DIE KOMMUNISTISCHE PARTEI CHILES UND DAS PLEBISZIT VON 1980 - MIP HHU PRUF
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Aufsätze Pons Martí – Die Kommunistische Partei Chiles und das Plebiszit von 1980 MIP 2020 | 26. Jhrg. | Heft 1 Die Kommunistische Partei Chiles und das Plebiszits begründet? Wie veränderte das Plebiszit Plebiszit von 1980 die weitere politische Arbeit der Partei in den fol- genden Jahren der Diktatur? Vicente Pons Martí1 Aus Anlass der aktuellen Entwicklungen in Chile und des 40-jährigen Jubiläums der Abhaltung des Plebis- zits ist eine Beschäftigung mit diesem historischen Chile befindet sich seit Sommer 2019 inmitten der Ereignis von Bedeutung. Im folgenden Artikel wird stärksten sozialen Proteste seit dem Ende der Pino- dieses Thema anhand einer Analyse der Strategie der chet-Diktatur vor 30 Jahren. Eine der Hauptforderun- PCCh während des Plebiszits von 1980 beleuchtet. gen der Demonstranten ist es, die aktuelle Verfassung, Zunächst soll die politische Linie und Strategie der die 1980 während der Pinochet-Diktatur beschlossen PCCh bis zur Abhaltung des Plebiszits näher be- wurde, durch eine neue zu ersetzen. Regierung und trachtet werden, um in einem zweiten Schritt die Opposition haben sich deshalb am 15.11.2019 darauf Veränderungen dieser Linie im Angesicht des Plebis- geeinigt, auf diese Forderung einzugehen. Wichtiger zits vorzustellen und zu erklären. Abschließend wer- Bestandteil der Vereinbarung ist ein Plebiszit im den die Gründe für die Veränderungen erläutert. April 2020, bei dem die Bevölkerung darüber ent- Die Analyse der Strategie der PCCh wird anhand scheidet, ob eine neue Verfassung von der Mehrheit von offiziellen Dokumenten der Partei und ihrer füh- gewünscht ist. renden Mitglieder durchgeführt. Bei den untersuch- Die aktuelle Verfassung wurde interessanterweise ten Dokumenten handelt es sich zum Großteil um ebenfalls mithilfe eines Plebiszits angenommen. Beiträge, die in der in Moskau erschienenen partei- Dieses Plebiszit erfüllte jedoch keine demokrati- internen Zeitung Boletín del Exterior3 (Boletín) ver- schen Mindestanforderungen und wurde auf nationa- öffentlicht wurden. Trotz der Veröffentlichung der ler und internationaler Ebene stark kritisiert. Partei- Beiträge im Ausland fand sie ihren Weg nach Chile. en waren verboten und Wahlkundgebungen stark Viele der Stellungnahmen und Erklärungen erschie- eingeschränkt. Trotz dieser Beschränkungen spielten nen ab 1978 in der Oppositionspresse oder in Form die Parteien im Untergrund eine wichtige Rolle und von Flugblättern und können u.a. im Museum der übten, nebst anderen Organisationen wie der Kirche, Erinnerung und Menschenrechte in Chile eingesehen einen großen Einfluss auf die Öffentlichkeit aus. werden.4 Auf Grund der ausgezeichneten Qualität der zugänglichen Kopien sind für diesen Beitrag die Die Kommunistische Partei Chiles (PCCh) hob sich Dokumente des Boletín benutzt worden. Bei der Ver- während der Diktatur von den anderen demokrati- wendung des Boletín als Quellenkorpus müssen je- schen Parteien in Chile besonders ab, da sie nach doch mehrere Faktoren beachtet werden. Der Boletín dem Sturz der demokratischen Regierung der Unidad verfolgte nicht den Anspruch, alle von der PCCh und Popular (UP)2 durch einen Militärputsch und der ihren Mitgliedern produzierten Artikel und Stellung- darauf folgenden Pinochet-Diktatur zu den am nahmen zu veröffentlichen. Darüber hinaus befand stärksten verfolgten Parteien gehörte und 1980 als sich der Boletín unter der Kontrolle der Exilführung Anführerin des linken Lagers einen wichtigen Ein- in Moskau. Im Laufe der Diktatur kam es zwischen fluss auf die politische Linie der linken Parteien aus- dem Equipo de Dirección Interior (EDI), der Unter- übte. Im Jahr 1980 sprach sich die PCCh zunächst grundführung der Partei in Chile, und der Exilfüh- gegen die Teilnahme der Bevölkerung am Plebiszit rung in Moskau zu Auseinandersetzungen über die aus. Im weiteren Verlauf änderte sich die politische Ausrichtung der Partei, auf die im weiteren Verlauf Linie der PCCh jedoch und sie versuchte, die Bevöl- des Artikels genauer eingegangen wird. Diese Aus- kerung zu mobilisieren und zur Ablehnung der Ver- einandersetzungen wurden parteiintern ausgetragen fassung zu bewegen. Worin liegt dieser Wandel der und tauchen deshalb nicht explizit im Boletín auf. Es politischen Linie im Angesicht des bevorstehenden muss aber dennoch beachtet werden, dass die Her- 1 Vicente Pons Martí, M.A., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter ausgeber in Moskau eine Auswahl der zu veröffentli- am Lehrstuhl für Politische Soziologie und Staatstheorie, chenden Dokumente trafen und dabei diejenigen Ar- Prof. Dr. Jens Borchert, Goethe-Universität Frankfurt, und in tikel, die ihrer Meinung entsprachen, eher in Be- einem DFG-Projekt zur Wahrnehmung politischer Parteien in 3 Deutschland und England im Laufe des 19. Jahrhunderts. In den Fußnoten wird der Boletín del Exterior als BE abge- 2 Die UP war ein Wahlbündnis der linken Parteien in Chile, un- kürzt. 4 ter Beteiligung der PCCh und der Sozialistischen Partei, die Die Recherchen fanden im Rahmen eines Forschungsaufent- 1970 die Wahlen gewann und unter Salvador Allende bis zum haltes im Museum statt. Ich danke dem Museum und den Mit- Militärputsch eine Regierung bildete. arbeitern für die Unterstützung. 18 doi:10.25838/oaj-mip-202018-29
MIP 2020 | 26. Jhrg. | Heft 1 Pons Martí – Die Kommunistische Partei Chiles und das Plebiszit von 1980 Aufsätze tracht zogen. Trotz dieser Einschränkungen des Die politische Linie der PCCh vor dem Plebiszit Quellenkorpus erschienen im Boletín die wichtigsten Dokumente der PCCh während der Diktatur, z.B. Das erste Dokument, das für die Analyse der Strate- Stellungnahmen, Interviews oder Berichte, die als gie und Vorgehensweise der Kommunistischen Par- wichtige und inhaltvolle Quellen für den vorliegen- tei herangezogen wird, ist das „Manifesto al Pueblo den Beitrag verwendet werden. de Chile“.6 Es wurde im August 1975 in Chile ver- breitet und legte die Grundlage für den kommunisti- Bei der Analyse der Stellungnahmen und Erklärun- schen Diskurs der folgenden Jahre. Zu Beginn des gen der PCCh muss darüber hinaus beachtet werden, Manifests wurde die wirtschaftliche Lage des Lan- in welcher Situation sie verfasst und verbreitet wur- des und deren Auswirkung auf die Bevölkerung, die den. Die Untergrundführung in Chile und die Exil- durch die Reformen im