von einem Kind mit Migrationsvorsprung
Wie wäre es mit Wie wäre es mit Bildung für alle? Bildung für alle? Isoler les gens, c’est mettre à mal l’intelligence l’éducation vous le diront, les besoins fondamen- L’éducation et la formation ne concernent pas que collective. taux des enfants doivent être remplis pour qu’iels les enfants, ce sont des sujets cruciaux pour puissent apprendre. les adultes également. L’agenda intégration de la Déplacer des lieux de vie contre le gré des person- Confédération ne prévoit de cours de langues nes qui les habitent témoigne d’un mépris grave L’atteinte de ces besoins est toujours plus comple- subventionnés que pour certaines catégories de de leur existence. Les personnes que le canton de xe chez les enfants exilé∙es. Plus la situation permis. Pour tous les autres, l’apprentissage Berne veut parquer ailleurs sont des femmes*, sociale et administrative des parents est précaire, de la langue se fait en fonction des offres gratuites des hommes, des familles et des enfants qui se con- plus les obstacles sont nombreux. Et c’est bien et solidaires disponibles. Or, c’est dans les cen- struisent une vie dans des circonstances qu’au- là que l’école doit jouer un rôle: les nouvelles tres urbains qu’elles sont proposées. C’est égale- cune personne privilégiée en Suisse ne jugerait relations qui y sont créées et négociées contribu- ment dans ces centres que les offres culturelles, acceptable pour elle-même. ent au besoin d’appartenance. La relation avec sociales et solidaires sont les plus nombreuses, les enseignant∙es, les autres élèves, le personnel c’est dans les centres urbains que l’on peut obtenir Certains des enfants du camp de Bözingen ont administratif, le personnel de soin d’une école un repas à prix libre, que l’on peut voir un spec- déjà dû changer d’école à plusieurs reprises. joue un rôle crucial dans les apprentissages qui à tacle à prix réduit et que l’on peut nouer des con- Leur imposer un nouveau changement démontre leur tour permettent des réussites scolaires, tacts. Isoler les personnes exilées, s’inscrire que les enjeux de l’école et de l’apprentissage sportives et sociales qui contribuent à l’estime et à dans une logique de camps, c’est diviser la socié- échappent totalement aux décideurs politiques. la réalisation de soi. té, c’est refuser de contribuer à l’intelligence L’école, ce n’est pas que les tables de multiplica- collective, qui se créée à la faveur des rencontres, tion, les textes à trous ou les cours de gym. L’école Forcer les familles à déménager, c’est imposer aux des échanges et des coups de main. c’est les copain∙es, la récré, la confrontation avec enfants un nouveau déracinement, un nouveau les enseignant∙es, et les réunions des délégué∙es changement d’école. Une fois encore, iels seront le Il est grand temps de considérer les personnes de classe. L’école c’est apprendre à vivre ensemble nouveau, la nouvelle de la classe. Encore une exilées comme des êtres humains à part et se confronter aux différents acteurs institu- fois, il faudra recommencer le travail de socialisa- entière, avec des besoins, des envies et des rêves. tionnels et sociaux qui feront partie de la vie future. tion au début. Une fois encore, il faudra se refaire Il faut cesser de les considérer comme des L’école c’est l’espace où les enfants sortent du une place dans le groupe, une fois encore, il paquets que l’on déplace au gré des envies logisti- milieu de la famille et construisent leur identité en faudra reconstruire une identité, et la modeler au ques de dirigeants qui ont toujours