Die Chancen maximieren, nicht die Risiken minimieren! - Zur staatlichen Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation
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Die Chancen maximieren, nicht die Risiken minimieren! Zur staatlichen Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation November 2021
VDI/VDE-IT § Positionspapier Zur staatlichen Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation: Die Chancen maximieren, nicht die Risiken minimieren! In diesem Debattenbeitrag wird der Versuch unternommen, zentrale Elemente für die kurz-, mittel- und langfristige Umset- zung zukünftiger FuE+I-Förderansätze zu beschreiben. Das Grundmotiv lautet dabei stets gleich: Es muss darum gehen, die Chancen der Förderung zu maximieren, anstatt zu versuchen, die Risiken zu minimieren. Lange galt für Deutschland: Mit Wissenschaft, Technik und gen für alle Akteure im Innovationssystem starkgemacht, Innovation lassen sich keine Wahlen gewinnen. Natür- anstelle einige ausgewählte Agenturen mit Privilegien lich haben diese Themen auch in den vergangenen Jahren auszustatten.1 In dieser Auseinandersetzung geht es neben immer wieder Aufmerksamkeitskonjunkturen erlebt, sind der vordergründigen Beschäftigung mit der institutionellen dann aber doch mehr oder weniger schnell wieder aus dem Verfasstheit der Förderung von Forschung und Entwicklung Blick geraten. Angesichts der bereits gemachten Erfahrun- sowie Innovation (FuE+I) zentral um die Frage, ob der gel- gen mit der digitalen Transformation und den größtenteils tende Rechtsrahmen Innovationen an manchen Stellen nicht noch ausstehenden Erfahrungen mit der Dekarbonisierungs- behindert und bisweilen nahezu unmöglich macht. Und es Transformation scheint sich der Wind jedoch dauerhaft geht angesichts der ausgemachten Mängel um die Frage, zu drehen, und er bläst dabei stetig und kühl ins Gesicht. ob das „Next Big Thing“ nicht auch neue Strukturen und Folgerichtig bildete der Ruf nach Erneuerung und Inno- Prozesse benötigt, um erfolgreich seinen Weg in die An- vation bereits im diesjährigen Bundestagswahlkampf eine wendung zu finden. Doch auch hier ist nicht maßgeblich, ob konstant wahrnehmbare Stimme, er tat das auch in der es dafür Innovationsagenturen oder Projektträger braucht, Zeit der Sondierung und Regierungsbildung und mit hoher sondern es geht um die Funktionalität der Maßnahmen Wahrscheinlichkeit noch lange darüber hinaus. Die Diskus- und Instrumente, mit denen FuE+I unterstützt und „Next sionen um Fragen der genannten Transformationsprozesse, Big Things“ aus der Taufe gehoben werden sollen. Dass der um neue Formen der Wertschöpfung, Nachhaltigkeit und Staat hierbei ein grundlegend wichtiger Akteur ist, der in Wachstum werden aktuell so leidenschaftlich geführt wie seinem Wirken gegenüber strahlenden Entrepreneurs völlig schon lange nicht mehr. Rund um die Bundestagswahl und zu Unrecht leicht ins Hintertreffen gerät, hat Mariana Maz- auch begleitend zum Prozess der Regierungsbildung häuften zucato in ihrem Buch „The Entrepreneurial State“ ausführ- sich die Empfehlungen und Forderungen, um das bislang lich beschrieben;2 dies sollte ihm Ansporn sein, seine Rolle in dominierende „Weiter so“ mit all seinen tatsächlichen der Innovationsförderung auch in Zukunft mit Engagement und gefühlten Mängeln zu überwinden und hinter sich zu und Mut wahrzunehmen. lassen. In der Debatte artikuliert sich deutlich vernehmbar der Wunsch, dass Deutschland und auch Europa doch bitte Mit Blick auf die Funktionalität der FuE+I-Förderung geht (wieder) Großes und Zukunftsweisendes hervorbringen und es nicht darum, das gesamte bestehende System über den nicht alles den US-amerikanischen und chinesischen Big Haufen zu werfen und durch ein neues System zu ersetzen. Tech-Unternehmen und Einhörnern überlassen möge. Die Adressaten von Programmen sind ebenso vielfältig wie deren Zielsetzungen – die Förderung wissenschaftlicher Ein Beispiel für diesen Bedeutungszugewinn von Innovation Grundlagenforschung erfordert andere