Zusammenhang mit der von führung in Moskau hatten zwar sporadisch Kontakt, den Chicago Boys durchgeführten Schocktherapie jedoch war dieser schwer herzustellen und bspw. ausgelöst wurde, beschrieben. Diese Reformen wür- nach der Krise des Jahres 1976, bei der zwei aufein- den der Junta zufolge Opfer von allen sozialen anderfolgende Untergrundführungen durch das Re- Schichten abverlangen. In den Augen der PCCh wa- gime ermordet wurden, für längere Zeit unterbro- ren sie stattdessen auf die Profitsteigerung einer klei- chen. Die Stellungnahmen wurden dabei von ver- nen Minderheit der nationalen und internationalen schiedenen Personen verfasst und besitzen demnach Monopole, u.a. der Finanz- und Bankenbranche, der auch unterschiedliche Schwerpunktsetzungen. Für großen Import- und Exportgesellschaften und der diesen Beitrag sind vorwiegend Dokumente ausge- Großgrundbesitzer zugeschnitten. Die Mehrheit der wählt worden, die die politische Linie der Partei zur Bevölkerung würde hingegen darunter leiden.7 Aus Überwindung der Diktatur behandelten und das Ple- Sicht der PCCh hätte diese Politik des Regimes zu- biszit zum Thema hatten. Auf Grund des Unter- sammen mit den von der DINA begangenen Men- grundcharakters der Stellungnahmen und der er- schenrechtsverletzungen zu einer immer stärker wer- schwerten Verteilung der Dokumente in der Bevöl- denden Ablehnung durch eine große Mehrheit der kerung kommt es in diesen oft zu Wiederholungen Bevölkerung und einer internationalen Isolation des über die Situation Chiles während der Diktatur und Regimes geführt.8 zu Rückbeziehung auf frühere Stellungnahmen der Partei. Im Folgenden werden deshalb besonders neue Die generierte nationale und internationale Ableh- Argumentationslinien und Überlegungen hervorge- nung der Militärdiktatur reichte jedoch nicht aus, um hoben. Der Bezug auf wiederkehrende Punkte kann eine Überwindung des Regimes zu erreichen. Neben aber nicht vollständig vermieden werden. einer Mobilisierung der Massen sah die PCCh vor allem eine breite Einheit der gesellschaftlichen Kräf- In den Jahren vor dem Plebiszit von 1980 sah sich die te als notwendig an. Die Bildung einer antifaschisti- PCCh, ebenso wie die restlichen Parteien der UP, der schen Union war demnach das vorrangige Ziel der Verfolgung durch das Regime – insbesondere durch PCCh, um das Regime zu stürzen. Diese „[…] unidad die Geheimdienste5 – und einem Ausschluss aus dem antifascista […]“9 sollte auf der Grundlage der Par- demokratischen Willensbildungsprozess der chileni- teien der UP aufgebaut und auf alle gesellschaftli- schen Gesellschaft ausgesetzt. In diesem Zeitraum chen Kräfte ausgeweitet werden, die das Regime ab- war die PCCh zunächst damit beschäftigt, ihre Struk- lehnten, darunter auch die Mitte-Partei Democracia turen im Untergrund aufzubauen und zu stabilisieren, Cristiana (DC). um damit das Überleben der Partei zu sichern. Dem- entsprechend fehlten ihr die Kapazitäten, um einen Die DC hatte die Politik der UP während der Regie- aktiven Widerstand gegen das Regime zu organisie- rung Allendes abgelehnt. Zu Beginn des Putsches ren. Trotzdem hatte die Führung der Partei eine allge- 1973 hatte es in deren Reihen sogar Befürworter ge- meine politische Linie zur Überwindung der Diktatur geben. Um die DC trotzdem zu einer Zusammenar- herausgearbeitet, die im Wesentlichen bis 1980 Be- beit zu bewegen, rückte die PCCh zugunsten des stand hatte. Grundlage dieser politischen Linie war es, Sturzes Pinochets zunächst davon ab, ein sozialisti- ein Bündnis mit den demokratischen Kräften und eine 6 PCCh: Manifesto al Pueblo de Chile. Agosto 1975. sofortige Rückkehr zur Demokratie zu erreichen. 7 Vgl. ebd., S. 2. 8 Vgl. ebd., S. 3-4; Álvarez Vallejos, Rolando: Desde las 5 Nach dem Militärputsch wurde von der Junta Militar der Ge- sombras. Una historia de la clandestinidad comunista. (1973- heimdienst Dirección de Inteligencia Nacional (DINA) ge- 1980). Santiago de Chile 1980. S. 127, 128. 9 gründet. Dieser wurde 1977 durch die Central Nacional de PCCh: Manifesto 1975. S. 7. Übers.: „[…] antifaschistische Informaciones (CNI; 1977-1990) ersetzt. Union […]“. doi:10.25838/oaj-mip-202018-29 19
Aufsätze Pons Martí – Die Kommunistische Partei Chiles und das Plebiszit von 1980 MIP 2020 | 26. Jhrg. | Heft 1 sches System errichten zu wollen und beschrieb auf en und die repressive Wirtschaftspolitik, die Hunger den letzten drei Seiten des Manifests die Eckpfeiler und Leid für die große Mehrheit verursacht hätte.13 des von der unidad antifascista zu erreichenden Sys- Neben solchen kurzen Stellungnahmen zu bestimmten tems. Es sollte sich dabei um einen vollkommen de- Themen, die meist nicht länger als drei Seiten waren, mokratischen Staat handeln, der „[…] los derechos und in denen neben der Notwendigkeit einer unidad humanos básicos, las libertades políticas y sociales antifascista meist auch auf die Menschenrechtsverlet- del pueblo chileno […]“10 gewährleisten sollte. zungen durch das Regime hingewiesen wurde, wur- Diese Vorgehensweise im Kampf gegen das Regime den von Zeit zu Zeit längere Erklärungen veröffent- wurde von der Führung der PCCh in den darauffol- licht, mit denen die politische Linie der Kommunisti- genden Jahren fortgeführt und in mehreren öffentli- schen Partei offengelegt werden sollte. Ein Beispiel chen Erklärungen der Partei ausgebaut. Dabei spielte für eine solche längere Erklärung stammt vom Sep- die Bildung der unidad antifascista, bestehend aus tember 1976. Nachdem die Partei zunächst ihre Struk- den Parteien der UP und den restlichen Oppositions- turen trotz der Verfolgung durch das Pinochet-Regime parteien, eine herausragende Rolle. In erster Linie stabilisieren konnte, musste sie in diesem Jahr Morde sollte dabei die DC als größte gemäßigte Oppositions- an zwei aufeinanderfolgenden Untergrundführungen partei zur Zusammenarbeit bewegt werden. Kaum verkraften und befand sich in der bis dahin kritischs- eine Erklärung wurde ohne den Hinweis auf die Be- ten Situation für das Überleben der Partei.14 deutung eines solchen Bündnisses oder der Zusam- Trotz dieses harten Rückschlags der Partei im menarbeit aller gesellschaftlichen Kräfte verfasst. Kampf gegen das Regime und die immer noch vor- Da die DC aber nicht bereit war, mit der UP und der handene Weigerung der DC, sich an einer unidad PCCh zusammenzuarbeiten, wurde in mehreren Stel- antifascista zu beteiligen, wurde diese Strategie der lungnahmen versucht, eine Annäherung an die DC Annäherung fortgeführt und in der Erklärung schon zu vollbringen und dadurch die Beziehung zur DC im Titel „Patriotas: ¡Solo unidos derrotaremos al fas- zu normalisieren. In einer Erklärung wurde bspw. die cismo!