DIE BEITRAGS-VERWALTUNG IN DER SOZIALVERSICHERUNG AUS VERFASSUNGS-RECHTLICHER SICHT - JKU ...
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Eingereicht von Bianca Kornherr Angefertigt am DIE BEITRAGS- Institut für Multimediales Öffentliches Recht VERWALTUNG IN DER SOZIALVERSICHERUNG AUS VERFASSUNGS- Beurteilerin RECHTLICHER SICHT Barbara Leitl-Staudinger in a in Univ-Prof. MMMag. Dr. März 2021 Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Magistra der Rechtswissenschaften im Diplomstudium Rechtswissenschaften JOHANNES KEPLER UNIVERSITÄT LINZ Altenberger Straße 69 4040 Linz, Österreich jku.at DVR 0093696
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch. Mistelbach, im März 2021 Bianca Kornherr Hinweis: Aus Gründen der Lesbarkeit wird im Folgenden auf eine geschlechtsneutrale Formulierung verzichtet. Es sind jedoch immer beide Geschlechter im Sinne der Gleichbehandlung angesprochen. 2/51
Inhaltsverzeichnis I. Abkürzungsverzeichnis ......................................................................... 5 II. Problemstellung und Zielsetzung ......................................................... 9 III. Die Selbstverwaltung ........................................................................... 10 A. Allgemeines ............................................................................................................. 10 B. Die soziale Selbstverwaltung im Rahmen der Verfassung im Detail .......................... 11 1. Die Weisungsfreiheit ............................................................................................ 12 2. Die finanzielle Autonomie ..................................................................................... 12 C. Gibt es überhaupt eine Bestandsgarantie für die gesetzliche Sozialversicherung?.... 13 IV. Die Reform – der Weg zu einer leistungsfähigen und bürgernahen Sozialversicherung? ................................................................................... 14 V. Die Beitragsverwaltung in der Sozialversicherung ........................... 15 A. Einleitung................................................................................................................. 15 B. Die Beitragsprüfung in ihrer ursprünglichen Form ..................................................... 16 VI. Die Bestrebungen der Reform: der Weg von der GPLA zur PLAB .. 17 A. Umsetzung des Regierungsprogramms ................................................................... 17 B. Stellungnahmen im Begutachtungsverfahren ........................................................... 18 C. Inhaltliche Beleuchtung ............................................................................................ 19 1. Konzipierung des PLAB ....................................................................................... 19 2. Aufgaben des PLAB............................................................................................. 20 a) Sozialversicherungsprüfung ............................................................................. 20 b) Lohnsteuerprüfung ........................................................................................... 21 c) Kommunalsteuerprüfung .................................................................................. 21 3. Zurechnung ......................................................................................................... 22 4. Fachliches Aufsichts- und Weisungsrecht ............................................................ 22 D. Verfassungsrechtliche Grenzen ............................................................................... 22 1. Vorbemerkungen zur Gesetzesprüfung ................................................................ 22 2. Die Sozialversicherungsprüfung im Rahmen der Selbstverwaltung ....................... 23 3. Der Gleichheitssatz vs. Ungleichbehandlung bestimmter Träger........................... 25 4. Das Sachlichkeitsgebot ........................................................................................ 26 5. Das Effizienzgebot ............................................................................................... 27 E. Gesetzesprüfung auf Verfassungswidrigkeit ............................................................. 29 1. Die Mitglieder des Bundesrates ............................................................................ 29 2. Ist das Entgegenhalten der Bedenken gelungen? ................................................. 32 3. Was sagt nun der VfGH? ..................................................................................... 34 4. Die faktische Effektivität aus verfassungsgerichtlicher Sicht ................................. 36 5. Fazit .................................................................................................................... 37 6. Die Reparatur – das Comeback der GPLA? ......................................................... 38 VII. Das Konzept der Mehrfachversicherung ............................................ 40 A. Abschaffung der Mehrfachversicherung ................................................................... 40 1. Entfall der Antragstellung ..................................................................................... 41 2. Zuständigkeit ....................................................................................................... 41 3. Höhe .................................................................................................................... 42 3/51
B. Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Mehrfachversicherung ......................... 43 C. Schlussbemerkung zur Mehrfachversicherung ......................................................... 45 VIII. Conclusio .............................................................................................. 46 IX. Literaturverzeichnis ............................................................................. 49 4/51
