"Die englische Liga erdrückt uns alle" - Sport - Spiegel
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Sport „Die englische Liga erdrückt uns alle“ SPIEGEL-Gespräch Karl-Heinz Rummenigge, 60, Vorstandsvorsitzender des FC Bayern München, über explodierende Einnahmen durch die Champions League und die Übermacht seines Vereins SPIEGEL: Herr Rummenigge, retten oder Wochenende ins Stadion gehen, dürfen zerstören Sie gerade den deutschen Profi- wir nie aus den Augen verlieren. Und so fußball? habe ich auch als Vorsitzender der Euro- Rummenigge: Sie beziehen sich auf die 2018 pean Club Association (ECA) in den Ver- beginnende Champions-League-Reform? handlungen argumentiert. Aus Sicht der Bundesliga bewerte ich die SPIEGEL: War die Reform der Champions Reform als sehr tragfähigen Kompromiss. League notwendig, um den Ausverkauf Wie oft bei Kompromissen ist es eine Lö- von Spielern zu verhindern? sung, bei der alle Beteiligten einen Beitrag Rummenigge: Wenn Manchester United für zu leisten hatten. Paul Pogba 105 Millionen Euro zahlt, dann SPIEGEL: Es schien so, als wären selbst Fuß- ist das schon einmal ein neuer Weltrekord. ball-Insider von der Reform überrascht Aber das noch größere Problem stellen die worden. Gehälter für uns alle dar: Die Engländer Rummenigge: Wir haben über Monate dis- können jedem Spieler aus der Bundesliga, kutiert, die Uefa hat sich in Deutschland auch wenn er noch drei, vier Jahre Ver- mit Vertretern der Deutschen Fußball Liga trag hat, Angebote machen. Und das tun getroffen. Klubs wie Schalke, Bayer Lever- sie auch, weil sie sich Qualität einkaufen kusen und einige andere Vereine sind ge- müssen. hört worden. Man hat natürlich auch ihre SPIEGEL: Deshalb will die Champions Interessen berücksichtigt. League jetzt die Zahlungen aus dem Markt- SPIEGEL: Warum war die Reform denn so pool herunterfahren? Vom Marktpool pro- notwendig? fitieren die Länder mit dem lukrativsten Rummenigge: Die Zuschauer und die TV- Fernsehmarkt, also vorneweg England. Anstalten haben heute einen höheren An- Rummenigge: Der Marktpool, um das ver- spruch als früher. Der sogenannte Markt ständlich zu machen, ist der Betrag, der hat heute emotionale Anforderungen. Die nicht nach Leistung an die Klubs bezahlt Gruppenphase ist aber nicht mehr so span- wird, sondern nach dem Anteil der TV- nend, wie das früher oft genug der Fall Erlöse in dem jeweiligen Land. Bis auf die DIETER MAYR war. Das galt es zu lösen. Außerdem gibt Italiener und die Engländer haben sich es viele Investoren, die ihr Geld im Fußball alle über die starke Gewichtung des anlegen wollen. Was wäre wohl passiert, Marktpools aufgeregt, da dieser 40 Pro- wenn die großen Vereine des europäischen zent der Einnahmen jedes teilnehmenden Fußballs dem Lockruf des Geldes erlegen wären? Die Champions League wäre, sa- „Der Anteil Bayern Vereins ausmacht. Man muss die Differenz einmal genauer analysieren: Wir Deut- lopp formuliert, in die Luft geflogen. Es Münchens könnte im schen haben knapp 10 Prozent Anteil am gab Pläne für eine Superliga, in der alle Topklubs wesentlich mehr Geld eingenom- besten Fall auf 109 Marktpool, die Engländer fast 30 Prozent. Die Schweden, die Holländer, die Belgier men hätten. Die Reform schützt die Cham- Millionen Euro steigen.“ haben marginale Anteile. Mit der Reform pions League in ihrer jetzigen Form und wird ein Klub wie Gent, der in der ver- bleibt unter dem Dach der Uefa bestehen. gangenen Saison ins Achtelfinale gekom- SPIEGEL: Es gibt Hinweise, dass Investoren betrifft alle. Real Madrid genauso wie den men ist, spürbar mehr als zuvor verdienen, bereit waren, den großen Vereinen jährlich FC St. Pauli. weil der Marktpool bei der Geldverteilung bis zu 200 Millionen Euro für ihre Teilnah- SPIEGEL: Sie haben im Januar bei einer Ver- dann nicht mehr so stark zu Buche schlägt. me an einer Superliga zu zahlen. Wie anstaltung an einer Universität in Italien Auch in der Spitze gibt