Mechanismen als für die Zukunft des Landes ist die fortdauernde und inten- Maßnahmen, mit denen möglichst viele und erfolgreiche sive Auseinandersetzung um die Frage neuer Innovations- Start-ups gegründet werden sollen. Aus diesem Grund ist es agenturen. Auch die VDI/VDE-IT hat in dieser Diskussion kaum möglich, ein universelles Erfolgsrezept zu benennen, Stellung bezogen und sich für geänderte Rahmenbedingun- zumal bei dessen Ausformulierung nicht nur die genannten 1 Wilke, W.; Wessels, J.; Bovenschulte, M. (2021): Sind Innovationsagenturen alternativlos für Deutschland? Positionspapier der VDI/VDE Innovation + Technik GmbH vom August 2021 – online unter https://vdivde-it.de/sites/default/files/document/sind-innovationsagenturen-alternativlos-fuer-deutschland.pdf 2 Mazzucato, M. (2013): The Entrepreneurial State: Debunking Public vs. Private Sector Myths. Antem Press Werner Wilke § Peter Dortans § Jan Wessels § Marc Bovenschulte |2
VDI/VDE-IT § Positionspapier Variablen zu berücksichtigen sind, sondern auch die optima- um als erfolgreich zu gelten. Zwar werden Verwertungs- le Ausschöpfung und mögliche Änderungen der Regularien pläne geschrieben und Verwertungen vom Projektträger und Rechtsvorschriften. Auch wenn es bisweilen aus dem geprüft. Auch setzen erste neue Programmmodule einen Blick gerät: Da dieser Rahmen von Menschen gemacht stärken Fokus auf Verwertung und Impact. Im Regelfall ist wurde, kann er auch von Menschen geändert werden. Das dies aber kein durchgängiger Bestandteil der FuE+I-Förde- Augenmerk muss bei der Neudefinition der Funktionalität rung, mit dem Ergebnis, dass der tatsächlich erzielte Impact darauf liegen, Charakteristika zu beschreiben, die die För- nur unzureichend oder auch gar nicht erfasst wird. derung von FuE+I mit Blick auf deren Effizienz und Ergeb- nisqualität verbessern können. Die Implementierung in der Staatliche FuE+I-Förderung begründet sich unter anderem jeweiligen Fördermaßnahme erfolgt sodann spezifisch. Auch auch darin, Risiken für private Akteure zu mindern und wenn es das eine ideale Förderprogramm somit kaum geben damit die Innovationsorientierung zu erhöhen. Noch zu oft dürfte, wird im Folgenden und als Beitrag zur Debatte der folgt die öffentliche Förderung aber auch noch dem Grund- Versuch unternommen, zentrale Elemente für die kurz-, satz, das Risiko für den Staat praktisch auf null zu setzen. mittel- und langfristige Umsetzung zukünftiger FuE+I-För- Im Sinne einer sparsamen Verwendung öffentlicher Mittel deransätze zu beschreiben. Das Grundmotiv lautet dabei stehen die Handelnden unter Druck, scheinbare Fehlent- stets gleich: scheidungen zu vermeiden. Gescheiterte Projekte sind in dieser Logik schlechte Projekte. Dabei liegt es in der Natur Es muss darum gehen, die Chancen der Förderung von Innovationen, dass sie bis zu einem gewissen Grad zu maximieren, anstatt zu versuchen, die Risiken ergebnisoffen sind und der Erfolg nur bedingt planbar ist. zu minimieren. Eine Orientierung am wissenschaftlich-technologischen Mainstream stellt sicher, dass ordentliche Projekte mit einer guten Erfolgsquote gefördert werden, verhindert tenden- 2. Charakteristika der chancenorientierten ziell aber scheiternde Projekte ebenso wie überraschende Förderung Top-Projekte. Bei der Nutzung öffentlicher Gelder im Bereich Innovationsförderung wird es darum gehen, die Balance Wie schon an anderer Stelle beschrieben, ist die Gestaltung zwischen verantwortungsvollem Einsatz von Steuergeldern von Instrumenten der FuE+I-Förderung kein rechts- und und hinreichender Risikoorientierung neu auszuhandeln. regelfreier Raum, weshalb das bloße Einrichten neuartiger Langfristig muss der Mehrwert für Deutschland nicht nur Agenturen kaum Aussicht auf grundlegende Besserung erhalten, sondern gesteigert werden. Kurzfristig kann dies bietet. Andererseits dürfte Einigkeit darin bestehen, dass der auch ein erhöhtes Risiko bedeuten. Grundsätzlich gilt: Wenn vorgegebene Rahmen sehr wohl Spielräume bietet - bislang alle Projekte ihre Ziele