I. Abkürzungsverzeichnis Abs Absatz ALV Arbeitslosenversicherung AlVG Arbeitslosenversicherungsgesetz Art Artikel ASoK Fachzeitschrift für Arbeitsrecht und Sozialrecht ASVG Allgemeines Sozialversicherungsgesetz AUVA Allgemeine Unfallversicherungsanstalt AVG Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 BAO Bundesabgabenordnung BGBl Bundesgesetzblatt BM Bundesminister, -in, -ium BMF Bundesministerium für Finanzen BVA Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter BVAEB Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau B-VG Bundes-Verfassungsgesetz bzw beziehungsweise DRdA Das Recht der Arbeit EO Exekutionsordnung ErläutRV Erläuterungen zur Regierungsvorlage EStG Einkommensteuergesetz 1988 FA Finanzamt f und der, die folgende ff und der, die folgenden 5/51
FinBeh Finanzbehörde FLAG Familienlastenausgleichsgesetz 1967 G Gesetz GKK Gebietskrankenkasse GP Gesetzgebungsperiode GPLA Gemeinsame Prüfung lohnabhängiger Abgaben GSVG Gewerbliches Sozialversicherungsgesetz hA herrschende Ansicht hL herrschende Lehre Hrsg Herausgeber https Hypertext Transfer Protocol Secure idF in der Fassung iSd im Sinne des/der iVm in Verbindung mit KommStG Kommunalsteuergesetz 1993 KV Krankenversicherung leg cit legis citatae LG Landesgericht lit litera (Buchstabe) LSE London School of Economics Mrd Milliarde n.F. neue Fassung ÖGK Österreichische Gesundheitskasse ÖZPR Österreichische Zeitschrift für Pflegerecht PLAB Prüfung lohnabhängiger Abgaben und Beiträge 6/51
PLABG Bundesgesetz über die Prüfung lohnabhängiger Abgaben und Beiträge PV Pensionsversicherung PVA Pensionsversicherungsanstalt Rsp Rechtsprechung Rz Randziffer S Seite SozSi Soziale Sicherheit SPÖ Sozialdemokratische Partei Österreichs StGG Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger stRsp ständige Rechtsprechung SV Sozialversicherung SV-OG Sozialversicherungs-Organisationsgesetz SVA Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft SVB Sozialversicherungsanstalt der Bauern SVS Sozialversicherung der Selbständigen ua und andere VAEB Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau VfGH Verfassungsgerichtshof VfSlg Verfassungssammlung vgl vergleiche Z Ziffer ZAS Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht 7/51
ZPFSG Gesetz über die Zusammenführung der Prüfungsorganisationen der Finanzverwaltung und der Sozialversicherung 8/51
II. Problemstellung und Zielsetzung Gegenstand dieser Diplomarbeit ist die kritische Beleuchtung der im öffentlichen Diskurs umstrittenen Neuorganisation der österreichischen Sozialversicherung durch das Sozialversicherungs-Organisationsgesetz BGBl I 2018/100. Der Fokus liegt auf der Beurteilung der Beitragsverwaltung aus verfassungsrechtlicher Sicht. Die Kernfrage lautet daher: „Wie verfassungskonform war die Neuorganisation der österreichischen Sozialversicherung hinsichtlich der Beitragsverwaltung tatsächlich?“ Als Verwaltungsangestellte in der Beitragsabteilung eines Krankenversicherungsträgers sind die wesentlichsten Änderungen aufgrund der „Sozialversicherung – Neu“ hautnah mitzuerleben gewesen. Die praxisnahen Erfahrungen werden in die Diplomarbeit ebenso miteinfließen und machen die Diplomarbeit dadurch lebendig und spannend. Auch bei der täglichen Arbeit in der Beitragsabteilung hat man die Spannungen rund um das Gesetz über die Zusammenführung der Prüfungsorganisationen der Finanzverwaltung und der Sozialversicherung BGBl I 2018/981 als Kernstück der Reform bemerkt. Wird die Sozialversicherungsprüfung zukünftig durch die Finanzämter erfolgen? Wer ist für die Einhebung und Verwaltung der Beiträge zuständig? Kommt es zur Abschaffung der Mehrfachversicherung, wie im Regierungsprogramm der XXVI. Gesetzgebungsperiode2 angekündigt? Das SV-OG beinhaltet zudem die Reduzierung der Sozialversicherungsträger von 21 auf nur mehr 5. Weiters ist der Hauptverband, der durch den Dachverband ersetzt worden ist, nun Geschichte. Ebenso im Fokus steht die Änderung der staatlichen Aufsicht. Insgesamt sind 14 Anträge auf Gesetzesprüfung gegen die neue Organisationsreform der Sozialversicherung beim Verfassungsgerichtshof eingebracht worden. Im Mittelpunkt der Prüfung sind die Bestimmungen des ASVG, des PLABG, des SV-OG und des ZPFSG gestanden. Von größter 1 Das ZPFSG und das SV-OG wurden am 11.12. 2018 bzw. am darauffolgenden Tag im Nationalrat beschlossen und schließlich am 22.12.2018 kundgemacht. 2 Vgl Zusammen. Für unser Österreich. Regierungsprogramm 2017-2022, 114; abrufbar unter: https://www.oeh.ac.at/sites/default/files/files/pages/regierungsprogramm_2017-2022.pdf (zuletzt aufgerufen am: 03.12.2020). 9/51
Bedeutung sind daher selbstverständlich auch die 4 Erkenntnisse des VfGH vom 13.12.20193, auf die im Anschluss näher eingegangen wird. Anfangs wird das „Fundament“ der Sozialversicherung – die soziale Selbstverwaltung – näher erläutert, um anschließend den Fokus auf die Beitragsverwaltung, Beitragseinhebung und Beitragsprüfung zu legen. Spannend bleibt nach wie vor auch die Diskussion rund um die Abschaffung der Mehrfachversicherung in Österreich. Die Conclusio wird die verfassungsrechtliche Sicht rund um die Beitragsverwaltung aufzeigen. III. Die Selbstverwaltung A. Allgemeines Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist die Selbstverwaltung eine Organisationsform in der öffentlichen Verwaltung.4 Seit der B-VG Novelle im Jahre 2008 kennt das B-VG, BGBl I 2019/14, zwei Arten der Selbstverwaltung. Es ist daher zu differenzieren zwischen: ❖ der territorialen Selbstverwaltung – Selbstverwaltung durch die Gemeinden gemäß Art 115 – 120 B-VG und ❖ der nicht territorialen Selbstverwaltung – „Sonstige Selbstverwaltung“ gemäß Art 120a – 120c B-VG. Der Verfassungsgesetzgeber hat daher mit der Novelle die nicht territoriale Selbstverwaltung („Sonstige Selbstverwaltung“), zu der auch die soziale Selbstverwaltung zählt, ausdrücklich verfassungsgesetzlich normiert.5 Die Verfassungsdogmatik geht nicht von einem einheitlichen Begriff der „Selbstverwaltung“ aus. Es wird hingegen von einem „typologischen“ Begriff ausgegangen, wie er vor allem von Korinek entwickelt wurde. Die „Selbstverwaltung“ wird daher von mehreren bedeutsamen Kriterien geprägt. Liegen diese Wesensmerkmale vor, ist der einfache Gesetzgeber berechtigt, in verfassungskonformer Weise Selbstverwaltungskörper zu errichten. Die folgenden Eigenschaften sind dabei vor allem für die soziale Selbstverwaltung 3 Vgl VfGH 13.12.2019, G 78-81/2019; VfGH 13.12.2019, G 67-71/2019; VfGH 13.12.2019, G 119-120/2019; VfGH 13.12.2019, G 211-213/2019. 4 Vgl Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht (2016) Rz 317 ff; Cerny, Gedanken zur sozialen Selbstverwaltung, DRdA 2018, 283. 5 Vgl Cerny, DRdA 2018, 283. 10/51
