DIE BEDEUTUNG POLITISCHER BILDUNG - FÜR GESELLSCHAFTLICHE TEILHABE - Bonner Akademie

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DIE BEDEUTUNG POLITISCHER BILDUNG - FÜR GESELLSCHAFTLICHE TEILHABE - Bonner Akademie
DIE BEDEUTUNG
POLITISCHER
BILDUNG
FÜR GESELLSCHAFTLICHE TEILHABE
DIE BEDEUTUNG POLITISCHER BILDUNG - FÜR GESELLSCHAFTLICHE TEILHABE - Bonner Akademie
IMPRESSUM

Die Publikation wird herausgegeben im Auftrag des Vereins für Forschung und Lehre praktischer Politik e. V.
Umsetzung durch die Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik (BAPP) GmbH.

Bonn, Juni 2021

Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik (BAPP) GmbH,
Heussallee 18-24, 53113 Bonn

Tel.: 0228/73-62990
Fax.: 0228/73-62988

eMail: bapp@uni-bonn.de
www.bapp-bonn.de

Facebook: www.facebook.com/bapp.bonn
Twitter: www.twitter.com/BonnerAkademie

Redaktion
Dr. Stefan Brüggemann (V.i.S.d.P.)
Sandra Butz
Taner Ekici
Lucas Scheel
Gina Görmer
Hannah Scharrenberg

Layout und Satz
Kreativ Konzept – Agentur für Werbung GmbH

Recht
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Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik (BAPP) GmbH unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfäl-
tigung, Übersetzung, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme.
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DIE BEDEUTUNG
   POLITISCHER BILDUNG
                     für gesellschaftliche T
                                           ­ eilhabe

                    Zwischenpublikation im Rahmen des Projekts
                 „Integrationspolitik für die Mehrheitsgesellschaft –
Bildungs- und Beteiligungsmöglichkeiten für junge und alte Menschen im Ruhrgebiet“
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INHALT

             „ GRUSSWORT VON PROF. DR. VOLKER KRONENBERGSEITE 06

             „ VORWORT VON PROF. BODO HOMBACHSEITE 07

             „ EINLEITUNG                                                         SEITE 10

                  DER SOZIALE SEKTOR IM AUSNAHMEZUSTAND? PERSPEKTIVEN AUS DER
                  CORONA-PANDEMIE – EINE AUSWERTUNG VON EXPERTENINTERVIEWS
                  LUCAS SCHEEL, M.A.

             I. POLITISCHE PERSPEKTIVE

                  „ INTERVIEW: DIE BEDEUTUNG DER POLITISCHEN BILDUNG              SEITE 19
                     IM KINDER- UND JUGENDBEREICH
                     YVONNE GEBAUER

                  „ INTERVIEW: DIE BEDEUTUNG DER VOLKSHOCHSCHULEN                 SEITE 23
                     FÜR POLITISCHE ERWACHSENENBILDUNG
                     ANNEGRET KRAMP-KARRENBAUER

             II. WISSENSCHAFTLICHE ­PERSPEKTIVE

                  „ C
                     ORONA UND DIE POLITISCHE BILDUNG –                           SEITE 29
                    DURCH DIE PANDEMIE GESCHWÄCHT, ABER ERST RECHT UNVERZICHTBAR
                    PROF. DR. KLAUS-PETER HUFER

                  „ INTERVIEW:
                             DIE BEDEUTUNG VON BILDUNG UND LEBENSLANGEM LERNEN   SEITE 38
                    UND IHRE HERAUSFORDERUNGEN
                    DR.IN HELLE BECKER

    INHALT
4   DIE BEDEUTUNG POLITISCHER BILDUNG FÜR GESELLSCHAFTLICHE TEILHABE
DIE BEDEUTUNG POLITISCHER BILDUNG - FÜR GESELLSCHAFTLICHE TEILHABE - Bonner Akademie
III. PRAKTISCHE PERSPEKTIVE

  „ P
     OLITISCHE BILDUNG FÜR ANERKENNUNG, SOLIDARITÄT UND DEMOKRATIE                        SEITE 45
    IN DER ARBEITSWELT
    HERAUSFORDERUNGEN FÜR DIE GEWERKSCHAFTLICHE BILDUNGSARBEIT
    IN NRW
    ELKE HÜLSMANN, M.A., TIM ACKERMANN, M.A.

  „ P
     OLITISCHE BILDUNG AUS DER PRAXIS IN ESSEN                                            SEITE 55
    ÜBER DAS BUNDESPROJEKT „DEMOKRATIE LEBEN“
    JONAS PLOEGER

IV. BERICHTE ZU DEN ­VERANSTALTUNGEN

    	DIGITALER DIALOG: „ALLES ÜBERTRIEBEN? VON IMPFGEGNERN, ALUHÜTEN                     SEITE 59
       UND BESORGTEN BÜRGERN. CORONA UND DIE VERSCHWÖRUNGSMYTHEN“
       AM 29. OKTOBER 2020

    	DIGITALER DIALOG: „DATEN SPENDEN, LEBEN RETTEN?                                     SEITE 62
       DATENSCHUTZ UND DIGITALISIERUNG AUF DEM PRÜFSTAND“
       AM 1. DEZEMBER 2020

    	BERICHT ZUR 1. BAPP-MORGENRUNDE              SEITE 63
       „POLITISCHE BILDUNG – EINE BESTANDSAUFNAHME“	
       AM 3. DEZEMBER 2020

    	BERICHT ZUR 2. BAPP-MORGENRUNDE                                                     SEITE 65
       „POLITISCHE BILDUNG UND DIE ÖKONOMIE – EIN BELASTETES VERHÄLTNIS“
       AM 2. MÄRZ 2021

    	DIGITALER WORKSHOP: LOKALFORUM RUHRGEBIET:                                          SEITE 66
       „POLITISCHE BILDUNG ALS FEUERWEHR? ÜBER DIE BEDEUTUNG DER
       POLITISCHEN JUGEND- UND ERWACHSENENBILDUNG“
       AM 29. APRIL 2021

     NEUE FORMATE: R(H)EINHÖREN – DER PODCAST AUS DER BUNDESSTADT                          SEITE 69

                                                                                                           INHALT
                                                  DIE BEDEUTUNG POLITISCHER BILDUNG FÜR GESELLSCHAFTLICHE TEILHABE   5
DIE BEDEUTUNG POLITISCHER BILDUNG - FÜR GESELLSCHAFTLICHE TEILHABE - Bonner Akademie
GRUSSWORT
             VON PROF. DR. VOLKER KRONENBERG
                                                                              „DENN DER POLITISCHEN BILDUNG
                                       Prof. Dr. Volker Kronenberg
                                                                              KOMMT – SO FÜHREN ES AUCH DIE
                                       Projektleiter und Vorsitzender
                                       des ­Wissenschaftlichen Beirats
                                                                                 ERKENNTNISREICHEN BEITRÄGE
                                       der Bonner ­Akademie,
                                       Institut für Politische Wissenschaft
                                                                              DIESER PUBLIKATION VOR AUGEN –
                                       und Soziologie der Universität Bonn    EINE SCHLÜSSELFUNKTION IN DER
                                                                                         THEORETISCHEN UND
                                                                               PRAKTISCHEN VERMITTLUNG DER
             LIEBE LESERINNEN UND LESER,
                                                                                 SOZIALEN, PARTIZIPATIVEN UND
             noch vor wenigen Jahren konnte man den Eindruck ge-
             winnen, die klassische politische Bildung würde mehr
                                                                                          RECHTSSTAATLICHEN
             und mehr zum Auslaufmodell. Vermeintlich überflüssig                ERRUNGENSCHAFTEN UNSERES
             geworden in einer gefestigten und zunehmend durch
             einen basisdemokratischen Diskurs in den digitalen
                                                                                          GEMEINWESENS ZU. “
             Medien geprägten Gesellschaft; vermeintlich entbehr-
             lich angesichts G8-bedingt verdichteter Lehrpläne in             Aufwendungen und Einsatz für die Politische Bildung in
             den deutschen Schulen. Thematisiert wurde das Fehlen             den letzten Jahren deutlich verstärkt.
             politischer Bildung allenfalls im Kontext tendenziell sin-
             kender Wahlbeteiligung.                                          Diese neue Akzentuierung ist so bemerkenswert wie
                                                                              wichtig. Denn der politischen Bildung kommt – so
             Dieser Eindruck hat sich spätestens seit dem Einzug des          führen es auch die erkenntnisreichen Beiträge dieser
             Rechtspopulismus in das politische System Deutsch-               Publikation vor Augen – eine Schlüsselfunktion in der
             lands fundamental gewandelt. Mit Nachdruck wurde                 theoretischen und praktischen Vermittlung der sozialen,
             in diesem Zuge für alle die staatstheoretische Grun-             partizipativen und rechtsstaatlichen Errungenschaften
             derkenntnis sichtbar, dass der Erhalt des politischen            unseres Gemeinwesens zu. Sie wirkt im besten Fall daran
             Gemeinwesens und die Bekenntnis zur freiheitlich-de-             mit, politisches Bewusstsein und politische Haltung zu
             mokratischen Grundordnung keine Selbstläufer sind,               entfalten und zu erhalten, ein Gefühl für Menschen- und
             sondern kontinuierliche und gemeinsame Anstrengun-               Bürgerrechte, staatliche Strukturen sowie die gemein-
             gen erfordert. Das Auftreten neuer politischer Akteure           sam getragene Verantwortung zu wecken und diese
             und die Polarisierung des politischen Diskurses haben            Kenntnisse im Sinne einer kritischen, aber lösungsori-
             als allgemeiner Weckruf gewirkt – nicht nur im Sinne ei-         entierten Teilhabe mit Leben zu füllen.
             ner Anpassung der politischen Themensetzung und der
             besonderen Aufmerksamkeit für bestimmte Wählergrup-              Der Bedeutung politischer Bildung, ihren Möglichkeiten,
             pen, sondern auch im Sinne eines neuen Bewusstseins              aber auch den ihre Umsetzung betreffenden Schwierig-
             für die Bedeutung politischer Bildung. Die verstärkte            keiten ist die vorliegende Publikation gewidmet. Dazu
             Aufmerksamkeit, die dieser seit einigen Jahren politisch         wurden Perspektiven aus Politik, Wissenschaft und
             gewidmet wird, zeigt sich exemplarisch an den Bundes-            Praxis zusammengetragen, die ein differenziertes, aber
             ausgaben für die Bundeszentrale für Politische Bildung.          doch auch ermutigendes Bild zu zeichnen vermögen.
             Zwischen 2013 und 2021 hat sich ihr Budget von 37,8
             auf 97,5 Millionen Euro mehr als verdoppelt. Und auch            Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, wünsche ich eine
             innerhalb anderer Institutionen und Netzwerke wurden             einsichtsreiche Lektüre.

