Was haben Europawahl und Ukraine-Desaster gemeinsam? Zunächst: beides Ergebnis hochnäsiger und Ich-bezogener Nationalpolitik

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Was haben Europawahl und Ukraine-Desaster gemeinsam? Zunächst: beides Ergebnis hochnäsiger und Ich-bezogener Nationalpolitik
Was haben Europawahl und Ukraine-Desaster gemeinsam?
Zunächst: beides Ergebnis hochnäsiger und Ich-bezogener Nationalpolitik…

… Nur, wenn die deutsche Bundeskanzlerin und der russische Präsident das
verstehen wollen, lassen sich die hohen sozialen Kosten für die Gesellschaften rund
um Deutschland und rund um Russland vielleicht wieder absenken.
Kanzlerin Merkel tutet derweil anläßlich der Ukraine-Krise ebenso kräftig in die US-
amerikanische Fanfare wie beim Thema Freihandelsabkommen EU – USA oder bei
der gentechnischen Veredelung unserer Nahrungsmittel, auf die vor allem US-
Konzerne drängen. Ihr Tuten klingt dabei unentwegt wie: Rache an Putin, Vergeltung
für … - für was eigentlich ….?1
Etwa dafür, daß Putin seinem Volk wieder irgendeinen Selbstwert zu geben versucht
- nach dem ganzen Jelzin-Spektakel mit super-korrupten, aber US-befreundeten
Oligarchen, wie Chodorkowski und nach Obamas dümmlichen Versuchen, Russland
als globale Provinz öffentlich klein zu reden? Das gelingt leider immer am schnellsten
mit theatralischem Waffengeklirr – in das nicht nur deutsche Unternehmen, wie
Rheinmetall und Heckler & Koch intensiv verwickelt sind 1, sondern auch zahlreiche
EU-Staaten und insbesondere die französischen Freunde mit ihren
Rüstungsexporten nach Russland gerne behilflich bleiben.
                                                        Oder ärgert sich Frau Merkel
                                                        nur, weil sich ihre
                                                        Verteidigungsministerin
                                                        angesichts des ganzen
                                                        Waffengeklirres ringsum
                                                        liebevoll um die Kita-Plätze
                                                        ihrer Soldaten sorgt und dafür
                                                        auch außerhalb der
                                                        Bundeswehr nur maliziöses
                                                        Grinsen erntet?

                                  Medien-Photos

Verdrängt werden soll mit den
Fanfarenstößen und dem Waffengeklirr
vor allem, daß das Ukraine-Desaster sehr
viel damit zu tun, daß eine a-historische
und obsolete US-Außenpolitik auch nach 1989 nie aufgehört hat, sich als Weltpolizei
aufzuspielen. Eine Formel dafür, daß dezidiert eigene US-Interessen durch Kriege in
anderen Ländern durchgesetzt und die Gesellschaften und Kulturen dort aus Habgier
und Dummheit zerstört werden (Irak, Afghanistan …). Und – das betrifft auch uns –
diese US-Regierungen bemühen sich, aus Legitimationsgründen die Vereinten
Nationen, aber immer mehr auch die EU in ihre Interessenpolitik einzubinden. Ein
zentrales Instrument dazu heißt NATO. Heute gibt es schon 28 NATO-Staaten und
zugleich sind in 158 von den rd. 200 Ländern der Erde US-Soldaten stationiert. Der
Blick auf die Weltkarte zeigt sehr schnell, daß sich der ehemalige KGB-Mann Putin
und seine heutigen Generäle immer stärker durch die NATO-Expansion eingekreist
fühlen müssen. Frau Merkel spielt dabei in herausragender Rolle mit, indem sie
1
    BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betr.: „Rüstungsexporte nach Russland" BT-Drucksache: 18/1076, 2014

