Die Corona-Verordnungen in den Bundesländern - Ein aktueller Überblick über die Rechtsprechung auf Bundes- und Landesebene Stand: 30. April ...

 
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                                                                                                        Nr. 17/22

Die Corona-Verordnungen in den Bundesländern
- Ein aktueller Überblick über die Rechtsprechung auf Bundes- und Landesebene
  (Stand: 30. April 2020) -

Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie                    Rechtsverordnungen, die Handlungen eines
haben die Bundesländer auf Grundlage des In-               Verfassungsorgans 4 sind, scheidet nach den
fektionsschutzgesetzes des Bundes (IfSG) Ver-              gesetzlichen Regelungen eine Normenkon-
ordnungen zum Schutz vor bzw. zur Bekämp-                  trolle aus (§ 4 Abs. 1 Satz 2 AGVwGO). Eine Ver-
fung von Corona erlassen. Diese Verordnun-                 fassungsbeschwerde vor dem Verfassungsge-
gen waren inzwischen Gegenstand zahlreicher                richtshof Rheinland-Pfalz kommt regelmäßig
gerichtlicher Entscheidungen. Diese Ausgabe                erst nach der Erschöpfung des Rechtsweges 5
von „Im Fokus!“ bietet hierzu einen ausge-                 in Betracht (Grundsatz der Subsidiarität). 6
wählten, aktuellen Überblick (Stand: 30. April
2020).                                                     I. Vereinbarkeit der Verordnungsermächti-
                                                           gung mit höherrangigem Recht?
Voranzustellen ist, dass in Rheinland-Pfalz die
Verfassungsgemäßheit einzelner Bestimmun-                  1. Ermächtigungsgrundlage
gen der Corona-Bekämpfungsverordnung 1 zu-
nächst (inzident) von den Verwaltungsgerich-               Die Ermächtigung zum Erlass von Corona-
ten geprüft wird. 2 Das Oberverwaltungsgericht             Rechtsverordnungen findet sich in § 32 Satz 1
Rheinland-Pfalz hat entschieden, dass die                  i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG. Danach können
Überprüfung der Verordnung im Wege der                     die Landesregierungen unter den Vorausset-
Normenkontrolle (§ 47 VwGO) – anders als in                zungen, die für Infektionsschutzmaßnahmen
anderen Bundesländern – nicht möglich ist. 3               maßgebend sind (§§ 28 bis 31 IfSG), auch
Grund hierfür ist, dass die Rechtsverordnung               durch Rechtsverordnungen entsprechende
nicht durch die Landesregierung, sondern                   Gebote und Verbote zur Bekämpfung über-
durch das zuständige Ministerium erlassen                  tragbarer Krankheiten erlassen. Die Landesre-
wurde (ministerielle Rechtsverordnung). Für                gierungen können die Ermächtigung durch

1
  Vgl. nichtamtliche konsolidierte Fassung nach Er-        AS 2, 245 [253]; AS 10, 124 [125 f.]; AS 19, 121 [122
lass der Zweiten Landesverordnung zur Änderung             f.]; AS 26, 4 [8]; NVwZ 2001, 553 [554]).
der     Vierten    Corona-Bekämpfungsverordnung            5
                                                                Hinsichtlich einzelner Bestimmungen einer
Rheinland-Pfalz vom 24.04.2020.                            Rechtsverordnung besteht in der Regel die Mög-
2
  Siehe VG Mainz, Beschluss vom 24.04.2020, Az. 1 L        lichkeit, zunächst – und regelmäßig auch sehr zeit-
253/20.MZ.                                                 nah – (einstweiligen) Rechtsschutz vor den Verwal-
3
    Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom                tungsgerichten zu suchen.
16.04.2020, Az. 6 B 10497/20.OVG.                          6
                                                             VerfGH Rlp, Beschluss vom 29.04.2020, Az. VGH B
4
  Hierzu zählen nach der ständigen Rechtsprechung          26/20, VGH A 27/20, Beschluss vom 30.04.2020, Az.
des VerfGH Rlp auch einzelne Minister (VerfGH Rlp,         VGH B 25/20.

