Was haben Europawahl und Ukraine-Desaster gemeinsam? Zunächst: beides Ergebnis hochnäsiger und Ich-bezogener Nationalpolitik
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Was haben Europawahl und Ukraine-Desaster gemeinsam? Zunächst: beides Ergebnis hochnäsiger und Ich-bezogener Nationalpolitik… … Nur, wenn die deutsche Bundeskanzlerin und der russische Präsident das verstehen wollen, lassen sich die hohen sozialen Kosten für die Gesellschaften rund um Deutschland und rund um Russland vielleicht wieder absenken. Kanzlerin Merkel tutet derweil anläßlich der Ukraine-Krise ebenso kräftig in die US- amerikanische Fanfare wie beim Thema Freihandelsabkommen EU – USA oder bei der gentechnischen Veredelung unserer Nahrungsmittel, auf die vor allem US- Konzerne drängen. Ihr Tuten klingt dabei unentwegt wie: Rache an Putin, Vergeltung für … - für was eigentlich ….?1 Etwa dafür, daß Putin seinem Volk wieder irgendeinen Selbstwert zu geben versucht - nach dem ganzen Jelzin-Spektakel mit super-korrupten, aber US-befreundeten Oligarchen, wie Chodorkowski und nach Obamas dümmlichen Versuchen, Russland als globale Provinz öffentlich klein zu reden? Das gelingt leider immer am schnellsten mit theatralischem Waffengeklirr – in das nicht nur deutsche Unternehmen, wie Rheinmetall und Heckler & Koch intensiv verwickelt sind 1, sondern auch zahlreiche EU-Staaten und insbesondere die französischen Freunde mit ihren Rüstungsexporten nach Russland gerne behilflich bleiben. Oder ärgert sich Frau Merkel nur, weil sich ihre Verteidigungsministerin angesichts des ganzen Waffengeklirres ringsum liebevoll um die Kita-Plätze ihrer Soldaten sorgt und dafür auch außerhalb der Bundeswehr nur maliziöses Grinsen erntet? Medien-Photos Verdrängt werden soll mit den Fanfarenstößen und dem Waffengeklirr vor allem, daß das Ukraine-Desaster sehr viel damit zu tun, daß eine a-historische und obsolete US-Außenpolitik auch nach 1989 nie aufgehört hat, sich als Weltpolizei aufzuspielen. Eine Formel dafür, daß dezidiert eigene US-Interessen durch Kriege in anderen Ländern durchgesetzt und die Gesellschaften und Kulturen dort aus Habgier und Dummheit zerstört werden (Irak, Afghanistan …). Und – das betrifft auch uns – diese US-Regierungen bemühen sich, aus Legitimationsgründen die Vereinten Nationen, aber immer mehr auch die EU in ihre Interessenpolitik einzubinden. Ein zentrales Instrument dazu heißt NATO. Heute gibt es schon 28 NATO-Staaten und zugleich sind in 158 von den rd. 200 Ländern der Erde US-Soldaten stationiert. Der Blick auf die Weltkarte zeigt sehr schnell, daß sich der ehemalige KGB-Mann Putin und seine heutigen Generäle immer stärker durch die NATO-Expansion eingekreist fühlen müssen. Frau Merkel spielt dabei in herausragender Rolle mit, indem sie 1 BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betr.: „Rüstungsexporte nach Russland" BT-Drucksache: 18/1076, 2014 1
beständig die „Osterweiterung“ als Mantra auf den Lippen trägt. Dabei ist das „demokratisierte Osteuropa“ seit 2004 immer zuerst NATO-Mitglied geworden und wird zum Dank anschließend aus den EU-Förderfonds bei vielen notwendigen, aber genauso vielen fragwürdigen Projekten finanziell über Wasser gehalten. In Polen und Litauen sah Herr Putin dann, wie – gegen alle vorherigen Absprachen mit dem Westen – Raketenabschußrampen „gegen mögliche Attacken des Iran“ errichtet wurden und im nördlichen Litauen – in Šiauliai - eine NATO-Flugstaffel seither ihre Runden fliegt – wobei die Piloten wegen der nahen russischen Grenze höllisch aufpassen müssen, daß sie nicht schon beim Start Grenzverletzungen verursachen – schließlich