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Was haben Europawahl und Ukraine-Desaster gemeinsam? Zunächst: beides Ergebnis hochnäsiger und Ich-bezogener Nationalpolitik
beständig die „Osterweiterung“ als Mantra auf den Lippen trägt. Dabei ist das
„demokratisierte Osteuropa“ seit 2004 immer zuerst NATO-Mitglied geworden und
wird zum Dank anschließend aus den EU-Förderfonds bei vielen notwendigen, aber
genauso vielen fragwürdigen Projekten finanziell über Wasser gehalten. In Polen und
Litauen sah Herr Putin dann, wie – gegen alle vorherigen Absprachen mit dem
Westen – Raketenabschußrampen „gegen mögliche Attacken des Iran“ errichtet
wurden und im nördlichen Litauen – in Šiauliai - eine NATO-Flugstaffel seither ihre
Runden fliegt – wobei die Piloten wegen der nahen russischen Grenze höllisch
aufpassen müssen, daß sie nicht schon beim Start Grenzverletzungen verursachen –
schließlich beginnt die alte Region Königsberg - das heutige russische Kaliningrad –
schon 130 Km südlich von Šiauliai.

Was lehrt uns angesichts dieses sehr kritikwürdigen Entwicklungsprozesses
der letzten 20 Jahre die aktuelle Entwicklung in der Ukraine. Und was hat das
wiederum mit den EP-Wahlen 2014 zu tun?

Die Osterweiterungs-Vision bzgl. Ukraine setzte auf 3 oder 4 Oligarchen: Rinat
Achmetow, Dimitrij Firtasch, Petro Poroschenko, und einige immer noch auf Julija
Timoschenka. Sie alle haben sich seit vielen Jahren mit ihren wie auch immer
erworbenen Vermögen auch starken partei- und parlamentarischen Einfluß gesichert.
Sie sollten die Annäherung an die EU ohne ausgesprochenen Konflikt mit Russland,
aber klaren marktwirtschaftlichen Prinzipien ermöglichen. Einer der Oligarchen – der
Schokoladenkönig Poroschenko – wurde am 7. Juni 2014 in Anwesenheit vieler
europäischer Staatspräsidenten sowie des russischen Botschafters (!) als neuer
ukrainischer Staatspräsident vereidigt (zunächst egal, wie hier Ukraine definiert wird).
Er könnte die Rolle des politischen Mittlers zwischen der expansiven Bundesrepublik
Deutschland und dem expansiven Russland ausfüllen und dabei Putins Allergie
gegen die westeuropäische und die NATO-Expansion lindern. Denn inzwischen ist
allen klar: einen Ukraine-Beitritt zur EU oder NATO wird es auf lange Zeit nicht
geben. Aber Präsident Poroschenko besitzt das gleiche Profil wie der Ostausschuß
der deutschen Wirtschaft: beide sind unternehmerisch, durch Direktivestitionen wie
durch Handel sehr eng mit Russland verbändelt. Diese jahrzehntelangen
Verbindungen sind 1000 mal enger als die der US-Wirtschaft – und sind der Garant
für kein kriegerisches Interesse zwischen Russland und EU. Poroschenko weiß das.
Und Vitali Klitschko, neuer Bürgermeister von Kiew mit seiner Hamburger Wohnung
im Rücken, weiß das auch. Schließlich ist Poroschenko sein politischer Mentor. In
der EU, gerade auch in Deutschland hat unsere politische Führung dagegen schon
die Orangene Revolution von 2004 nicht richtig einzuordnen gewußt. Der nur
mühsam durchgesetzte Wahlsieg von Wiktor Juschtschenko (Ende 2004) war schon
Ausdruck der internen Machtkämpfe zwischen West-Ukraine und dem Kohlerevier
des Donbass mit der heute umkämpften Hauptstadt Donezk. Die Rolle der Oligarchin
Julija Timoschenka, Multimillionärin aus eben diesem Kohlerevier ist von den
deutschen Medien und der politischen Elite in Berlin offenbar noch weniger
verstanden worden. Möglicherweise hat ihr zopfgeschmücktes, mädchenhaftes
Auftreten allzu leicht übersehen lassen, daß sie eine knallharte Ausbeuterin ihres
eigenen Landes ist. Ins Gefängnis ist sie dann allerdings wohl eher der internen
Machtkämpfe wegen gesteckt worden und weniger wegen der privatisierten
Millionenbeträge aus der Staatskasse. Denn sonst hätte sie viel politische Prominenz
in ihren Nachbarzellen begrüßen können. Und wovor unsere politische Elite auch
eher die Augen geschlossen gehalten hat, sind die massiven gesellschaftspolitischen
Mobilisierungen mehrerer US-amerikanischer Stiftungen, wie der National