pu effectuer dehors de ce cercle-là. L’école, c’est l’endroit où contact de nouveaux autres. Cette nouvelle leurs parcours scolaire et professionnel dans les se créent de nouvelles appartenances, où se forge adaptation aura des conséquences, sur la santé meilleures conditions possibles. l’esprit critique et où l’on devient sa propre per- psychique, sur la motivation et sur les appren- sonne. L’école, c’est parfois un refuge quand le quo- tissages des enfants. Les déraciner encore une Sophie Guignard, Solidarité sans frontières tidien à la maison est trop lourd. fois est irresponsable. La Suisse se vante très souvent de caracoler en Dans un entretien accordé au Temps, le directeur tête des classements internationaux de PISA. Ces de la santé, des affaires sociales et de l’intégra- scores remarquables ne sont pas seulement tion Pierre Alain Schnegg affirmait « Entre des con- dû à la qualité de l’enseignement suisse, mais bel et tainers qui permettent de maintenir une certaine bien à la relative sécurité socio-économique de vie familiale ou un centre collectif sans intimité, ses élèves. Si l’on considère la tête du classement, mon choix est vite fait ». Là est bien le problème, ce on voit très bien que les pays riches s’en sortent qui nous intéresse ce n’est pas l’avis de Pierre beaucoup mieux. Parce que pour apprendre à Alain Schnegg, mais bien la vie quotidienne l’école, il ne suffit pas d’écouter en silence en clas- de familles, et d’enfants. Décider à leur place, sans se et de s’asseoir régulièrement à la table de la leur demander, c’est par ailleurs bafouer l’art. 12 cuisine pour faire ses devoirs. Si travailler dur pour de la convention relative aux droits de l’enfant de réussir économiquement fonctionnait, cela l’ONU « L’enfant a le droit, dans toute question ferait longtemps que les inégalités sociales aurai- ou procédure le concernant, d’exprimer librement ent disparu. Pour bien apprendre et réussir son opinion et de voir cette opinion prise en selon les critères élitaires en vigueur en Suisse, considération ». Pierre Alain Schnegg a-t-il accor- il faut que les conditions de vie des enfants dé un entretien aux enfants qu’il souhaite faire Bild aus dem schulischen Malatelier in Biel, gemalt von einem Kind mit soient correctes. La plupart des spécialistes de changer d’école ? Migrationsvorsprung
Biel – eine solidarische Stadt Utopien und ein vielfältige Begegnungsstätte. Biel – eine solidarische Stadt Projekte wie jenes in Augsburg sind zum Nach- ahmen empfohlen – auch in Biel! Zukunftsweisen- In Biel bietet sich aktuell eine grossartige Chance: heute leben müssen: Wohnen ist ein menschliches de Projekte betreiben keine «Unterbringung Die Stadt und ihre Bewohner*innen haben die Grundbedürfnis und Menschenrecht und bedeu- von Flüchtlingen», sondern schaffen ein men- Möglichkeit aufzuzeigen, dass Migrationspolitik tet nicht bloss, «untergebracht» zu sein, sondern schengerechte Wohnperspektive für ein selbstbe- auch ganz anders gemacht werden kann. Die über private Rückzugsmöglichkeiten zu verfügen stimmtes Leben für alle. Sie rücken dabei die Errichtung einer selbstverwalteten, kollektiven und diese nach den eigenen Bedürfnissen und soziale Frage per se in den Mittelpunkt der Debat- Form der Privatunterbringung für geflüchtete Vorlieben gestalten zu können. In den durch private, te: Nicht Migration wird als Problem adressiert, Fensterdeko, Protestaktion neben Stadtparlement, 9. Juni 2022 Menschen im ehemaligen Altersheim «Oberes profitorientierte Firmen wie der ORS betriebe- sondern die Ungleichheit innerhalb