                     Susanne Schmuck • Tel.: 06131 208-2425 • Susanne.Schmuck@landtag.rlp.de
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      Rechtsverordnung auf andere Stellen übertra-             einen weiten Gestaltungsspielraum der Ver-
      gen (§ 32 Satz 2 IfSG).                                  waltung und eine flexible Handhabung des
                                                               ordnungsbehördlichen       Instrumentariums,
      2. Bestimmtheitsgebot                                    entschieden die Richter. Lägen neue, in ihrer
                                                                                       10

                                                               Entwicklung nur mit erheblichen Unsicherhei-
      Die Gerichte entschieden im Rahmen der Eil-              ten prognostizierbare Bedrohungslagen vor,
      verfahren, dass diese gesetzliche Ermächti-              sei jedenfalls für eine Übergangszeit der
      gungsgrundlage dem Bestimmtheitsgebot aus                Rückgriff auf die infektionsschutzrechtliche
      Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG genüge. Inhalt, Zweck           Generalklausel selbst dann hinzunehmen,
      und Ausmaß der vom Gesetzgeber erteilten                 wenn es zu wesentlichen Grundrechtseingrif-
      Verordnungsermächtigung seien danach als                 fen komme.
      hinreichend bestimmt anzusehen. 7
                                                               Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat in
      3. Parlamentsvorbehalt                                   seiner jüngsten Entscheidung darauf hinge-
                                                               wiesen, dass er bisher vorläufig von einer Ver-
      Das Oberverwaltungsgericht Bremen sah in                 einbarkeit der auf §§ 32, 28 IfSG gestützten
      seiner Entscheidung zu einem Eilverfahren                Maßnahmen mit dem Vorbehalt des Gesetzes
      keinen Verstoß des Infektionsschutzgesetzes              ausgegangen sei. Sollte sich aufgrund der
      (§ 28 Abs. 1 S. 1 IfSG – Schutzmaßnahmen) ge-            Fortentwicklung der Pandemielage jedoch zei-
      gen den Parlamentsvorbehalt („Wesentlich-                gen, dass die grundrechtsbeeinträchtigenden
      keitstheorie“). 8 Danach hat der Parlamentsge-           Maßnahmen nicht mehr nur kurzfristiger Na-
      setzgeber alle wesentlichen Angelegenheiten              tur seien, sondern längere Zeit fortdauerten,
      selbst zu regeln. Je wesentlicher die Angele-            erscheine zweifelhaft, ob der Vorbehalt des
      genheit ist, vor allem je intensiver in Grund-           Gesetzes ohne den Erlass eines Maßnahmege-
      rechte eingegriffen wird, desto genauer muss             setzes durch den parlamentarischen Gesetz-
      das Parlament diesen Eingriff normieren. Hin-            geber gewahrt werden könne. 11
      tergrund ist, dass das Parlament als Verfas-
      sungsorgan unmittelbar demokratisch legiti-              II. Ausgewählte Entscheidungen zu Regelun-
      miert ist. Ferner ist allein im parlamentari-            gen der Corona-Verordnungen
      schen Gesetzgebungsverfahren die notwen-
      dige Transparenz gewährleistet. 9 Die Rege-              Nachfolgend wird ein Überblick zu ausgewähl-
      lungsmaterie „Gefahrenabwehr“, zu der auch               ten, aktuellen gerichtlichen Entscheidungen
      das Infektionsschutzgesetz gehöre, erfordere             im Zusammenhang mit den Verordnungen der

      7
        Vgl. BayVerfGH, Beschluss vom 30.03.2020, Az. 20       8
                                                                  OVG Bremen, Beschluss vom 22.04.2020, Az. 1 B
      NE 20.632, NJW 2020, S. 1236 ff.; OVG Berlin-Bran-       111/20; OVG Bremen, Beschluss vom 09.04.2020,
      denburg, Beschluss vom 17.04.2020, Az. OVG 11 S          Az. 1 B 97/20.
      22/20; OVG Bremen, Beschluss vom 22.04.2020, Az.         9
                                                                  Grundlegend BVerfGE 49, 89; siehe auch BVerfGE
      1 B 111/20; Hess. VGH, Beschluss vom 07.04.2020,         104, 151; BVerfGE 121, 135.
      Az. 8 B 892/20.N und Beschlüsse vom 08.04.2020,          10
                                                                  OVG Bremen, Beschluss vom 22.04.2020, Az. 1 B
      Az. 8 B 910/20.N, 8 B 913/20.N; OVG M-V, Beschluss       111/20; OVG Bremen, Beschluss vom 09.04.2020,
      vom 08.04.2020, Az. 2 KM 236/20 OVG; OVG Saar-           Az. 1 B 97/20.
      louis, Beschlüsse vom 22.04.2020, Az. 2 B 128/20         11
                                                                  BayVerfGH, Beschluss vom 27.04.2020, Az. 20 NE
      und 2 B 130/20.                                          20.793.