erreichen, waren die Ziele nicht ambi- werden die Spielräume noch nicht ausgeschöpft, um die tioniert genug. Prozesse auf den Fördererfolg hin zu optimieren. Der Auf- wand für die Beantragung und formgerechte Umsetzung Mit der Grundausrichtung, Risiken tunlichst zu vermeiden, geförderter Projekte ist hoch, geht es doch um Steuergelder. steht im Einklang, dass einmal etablierte Routinen beibehal- Erhebliche Ressourcen fließen weiterhin in Anträge und Be- ten und neue Vorgaben bisweilen antizipierend übererfüllt richte, neben der Projektumsetzung. Dies bedeutet nicht nur werden: Nur keine Fehler machen! Es lohnt sich daher, beim eine potenzielle Fehlallokation von Ressourcen, das schreckt Design von Fördermaßnahmen, der Beschreibung ihrer auch potenzielle Geförderte ab und ist insbesondere für Funktionslogik und der operativen Umsetzung zu schauen, kleine Unternehmen schwierig. Doch das Ziel der Projekt- an welchen Stellen Möglichkeiten zu Vereinfachung und förderung besteht nicht darin, überflüssige administrative Beschleunigung bestehen. Dabei benötigt der Rechts- Prozesse mit Bravour durchzuexerzieren, sondern relevante rahmen keinen „Cordon Sanitaire“ als juristischen Sicher- Ergebnisse hervorzubringen. Noch dauert es oft zu lange, heitsabstand, sondern kann voll ausgereizt werden: Was bis Projektideen zu geförderten Projekten und aus Projekt- zulässig ist, sollte auch in Erwägung gezogen werden. Und ergebnissen tatsächlich Lösungen, Produkte oder Dienstleis- im Einzelfall wird es auch hier und da darauf ankommen, tungen werden. Das ist vor allem eine Frage von Prozessen zunächst eine Rechtspraxis zu schaffen, um zu wissen, was und zumindest auch eine Frage der bewussten Inkaufnahme fördertechnisch geht und was nicht – in Forschung und von Risiken. Mehr Geschwindigkeit verspricht, schneller auf Entwicklung ist viel von Reallaboren die Rede, warum nicht neue Themen reagieren zu können, schneller Lösungen für auch für die FuE+I-Förderung selbst? Außer Frage steht drängende Probleme zu haben (siehe den Impfstoff für die natürlich, dass grundlegende wettbewerbliche Prinzipien Pandemiebekämpfung) und dem Wettbewerber eine Nasen- wie Transparenz, Gleichbehandlung, Neutralität etc. auch in länge voraus zu sein. Zudem sind Projekte noch zu sehr dar- experimentellen Formaten gewährleistet sein müssen. auf ausgerichtet, die unmittelbaren Projektziele zu erreichen, Werner Wilke § Peter Dortans § Jan Wessels § Marc Bovenschulte |3
VDI/VDE-IT § Positionspapier Mit experimentellen Formaten kann auch ausprobiert Die inkrementelle Prozessdimension werden, wie auf akute Herausforderungen reagiert werden kann. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass Flexibilität Geschwindigkeit der Verfahren gerade in Ausnahmesituationen überlebenswichtig ist. Aber Rückmeldungen von Zuwendungsempfängern, z. B. im Rah- auch im Regelbetrieb der FuE+I-Förderung ist mehr Flexibili- men von Programmevaluationen oder Kundenbefragungen, tät wichtig, um attraktiv für neue Akteursgruppen zu sein, ergeben regelmäßig, dass Antrags- und Bewilligungspro- um schneller auf technologische Veränderungen reagieren zesse insgesamt als zu langsam und schwerfällig bewertet zu können und um die Kosten für ein starres Ausrichten werden. Für zeitkritische Innovationsprozesse kann dies zum an gegebenen Prozessvorgaben zu mindern. Definierte Risiko oder gar zum k.o.-Kriterium werden, wenn Wettbe- Strukturen und Prozesse schaffen Orientierung, Planbarkeit, werber ihre FuE-Prozesse schneller beginnen und dann auch Verlässlichkeit und Zugangsgerechtigkeit. Gleichwohl sind frühzeitiger mit den Ergebnissen am Markt sind. Verschie- erhebliche Flexibilitätsreserven noch zu heben. dene Stellschrauben erlauben es, hier die Geschwindigkeit deutlich zu erhöhen. Die Möglichkeit eines kontinuierlichen Deutlich wird: Experimentelle Formate müssen nicht Skizzeneingangs jenseits fester Stichtage erlaubt es den An- zwangsläufig die gesamte Förderpraxis aus den Angeln tragstellern, einen möglichen Projektstart mit