“15 benannt. Nach der Zusammenfassung der 1976 erfolgte Exilierung von zwei Mitgliedern der vorherrschenden Situation in Chile, die mit einer DC, die vom Regime auf Grund ihrer Arbeit als Kritik an der Wirtschaftspolitik, Menschenrechtsver- Rechtsanwälte im Bereich der Menschenrechte des letzungen und politischen Situation verbunden war, Landes verwiesen wurden, als Angriff auf alle demo- wurde in mehreren Absätzen der Erklärung auf die kratischen Kräfte kritisiert und zur Überwindung des demokratische Tradition Chiles hingewiesen. Dabei Regimes zur Zusammenarbeit aufgerufen.11 wurden nicht nur die von den linken Parteien er- reichten Meilensteine erwähnt, sondern auch explizit Auch auf das endgültige Verbot der nicht-marxisti- die Regierungen der DC, durch deren Politik „[…] schen Parteien Anfang 1977, durch welches schließ- contribuyo a que millones de campesinos y poblado- lich auch die DC verboten wurde, reagierte die res de ambos sexos, se sintieran ciudadanos chile- PCCh mit einem offenen Brief, indem sie die Verlet- nos“16, gelobt. Damit sollte einerseits der DC und zung der Menschenrechte durch das Regime anpran- andererseits den eigenen Anhängern die Gemeinsam- gerte und der DC ihre Unterstützung und erneut die Zusammenarbeit im Kampf gegen die Militärdiktatur 13 Vgl. Corvalán, Luis: El Partido Comunista de Chile llama a anbot.12 Darüber hinaus wurde dies in einer weiteren abrir paso a una salida democratica. In: Boletín del Exterior 23 (1977). S. 79-81. Hier S. 80; Garretón, Manuel: Political Erklärung des Generalsekretärs der Partei, Luis Cor- Processes in an Authoritarian Regime. The Dynamics of Insti- valán, thematisiert. In dieser Erklärung kritisierte tutionalization and Opposition in Chile, 1973-1980. In: Corvalán die Menschenrechtsverletzungen durch das Valenzuela, Samuel/Valenzuela, Arturo (Hg.): Military Rule Regime, das Verbot der restlichen Oppositionspartei- in Chile. Dictatorship and Oppositions. London 1987. S. 144- 183. Hier S. 170. 14 Vgl. Álvarez: Desde las sombras. S. 133-168. In diesen zwei 10 Ebd. S. 8, 9. Übers.: „[…] den elementaren Menschenrechten, Kapiteln aus dem Buch von Álvarez wird das Schicksal der ein- politischen und sozialen Freiheiten des chilenischen Volkes zelnen Mitglieder der Untergrundführungen beschrieben und die […]“; vgl. Furci, Carmelo: The Chilean Communist Party and Probleme, die sich daraufhin für die Partei ergaben, betrachtet. its Third Underground Period, 1973-1980. In: Bulletin of 15 PCCh: Patriotas: ¡Solo unidos derrotaremos al fascismo! In: Latin American Research 2, 1 (1981). S. 81-95. BE 20 (1976). S. 1-12. Hier S. 1. Übers.: „Nur gemeinsam 11 Vgl. PCCh: Declaración del Coordinador Exterior del Partido werden wir den Faschismus besiegen.“ Comunista de Chile. 09.08.1976, Santiago. In: BE 19 (1976). 16 PCCh: Patriotas: ¡Solo unidos derrotaremos al fascismo! S. 5. S. 62-63. Hier S. 63. Übers.: „[…] dazu beigetragen hat, dass sich Millionen Bau- 12 Vgl. PCCh: Carta del Partido Comunista a la Democracia ern und Arbeiter beider Geschlechter als chilenische Bürger Cristiana. BE 24 (1977). S. 102. fühlen konnten.“ 20 doi:10.25838/oaj-mip-202018-29
MIP 2020 | 26. Jhrg. | Heft 1 Pons Martí – Die Kommunistische Partei Chiles und das Plebiszit von 1980 Aufsätze keiten zwischen den beiden Lagern aufgezeigt und Diese von der PCCh verfolgte Strategie der unidad so die Annäherung an einen ehemaligen politischen antifascista (3) und der Charakterisierung des Re- Gegner auf nachvollziehbare Weise erklärt werden. gimes als vor-dem-Zusammenbruch-stehend (2) än- derte sich auch im Angesicht der Consulta Nacional Das Bündnis zwischen der DC und den Parteien der im Jahr 1978 zunächst nicht. Durch die Consulta UP wurde daraufhin als „[…] clave para una salida (Volksbefragung) versuchte das Regime, die eigene democrática […]“17 angesehen. Ein Alleingang wäre Legitimität sicherzustellen und die Unterstützung auf Grund der Unterstützung des Regimes durch das durch die Bevölkerung im Rahmen einer scheinde- Militär für beide Seiten nicht von Erfolg gekrönt ge- mokratischen Abstimmung zu beweisen. Diese wur- wesen und musste deswegen zu Gunsten eines ge- de in einer Erklärung als ein plumper Betrug des Re- meinsamen Vorgehens verhindert werden. Dafür gimes ohne politischen Wert bezeichnet.21 Gleichzei- schlug die PCCh drei Schritte vor, von denen jedoch tig wurde die Notwendigkeit eines „[…] entendi- nur der erste als unverzichtbar angesehen wurde: miento de todas las fuerzas democráticas para derri- 1. Die Bildung einer antifaschistischen Union bar la tiranía“ herausgestellt und der baldige Sturz mit dem Ziel, die Diktatur abzuschaffen (di- des Regimes durch diesen „entendimiento“22 als ge- rekt an die DC gerichtet). sichert angesehen. Auch in anderen Erklärungen und 2. Die Diskussion innerhalb dieser Union über Artikeln ist in den Monaten nach der Consulta die Charakteristika des zu erreichenden Sys- Nacional trotz der scheindemokratischen Legitimati- tems nach dem Sturz der Diktatur. on des Regimes von der kurz bevorstehenden Eini- gung zwischen den Oppositionskräften und dem da- 3. Die Bildung einer Regierung bestehend aus mit besiegelten Ende des Regimes zu lesen. allen antifaschistischen Kräften.18 Erste Reaktion auf das Plebiszit 1980: Bestär- In diesem Zusammenhang muss die Situation, in der kung der politischen Linie die Stellungnahmen und Erklärungen verfasst und verbreitet wurden, beachtet werden. Vor allem bei Diese optimistische Einstellung sollte sich auch im den offiziellen Stellungnahmen der Partei ist nicht Rahmen der intensivierten Institutionalisierungsbe- klar, wer an deren Entstehung beteiligt war, da kein strebungen des Regimes, die mit dem Plebiszit von Autor angegeben ist. In allen Dokumenten steht aber 1980 ihren vorläufigen Höhepunkt erreichen sollten, eine gemeinsame politische Linie der Partei und die zunächst nicht von Grund auf ändern. Nachdem der sich daraus ableitende Strategie im Vordergrund. Die Consejo de Estado Ende 1978 vom Regime damit politische Linie lässt sich vor dem Plebiszit von beauftragt worden war, den Verfassungsentwurf der 1980 nach Analyse der offiziellen Stellungnahmen Comisión Ortuzar23 zu überarbeiten, wurden zu- der Partei in drei Maximen beschreiben, die