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Was haben Europawahl und Ukraine-Desaster gemeinsam? Zunächst: beides Ergebnis hochnäsiger und Ich-bezogener Nationalpolitik
Endowment for Democracy (NED), die mit Regierungsgeldern im großen Stil in den
ehemaligen Sowjetischen Republiken tätig sind, darunter in der Ukraine:

       Beispiele der massiven Förderung anti-russischer Gruppierungen und
              Organisationen durch National Endowment for Democracy
                    und ähnlichen US-Institutionen in der Ukraine
           – seit 1991 insgesamt rd. 5 Mrd US $ (Jahresbericht NED 2013)
Center for International Private Enterprise                         $ 357,707
Developing Market Economy
  Building Advocacy Momentum
International Republican Institute                                   $ 275,000
Accountability
  Fostering Good Governance
National Democratic Institute for International                      $ 371,000
Affairs
  NGO Strengthening

Zhytomyr Youth Civic Organization
Democratic Ideas and Values

 Promoting Civic Engagement among
  Youth in Northern Ukraine
 Strengthening Transparency in Northeastern
  Ukraine
 Strengthening Investigative Journalism and
  Intersectoral Cooperation
 Analyzing Regional Security
 Promoting Civic Journalism
 Defending Human Rights                                         ca. $ 325.000
 Promoting Awareness of Rights and Freedoms
  in Southern Ukraine
 Fostering Human Rights Networks
 Promoting Human Rights
 Fostering Intersectoral Cooperation in Central
  Ukraine
 Promoting Community Activism in Southern
  Ukraine
 Strengthening the Capacity of Youth NGOs
      ……….                                        ……….

Die teilweise 20-jährige gesellschaftspolitische Arbeit der US-Institutionen in der
Ukraine, die Einkreisungsstrategie der NATO gegenüber Russland, die Strategie der
Osterweiterung der EU (Merkel, nicht Sarkozy oder Hollande) – alles das und die
auch für Osteuropäische Staaten seit 1990/91 charakteristische Konzentration von
finanzieller und politischer Macht in wenigen Oligarchenhänden hat die Ukraine in die
aktuelle gesellschaftliche Katastrophe abrutschen lassen – zuerst die gewalttätigen
Auseinandersetzungen zwischen sehr unterschiedlichen Oppositionellen gegen die
Regierung Janukowitsch auf dem Maidan in Kiew und inzwischen der Bürgerkrieg in
der Ost-Ukraine, der mit russischem Nachschub und Propaganda virulent gehalten
wird.
Über diese Kämpfe in den einzelnen Landesteilen der Ukraine werden seit vielen
Wochen in den westlichen Medien Berichte und Kommentare überspielt. Dabei wird
den hier angedeuteten außengeleiteten Interessen der einzelnen Gruppierungen

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Was haben Europawahl und Ukraine-Desaster gemeinsam? Zunächst: beides Ergebnis hochnäsiger und Ich-bezogener Nationalpolitik
insgesamt zu wenig Raum gegeben. Vor allem der Frage, welche Chance haben
eigentlich die einzelnen ethnischen, religiösen und regional unterschiedlichen Teile
der ukrainischen Gesellschaft, sich auf i h r e Ukraine zu verständigen? - vielleicht
eine ukrainische Identität zu erkennen und diese zum Kern einer selbstbestimmten
und zukunftsfähigen Entwicklung des Landes zu machen.