der Stadt – un- Ried» würde die einmalige Gelegenheit bieten, nen Camps erleben Geflüchtete hingegen Isolation, In verschiedenen Städten Europas gibt es bereits gleiche soziale Rechte und die Hierarchisierung einerseits geflüchteten Menschen eine menschen- Entwürdigung und Ausgrenzung. Lagerähnliche Erfahrungen, an die in Biel angeknüpft werden von Menschen entlang ihres Aufenthaltsstatus. gerechte Wohnperspektive für ein selbstbestimm- Zustände, die von Fremdbestimmung und fehlen- kann. In Bezug auf die Ausgangslage in Biel beson- tes Leben zu gewähren, und andererseits einen der Privatsphäre geprägt sind, machen nicht ders inspirierend ist ein Projekt in Deutschland: Für die Umsetzung eines solchen Pionierprojekts solidarischen Ort in der Stadt zu schaffen, an dem nur psychisch krank, sondern sind auch ein Hin- In Augsburg entstand 2013 inmitten der Altstadt besteht auch in Schweizer Städten wie Biel nicht die Herkunft, sondern die Präsenz, der dernis für Selbstinitiative und verunmöglichen das «Grandhotel Cosmopolis» – ein Ort für ein Potenzial. Die Stadt hat eine umfassende Lebensmittelpunkt und die gemeinsame Zukunft ein solidarisches Zusammenleben. Menschen aus der Stadt sowie für Hotelgäste «mit solidarische Infrastruktur: Verschiedene im Zentrum stehen. und ohne Asyl». Ein leerstehendes Altersheim zivilgesellschaftliche Initiativen, Vereine, kirchli- Die Lagerunterbringung ist zudem ein wichtiger wurde zur Verhandlungszone für die Anerkennung che Projekte und soziale Bewegungen schaffen Biel ist eine weltoffene Stadt. Insbesondere ver- Faktor bei der Konstruktion rassistischer Pro- einer kosmopolitischen Wirklichkeit in unserer Begegnungsräume (wie das «Haus pour Bienne»), fügt sie über eine aktive Zivilgesellschaft, die jektionen und verstärkt Grenzziehungen zwischen Gesellschaft. Was anfangs eine kühne Idee war, engagieren sich für Bildung für alle (wie das sich auf vielfältige Weise dafür einsetzt, Biel zu Menschen, die in der gleichen Stadt leben: wächst tagtäglich und wirkt weit über die Stadt Projekt «Multimondo»), garantieren Rechtsbera- einer Stadt zu machen, in der alle Menschen Die Konzentration und Isolation von Geflüchteten hinaus. tung für illegalisierte Migrant*innen, bieten unabhängig vom Aufenthaltsstatus ein gutes Le- in teils gar umzäunten Unterkünften, zusam- privaten Wohnraum an (insbesondere aktuell für ben führen können und in der kein Mensch illegal men mit dem durch das Arbeitsverbot erzwunge- Die Diakonie hat in dem Haus mit einer Gesamtflä- ukrainische Geflüchtete), schaffen temporäre ist. Die Frage ist: Wagt Biel – und insbesondere nen Nichtstun, begünstigen in der Dominanz- che von 2’600 Quadratmetern und 66 Räumen Schlafplätze für Menschen in Not (wie der «Sleep- die städtische Politik – einen weiteren Schritt in gesellschaft ein Denken in den Kategorien «Wir» von 1963 bis 2007 ein Altersheim betrieben. Nach in») und solidarisieren sich mit dem selbstorga- Richtung einer solidarischen Stadt? und «die Anderen». Damit forciert es die einigen Jahren Leerstand entstand die Idee des nisierten Protest von Geflüchteten, die sich gegen Wahrnehmung des «Anderen» als fremd und Grandhotels Cosmopolis. Das Haus, das weiterhin unwürdige Bedingungen in Rückkehrzentren In einer solchen Stadt der Solidarität sollen alle nicht-zugehörig, da Menschen im Lager durch der Diakonie gehört, wird seit 2013 von der wehren (wie der Verein «Alle Menschen»). Selbst- Menschen das Recht haben zu leben, zu wohnen räumliche und soziale Ausgrenzungspraktiken, öffentlichen Hand (Regierung Schwaben) und vom