     GRUSSWORT
6    DIE BEDEUTUNG POLITISCHER BILDUNG FÜR GESELLSCHAFTLICHE TEILHABE
DIE BEDEUTUNG POLITISCHER BILDUNG - FÜR GESELLSCHAFTLICHE TEILHABE - Bonner Akademie
VORWORT
                   VON PROF. BODO HOMBACH
© Volker Lannert

                                             Prof. Bodo Hombach
                                             Präsident der Bonner Akademie

                   TEILHABE UND TRANSPARENZ                                   Ministerien, Bund und Ländern waren geklärt. Jeder
                                                                              hatte sein Steckenpferd geritten, und auch der kate-
                   Ein Buch zur rechten Zeit. Alte Gewissheiten und politi-   gorische Zweifel (Braucht man das überhaupt?) war
                   sche Bindungen zerbröseln.                                 hinreichend geäußert.

                   Wer sich des vor- und fürsorgenden Staates sicher wähn-    Boten die vorhandenen Möglichkeiten nicht längst jede
                   te, wurde gekränkt. Reputation politisch Verantwort-       Handhabe, das Richtige zu tun und das Falsche zu unter-
                   licher wird durch mangelnde administrative Umset-          lassen? Offenbar nicht. Wer nur solche Projekte fördern
                   zungskompetenz diskreditiert. Widersprüche werden          wollte, die sich eindeutig zur Freiheitlich Demokrati-
                   Alltagserfahrung. Ein winziges Eiweißmolekül verbreitet    schen Grundordnung bekannten und dabei jede Zu-
                   sich, weil Impfarmut herrscht.                             sammenarbeit mit diesbezüglich nicht durchgeimpften
                                                                              Partnern ablehnten, stieß auf den Protest derjenigen,
                   Wichtige Debatten – auch die von Medien transpor-          die darin nicht selbstverständliche staatliche Vorsicht,
                   tierten – finden weniger im Parlament, sondern mehr        sondern übertriebenes Misstrauen witterten. Dabei bil-
                   in den TV-Sprech-Shows statt. Da gilt das Gesetz der       ligt die vorherrschende Toleranz längst auch Grenzwer-
                   Aufmerksamkeit durch Konflikt. Demokratische Hand-         tiges. Dass sich aber Extremismus nicht mit Extremisten
                   lungsfähigkeit durch Konsensbildung passt nicht ins        bekämpfen lässt, lehrt gerade die deutsche Geschichte.
                   Erregungsritual.
                                                                              So ist das in der Demokratie. Auch wer sie fördern will,
                   Auch das geplante Demokratiefördergesetz der Gro-          muss sie erst einmal aushalten. Teilhabe und Transpa-
                   ßen Koalition hat Geburtsprobleme. Eigentlich hatten       renz, die beiden vitalen Lernziele dieser Staatsform,
                   die Wehen schon begonnen. Die Zuständigkeiten von          müssen immer wieder neu errungen und verteidigt

                                  „SO IST DAS IN DER DEMOKRATIE. AUCH WER SIE
                                FÖRDERN WILL, MUSS SIE ERST EINMAL AUSHALTEN.
                                TEILHABE UND TRANSPARENZ, DIE BEIDEN VITALEN
                                 LERNZIELE DIESER STAATSFORM, MÜSSEN IMMER
                                WIEDER NEU ERRUNGEN UND VERTEIDIGT WERDEN.“

                                                                                                                                              VORWORT
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DIE BEDEUTUNG POLITISCHER BILDUNG - FÜR GESELLSCHAFTLICHE TEILHABE - Bonner Akademie
werden. Dass sie bedroht sind, zeigt ein Blick auf die                    „DIE DEMOKRATIE IST DIE
             politische Weltkarte. Autokratische Systeme liegen
             scheinbar im Trend, zumindest behaupten sie sich. Ro-                   GRÖSSTE UND WICHTIGSTE
             buste Junkies der Macht haben entdeckt, wie einfach                              BÜRGER­INITIATIVE
             es ist, mit neuen und alten Medien zu spielen, breite
             Massen zu ängstigen und sich als die schnelle Lösung                            DER GESCHICHTE “
             aktueller Probleme anzuempfehlen. Der dazu nötige
             „Volksempfänger“ ist in jeder Hosentasche. Fake und
             Fakt verwischen sich. Ein Film mit Schauspieleinlage
             im GEZ TV verkauft sich als Dokumentation. Das sei
             „authentischer als die Realität“ heißt es rechtfertigend.

             Auch so gewinnen Medien Aufmerksamkeits- und Unter-
             haltungswert und verlieren Überzeugungskraft. Wenn
             inhaltsarme, aber laut und populär agierende Regenten
             dann auch noch ein paar überzeugende Argumente zu
             real Erlebbarem abliefern, ist eine Wahl relativ leicht
             zu gewinnen. Danach muss man ja nur noch egoman             dämmerte es in den Köpfen. Plötzlich war die Macht
             dreist oder der eigenen Unfehlbarkeit sicher sein, um       nicht mehr „von Gottes Gnaden“, sondern ein ständig
             konkurrierende Meinungen oder gar Parteien nieder-          neu zu lösendes Problem; nicht durch Beseitigung,
             halten zu wollen.                                           sondern durch intelligente Domestizierung. Man durfte
                                                                         wählen und das auf periodischen Widerruf.
             Die Autoren und Autorinnen dieser Publikation fragen
             sich und die Leser: Was kann politische Bildung bei-        Politische Bildung hat nicht nur historische Vorausset-
             tragen, um demokratisches Bewusstsein zu fördern?           zungen. Sie hat auch eine elementare Existenzgrund-
             Dass sie es kann, ist gesetzt. Wenn politische Bildung      lage: Ein Neugeborener von heute ist bezüglich seiner
             überhaupt etwas kann, soll, muss, dann doch wohl die        politisch-sozialen Fähigkeiten ebenso ahnungslos wie
             Ertüchtigung junger Menschen und jeden Bürgers, das         es der Säugling eines Neandertalers war. Die Demo-
             Gemeinschaftswerk der demokratischen Gesellschaft           kratie ist die größte und wichtigste Bürgerinitiative der
             mitzugestalten. Dazu gehören Kritikfähigkeit und Tole-      Geschichte. Sie lebt und überlebt nur dann, wenn diese
             ranz. Dazu gehört auch die Bereitschaft, Verantwortung      Bürger wissen und wollen, was sie tun, wenn sie ver-
             zu übernehmen, die Rechtsordnung zu akzeptieren und         stehen, warum sie es tun und auch welche Folgen ihr
             mit Leben zu erfüllen, was auch heißt, sie im Licht neuer   Tun oder ihr Unterlassen hat. Sie besteht nur, wenn die
             Entwicklungen und Herausforderungen weiterzuentwi-          Bürgerinnen und Bürger den unglaublichen Wert der
             ckeln. Denn: „Wir wissen heute nicht, was wir morgen        Freiheit und des Friedens schätzen lernen – auch wenn
             wissen werden.“ (Karl Popper)                               sie nie selbst darum ringen mussten.