in ge- nächst die Strategieerklärungen der Partei um die genseitiger Beeinflussung und Verbindung stehen. verfassungsrechtliche Dimension erweitert. Zunächst wurde die Ablehnung (1) des Regimes auf Grund seiner Illegitimität und der Menschrechtsver- Im Oktober 1978 verfasste der EDI, der durch die letzungen sowohl auf nationaler als auch auf interna- Einschleusung neuer Führungskräfte aus dem Exil, tionaler Ebene angenommen und vorausgesetzt. In wie Gladys Marín, neu aufgebaut worden war, eine einem zweiten damit verbundenen Schritt wurde von Erklärung, in der eine klare Stellung gegenüber den einem baldigen Ende des Regimes (2) und einer Versuchen des Regimes, eine Konstituierung des Rückkehr zur Demokratie ausgegangen.19 Als wich- 20 Vgl. Álvarez: Desde las sombras. S. 127, 128; Osvaldo tigstes Element der politischen Linie und der Strate- Puccio, H.: La política del Partido Comunista de Chile. gie der Partei diente die Idee einer antifaschistischen Elementos de su evolución y permanencia en el último Union aller demokratischen Kräfte (3) unter Einbe- período. In: Varas, Augusto u.a. (Hg.): El Partido Comunista en Chile. Una historia presente. Santiago de Chile 2010. S. ziehung früherer politischer Gegner wie der DC, die 309-326. Hier S. 319. den Sturz des Regimes vorantreiben und im An- 21 Vgl. PCCh: Declaración sobre el Plebiscito-farsa. In: BE 28 schluss die Regierungsgeschäfte übernehmen sollte.20 (1978). S. 107-108. Hier S. 107. 22 Ebd., S. 108. Übers.: „[…] eine Verständigung aller demokra- 17 tischen Kräfte, um die Tyrannei niederzureißen […].“ Ebd., S. 10. Übers.: „[…] der Schlüssel für einen demokrati- 23 schen Ausweg […].“ Die Comisión Ortuzar war vom Regime mit der Erstellung ei- 18 nes groben Verfassungsentwurfs beauftragt worden. Dieser Vgl. ebd., S. 10-12. Entwurf wurde daraufhin vom Consejo de Estado und von der 19 Siehe: PCCh: Manifesto del Partido Comunista de Chile, Junta Militar überarbeitet und der Bevölkerung während des mayo 1977. In: BE 24 (1977). S. 1-19. Plebiszits von 1980 zur Abstimmung präsentiert. doi:10.25838/oaj-mip-202018-29 21
Aufsätze Pons Martí – Die Kommunistische Partei Chiles und das Plebiszit von 1980 MIP 2020 | 26. Jhrg. | Heft 1 Systems zu erreichen, bezogen wurde. Der Verfas- Einen ersten Teilerfolg dieser Annäherungstaktik der sungsentwurf würde zwar demnach auf den ersten PCCh an die DC wurde im „Informe al Pleno del Blick eine Reihe an Menschen- und politischen Comité Central“ beschrieben, der während einer Rechten benennen und ankündigen, jedoch im End- Versammlung des Zentralkomitees in Moskau 1979 effekt alle politischen, sozialen und wirtschaftlichen vorgestellt wurde. Darin wurde von fast wöchentlich Rechte der Bürgerschaft verneinen.24 Die Verfassung stattfindenden Treffen zwischen Anführern beider wurde als Versuch interpretiert, den Faschismus zu Parteien im Inneren des Landes berichtet, in denen institutionalisieren und das geplante Plebiszit zu sei- unter anderem die Bildung eines gemeinsamen Ver- ner Annahme durch die Bevölkerung als Betrug an fassungskomitees erörtert worden war. Diese in der derselben gewertet.25 Statt sich wie in vorherigen Er- Theorie vorhandene Einigung konnte jedoch nicht in klärungen primär auf die Einheit und Zusammenar- der Praxis umgesetzt werden und gestaltete sich beit der Opposition zu konzentrieren, wurde nun ge- komplizierter als gedacht.30 Im Angesicht der voran- fordert, dem Vorschlag des Regimes einen demokra- schreitenden Institutionalisierungsbestrebungen des tischen Verfassungsentwurf entgegenzusetzen.26 Als Pinochet-Regimes durch das geplante Plebiszit än- gemeinsame Grundlage für diesen Entwurf aller Op- derte sich darüber hinaus zum ersten Mal die in den positionskräfte wurde die Allgemeine Erklärung der Vorjahren herrschende optimistische Grundeinstel- Menschenrechte vorgeschlagen, denn der Schutz der lung von einem baldig erwarteten Ende der Diktatur. Menschenrechte sollte das oberste Ziel der Verfas- Stattdessen wurde der Partei allmählich bewusst, sung sein. dass sich das Regime eine längere Zeit halten könn- te.31 Im weiteren Text wurden zusätzliche Ideen der Par- tei zu diesem Verfassungsentwurf ausgeführt. Dazu Diese sich herauskristallisierende und von der PCCh gehörten unter anderem die Verbindung von direkt- wahrgenommene Gefahr, dass das Regime seine und repräsentativdemokratischen Institutionen zur Stellung durch das Plebiszit dauerhaft etablieren und besseren Kontrolle aller Staatsbehörden (vor allem stabilisieren könnte, störte die zweite Maxime der des Militärs), die Zusammenlegung der Wahlen des politischen Linie der Partei und führte zu einer ers- Parlaments und des Präsidenten sowie die Sicher- ten Anpassung der Oppositionsstrategie seitens der stellung von allgemeinen, freien und geheimen Wah- PCCh. Die Zusammenarbeit zwischen den Parteien len.27 Dieser Verfassungsentwurf sollte durch einen der UP und der restlichen Opposition – vorrangig Dialog zwischen den Oppositionskräften erarbeitet der DC – war immer noch das erklärte Ziel der Kom- und daraufhin durch eine konstitutionelle Versamm- munisten. Ebenso wie die Bildung einer provisori- lung bestätigt werden.28 Diese Vorgehensweise schen Regierung, bestehend aus allen demokrati- stimmte mit der Strategie der anderen Oppositions- schen Kräften (UP, DC und auch demokratisch ori- kräften überein. In diesem Zeitraum formierte sich entierte Teile des Militärs) als Übergangslösung bis beispielsweise die Comisión de los 24, die als Ge- zur Herausarbeitung einer neuen Verfassung durch genspieler zu der vom Regime eingesetzten Comi- eine demokratisch gewählte konstitutionelle Ver- sión Ortuzar gebildet wurde. Sie bestand aus aner- sammlung: kannten Rechtsexperten und sollte einen Gegenent- „La posición del Partido Comunista es, wurf zum Verfassungsvorschlag der Comisión Or- categóricamente, de unidad y lucha contra Pinochet túzar erarbeiten.29 y el fascismo. […] La Unidad Popular propicia un Gobierno provisional, ampliamente representativo y democrático, integrado básicamente por la 24 Vgl. PCCh: El Partido Comunista de Chile plantea un gran Unidad Popular y la Democracia Cristiana y, debate en el Pais para elaborar una constitución democrática. eventualmente también, por otros sectores, incluso In: Boletín del Exterior 32 (1978). S. 15-19. Hier S. 15. militares.“32 25 Vgl. ebd., S. 15. 26 Vgl. ebd., S. 16. 30 Vgl. Álvarez: Desde las sombras. S. 197. 27 Vgl. ebd., S. 17-18. 31 Vgl. ebd., S. 196. 28 Dieselbe politische Linie wurde in einem weiteren Schreiben 32 PCCh: Manifesto del Partido Comunista de Chile, mayo de bestätigt und durch die typische Argumentationsstrategie der 1979. In: BE 36 (1979). S. 3-11. Hier S. 8, 9. Übers.: „Die PCCh unterlegt. Siehe dazu: PCCh: La lucha de masas Position des PCCh ist die der Einheit und des Kampfes gegen derribara la Dictadura ¡Chile si, Pinochet no! In: Boletín del Pinochet und den Faschismus. […] Die UP unterstützt eine Exterior 33 (1979). S. 13-37. demokratische Übergangsregierung aller demokratischer Kräf- 29 Vgl. Navarro, Arturo: Grupo de los 24. In: APSI actualidad te, hauptsächlich bestehend aus UP und DC, aber auch ande- nacional e internacional 59 (1979). S. 1-11. Hier S. 1-2, 11. rer Sektoren, wie dem Militär.“ 22 doi:10.25838/oaj-mip-202018-29