beginnt die alte Region Königsberg - das heutige russische Kaliningrad – schon 130 Km südlich von Šiauliai. Was lehrt uns angesichts dieses sehr kritikwürdigen Entwicklungsprozesses der letzten 20 Jahre die aktuelle Entwicklung in der Ukraine. Und was hat das wiederum mit den EP-Wahlen 2014 zu tun? Die Osterweiterungs-Vision bzgl. Ukraine setzte auf 3 oder 4 Oligarchen: Rinat Achmetow, Dimitrij Firtasch, Petro Poroschenko, und einige immer noch auf Julija Timoschenka. Sie alle haben sich seit vielen Jahren mit ihren wie auch immer erworbenen Vermögen auch starken partei- und parlamentarischen Einfluß gesichert. Sie sollten die Annäherung an die EU ohne ausgesprochenen Konflikt mit Russland, aber klaren marktwirtschaftlichen Prinzipien ermöglichen. Einer der Oligarchen – der Schokoladenkönig Poroschenko – wurde am 7. Juni 2014 in Anwesenheit vieler europäischer Staatspräsidenten sowie des russischen Botschafters (!) als neuer ukrainischer Staatspräsident vereidigt (zunächst egal, wie hier Ukraine definiert wird). Er könnte die Rolle des politischen Mittlers zwischen der expansiven Bundesrepublik Deutschland und dem expansiven Russland ausfüllen und dabei Putins Allergie gegen die westeuropäische und die NATO-Expansion lindern. Denn inzwischen ist allen klar: einen Ukraine-Beitritt zur EU oder NATO wird es auf lange Zeit nicht geben. Aber Präsident Poroschenko besitzt das gleiche Profil wie der Ostausschuß der deutschen Wirtschaft: beide sind unternehmerisch, durch Direktivestitionen wie durch Handel sehr eng mit Russland verbändelt. Diese jahrzehntelangen Verbindungen sind 1000 mal enger als die der US-Wirtschaft – und sind der Garant für kein kriegerisches Interesse zwischen Russland und EU. Poroschenko weiß das. Und Vitali Klitschko, neuer Bürgermeister von Kiew mit seiner Hamburger Wohnung im Rücken, weiß das auch. Schließlich ist Poroschenko sein politischer Mentor. In der EU, gerade auch in Deutschland hat unsere politische Führung dagegen schon die Orangene Revolution von 2004 nicht richtig einzuordnen gewußt. Der nur mühsam durchgesetzte Wahlsieg von Wiktor Juschtschenko (Ende 2004) war schon Ausdruck der internen Machtkämpfe zwischen West-Ukraine und dem Kohlerevier des Donbass mit der heute umkämpften Hauptstadt Donezk. Die Rolle der Oligarchin Julija Timoschenka, Multimillionärin aus eben diesem Kohlerevier ist von den deutschen Medien und der politischen Elite in Berlin offenbar noch weniger verstanden worden. Möglicherweise hat ihr zopfgeschmücktes, mädchenhaftes Auftreten allzu leicht übersehen lassen, daß sie eine knallharte Ausbeuterin ihres eigenen Landes ist. Ins Gefängnis ist sie dann allerdings wohl eher der internen Machtkämpfe wegen gesteckt worden und weniger wegen der privatisierten Millionenbeträge aus der Staatskasse. Denn sonst hätte sie viel politische Prominenz in ihren Nachbarzellen begrüßen können. Und wovor unsere politische Elite auch eher die Augen geschlossen gehalten hat, sind die massiven gesellschaftspolitischen Mobilisierungen mehrerer US-amerikanischer Stiftungen, wie der National 2
Endowment for Democracy (NED), die mit Regierungsgeldern im großen Stil in den ehemaligen Sowjetischen Republiken tätig sind, darunter in der Ukraine: Beispiele der massiven Förderung anti-russischer Gruppierungen und Organisationen durch National Endowment for Democracy und ähnlichen US-Institutionen in der Ukraine – seit 1991 insgesamt rd. 5 Mrd US $ (Jahresbericht NED 2013) Center for International Private Enterprise $ 357,707 Developing Market Economy Building Advocacy Momentum International Republican Institute $ 275,000 Accountability