             Autokratische Systeme brauchen keine politische Bil-        „Vertrauen“ – davon ist gegenwärtig viel die Rede – reicht
             dung. Wo Gleichschaltung und Gleichschritt regieren,        nicht aus. Vertrauen ist zunächst blind. Es bedarf einer
             scheint alles einfach und übersichtlich. Man übt das        Aufhellung durch Kenntnis, Erfahrung und Einübung. Es
             Kopfnicken und das rhythmische Klatschen. Ein öf-           bedarf der Stützung durch Vertrauenswürdigkeit, nicht
             fentlicher Diskurs findet nicht statt. Man lauscht den      nur in die Person des Entscheidungsträgers, sondern
             Verlautbarungen und kann sich die anstrengende Mühe         auch in die Verlässlichkeit politischer Institutionen. Die
             des eigenen Denkens ersparen.                               beste Verfassung? Schiller schrieb: „Diese nur kann ich
                                                                         dafür erkennen, die jedem erleichtert gut zu denken,
             Politische Bildung begann auf der Agora von Athen und       doch nie, dass er so denke, bedarf.“
             in der Volksversammlung der römischen Republik. Spä-
             ter, viel später dann im Rat der mittelalterlichen Stadt,   Politische Bildung weckt und befeuert den öffentlichen
             in der Magna Charta des englischen Parlaments, in der       Diskurs. Sie überprüft das Zusammenspiel der Insti-
             Druckerwerkstatt des Herrn Gensfleisch zu Gutenberg         tutionen, fragt nach Handlungsintentionen, wägt die
             und in den Salons der französischen Aufklärung. Dort        Erfahrungen der Geschichte. Sie lehrt, an der politischen

    VORWORT
8   DIE BEDEUTUNG POLITISCHER BILDUNG FÜR GESELLSCHAFTLICHE TEILHABE
DIE BEDEUTUNG POLITISCHER BILDUNG - FÜR GESELLSCHAFTLICHE TEILHABE - Bonner Akademie
Willensbildung mitzuwirken, Rollen und Verantwortung        jemand eine einfache Antwort. Aber die ist regelmä-
zu übernehmen und Fehlentwicklungen frühzeitig zu           ßig falsch. An dem vorliegenden Heft haben großarti-
erkennen. Sie lehrt den Streit nicht zu eskalieren und      ge Persönlichkeiten mit Erfahrung und tiefem Wissen
zu zementieren, sondern faire Kompromisse zu suchen.        gearbeitet. Nach der Lektüre sind wir klüger als zuvor.
In einer vielfältiger werdenden Gesellschaft ist die Fä-    Dafür großen Dank.
higkeit zur Konsensbildung unverzichtbarer denn je.
                                                            Die zentrale These dieses Heftes konstatiert, dass eine
Wie wichtig, aber auch wie schwierig das ist, zeigt         global vernetzte Welt Bürger braucht, die gesellschaft-
sich im gegenwärtigen Stress der Pandemie. Plötzlich        lich und politisch partizipieren, anstatt durch rechts-
scheint nicht mehr zu gelten, was in Schönwetterpha-        oder linkspopulistische Sprechchöre Fakten zu ver-
sen selbstverständlich ist. Unter Bedrohung erscheinen      nebeln und Spaltungen zu vertiefen. Kann politische
die gewachsenen Strukturen unseres Systems träge,           Bildung auch den Teil der Gesellschaft zurückgewinnen,
unlogisch, unscharf und unwirksam. Vorausschauen-           der sich bereits gelöst hat? Wie müsste die aussehen?
des Handeln ist selten populär. Immer nur Reagieren
ist nutzlos. Das „autokratische“ Virus treibt die Politik   Dank gebührt allen, die dieses hochaktuelle Meeting
vor sich her. Da soll das sympathische „Sowohl-als          von Wissenschaft und Politik gewollt, ermöglicht und
auch“ vermeintlicher „klare Kante“ weichen. Wissen-         inhaltlich so hervorragend gefüllt haben.
schaft liefert sensationell schnell Therapiechancen
ab, Helfer im Gesundheits- und Pflegedienst leisten
Übermenschliches, und staatliche Institutionen, die
das „auf die Straße bringen“ sollen, verlieren Akzep-
tanz. Die Enttäuschung darüber ist umso größer, weil
die Erwartung an deutsche Organisationsfähigkeit und
Kompetenz hoch war. Das rührt an Grundfesten des
Staates. Ehren­werte Demokraten finden plötzlich bei
dem Satz zusammen: „Wir hätten nicht gedacht, noch
einmal so system­kritisch zu werden.“

Leben wir tatsächlich in einer Welt aufschäumender,
wachsender Risiken oder können immer kleinere Ursa-
chen immer verheerendere Wirkungen erzeugen? Was
müssen wir lernen, um dieser Asymmetrie gewachsen
zu sein? Auf jeden Fall doch wohl das Lernen lernen.
Das ist kein Selbstläufer. Auf jede komplexe Frage gibt

                                                                                                                            VORWORT
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DIE BEDEUTUNG POLITISCHER BILDUNG - FÜR GESELLSCHAFTLICHE TEILHABE - Bonner Akademie
EINLEITUNG

              DER SOZIALE SEKTOR
              IM AUSNAHME­ZUSTAND?
              Perspektiven aus der Corona-Pandemie –
              eine Auswertung von Experteninterviews
              Lucas Scheel, M.A.

                                                                            Herausforderungen. Auch im Hinblick auf Partizipation
                                                                            und Teilhabe entstehen durch die Pandemie folgen-
                                                                            schwere Probleme. So kommt z. B. mit den unzähli-
                                                                            gen Schließungen von Vereinen aller Couleur auch das
                                       Lucas Scheel
                                       Wissenschaftlicher Mitarbeiter der
                                                                            gesellschaftliche Treiben zum Erliegen. Wie kann also
                                       Bonner Akademie für Forschung        Partizipation im Lockdown aussehen? Und bietet der
                                       und Lehre praktischer Politik        digitale Bereich dabei die Lösung all dieser Probleme?

                                                                            Um diesen Fragen sowie aktuellen Trends und Entwick-
              Die Corona-Pandemie stellt seit etwas mehr als einem          lungen auf den Grund zu gehen, hat das Projektteam
              Jahr das Leben in allen Bereichen auf den Kopf. Aus           vom Sommer 2020 bis in den Januar 2021 eine Reihe von
              der Krise ist ein Dauerzustand geworden, der nicht            qualitativen Kurzinterviews über die direkten Auswir-
              spurlos an unserer Gesellschaft vorbeigegangen ist.           kungen der Corona-Pandemie mit Projektpartnern aus
              Beinahe täglich liest und hört man von den Auswir-            dem Ruhrgebiet geführt. Diese sollten Aufschluss über
              kungen der Pandemie auf Wirtschaft, Politik und All-          die Corona-bedingten Veränderungen vor Ort geben
              tag. Die ständigen Neuerungen im Infektionsschutz             und gleichzeitig die Herausforderungen in der täglichen
              zwingen die Menschen dazu, sich immer wieder neu              Arbeit der Praktikerinnen und Praktiker aufzeigen. Die
              auf die Situation einstellen zu müssen. Es ist unschwer       Interviews fanden mit leitenden Persönlichkeiten aus
              zu erkennen, dass sozial privilegierte Schichten besser       Stadtteilzentren, Quartierbüros, politischen Bildungs-
              im Corona-Alltag zurechtkommen als die sozial schwä-          projekten, Langzeitarbeitslosenprogrammen und Bür-
              cheren Teile unserer Gesellschaft.1 Diese Auswirkungen        gervereinen statt.
              lassen sich auch im Rahmen unseres Bildungsprojekts
              „Integrations­politik für die Mehrheitsgesellschaft – Bil-    Im Folgenden sollen die Ergebnisse dieser Interviews zu-
              dungs- und Beteiligungsmöglichkeiten für junge und            sammengefasst werden. Dabei werden sowohl Gemein-
              alte Menschen im Ruhrgebiet“ in der praktischen Pro-          samkeiten und feststellbare Trends herausgearbeitet,
              jektarbeit feststellen. Mit Blick auf die Schwerpunkte        als auch Unterschiede genannt, die Aufschluss darüber
              des Bildungsprojekts stellt sich die Frage, wie sich die      geben können, wie verschiedene Berufsgruppen von
              beiden Aspekte ‚Bildung‘ und ‚Beteiligung‘ unter der          der Krise betroffen sind. Zuerst werden dazu die Auswir-
              Pandemie verändert haben. Neben der Problematik               kungen der Pandemie auf die Arbeit der Projektpartner
              der geschlossenen Schulen stellen auch die Bewegung           erläutert, bevor im zweiten Teil die Auswirkungen auf die
              der ‚Querdenker‘ und andere sogenannte ‚Corona-Leug-          Zielgruppen der jeweiligen Angebote bzw. Programme
              ner‘, die Verschwörungstheorien mit einer allgemeinen         näher beleuchtet werden. Zu guter Letzt dürfen auch
              Ablehnung der Demokratie vermischen, die politische           die Lehren, die wir für die Zukunft nach der Pandemie
              Bildung und ihre Akteurinnen und Akteure vor große            ziehen können, nicht fehlen.

