Die kommunale Klimaschutzkampagne "Tübingen macht blau" Baustein "Photovoltaik-Förderung"
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Die kommunale Klimaschutzkampagne „Tübingen macht blau“ Baustein „Photovoltaik-Förderung“ „Global denken, lokal handeln“ lautet die Antwort aus der 88.500 Einwohner zählenden Universitätsstadt Tübingen, an deren 1477 gegründeten Universität rund 28.000 Studierende für die Zukunft lernen, auf die Herausforderungen des Klimaschutzes. Tübingen ist überzeugt, das laut Weltklimarat (IPCC) notwendige Klimaschutzziel ist machbar, wenn politischer Wille und gesellschaftliches Engagement zusammentreffen. Dafür wurde 2007 die kommunale Klimaschutzkampagne „Tübingen macht blau“ aufgelegt, die inzwischen das Ziel „Tübingen klimaneutral 2030“ verfolgt. Die Universitätsstadt Tübingen ist seit 1993 Mitglied des Europäischen Klimabündnisses, dessen Mitglieder sich freiwillig verpflichtet haben, ihren Kohlendioxid-Ausstoß (CO2) alle fünf Jahre um 10 % zu reduzieren. Um die Anstrengungen zum Klimaschutz zu intensi- vieren, startete die Verwaltung 2007 auf Dachansicht des technischen Rathauses (Foto: Bernd Schott) Initiative des neuen Oberbürgermeisters Boris Palmer (Bündnis 90/Die Grünen) ihre Klimaschutzoffensive. Rückendeckung gab der Gemeinderat, der Mitte 2007 entschied, dass binnen fünf Jahren das Ziel „Minus 10 Prozent CO2“ erreicht werden solle.1 Dazu wurde 2007 eine Projektgruppe aus Stadtverwaltung und deren Beteiligungsgesell- schaften für die „Erstellung eines Klimaschutzprogramms für Tübingen einschl. Umsetzungskonzept“ eingesetzt und ein handlungsorientiertes Klimaschutzprogramm mit 20 Teilprojekten erarbeitet.2 Durch die Klimaschutzoffensive sollten die lokal verfügbaren Energiespar- und Klimaschutzpotenziale genutzt und eine Bürgerbewegung für den Klimaschutz initiiert werden. Zuallererst starteten Teil- projekte, die Vorbild-Charakter haben sollten. Sie waren bei der Stadtverwaltung und zwei ihrer Töchter, den Stadtwerken (swt) und der Gesellschaft für Wohnungs- und Gewerbebau (GWG), angesiedelt. Zu diesen Teilprojekten gehörten beispielsweise das kommunale Energiemanagement, 1 Beschlussvorlage 147/2007, „Konsequenzen aus dem 3. Klimaschutzbericht“ des Tübinger Gemeinderates; siehe www.tuebingen.de/ratsdokumente/vorlage/147/2007 2 Berichtsvorlage 395/2007, „Projekt Klimaschutz“ des Tübinger Gemeinderates; siehe www.tuebingen.de/ratsdokumente/vorlage/395/2007
die Förderung von Solarenergie, General- und Teilsanierungen, Beleuchtungsumrüstungen, Um- rüstungen auf Hocheffizienz-Heizungspumpen, schaltbare Steckerleisten, Radverkehrs- und CarSharing-Förderung, spezielle Vor-Ort-Beratung und Förderprogramme für finanzschwache Haushalte. Für die Teilprojekte wurde Teilprojektgruppe eingesetzt, die für Konzeptentwicklung, Umsetzung, Evaluation und Weiterentwicklung zuständig waren bzw. sind. 2011 wurde ergänzend zum Projekt Klimaschutz die Teilnahme der Stadt am European Energy Award (eea) beschlossen.3 Ziel der Teilnahme am eea ist ein wirkungsvolles Qualitätsmanagementsystem, mit dem die Energie- und Klimaschutzaktivitäten in der Kommune erfasst, bewertet, geplant, gesteu- ert und regelmäßig überprüft werden, um Potenziale der nachhaltigen Energiepolitik und des Klima- schutzes identifizieren und nutzen zu können. Der eea dient der Stadtverwaltung seither zur Bewer- tung der Entwicklung in den jeweiligen Maßnahmenbereichen durch interne und externe Audits sowie dem interkommunalen Vergleich der Klimaschutzaktivitäten. Mit diversen Beschlüssen bekräftigte der Gemeinderat seit 2007 immer wieder sein Bekenntnis zu einem ehrgeizigen, kommunalen Klimaschutz. Zuletzt wurde am 08.07.2019 beschlossen, einen eigenen Klimaschutz-Ausschuss zu gründen, in dem auch die Initiative „Fridays for future Tübingen“ vertreten sein wird, und das energiepolitische Leitbild fortzuschreiben, so dass es nun lautet: Tübingen soll in Bezug auf die energiebedingten CO2-Emissionen bis 2030 klimaneutral werden (Kompensation im definierten Rahmen möglich). Stadtverwaltung und ihre Tochterunternehmen nehmen eine Vorbildfunktion […] ein. Die Infrastruktur ist daran ausgerichtet, dass sie […] Möglichkeiten zum Energiesparen und Klimaschützen […] eröffnet. Die Stadtgesellschaft wird über die Möglichkeiten zu Klimaschutz und Energieeinsparung informiert und zur Mitwirkung motiviert.4 Klimaschutz-Baustein auf Klimaschutz-Baustein Für die Klimaschutzoffensive wird Klimaschutz-Baustein für Klimaschutz-Baustein modular umge- setzt. Erstes Modul: Im Sinne von Sokrates „Wer etwas bewegen will, sollte erst sich selbst bewegen“ setzten die Stadt und ihre Töchter um, was sie von Dritten erhoffen. Zweites Modul: Die Stadt sucht Mitstreiter, insbesondere Organisationen und Multiplikatoren, die dabei helfen, das Aktionspro- gramm breitenwirksam zu machen. Drittes Modul: Die Bevölkerung wird angesprochen. Hierfür entwickelt die Stadt konkrete, einfache Klimaschutz-Bausteine, die für jede Bürgerin und jeden 3 Beschlussvorlage 55/2011, „Teilnahme am European Energy Award“ des Tübinger Gemeinderates; siehe www.tuebingen.de/ratsdokumente/vorlage/55/2011 4 Beschlussvorlage 214/2019, „Klimaschutzoffensive, Fortschreibung Klimaschutzprogramm für das Ziel ‚klimaneutrales Tübingen‛“ des Tübinger Gemeinderates; siehe www.tuebingen.de/ratsdokumente/vorlage/214/2019
Bürger umsetzbar sind. Dazu gehört auch eine variantenreiche Kampagne, um den jeweiligen Klimaschutz-Baustein bekannt zu machen. Beratung, Motivation, Aufklärung und eine hohe Zielgruppenspezifikation sind dabei stets besonders wichtig. So wurde die Klimaschutzkampagne „Tübingen macht blau“ ins Leben gerufen. Blau etablierte sich als Farbe des Klimaschutzes in Tübingen. Blau steht hier für blau-schimmernde Photovoltaik- anlagen. Blaumachen dürfen Elektrogeräte, wenn sie wirklich aus sind, Autos, wenn sie für Bus, Bahn, Fahrrad oder Fuß stehen- gelassen werden. Blau erscheinen gut gedämmte Gebäude in einer Thermografie und ein blauer Himmel bedeutet gutes Wetter. Viertes Modul: Die Kampagne sollte über Jahre ihren Schwung behalten. Also wurden Erfolge publik gemacht, indem man mögliche Indikatoren auswählte. Über Presse, die eigene Homepage www.tuebingen-macht-blau.de und weitere Kanäle erfuhr die Bevölkerung Neues über „ihre“ Klimaschutzbeiträge. Weitere Mitmacher wurden auf diese Weise ebenfalls motiviert. Seit 2007 wurde mit „Tübingen macht blau“ eine fast schon unüberschaubare Anzahl an Klimaschutz- Bausteinen umgesetzt, rund um Strom, Wärme, Mobilität und Konsum. Unter anderem die Förde- rung der Photovoltaik: Gemeinsam in Sonnenstrom investieren Anfang 2007 gab es in Tübingen lediglich 179 Photovoltaik-Anlagen (PV-Anlagen), die es zusammen auf etwa 1 MWpeak installierte Leistung brachten, aber auch sehr viele ungenutzte Dachflächen. Ende 2019 waren es über 1.000 PV-Anlagen mit einer Leistung von 14,6 MWpeak. Ein Teil dieses Erfolgs konnte über Bürgersolargemeinschaften erreicht werden, denen die Stadt kostenlos Dachflächen auf städtischen Gebäuden zur Verfügung stellte. 2007 ließ die Stadt hierfür alle ihre Dächer daraufhin prüfen, ob sie sich für Photovoltaik (PV) eignen. Danach wurden die geeigneten Dächer über die eigens eingerichtete Online-Solardachbörse für Bürgergemeinschaften angeboten. Die Nachfrage war groß. Obwohl durch die städtischen Sanierungsmaßnahmen regelmäßig neue Dächer hinzukamen, gab es immer mehr Anfragen als geeignete Dächer. Insgesamt erzeugen auf kommunalen Dächern nun 30 Bürger-PV-Anlagen mit einer Leistung von 830 kWpeak jährlich fast 800.000 kWh klimafreundlichen Strom. Daneben installierten auch die Töchter swt und GWG weitere PV-Anlagen und Stadt und Photovoltaik-Leistung in Tübingen in kWpeak (jeweils Dezember) Quelle: swt swt rühren ständig die Werbetrommel für