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      Bundesländer zum Schutz bzw. der Bekämp-               lerdings gelockert werden. 13 Aktuell bestün-
      fung von Corona gegeben (Stand: 30. April              den keine belastbaren Gründe mehr für die
      2020).                                                 uneingeschränkte Fortdauer der strengen
                                                             saarländischen Regelung des Verbots des Ver-
      1. Ausgangsbeschränkungen                              lassens der Wohnung. Zum einen lasse sich
                                                             aus einem Vergleich der Infektions- und Ster-
      Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) lehnte           beraten in den deutschen Bundesländern mit
      einen Eilantrag gegen die bayerische Aus-              und ohne Ausgangsbeschränkung kein Rück-
      gangbeschränkung wegen der Corona-Pande-               schluss auf die Wirksamkeit der Ausgangsbe-
      mie als unbegründet ab. 12 Der Antragsteller           schränkung ziehen. Dies werde durch eine ak-
      hatte die Verbote, Freunde zu treffen, seine El-       tuelle Studie von Schweizer Wissenschaftlern
      tern zu besuchen, zu demonstrieren oder neue           bestätigt, nach der Ausgangbeschränkungen –
      Menschen kennenzulernen, für zu weitgehend             im Gegensatz zum Verbot von Veranstaltungen
      gehalten.                                              oder anderen Zusammenkünften – nur geringe
                                                             zusätzliche Auswirkungen auf das Infektions-
      Zwar beschränken die angegriffenen Maßnah-             geschehen hätten. Zum anderen habe die Na-
      men die Grundrechte der Menschen, die sich             tionale Akademie der Wissenschaften Leopol-
      in Bayern aufhalten, erheblich, so die Verfas-         dina dazu geraten, sobald irgend möglich eine
      sungsrichter. Die Folgen der angegriffenen             vorsichtige Lockerung der Freiheitsbeschrän-
      Schutzmaßnahmen seien aber nicht im gefor-             kungen einzuleiten, um weitere kollaterale
      derten Maß unzumutbar. Es erscheine nicht              Nachteile zu beschränken und die Akzeptanz
      untragbar, sie vorübergehend zurückzustel-             in der Bevölkerung zu erhalten. Ab sofort
      len, um einen möglichst weitgehenden Schutz            seien damit Treffen von Eheleuten, Lebens-
      von Gesundheit und Leben zu ermöglichen, zu            partnerinnen und Lebenspartnern, Verwand-
      dem der Staat grundsätzlich auch nach der              ten in gerader Linie sowie Geschwistern und
      Verfassung verpflichtet sei. Gegenüber den             Geschwisterkindern oder in häuslicher Ge-
      Gefahren für Leib und Leben wiegten die Ein-           meinschaft miteinander lebenden Personen
      schränkungen der persönlichen Freiheit weni-           zuzüglich maximal einer weiteren Person – un-
      ger schwer. Dabei sei auch zu berücksichtigen,         ter Beachtung des Kontaktreduzierungs- und
      dass die Regelungen befristet seien, bezüglich         des Abstandsgebots – im privaten Raum er-
      der Ausgangsbeschränkungen viele Ausnah-               laubt. Erlaubt sei – ebenfalls unter Beachtung
      men vorsähen und bei der Ahndung von Ver-              des Kontaktreduzierungs- und Abstandsge-
      stößen im Einzelfall im Rahmen der Ausübung            bots – das Verweilen im Freien.
      des Ermessens individuellen Belangen von be-
      sonderem Gewicht Rechnung zu tragen sei.

      Nach einer jüngeren Entscheidung des Verfas-
      sungsgerichtshofs des Saarlandes müssen die
      saarländischen Ausgangsbeschränkungen al-

      12
        BVerfG, Beschluss vom 07.04.2020, Az. 1 BvR          13
                                                               VerfGH Saarbrücken, Beschluss vom 28.04.2020,
      755/20.                                                Az. Lv 7/20.