     EINLEITUNG
10   DIE BEDEUTUNG POLITISCHER BILDUNG FÜR GESELLSCHAFTLICHE TEILHABE
PLATZMANGEL IN ZEITEN VON MINDEST-                          fail‘, zu wichtig um zu scheitern, da beispielsweise das
ABSTAND ERFORDERT ALTERNATIVE                               Sozialleben vieler Menschen – insbesondere in prekären
LÖSUNGEN                                                    Stadtteilen – stark von ihnen abhängt.

Auf die Frage, ob ihre Tätigkeiten durch die Corona-Kri-
se beeinflusst oder zum Teil sogar eingestellt werden       DOCH WAS IST MIT DEN ANGEBOTEN, DIE
mussten, gaben die Befragten unterschiedliche Antwor-       NICHT FORTGESETZT WERDEN KONNTEN?
ten. Zunächst kann festgehalten werden, dass die Arbeit
– wenn auch unter geänderten Rahmenbedingungen              In den Stadtteilzentren musste bedauerlicherweise eine
– größtenteils fortgesetzt werden konnte. Gerade im         Vielzahl von kulturellen und sozialen Angeboten vorerst
sozialen Bereich sind viele Angebote, wie beispielsweise    eingestellt werden. Betroffen waren dabei besonders
die Ausländerberatung sowie Beratungsprogramme für          der Kultur- und vor allem der Seniorenbereich, wie bei-
Drogenabhängige, unerlässlich, weshalb die Fortfüh-         spielsweise die regelmäßig stattfindenden und rege
rung – unter Anpassung an die strikten Corona-Auflagen      besuchten Seniorentreffs einiger Projektpartner. Die
– oberste Priorität hatte. Auch die Kinder- und Jugend-     Treffs bieten den Seniorinnen und Senioren einen Ort
arbeit fand unter Auflagen (nur 10 Kinder gleichzeitig in   des Zusammenkommens und des Austausches, der seit
einem Raum erlaubt) statt, da besonders die Betreu-         Beginn der Pandemie plötzlich wegbrach:
ungs- und Mittagessensangebote für sozial benach-
teiligte Familien von hoher Wichtigkeit seien, wie aus      „Besonders die älteren Mitbürger stellt die Schließung
dem Stadtteilzentrum Bonni in Gelsenkirchen-Hassel          der Angebote vor große Herausforderungen: diesen fehlt
berichtet wurde.                                            ein wichtiger Baustein in ihrem Alltag. Zum Teil werden
                                                            unsere Mitarbeiter angesprochen und gefragt, wann die
In diesem Zusammenhang erwähnten mehrere Pro-               Programme denn endlich wieder fortgesetzt werden. (...)
jektpartner, dass sie sich in der Anfangszeit der Coro-     Gerade alte Menschen sind zum Teil auf das Bonni als Ort
na-Pandemie und des ersten Lockdowns nach neuen             des Zusammenkommens angewiesen, die Effekte durch
Räumlichkeiten umschauen mussten, da die gewohnten          das Alleinsein kann man dadurch nur abschätzen.“
Räume nicht genug Abstand beispielsweise im War-            (Dr. Rolf Heinrich, Vorsitzender des Stadtteilzentrums
tebereich zuließen. So konnten einige Angebote, wie         „Bonni“ in Gelsenkirchen-Hassel)
z. B. eine Ausländerberatung und eine Mittagsbetreuung
für Kinder, fortgesetzt werden. Dieser Trend spiegel-       Diese Erkenntnisse reflektierten sich auch in den Aus-
te sich auch in der Straßensozialarbeit wider, bei der      sagen des Leiters eines weiteren Stadtteilzentrums
die notwendigsten Angebote und Projekte unter den           in Essen. Auch er bemängelte, dass durch die vielen
erforderten Vorsichtsmaßnahmen stattfanden. Der             Schließungen der soziale Austausch momentan fehle
Vorteil gegenüber den Angeboten in geschlossenen            und häufig Nachfragen kommen, wann denn die Ange-
Räumen bestand darin, dass die Sozialarbeit auf der         bote endlich wieder öffnen würden. Dies verdeutlicht,
Straße nicht mit fehlendem Platz und der Einhaltung         wie wichtig diese Angebote für viele Menschen sind und
der Kontaktbeschränkungen konfrontiert war. Mehrere         dass der Bedarf enorm ist. Gerade die kulturellen An-
Befragte aus unterschiedlichen Städten im Ruhrgebiet        gebote eines Stadtteilzentrums erfüllen eine wichtige,
berichteten, dass der Bedarf nach sozialer Beratung         den Stadtteil vereinende Funktion. Von deren Wegfall
seit Beginn der Pandemie noch weiter gestiegen ist und      sind nicht nur die Stadtteilbewohner und Kulturinteres-
sogar viele „Ehemalige“ zurückgekommen sind. Gerade         sierten betroffen, sondern besonders die Künstlerinnen
in Gegenden, die stark von Zuwanderung geprägt sind,        und Künstler werden vor planerische und finanzielle
war die Straßensozialarbeit weiterhin gefragt, da u. a.     Herausforderungen gestellt. Auch wenn Ausweichan-
eine zum Teil drastisch niedrige Alphabetisierungsrate      gebote, wie etwa ein Theaterstück über Corona geplant
zu Problemen mit den Ämtern geführt habe. Die Sozi-         sind, ist die Zukunft doch ungewiss.
alarbeiterinnen und Sozialarbeiter nehmen dabei eine
unverzichtbare Rolle als Vertrauenspersonen ein, die        Im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit gab es eben-
den Zuwanderern helfen, sich mit den offiziellen Schrei-    falls viele Einschränkungen durch die Corona-Maßnah-
ben auseinanderzusetzen und die jeweils aktuellen Re-       men. Besonders durch die Schließung von Schulen
gelungen zu verstehen. Hier zeigt sich bereits eine erste   wurde die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen stark
wichtige Erkenntnis: Gewisse Angebote sind ‚too big to      erschwert bis unmöglich. Politische Bildner, die ihre