ihren eigenen heben. Es gibt kurzfristig umsetzbare Maßnahmen wie das Erfordernissen abzustimmen. Ein internes Begutachtungs- Ausreizen des Rechtsrahmens, bevor auf lange Sicht der verfahren des Projektträgers ohne externe Gutachtende Rahmen womöglich geändert wird. Die Erneuerung der hat sich ebenfalls als schneller und flexibler herausgestellt. FuE+I-Förderung kann somit beides sein: Inkrementell und Zudem kann eine interne Begutachtung dazu beitragen, die disruptiv. Doch wenn der förderpolitische Wille, die Chancen Offenheit der Auswahlverfahren für Chancen und Risiken zu maximieren; anstatt die Risiken zu minimieren (bzw. diese zu erhöhen (siehe unten). Auch ein sogenannter vorzeitiger als systemimmanent in Kauf zu nehmen), als Grundmotiv Maßnahmenbeginn, also die Aufnahme der Projektarbeit den Kurs bestimmt, ergeben sich Handlungsmöglichkeiten, auf eigenes Risiko vor Übersendung des formalen Zuwen- die von der kurzfristigen Umsetzung im Rahmen einzel- dungsbescheids, kann gerade in zeitkritischen Prozessen ner Programme reichen bis hin zur Entwicklung vollständig sehr hilfreich sein. Insbesondere Unternehmen können von neuer Förder- und Finanzierungsmodelle, deren Umsetzung so einem vorzeitigen Maßnahmenbeginn profitieren. Ein kaum innerhalb einer Legislaturperiode machbar scheinen. letzter Beschleunigungsfaktor ist der weitgehende Verzicht auf Auflagen durch Gutachtende oder Projektträger. Hier könnten stattdessen Empfehlungen formuliert werden, die 3. Die Handlungsdimensionen nicht mehr aufschiebende Wirkung für den weiteren Bewilli- gungsprozess haben. Eine Reform der Innovationsförderung ist nicht erst seit ges- tern auf der Agenda. Gerade die Corona-Pandemie hat viele Schlankheit der Verfahren Akteure dazu gezwungen, Regelungen zu vereinfachen, das Die Vielzahl an Fördermaßnahmen und Verantwortlich- Tempo anzuziehen und mutiger Risiken in Kauf zu nehmen. keiten auf Seiten der Ressorts und Projektträger hat dazu Vielfach sind Erfahrungen also schon da, wie Innovations- geführt, dass Antragstellende immer wieder neu lernen förderung schneller, schlanker und erfolgreicher gemacht müssen, welche konkreten Anforderungen sie erfüllen und werden kann. Diese müssen nun verstetigt und in die Breite welche Formulare sie wie ausfüllen müssen. Ein schlankes getragen werden. Dabei ist zwischen einer Pflicht – also der Fördersystem, das die knappen Ressourcen der Akteure konsequenten Nutzung der bereits erprobten Verschlankun- optimal nutzt, sollte verstärkt auf möglichst einheitliche gen und Beschleunigungen – sowie einer Kür zu unterschei- Verfahren und Formulare setzen. Bereits in ersten Ansätzen den. Letztere richtet sich auf echte Neuerungen, auf mutige verwirklicht, aber noch nicht flächendeckend verfügbar sind Reformen und den Bruch mit hergebrachten Verfahren elektronische Antragsschnittstellen, die qualifizierte elektro- und Regularien. Es geht dabei darum, offener für Risiken nische Signaturen zulassen, Verfahren weiter vereinfachen und Chancen zu sein, deutlich flexibler auf neue Heraus- und über entsprechende Eingabemasken den weiteren forderungen zu reagieren und die Wirkung der Förderung Prüfungsprozess auch Projektträger-seitig schlanker und und die Verwertung ihrer Ergebnisse in den Mittelpunkt zu effizienter machen. Im Idealfall greifen Projektträger künftig stellen. bei Mehrfachantragstellern auf hinterlegte Daten der An- tragstellenden zurück, die für eine definierte Dauer (z. B. von drei Jahren) Gültigkeit haben und nur noch auf Aktualität zu prüfen sind (One-Stop-Shop). Werner Wilke § Peter Dortans § Jan Wessels § Marc Bovenschulte |4