                                                                           Kosaken-Hetman
                                                                           Sahaidaschny,
                                                                           Freiheitskämpfer gegen das
                                                                           Osmanische Reich
                                                                           (Photo: ER)

                                                                Die eigene Identität der
                                                                osteuropäischen Völker
                                                                war für „Brüssel“ in
                                                                keinem Fall von
                                                                irgendeiner Bedeutung.
                                                                Von Bedeutung war,
                                                                daß Beitrittskandidaten
                                                                (und auch die Ukraine)
                                                                irgendwann den Acquis
                                                                Communautaire
                                                                unterzeichneten.2
                                                                Allein darauf waren die
                                                                Beratungsprogramme
                                                                der EU abgestellt, wie
                                                                etwa das Twinning-
                                                                Programm und
                                                                andere.3
                                                                Weitergehende Fragen
                                                                wurden auch von der
                                                                so sehr an einer
                                                                Osterweiterung
                                                                interessierten
                                                                Bundesregierung nicht
                                                                gestellt. Denn Berlin ist
                                                                von dem Bedauern
                                                                geprägt, daß die
Ukraine (als Rohstofflieferant und als Markterweiterung für deutsche Produkte) nicht
zügig in die EU integriert wurde und derzeit nicht integriert werden kann. Immerhin
war das Assoziierungsabkommen zwischen Ukraine und EU schon im März 2012
unterschriftsreif.

2
  Acquis Communautaire: umfasst alle Rechte und Pflichten, die für alle Mitgliedstaaten der EU
verbindlich sind. Dazu gehören zum einen der EU- und der EG-Vertrag zum anderen die Verordnungen,
Richtlinien, Entscheidungen und Empfehlungen, die von Europäischer Kommission, Rat der Europäischen
Union und Europäischem Parlament erlassen werden sowie die Entscheidungen des Europäischen
Gerichtshofs – also Bedingungen, an deren Festlegung die neuen Mitgliedskandidaten nicht beteiligt waren
3
  Twinning: eines der Programme zur Heranführung der osteuropäischen Länder an die
Funktionsweisen der EU. Für die Bereiche Reform der öffentlichen Verwaltung, Rechtsstaatlichkeit,
nachhaltige Wirtschaft, Menschenrechte, ländliche Entwicklung hatte die Kommission für 2007-2014
insgesamt 11,5 Mrd € bereitgestellt und noch einmal so viel für 2014-2020