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      Demgegenüber entschieden sich die Gerichte                würden. Allgemeine Gesundheitsgefahren
      anderer Bundesländer dagegen, die Aus-                    durch das Tragen einer Schutzmaske sind mit
      gangsbeschränkungen zu lockern. 14 Der Baye-              hinreichender Sicherheit auszuschließen, so
      rische Verfassungsgerichtshof hob hervor,                 das Gericht. Insgesamt wögen die möglichen
      dass der Gesetzgeber dem Robert Koch-Insti-               Einschränkungen der persönlichen Freiheit
      tut im Zusammenhang mit dem Infektions-                   gegenüber den Gefahren für Leib und Leben
      schutz eine maßgebliche Rolle eingeräumt                  weniger schwer.
      hat. 15 Zwar habe sich nach dessen Lagebericht
      vom 22. April 2020 die relative Ausbreitungs-             Auch das Verwaltungsgericht Hamburg ent-
      geschwindigkeit des Virus in jüngerer Zeit ver-           schied, dass die Verpflichtung, eine Mund-Na-
      ringert. Nach wie vor seien die gemeldeten In-            sen-Bedeckung zu tragen, die Adressaten
      fektionszahlen aber hoch. Die Zahl der Anste-             nicht in unzulässiger Weise in ihrem allgemei-
      ckungen würde bei ungehinderten sozialen                  nen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG
      Kontakten erheblich zunehmen. Die demge-                  i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) verletze. 17
      genüber annähernd sichere Einschränkung
      von Grundrechten durch die angegriffene Ver-              3. Schließung von Gaststätten
      ordnung hätte demgegenüber geringeres Ge-
      wicht. Die Ausgangsbeschränkungen seien da-               Die Schließung von Gaststätten begründet
      her nicht außer Vollzug zu setzen.                        eine erhebliche Einschränkung der Berufsaus-
                                                                übungsfreiheit, die teilweise massive Einkom-
      2. Maskenpflicht                                          menseinbußen bis hin zur Existenzgefährdung
                                                                mit sich bringe, entschied das OVG Bremen. 18
      Die „Maskenpflicht“ nach der rheinland-pfälzi-            Ziel der Verordnung sei aber unmittelbar die
      schen Corona-Bekämpfungsverordnung ist                    befristete Verhinderung weiterer Infektionsfä-
      derzeit als gerechtfertigt anzusehen, ent-                lle, mittelbar die Gewährleistung einer mög-
      schied das Verwaltungsgericht Mainz. 16 Eine              lichst umfassenden medizinischen Versorgung
      Rechtsverletzung durch die Verpflichtung,                 von Personen, die an COVID-19 erkrankt seien.
      beim Einkaufen und bei der Nutzung des ÖPNV               Zur Erreichung dieses Ziels sei die Schließung
      eine „Mund-Nasen-Bedeckung“ zu tragen, sei                von Gaststätten nach summarischer Prüfung
      nicht zu erkennen. Sofern Eingriffe in Grund-             geeignet, erforderlich und angemessen. Denn
      rechte angenommen würden, seien diese je-                 die Verbreitung des Coronavirus sei ohne
      denfalls als gerechtfertigt anzusehen. Mit der            drastische staatliche Maßnahmen nicht aufzu-
      „Maskenpflicht“ solle eine Überlastung des                halten und könne ungebremst binnen weniger
      Gesundheitssystems verhindern werden, in-                 Monate zum Kollaps des staatlichen Gesund-
      dem möglichst neue Ansteckungen vermieden

      14
         Vgl. BayVerfGH, Entscheidung vom 24.04.2020, Az.       16
                                                                    VG Mainz, Beschluss vom 28.04.2020, Az. 1 L
      Vf. 29-VII-20; VerfGH Berlin, Beschluss vom               276/20.MZ.
      14.04.2020, Az. 50 A/20; Hess. VGH, Beschluss vom         17
                                                                   VG Hamburg, Beschluss vom 27.04.2020, Az. 10 E
      08.04.2020, Az. 8 B 910/20.N; SächsOVG, Beschuss          1784/20.
      vom 07.04.2020, Az. 3 B 111/20.                           18
                                                                   OVG Bremen, Beschluss vom 22.04.2020, Az. 1 B
      15
         BayVerfGH, Entscheidung vom 24.04.2020, Az. Vf.        111/20; siehe auch OVG Saarlouis, Beschlüsse vom
      29-VII-20; siehe auch BayVerfGH, Entscheidung             22.04.2020, Az. 2 B 128/20 und 2 B 130/20.
      vom 26.03.2020, Az. Vf. 6-VII-20.