VDI/VDE-IT § Positionspapier Auch die Prüfung der Bonität trägt heute noch erheblich zur gen mit sich. Studien zu Peer Reviews in der Wissenschaft3 Schwerfälligkeit von Antragsverfahren bei. Angesichts ge- haben gezeigt, dass unorthodoxe Ansätze eine geringere ringer Fallzahlen von tatsächlichen Insolvenzen in laufenden Chance haben, positiv bewertet zu werden. Belohnt wird Vorhaben und mit der Philosophie der öffentlichen Hand der Mainstream, und nicht selten werden in Anträgen im als „Risikokapitalgeber“ für besonders wünschenswerte Sinne eines „Bullshit Bingo“ alle momentan in Mode be- Innovationen gerade in Start-ups und KMU erscheint die findlichen Stichworte und Bezüge untergebracht. Um die Bonitätsprüfung derzeit zu streng und zu umständlich. Sie Diversität zu erhöhen und auch Außenseitern eine Chance benachteiligt insbesondere Start-ups, die die geforderten zu geben, können Losverfahren eine interessante Alternative Nachweise aufgrund der kurzen Zeit seit ihrer Gründung sein. Die Volkswagen-Stiftung hat solche Verfahren bereits teilweise nur schwer oder gar nicht erbringen können. in einem ersten Pilotprogramm getestet.4 Dabei wird nicht Die Vereinfachung der Bonitätsprüfung oder ein Verzicht völlig auf eine inhaltliche Begutachtung verzichtet. Diese auf diese für Start-ups ist daher ein wichtiger Schritt. Für dient aber vor allem dazu, besonders schwache Projektideen Anträge von KMU könnte künftig eine Auskunft (z. B. von im Vorfeld auszusortieren und besonders hochkarätigen Creditreform) an den Projektträger ausreichen. Bei der Prü- Ideen bereits frühzeitig eine Förderung zuzusichern. Alle fung kann zudem eine risikobasierte Prüfung angewendet anderen Projektideen werden in einem zweiten Schritt einer werden, bei der sich Aufwand und Tiefe der einzureichen- Zufallsauswahl unterzogen, anstatt nach einer inhaltlichen den Unterlagen und Prüfungen an einem Risikostatus orien- Bewertung ein Ranking der Anträge vorzunehmen und tieren. Auch kann es sinnvoll sein, statt auf Gutachten von dann die besser Platzierten zur Förderung auszuwählen. Ein Universitäten und Forschungseinrichtungen auf die Expertise solches Verfahren könnte übrigens nicht nur die Vielfalt der der Projektträger / Innovationsagenturen zu setzen, da hier Projektideen erweitern und mehr Raum für Neues geben, ein hohes fachliches Knowhow bei gleichzeitiger institutio- das Verfahren könnten auch schlanker umgesetzt werden neller Neutralität besteht. und die Geschwindigkeit des Antrags- und Bewilligungs- prozesses weiter erhöhen. Nicht jedes Programm wird In der Projektumsetzung werden die Berichtspflichten der sich gleichermaßen für ein solches Verfahren eignen. Eine Zuwendungsempfänger oft als aufwändige und wenig hinreichend große Anzahl an regelmäßigen Antragseingän- zielführende Pflichten beschrieben. Anstatt hier geduldiges gen und ein schlankes und wenig aufwändiges Verfahren Papier durch den Zuwendungsempfänger zu füllen, könnten sind hier Voraussetzung, um sowohl die Akzeptanz bei den Statustreffen unter Teilnahme der Projektträger oder der Antragstellenden sicherzustellen als auch das Losverfahren fördernden Fachreferate dazu genutzt werden, Projekt- selbst zu ermöglichen. Da es sich um einen komplett neuen fortschritt und Meilensteine zu dokumentieren und formal Ansatz der Projektauswahl handelt, sollte es im Rahmen „abzunehmen“. eines Piloten wissenschaftlich begleitet werden. Die bisherige Förderpraxis mit ihren elaborierten Auswahl- Die disruptive Chancendimension verfahren hat einen weiteren Nachteil: Der eigentliche Wettbewerb zwischen (potenziellen) Projektteams und ihren Wenn es um bahnbrechende Zukunftstechnologien und Ideen findet insbesondere in der Phase der Antragstellung wissenschaftliche Erkenntnisse geht, stellt sich natürlich die statt, nicht jedoch im anschließenden Forschungs- und Ent- Frage, ob neue Aufgaben nicht auch neue Herangehenswei- wicklungsprozess der Projektumsetzung. Verschiedene inter- sen erfordern: Welche Instrumente benötigt die Förderung national erfolgreiche Förderschemata setzen daher auf ein von „Next Big Things“? einfaches Prinzip: Das knallharte Erreichen von Zwischen- zielen. In einem fast schon klassischen Stage-Gate-Prozess Bislang basiert z. B. die Auswahl förderungsfähiger und werden (universitäre) Arbeitsgruppen dabei unterstützt, ihre -würdiger Vorhaben auf der wissenschaftlich-fachlichen ambitionierten aber gestuften