MIP 2020 | 26. Jhrg. | Heft 1 Pons Martí – Die Kommunistische Partei Chiles und das Plebiszit von 1980 Aufsätze Neu war allerdings die Bereitschaft der Kommunis- ten, zu Gunsten einer schnellen Überwindung des Pi- nochet-Regimes weitreichende Kompromisse für die Zeit nach der Diktatur einzugehen. Der Sturz Pino- chets und eine Rückkehr zur Demokratie konnte nicht durchgesetzt werden, da bis zu diesem Zeit- punkt keine nennenswerte Einigung auf Parteiebene zwischen der UP – und damit auch der PCCh – und der DC erreicht worden war. Die PCCh sah es des- halb als ihre Aufgabe an, nicht nur über ihr Wunsch- system (UP + DC) nachzudenken und dieses als ein- zige Lösung vorzuschlagen, sondern „[…] consi- derar las diversas alternativas de gobierno que pue- dan facilitar el más pronto fin de la dictadura.“33 Dazu gehörte auch die Möglichkeit, eine Regierung ohne die Beteiligung der PCCh in Betracht zu ziehen und damit der DC die eigene Bereitschaft für die Ei- nigung zwischen den Oppositionsparteien weiterhin deutlich zu machen.34 Abbildung 1: Flugblatt der Kommunistischen Partei Chiles. Plebiszit 1980. Quelle: Folleto Partido Comunista de Chile. Die sieben Jahre dauernde, ablehnende Haltung der Todo Childe de Pie, que renuncie Pinochet. Museo de la DC, einem Bündnis mit der PCCh und der UP zuzu- Memoria. Colección Batra Lidia. – CL MMDH 00000262- stimmen, richtete sich vor allem gegen die PCCh 000006-000014. selbst und ihrer starken Verbindung zur Sowjetuni- In einem Interview mit Gladys Marín – zunächst in on.35 Trotzdem hielt die Führung der PCCh auch als der mexikanischen Zeitschrift El Dia am 23. März Reaktion auf das geplante Plebiszit zur Annahme der 1980 veröffentlicht – wurde die Bedeutung eines ge- von Pinochet in Auftrag gegebenen Verfassung zu- meinsamen Vorgehens der Opposition nach der ter- nächst an dieser Strategie fest und kommunizierte minlichen Festlegung des Plebiszits bekräftigt. sie weiterhin in öffentlichen Stellungnahmen und In- „Nuestro Partido le ha propuesto a todos los partidos terviews.36 Eine gemeinsame Vorgehensweise der ge- de oposición tener una respuesta común [Anmk.: al samten Opposition wurde von der Partei als alleini- Plebiscito].“37 Als Grundlage dieser Antwort diente ger Ausweg angesehen, um das Plebiszit zu verhin- die in der demokratischen Opposition allgemein ver- dern und die Überwindung der Diktatur zu erreichen. breitete Auffassung des Plebiszits als Betrug an der Dies wurde beispielsweise in folgendem Flugblatt Bevölkerung. Sowohl die PCCh als auch die DC kri- (Abb. 1) zum Ausdruck gebracht. Darin wurde ganz tisierten das Fehlen einer Wählerregistrierung, sowie Chile dazu aufgerufen, den Rücktritt Pinochets zu von politischen Freiheiten und einer Konstitutionel- fordern. Mit Kampf und Einheit würde dieser nicht len Versammlung.38 Während die DC, zusammen mit lange auf das Regime beharren können und zurück- den gemäßigteren Oppositionskräften (z.B. die Kir- treten müssen: che), für die Teilnahme am Plebiszit eintrat, warb die PCCh zunächst für eine aktive Ablehnung des Ple- biszits und eine Mobilisierung der Bevölkerung. Um 33 jedoch auch hier eine Einigung zwischen der gesam- Ebd. S. 9. Übers.: „[…] die diversen Regierungsalternativen, die ein schnelles Ende der Diktatur versprechen, in Betracht 37 zu ziehen.“ N.N.: Entrevista a Gladys Marín. S. 6. Übers.: „Unsere Partei 34 hat allen Oppositionsparteien vorgeschlagen eine gemeinsame Vgl. Álvarez: Desde las sombras. S. 196-198. Antwort [Anmk.: auf das Plebiszit] zu geben.“ 35 Beispielsweise wurde die Position des PCCh zum Einmarsch 38 Vgl. ebd., S. 7; Gil, Maria Isabel: Chilenos ante el debate der Sowjetunion in Afghanistan durch die DC kritisiert. Vgl. constitucional ¿Actores o espectadores? In: APSI 77 (1980). N.N.: Entrevista a Gladys Marín, 23.03.1980. In: BE 41 S. 2-3; Siehe dazu auch die Rede des ehemaligen christdemo- (1980). S. 16-17. kratischen Präsidenten Eduardo Frei Montalva bei der einzig 36 Vgl. PCCh: Nadie nos apartara del deber de luchar por la erlaubten Oppositionsveranstaltung im Teatro Caupolicán: Unidad de todas las fuerzas antifascistas. In Boletín del Frei Montalva, Eduardo: Discurso pronunciado en el Teatro Exterior 39 (1980). S. 13-21; PCCh: Comunicado conjunto Caupolicán con motivo del plebiscito, el 27 de agosto de sobre la reunión de las Direcciones del Partido Comunista de 1980. In: Arancibia, Patricia/Gazmuri, Cristian/Gongora, chile y del Partido Socialista de Chile. In: Boletín del Exterior Alvaro (Hg.): Eduardo Frei Montalva (1911-1982). Santiago 39 (1980). S. 92-95. de Chile 1996. S. 502-520. doi:10.25838/oaj-mip-202018-29 23
Aufsätze Pons Martí – Die Kommunistische Partei Chiles und das Plebiszit von 1980 MIP 2020 | 26. Jhrg. | Heft 1 ten Opposition zu erreichen, änderte die PCCh nach Fehlen grundlegender demokratischer Elemente – der Bekanntgabe des Termins für das Plebiszit seine ablehnte und einen sofortigen Übergang zur Demo- Strategie und rief zur Wahl und zur Ablehnung der kratie forderte. Dem Plebiszit wurde darüber hinaus Verfassung auf. Die Unterstützung des NO wurde in jegliche juristische sowie moralische Gültigkeit ab- dieser Situation als beste Möglichkeit angesehen, gesprochen. Wie bereits in den Jahren vor dem Ple- den gemeinsamen Willen der Opposition zur Rück- biszit sollte der Sturz des Regimes durch die Zusam- kehr zur Demokratie zu bezeugen: menarbeit und die Durchführung gemeinsamer Akti- „La fórmula unitaria que expresa con mayor fuerza onen der Opposition erreicht werden. el repudio al régimen en este instante es el no. El Während aber in vorherigen Stellungnahmen und Er- Partido Comunista llama a todos los chilenos a klärungen von Demonstrationen, Streiks und einer votar no el día del plebiscito.