Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Arbeitsmarkt und Sozialstaat in Deutschland
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Internationales Symposium, Cusanus-Akademie Brixen, 16.09.2021 Chancengleichheit der Frauen auf dem Arbeitsmarkt – Auswirkungen der Corona-Pandemie und Perspektiven Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Arbeitsmarkt und Sozialstaat in Deutschland Frauke Fischer, Gleichstellungsbeauftragte Stadt Königswinter
„Krisen verstärken gesellschaftliche Ungleichheiten und erhöhen Risiken für benachteiligte Gruppen“ (Wolfgang Stadler, Bundesvorsitzender AWO)
Corona-Pandemie wirkt sich in allen Lebensbereichen aus: • gesundheitlich • ökonomisch • gesellschaftlich • politisch • kulturell
Ambivalente Muster • Zu Beginn der Pandemie zunächst scheinbar kurzfristige Fort- schritte der Lohnlücke zwischen Männern und Frauen (Gender Pay Gap) treffen auf möglicherweise dauerhafte Verschlechterungen der Arbeitssituation erwerbstätiger Frauen • Einerseits Verfestigung traditioneller Verteilung unbezahlter Kinder- betreuung, andererseits Eröffnung neuer Chancen für eine fairere Aufteilung (Anstieg Homeoffice von 35 % auf 43 %) „In der Gesamtschau spricht vieles dafür, dass sich die bereits vor der Krise existierenden Ungleichheitsstrukturen in der Krise verschärfen und damit auch langfristig zu einer wachsenden Ungleichheit zwischen den Geschlechtern führen könnte“ (Bettina Kohlrausch, Direktorin des WSI)
Defizite in der Gleichstellung Corona als Brennglas: Die Defizite in der Gleichstellung werden für alle sichtbar offenbar: - mangelnde Vereinbarkeit von Familie & Beruf - Verfestigung der Rollenstereotype - Rückschritte bei Equal Pay - Einseitige Verteilung von Care-Arbeit - Zunahme häuslicher Gewalt
Veränderte Arbeitssituation durch Corona • Zunächst deutlicher Anstieg der Arbeitslosigkeit bei Männern gegenüber Frauen (zwischen Frühjahr und Herbst 2020) bei gleich- zeitig höherem Anteil der männlichen Beschäftigten in Kurzarbeit • Abnahme der geringfügig entlohnten Beschäftigten hat 2020 gegen- über dem Vorjahr um 380.000 Personen (8,2%) abgenommen, während die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftig- ten nicht gesunken ist • Von Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit sind Frauen finanziell stärker betroffen, da Unterstützungsleistungen nach dem Nettoeinkommen berechnet und Frauen seltener in tarifgebundenen Betrieben arbeiten (Gewerkschaften häufig Aufstockung durch den Arbeit- geber vereinbarten)
Frauen in Kurzarbeit finanziell benachteiligt • Frauen und Männer waren fast gleichermaßen von Kurzarbeit betroffen: Männer 7 %, Frauen 8 % (Nov. 20) • 36 % Frauen und 46 % Männer profitierten von Aufstockung des Kurzarbeitergeldes über das gesetzlich vorgesehene Niveau hinaus
Beschäftigte in Minijobs sind Verlierer*innen der coronabedingten Rezession • Wegfall von 850.000 Minijobs (12 %) zum Vorjahr (6/2019), vor allem in der Gastronomie und im Einzelhandel • Knapp 19 % aller Arbeitnehmer/innen sind im Juni 2020 geringfügig beschäftigt • Minijober/innen haben keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld • Frauen verlieren vergleichsweise schnell ihre Beschäftigung • Rückgang der Minijobs bei Frauen etwa doppelt so hoch wie bei Männern
Minijobberinnen und selbständige Frauen: Pandemie trifft Frauen am Arbeitsmarkt stärker • Im Gegensatz zur Finanzkrise 2008/2009, in der stärker Männer vom Beschäftigungsrückgang betroffen waren, sind in der aktuellen Krise Frauen verstärkt betroffen, das diese überwiegend in Wirtschaftssektoren wie z.B. Gastgewerbe und Einzelhandel ver- treten sind. Besonders betroffen sind Minijobberinnen • Negativer Einkommensschock trifft auch selbständige Frauen härter: Von den insgesamt 4 Mio. Selbständigen waren vor der Pandemie mehr als ein Drittel Frauen. Nur 68 % der selbständigen Frauen – gegenüber 80 % der selbständigen Männer, üben 2021 weiterhin ihre Selbständigkeit aus
Arbeitszeitreduktion in Coronakrise