                                                                                                                           EINLEITUNG
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Inhalte normalerweise durch Formate wie Workshops           „Wir haben versucht, auf die Teilnehmer zuzugehen,
              direkt an Schulen vermitteln, fehlte der Zugriff auf die    entweder auf dem Nordmarkt direkt oder durch das
              komplette Zielgruppe. Die daraus resultierende feh-         telefonische Nachfragen – in einem Fall sogar durch das
              lende Planungssicherheit führte dazu, dass Projekte         Zusenden eines Briefes. Dies dient einerseits dazu, nach-
              teilweise gänzlich eingefroren werden mussten. Auch         zuhören, wie es den Menschen geht, aber auch darum,
              die Projekte, deren Zielgruppe nicht vorwiegend aus         ihnen Wertschätzung zu vermitteln, ihnen zu zeigen, dass
              Schulklassen besteht, mussten Einschränkungen hin-          sich jemand um sie kümmert.“
              nehmen, da sie auf die Zusammenarbeit mit Freiwilligen      (Susanne Thoma, Arbeitsgebietsleiterin von „Pass­
              angewiesen sind, die aufgrund der Pandemie oftmals          genau“ der Diakonie Dortmund)
              wegblieben. Die Befragten aus dem Projektbereich
              waren sich einig, dass sich die Zielgruppenerreichung,
              vor allem von Kindern- und Jugendlichen, momentan           ALLES AUCH EINE FRAGE DES GELDES
              als äußerst umständlich erweist und nicht die gleichen
              Resultate erzielt werden konnten wie vor der Krise.         Eine weitere Dimension, die die Arbeit vor Ort erschwert,
                                                                          sind die finanziellen Sorgen, unter denen viele Organi-
                                                                          sationen gerade im sozialen Bereich leiden. So hieß es
              DIGITALE KOMMUNIKATION ALS RETTER                           etwa, dass man irgendwie sichtbar und aktiv bleiben
              IN DER NOT?                                                 müsse, um das Überleben der Projekte zu garantieren.
                                                                          Dies könnte die vielen behelfsmäßigen Angebote, die
              Entgegen der Annahme, dass digitale Angebote die Prä-       im Zuge der Pandemie entstanden sind, erklären. Das
              senzangebote – zumindest in Teilen – ersetzen können,       „Sichtbar-bleiben“ spielt insofern eine entscheidende
              fällt das Fazit zu den Online-Lösungen bei den Befrag-      Rolle, da die Projektförderung zumeist an konkrete Er-
              ten eher mäßig aus. Zwar gab es viele unterschied­          gebnisse geknüpft ist. In einem Fall wurde berichtet,
              liche Versuche, die entsprechenden Zielgruppen mit          dass ein Projekt trotz der einmaligen und unvorher-
              digitalen Angeboten weiter zu erreichen, allerdings mit     sehbaren Situation durch die Corona-Pandemie keine
              durchwachsenem Erfolg:                                      Laufzeitverlängerung bekommen hat. Zwar habe eine
                                                                          gewisse Toleranz seitens der Geldgeber hinsichtlich der
              „Der Lockdown war für unsere Arbeit mit den Kindern         ausbleibenden konkreten Resultate bestanden, aber
              und Jugendlichen natürlich eine Katastrophe, weil alles     trotzdem leiden die Projektleiterinnen und Projektleiter
              abgeblasen wurde und wir im Online-Bereich in der Stein-    auch immer unter einem konstanten Rechtfertigungs-
              zeit stecken.“                                              und Ergebnisdruck. Besonders kleinere, auf externe
              (Florian van Rheinberg, politische Jugendbildung der        Finanzierung angewiesene Projekte seien von der Pro-
              Stadt Essen)                                                blematik der sogenannten „Projektitis“ betroffen, die
                                                                          zwar nicht unbedingt neu ist, sich aber durch die Pan-
              Gerade bei der Arbeit mit den Schulen wurden die De-        demie noch einmal verschärft hat:
              fizite hinsichtlich der digitalen Ausstattung und Erfah-
              rung schnell ersichtlich. Insofern lautete das eindeutige   „Corona bringt die extremen Seiten der Projektitis hervor,
              Fazit der Interviewten, dass die digitalen Angebote in      dabei ist die Partnerakquise momentan fast unmöglich.
              der Regel keinen umfassend-adäquaten Ersatz für die         Auch deswegen herrscht momentan eine allgemeine
              ausgefallenen Angebote darstellten.                         Depression, perspektivisches Denken fällt weitestgehend
                                                                          flach.“
              Lediglich die Straßensozialarbeit in Dortmund, bei der      (Oliver Zier, politischer Bildner aus Gelsenkirchen,
              sonst das Face-to-Face-Gespräch die Norm ist, be-           Leiter des politischen Jugendbildungsprojekts
              richtete, dass sich die gezielte Ansprache über andere      „Kohle, Stahl… und wir?!“)
              Kommunikationsmittel als recht effektiv herausstellte
              – wobei die meisten Betroffenen vor allem über ‚alte‘
              Kommunikationsmittel wie das Telefon erreicht wurden:

     EINLEITUNG
12   DIE BEDEUTUNG POLITISCHER BILDUNG FÜR GESELLSCHAFTLICHE TEILHABE
SOZIALE KONTAKTE FALLEN WEG UND                             Verbreitung von Corona im Konflikt steht. Ein weiteres
WERDEN SCHMERZLICH VERMISST                                 Problem besteht im Bereich des Digitalen. Ein Befrag-
                                                            ter, der in der Jugendarbeit tätig ist, betonte, dass viele
Neben den Folgen der Corona-Pandemie auf die Arbeit         Kinder aus sozial schwächeren Familien gar keinen oder
vor Ort wollten wir von den Interviewten wissen, ob –       einen unzureichenden Zugang zum WLAN hätten, was
und wenn ja inwiefern – sie bei ihrer Zielgruppe eine       sie vom schulischen und gesellschaftlichen Leben on-
allgemeine Verschlechterung der sozio-ökonomischen          line praktisch ausschließe. Auch andere Interviewte be-
Situation feststellen konnten. Der eindeutige Tenor lau-    stätigten diese Problematik: Zwar besäßen die meisten
tete, dass sich die Lage für die sozial benachteiligten     Kinder heutzutage ein Smartphone, aber dies sei nicht
Menschen im Ruhrgebiet verschärft hat – besonders           geeignet für tägliche Schulaufgaben. Hinzu komme,
hinsichtlich der fehlenden Sozialkontakte. Wie bereits      dass viele Kinder, die z. B. in Großfamilien auf engem
erwähnt, wurden – aufgrund ihrer Zuordnung zur Hoch-        Raum wohnen, nicht über einen eigenen Arbeitsplatz
risikogruppe – besonders die Angebote für Seniorinnen       und damit über einen ruhigen Ort, an dem sie etwa ihre
und Senioren beschnitten. So beobachteten die Befrag-       Hausaufgaben erledigen können, verfügen. Diese Orte
ten, dass die Seniorinnen und Senioren nun oftmals gar      wurden vor Corona oftmals durch die Kindernachmit-
nicht mehr vor die Tür gingen und dementsprechend die       tagsbetreuung ersetzt, wo Helferinnen und Helfer auch
alltäglichen sozialen Kontakte auf ein Minimum redu-        gleichzeitig inhaltlich unterstützend agieren können.
ziert wurden. Da in der Regel nur ein kleiner Teil dieser   Zwar gibt es bereits erste wissenschaftliche Erkennt-
Gruppe das Knowhow und die Technik besitzt, um aktiv        nisse zur sozialen Ungleichheit durch Homeschooling,
am Internetleben teilhaben zu können2, fallen für eine      doch die Interviews haben verdeutlicht, dass weiterer
große Gruppe von älteren Menschen ein essentieller          Forschungs- und vor allem Handlungsbedarf besteht.
Teil der Interaktion sowie der sozialen Kontakte weg.
Zwar wurde versucht, den Kontakt mit dieser Zielgruppe
zu halten, indem z. B. Ehrenamtliche Pfarrnachrichten,      PREKÄRE STADTTEILE – DIE BENACH­
Nikolaustüten o. Ä. überbrachten, allerdings stellt sich    TEILIGUNG SETZT SICH FORT
die Frage, ob das den regelmäßigen Kontakt mit Gleich-
altrigen und anderen Mitmenschen mittelfristig erset-       Aus den vorherigen Abschnitten wird bereits deutlich,
zen kann. Ein genanntes Beispiel verdeutlicht diese Be-     dass prekäre Stadtteile von der Pandemie besonders
fürchtung: In einem Stadtteilzentrum gibt es eine ältere    betroffen sind. Zwar macht der Virus keinen Unterschied
Dame, die trotz alledem regelmäßig alleine mit ihrem        zwischen Schicht und gesellschaftlichem Stand, jedoch
eigenen Kaffee kommt, um (aus sicherer Distanz) die         treffen die sozialen Effekte die Menschen in prekären
Kindergruppen beim Spielen beobachten zu können.            Stadtteilen umso heftiger. So wurde unter anderem an-
Hier wird schnell ersichtlich, wie wichtig eine vertraute   gemerkt, dass diese Stadtteile auch zu Orten der Gefahr
soziale Umgebung ist, die durch Corona so momentan          avancierten. Dies läge zum einen daran, dass die Men-
nicht möglich ist.                                          schen dort häufig in Berufen arbeiten, wo Homeoffice
                                                            nicht möglich sei und durch den Kontakt mit anderen
Kinder und Jugendliche sind nochmal auf eine andere         Menschen das Infektionsrisiko steige. Außerdem leben
Art und Weise vom Lockdown betroffen. Gerade Kinder         die Menschen dort teilweise auf engem Raum mit vie-
brauchen den sozialen Austausch für ihre Entwicklung.       len Familienmitgliedern, was das Risiko ebenso erhöht.
Die Nachfrage an Kinder- und Jugendangeboten blieb          Eine weitere Komponente ist die heterogene Bewohner-
bei den Befragten die ganze Zeit über hoch. Im Falle        struktur: Dort treffen nicht nur Menschen aus verschie-
eines Quartierszentrums zeigte sich aber auch, dass         densten Kulturen aufeinander, sondern es kam auch
die Corona-Maßnahmen von Jugendlichen nicht immer           gelegentlich vor, dass die Infektionsschutzmaßnahmen
ernst genommen wurden, da sich dort abends öfters           in Teilen migrantischer Communities nicht ernst ge-
Jugendgruppen trafen, um gemeinsam Zeit zu verbrin-         nommen wurden oder gar auf Ablehnung gestoßen
gen. Für den Leiter des Quartierzentrums stellte sich       sind, berichteten einige der Befragten.3 Die höheren
hier die Frage, ob es solche Orte des „Frust-Abbaus“        Infektionszahlen wiederum seien dann einer der Grün-
nicht trotz oder sogar wegen der Pandemie bräuchte;         de, warum diese Stadtteile in der medialen Berichter-
Jugendliche bräuchten schließlich Entfaltungsraum           stattung oftmals stigmatisiert und als Negativbeispiele
und die Möglichkeit ihre Freunde zu sehen, was in dem       herausgestellt würden. Ein Stadtteilmanager kritisierte,
Fall mit den Maßnahmen bzw. Empfehlungen gegen die          dass die Medien die Infektionszahlen zu selten mit den