“39 gesteigerten Massenmobilisierung der Bevölkerung Angesichts der Institutionalisierung des Regimes ver- die Rede gewesen war, erweiterte Corvolán dies in suchte die PCCh zunächst an der seit dem Militär- seiner Rede auf andere Maßnahmen. Die Bevölke- putsch erarbeiteten Strategie festzuhalten. Um das rung hätte auf Grund der Handlungen des Regimes, vorrangige Ziel und dem wichtigsten Bestandteil z.B. durch das Plebiszit und der damit einhergehen- derselben, nämlich die Bildung einer antifaschisti- den Institutionalisierung, keine andere Möglichkeit, schen Union, zu erreichen, sollten weitreichende Zu- als alle zur Verfügung stehenden Mittel zu nutzen, geständnisse die Annäherung an die DC fortführen. um eine Überwindung der Diktatur zu erreichen. Aus Sicht der PCCh würde die nun doch beschlossene „Es el fascismo el que crea una situación frente a la Teilnahme am Plebiszit, die von der restlichen Oppo- cual el pueblo no tendrá otro camino que recurrir a sition geteilt wurde, als Startpunkt einer Verständi- todos los medios a su alcance, a todas las formas de gung zwischen der gemäßigten Gruppierung um die combate que lo ayuden, incluso a la violencia DC sowie des linken Lagers dienen. In einem ähnli- aguda, para defender al pan, la libertad y a la vida.“41 chen Licht ist auch der Vorschlag einer Übergangsre- Durch die Erweiterung der Widerstandsmaßnahmen gierung, ohne eine Beteiligung der PCCh, zu sehen. auf „todas las formas de combate“ schloss Corvalán, und damit die Parteiführung, auch den bewaffneten Erweiterung oder Wandel der politischen Linie? Widerstand, der bis zu diesem Zeitpunkt abgelehnt Nur einige Tage vor der Abhaltung des Plebiszits am worden war, nicht länger aus. Dies bedeutete eine 11. September 1980 bezog der Generalsekretär der wichtige Änderung in der politischen Linie der Par- PCCh, Luis Corvalán, in einer in Chile zu empfan- tei. Bisher hatte sie – auf Grundlage eines seit 40 genden Radioansprache zum zehnjährigen Sieg der Jahren gültigen Leitsatzes – den friedlichen Wider- UP bei der Präsidentschaftswahl 1970 erneut Stel- stand und eine demokratische Lösung bzw. die Nut- lung zum Plebiszit und erörterte die Strategie der zung aller legalen Mittel gegen das Regime einem Kommunistischen Partei. Corvalán bekräftigte bei bewaffneten Kampf vorgezogen und auch im Rah- dieser Ansprache die bereits vorgestellte politische men des Plebiszits der gemäßigteren Opposition im- Linie der Partei und ihre Position dem Plebiszit ge- mer wieder Zugeständnisse gemacht. Diese friedliche genüber. Der Versuch des Regimes, sich durch die Vorgehensweise war z.B. in der Kritik an der radika- Verfassung rechtlich und politisch zu legitimieren len MIR (Movimiento de Izquierda Revolcionaria42) und sich gleichzeitig für mindestens weitere acht deutlich geworden. Diese hatte schon während der (bzw. 16) Jahre an der Macht bestätigen zu lassen, Regierung Allendes radikalere Positionen eingenom- wurde genauso kritisiert, wie das Fehlen politischer men und sich nach dem Putsch für den bewaffneten und sozialer Rechte in der Verfassung.40 Kampf geöffnet. Die PCCh hatte die MIR beschul- digt, durch ihre Politik die Bestrebungen der antifa- Es wurde ein weiteres Mal darauf verwiesen, dass die schistischen Kräfte gestört und behindert zu haben. In gesamte Opposition das Plebiszit – bedingt durch das einem Artikel des PCCh aus dem Jahr 1977 mit dem Titel „El ultraizquierdismo caballo de Troya del impe- 39 PCCh: ¡Fuera Pinochet! ¡Democracia Ahora! Declaración del rialismo“ wurde diese uneinsichtige Haltung der MIR Partido Comunista de Chile, agosto 1980. In: BE 44 (1980). 41 S. 10-11. Hier S. 11. Übers.: „Die beste Art die Ablehnung Ebd., S. 16. Übers.: „Es ist der Faschismus, der eine Situation des Regimes auszudrücken ist zurzeit das Nein. Der PCCh erschafft, auf die das Volk nur durch den Rückgriff auf alle in ruft alle Chilenen dazu auf, am Tag des Plebiszits mit Nein zu seiner Macht stehenden Mittel, auf alle Kampfformen, die stimmen.“ helfen, sogar der Gewalt, reagieren kann, um sein Brot, seine 40 Corvalán, Luis: A 10 años de la Revolución Chilena. Freiheit und sein Leben zu schützen.“ 42 03.09.1980, Moscú. In: BE 44 (1980). S. 12-18. Hier S. 12. Übers.: Bewegung der revolutionären Linken. 24 doi:10.25838/oaj-mip-202018-29
MIP 2020 | 26. Jhrg. | Heft 1 Pons Martí – Die Kommunistische Partei Chiles und das Plebiszit von 1980 Aufsätze und die Anwendung von Gewalt für die Niederlage Trotz dieses proklamierten Teilerfolges wurde die nun der Regierung Allendes verantwortlich gemacht.43 verfassungsrechtliche Stabilisierung des Regimes als ein Hindernis für die Bemühungen der Bevölkerung Die Nutzung aller Formen des Widerstandes, die empfunden, das Regime zu überwinden und das Ziel durch die Führung der PCCh kurz vor der Institutio- einer Demokratie zu erreichen. „Las puertas se cierran nalisierung des Pinochet-Regimes der Partei und der para el pueblo y este deberá derribarlas en su marcha Öffentlichkeit mitgeteilt wurde und in den folgenden hacia la democracia.“47 Um die sich schließenden Tü- Jahren als „Política de Rebelión Popular de Masas“44 ren zu öffnen und trotz der Institutionalisierung des (PRPM) bekannt wurde, sollte aus Sicht der Partei- Regimes sein baldiges Ende zu erreichen, wurde des- führung aber nicht als vollkommene Abkehr von der halb die Nutzung aller Widerstandsformen, auch Ge- friedlichen und auf die Bildung einer unidad antifas- waltanwendung, notwendig. Gleichzeitig sollte wei- cista zielenden Vorgehensweise in den sieben Jahren terhin die Verständigung zwischen allen demokrati- zuvor verstanden werden. In den Monaten nach dem schen Kräften gesucht werden, um der Bevölkerung Plebiszit wurde in einem Großteil der Stellungnah- eine Alternative zum Regime zu bieten und die Rück- men der Partei und in verschiedenen Beiträgen ihres kehr zur Demokratie näher zu bringen.48 Generalsekretärs auf diesen Wandel Bezug genom- men und versucht, diesen genauer zu erläutern und In einer Rede am 16. November ging Corvalán selbst zu rechtfertigen. auf den von ihm initiierten Wandel ein. Er beschrieb die Entscheidung, alle Widerstandsformen zu nut- Am 23. September 1980, also nur wenige Wochen zen, nicht als eine radikale Strategieänderung, die als nach dem Sieg Pinochets bei der „farsa plebiscita- Bruch mit der Tradition der Partei anzusehen war, ria“45, veröffentlichte