Reduzierung der Erwerbszeiten während der Pandemie • 24 % der erwerbstätigen Mütter reduzierten ihre Arbeitszeit im April 2020 auf Grund Kindergarten- bzw. Schulschließung – bei Vätern waren es 16 %. • Bis November 20 sank die Zahl bei Frauen auf 10 % bzw. Männer auf 6 %. • Männer reduzierten vorwiegend aufgrund von Kurzarbeit oder anderen betrieblichen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus
Jede/r vierte ist im Homeoffice
Risiko langfristiger Auswirkungen • Verstetigung unerwünschter Teilzeit bei Frauen • Kürzere Erwerbszeiten der Frauen werden als geringes Arbeits- engagement verstanden, mit negativen Folgen für den weiteren beruflichen Werdegang und damit verbunden geringeren Aufstiegs- möglichkeiten und schlechtere Lohnentwicklung • Wechsel zur traditionellen Arbeitsverteilung: Frauen übernehmen wieder den größeren Anteil der anfallenden zusätzlichen familiären Sorgearbeit, obwohl diese sich vor der Krise zunehmend anglich. • Die Übernahme von Sorgearbeit durch Väter ist nur eine kurz- fristige Anpassung an die Notsituation, da sie auf Grund von Kurz- arbeit oder Homeoffice mehr Zeit zu Hause verbrachten
Frauen übernehmen mehr Sorgearbeit
„Vergrößert hat sich das Ungleichgewicht in der Pandemie bei den Familien, in denen sich Frauen schon deutlich mehr um die Kinderbetreuung und Haushalt gekümmert haben“ (C. Katharina Spieß, Leiterin der Abteilung Bildung und Familie) • Mütter haben 360 000 - doppelt so viele Kinderkrankheitstage in An- spruch genommen wie Väter (DIW; Wochenbericht 9/2021) • Kinderbetreuung: Anzahl der Familien, in denen Frauen die Kinderbetreu- ung fast vollständig allein übernahmen verdoppelte sich von 8 % (vor der Krise) auf aktuell 16 % • Anteil der Frauen, die nahezu komplett die Hausarbeit übernahmen, stieg auf 27 % während der Pandemie – gegenüber 22 % vor der Pandemie • Unverändert blieb die Zahl der Familien, die die Sorgearbeit egalitär auf- teilten • Lediglich in 5 % der Familien verantwortete der Mann fast vollständig oder überwiegend die Kinderbetreuung und Hausarbeit
Kinderbetreuung „ungleicher“
Familien mit der Erziehung und Pflege besonders belastet Befragung des WSI, Kohlrausch kommt zu folgendem Ergebnis: • 93 % aller Eltern mit Kindern unter 16 Jahren stemmen die Kinderbetreuung allein (April 2020) • 65 % der Befragten mit betreuungsbedürftigen Kindern im Haus- halt empfinden ihre familiäre Situation als belastend • Bei den Alleinerziehenden sagen dies sogar 71 % • Unter den Befragten ohne Kinder sind es nur 48 % • Pflege Angehöriger: Von den etwa 4,3 Mio. Personen, die regelmäßig wochentags informelle Pflege leisten, sind knapp die Hälfte berufstätig, viele davon in Vollzeit. Rund zwei Drittel der Pflegenden sind Frauen (DIW, Björn Fischer & Johannes Geyer, 2020)
Auswirkungen für Alleinerziehende • Vom eingeschränkten Betrieb von Schule und Kindergarten sind etwa 6 Mio. Haushalte mit mind. einem betreuungsbedürftigen Kind betroffen • Darunter sind 900.000 Haushalte mit einem alleinerziehenden Elternteil – davon 90 % Frauen • Knapp 30 % der Alleinerziehenden mit Kindern sind vollzeiter- werbstätig, 37 % arbeiten in Teilzeit. (DIW Berlin, Julia Schmieder & Katharina Wrohlich) Durchschnittliche Erwerbsarbeitszeit von Frauen ist im Zuge der Coronakrise stärker gesunken als die von Männern, was die ohnehin bestehende Lücke noch weiter vergrößerte
Frauen reduzieren verstärkter bezahlte Arbeit zu Gunsten der unbezahlten Familienarbeit • Vor Ausbruch der Pandemie arbeiten Frauen im Durchschnitt 5 Stunden weniger als Männer in einem bezahlten Job. Im Herbst 2020 betrug die Differenz 6 Stunden, mit betreuungs-bedürftigen Kindern im Haushalt lag die Differenz im Oktober 2020 sogar bei 11 Stunden. Bei Vätern betrug die tatsächliche Wochenarbeitszeit zu diesem Zeitpunkt 39 statt 41 Stunden, während die Mütter nun 28 statt 31 Stunden mit Erwerbsarbeit verbrachten. • Mütter weiteten die Anzahl der Stunden für Kinderbetreuung, im Vergleich zum Vorjahr von 5 auf 8 Std. an Werktagen, Väter steigerten diese von 2 auf 4 Std. • Gefahr der reduzierten Arbeitszeit im Lockdown: „einmal reduziert, immer reduziert“.