                                                                                                                            EINLEITUNG
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Lebensbedingungen der Menschen in Verbindung setz-           eine gesellschaftliche Wertschätzung vermittelt werden
              ten und versuchten, den prekären Stadtteilen kulturelle      muss. Die soziale Isolation mache es notwendig, die
              Stigmata anzuheften. Als Gründe vermutete er eine Art        Menschen aktiv anzusprechen, was viele der Befragten
              Entlastungsstrategie, da niemand so richtig wusste bzw.      auch tun.
              weiß, wie man mit Corona umzugehen hat:

              „Das kann man sich jetzt in der Nachbetrachtung mal an-      DER GEIST DER VERSCHWÖRUNGS­
              schauen, wie mit unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen       IDEOLOGIEN IST AUS DER FLASCHE
              in dem Zusammenhang umgegangen wird.“
              (Reinhard Schmidt, Stadtteilmanager Duisburg-Hoch-           Auch die gesellschaftliche Polarisierung ist im Zuge
              feld der Entwicklungsgesellschaft Duisburg)                  der Corona-Pandemie fortgeschritten. Das Fehlen der
                                                                           menschlichen Kontakte hatte hierbei einen Anteil da-
                                                                           ran, dass die Spaltung der Gesellschaft, die sich mitt-
              LANGZEITARBEITSLOSE LEIDEN                                   lerweile durch so viele politische und gesellschaftliche
              BESONDERS UNTER DER PANDEMIE                                 Fragen unserer Zeit zieht, voranschreitet. So ist es wenig
                                                                           verwunderlich, dass auch in den prekären Stadtteilen
              Diese Stadtteile haben oftmals auch mit Herausfor-           Verschwörungsideologien und andere antidemokrati-
              derungen wie einer hohen (Langzeit-)Arbeitslosigkeit         sche Tendenzen an Zustimmung gewonnen haben, wie
              und Sucht- und Drogenproblemen zu kämpfen. Für viele         ein Befragter, der intensiv mit den Menschen in seinem
              Langzeitarbeitslose bieten Arbeitsprogramme, etwa            Stadtteil in Kontakt steht, berichtete.4 Hier wird oftmals
              vom Jobcenter und deren Partnern, eine der wenigen           von der politischen Bildung erwartet, Abhilfe zu schaf-
              Möglichkeiten für soziale Kontakte. Durch den Wegfall        fen. Neben der oben bereits erwähnten „Projektitis“ und
              dieser Maßnahmen beobachteten einige der Interview-          schwierigen Zielgruppenerreichung, leidet diese wäh-
              ten auch für diese Gruppe eine Verschärfung der Situati-     rend Corona allerdings auch unter weiteren Problemen.
              on. In einem Beispiel wird berichtet, dass die Menschen      So bemängelte ein politischer Bildner, dass politische
              regelrecht euphorisch reagiert hätten, als ihnen gesagt      Bildungsangebote härtesten Infektionsschutzmaßnah-
              wurde, dass sie wieder zu ihrer Arbeit in den Arbeits-       men unterlagen. So weit, dass auch Aktivitäten an der
              maßnahmen zurückkehren dürfen. Gleichzeitig haben            frischen Luft – etwa eine Erkundung des Stadtteils –
              auch Suchtprobleme noch einmal zusätzlich an Bris-           verboten wurden. Hier stellt sich für den Interviewten
              anz gewonnen. Durch die Schließung von Kneipen zeigt         die Frage, welche Stellung bzw. Priorität die politische
              sich der Alkoholismus immer häufiger auf öffentlichen        Bildung einnimmt und ob man diese nicht besonders
              Plätzen wie auf dem Dortmunder Nordmarkt, da den             in Zeiten der sozialen Isolation, die den perfekten Nähr-
              Abhängigen keine anderen Orte mehr bleiben. Ein ge-          boden für Verschwörungsideologien bietet, stärker
              regelter Tagesablauf, etwa durch eine Arbeitstätigkeit,      unterstützen müsste.
              kann im Normalfall bereits als Prävention gegen Alkoho-
              lismus wirken, doch auch hier hat die Einschränkung des
              Arbeitslebens durch Corona ihre Spuren hinterlassen.         WELCHE LEHREN KÖNNEN WIR AUS DER
              Neben einem geregelten Ablauf fehlt es zudem auch an         CORONA-PANDEMIE ZIEHEN?
              der so wichtigen Wertschätzung:
                                                                           Neben den momentanen Auswirkungen von Corona auf
              „Viele von ihnen kommen morgens auch direkt in Arbeits-      die Gesellschaft waren auch die Entwicklungen und Leh-
              kleidung zur Diakonie, da sie auch die Wertschätzung der     ren für die Zukunft Thema der Interviews. Dazu wollten
              anderen Pendler suchen. Da geht es um ein ‚gesehen           wir von den Befragten wissen, ob und was wir perspekti-
              werden‘ bzw. darum, ‚ein Teil davon‘ zu sein.“               visch aus Corona lernen müssen und welche Trends sich
              (Susanne Thoma)                                              gezeigt haben. Zunächst einmal das Positive: Mehrere
                                                                           der Befragten berichteten, dass ihre soziale Arbeit viel
              Es ist nur allzu leicht vorstellbar, was das Wegfallen der   Zustimmung erhalten hat. An das Stadtteilzentrum in
              Arbeitsmaßnahmen und damit auch der „Statusverlust“          Gelsenkirchen-Hassel sind außerdem bereits Akteure
              und das „Nicht-mehr-gesehen-werden“ für diese Men-           aus Politik und Verwaltung herangetreten und haben
              schen bedeutet. Insgesamt herrschte Einigkeit darüber,       nach Sorgen und Wünschen gefragt, zudem hat die
              dass den Menschen besonders in dieser schweren Zeit          Stadt noch einmal Geld für den Erhalt der Angebote