die PV. Damit Bürgerbeteiligung an PV-Anlagen noch einfacher und auch mit kleinen finanziellen Einlagen (ab 100 Euro) machbar wurde, wurde Ende 2009 die Bürgerenergie Tübingen eG gegründet. Dahinter stehen swt und die Tübinger Volksbank. Von 2007 bis 2012 stieg die PV-Leistung in Tübingen kontinuierlich. Pflicht zur Photovoltaik-Nutzung Doch mit dem Rückgang der EEG-Vergütung sank auch der Zubau. Es mussten neue Instrumente eingeführt werden: 2016 entwickelte ein engagiertes Netzwerk aus swt, lokalem Großhändler für PV- Technik und Installationsbetrieben das Produkt „swt-Energiedach“. Ein Rundum-sorglos Paket für „schlüsselfertige“ PV-Anlagen auf dem eigenen Dach (inkl. Wartung)5. Das swt-Energiedach gibt es als Pacht- oder Kaufmodell. In 2016 wurden auch ein erstes Pilotprojekt zum Mieterstrom der beiden städtischen Töchter GWG und swt gestartet. Außerdem setzte die Stadtverwaltung 2016 erstmalig das Instrument einer PV-Pflicht ein. Diese wurde zum einem im städtebaulichen Vertrag zur Konversion des aufgebenden Güterbahnhofs in ein gemischtes Wohn- und Gewerbegebiet und zum anderen in den Kaufverträgen für den Technologiepark „Ober Viehweide“ festgeschrieben. Bei diesem ersten Schritt wurden keine Vorgabengemacht, nicht einmal eine Mindestanlagenleistung. Doch die Pflicht wurde ein Erfolg. Die nun entstehenden Gebäude im Güterbahnhof nutzen ihre Dachflächen so gut es irgendwie geht für die PV aus, obwohl laut Vertrag ein einziges PV- PV-Fassadenanlage „Westspitze“; Modul ausreichen würde. Die errichteten Anlagen liegen in Quartier Güterbahnhof (Foto: Bernd Schott) einem Leistungsbereich ab 12 kWp. Zudem wurde z. B. eine 230 kWpeak-Anlage für ein Mieterstromprojekt der Naturstrom AG für einen Komplex von Sozialwohnungen (als KfW-EH40) und eine 60 kWpeak-Fassadenanlagen mit CIGS-Modulen an einem Bürogebäude errichtet. Im Quartier Güterbahnhofs mit zirka sechs Hektar Fläche werden bei Fertigstellung schätzungsweise 2 MWpeak Photovoltaik-Leistung entstehen. Aus den Erfahrungen mit GWG und Güterbahnhof heraus wurde das Angebot des swt-Energiedachs für den Bereich Mieterstrom/WEGs konsequent ausgeweitet. Für den „TüStrom Zuhause“ planen, errichten, betreiben und warten die swt die PV-Anlage auf dem Gebäude und im Gegenzug erhalten die Stromabnehmer im Gebäude ein Angebot für einen Ökostromtarif mit reduzierter Grundgebühr 5 siehe auch www.swtue.de/energie/strom/swt-energiedach.html
und reduziertem Arbeitspreis. Gerade in einer Stadt wie Tübingen, in der sehr häufig in Geschoss- wohnungsbauten errichtet werden, ein wichtiges Angebot zur Förderung der Photovoltaik6. 2018 brachte die Stadtverwaltung den Vorschlag auf, einen Grundsatzbeschluss zur „Verpflichtung zur Herstellung bzw. Vorhaltung einer Photovoltaikanlage bei Neubauten“ als Beitrag zur Klimaschutz- offensive im Gemeinderat zu erwirken. Denn lediglich in der Photovoltaik liegt in Tübingen Quartier Güterbahnhof (Luftbild: Manfred Grohe) Gebäude links-unten gehört nicht zum Quartier noch ein großes, einfach nutzbares Potenzial für mehr Erneuerbare Energie. Es begann eine Grundsatzdiskussion: Braucht es eine verbindliche Verpflichtung oder reicht es aus, für die „gute Sache Photovoltaik“ zu werben, damit viel mehr Sonnenkraftwerke die Dächer zieren? Darüber wurde ausgiebig diskutiert. Am Ende fand sich im Juni 2018 im Stadtparlament eine Mehrheit für den von der Verwaltung vorgelegten Grundsatzbeschluss. Es überwog die Erkenntnis, dass es manchmal einen Anstupser braucht, um eine gute Sache zu tun. Vergleichbar