verwaltete Projekte wie Gurzelen, das Schlachthof und heimisch zu werden. Alle Menschen soll Überwachung und eingeschränkte Rechte Verein «Grandhotel Cosmopolis e.V.» gemietet. Projekt oder das Kollektiv ensemble STARK der Zugang zu Bildung und medizinischer Versor- begegnet wird. Diese Behandlung trägt zur Bil- Die Räume werden genutzt für Gäste mit und ohne zeigen, zu was Biel alles fähig ist. Und während gung gewährt werden. Alle Menschen sollen dung und Verfestigung von rassistischen Asyl, für den Betrieb einer Gaststätte, eines in anderen Städten jahrelang über die Einführung teilhaben und das Stadtleben mitgestalten kön- Stereotypen bei, indem der separierten Gruppe Cafés und verschiedener Ateliers und Werkräume. einer City Card debattiert wird, schaffte eine nen – unabhängig von Aufenthaltsstatus, ein Bedrohungspotenzial gegenüber der rest- Im Gegensatz zu «normalen» Flüchtlingsheimen, Gruppe von Engagierten den Verein City Card finanziellen Möglichkeiten, Hautfarbe, Geschlecht, lichen Gesellschaft und ihres Zusammenhalts leben Geflüchtete hier nicht abgeschottet und se- Biel/Bienne und lancierte jüngst kurzerhand Sexualität, Religion. In vielen Städten in der zugeschrieben wird. pariert, sondern teilen die Stockwerke mit Hotel- selber eine City Card «von unten». Schweiz, in Europa und auf der ganzen Welt ist gästen. Seit Juli 2013 bewohnen ca. 60 Menschen der Prozess, eine «Solidarity City» zu werden, Doch es gibt Alternativen. Die Errichtung einer – Familien und Alleinreisende aus verschiede- Die Gruppe «Stop Isolation Bözingen», unterstützt schon in vollem Gang. Diese transurbane Bewe- selbstverwalteten Kollektivunterkunft im nen Ländern – die Gemeinschaftsunterkunft im vom Migrant Solidarity Network, kann also auf gung für Solidarische Städte wehrt sich gegen ehemaligen Altersheim «Oberes Ried» würde Grandhotel. ein breites solidarisches Netzwerk in Biel aufbau- eine zunehmend repressive Migrationspolitik auf die Möglichkeit bieten, diese repressive en, wenn es darum geht, das Projekt einer kol- nationaler und supranationaler (z.B. EU-) Ebene Verwaltungslogik zu durchbrechen, Menschen Entstanden ist ein gesellschaftliches Gesamtkunst- lektiven Privatunterkunft in Angriff zu nehmen. Die und arbeitet an konkreten Alternativen auf (trans-) Selbstbestimmung zuzugestehen und in der werk, das Akzente für ein friedliches und so- Bedürfnisse der Geflüchteten sollten dabei im lokaler Ebene. Stadt einen Ort der Solidarität zu schaffen – eine lidarisches Zusammenleben in der Stadt setzt. Zentrum stehen, ihre Stimmen und Forderungen Begegnungsstätte, einen freundlichen, fried- Den Eigentümern wird eine sinnvolle, gemein- müssen endlich erhört und ernst genommen Eine solidarische Stadt setzt sich zudem aktiv lichen Ort – offen für alle, die hier sind und noch nützige Zwischennutzung ermöglicht; Geflüchtete werden. Sie gehören genauso zur Stadt – denn gegen Wohnungslosigkeit ein. Was heute mit kommen werden. Es bietet sich aktuell die – sog. Hotelgäste mit Asyl – bekommen die «Wir alle sind Biel»! abgewiesenen Asylsuchenden passiert, ist jedoch einmalige Gelegenheit, etwas Neues, etwas Möglichkeit, in der Stadt zu wohnen und sich am einer solidarischen Stadt unwürdig: Im Grunde Aussergewöhnliches zu schaffen in Biel: Hotel- und Kulturbetrieb aktiv zu beteiligen; genommen ist es eine Politik zur Förderung der Ein soziales Experiment, in dem erprobt wird, Hotelgäste auf der Durchreise lernen bei ihrem Sarah Schilliger Soziologin, leitet an der Universität Bern (IZFG) ein inter- Wohnungslosigkeit. Denn Wohnen kann man wie selbstbestimmtes und menschenwür- Aufenthalt ein einzigartiges Projekt kennen; nationales Forschungsprojekt zu Solidarischen dies nicht nennen, wie Menschen in der Nothilfe diges Wohnen für Geflüchtete aussehen könnte. und in der Stadt entsteht ein Labor für konkrete Städten in Europa und ist Mitglied der Koordinations- gruppe von «Wir alle sind Bern»