es Beispiele dafür, konnte man sich vor diesem Hintergrund selbst den Gedanken der Superliga entwi- dass der Marktpool nicht mehr wett- auf die Reform der Champions League ei- ckelt. Gab es bei Ihnen einen Umden- bewerbsgerecht war: Real Madrid hat im nigen? kungsprozess? Mai Manchester City im Halbfinale aus Rummenigge: Die Interessenlage ist in der Rummenigge: Mir wurde damals die Frage der Champions League geworfen und Tat sehr unterschiedlich, aber im Kern se- gestellt, wie der Fußball in zehn Jahren später das Finale gewonnen. Trotzdem hat hen alle eine große Bedrohung durch die aussieht. Und ich habe gesagt, dass ich ManCity am Ende der Saison vier Mil- wirtschaftliche Stärke der Premier League. nicht ausschließen möchte, dass es irgend- lionen mehr an der Champions League Mit ihren 3,3 Milliarden Euro Fernsehgel- wann zu einer Superliga aus den fünf gro- verdient. dern pro Saison erdrückt sie uns alle. Die ßen europäischen Ligen kommen könnte. SPIEGEL: Sie sind Vorsitzender der ECA, englischen Klubs agieren und beherrschen Mir waren damals bereits die Gedanken einer Organisation, die die wichtigsten Ver- damit den globalen Transfermarkt. Das einiger Vertreter des Spitzenfußballs be- eine Europas vertritt. War die Veränderung kannt. Doch ähnlich wie andere tragen wir des Marktpools Ihre Idee? Das Gespräch führten die Redakteure Rafael Buschmann vom FC Bayern eine gewisse Verantwor- Rummenigge: Die ECA vertritt weit mehr und Udo Ludwig. tung für den Fußball. Diejenigen, die jedes als 200 Vereine aus ganz Europa, da ist al- 106 DER SPIEGEL 38 / 2016
les vertreten: der FC Barcelona genauso wie Bate Borissow. Die Idee, die Gewich- tung des Marktpools zu verändern, wurde in langen und schwierigen Diskussionen geboren. Wie gesagt, es ist ein Kompro- miss. Deshalb ist es lächerlich zu behaup- ten, es sei nur darum gegangen, die Rei- chen noch reicher und die Armen noch ärmer werden zu lassen. Wer so etwas sagt, der hat sich mit den Reformen nicht wirk- A. BEIER / GETTY IMAGES FOR FC BAYERN lich detailliert auseinandergesetzt und ignoriert, dass sich die Schere ohne Reform noch weiter geöffnet hätte. Übrigens wird es eine Quersubventionierung der Europa League durch die Champions League in Höhe von circa 250 Millionen Euro geben und dazu eine Solidaritätszahlung in Höhe Bayern-Profis Arturo Vidal, Lewandowski von 128 Millionen an die europäischen Profi- ligen. SPIEGEL: Sie haben kein Verständnis für Kri- tiker, die befürchten, dass Bayern Mün- Sprudelnde Quelle chen immer mächtiger wird? Aktuell verteilt die Uefa 1,3 Milliarden Euro an die Aus dem Marktpool werden dann nur noch 15 Rummenigge: Bayern München hat kein In- Teilnehmer der Champions League. 40 Prozent Prozent gezahlt. 25 Prozent machen die Start- teresse an Macht nur um der Macht willen. kommen aus dem Marktpool, der den Wert des gelder aus, 30 Prozent die Prämien. 30 Prozent Aber ich bin ein Freund der These: Wer Fernsehmarkts in einem Land spiegelt, 60 Pro- werden über einen neuen Koeffizienten verteilt. Leistung bringt und Erfolg hat, sollte ent- zent entfallen auf Startgeld und Prämien. Ab 2018 Er soll die Erfolge der vergangenen fünf Jahre werden etwa 2 Milliarden Euro ausgeschüttet. und auch frühere Titelgewinne berücksichtigen. sprechend entlohnt werden. So funktio- niert es ja auch bei den Spielern. Manch- Wie sich die Einnahmen Saison Real M mal ist es so, dass Reformen erst mit der 2018/19 a dr i d Zeit richtig verstanden werden. ausgewählter Clubs aus der Champions League 136 SPIEGEL: Wie viel Geld wird der FC Bayern + 72 % verändern werden denn mehr einnehmen? in Millionen Euro Saison Rummenigge: Die Uefa hat eine Simulation 2015/16 entworfen, mit der man die vergangene 79 Atl Champions-League-Saison nach den Kri- é t ic o terien der neuen Reform durchspielen Porto + 141 % Ma kann und die auch die erhöhten Gesamt- FC 11 d ri 53 9 einnahmen aus der TV-Vermarktung be- d + 59 % rücksichtigt. Klar, das ist alles sehr hypo- en + 73 % thetisch, aber so bekommt man ein wenig 69 54 v o dh mehr Gefühl für die finanzielle Seite der Ei n Reform. Nehmen Sie zum Beispiel den FC 22 PSV Porto: Der Verein hat in der vergangenen Baye 34 Saison in der Champions League 22 Mil- r n M ü nc lionen Euro verdient. Nach der neuen Re- + 64 % form und bei gleicher Saisonleistung wür- 109 Man. United 64 de er nun 53 Millionen Euro verdienen. 