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      heitssystems führen, wie es in anderen Staa-              5. Verbot von Gottesdiensten 21
      ten bereits zu beobachten sei. Besondere Här-
      ten infolge der Gaststättenschließungen, ins-             In seiner jüngsten Entscheidung vom 29. April
      besondere Existenzgefährdungen, könnten                   2020 setzte das BVerfG das Gottesdienstver-
      insbesondere durch die im Rahmen der unter-               bot nach der niedersächsischen Corona-Ver-
      schiedlichen auch bereits bereitgestellten                ordnung insoweit außer Vollzug, als danach
      staatlichen Soforthilfen abgefedert werden. 19            ausgeschlossen ist, auf Antrag im Einzelfall
      Nach alldem überwiege das öffentliche Inte-               Ausnahmen von dem Verbot zuzulassen. 22 Ein
      resse an Leben und körperlicher Unversehrt-               Verein hatte sich mit seinem Eilantrag an das
      heit der Bevölkerung gegenüber den privaten,              BVerfG gewandt, weil er in dem Verbot von
      vorwiegend wirtschaftlichen Interessen der                Gottesdiensten in Moscheen einen schwerwie-
      Gaststättenbetreiber.                                     genden Eingriff in die Glaubensfreiheit sah.
                                                                Das Verbot hindere ihn insbesondere daran,
      4. Schulbesuchspflicht                                    während des Fastenmonats Ramadan das
                                                                Freitagsgebet mit den Mitgliedern in der Mo-
      Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat die              schee durchzuführen. Ein generelles Verbot
      Regelungen nach der Corona-Verordnung                     von Gottesdiensten in Moscheen verstößt vo-
      über den Schulbesuch für Schülerinnen und                 raussichtlich gegen die Religionsfreiheit (Art. 4
      Schüler der 4. Jahrgangsstufe der Grundschu-              GG), entschieden die Verfassungsrichter. Die
      len bis zum 3. Mai 2020 außer Vollzug ge-                 Einschätzung des Risikos von Infektionen
      setzt. 20 Die Präsenzpflicht für diese Schülerin-         durch Kontakte zwischen Personen hänge bei
      nen und Schüler führe zu einer Ungleichbe-                der Veranstaltung von Gottesdiensten in Mo-
      handlung. Denn mit Ausnahme der Viertkläss-               scheen in deutlich größerem Umfang als bei
      ler seien sämtliche Schülerinnen und Schüler,             Verkaufsstätten von den konkreten Umstän-
      die sich keiner Abschlussprüfung unterziehen              den des Einzelfalles ab. Der islamische Gottes-
      müssten, von der Schulpflicht befreit und                 dienst unterscheide sich erheblich, je nach-
      müssten sich somit keinem erhöhten Infekti-               dem, welche Lehre zugrunde gelegt werde (z.B.
      onsrisiko aussetzen. Die in den jetzt noch ver-           in Bezug auf das Singen und Beten). Auch seien
      bleibenden Wochen des Schulhalbjahres zu                  Größe, Lage und bauliche Beschaffenheit der
      erwartenden Leistungen der Viertklässler                  jeweiligen Moschee sowie Größe und Struktur
      seien für ihre weitere schulische Laufbahn                der Religionsgemeinschaft für die Risikoein-
      ohne Bedeutung. Denn der Übertritt zur wei-               schätzung von Bedeutung. Bei der derzeitigen
      terführenden Schule erfolge auf der Grund-                Gefahrensituation und der sich hieran an-
      lage des Halbjahreszeugnisses. Zudem habe                 schließenden aktuellen Strategie zur Bekämp-
      die Wahl der weiterführenden Schule durch                 fung der epidemiologischen Gefahren sei es
      die Erziehungsberechtigten in Hessen bis zum              nicht vertretbar, dass die niedersächsische
      5. März 2020 getroffen werden müssen.