     EINLEITUNG
14   DIE BEDEUTUNG POLITISCHER BILDUNG FÜR GESELLSCHAFTLICHE TEILHABE
gespendet. Ein Essener Stadtteilzentrum genießt eine        Stadtteilzentrum z. B. ganz bewusst die Nikolaustüten
ähnliche politische Unterstützung vom Oberbürger-           im Gottesdienst doppelt ausgegeben, so dass man sei-
meister persönlich, der sich während der Pandemie           nen Nachbarn auch eine mitnehmen konnte. So wurde
sogar selbst vor Ort ein Bild machte. Dies zeigt die Sys-   sichtbar, dass die Gottesdienstgemeinde auch über den
temrelevanz dieser Arbeit, die durchaus wahrgenom-          Kirchraum hinausreicht.“
men wird und in Zeiten der Krise zumindest in Teilen        (Markus Tiefensee, Pastoralreferent Gemeinde St. Mariä
auch tatkräftig unterstützt wird.                           Himmelfahrt, Essen-Altendorf, Leiter des Stadtteilzent-
                                                            rums Altendorf „kreuz + quer)“
Allerdings gab es auch pessimistische Aussagen, was
die Zukunft des sozialen Bereichs angeht. So fürchte-       Gerade im Digitalbereich gab es dabei eine Vielzahl von
te ein Interviewter, dass die Finanzierung der eigenen      behelfsmäßigen, aus der Not geborenen Neuschaffun-
Programme in der Zukunft weiterhin mit einem Frage-         gen, welche teilweise positiv angenommen wurden,
zeichen versehen werden müsste. Dies spiegelt sich          in den meisten Fällen wie zuvor beschrieben jedoch
auch in der breitgefächerten Angst davor, dass die Auf-     eher ins Leere liefen. Trotzdem kann festgehalten wer-
rechterhaltung der Wirtschaftshilfe über einen längeren     den, dass einige Interviewpartner die Frage, ob es auch
Zeitraum dazu führen könnte, dass vor allem im sozia-       für die Zeit nach der Pandemie neue digitale Formate
len Bereich zugunsten anderer Bereiche Einsparungen         gäbe, bejahten, vor allem wenn diese eher zusätzliche
vorgenommen werden, wenn die Reserven sich dem              Angebote waren, die nicht versuchen mussten, den di-
Ende neigen sollten, wider. Gerade für die Straßenso-       rekten Kontakt zu ersetzen. Besonders im Kinder- und
zialarbeit wäre dies ein herber Rückschlag. Akteure, die    Jugendbereich gab es dabei eine Palette von neuen
durch eigene Angebote etwas Geld einnehmen – z. B.          Ideen, die sich leicht umsetzen lassen und das Digitale
durch eine Fahrradwerkstatt oder durch einen Se-            mit Spaß kombinieren: So wurde als Beispiel ein Projekt
cond-Hand-Laden – haben diesbezüglich einen nicht           benannt, bei dem Kinder und Jugendliche die Arbeit
zu unterschätzenden Vorteil. Auch in der Projektarbeit      eines Stadtteilzentrums in kleinen Imagefilmen dar-
sind die finanziellen Einschränkungen bemerkbar, so         stellen konnten. Diese kreative Aufgabe habe den Kin-
kämpfen viele Projekte momentan um ihr finanzielles         dern so viel Freude bereitet, dass dieses Angebot wohl
Überleben, was die Notwendigkeit der Akquise neuer          auch in Zukunft aufrechterhalten werden soll, da Kinder
Geldgeber zur Konsequenz hat, wie uns ein Projektlei-       natürlich auch von der digitalen Welt geprägt sind und
ter aus Gelsenkirchen berichtete. Neben dem bereits         daran teilhaben wollen. Auch für Koordinierungs- und
erwähnten Rechtfertigungsdruck bedeutet dies eine           Planungsaufgaben hätten sich kurze Videotelefonate
zusätzliche Belastung, die Zeit und Ressourcen der          gegenüber langwierigen Meetings vor Ort als effektiver
Projektverantwortlichen in Anspruch nimmt und somit         und zeitsparend erwiesen.
einen Teufelskreis aus Papierarbeit und Erfolgsdruck
einleitet oder verstärkt.
                                                            DIGITALITÄT IST NICHT DER ERHOFFTE
                                                            RETTER IN DER NOT
DIE AKTEURE SETZEN SICH MIT ALL
IHRER KRAFT GEGEN DIE PANDEMIE UND                          Nichtsdestotrotz kann das Digitale das Ana-
IHRE FOLGEN ZUR WEHR                                        loge nicht ersetzen, so lautete der Tenor der
                                                            Interviews. Dies ist vermutlich eine der wich-
Insgesamt zeigten die Befragten trotz der widrigen Um-      tigsten Erkenntnisse aus der aktuellen Krisen-
stände durch die Pandemie eine bemerkenswerte Re-           situation, in der soziale Kontakte so sehr ein-
silienz, die sich besonders durch die Erschaffung neuer     geschränkt sind. Die Probleme reichen – wie
Angebote ausdrückt:                                         bereits angedeutet – von der Erreichbarkeit,
                                                            bei der gerade ältere Menschen stark exklu-
„Das Stadtteilzentrum hatte eine Kooperation mit der        diert sind, über technische Limitierungen bis
Gemeinde, da haben wir Martinstaler zusammen mit            hin zum Fehlen des direkten Kontakts. Immer
einem kleinen Gruß verteilt, das ist sehr gut angekom-      stärker rückt die Bedeutung des menschli-
men. Gemeinde und Stadtteilzentrum sind sehr bemüht,        chen Kontakts sowie der Berührung in den
in Erscheinung zu treten und aktiv zu bleiben. Die Ge-      Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit, was
meinde hat in Kooperation mit der Caritas und dem           sich nicht so einfach ersetzen lässt.5

                                                                                                                           EINLEITUNG
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Dabei zeige sich besonders in der sozialen Arbeit, dass        Uhr kennen. Diese Erfahrung, so war sich ein Befragter
              das direkte Gespräch nicht durch Plattformen wie Zoom          sicher, werde uns besonders nach der Überwindung
              oder Skype ersetzt werden könne, weil dieses zu ei-            der Pandemie beschäftigen – wenn wir uns fragen, wie
              nem großen Teil auf Vertrauen basiert, welches man im          Homeoffice, digitale Konferenzen und Meetings, etc. in
              Vier-Augen-Gespräch leichter gewinnen könne. Gerade            Zukunft gestaltet werden können und sollten.
              in sozialen Brennpunkten müssen die Sozialarbeiter vor
              Ort sein, um einen direkten Draht zu den Zielgruppen
              herzustellen:                                                  FAZIT – LICHTBLICKE IN EINER
                                                                             SCHWIERIGEN ZEIT
              „In der sozialen Arbeit geht es viel um Empathie, den Auf-
              bau eines sozialen Austausches und emotionalen Kontakt;        Wie sich in den Interviews herausgestellt hat, hat sich
              darum, ein persönliches Miteinander zu erzeugen. Das           die Arbeit und das Leben der Menschen im Ruhrgebiet
              bekommst du bei offenen Gruppensettings, über Video-           aufgrund der Pandemie-Situation – wie für alle – stark
              konferenzen unter Datenschutzrichtlinien nicht hin [...] Uns   verändert. Besonders die Schließungen im Lockdown
              fehlt als Sozialarbeiter bei digitalen Gruppenange­boten       stellen den sozialen Sektor vor eine riesige Herausfor-
              die persönliche Note zu den Menschen, das Erspüren von         derung, die man zwar so gut wie möglich zu meistern
              Zugängen, der Austausch im Seitengespräch, das Fördern         versucht, bei der es aber auch immer wieder Rückschlä-
              und Einfangen von Gruppendynamiken.“                           ge zu verzeichnen gibt. Im Moment befinden sich alle
              (Florian van Rheinberg)                                        in einem Prozess des Lernens und der Neuorientierung;
                                                                             der digitale Bereich, der nun als das Allheilmittel gegen
              Aber auch in anderen Prozessen, wie etwa Bürgerbe-             die Probleme durch Corona gefeiert wird, kann im so-
              teiligungsverfahren, erweisen sich Online-Formate als          zialen Feld nicht immer Abhilfe schaffen. Im Gegenteil
              mäßig effektiv – im besten Fall. Auch wenn die tech-           zeigt sich, dass sich die Probleme der Menschen vor Ort
              nologischen Voraussetzungen gegeben sind, folgt da-            verschlechtert haben und dass Hilfsprogramme und
              raus nicht zwangsläufig eine rege Beteiligung. Aus den         -projekte es schwieriger haben, zu den Hilfsbedürfti-
              Beobachtungen und Erfahrungen der Befragten ging               gen durchzudringen – „online“ kann hierbei nur bedingt
              hervor, dass die Teilnehmerzahl stark schwankt. Im             für Entlastung sorgen. Auch gibt es viele offene Fragen
              Regelfall nahmen zwar zu viele teil, als dass man von          in Bezug auf die Zukunft: Wie wird der soziale Bereich
              einem Reinfall sprechen müsste, aber doch zu wenig             finanziert werden? Wie soll man trotz der sich ständig
              für einen klaren Erfolg. Besonders da, wo sich Grup-           wechselnden Regeln und Gesetze planen? Auch ist es
              pen neu finden, würden digitale Treffen nicht wirklich         fraglich, ob unsere Gesellschaft in der Krise zusammen-
              funktionieren, da auch hier der direkte Kontakt für ein        gewachsen ist und ob sich auch nach deren Überwin-
              Vertrauensverhältnis und ein richtiges „Kennenlernen“          dung eine erhöhte Solidarität feststellen lassen wird,
              notwendig seien. Ein Interviewter brachte es folgender-        oder ob es eine Wiederkehr zum ‚business as usual‘ gibt.
              maßen auf den Punkt:
                                                                             So sehr die Krise die Probleme im sozialen Bereich
              „Die Krise der Beteiligung ist eben da.“                       verschärft hat, so sehr zeigt sie auch, wie wichtig und
              (Reinhard Schmidt)                                             unersetzbar die Arbeit dieser Menschen ist. Gerade hier
                                                                             ist es wichtig herauszuheben, dass es dafür durchaus
              Damit meinte er konkret den Umstand, dass das Inter-           Anerkennung gibt, welche sich in Form von Geldspen-
              net hinsichtlich neuer Formen der Partizipation vor gut        den und politischer Unterstützung zeigt und weit über
              zehn Jahren noch als Heilsbringer gepriesen wurde.             eine symbolische Wirkung hinausgeht. Zudem gewin-
              Mittlerweile habe sich aber herausgestellt, dass neben         nen wir gesamtgesellschaftlich relevante Erfahrungen
              den ohnehin beteiligungs-affinen Teilnehmenden keine           für die Zukunft, insbesondere was den digitalen Bereich
              neuen Zielgruppen erreicht werden können – die Krise           angeht: Zwar ist technisch heutzutage viel möglich, das
              hätte diesen Trend noch einmal bestätigt. Dementspre-          Digitale kann aber nicht die Lösung aller Probleme sein –
              chend könnte eine wichtige Erkenntnis sein, dass das           vor allem nicht dort, wo die technischen Voraussetzun-
              Analoge ein Gewinner der Krise ist und eine Aufwertung         gen und/oder Qualifikationen nicht gegeben sind. Und
              erfahren könnte, sobald die Krise bewältigt ist. Schließ-      auch bei interneterfahrenen und -affinen Menschen,
              lich lernen wir momentan die Grenzen des Internets und         etwa der heutigen Jugend, zeigt sich, dass das analoge
              die Nachteile der ständigen Verfügbarkeit rund um die          Leben seine Reize hat und dass menschlicher Kontakt