von größter Bedeutung: die Weisungsfreiheit, die gesetzliche Zugehörigkeit, die demokratische Legitimation, die Finanzautonomie, die Staatsaufsicht und die Rechnungshofkontrolle.6 B. Die soziale Selbstverwaltung im Rahmen der Verfassung im Detail Die Sozialversicherung in Österreich wird seit dem Ende des 19. Jahrhunderts nach dem Konzept der Selbstverwaltung durchgeführt. Ausgenommen waren die Jahre des 2. Weltkrieges, in denen die österreichische Sozialversicherung von der Reichsversicherungsordnung bestimmt wurde.7 Zwischen der Sozialversicherung und der normierten Selbstverwaltung besteht somit bereits seit langer Zeit eine starke Verbindung wie bei „siamesischen Zwillingen“.8 Innerhalb der Gewaltenteilung ist die Sozialversicherung der Verwaltung zuzuordnen. Obwohl bekannterweise mit der Verwaltung die Weisungsgebundenheit in einem engen Zusammenhang steht, ist auch aus der Systematik des B-VG das Regime der weisungsfreien Verwaltung zu erkennen. Der VfGH betonte diese Sichtweise: „Eine gegenüber staatlichen Organen weisungsgebunden arbeitende Sozialversicherung, die nicht als Selbstverwaltungskörper organisiert ist, wäre daher verfassungswidrig.“ 9 In Art 120a Abs 1 B-VG ist positivrechtlich verankert, dass es im Ermessen des Gesetzgebers liegt, Selbstverwaltungskörper zu errichten. Aus der verfassungsrechtlichen Bestimmung ergibt sich daher, dass gewisse Personen zu Selbstverwaltungskörpern zusammengefasst werden können.10 Entschließt sich nun der einfache Gesetzgeber zur Errichtung, so besteht ein gewisser Spielraum bezüglich der näheren Ausgestaltung. Bestimmte verfassungsrechtliche Garantien sind jedoch dabei immer zu berücksichtigen: ❖ der Kompetenztatbestand gemäß Art 10 Abs 1 Z 11 B-VG, ❖ das verfassungsrechtliche System der Selbstverwaltung gemäß Art 120a – 120c B-VG und 6 Vgl Cerny, DRdA 2018, 283 (291 ff). 7 Vgl Schächter, Zur Reform der Beitragsverwaltung der österreichischen Sozialversicherung - Bemerkungen zum PLABG, JMG 2019, 87. 8 Vgl Öhlinger, Die Bedeutung der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung, DRdA 2002, 191. 9 VfSlg 17.023/2003. 10 Vgl Rill/Stolzlechner in Kneihs/Lienbacher (Hrsg), Rill-Schäffer-Kommentar Bundes- verfassungsrecht, 25. Lfg (2020) Art 120a B-VG Rz 7. 11/51
❖ das Sachlichkeitsgebot, das gemäß Art 7 B-VG und Art 2 StGG aus dem Gleichheitssatz abgeleitet wird.11 Wenn ein Selbstverwaltungskörper eingerichtet wird, kommt ihm die bedeutsame Kompetenz zur Besorgung von öffentlichen Aufgaben zu. Die hoheitlich tätig werdenden Organe der sozialen Selbstverwaltungskörper werden dabei als „funktionale Verwaltungsbehörden“ iSd B-VG eingereiht.12 Festzuhalten ist somit, dass die Sozialversicherungsträger „im überwiegenden Maße funktionell staatliche Verwaltungsaufgaben besorgen“ müssen.13 Die einzelnen Träger sind im Rahmen der Aufgabenerfüllung zur Erlassung von generellen sowie individuellen Rechtsakten befugt.14 Es ist somit erkennbar, dass die autonome Aufgabenerfüllung ein Wesensmerkmal der Sozialversicherungsträger bildet. 1. Die Weisungsfreiheit Gemäß Art 120b Abs 1 B-VG kommt den Selbstverwaltungskörpern das Recht zu, die Aufgaben eigenverantwortlich und weisungsfrei zu besorgen. Weiters besteht die Befugnis, Satzungen im Rahmen der Gesetze zu erlassen. Diese Weisungsfreiheit gilt für die Besorgung im eigenen Wirkungsbereich. Aus diesem Prinzip folgt, dass Weisungen von staatlichen Behörden auf die Entscheidungen der Sozialversicherungsträger ausgeschlossen sind. Die Ingerenz des Staates ist auf das Aufsichtsrecht beschränkt.15 2. Die finanzielle Autonomie Art 120c Abs 2 B-VG sieht eine sparsame und wirtschaftliche Aufgabenerfüllung der Selbstverwaltungskörper durch Beiträge der Mitglieder oder durch sonstige Mittel vor. Art 120c Abs 3 leg cit bezeichnet die Selbstverwaltungskörper ausdrücklich als selbständige Wirtschaftskörper, die im Rahmen der Gesetze Vermögen erwerben, besitzen und auch darüber verfügen dürfen. Den Trägern der Selbstverwaltung kommt somit eine umfassende finanzielle Autonomie zu. Die Verfassungsrechtslehre ist seit jeher davon ausgegangen, dass die finanzielle Selbständigkeit zu dem Wesensmerkmal von 11 Vgl Aubauer/Rosenmayr-Khoshideh, Sozialversicherungs-Organisationsreform und Grenzen der Staatsaufsicht, ZAS 2019, 52. 12 Vgl Günther, Verfassung und Sozialversicherung (1994) 157 ff. 13 Vgl Korinek/Leitl-Staudinger, Die Organisation der Sozialversicherung, in Tomandl (Hrsg), System des österreichischen Sozialversicherungsrechts, 36. Lfg (2020) 485 (499ff). 14 Vgl Korinek/Leitl-Staudinger in Tomandl 495. 15 Vgl Cerny, DRdA 2018, 283 (291 ff). 12/51
Selbstverwaltungseinrichtungen gehört.16 Über die zur Verfügung stehenden Mittel besteht das Recht, ohne staatlichen Einfluss eigenständig und selbstbestimmt entscheiden zu können.17 Es ist zwar zulässig, dass der Staat den Rahmen vorgibt. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass die Selbstverwaltungsorgane innerhalb dieser Schranken autonom tätig werden. Fraglich ist nun, was die verfassungsrechtlich garantierte Finanzautonomie bei der sozialen Selbstverwaltung alles beinhaltet. Nach der Lehre obliegt auch die Beitragshoheit der Sozialversicherung. Dies inkludiert die eigenständige Beitragseinhebung, die Überprüfung der Beitragsgrundlagen und die Beitragsverwendung. Eine gänzliche Übertragung der Beitragseinhebung und Beitragsprüfung von den Trägern auf die staatliche Finanzverwaltung, wie im Regierungsprogramm niedergeschrieben, scheint auf den ersten Blick verfassungswidrig zu sein. Es würde dem Grundsatz der Finanzautonomie widersprechen. Wie verfassungswidrig dieser Gedanke ist, wird sich noch zeigen.18 C. Gibt es überhaupt eine Bestandsgarantie für die gesetzliche Sozialversicherung? Bevor die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Beitragsreform näher beleuchtet werden, stellt sich zunächst die Frage, ob denn überhaupt eine „Bestandsgarantie“ für die Selbstverwaltung der Sozialversicherung besteht. Die Frage der Bestands- oder Einrichtungsgarantie bezieht sich einerseits auf die bestehenden Sozialversicherungsträger und andererseits auch auf das Bestehen von sonstigen Einrichtungen, mit denen für bestimmte soziale Risiken im Zuge eines Versicherungssystems vorgesorgt wird. In Art 10 Abs 1 Z 11 B-VG ist eine ausdrückliche Ermächtigung des Bundes zur Gesetzgebung und Vollziehung in den Angelegenheiten des Sozialversicherungswesens zu finden. Weder aus diesem Kompetenztatbestand 16 Vgl Korinek, Wirtschaftliche Selbstverwaltung - Eine rechtswissenschaftliche Untersuchung am Beispiel der österreichischen Rechtsordnung (1970) 14. 17 Vgl Eberhard, Nichtterritoriale Selbstverwaltung - verfassungsrechtliche Parameter autonomer Verwaltung (2014) 183. 18 Vgl Cerny, DRdA 2018, 283 (293 ff). 13/51