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Präsident Putin fühlt ganz offensichtlich sehr ähnlich unter russischen Vorzeichen.
Denn sein Bemühen um eine Anti-EU-Allianz unter dem Namen Eurasische Union
durch Ausbau der bestehenden Zollunion zwischen Russland, Weißrussland und
Kasachstan sollte natürlich auch die Ukraine einschließen sowie Armenien, Kirgistan
und weitere ehemalige Sowjetrepubliken. Auch Putin ist an einigen der strategischen
Rohstoffe in diesen Ländern sehr interessiert, vor allem an den Öl- und Gasvorräten.
Nicht daß Russland im gleichen Maße wie die EU diese Rohstoffe benötigt. Aber ihre
Ausbeutung und deren Handel mit der EU kontrollierend zu beeinflussen, das ist von
hohem politischem und ökonomischem Wert für Putins Russland.
In der Ukraine werden immer mehr Bürger in nächster Zeit erkennen, daß sie von
diesen beiden Seiten (EU / Deutschland – Russland) nicht um ihrer selbst willen mit
gut klingenden Sprechblasen bedacht warden („Menschenrechte“, „Demokratie“).
Und dann wird sich – wahrscheinlich deutlich schneller als das in den EU-Staaten
geschehen ist – dieses nationale Denken verstärken, das manchen Westeuropäer
bei den Europawahlen am 25. Mai 2014 so sehr überrascht, manchen geschockt hat.
Und genau darin liegt das wichtige Gemeinsame zwischen Ukraine-Desaster und
den Ergebnissen der jüngsten Mai-Wahl zum Europaparlament: es ist die Erkenntnis,
daß die politischen und die finanziellen Strippenzieher sich auch in diesen beiden
Fällen nicht um die Menschen kümmern, in deren Namen zu sprechen und zu
handeln sie vorgeben. Das ist keine besonders umwerfende geschichtliche
Neuigkeit. Aber der Grad der Unverfrorenheit scheint alle Maßstäbe zu brechen, mit
denen angeblich gesellschaftspolitische Ziele verfolgt werden, die tatsächlich schon
bei ihrer Proklamation obsolet sind und für die angesprochenen Bürger (Wähler)
heute schneller als früher als Täuschungen (nicht als Fehler) erkennbar sind. Die
Täuschungs-Politik, mit der die politischen Eliten in West und Ost operieren,
verursacht immer höhere soziale, kulturelle, ökologische und letztlich steuerliche
Kosten.4 Sie werden von diesen Eliten in Kauf genommen. Denn die Sprecher dieser
Eliten (vor allem die Bundeskanzler seit G. Schröder; Fraktionsvorsitzende; politische
Manager im Bundeskanzleramt, im Verteidigungsministerium u.a.m.) sind aufs
engste mit den Sprechern des international operierenden Unternehmertums
verknüpft (Allianz, Siemens, Münchner Rück, EoN, BMW, VW…). Es ist nicht mehr
der deutsche Kaiser, der sich mit dem deutschen Großunternehmer Krupp trifft. Es
ist die weltweit umtriebige deutsche Kanzlerin, die den Sprecher der Deutschen Bank
zu dessen Geburtstagsfeier 2008 in den deutschen Regierungssitz (Kanzleramt)
einläd. Aber diese „Deutsche“ Bank richtet sich nur noch zu einem kleinen Teil ihres
Portefolios am deutschen Kapitalmarkt und dessen Bedarfen aus. Sie ist vor allem
eine international aufgestellte Investmentbank, intensiv vernetzt mit großen anderen
internationalen Banken und den größten globalen Hedgefonds (von denen einst ein
SPD-Vorsitzender noch als “Heuschrecken” sprach). Eben diesen schweizer Herrn
Ackermann haben manche deutschen Bürger noch vor Augen wie er bei einer
Jahreshauptversammlung für 2001 stolz auf den Bankgewinn von mehr als 1 Mrd €
verwies und gleichzeitig auf das Geschick seiner Bank, keinen Cent Ertragssteuern
an den deutschen Fiskus abgeführt zu haben, weil die Gewinne im Ausland anfielen.
Eben dieser schweizer Herr Ackermann wurde für seine Geschäftsphilosophie selbst
in den USA kritisiert: Der ehemalige Chefökonom des Internationalen
Währungsfonds, Simon Johnson, bezeichnete den Deutsche-Bank-Chef als "einen

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  Steuerzahlerbund, Schwarzbuch, März 2014: 20 Milliarden Euro könnte der Bund sparen, wenn
überflüssige Subventionen wegfielen, meint der Steuerzahlerbund. Der kritisiert nicht nur die großen
Posten, sondern auch den Umverteilungswahnsinn im Kleinen. Einige haarsträubende Beispiele von
Steuerverschwendung in Deutschland ….