Biel – Konkret die Biel – eine solidarische Stadt Solidarität leben Seit Jahren leben geflüchtete Menschen ohne Gemeinsam menschliche Lösungen finden Aufenthaltsstatus unter uns, faktisch recht- los, ohne die Perspektive, eine Zukunft zu haben Sprechen wir mit den Menschen, hören wir hin auf mit dem, was jedem Menschen zusteht, weil Erfahrungen und sprechen wir von dem Recht, er*sie Mensch ist: Menschenwürdiges Wohnen, als Menschen mit gleicher Würde unter Menschen Partizipation in allen Formen, Arbeit. Die zu leben, zu wohnen und zu arbeiten. Wir schlies- Verweigerung dessen verletzt die Würde dieser sen uns der Forderung an: Wir bleiben in Biel. Menschen, vor allem auch der Kinder. Sie hat gravierende Folgen für die psychische und physi- Der Pastoralraum Biel-Pieterlen unterstützt die sche Gesundheit. Forderung von Geflüchteten aus dem Rückkehr- camp Bözingen. Der jahrelange Ausschluss und die Isolation von Menschen ist eine Schande und macht auf Peter Bernd, Pfarrer beklemmende Weise deutlich, wie wenig mitten in unserer Gesellschaft, Menschenrechte für alle nicht wirksam eingefordert werden können. Beklemmend ist es, von der Angst zu wissen, ob und wann der nächste Bescheid kommt, den Ort zu verlassen, an dem Beziehungen gewachsen sind und Weisen der Teilhabe möglich sind. Dabei ist die Situation von Kindern und jungen Menschen besonders beklemmend, wenn sie aus einer vertrauten Umgebung und entstandenen Freundschaften gerissen werden. Die Strategie der Isolation muss aufhören. In der Stadt Biel/Bienne sind die Wege kurz, gibt es leicht erreichbare Möglichkeiten, Menschen zu treffen, gibt es Angebote, die allen offen stehen, so dass hier etwas Leben in Würde und Teilhabe möglich. In Biel gibt es leerstehenden Wohnraum und Unterbringungsmöglichkeiten für Menschen. Biel hat Platz. Konkret steht das ehemalige Alterszentrum Ried in Biel für eine Unterbringung in Frage. Es wäre ideal, damit Menschen und Familien in Biel bleiben oder hierher zurückkehren können. Wir appellieren an die Fantasie, die Mitmenschlichkeit, die soziale Verantwortung und das Gewissen von Verantwortlichen in Kanton und Stadt, ganz konkret etwa an diesem Ort betrof- fenen Menschen aus Bözingen und denen, die nach Enggistein/Worb transferiert wurden, einen Verbleib in Biel zu ermöglichen. «Wir bleiben in Biel»-Kundgebung am 29. Mai 2022 in Biel
Wir bleiben in Biel und wollen nicht an einem abgelegenen Ort isoliert werden. Wir wollen, dass die Kinder weiter hier zur Schule gehen können. Wir wollen in Wohn- ungen leben. Wir brauchen Aufent- haltsbewilligungen Impressum: für eine Perspektive. Fotos: Dokumentation der diversen Protestaktionen in Biel durch Teilnehmende. Zeichnungen: Entstanden im schulischen Malatelier in Biel, gemalt von Kindern mit Migrationsvorsprung, Kindergarten bis zur 6. Klasse. Texte: Autor*innenschaft ist jeweils unter dem Text angegeben. «Wir alle sind Biel» wird getragen von verschie- denen Kollektiven und engagierten Einzelper- sonen. Ausführlichere Dokumentation auf der Website des «Migrant Solidarity Network». https://migrant-solidarity-network.ch/ category/wirbleibeninbiel/ Biel/Bözingen, Bern, Juni 2022
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