Forschungsziele zu erreichen. Bewertung der Projektideen durch externe oder interne Oftmals treten dabei mehrere Gruppen im Wettbewerb Gutachten. Damit wird sichergestellt, dass Projekte wissen- gegeneinander an. Erreicht eine Gruppe das ins Auge ge- schaftlich auf der Höhe der Zeit und anschlussfähig an den fasste Zwischenziel, erhält sie Geld für die nächste Etappe aktuellen Diskurs sind; Exzellenz bleibt ein wesentliches Aus- – mit den Ansprüchen (und Risiken) steigt das Budget. Wird wahlkriterium. Allerdings bringt dieses an das Peer Review- jeweils das nächste Zwischenziel erreicht, geht die Reise wei- Prinzip angelehnte Verfahren auch spezifische Einschränkun- ter. Wenn nicht, endet die Förderung. Die Hoffnung dabei 3 https://pubsonline.informs.org/doi/pdf/10.1287/mnsc.2015.2285 4 https://www.volkswagenstiftung.de/unsere-foerderung/unser-foerderangebot-im-ueberblick/experiment Werner Wilke § Peter Dortans § Jan Wessels § Marc Bovenschulte |5
VDI/VDE-IT § Positionspapier ist, dass zumindest eine Gruppe so weit kommt, dass sie schaftseinrichtungen in die Förderung einbeziehen zu „technologische Meilensteine“ erreicht. In ähnlicher Weise können. Auch wenn Deutschland über ein leistungsfähiges funktionieren vielfältige internationale Technologiewettbe- Wissenschaftssystem verfügt, kann es dennoch sein, dass werbe, und hierzulande sind wir zurecht stolz darauf, dass ein europäisches oder auch internationales Institut den bes- sich etwa das Team der TU München hervorragend in Elon ten Beitrag in einem Projektkontext leisten kann. Und ganz Musks Hyperloop-Wettbewerb geschlagen hat und nun als nebenbei werden auf die Weise internationale Beziehungen Ausgründung auf eigenen Beinen steht.5 Dabei gilt nicht nur und Kooperationen gefördert – ein Umstand, der ange- in diesem Wettbewerb, sondern auch in DARPA-Challenges sichts der Tatsache, dass rund 90 % des weltweiten Wissens und anderen, dass deutsche Teams ausgesprochen erfolg- außerhalb von Deutschland erzeugt werden, von wachsen- reich mithalten und neben den technisch-wissenschaftlichen der Bedeutung sein wird. Hürden offensichtlich auch die administrativ-strukturellen überwinden. Zur Flexibilisierung beitragen kann auch weiterhin eine höhere Varianz der förderfähigen Projektformate Finanzielle Flexibilität und Output-Orientierung innerhalb eines Calls. Dies betrifft die Laufzeit von Projekten Ein wesentlicher Faktor für mehr Flexibilität in der Projekt- ebenso wie die Mittelausstattung. Sprints und Kurzläufer durchführung und damit auch ein Schritt hin zu schnellerer von einem Jahr Laufzeit sind je nach Themenzuschnitt Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen, unerwar- ebenso denkbar wie langlaufende Projekte von drei Jahren tete Projektverläufe und die vielen Überraschungen, die und länger. Dabei sollte sich der Beantragungs- und Bewil- Innovationsprozesse naturgemäß mit sich bringen, liegt ligungsaufwand je nach avisierter Projektlaufzeit bemessen: in einer neuen Gestaltung der Finanzierungsbedin- Minimaler Aufwand bei Kurzläufern und differenziertere gungen. Bislang müssen Projektpläne sehr detailliert und Projektplanung und Prüfung im Antragsprozess bei lang- weit in die Zukunft antizipierend erwartete Ausgaben und laufenden Vorhaben sollten die Regel sein, sind es oft aber Kostenpositionen aufschlüsseln. Relativ einfach in der Breite noch nicht. Auch mehrstufige Förderformate mit Stage-Gate umzusetzen ist die verstärkte Nutzung von Kostenpauscha- Prozessen (siehe oben) schaffen mehr Flexibilität und erlau- len, z.B. für Reisemittel oder Druckkosten. Einen größeren ben eine schnelle Anpassung an veränderte Anforderungen Schritt nach vorne würde die Einführung von Globalbud- und Projektentwicklungen. gets bedeuten. Dabei werden etwa nur noch Vielfache von beispielsweise 5.000 Euro beantragt und mit Arbeitsinhalten Impact-Orientierung und den damit verbundenen Kosten/Aufwenden hinterlegt Schließlich sollte eine maximale Impact-Orientierung und plausibilisiert. Und diese womöglich gar