noch aus anderen verfassungsrechtlichen Normen, wie beispielsweise den Grundrechten, lässt sich eine Bestandsgarantie ableiten.19 Der Verfassungsgesetzgeber hat zwar mit der B-VG Novelle im Jahr 2008 die „sonstige“ Selbstverwaltung – somit auch die soziale Selbstverwaltung – ausdrücklich in den Art 120a – 120c B-VG normiert. Jedoch kann aus diesen Normen nach hA auch keine Bestands- oder Einrichtungsgarantie der Selbstverwaltung in der gesetzlichen Sozialversicherung abgeleitet werden.20 Nichtsdestotrotz wird dem Gesetzgeber ein bestimmter Gestaltungsspielraum gewährt.21 Diesem Gestaltungsrecht stehen aber auch Grenzen entgegen. Im Mittelpunkt dieser Grenzen steht der verfassungsrechtliche Selbstverwaltungsbegriff. Diese Schranken für Änderungen ergeben sich zudem auch aus dem Sachlichkeitsgebot, dem Grundrechtsschutz und dem Vertrauensschutz. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Wesensmerkmale der Selbstverwaltung unberührt bleiben müssen, um verfassungskonform zu handeln. Wird ein Merkmal hingegen nicht erfüllt, liegt keine gesetzliche Selbstverwaltung vor. Es würde sich sodann um eine staatliche Verwaltung oder um Privatautonomie handeln. Der Systemwechsel würde eine verfassungsgesetzliche Änderung erforderlich machen.22 Will der Gesetzgeber Einrichtungen der sonstigen Selbstverwaltung ändern bzw. komplett auflösen, ist das vom Art 7 B-VG abgeleitete Sachlichkeitsgebot zu beachten. Es ist daher zulässig, Änderungen vorzunehmen, jedoch nur so weit, als auch der Selbstverwaltungsbegriff noch erfüllt ist.23 IV. Die Reform – der Weg zu einer leistungsfähigen und bürgernahen Sozialversicherung? Ausgehend vom Regierungsprogramm 2017-2022 ist eine der größten Reformen der österreichischen Sozialversicherung ins Leben gerufen worden. Aufgrund 19 Vgl Berka, Zur Reform der Beitragsverwaltung, in Berka/Müller/Schörghofer (Hrsg), Die Neuorganisation der Sozialversicherung in Österreich – Verfassungsrechtliche Grundprobleme (2019) 165. 20 Vgl VfSlg 19.919/2014. 21 Vgl dazu auch Öhlinger, DRdA 2002, 191ff. 22 Vgl Cerny, DRdA 2018, 283 (290). 23 Vgl Kepez, Verfassungsrechtliche Probleme der Sozialversicherungsreform, DRdA 2020, 211. 14/51
des Umfangs und der praktischen Bedeutung liegt der Fokus nun auf der Neuorganisation der Beitragsverwaltung. Im Mittelpunkt der geplanten Änderung steht die Schaffung einer einheitlichen Prüf- und Abgabenstelle für die Einhebung aller lohnabhängigen Abgaben unter Beibehaltung der partizipativen Selbstverwaltung. Geplant ist unter anderem auch die Abschaffung der Mehrfachversicherungen.24 Diese Ziele sollten alle umgesetzt werden, um den Versicherten eine bürgernahe, leistungsfähige und moderne Sozialversicherung garantieren zu können. Die verfassungsrechtlich verankerte Selbstverwaltung darf vor diesem Hintergrund dabei nicht ausgehebelt werden. V. Die Beitragsverwaltung in der Sozialversicherung A. Einleitung Die Finanzierung der Sozialversicherung erfolgt zum größten Teil über Dienstnehmerbeiträge der Versicherten und Dienstgeberbeiträge. Zur Beitragsverwaltung zählen die Erfassung der Versicherten, die Beitragsvorschreibungen und die Einhebung der Beiträge. In Folge werden die bezahlten Beiträge verbucht und auch kontrolliert. Nicht zu vergessen sind zahlreiche Tätigkeiten, die auch von größter Bedeutung sind: das Meldewesen, die treuhändige Verwaltung und Weiterleitung der Umlagen bzw. Abgaben und die Informations- und Auskunftspflicht über die Dienstverhältnisse.25 Zur treuhänderischen Einhebung zählen etwa der Wohnbauförderungsbeitrag, der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung, der Insolvenz- Entgeltsicherungszuschlag und die Arbeiterkammerumlage. Die Gesamtsumme dieser eingehobenen und an die bestimmten Sozialversicherungsträger bzw. Institutionen abgeführten Beiträge in der Höhe von rund 40 Milliarden Euro (Jahr 2016) unterstreicht auch die Wichtigkeit der Beitragsabteilungen bei den einzelnen Krankenversicherungsträgern.26 All diese Aufgaben zählen somit zu der autonomen Tätigkeit in der gesetzlichen Sozialversicherung. Die Beitragsschuldner haben die lohnabhängigen Beiträge grundsätzlich selbständig an die zuständigen Krankenversicherungsträger zu überweisen, außer diese werden mit einem Bescheid vorgeschrieben. Werden diese Beiträge 24 Vgl Zusammen. Für unser Österreich. Regierungsprogramm 2017-2022, 112 ff. 25 Vgl Berka in Berka/Müller/Schörghofer 158. 26 Vgl Berka in Berka/Müller/Schörghofer 159. 15/51
trotz erfolgter Mahnung gemäß §64 Abs 3 ASVG nicht zeitgerecht abgeführt, hat der Krankenversicherungsträger einen Rückstandsausweis zu übermitteln, der in Folge als Exekutionstitel iSd EO dient.27 Die abgeführten Beiträge bilden die Grundlage für die Bemessung der Geldleistungen. Die Beitragsgrundlagen werden gemäß §31 Abs 4 Z 3 lit a ASVG idF BGBl I 2017/125 zur Aufbewahrung und Verarbeitung zentral gespeichert. Die Versicherungsdaten spielen eine immanente Rolle bei der Pensionsberechnung, bei den Ansprüchen nach dem AlVG, bei der Feststellung der leistungszuständigen Krankenversicherungsträger, bei der Auskunft an Justiz- und Verwaltungsbehörden und nicht zuletzt auch bei der Beitragserstattung im Zuge der Mehrfachversicherung.28 B. Die Beitragsprüfung in ihrer ursprünglichen Form Dienstgeber haben für ihre Dienstnehmer alle lohnabhängigen Beiträge und Abgaben im Rahmen der Selbstbemessung zu berechnen und in Folge zu entrichten. Anschließend folgt eine detaillierte Prüfung der Versicherungsverhältnisse und aller Beiträge, die entrichtet wurden.29 Gesetzlich vorgesehen ist die Sozialversicherungsprüfung somit primär, um die Einnahmen der Sozialversicherung zu sichern. §41a ASVG idF BGBGl I 2017/125 normiert insbesondere die Prüfung der Meldeverpflichtungen in den Versicherungs- und Beitragsangelegenheiten und die Abrechnung von Beiträgen. Einen zentralen Aufgabenbereich stellt außerdem die Prüfung der Beitragsgrundlagen zur Gewährung des Krankengeldes, des Wochengeldes und des Arbeitslosengeldes dar. Zur täglichen Aufgabe der Krankenversicherungsträger zählt außerdem gemäß §41a Abs 1 Z 3 leg cit die Beratung hinsichtlich Melde-, Versicherungs- und Beitragsangelegenheiten.30 Bis zur Umsetzung der GPLA erfolgte die Prüfung der Abgaben und Beiträge separat von den Finanzbehörden und den Krankenversicherungsträgern. Seit dem 01.01.2003 wurde mit dem 2. Abgabenänderungsgesetz 2002, BGBl I 27 Vgl Berka in Berka/Müller/Schörghofer 158. 28 https://www.sozialversicherung.at/cdscontent/?contentid=10007.846129&portal=svportal (zuletzt aufgerufen am: 06.11.2020). 29 Vgl Stolzlechner, Zusammenführung der Prüfungsorganisationen von Finanzverwaltung und Sozialversicherungsträgern, in Baumgartner (Hrsg), Öffentliches Recht Jahrbuch 2019 (2019) 83 f. 30 Vgl Berka in Berka/Müller/Schörghofer 159. 16/51