dem Thema Tempolimit zur Unfallverhütung und dem Aufbau von Blitzern. Hilfreich für den Beschluss war dabei auch das bereits bestehende Pachtangebot „swt-Energiedach“, weil dadurch zusätzliche Investitionen und Aufgaben für den Hausbau für die Bauherr*innen entfallen konnten. Nun gilt: Verkauft die Stadt ein Baugrundstück, so wird ab sofort im Kaufvertrag die Verpflichtung zur Errichtung und Nutzung einer Photovoltaik-Anlage vorgeschrieben. Mit einer Einschränkung: soweit diese mit einem wirtschaftlich angemessenen Aufwand errichtet und betrieben werden kann. Da in Tübingen neue Baugebiete nur ausgewiesen werden, wenn alle Grundstücke an die Stadt verkauft sind, betrifft das zukünftig die meisten Neubauten. Auch in städtebauliche Verträge kommt nun stets die PV-Pflicht. Für Bebauungspläne, die stets bei allen Belangen der Abwägung unterliegen müssen, beinhaltet der Grundsatzbeschluss einen Arbeitsauftrag an die Verwaltung: Auf Grundlage von Paragraph 9 Absatz 1 Nummer 23 b) BauGB wird – wo möglich – eine Verpflichtung zur Errichtung einer Photovoltaik-Anlage festgesetzt. Wer übrigens die Pflicht des Gesetzes zur Förderung Erneuerbarer Energien im Wärmebereich (EEWärmeG) über Solarthermie auf dem Dach vollständig erfüllt, wird von der Photovoltaik-Pflicht befreit.7 Selbstverständlich fühlt sich auch die Stadtverwaltung verpflichtet. In 2020 wurde eine Strategie verabschiedet, die das Ziel verfolgt, dass auf den kommunalen Liegenschaften so viel PV-Strom 6 siehe www.swtue.de/energie/strom/mieterstrom.html 7 Beschlussvorlage 161/2018, „Klimaschutzoffensive; Verpflichtung zur Herstellung bzw. Vorhaltung einer Photovoltaikanlage bei Neubauten; Grundsatzbeschluss“ des Tübinger Gemeinderates; siehe www.tuebingen.de/ratsdokumente/vorlage/161/2018
produziert werden soll, wie in den Liegenschaften verbraucht wird. Dafür soll zudem der Stromverbrauch von rund 4.000 auf 3.000 MWh/a reduziert werden8. Guter Rat muss nicht teuer sein Wie geht Klimaschutz? Viele Antworten dazu sind offen oder durch „Halbwissen“ irreführend. Konkrete Beratung für Bürgerinnen und Bürger kann hier vieles bewirken. Diese gab es bei Energietagen und Klimatagen, an Beratungsständen und auf Ausstellungen wurde beispielsweise zu Solarenergie oder zu Passivhäusern informiert. Hinzu kamen Fachvorträge, StromSparChecks in finanzschwachen Haushalten, Impulsberatungen zur Gebäudesanierung und viele weitere kleinteilige Angebote. Dabei wirkten etliche Partner mit, darunter die regionale Klimaschutzagentur, die Architektenkammer, der Umweltverband BUND, die Caritas, die Fahrradhändler, das Handwerk, Unternehmen, die swt, teilAuto etc. Mit diesen Partnern wurden unzählige Veranstaltung und kontinuierliche Beratungsstellen geschaffen, damit sich jede und jeder in Tübingen kompetent und kostenlos über die Möglichkeiten der Energieeinsparung und des Klimaschutzes informieren kann. Allein in der Zeit von September 2016 bis Ende 2019 wurden 150 Beratungsdonnerstage, zwölf Informationsabende und sechs große Energie- bzw. Klimatage im Tübinger Rathaus abgehalten. Dabei erfreuen sich die „PV-Infoabende“ seit mehreren Jahren kontinuierlich großer Beliebtheit. Die Abende werden gestaltet durch Fachleute aus der PV-Installation, den swt und der Stadtverwaltung. Diese niedrigschwelligen Informationsangebote führen nachweislich zum Anstieg von Angebotsan- fragen nach PV-Anlagen, wie die Evaluation in Tübingen ergeben hat. Autor: Bernd Schott Umwelt- und Klimaschutzbeauftragter der Universitätsstadt Tübingen Telefon 07071 204-2390 Email: bernd.schott@tuebingen.de 8 Beschlussvorlage 21/2020, „Klimaschutzoffensive; Nachhaltigkeitsstrategie Gebäudemanagement 2020“ des Tübinger Gemeinderates; siehe www.tuebingen.de/ratsdokumente/vorlage/21/2020
Sie können auch lesen