über Jahres- zur Regel der Innovationsförderung werden. Bislang sind scheiben übertragbaren Globalbudgets (Stichwort unterneh- Projekte noch zu sehr darauf ausgerichtet, die unmittelbaren merische Budgets statt Kameralistik) dürfen in Verbindung Projektziele zu erreichen um als erfolgreich zu gelten. Zwar mit harten Meilensteinen von den Projektpartnern auch werden Verwertungspläne geschrieben und die Verwertun- weitgehend frei und nach den jeweiligen Erfordernissen gen auch über das Ende der Förderung hinaus geprüft, je- eingesetzt werden. So wird zum Beispiel die Vergabe eines doch findet eine konkrete Unterstützung der Zuwendungs- Unterauftrags an einen bisher nicht benannten Dienst- empfänger nur selten statt. Ein systematisches Screening leister anstelle der ursprünglich vorgesehenen halben Stelle der Projekte gegen Ende der Projektlaufzeit könnte oder die Aufnahme eines neuen Projektpartners zur Verwertungsoptionen offenlegen, die innerhalb der Entscheidung der Zuwendungsempfänger, nicht des Projekt- Konsortiums vielleicht noch gar nicht gesehen wurden. Er- trägers. Das Augenmerk liegt auf den Ergebnissen anstatt gänzt durch ein aktives Matching der Projektpartner mit der minutiösen Beachtung stark reglementierter administ- weiteren Akteuren, z. B. Financiers bei Ausgründungen rativer Prozesse. Nicht alle Projektpartner müssen bereits im oder Verwertungspartnern im Rahmen einer Lizensierung, Projektantrag benannt werden, die Aufnahme neuer Partner könnte das Screening dazu beitragen, dass aus Projekter- wird zu einem wenig aufwändigen Prozess, der sich vor gebnissen noch öfter auch neue Produkte, Dienstleistungen allem am Beitrag zum Erreichen der beschriebenen Projekt- oder Prozessverbesserungen werden. Dabei sollten die ziele bemisst. Und die Ergebnisse sind durch die Zielsetzung vorhandenen Instrumente z. B. der Gründungsunter- des Wettbewerbs vorgegeben. Mit einer solchen Form der stützung systematischer mit den Instrumenten der FuE-För- Förderung bestellt der Staat gleichsam innovative Lösungen. derung verknüpft werden. Schon in laufenden FuE-Vorha- Eine strikte Output-Orientierung bei größtmöglicher Freiheit ben können die Weichen für eine erfolgreiche Beantragung beim „Wie“ dürfte hier viel Potenzial mobilisieren. Das muss von Gründungsunterstützung im direkten Anschluss an das auch für die Möglichkeit gelten, ausländische Wissen- Projektende gestellt werden, wenn hier eine aktive Bera- 5 https://tumhyperloop.de/?lang=de#home Werner Wilke § Peter Dortans § Jan Wessels § Marc Bovenschulte |6
VDI/VDE-IT § Positionspapier Änderungskomplexität Anteile am Projekterfolg und Geldrückflüsse Output-orientierte One-Stop-Shop- Globalbudgets Registrierung für alle Wettbewerbe mit Programme konkurrierenden Arbeitsgruppen Förderung nach dem Losverfahren PT-Expertise statt Überarbeitung Expertise anderer Handbuch der Institutionen Projektförderung Verschlankung Antragsverfahren (Time to Grant) Zeit Abbildung: Schematische Übersicht möglicher Elemente zur Chancenmaximierung staatlicher FuE+I-Förderung. tung und Schnittstellengestaltung erfolgt. Schließlich ist ein land hinaus. Dabei muss davon ausgegangen werden, intensiveres Monitoring der Impacts der FuE-Förderung dass in der Umsetzung wie bei allen innovativen Prozessen im Rahmen von Evaluationen notwendig, um länger- ungeahnte Herausforderungen und Lernerfahrungen fristige Effekte realistisch einschätzen zu können. Gerade warten. Die Vorschläge sind daher als Experiment zu sehen. eine stärker risikoorientierte Förderung muss nachweisen Schon das Ausreizen des Rechtsrahmens verbunden mit dem können, dass kurzfristige Ausfallrisiken (z. B. von gescheiter- Ziel, den Aufwand für die Förderung knapp und gleichsam ten Projekten) durch besonders innovative Projektergebnisse minimalistisch zu gestalten, um gerade eben den Vorgaben in anderen Projekten mehr als kompensiert werden können. zu genügen, dürfte ein Prozess sein, der ein gehöriges Maß Bislang fehlt der lange Atem in der Programmevaluation. an