2002/132 die GPLA als Vereinheitlichungsmaßnahme eingeführt. Diese gemeinsame Prüfung aller lohnabhängigen Abgaben beinhaltet nicht nur die Lohnsteuerprüfung, sondern auch die Sozialversicherungs- und Kommunalsteuerprüfung. Die Rechtsgrundlagen sind primär in der BAO angesiedelt. Außerdem finden sich in den Materiengesetzen, wie im ASVG, EStG und im KommStG, nähere Bestimmungen zur Prüfung.31 Die Prüfung fällt in die Zuständigkeit der Krankenversicherungsträger gemeinsam mit der Finanzverwaltung. In der Regel führt jedoch aus Effizienzgründen jeweils nur ein Organ, das als Prüfungsorgan der zuständigen Behörde tätig wird, diese gemeinsame Überprüfung durch.32 Das Handeln der Organe wird somit dem zur Einhebung berechtigten Organ bzw. Rechtsträger zugeordnet. Die Prüfungsorgane des Finanzamtes werden beispielsweise als funktionelle Organe der Krankenversicherungsträger für die Beitragsprüfung tätig. Die Ergebnisse der Prüfung werden mittels Prüfungsbericht dokumentiert und weitergeleitet – sie entfalten jedoch keine bindende Wirkung. Durch die GPLA wird somit eine wechselseitige funktionelle Prüfung durch die Bundesabgabenverwaltung und Krankenversicherungsträger bewirkt.33 VI. Die Bestrebungen der Reform: der Weg von der GPLA zur PLAB A. Umsetzung des Regierungsprogramms Das Regierungsprogramm für die Legislaturperiode 2017 bis 2022 konkretisierte in zwei für die Beitragsprüfung wesentlichen Schritten die geplanten Änderungen. Schritt 1 beinhaltet die Zusammenfassung der Prüfer der Finanzämter und Gebietskrankenkassen in einer eigens begründeten Prüfbehörde. Im 2. Schritt soll die Einhebung aller lohnabhängigen Abgaben ebenso bei der Finanzverwaltung erfolgen. Die „neue Finanzverwaltung“ sollte die Beiträge nach Einhebung an die jeweiligen Träger verteilen.34 Um das Reformprogramm umzusetzen, hat das BMF am 14.09.2018 einen Gesetzesentwurf über die Zusammenführung der Prüfungsorganisationen der Finanzverwaltung und der Sozialversicherung (ZPFSG) als Ministerialentwurf erlassen. Inhalt dieses 31 Vgl Feik in Mosler/Müller/Pfeil (Hrsg), Der SV-Komm § 41a ASVG Rz 2 (Stand 01.12.2020, rdb.at). 32 Vgl Berka in Berka/Müller/Schörghofer 159. 33 Vgl Stolzlechner in Baumgartner 83 f. 34 Zusammen. Für unser Österreich. Regierungsprogramm 2017-2022, 129. 17/51
Entwurfes ist ein eigenes Bundesgesetz über die Prüfung lohnabhängiger Abgaben und Beiträge (PLABG).35 Fraglich ist nun, ob diese Änderung dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Sachlichkeitsgebot entspricht. B. Stellungnahmen im Begutachtungsverfahren Von praktisch nicht unwesentlicher Bedeutung sind nun die zahlreichen Stellungnahmen im Begutachtungsverfahren zum SV-OG und zum ZPFSG. Es langten jedoch nicht nur positive Stellungnahmen ein, sondern auch kritische Rückmeldungen zur geplanten Reform. Nicht nur Versicherungsvertreter, sondern auch die einzelnen Sozialversicherungsträger oder Gewerkschaften brachten die verfassungsrechtlichen Bedenken ein.36 Am meisten Betroffenheit zeigte der „ehemalige“ Hauptverband – nunmehr Dachverband. Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger teilte als „Drehscheibe“ aller Träger die Bedenken einerseits an das Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz und andererseits an das Bundesministerium für Finanzen und an das Präsidium des Nationalrates am 15.10.2018 schriftlich mit.37 Im Fokus der Kritik stand auch die Übertragung der Sozialversicherungsprüfung an den neuen Prüfdienst beim BMF gemäß §1 ff PLABG idF des ZPFSG und §41a ASVG idF des ZPFSG. Die geplante Änderung würde zu mehr Bürokratie und weniger Einnahmen führen. Bereits der Gesetzgeber hat die Aufgabenerfüllung der Sozialversicherung, zu der auch die Beitragsverwaltung zählt, als Aufgabe der Selbstverwaltung vorgesehen. Es könne daher der Sozialversicherung nicht die wesentlichste Aufgabe entzogen werden, ohne die verfassungsrechtlich garantierte Selbstverwaltung zu hinterfragen. Um das bestmögliche Leistungsrecht anbieten zu können, ist eine effektive Beitragsverwaltung von größter Bedeutung. §120b Abs 1 B-VG umfasse auch die Beitragseinhebung und die anschließende Kontrolle.38 Durch die geplante Änderung der Beitragsprüfung komme es daher zu einer Verletzung des 35 Vgl Berka in Berka/Müller/Schörghofer 160. 36 Parlament, Gesetz über die Zusammenführung der Prüfungsorganisationen der Finanzverwaltung und der Sozialversicherung – ZPFSG, https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/ME/ME_00077/index.shtml#tab-Stellungnahmen (zuletzt aufgerufen am: 09.11.2020). 37 Vgl Stellungnahme zu ME vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungs- träger, 6/SN-75/ME XXVI. GP, 1. 38 Vgl Stellungnahme zu ME vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungs- träger, 6/SN-75/ME XXVI. GP, 43. 18/51