Fostering Good Governance National Democratic Institute for International $ 371,000 Affairs NGO Strengthening Zhytomyr Youth Civic Organization Democratic Ideas and Values Promoting Civic Engagement among Youth in Northern Ukraine Strengthening Transparency in Northeastern Ukraine Strengthening Investigative Journalism and Intersectoral Cooperation Analyzing Regional Security Promoting Civic Journalism Defending Human Rights ca. $ 325.000 Promoting Awareness of Rights and Freedoms in Southern Ukraine Fostering Human Rights Networks Promoting Human Rights Fostering Intersectoral Cooperation in Central Ukraine Promoting Community Activism in Southern Ukraine Strengthening the Capacity of Youth NGOs ………. ………. Die teilweise 20-jährige gesellschaftspolitische Arbeit der US-Institutionen in der Ukraine, die Einkreisungsstrategie der NATO gegenüber Russland, die Strategie der Osterweiterung der EU (Merkel, nicht Sarkozy oder Hollande) – alles das und die auch für Osteuropäische Staaten seit 1990/91 charakteristische Konzentration von finanzieller und politischer Macht in wenigen Oligarchenhänden hat die Ukraine in die aktuelle gesellschaftliche Katastrophe abrutschen lassen – zuerst die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen sehr unterschiedlichen Oppositionellen gegen die Regierung Janukowitsch auf dem Maidan in Kiew und inzwischen der Bürgerkrieg in der Ost-Ukraine, der mit russischem Nachschub und Propaganda virulent gehalten wird. Über diese Kämpfe in den einzelnen Landesteilen der Ukraine werden seit vielen Wochen in den westlichen Medien Berichte und Kommentare überspielt. Dabei wird den hier angedeuteten außengeleiteten Interessen der einzelnen Gruppierungen 3
insgesamt zu wenig Raum gegeben. Vor allem der Frage, welche Chance haben eigentlich die einzelnen ethnischen, religiösen und regional unterschiedlichen Teile der ukrainischen Gesellschaft, sich auf i h r e Ukraine zu verständigen? - vielleicht eine ukrainische Identität zu erkennen und diese zum Kern einer selbstbestimmten und zukunftsfähigen Entwicklung des Landes zu machen. Kosaken-Hetman Sahaidaschny, Freiheitskämpfer gegen das Osmanische Reich (Photo: ER) Die eigene Identität der osteuropäischen Völker war für „Brüssel“ in keinem Fall von irgendeiner Bedeutung. Von Bedeutung war, daß Beitrittskandidaten (und auch die Ukraine) irgendwann den Acquis Communautaire unterzeichneten.2 Allein darauf waren die Beratungsprogramme der EU abgestellt, wie etwa das Twinning- Programm und andere.3 Weitergehende Fragen wurden auch von der so sehr an einer Osterweiterung interessierten Bundesregierung nicht gestellt. Denn Berlin ist von dem Bedauern geprägt, daß die Ukraine (als Rohstofflieferant und als Markterweiterung für deutsche Produkte) nicht zügig in die EU integriert wurde und derzeit nicht integriert werden kann. Immerhin war das Assoziierungsabkommen zwischen Ukraine und EU schon im März 2012 unterschriftsreif. 2 Acquis Communautaire: umfasst alle Rechte und Pflichten, die für alle Mitgliedstaaten der EU verbindlich sind. Dazu gehören zum einen der EU- und der EG-Vertrag zum anderen die Verordnungen, Richtlinien, Entscheidungen und Empfehlungen, die von Europäischer Kommission, Rat der Europäischen Union und Europäischem Parlament erlassen werden sowie die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs – also Bedingungen, an deren Festlegung die neuen Mitgliedskandidaten nicht beteiligt waren 3 Twinning: eines der Programme zur Heranführung der osteuropäischen Länder an die Funktionsweisen der EU. Für die Bereiche Reform der öffentlichen Verwaltung, Rechtsstaatlichkeit, nachhaltige Wirtschaft, Menschenrechte, ländliche Entwicklung hatte die Kommission für 2007-2014 insgesamt 11,5 Mrd € bereitgestellt und noch einmal so viel für 2014-2020 4