„Systemrelevant“ ist Frauensache Zusätzlich zu den Belastungen durch den immensen Einsatz in Krankenhäusern, Pflege- und Betreuungseinrichtungen sowie zu- hause, haben Frauen nach wie vor strukturell schlechtere Ausgangs- bedingungen, um die Folgen der Krise abzufedern. „Unterrepräsentanz, Lohndiskriminierung, hohe Gewaltbetroffenheit in Partnerschaften und der Gender Care Gap führen zu einer geringeren Resilienz in Krisenzeiten“ (Wolfgang Stadler, AWO Bundesvorsitzender)
Beschäftigte in sozialen Berufen: Hoch gelobt und schlecht bezahlt • Systemrelevante Berufe unterdurchschnittlich bezahlt und häufig ohne Tarifverträge • Obwohl soziale Berufe in der Corona Pandemie ihre Systemrelevanz unter Beweis gestellt haben, werden Beschäftigte in diesen Sektoren unterdurchschnittlich bezahlt. (Besonders gravierend ist die Situation in der Altenpflege: Selbst mit Zuschlägen durch Nacht- und Wochen- endarbeit liegt der durchschnittliche Stundenlohn bei 13,30 € (5,30 € unter dem Gesamtdurchschnitt von 18,60 €) • Beschäftigte in sozialen Berufen dürfen nicht länger höheren Armutsrisiken ausgesetzt werden, da geringe Einkommen, in niedrige Renten münden. (Dr. Inga Laß vom BIB, Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung)
Gender Budgeting in Corona-Zeiten • Die unterschiedlichen Lebensrealitäten von Frauen und Männern, müssen in den gigantischen Summen der verabschiedeten Investi- tionen des Bundeshaushaltes gleichermaßen Beachtung finden, um die Folgen der Corona–Wellen abzumildern • Finanzmittel aus dem Konjunkturprogrammen systematisch unter dem Aspekt der Geschlechtergerechtigkeit analysieren, bewerten und planen • „Löwenanteil des Geldes fließt in Branchen und Sektoren, in denen überwiegend Männer beschäftigt sind“ (Dr. Elisabeth Klatzer, Ko-Autorin „nextGenerationEU“)
„Retraditionalisierung wirft Frauen bis zu drei Jahrzehnten zurück“ (Jutta Allmendiger, WZB) • „Teilzeitfalle“ der Mütter in Deutschland verstärkt sich • Sozialsystem ist ausgerichtet auf einen Erwerbstätigen, ggf. noch ½ Person zusätzlich – mit enormen negativen Auswirk- ungen auf die Rente von Müttern • Mütter werden im Beruf als schwierig geframt – auch weil sie mal 14 Monate Elternzeit nehmen • Chancenungleichheit für Frauen/Mütter in Deutschland bleibt nach wie vor größer als in anderen EU-Ländern
Beschleunigung der Digitalisierung Konsequenzen für den Arbeitsmarkt • Rasante Beschleunigung der Digitalisierung (IT-Spezialist*innen – Feld der Zukunft – wird stärker benötigt (Ausbau von Breitband im ländlichen Raum) • Bisheriger Trend - Frauen in Gesundheits- und Sozialberufe – und Männer in technisch orientierte Berufe – muss stärker entgegen gewirkt werden, damit Frauen ebenfalls von der Digitalisierung profitieren • Förderprogramme für frauendominierte Berufsbereiche, die zu- künftig digital ersetz werden, wie z.B. Übersetzung, Analys- etätigkeiten, etc.) • Digitalisierung und E-Learning frühzeitig in Schulen ausbauen
Folgen der neuen Trends im Arbeitsleben • Arbeitsplatzveränderungen, -auflösungen und Etablierung neuer Arbeitsformen bieten Chancen und Risiken • Verstärkt Homeoffice, mobiles und standortunabhängiges Arbeiten – insbesondere im Dienstleistungssektor • Zunahme von hybridem Arbeiten (Präsenz & Digital) • Kultureller Wandel: reduzierter informeller Austausch (Integration /Einarbeitung neuer Mitarbeitenden; Vereinsamungstendenzen) • Neue Managementtools/Führungskultur (Überprüfung & Steuerung der Arbeit, wie z.B. „Führen auf Distanz“) • Wachsende Geschwindigkeit Anpassungs- bzw. Veränderungs- flexibilität • Gesundheitsschutz erfordert verstärkte Beachtung