verfassungsrechtlich vorgesehenen Selbstverwaltungsprinzips, einhergehend mit einem Eingriff in die gesetzlich definierte Finanzautonomie gemäß Art 120a – 120c B-VG.39 Aus dem verfassungsrechtlichen Effizienzprinzip ergibt sich weiters die Einschränkung des Gesetzgebers, keine Maßnahmen einzuführen, die diesem Wirtschaftlichkeitsprinzip von Beginn an widersprechen.40 Letztlich ist der Gesetzgeber in einer gewissen Weise beweisbelastet, dass die Maßnahmen zu einer tatsächlichen Effizienzsteigerung führen. Die Prognose des Hauptverbandes zeige somit, dass dem Gesetzgeber dieser Beweis nicht gelingen werde und somit widerspreche das ZPFSG dem verfassungsrechtlichen Effizienzprinzip.41 C. Inhaltliche Beleuchtung 1. Konzipierung des PLAB §1 PLABG idF des ZPFSG sah die Errichtung eines Prüfdienstes für lohnabhängige Abgaben und Beiträge vor. Bezugnehmend auf den örtlichen Wirkungsbereich des einzurichtenden Prüfdienstes kann festgehalten werden, dass sich dieser auf das gesamte Bundesgebiet erstreckt. Schon aus der Interpretation des Gesetzeswortlautes („einzurichten“) ergibt sich der Umstand, dass keine neue Behörde bzw. Dienststelle per se eingerichtet wird. Zudem ist kein besonderer Verwaltungsakt für die Errichtung vorgesehen, sodass sich daraus ableiten lässt, dass eine bloß innerorganisatorische Organisationseinheit im BMF einzurichten ist. Das PLABG idF des ZPFSG spricht zudem von einem Prüfdienst, woraus sich ergibt, dass diesem keine eigenen hoheitlichen Aufgaben zukommen, sondern dieser bloß als Hilfsorgan dienen sollte. Aus organisatorischer Sicht folgt die Aufsichts- und Weisungsbefugnis des BMF gemäß Art 77 Abs 3 B-VG.42 39 Vgl Stellungnahme zu ME vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungs- träger, 6/SN-75/ME XXVI. GP, 7. 40 Vgl Stellungnahme zu ME vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungs- träger, 6/SN-75/ME XXVI. GP, 45. 41 Vgl Stellungnahme zu ME vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungs- träger, 6/SN-75/ME XXVI. GP, 46. 42 Vgl Stolzlechner in Baumgartner 86 ff. 19/51
2. Aufgaben des PLAB Gemäß §3 PLABG idF des ZPFSG sollte der Prüfdienst neben der Prüfung lohnabhängiger Beiträge und Abgaben iSd §4 leg cit auch die allgemeinen Aufsichts- und Erhebungsmaßnahmen gemäß §42 und §43 ASVG übernehmen. Ein beim BMF eingerichteter Prüfungsbeirat sollte gemäß §7 PLABG idF des ZPFSG damit betraut werden, die Grundsätze zur Erstellung der Prüfungspläne und Aufsichts- und Erhebungsmaßnahmen auszuarbeiten.43 §4 PLABG idF des ZPFSG weist nun folgende Aufgaben dem Prüfdienst zu: ❖ Sozialversicherungsprüfungen (§41a ASVG), ❖ Lohnsteuerprüfungen (§86 EStG 1988) und ❖ Kommunalsteuerprüfungen (§14 KommStG). Die Konkretisierung findet in den Materiengesetzen jeweils idF des ZPFSG statt. a) Sozialversicherungsprüfung Zur näheren inhaltlichen Ausgestaltung der Sozialversicherungsprüfung ist auf die obigen Ausführungen zu verweisen. Die Prüfung ist gemäß §41a Abs 1 ASVG idF des ZPFSG dem PLAB als Prüforgan vorbehalten. Die ÖGK verliert somit ihre autonome Berechtigung zur Durchführung.44 Zu beachten bleibt hingegen, dass grundsätzlich nur das örtlich zuständige Finanzamt den Auftrag zur Prüfung erteilen sollte, die ÖGK jedoch jederzeit gemäß §11 PLABG idF des ZPFSG zur Anforderung einer Beitragsprüfung ermächtigt ist. Der errichtete Prüfdienst hat gemäß §12 Abs 1 leg cit die ÖGK vor und nach der Prüfung zu verständigen. Eine rechtliche Bindung des Prüfungsergebnisses seitens ÖGK sei nicht vorgesehen. Wenn eine Abweichung getroffen werden sollte, dann würde eine Mitteilungspflicht an den Prüfdienst erforderlich werden. Die Angestellten der ÖGK sollten ab sofort nicht mehr befugt sein, eigene Überprüfungen zu veranlassen.45 Bisher waren nur die Krankenversicherungsträger zur Erteilung des Prüfungsauftrages ermächtigt. 46 Im Ministerialentwurf des PLABG wurde hingegen bestimmt, dass die Behörden 43 Vgl Lachmayer, Die Sozialversicherungsprüfung als eigener Wirkungsbereich der ÖGK – Zu den Grenzen der Übertragung der Betragsverwaltung in der sozialen Selbstverwaltung, ZAS 2020, 65 (66). 44 Vgl Stolzlechner in Baumgartner 89 ff. 45 Vgl Lachmayer, ZAS 2020, 65 (66). 46 Vgl Feik in Mosler/Müller/Pfeil Rz 3. 20/51
von dem Ergebnis des Prüfdienstes „nur abweichen können, wenn ein begründeter Anlass gegeben ist, ihre Richtigkeit in Zweifel zu ziehen“.47 Dies wurde in Hinblick auf die Verfassungswidrigkeit aufgrund der Unklarheit, Unbestimmtheit und des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung zu Recht eliminiert. Zunächst muss festgehalten werden, dass sich diese Regelungen nur auf die ÖGK beziehen. Die SVS und BVAEB nehmen nach wie vor die Sozialversicherungsprüfungen im eigenen Wirkungsbereich nach dem B-KUVG und GSVG/BSVG vor.48 Fraglich ist, ob dies dem Gleichheitssatz entspricht. Die nähere Beleuchtung findet unten statt. Abschließend hat die ÖGK gemäß §21 PLABG idF des ZPFSG dem BMF für ihre Prüftätigkeit ein Entgelt zu leisten.49 b) Lohnsteuerprüfung §86 Abs 1 EStG 1988 idF des ZPFSG regelt die alleinige Zuständigkeit des Finanzamtes der Betriebsstätte. Der Auftrag zur Überprüfung der Steuern ist daher vom Finanzamt zu erteilen gemäß §10 Abs 2 PLABG idF des ZPFSG. Zweck dieser Lohnsteuerprüfung ist die Überprüfung der korrekten Einhebung und Entrichtung der Lohnsteuer sowie Abzugssteuer gemäß §99 EStG. Die Erhebung des DG-Beitrages gemäß §41 FLAG spielt ebenso eine Rolle. Die Prüfung sollte künftig nur von den Prüfungsorganen des PLAB durchgeführt werden. Wie bereits bei der Sozialversicherungsprüfung erwähnt, ist auch in casu keine Bindung an das Ergebnis der Prüfung vorgesehen. Im Falle von etwaigen Abweichungen muss dies dem PLAB mitgeteilt werden gemäß §10 Abs 3 PLABG idF des ZPFSG.50 c) Kommunalsteuerprüfung Die Ausführungen zur Lohnsteuer- und Sozialversicherungsprüfung gelten sinngemäß auch für die Kommunalsteuerprüfung gemäß §14 Abs 1 KommStG 47 ME ZPFSG, 77/ME 26. GP. 48 Vgl Berka in Berka/Müller/Schörghofer 162. 49 Vgl VfGH 13.12.2019, G78-87/2019 Rz 244. 50 Vgl Stolzlechner in Baumgartner 90ff. 21/51