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der gefährlichsten Bankmanager der Welt". Die von Ackermann angepeilte Rendite
von 25% (!) sei nur möglich, "weil er genau weiß, dass die Deutsche Bank ein
Systemrisiko darstellt und daher von den Steuerzahlern gerettet würde, falls ein
Konkurs droht" (SPIEGEL). Genau das haben dann auch Kanzlerin Merkel und Euro-
Gruppenchef J.C. Juncker und EZB-Chef Mario Draghi (zuvor bei Goldman Sachs)
auf dem Höhepunkt der globalen Finanzkrise als ihr stärkstes Argument vorgetragen:
so große Banken sind systemrelevant und müssen daher mit Steuergeldern
dahingehend gerettet werden, daß sie ihre globalen spekulativen Operationen wieder
aufnehmen können.
Es sind nicht (nur) irgendwelche nationalistischen Holzköpfe, die sich als Bürger in
ihren EU-Staaten oder als Bürger in Russland oder als Bürger in der Ukraine von
diesen Allianzen zwischen politischer und wirtschaftlicher Elite brutal über den Tisch
gezogen fühlen. Brutal, weil die systemrelevanten Rettungstaten direkt einher gehen
mit der Prekarisierung unserer Gesellschaften, mit ihrem systemgefährdenden
Auseinanderfall. Dieser Auseinanderfall führt dann allerdings sehr schnell auch zu
populistisch-nationalistischen Großgruppen, wie Front National unter Marine Le Pen.
Aber weder Front National noch Alternative für Deutschland noch Partij voor de
Vrijheid (Geert Wilders) sind die Ursache für einen möglichen Auseinanderfall der EU
– sie sind das Produkt einer immer weniger europäischen Wirtschafts-, Sozial-,
Umweltpolitik in einflußreichen Ländern (Deutschland, Frankreich) und hoch
korrupten politischen Eliten in anderen EU-Staaten (Griechenland, Zypern, Italien…),
die ihre Mitgliedschaft in einer europäischen Wirtschafts- und Wertegemeinschaft
längst verwirkt haben.
In der Ukraine wurde von interessierter Seite (vor allem aus Moskau) sehr schnell
von Faschisten gesprochen, wenn über die Ereignisse auf dem Maidan und aus der
umkämpften Ost-Ukraine berichtet wurde. Die gibt es mit Sicherheit auch in der
Ukraine (so wie sie zu Moskau dazu gehören oder zu Hoyerswerda). Aber auch hier
ist wichtig zuzugestehen, daß nicht diese Ultras das eigentliche Problem für die
Ukraine darstellen. Auch sie sind Ergebnis / Folge einer auf einen kleinen
Machtklüngel reduziertren Staatsführung in Gestalt der Kleingruppe von Oligarchen.
Diese Oligarchen waren und sind so wenig an ihrem Land interessiert, wie sich Herr
Ackermann als Chef der Deutschen Bank für Deutschland interessierte oder für ein
zukunftsfähiges Europa. Diese Oligarchen haben auch von sich aus den Beitritt zur
EU als starken Wunsch geäußert (vor allem nach Ausbruch der globalen
Finanzkrise), aber es blieb wie auf Zypern oder in Ungarn oder in Lettland in
allererster Linie der verklärte Blick auf die Integrationsfonds der EU, ohne selber
gleichzeitig – besser noch: zuvor – die Wirtschafts- und Sozialpolitik im eigenen Land
von den schweren strukturellen Defiziten zu befreien, die sich in und seit der
Sowjetzeit aufgetürmt hatten. Seit 2014 ist jedermann klar geworden, daß diese
Ukraine vor dem Staatsbankrott steht.

Natürlich muß auch die Rolle der US-Regierungen – der aktuellen, wie der
vorhergehenden – beim Thema Ukraine wie auch beim Thema Europawahl
angesprochen werden. Beim schlimmsten Völkermord nach dem zweiten Weltkrieg,
bei der politischen, sozialen, kulturellen, ökologischen Zerstörung Syriens vor allem
durch einen tatsächlich faschistischen Staatsführer haben die USA völlig versagt.
Und dieses Versagen auf der geheimdienstlichen, der militärischen wie der
diplomatischen Ebene hat zwangsläufig auch das imperiale Vorgehen Russlands bei
der Annexion der Krim gefördert (was diese Annexion natürlich nicht rechtfertigen
kann!).