die Kommunistische Partei in sondern vielmehr als eine Erweiterung bzw. Weiter- Chile eine Stellungnahme, in der sie die Arbeit der führung der politischen Linie der Partei.49 Diese sei Opposition im Angesicht des Plebiszits lobte und die nicht aus einer Laune heraus getroffen worden, son- erreichte Einheit in der Ablehnung desselben durch dern sei eine direkte Reaktion auf die „acciones y einen großen Teil der gesellschaftlichen Kräfte her- planes del enemigo“50. Die Nutzung aller Wider- vorhob. Der Ablauf des Plebiszits, der dem Regime standsformen inklusive Gewalt sollte nicht die Su- eine gewisse demokratische Legitimation gab und mit che nach einer friedlichen Lösung ersetzen, sondern dem Sieg Pinochets geendet hatte, wurde dennoch als nur die Mittel erweitern. Vorrangiges Ziel war es im- Erfolg der Opposition verstanden und sollte zur Wei- mer noch, das Regime in Kooperation mit den restli- terarbeit motivieren. Die im Angesicht des Plebiszits chen demokratischen Kräften zu stürzen und ein de- demonstrierte Einheit hätte – aus Sicht der PCCh – mokratisches System aufzubauen. der Bevölkerung eine Alternative zum Pinochet-Re- gime und den Weg zurück zur Demokratie aufgezeigt. „En esta nueva etapa que se inicia en los combates de nuestro pueblo se requiere, más que nunca, de la „Estamos convencidos que el NO fue en verdad unidad de todas las fuerzas democráticas y de la mayoritario en la conciencia de los chilenos. […] El más decidida y amplia solidaridad internacional.“51 pueblo saludó con fervorosa esperanza la gran convergencia política y social que se produjo en esta batalla y vio en ella una real alternativa democrática nung die politische und soziale Übereinstimmung begrüßt und hacia la cual deben apuntar los esfuerzos.“46 hat in ihr eine demokratische Alternative gesehen […].“ 47 Ebd., S. 15. Übers.: „Die Tore für das Volk schließen sich. 43 Vgl. Enriquez, Edgardo: Respuesta de Edgardo Enriquez, Das Volk wird sie auf dem Weg zur Demokratie niederreißen miembro de la Comisión Política del MIR, a Orlando Millas’ müssen.“ 48 dirigente del Partido Comunista de Chile. In: MIR, dos años Vgl. ebd., S. 16. en la lucha de la resistencia popular del pueblo chileno. 49 Vgl. Moulián, Tomás/Torres D., Isabel: ¿Continuidad o Madrid 1976. S. 354-356. cambio en la Línea Política del Partido Comunista de Chile? 44 Rojas Nuñez: De la Rebelión Popular a la sublevación In: Riqeulme, Alfredo/Varas, Augusto/Casals, Marcelo: El imaginada: antecedentes de la historia política militar del Partido Comunista en Chile. Una historia presente. Santiago Partido Comunista de Chile y del FPMR 1973-1990. Santiago de Chile 2010. S. 291-308. Hier S. 302. de Chile 2011. S. 186. 50 Corvalán, Luis: Avanzar por el camino de la unidad y de la 45 Vgl. N.N.: Entrevista a Raimundo Aliaga, Miembro de la Comi- lucha dominando las mas diversas formas de combate. Stock- sión Política del Partido Comunista de Chile. In: BE 44 (1980). holm 16.11.1980. In: BE 45 (1981). S. 1-14. Hier S. 2. S. 8-12. Hier S. 8-9. Übers.: „[...] plebiszitärem Betrugs [...].“ Übers.: „[…] Aktionen und Pläne des Feindes […].“ 46 51 PCCh: Declaración del Partido Comunista de Chile. Santiago, Ebd., S. 8. Übers.: „In diesem neuen Abschnitt, der im Kampf 25.09.1980. In: BE 44 (1980). S. 13-16. Hier S. 13, 15. Übers.: unseres Volkes beginnt, benötigen wir mehr als sonst eine „Wir sind davon überzeugt, dass das Nein im Bewusstsein der Einheit aller demokratischen Kräfte und eine entschlossene Chilenen die Mehrheit darstellt. […] Das Volk hat mit Hoff- und breite internationale Solidarität.“ doi:10.25838/oaj-mip-202018-29 25
Aufsätze Pons Martí – Die Kommunistische Partei Chiles und das Plebiszit von 1980 MIP 2020 | 26. Jhrg. | Heft 1 Die PCCh hatte vor mehr als 40 Jahren den friedli- nicht verändert. Problematischer war jedoch der chen Weg zur Leitlinie aller politischen Entschei- Kontext der weiteren Maximen. dungen erklärt. Diese so genannte vía pacifica al so- Nachdem sieben Jahre lang von einem baldigen cialismo wurde – dem eigenen kommunizierten Ver- Ende der Diktatur (2) gesprochen und geschrieben ständnis nach – nicht aufgegeben, sondern sollte worden war, machte der kurz bevorstehende Versuch durch weitere Maßnahmen ergänzt werden. Hinzu des Regimes, die eigene Herrschaft durch eine Ver- kam, dass schon seit den 1940er Jahren innerpartei- fassung zu festigen und die damit verbundene Ge- lich unterschiedliche Fraktionen vorhanden waren, fahr einer Verlängerung der Amtszeit Pinochets bis die eine aggressivere Vorgehensweise zur Erreichung mindestens 1989 deutlich, dass durch die bis zu die- des Sozialismus forderten. Unter diesen Aspekten er- sem Zeitpunkt verfolgte politische Linie die Rück- scheint die Erklärung der neuen Strategie als Erwei- kehr zur Demokratie nicht erreicht werden konnte terung und Fortführung der politischen Linie der und auch nicht näher gerückt war.54 Der Sieg des Re- Partei durchaus gerechtfertigt.52 gimes beim Plebiszit und die damit einhergehende Bei genauerer Betrachtung wird aber eine Unverein- Institutionalisierung der Militärdiktatur verstärkten barkeit dieser beiden Grundlagen der Strategie – an- rückwirkend diese Ansicht.55 Als Beleg für diese Er- tifaschistische Union und bewaffneter Widerstand – kenntnis der PCCh kann der Vorschlag dienen, eine deutlich und ihre Erklärung als bloße Erweiterung ist Übergangsregierung ohne Beteiligung der PCCh zu nicht nachvollziehbar. Die PCCh hatte es in knapp bilden. Das symbolische Bild, der sich für eine de- sieben Jahren der Pinochet-Herrschaft nicht ge- mokratische Lösung schließenden Tür wurde in den schafft, die DC – trotz der gemeinsamen Ablehnung Monaten nach Abhaltung des Plebiszits in mehreren des Regimes – zu einer Zusammenarbeit zu gewin- Stellungnahmen wiederholt: „[…] el tirano ha cerra- nen. Diese hatte eine Kooperation mit Verweis auf do las puertas a toda expresión democrática.