1993 idF des ZPFSG. Das zuständige Finanzamt darf diese Prüfung nicht durchführen, stattdessen sollen Organwalter des PLAB herangezogen werden.51 3. Zurechnung Weiters wurde in §6 PLABG idF des ZPFSG festgelegt, dass bei der Prüfung eine Zurechnung des Organs des Prüfdienstes an die ÖGK und daher auch die funktionelle Einbeziehung der Sozialversicherungsträger erfolgen sollte. Dies gilt auch für die Lohnsteuerprüfung – die Prüforgane des PLAB werden dabei funktionell als Organe des FA tätig. Bei der Durchführung der Kommunalsteuerprüfung wird das Organ des PLAB funktionell als Gemeindeorgan zuständig.52 4. Fachliches Aufsichts- und Weisungsrecht Es stellt sich auch die Frage, ob den Organen der ÖGK hinsichtlich der Personen des Prüfdienstes ein fachliches Aufsichts- und Weisungsrecht zukommt. Dies ist weder im PLABG gesetzlich ausdrücklich normiert noch in den parlamentarischen Materien vorgesehen. Im Ergebnis besteht diese Kompetenz daher nicht.53 D. Verfassungsrechtliche Grenzen Fraglich ist nun, ob die geplanten Änderungen zur Sozialversicherungsprüfung im SV-OG, ZPFSG und PLABG verfassungsrechtlich auch zulässig sind. Entsprechen die Bestimmungen dem Sachlichkeitsgebot? Wird durch die „Sozialversicherungsprüfung Neu“ in die Grundsätze der Selbstverwaltung gemäß Art 120a bis 120c B-VG eingegriffen? Dies wird nun im Folgenden näher erläutert. 1. Vorbemerkungen zur Gesetzesprüfung Wie oben bereits erwähnt, wurde die Verabschiedung des SV-OG und des ZPFSG, vor allem das in dessen Art 1 normierte PLABG, seit Beginn kritisiert und nach der Verabschiedung dem VfGH zur Prüfung auf Verfassungswidrigkeit vorgelegt. Insgesamt hatten die Höchstrichter über 14 Anträge zu entscheiden. 51 Vgl Stolzlechner in Baumgartner 90ff. 52 Vgl Lachmayer, ZAS 2020, 65 (66). 53 Vgl Stolzlechner in Baumgartner 96. 22/51
Diese Anträge wurden insbesondere von den Gebiets- und Betriebskrankenkassen, der Bundesratsfraktion der SPÖ, den Arbeiterkammern, dem LG Linz als Arbeits- und Sozialgericht und dem Österreichischen Seniorenrat zur Entscheidung vorgelegt.54 Der VfGH entschied in insgesamt 4 Erkenntnissen über die Sozialversicherungsreform. Die wesentliche Entscheidung wurde bereits am 13.12.2019 vorab öffentlich, mündlich verkündigt. Die schriftliche Ausfertigung der in Summe über 600 Seiten erfolgte dabei kurz vor Jahresende 2019.55 2. Die Sozialversicherungsprüfung im Rahmen der Selbstverwaltung Zu hinterfragen ist, ob die eigenmächtige Durchführung von Sozialversicherungsprüfungen überhaupt in den eigenen Wirkungsbereich der Sozialversicherungsträger fällt. Die Frage ist nicht leicht zu beantworten, da sie umstritten ist. Selbst der VfGH traf keine explizierte Entscheidung, jedoch ist die Antwort aus seiner jüngsten Entscheidung vom 13.12.2019 in der Gesamtform ableitbar. Im Fokus steht das Prinzip der Finanzautonomie der Sozialversicherungsträger.56 Bereits die Verfassungsrechtslehre zählt seit jeher die finanzielle Unabhängigkeit und die Besorgung dieser finanziellen Angelegenheiten zu den Kernaufgaben der (sozialen) Selbstverwaltung.57 Das Verfassungsrecht gemäß Art 120c Abs 2 B-VG sieht für die Selbstverwaltung eine sparsame und wirtschaftliche Erfüllung aller Aufgaben durch die Beiträge der Mitglieder vor. Art 120c Abs 3 leg cit definiert die Selbstverwaltungskörper ausdrücklich als selbständige Wirtschaftskörper, die selbst zum Vermögenserwerb bzw. Besitz berechtigt sind.58 Schon aus der Verfassung ergibt sich die selbständige Finanzierung durch die Beiträge ihrer Mitglieder. Nichtsdestotrotz darf die eingeräumte „Macht“ des einfachen Gesetzgebers nicht außer Acht gelassen werden. Viele Angelegenheiten zur Beitragsverwaltung und Beitragsentrichtung, wie die Beitragssätze oder Säumnisfolgen, wurden bereits einfachgesetzlich normiert. Die Aufgaben zur selbständigen Regelung durch die 54 Vgl Pfeil, Verfassungswidrigkeiten der Reformen der Sozialhilfe bzw der Organisation der Sozialversicherung (Teil II) – SV-OG und PLABG, ÖZPR 2020, 29. 55 VfGH 13.12.2019, G 78-81/2019; VfGH 13.12.2019, G 67-71/2019; VfGH 13.12.2019, G 119- 120/2019; VfGH 13.12.2019, G 211-213/2019. 56 Vgl Lachmayer, ZAS 2020, 65 (67). 57 Vgl Berka in Berka/Müller/Schörghofer 167. 58 Vgl Lachmayer, ZAS 2020, 65 (67). 23/51
Satzungen oder Richtlinien sind daher stark begrenzt. Zunächst kann daher festgehalten werden, dass keine vollständig eigenständige Gebarung der Selbstverwaltungskörper vorherrschend ist.59 Diese Begrenzung der Finanzautonomie ergibt sich ohnehin auch durch die Weisungen des BM gemäß §444 ASVG hinsichtlich der Rechnungsführung.60 Fraglich ist, ob es nicht einen funktionellen Zusammenhang zwischen der Finanzgebarung und den Selbstverwaltungsaufgaben gemäß Art 120c Abs 2 B- VG gibt. Neben den Aufgaben im übertragenen Wirkungsbereich haben die Sozialversicherungsträger zentrale Aufgaben auch im eigenen Wirkungsbereich zu entrichten.61 Diese Selbstverwaltungsaufgaben sind gemäß Art 120b Abs 1 B- VG „im Rahmen der Gesetze frei von Weisungen“ eigenverantwortlich zu erfüllen. In concreto hat der Gesetzgeber diese Grundprinzipien somit zu berücksichtigen und zu respektieren. Wie oben bereits angedeutet, stehen somit die Erledigung der Selbstverwaltungsaufgaben und die Finanzierung in einem unzweifelhaften Zusammenhang, aus dem sich nun auch die autonome Zuständigkeit über die Finanzgebarung ergibt. Unter Berücksichtigung dieser gesetzlichen Aufgabenübertragung an die Selbstverwaltungskörper lässt sich nun tatsächlich eine Finanzautonomie für die Sozialversicherungsträger ableiten. Diese finanzielle Selbständigkeit darf daher durch den Gesetzgeber nicht eingeschränkt werden, um auch weiterhin die verfassungsgesetzlich vorgesehene eigenverantwortliche Aufgabenerledigung zu gewährleisten.62 Der VfGH führte ausdrücklich bereits in seiner Entscheidung im Jahr 2003 die Aufgabe der sozialen Selbstverwaltung an, zu der die „autonome Organisation der Vollziehung der gesetzlich geregelten Unfall-, Kranken- und Pensionsversicherung von der Beitragseinhebung bis zur Leistungserbringung“ zählt.63 Daraus lässt sich auch die Finanzgebarung im Rahmen der sozialen Selbstverwaltung ableiten, zumal der VfGH die Beitragseinhebung explizit erwähnte. Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass prinzipiell die nähere Gestaltung der Finanzgebarung der Sozialversicherungsträger dem einfachen Gesetzgeber obliegt. Zu dieser Aufgabe zählt grundsätzlich auch die 59 Vgl Berka in Berka/Müller/Schörghofer 169. 60 Vgl Korinek/Leitl-Staudinger in Tomandl 529. 61 Vgl Korinek/Leitl-Staudinger in Tomandl 516. 62 Vgl Berka in Berka/Müller/Schörghofer 170. 63 Vgl VfSlg 17.023/2003. 24/51