59 hen 36 Das ist ein Plus von mehr als 140 Prozent. Der Anteil von Bayern München mit einem erneuten Halbfinaleinzug könnte + 70 % nach der Simulation im besten Fall von 64 Millionen auf maximal 109 Millionen Euro steigen. Die Steigerung hat in Teilen –7 % it y mit der veränderten Gewichtung des te r C Marktpools zu tun, vor allem aber damit, 63 83 AS 68 m dass von 2018 an 3,2 Milliarden statt wie M a 05 hes Ro gegenwärtig 2,4 Milliarden Euro für 1 nc Europa League und Champions League ausgeschüttet werden. Die Steigerung der + 27 % TV-Gelder hat nichts mit der Reform zu tun. Das darf man nicht vermischen. + 22 % 76 70 ain SPIEGEL: Durch das internationale Geld 9 r m nimmt die Chancengleichheit für andere Juv 3 69 97 nt- Ge Vereine der Bundesliga jedoch weiter ab. en a i tu s Rummenigge: Die Problematik heute liegt FC is S sicherlich darin, dass der Fußball sich glo- + 36 % 94 + 39 % Pa r bal extrem weiterentwickelt und der Wett- *ohne Zuschauereinnahmen C h els e a F C DER SPIEGEL 38 / 2016 107
Sport DIE GROSSE SAMSTAGSDOKUMENTATION SAMSTAG, 17. 9., 20.15 – 0.20 UHR | VOX bewerb sich dadurch für alle Bundesliga- Wenn der Erfolg ausbleibt, wird es schwie- klubs verschärft hat. Es geht ja nicht nur rig. Denn selbst Herr Kühne wird mit 15 Jahre danach – um die Einnahmen aus der Champions seinen Mitteln als Mäzen nicht jeden Wie 9/11 die Welt veränderte League, sondern auch um Geldströme aus Spieler nach Hamburg locken können. dem Ticketing, dem Sponsoring, der TV- Ein attraktiver Standort muss mehr bieten Rechte-Vermarktung, aus dem Transfer- als nur Geld. Für die Topspieler ist es geschäft. Da verdienen Vereine wie Bayern heutzutage wichtig, dass sie um Titel München, Manchester United oder Real mitspielen können und dass sie in der Madrid naturgemäß mehr als Darmstadt, Champions League spielen. Dazu muss Freiburg und viele andere. Aber wie wol- die Stadt einen gewissen Glamour-Faktor len Sie so eine Entwicklung noch ausglei- haben, ein gewisser Lifestyle sollte vor- chen? Das ist in dieser globalen Welt nicht handen sein. Und noch eines hat sich ver- mehr möglich. ändert: Früher ist ein Spieler von Nürn- SPIEGEL: In diesem Licht wirken die Bun- berg nach München gewechselt. Heute ge- desliga und die Champions League wie hen Spieler von Paderborn nach England. zwei grundverschiedene Enden. Früher wussten die Engländer nicht ein- Rummenigge: Das ist auch so. Die Bundes- mal, dass in Paderborn überhaupt Fußball liga will und soll ihre Emotionalität behal- gespielt wird. SPIEGEL TV ten, was nicht einfach ist, wenn Bayern SPIEGEL: Können Sie sich vorstellen, dass München viermal in Folge Meister wird. das erfolgreiche Gebilde Bayern München Überlebender Michael Benfante überhaupt noch einmal kippen könnte? Der 11. September 2001 veränderte „Irgendwann wird Rummenigge: Ich habe einen Freund, der aus Kiel kommt. Dort ist der THW Kiel die Welt: Etwa 3000 Menschen es wieder Gegner geben, zu Hause, ein Handballklub, der immer starben in den Trümmern des World Trade Center, den Ruinen die nicht nur kratzen, supererfolgreich war. Auch international. Das ist zuletzt aber weniger geworden. des Pentagons und in den Wracks sondern auch zubeißen.