Präsident Putin fühlt ganz offensichtlich sehr ähnlich unter russischen Vorzeichen. Denn sein Bemühen um eine Anti-EU-Allianz unter dem Namen Eurasische Union durch Ausbau der bestehenden Zollunion zwischen Russland, Weißrussland und Kasachstan sollte natürlich auch die Ukraine einschließen sowie Armenien, Kirgistan und weitere ehemalige Sowjetrepubliken. Auch Putin ist an einigen der strategischen Rohstoffe in diesen Ländern sehr interessiert, vor allem an den Öl- und Gasvorräten. Nicht daß Russland im gleichen Maße wie die EU diese Rohstoffe benötigt. Aber ihre Ausbeutung und deren Handel mit der EU kontrollierend zu beeinflussen, das ist von hohem politischem und ökonomischem Wert für Putins Russland. In der Ukraine werden immer mehr Bürger in nächster Zeit erkennen, daß sie von diesen beiden Seiten (EU / Deutschland – Russland) nicht um ihrer selbst willen mit gut klingenden Sprechblasen bedacht warden („Menschenrechte“, „Demokratie“). Und dann wird sich – wahrscheinlich deutlich schneller als das in den EU-Staaten geschehen ist – dieses nationale Denken verstärken, das manchen Westeuropäer bei den Europawahlen am 25. Mai 2014 so sehr überrascht, manchen geschockt hat. Und genau darin liegt das wichtige Gemeinsame zwischen Ukraine-Desaster und den Ergebnissen der jüngsten Mai-Wahl zum Europaparlament: es ist die Erkenntnis, daß die politischen und die finanziellen Strippenzieher sich auch in diesen beiden Fällen nicht um die Menschen kümmern, in deren Namen zu sprechen und zu handeln sie vorgeben. Das ist keine besonders umwerfende geschichtliche Neuigkeit. Aber der Grad der Unverfrorenheit scheint alle Maßstäbe zu brechen, mit denen angeblich gesellschaftspolitische Ziele verfolgt werden, die tatsächlich schon bei ihrer Proklamation obsolet sind und für die angesprochenen Bürger (Wähler) heute schneller als früher als Täuschungen (nicht als Fehler) erkennbar sind. Die Täuschungs-Politik, mit der die politischen Eliten in West und Ost operieren, verursacht immer höhere soziale, kulturelle, ökologische und letztlich steuerliche Kosten.4 Sie werden von diesen Eliten in Kauf genommen. Denn die Sprecher dieser Eliten (vor allem die Bundeskanzler seit G. Schröder; Fraktionsvorsitzende; politische Manager im Bundeskanzleramt, im Verteidigungsministerium u.a.m.) sind aufs engste mit den Sprechern des international operierenden Unternehmertums verknüpft (Allianz, Siemens, Münchner Rück, EoN, BMW, VW…). Es ist nicht mehr der deutsche Kaiser, der sich mit dem deutschen Großunternehmer Krupp trifft. Es ist die weltweit umtriebige deutsche Kanzlerin, die den Sprecher der Deutschen Bank zu dessen Geburtstagsfeier 2008 in den deutschen Regierungssitz (Kanzleramt) einläd. Aber diese „Deutsche“ Bank richtet sich nur noch zu einem kleinen Teil ihres Portefolios am deutschen Kapitalmarkt und dessen Bedarfen aus. Sie ist vor allem eine international aufgestellte Investmentbank, intensiv vernetzt mit großen anderen internationalen Banken und den größten globalen Hedgefonds (von denen einst ein SPD-Vorsitzender noch als “Heuschrecken” sprach). Eben diesen schweizer Herrn Ackermann haben manche deutschen Bürger noch vor Augen wie er bei einer Jahreshauptversammlung für 2001 stolz auf den Bankgewinn von mehr als 1 Mrd € verwies und gleichzeitig auf das Geschick seiner Bank, keinen Cent Ertragssteuern an den deutschen Fiskus abgeführt zu haben, weil die Gewinne im Ausland anfielen. Eben dieser schweizer Herr Ackermann wurde für seine Geschäftsphilosophie selbst in den USA kritisiert: Der ehemalige Chefökonom des Internationalen Währungsfonds, Simon Johnson, bezeichnete den Deutsche-Bank-Chef als "einen 4 Steuerzahlerbund, Schwarzbuch, März 2014: 20 Milliarden Euro könnte der Bund sparen, wenn überflüssige Subventionen wegfielen, meint der Steuerzahlerbund. Der kritisiert nicht nur die großen Posten, sondern auch den Umverteilungswahnsinn im Kleinen. Einige haarsträubende Beispiele von Steuerverschwendung in Deutschland …. 5