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Die massive Lobbyarbeit US-amerikanischer Konzerne gegenüber der EU-
Kommission unter ihrem neoliberalen Präsidenten J.M. Barroso und die
diplomatischen Begleitaktionen der US-Regierung z.B. in Berlin sollen das sog.
Freihandelsabkommen zwischen EU und USA (TTIP) absichern. Aber dieses TTIP
hat ebenso viele Emotionen bei den europäischen Bürgern (und einigen
amerikanischen) gegen den kommerziellen Imperialismus der USA freigesetzt wie
bei den ukrainischen Bürgern gegen den militärischen Imperialismus Russlands.
Die Stärkung der nationalen politischen Strömungen in vielen EU-Staaten sind auch
Folge der TTIP-Geheimdiplomatie der EU-Kommission, ähnlich wie beim
vorangegangenen Kommissionsentscheid, gentechnisch verändertes Saatgut und
damit hergestellte Nahrungsmittel amerikanischer Konzerne in der EU zuzulassen.
Anders ausgedrückt: die unverantwortliche und nicht mehr nachvollziehbar
Zulassung der Lobby-Tätigkeiten von 20.000 professionellen Lobbyisten allein in
Brüssel treibt die Anti-Kommissions-Stimmung in den europäischen Gesellschaften
immer schneller zur politischen Explosion. Die konservativen und rechtslastigen
Stimmengewinne bei der Europawahl am 25.5.2014 waren daher noch keineswegs
der Höhepunkt der EU-Frustration in Europa. Es gibt zahlreiche weitere Themen, bei
denen EU-Bürger befremdet ihren eigenen Regierungen gegenüberstehen. In
Deutschland gehört das Thema „Fracking“ dazu. Republikanische Senatoren in den
USA nutzen derzeit die prekäre Energiesituation der Ukraine, um ihrem Fracking-
freundlichen Präsidenten dringend den Export von Fracking-Gas in die
osteuropäischen Staaten einschließlich Ukraine nahezulegen. Die frühere Klima-
Kanzlerin Merkel unterstützt diesen energiepolitischen Schachzug durch ihre eigenen
pro-fracking-Absprachen mit der polnischen Regierung. Die EU-Bürger, deren Blick
durch keine US-Brille getrübt ist, sehen allerdings, daß eine in Wahrheit schon über
Jahrhunderte bestehende Partnerschaft mit Russland (teilweise sogar mit der
Sowjetunion) für Europa von größerer strategischer Bedeutung ist als die mit den
sich selbst überschätzenden USA. Die kritischen EU-Bürger wehren sich daher
gegen weitaus mehr als „nur“ gegen TTIP oder Gen-Mais.
Abgesehen von Präsident Putins langjährigem Bemühen, der Ukraine die
Annäherung an die EU auf unterschiedliche Weise zu verbauen (vor allem mit
seinem stärksten Hebel, der Energieversorgung) hat eine ähnlich un-demokratische
und im Wesentlichen an den Interessen der kleinen Gruppe ukrainischer Oligarchen
ausgerichtete Politik die Prekarisierung der ukrainischen Gesellschaft bewirkt bzw.
beschleunigt. Die Wahlmöglichkeiten in der Ukraine sind allerdings nicht so vielfältig,
wie bei der EP-Wahl.
Das Wahlergebnis
vom 25.Mai 2014
zugunsten des
Oligarchen Petro
Poroschenko kann
daher nur als
zögerliche Mehrheit
zugunsten des derzeit
geringeren Übels für
die Ukraine
verstanden werden.

Zentralmarkt Kiew: große
Angebote für die, die über
ausreichend Geld
verfügen     (Photo: ER)

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