“ Und ich habe meinen Freund gefragt, was von vier Flugzeugen, die von Ter- denn da passiert sei. Er sagte, dem Verein roristen entführt worden waren. Und auf der anderen Seite muss der deut- sei es ein paarmal hintereinander nicht Für die Überlebenden der Anschlä- sche Fußball ein großes Interesse daran ha- mehr geglückt, die besten Spieler zu ver- ge, die Hinterbliebenen der Opfer ben, Klubs zu entwickeln, die in Europa pflichten. Zeitgleich kamen neue Klubs ins und die unzähligen Helfer änderte wettbewerbsfähig sind. Geschäft, aus Polen und Frankreich, die dieser Tag ihr Leben dramatisch. SPIEGEL: Haben Sie eine Idee, wie es in der jetzt sogar höhere Gehälter zahlen können. Auch die politischen Folgen des Bundesliga zumindest ein bisschen span- Auf einmal begann das Gebilde des Ver- 11. September sind bis heute deut- nender werden könnte? eins zu wackeln, und der Erfolg war nicht lich spürbar. Rummenigge: Auf Dauer braucht die Bun- mehr so kontinuierlich da. Ich freue mich desliga einen international starken dritten jeden Tag, den ich ins Büro gehe, weil es und vierten Klub. Solche Vereine, für die im Moment natürlich sehr angenehm ist. SPIEGEL TV MAGAZIN es möglich ist, ins Viertel- oder Halbfinale Aber ich bin überzeugt davon: Irgendwann SONNTAG, 18. 9., 22.25 – 23.10 UHR | RTL der Champions League, aber auch ins Fi- wird es wieder Gegner geben, die nicht nale der Europa League zu kommen. Diese nur kratzen, sondern zubeißen. Und dann Geschäft mit Risiken und Nebenwirkun- Klubs werden dann auch automatisch in werden wir eben auch einmal nicht mehr gen – Arabische Medizintouristen der Bundesliga stärker. Meister sein. erobern Bonn-Bad Godesberg; SPIEGEL: Woran liegt es denn, dass es in SPIEGEL: Zumindest in den kommenden Zurück aus dem Knast – Hells-Angels- Deutschland mit Borussia Dortmund ledig- fünf Jahren scheint das unwahrscheinlich Boss Frank Hanebuth ist wieder lich einen Klub gibt, der international mit zu sein. Sie haben fast alle wichtigen Spie- da; Entbindung auf der Flucht – Wie Bayern München mithalten kann? ler bereits jetzt bis 2021 an sich gebunden. deutsche Reeder zu Geburtshelfern Rummenigge: In der Historie der Bundes- Rummenigge: Wenn ich eines gelernt habe werden. liga war es fast immer so, dass es lediglich über Fünfjahreszyklen: Die Sowjetunion Zweikämpfe um die Meisterschaft gab. Mir hat früher in Fünfjahresplänen gewirtschaf- persönlich wäre es am liebsten, wenn zu- tet, und das Ende ist jedem noch bekannt. SPIEGEL GESCHICHTE sätzlich Hamburg, als Zentrum im Norden, Wir müssen jedes Jahr aufs Neue seriös DIENSTAG, 20. 9., 20.15 – 21.00 UHR | SKY Schalke, als eine der wichtigsten Mann- planen. Aber ich gebe Ihnen recht: Aktuell schaften Deutschlands, dazu Leverkusen, haben wir sehr gute Voraussetzungen, um Geliebte Feinde – Mönchengladbach, Wolfsburg und neuer- weiterhin erfolgreich zu sein. Es lebe die Nation dings RB Leipzig aus dem Osten mit ihren SPIEGEL: Hilft Ihnen das neue Geld aus der Napoleon ist besiegt, auf dem finanziellen Mitteln dauerhaft in der Bun- Champions League auch in schwierigen Wiener Kongress versuchen die desligaspitze mitspielen würden. Verhandlungen mit Spielern, zum Beispiel Fürsten, die Zeit zurückzudrehen. SPIEGEL: Der Hamburger SV zum Beispiel bei der Vertragsverlängerung mit Ihrem Doch die Ideen von Freiheit und hat Teile des Klubs ausgegliedert und ver- Stürmer Robert Lewandowski? Demokratie lassen sich nicht sucht nun, strategische Partner zu bekom- Rummenigge: Ja, es hilft. So können wir dauerhaft unterdrücken. Während men. Das gelingt aber nicht. Ist es so, dass nicht nur unseren deutschen, sondern auch es sich die meisten Deutschen in es irgendwann nicht mehr möglich ist, das den ausländischen Spielern ein Gesamt- ihren Biedermeierstuben gemütlich Ruder noch rumzureißen, wenn der Erfolg paket anbieten, das sie zufriedenstellt. Und machen, gehen die Franzosen zu lange ausbleibt? wir sind optimistisch, dass auch Robert im Jahr 1830 wieder auf die Bar Rummenigge: Es gibt ja diese Formel: sport- noch lange beim FC Bayern seine Tore rikaden. licher Erfolg gleich wirtschaftlicher Erfolg. schießen wird. Twitter: @Rafanelli 108 DER SPIEGEL 38 / 2016
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