der gefährlichsten Bankmanager der Welt". Die von Ackermann angepeilte Rendite von 25% (!) sei nur möglich, "weil er genau weiß, dass die Deutsche Bank ein Systemrisiko darstellt und daher von den Steuerzahlern gerettet würde, falls ein Konkurs droht" (SPIEGEL). Genau das haben dann auch Kanzlerin Merkel und Euro- Gruppenchef J.C. Juncker und EZB-Chef Mario Draghi (zuvor bei Goldman Sachs) auf dem Höhepunkt der globalen Finanzkrise als ihr stärkstes Argument vorgetragen: so große Banken sind systemrelevant und müssen daher mit Steuergeldern dahingehend gerettet werden, daß sie ihre globalen spekulativen Operationen wieder aufnehmen können. Es sind nicht (nur) irgendwelche nationalistischen Holzköpfe, die sich als Bürger in ihren EU-Staaten oder als Bürger in Russland oder als Bürger in der Ukraine von diesen Allianzen zwischen politischer und wirtschaftlicher Elite brutal über den Tisch gezogen fühlen. Brutal, weil die systemrelevanten Rettungstaten direkt einher gehen mit der Prekarisierung unserer Gesellschaften, mit ihrem systemgefährdenden Auseinanderfall. Dieser Auseinanderfall führt dann allerdings sehr schnell auch zu populistisch-nationalistischen Großgruppen, wie Front National unter Marine Le Pen. Aber weder Front National noch Alternative für Deutschland noch Partij voor de Vrijheid (Geert Wilders) sind die Ursache für einen möglichen Auseinanderfall der EU – sie sind das Produkt einer immer weniger europäischen Wirtschafts-, Sozial-, Umweltpolitik in einflußreichen Ländern (Deutschland, Frankreich) und hoch korrupten politischen Eliten in anderen EU-Staaten (Griechenland, Zypern, Italien…), die ihre Mitgliedschaft in einer europäischen Wirtschafts- und Wertegemeinschaft längst verwirkt haben. In der Ukraine wurde von interessierter Seite (vor allem aus Moskau) sehr schnell von Faschisten gesprochen, wenn über die Ereignisse auf dem Maidan und aus der umkämpften Ost-Ukraine berichtet wurde. Die gibt es mit Sicherheit auch in der Ukraine (so wie sie zu Moskau dazu gehören oder zu Hoyerswerda). Aber auch hier ist wichtig zuzugestehen, daß nicht diese Ultras das eigentliche Problem für die Ukraine darstellen. Auch sie sind Ergebnis / Folge einer auf einen kleinen Machtklüngel reduziertren Staatsführung in Gestalt der Kleingruppe von Oligarchen. Diese Oligarchen waren und sind so wenig an ihrem Land interessiert, wie sich Herr Ackermann als Chef der Deutschen Bank für Deutschland interessierte oder für ein zukunftsfähiges Europa. Diese Oligarchen haben auch von sich aus den Beitritt zur EU als starken Wunsch geäußert (vor allem nach Ausbruch der globalen Finanzkrise), aber es blieb wie auf Zypern oder in Ungarn oder in Lettland in allererster Linie der verklärte Blick auf die Integrationsfonds der EU, ohne selber gleichzeitig – besser noch: zuvor – die Wirtschafts- und Sozialpolitik im eigenen Land von den schweren strukturellen Defiziten zu befreien, die sich in und seit der Sowjetzeit aufgetürmt hatten. Seit 2014 ist jedermann klar geworden, daß diese Ukraine vor dem Staatsbankrott steht. Natürlich muß auch die Rolle der US-Regierungen – der aktuellen, wie der vorhergehenden – beim Thema Ukraine wie auch beim Thema Europawahl angesprochen werden. Beim schlimmsten Völkermord nach dem zweiten Weltkrieg, bei der politischen, sozialen, kulturellen, ökologischen Zerstörung Syriens vor allem durch einen tatsächlich faschistischen Staatsführer haben die USA völlig versagt. Und dieses Versagen auf der geheimdienstlichen, der militärischen wie der diplomatischen Ebene hat zwangsläufig auch das imperiale Vorgehen Russlands bei der Annexion der Krim gefördert (was diese Annexion natürlich nicht rechtfertigen kann!). 6
Die massive Lobbyarbeit US-amerikanischer Konzerne gegenüber der EU- Kommission unter ihrem neoliberalen Präsidenten J.M. Barroso und die diplomatischen Begleitaktionen der US-Regierung z.B. in Berlin sollen das sog. Freihandelsabkommen zwischen EU und USA (TTIP) absichern. Aber dieses TTIP hat ebenso viele Emotionen bei den europäischen Bürgern (und einigen amerikanischen) gegen den kommerziellen Imperialismus der USA freigesetzt wie bei den ukrainischen Bürgern gegen den militärischen Imperialismus Russlands. Die Stärkung der nationalen politischen Strömungen in vielen EU-Staaten sind auch Folge der TTIP-Geheimdiplomatie der EU-Kommission, ähnlich wie beim vorangegangenen Kommissionsentscheid, gentechnisch verändertes Saatgut und damit hergestellte Nahrungsmittel amerikanischer Konzerne in der EU zuzulassen. Anders ausgedrückt: die unverantwortliche und nicht mehr nachvollziehbar Zulassung der Lobby-Tätigkeiten von 20.000 professionellen Lobbyisten allein in Brüssel treibt die Anti-Kommissions-Stimmung in den europäischen Gesellschaften immer schneller zur politischen Explosion. Die konservativen und rechtslastigen Stimmengewinne bei der Europawahl am 25.5.2014 waren daher noch keineswegs der Höhepunkt der EU-Frustration in Europa. Es gibt zahlreiche weitere Themen, bei denen EU-Bürger befremdet ihren eigenen Regierungen gegenüberstehen. In Deutschland gehört das Thema „Fracking“ dazu. Republikanische Senatoren in den USA nutzen derzeit die prekäre Energiesituation der Ukraine, um ihrem Fracking- freundlichen Präsidenten dringend den Export von Fracking-Gas in die osteuropäischen Staaten einschließlich Ukraine nahezulegen. Die frühere Klima- Kanzlerin Merkel unterstützt diesen energiepolitischen Schachzug durch ihre eigenen pro-fracking-Absprachen mit der polnischen Regierung. Die EU-Bürger, deren Blick durch keine US-Brille getrübt ist, sehen allerdings, daß eine in Wahrheit schon über Jahrhunderte bestehende Partnerschaft mit Russland (teilweise sogar mit der Sowjetunion) für Europa von größerer strategischer Bedeutung ist als die mit den sich selbst überschätzenden USA. Die kritischen EU-Bürger wehren sich daher gegen weitaus mehr als „nur“ gegen TTIP oder Gen-Mais. Abgesehen von Präsident Putins langjährigem Bemühen, der Ukraine die Annäherung an die EU auf unterschiedliche Weise zu verbauen (vor allem mit seinem stärksten Hebel, der Energieversorgung) hat eine ähnlich un-demokratische und im Wesentlichen an den Interessen der kleinen Gruppe ukrainischer Oligarchen ausgerichtete Politik die Prekarisierung der ukrainischen Gesellschaft bewirkt bzw. beschleunigt. Die Wahlmöglichkeiten in der Ukraine sind allerdings nicht so vielfältig, wie bei der EP-Wahl. Das Wahlergebnis vom 25.Mai 2014 zugunsten des Oligarchen Petro Poroschenko kann daher nur als zögerliche Mehrheit zugunsten des derzeit geringeren Übels für die Ukraine verstanden werden. Zentralmarkt Kiew: große Angebote für die, die über ausreichend Geld verfügen (Photo: ER) 7
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