Auswirkungen für den Sozialstaat • Rekordverschuldung – auch für nachfolgende Generationen • Schere zwischen Arm & Reich bzw. Frauen & Männern wird größer • Anstieg der Arbeitslosigkeit (durch Betriebsaufgaben) mit finanziellen Folgen für Betroffene, deren Familien und Belastungen des Staatshaushaltes • Höhere Preispolitik (wie z.B. CO 2 Steuer) • Anstieg der Staatsausgaben wird mittel- und langfristig auf die Bürger*innen umverteilt werden • Anstieg der Gesundheitskosten durch langzeitfolgen von Covid 19 sowie Aufgrund psychischer Belastungen und Erkrankungen
Steuerpolitische Aufgaben • Anstieg des Entlastungsbedarfs für untere Einkommensgruppen und der wachsenden Gruppe, derer die nicht am Arbeitsleben teilnimmt • Zuschüsse für Geringverdienende um steigende Mieten und Lebenshaltungskosten zu finanzieren • Längere Lebensarbeitszeiten, um die stärkere Belastung des Rentensystems auszugleichen • Integration von geflüchteten Menschen • Klimawandel mit kostspieligen Folgen • Steigende Gesundheitskosten
Was muss passieren? • Gendergerechter Krisenstab – erste Expertengruppe (bestehend aus 26 Wissenschaftlern*innen) hat ein Durchschnittsalter von 63 Jahren – fast alles weiße ältere Männer - und nur zwei Frauen • Austausch und Lernen von und mit anderen Ländern • Bessere Kommunikation (z.B. Zeitgutscheine) • Auch für die sekundär Corona-Kranken • Mut, neue Wege zu gehen • Ausbau der Betreuungsinfrastruktur (2026 Ganztagsschulen) • Care-Berufe aufwerten und besser entlohnen • Wirtschaftshilfen auf Minijobs ausweiten
Geschlechtergerechte Konjunkturpolitik / Gleichstellungs-Check • Konjunkturpolitik ist Verteilungspolitik und damit gleichstellungs- politisch von großer Bedeutung! • Gleichstellungspolitik als integraler Bestandteil von Wirtschafts- und Strukturpolitik • Finanzmittel in der Krise geschlechtergerecht investieren • Arbeitsplätze von Frauen und Männern gleichermaßen sichern und fördern • Haushaltsnahe Dienstleistungen öffentlich bezuschussen • Gleichstellungspolitische Vorgaben als Kriterien für staatliche Zu- schüsse verankern • Modelle einer geschlechtergerechten Refinanzierung der Krise während der Krisenbewältigung entwickeln
Nur noch 100 Jahre bis zur Gleichstellung… … eigentlich hätte uns Corona katapultieren können: ☺ Realisierung Home Office – eine Grundlage zur besseren Verein-barkeit von Familie und Beruf ☺ Führen – auch ohne Präsenzkultur – ein Plus für karriere- willige Mütter Frauen haben in der Pandemie das Nachsehen - und die Gleichbe- rechtigung schreitet nicht voran, sondern rollt unaufhaltsam rück- wärts: Überall verlieren die Frauen an Boden: Kurzarbeit und Minijobs Ungleichverteilte Familienarbeit Führungspositionen, Verdienst „Und die Retraditionalisierung wirft die Frauen um drei Jahrzehnte zurück“ (Jutta Allmendinger, WZB)
Ggf. raus … was bringt die Zukunft? • Klimakrise ist nicht nur ein Wetterthema, sondern ein politisches, wirtschaftliches, aber auch soziales Phänomen mit tiefgreifenden Auswirkungen auch auf die Geschlechtergerechtigkeit. • Klimawandel wird häufig als rein „technisches“ Problem gesehen, dessen Lösungen im Bereich Technologie ge- sucht werden. • Thematik hat mehr mit Geschlechtergerechtigkeit zu tun, als auf den ersten Blick ersichtlich ist. • Frauen sind oft überproportional von den Folgen des Klimawandels betroffen, gleichzeitig aber bei der Suche nach Lösungen unterrepräsentiert. Hier sind wir in Zukunft alle gefragt! Vielen Dank! ☺
Vielen Dank! ☺
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