     EINLEITUNG
16   DIE BEDEUTUNG POLITISCHER BILDUNG FÜR GESELLSCHAFTLICHE TEILHABE
von Angesicht zu Angesicht auch in Zukunft eine wich-             ANMERKUNGEN
tige Ressource für unser Wohlbefinden sein wird.                  1   Vgl. Brand, Thorsten/Follmer, Robert/Unzicker, Kai (2020): Gesellschaftli-
                                                                      cher Zusammenhalt in Deutschland 2020. Eine Herausforderung für uns
Insgesamt ergibt sich somit ein ambivalentes Bild, das                alle. Ergebnisse einer repräsentativen Studie. Gütersloh: Bertelsmann
                                                                      Stiftung, S. 72.
vor allem durch die Verschärfung der Situation der
                                                                  2   Im Jahr 2019 nutzten etwa 42% der Über-60-Jährigen überhaupt kein In-
Schwächsten in unserer Gesellschaft geprägt ist. Hier                 ternet. Vgl. Weidenbach, Bernhard (2020): Umfrage zur Nutzung des Inter-
beweisen sich Angebote der sozialen Arbeit, der Quar-                 nets bei Personen ab 60 Jahren in Deutschland im Jahr 2019, in: Statista.
tiersarbeit und der Kinder- und Jugendhilfe noch einmal           3   Seit die Bild-Zeitung darüber berichtete, dass Menschen mit Zuwan-
als wichtiger denn je, denn neben der finanziellen ist                derungsgeschichte häufiger an Corona erkranken als Menschen ohne
                                                                      Migrationshintergrund, wird intensiv über diese Thematik diskutiert. Zwar
auch die gesundheitliche Zukunft vieler Menschen in                   bekräftigten OECD-Studien diese Tatsache, allerdings sind viele Wissen-
prekären Stadtteilen ungewiss. Angesichts dieser He-                  schaftler und Migrationsverbände überzeugt, dass nicht die Herkunft,
rausforderungen wird deutlich, wie wichtig die Arbeit                 sondern der soziale Status für das Infektionsrisiko entscheidend ist. Vgl.
                                                                      Heine, Hannes/Kiesel, Robert (2021): Warum Corona Menschen mit Migrati-
vor Ort ist. Doch auch unter widrigsten Bedingungen                   onshintergrund häufiger trifft, in: Der Tagesspiegel Online, 04.03.2021.
erweist sich die Projektlandschaft im Ruhrgebiet als              4   „Die Corona-Pandemie war nicht abzusehen. Die ‚Infordemie‘, wie die
innovativ, anpassungsfähig und insgesamt überdurch-                   Weltgesundheitsorganisation die Welle von Verschwörungstheorien und
schnittlich aktiv, um die gesamtgesellschaftliche Bewäl-              Fake News zum Thema nennt, war dagegen zu erwarten.“ Butter, Michael
                                                                      (2020): Verschwörungstheorien: Zehn Erkenntnisse der Pandemie, in: Kort-
tigung dieser Problematiken voranzutreiben. Und so                    mann, Bernd/Schulze, Günther (Hrsg.): Jenseits von Corona: Unsere Welt
lässt sich abschließend festhalten: Es bleibt Bewegung                nach der Pandemie – Perspektiven aus der Wissenschaft. Bielefeld, S. 225.

im Ruhrgebiet.                                                    5   Vgl. Heidarinejad, Azin (2020): Trotz Corona ist Kuscheln gesund: Ich werde
                                                                      umarmt, also bin ich, in: Deutsche Welle Online, 06.12.2020.

  LITERATURVERZEICHNIS
  Brand, Thorsten/Follmer, Robert/Unzicker, Kai (2020): Ge-       Heisig, Jan Paul (2020): Corona-Krise: Was sind die sozialen
  sellschaftlicher Zusammenhalt in Deutschland 2020. Eine         Folgen der Pandemie?, in: Bundeszentrale für Politische
  Herausforderung für uns alle. Ergebnisse einer repräsenta-      Bildung online, 09.04.2020, abrufbar unter: https://www.
  tiven Studie. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung.                  bpb.de/politik/innenpolitik/coronavirus/307702/sozia-
                                                                  le-folgen.
  Butter, Michael (2020): Verschwörungstheorien: Zehn Er-
  kenntnisse der Pandemie, in: Kortmann, Bernd/Schulze,           Kortmann, Bernd/Schulze, Günther (Hrsg.) (2020): Jenseits
  Günther (Hrsg.): Jenseits von Corona: Unsere Welt nach der      von Corona: Unsere Welt nach der Pandemie – Perspekti-
  Pandemie – Perspektiven aus der Wissenschaft. Bielefeld:        ven aus der Wissenschaft. Bielefeld: transcript (X-Texte zur
  transcript (X-Texte zur Kultur und Wissenschaft), S. 225-232.   Kultur und Wissenschaft).
  Heidarinejad, Azin (2020): Trotz Corona ist Kuscheln gesund:    Weidenbach, Bernhard (2020): Umfrage zur Nutzung des
  Ich werde umarmt, also bin ich, in: Deutsche Welle Online,      Internets bei Personen ab 60 Jahren in Deutschland im
  06.12.2020, abrufbar unter: https://www.dw.com/de/trotz-        Jahr 2019, in: Statista, abrufbar unter: https://de.statista.
  corona-ist-kuscheln-gesund-ich-werde-umarmt-also-bin-           com/statistik/daten/studie/1100772/umfrage/internet-
  ich/a-55811803.                                                 nutzung-von-senioren/.
  Heine, Hannes/Kiesel, Robert (2021): Warum Corona Men-
  schen mit Migrationshintergrund häufiger trifft, in: Der Ta-
  gesspiegel Online, 04.03.2021, abrufbar unter: https://www.
  tagesspiegel.de/berlin/mehr-infektionen-in-einwanderer-
  vierteln-warum-corona-menschen-mit-migrationshinter-
  grund-haeufiger-trifft/26971770.html.

                                                                                                                                      EINLEITUNG
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I. POLITISCHE
         PERSPEKTIVE

18
INTERVIEW

DIE BEDEUTUNG DER
POLITISCHEN BILDUNG IM
KINDER- UND JUGENDBEREICH
mit Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung
des Landes Nordrhein-Westfalen

                                    Die Schule ist der Ort, an dem die junge Generation nicht
                                    nur Mathematik, Englisch oder Biologie lernt, sondern
                                    auch zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern erzogen
                                    wird. Dementsprechend gehört die politische Bildung
                                    an unseren Schulen zu den Grundpfeilern der Demokra-
                                    tie und nimmt eine besondere Stellung ein: Als Pflicht-
                                    programm erreicht sie jährlich mehr junge Menschen
                                    als irgendein anderes Angebot. Von den zuständigen
                                    Lehrerinnen und Lehrern wird dabei viel abverlangt,
                                    so müssen sie das politische System nicht nur erklären,
                                    sondern auch mit Leben füllen, um somit die jungen Er-
                                    wachsenen zur demokratischen Teilhabe zu bewegen.
                                    Gerade in Nordrhein-Westfalen als einwohnerstärkstes
                                    Bundesland lohnt sich daher eine genauere Betrach-
                                    tung der schulischen und außerschulischen politischen
                                    Bildungsangebote.

„DEMOKRATIE UND KULTUR              Diesem Themenkomplex stellt sich die nordrheinwest-
                                    fälische Bildungsministerin, Yvonne Gebauer, im schrift-
SIND FÜR DIE ZUKUNFT                lichen Interview. Dabei geht sie u. a. auf die allgemeine
                                    Rolle von Schulen für die politische Bildung, die Möglich-
UNSERER GESELLSCHAFT                keiten und Grenzen für Lehrerinnen und Lehrer, durch
                                    den Politikunterricht Extremismus und Populismus vor-
GENAUSO WICHTIG WIE                 zubeugen, sowie auf Formate, die junge Menschen zur
DIE GRUNDLEGENDEN                   Teilhabe bewegen können, ein.

KOMPETENZEN IN DEUTSCH,
MATHEMATIK UND
FREMDSPRACHEN.“

                                                                                     I. POLITISCHE PERSPEKTIVE
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