Beitragsverwaltung. Zu beachten ist jedoch, dass der Gesetzgeber die Autonomie der Finanzierung bei Wahrnehmung der Selbstverwaltungsaufgaben akzeptieren muss. Diese Aufgaben, zu denen eben die Beitragseinhebungen und Beitragsprüfungen zählen, müssen durch die Sozialversicherungsträger selbständig und eigenverantwortlich besorgt werden. Wenn nun Bestimmungen des einfachen Gesetzgebers erlassen werden, die diese Autonomie beeinträchtigen, liegt ein klarer Verstoß der verfassungsrechtlich garantierten Grundsätze der Art 120a ff B-VG vor. Diese Normen sind daher unzulässig.64 3. Der Gleichheitssatz vs. Ungleichbehandlung bestimmter Träger §4 Abs 2 PLABG idF des Ministerialentwurfs sah noch eine ausdrückliche Ausnahme des Prüfdienstes vor, falls ein anderer Krankenversicherungsträger für die Beitragseinhebung zuständig ist als die ÖGK. Diese explizite Bestimmung ist im PLABG nicht mehr niedergeschrieben. Die geplante Änderung des §41a ASVG idF des ZPFSG und das PLABG idF des ZPFSG beziehen sich jedoch dennoch hinsichtlich der Sozialversicherungsprüfung gemäß §41a leg cit nur auf die ÖGK. Die anderen Träger bleiben dabei unberührt – SVS und BVAEB sollen die Beitragsprüfungen nach wie vor im eigenen Wirkungsbereich gemäß den Bestimmungen im GSVG/BSVG/B-KUVG wie gehabt durchführen. Die Streichung der ausdrücklichen Ausnahme führte somit zu keiner geänderten Rechtslage.65 Betrachtet man diesen Aspekt, fällt sogleich eine Ungleichbehandlung auf, die gleichheitsrechtliche Probleme mit sich bringt. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist, dass die österreichische Sozialversicherung seit jeher eine berufsständische Gliederung erfährt. Dies macht sich durch einen unterschiedlichen Versichertenkreis bemerkbar. Dennoch hat die Beitragsprüfung für jeden einzelnen Krankenversicherungsträger dieselbe Bedeutung. Nach der Ordnungssystem- Judikatur hat der einfache Gesetzgeber einen gewissen Gestaltungsspielraum bei seinen Entscheidungen. Sollte es zu einer ungleichen Behandlung kommen, müsse dies auch einer Rechtfertigung unterliegen.66 Der VfGH stellte bereits bezugnehmend auf die soziale Selbstverwaltung fest, dass die Versicherten 64 Vgl Berka in Berka/Müller/Schörghofer 171. 65 Vgl Berka in Berka/Müller/Schörghofer 191. 66 Vgl VfSlg 15.859/2000. 25/51
keine gemeinsame Risikogemeinschaft darstellen.67 Grundsätzlich müssen nach der Rsp nur Unterschiede innerhalb der einheitlichen Risikogemeinschaft sachlich gerechtfertigt sein. Genau diese Einheitlichkeit der Versicherten liegt in Österreich nicht vor.68 Somit liegt es innerhalb des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers und die Differenzierung ist verfassungskonform. Anders sieht es hingegen Berka. Er geht davon aus, dass sich für die Ungleichbehandlung der verschiedenen Krankenversicherungsträger (ÖGK, SVS und BVAEB) keine sachliche Rechtfertigung finden lässt. Obwohl der Versichertenkreis differiert, ist die Beitragsverwaltung für alle Krankenversicherungsträger von erheblicher Bedeutung. Die Ungleichbehandlung widerspricht somit dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz gemäß Art 7 B-VG.69 Unter Abwägung dieser beiden Ansichten überzeugt die Ansicht des VfGH aufgrund der Schlüssigkeit. Bereits aus dem historischen Blickwinkel in Verbindung mit der praktischen Erfahrung ergeben sich enorme Unterschiede hinsichtlich des Versichertenkreises. Eine Vereinheitlichung wäre praktisch undenkbar. Es lässt sich daher keine Verletzung des verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatzes erkennen. 4. Das Sachlichkeitsgebot Der Gesetzgeber hat auch das allgemeine Sachlichkeitsgebot, das aus dem Gleichheitssatz abgeleitet wird, bei der Gesetzgebung zu beachten. In concreto bedeutet dies, dass der Gesetzgeber bei Änderung der Rechtslage sowohl objektive als auch sachliche Gründe nennen muss. Für die Errichtung eines Selbstverwaltungskörpers bedarf es daher ebenso einer sachlichen Rechtfertigung.70 Allgemein gesagt muss nach der Rspr des VfGH jede Gesetzesänderung auch schlüssig, nachvollziehbar und sachlich begründet werden.71 Auch für die Wahrnehmung der Aufgaben im Zuge der Beitragsverwaltung ist das verfassungsrechtliche Sachlichkeitsgebot von erheblicher Bedeutung. Da in 67 Vgl VfSlg 10.451/1985. 68 Vgl VfSlg 13.829/1994. 69 Vgl Berka in Berka/Müller/Schörghofer 192. 70 Vgl zum Sachlichkeitsgebot als Inhalt des verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatzes zB Berka in Kneihs/Lienbacher (Hrsg), Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht, 25. Lfg (2020) Art 7 B-VG Rz 7 und Rz 49 ff. 71 Vgl VfSlg 8215/1977. 26/51
§120b Abs 1 B-VG die selbständige Besorgung der Aufgaben vorgesehen ist, ist der Gesetzgeber nicht befugt, Normen zu erlassen, die diese autonome Aufgabenerfüllung erschweren. Fraglich ist nun, ob die konkrete geplante Änderung (§41a ASVG iVm PLABG) diesem Sachlichkeitsgebot entspricht. Berka betont die Unsachlichkeit und daher den Verstoß gegen den Gleichheitssatz, wenn die selbstverantwortliche Aufgabenerfüllung unmöglich gemacht werden würde. Bei der zu analysierenden Gesetzesänderung trifft dieses Faktum zu, da die ÖGK zukünftig nicht mehr eigenständig ermächtigt werden soll, Beitragsprüfungen durchzuführen. Nach Berka liegt somit in casu ein Verstoß gegen das Sachlichkeitsprinzip vor.72 Anzumerken ist, dass diese Überlegungen nur gelten, solange die Sozialversicherung auf dem Konzept der sozialen Selbstverwaltung beruht. Sollte es zu einer grundsätzlichen Systemänderung kommen, bei der die Sozialversicherung im Rahmen einer unmittelbaren Staatsverwaltung tätig werden soll, beurteilt sich die Sachlichkeit klarerweise nach einem anderen Maßstab.73 5. Das Effizienzgebot Die Aufgaben der Selbstverwaltungskörper sind gemäß Art 120c Abs 2 B-VG in einer sparsamen und wirtschaftlichen Art und Weise zu erfüllen. Aus dieser Gesetzesbestimmung ergibt sich bereits das verfassungsrechtliche Effizienzprinzip. Grundsätzlich ist zu sagen, dass die öffentliche Verwaltung bei ihrer Tätigkeit die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit immer im Vordergrund halten muss. Dies folgt ausdrücklich aus der Bestimmung des Art 126b Abs 5 B-VG.74 Für die Einnahmensicherung in der Sozialversicherung und die Effizienz dieses Systems spielt die Sozialversicherungsprüfung eine wesentliche Rolle. Nicht nur das gleichheitsrechtliche Sachlichkeitsgebot, sondern auch das verfassungsrechtliche Effizienzprinzip gilt es daher zu berücksichtigen. Im Zusammenhang mit den Beitragsangelegenheiten innerhalb der Sozialversicherungsträger bedeutet dies, dass die Beitragseinhebung, die 72 Vgl Berka in Berka/Müller/Schörghofer 171. 73 Vgl Berka in Berka/Müller/Schörghofer 172. 74 Vgl Berka in Berka/Müller/Schörghofer 172. 27/51
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