Abstimmung erfordert, da eine solche Förderung „ohne Wirkungen der Förderung werden meist nur auf kurze Airbag und Knautschzone“ fahren würde. Und sollte es Distanz (unmittelbar nach Programmabschluss) betrachtet, darüber hinaus zur Veränderung des Rechtsrahmens kom- die Wirkung von Projekten viele Jahre nach Projektende men, werden sich ohne Zweifel komplexere Fragestellungen bleibt eine Blackbox. Zwar stehen solchen Evaluationsansät- ergeben, die nicht auf Ebene eines einzelnen Programms, zen erhebliche methodische Herausforderungen gegenüber, eines spezifischen Projektträgers/einer Innovationsagentur dies kann aber kein hinreichender Grund sein, entsprechen- oder auch eines Ministeriums geregelt werden können. In de Analysen nicht zu wagen. Einmal mehr zeigt der Blick einen solchen Prozess müssen das Bundesfinanzministerium ins internationale Umfeld, dass hier bereits good practice und auch der Bundesrechnungshof einbezogen werden Beispiele vorliegen. Die schwedische Innovationsagentur – nicht als grimmige Prüfinstanz, sondern als Gestaltungs- Vinnova beispielsweise setzt solche Langzeit-Impact-Analy- partner. Darüber hinaus sind bei Fragen, die das europäische sen bereits sehr erfolgreich um.6 Wettbewerbsrecht betreffen, die entsprechenden Stellen einzubeziehen. All dies sind Aufgaben für einen disruptiven Wandel der FuE+I-Förderung, die mit hoher Wahrscheinlich- 4. Ausblick auf den Wandlungsprozess keit über eine Legislaturperiode hinausreichen. Die hier formulierten Elemente für eine auf die Maximierung Doch wie skizziert besteht die Möglichkeit, in vielen Be- von Chancen ausgerichtete Förderung von Forschungs-, Ent- reichen mit inkrementellen Änderungen der Förderung erste wicklungs- und Innovationsprojekten gehen zum Teil deutlich wichtige Schritte zu gehen und Erfahrungen zu sammeln, über die bewährte Praxis der Projektförderung in Deutsch- die auf die „großen Würfe“ einzahlen können (siehe Ab- 6 https://www.vinnova.se/en/our-activities/results-of-our-funding/evaluate-our-work Werner Wilke § Peter Dortans § Jan Wessels § Marc Bovenschulte |7
VDI/VDE-IT § Positionspapier bildung). Am Ende eines solchen Prozesses könnte dann sogar das stehen, was Mariana Mazzucato als Perspektive für den unternehmerischen Staat und seine Rolle in der FuE+I-Förderung skizziert: Seine Beteiligung am Erfolg von Innovationen.7 So ist denkbar, dass bei all jenen Projekten, an deren Ende die Gründung eines Start-ups steht, die öffentliche Hand einen (Aktien-) Anteil daran als stiller Teil- haber hält. Sollte sich das Start-up dann wirklich als Next Big Thing erweisen, hat der Staat die Chance, ein vielfaches seines ursprünglichen Investments zurückzuerhalten. Diese Gewinne könnten in einen Fonds für besonders riskante Projekte („Moon Shots“) einfließen, an dem sich gern auch die Privatwirtschaft beteiligen darf. Im Moment würde ein solches Vorgehen vermutlich schon daran scheitern, dass gar nicht vorgesehen ist, dass aus der Förderung Rückflüsse generiert und vereinnahmt werden. Der Fluss der Finanzmittel kennt bislang nur eine Richtung. Aber hier gilt wie für alle anderen gemachten Vorschläge: Es ist alles von Menschen gemacht und kann daher auch von Menschen geändert werden. Nun wird es darauf an- kommen, dass sich die richtigen Menschen und Institutionen zusammenfinden und in einer gemeinsamen Arena nach Lösungen suchen. Autoren Dr. Marc Bovenschulte Leiter Demografie, Cluster und Zukunftsforschung Biologe Peter Dortans Geschäftsführer der VDI/VDE-IT Diplomkaufmann Dr. Jan Wessels Leiter Innovationspolitik, Evaluation und Monitoring Politologe Herausgegeben von VDI/VDE Innovation + Technik GmbH Steinplatz 1 | 10623 Berlin www.vdivde-it.de Dr. Werner Wilke Bildnachweis Geschäftsführer der VDI/VDE-IT VectorMine/AdobeStock (Titelbild) Physiker 7 Siehe den Tweet vom 28. Juni 2018 unter https://twitter.com/mazzucatom/status/1010212885702889472?lang=de Werner Wilke § Peter Dortans § Jan Wessels § Marc Bovenschulte |8
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