      19
         Vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 09.04.2020, Az. 1       08.04.2020, Az. OVG 11 S 21/20; Hess. VGH, Be-
      B 97/20.                                                  schluss vom 07.04.2020, Az. 8 B 892/20.N; VG Berlin,
      20
          Hess. VGH, Beschluss vom 24.04.2020, Az. 8 B          Beschluss vom 07.04.2020, Az. VG 14 L 32/20.
      1097/20.N.                                                22
                                                                   BVerfG, Beschluss vom 29.04.2020, Az. 1 BvQ
      21
          Zur Abhaltung von Gottesdiensten siehe auch           44/20.
      OVG       Berlin-Brandenburg,   Beschluss     vom

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      Verordnung keine Möglichkeit für eine aus-              werden könne, das Verbot von Gottesdiensten
      nahmsweise Zulassung solcher Gottesdienste              unter - gegebenenfalls strengen - Auflagen
      in Einzelfällen eröffne. Der Verein habe in sei-        und möglicherweise auch regional begrenzt zu
      nem Antrag mögliche Schutzvorkehrungen                  lockern.
      aufgezeigt, um eine relevante Erhöhung der
      Infektionsgefahr zu vermeiden (z.B. Tragen              Das Thüringer Oberverwaltungsgericht hatte
      von Mund-Nasen-Bedeckung, Sicherheitsab-                in seine Entscheidung des Weiteren einbezo-
      stand, Reduzierung der Personenanzahl). Die             gen, dass die Öffentlichkeit von Gottesdiens-
      zuständigen Behörden haben nun nach der                 ten auch durch den Einsatz moderner digitaler
      verfassungsgerichtlichen Entscheidung auf               Medien hergestellt werden könne. 24
      Antrag – gegebenenfalls in Abstimmung mit
      der zuständigen Gesundheitsbehörde – ein-               6. Abgeordnetenrechte
      zelfallbezogen zu prüfen, ob ausnahmsweise
      bei situationsbezogen geeigneten Auflagen               Der Verfassungsgerichtshof Berlin wies den
      und Beschränkungen Gottesdienste stattfin-              Eilantrag eines Mitglieds des Abgeordneten-
      den können, soweit eine relevante Erhöhung              hauses gegen die SARS-CoV-2-Eindämmungs-
      der Infektionsgefahr zuverlässig verneint wer-          maßnahmenverordnung zurück. 25 Nach der
      den kann.                                               Verordnung müssen Abgeordnete, wenn Sie
                                                              wegen ihrer Abgeordnetentätigkeit ihre Woh-
      Das Verbot von Zusammenkünften in Kirchen               nung verlassen, diesen Grund bei einer Kon-
      nach der hessischen Corona-Verordnung war               trolle durch die Polizei oder die zuständigen
      zuvor Gegenstand eines Eilverfahrens vor dem            Ordnungsbehörden glaubhaft machen. Für die
      BVerfG. 23 Die Verfassungsrichter sahen in dem          Glaubhaftmachung kann von dem Abgeordne-
      Verbot einen überaus schwerwiegenden Ein-               ten nicht mehr verlangt werden, als dass er
      griff in die Glaubensfreiheit des Antragstellers.       sich als solcher ausweist und versichert, dass
      Dennoch sei dem Schutz vor den mit einer Vi-            er mandatsbezogen seine Wohnung verlassen
      rus-Infektion einhergehenden Gefahren für               habe, so die Verfassungsrichter. Eine weiter-
      Leib und Leben derzeit der Vorrang einzuräu-            gehende Kontrolle auch nur der Plausibilität
      men. Durch die Befristung der Verordnung sei            seiner Erklärung habe zu unterbleiben. Das ge-
      sichergestellt, dass bei einer Fortschreibung           biete die Bedeutung des freien Mandats und
      neuere Entwicklungen der Corona-Pandemie                der Funktionsfähigkeit der Legislative. Die
      berücksichtigt werden müssten. Bei jeder                Glaubhaftmachung umfasse damit auch nicht
      Fortschreibung müsse eine strenge Prüfung               die Offenbarung von Informationen, die vom
      der Verhältnismäßigkeit erfolgen und unter-             Zeugnisverweigerungsrecht erfasst seien.
      sucht werden, ob es angesichts neuer Erkennt-
      nisse etwa zu den Verbreitungswegen des                 Eine vergleichbare Regelung enthält die rhein-
      Corona-Virus oder zur Gefahr einer Überlas-             land-pfälzische Corona-Bekämpfungsverord-
      tung des Gesundheitssystems verantwortet                nung nicht.

      23
         BVerfG, Beschluss vom 10.04.2020, Az. 1 BvQ          25
                                                                VerfGH Berlin, Beschluss vom 17.04.2020, Az. Ver-
      28/20.                                                  fGH 51 A/20.
      24
         ThürOVG, Beschluss vom 9.04.2020, Az. 3 EO
      238/20.

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