“56 die Radikalität der Endziele der PCCh und ihrer Ver- Die durch das Plebiszit geschaffene Situation machte bindung zur Sowjetunion abgelehnt. Die Erweite- es aus Sicht der Kommunisten unerlässlich, alle zur rung der Strategie der Partei, die für den Sturz Pino- Verfügung stehenden Mittel zu nutzen, und legiti- chets von der Führung der Partei (EDI und Exil) als mierte damit auch die Nutzung von Gewalt, im unumgänglich betrachtet wurde, stieß auf Seiten der Kampf gegen das Regime.57 Somit kann das Plebiszit gemäßigten Opposition dementsprechend auf eine von 1980 als einer der Hauptgründe für die radikale starke Ablehnung. Die DC – Hauptadressat der Ein- Erweiterung der politischen Linie angesehen werden: heitsaufrufe der PCCh – kritisierte diese Haltung und nannte sie in der Folge als weiteren Grund für „Los resultados del fradulento plebiscito […] han die Weigerung zu einer Zusammenarbeit mit den hecho evidente, de modo cualitativo, en el seno de Kommunisten.53 las fuerzas democráticas de la nación, la imposibilidad de que ellas puedan avanzar sin el empleo de formas agudas de violencia hacia la Drei Gründe für den Strategiewandel democracia e Chile. De aquí que la Dirección de Die PCCh musste mit einer solchen Reaktion der ge- nuestro Partido ha planteado […] la necesidad de mäßigten Opposition auf eine solche Strategie rech- incorporar todas las formas necesarias de lucha de las masas para el derrocamiento de Pinochet.“58 nen. Warum aber wurde die Erweiterung der politi- schen Linie der Kommunistischen Partei trotzdem 54 Vgl. Álvarez: Desde las sombras. S. 221. vorgenommen und dadurch eine Einigung mit der 55 Vgl. Vanegas Valdebonito, Hernán: Trayectoria del Partido gemäßigten Opposition erschwert? Zur Beantwor- Comunista de Chile. De la crisis de la Unidad Popular a la tung dieser Frage müssen zunächst die vorgestellten Política de Rebelión Popular de Masas. In: Revista drei Maximen der politischen Linie der PCCh be- Universum 24, 2 (2009). S. 262-293. Hier S. 262. trachtet werden. Die internationale und nationale 56 PCCh: Declaración del Partido Comunista de Chile. Santiago, Ablehnung und Ächtung des Regimes und seiner marzo 1981. In: BE 47 (1981). S. 12-16. Hier S. 13. Übers.: Menschenrechtsverletzung (1) hatte sich als Grund- „[…] der Tyrann hat die Türen zum demokratischen Aus- druck geschlossen.“ lage aller weiteren Schritte in den Augen der PCCh 57 Vgl. PCCh: Al Pueblo de Chile. In: BE 50 (1981). S. 97. 58 52 González, Camilo: Lo militar en la política del Partido. In: Siehe Moulián/Tórres D.: ¿Continuidad o cambio en la Línea Principios, 60 añs de lucha (1985). S. 23-24. Übers.: „Die Er- Política del Partido Comunsita de Chile?; Riquelme Segovia: gebnisse des betrügerischen Plebiszits […] haben den demo- Rojo atardecer. kratischen Kräften die Unmöglichkeit eines Fortschritts auf 53 Vgl. Gil: Chilenos ante el debate constitucional ¿Actores o dem Weg zur Demokratie Chiles, ohne den Einsatz von akuter espectadores? S. 2-3. Gewalt, aufgezeigt. Aus diesem Grund hat die Führung unse- 26 doi:10.25838/oaj-mip-202018-29
MIP 2020 | 26. Jhrg. | Heft 1 Pons Martí – Die Kommunistische Partei Chiles und das Plebiszit von 1980 Aufsätze Ein weiterer Grund für die Entscheidung, alle Formen Die Grundlage der Maximen (2) und (3) hatte sich des Widerstandes gegen das Pinochet-Regime in Be- nach dem Plebiszit verändert und dadurch einen tracht zu ziehen, hatte auch mit der hartnäckigen Wei- Wandel der Strategie der PCCh nötig gemacht. Hin- gerung der DC zu tun, sich auf ein – wenn auch zeit- zu kamen aber darüber hinaus noch weitere interne lich begrenztes – Bündnis mit den Parteien der UP und externe Gründe. Neben der Ablehnung einer un- einzulassen. Wie beschrieben, hatte die PCCh seit idad antifascista und der Zusammenarbeit seitens dem Putsch versucht, eine gesellschaftlich möglichst der DC kam 1979 eine Krise innerhalb der UP hinzu. breit aufgestellte antifaschistische Union (3) gegen Eine starke UP und ein gemeinsames Vorgehen der die Militärdiktatur aufzubauen und die DC – als An- darin vertretenden Parteien war seit dem Militär- führerin der gemäßigten Opposition – spielte in die- putsch von der PCCh als Grundlage für einen erfolg- sen Überlegungen eine wichtige Rolle. Die vielen reichen Kampf gegen das Regime und das Erreichen aufgezeigten Annäherungen der Kommunisten bestä- eines Bündnisses mit den restlichen Oppositionspar- tigen diese Annahme. Statt jedoch eine parteienüber- teien angesehen worden. In vielen der Stellungnah- greifende Einheit der Opposition zu erreichen, wei- men der PCCh wurde beispielsweise von einem „en- gerte sich die DC mit Verweis auf die Verbindung der tendimiento entre la Unidad Popular y la Democra- PCCh zur Sowjetunion (z.B. durch die Exilführung in cia Cristiana“62 gesprochen und nicht nur zwischen Moskau) und das kommunistische Ziel der Errichtung PCCh und DC. Während aber die PCCh trotz Mei- einer sozialistischen Gesellschaftsordnung, eine offi- nungsverschiedenheiten zwischen dem EDI und der ziell von der Partei getragene Zusammenarbeit zuzu- Exilführung nie der Gefahr einer Spaltung ausgesetzt lassen.59 Dennoch wurde das Ziel einer gesamtgesell- war, erlitt die Sozialistische Partei (PS) im Jahr 1979 schaftlichen antifaschistischen Union von den Kom- eine solche. Die daraus entstehenden PS-Nuñez munisten nicht aufgegeben. Während die DC „sigue (auch PS-Renovado) und PS-Almeyda (auch PS- creyendo en que todavía puede haber una solución Histórico) besaßen unterschiedliche Auffassungen pacífica sobre la base de un acuerdo con las fuerzas über die zukünftige Ausrichtung des chilenischen armadas“60, hielt die PCCh dies für sehr unwahr- Sozialismus. Die PS-Nuñez entfernte sich von der scheinlich. Trotzdem würde sich die PCCh einer sol- UP und näherte sich an die DC an. Die PS-Almeyda chen Lösung nicht verschließen. Gleichzeitig forder- hingegen blieb mit der PCCh und der UP verbun- te Corvalán in seiner Rede, dass alle demokratischen den.63 Diese Spaltung schwächte die UP jedoch er- Kräfte die Nutzung von Gewalt nicht aus Prinzip ab- heblich und erschwerte es der PCCh, eine unidad lehnen dürften. Trotz dieses Erklärungsversuches antifascista der gesamten Opposition zu erreichen. kritisierte die DC in der Folge die PCCh für ihren Zu den Parteien, die sich bisher geweigert hatten, Standpunkt und weigerte sich umso entschiedener, mit der UP zusammenzuarbeiten, gesellte sich zur eine Zusammenarbeit anzustreben. DC nun auch noch die PS-Nuñez hinzu. Die Gefahr Die veränderte Situation und das Fernbleiben er- eines möglichen Paktes zwischen der PS-Nuñez und kennbarer Fortschritte in der Beziehung der beiden der DC, der tatsächlich 1983 entstand, und der damit Parteien – trotz der Zugeständnisse (z.B. Übergangs- einhergehenden Isolation der PCCh, machte es für regierung ohne Beteiligung der PCCh) – machte es letztere nötig, andere Kräfte zu mobilisieren.64 für die PCCh notwendig, andere Möglichkeiten des Bei der Analyse dieser Entscheidung, die Strategie Widerstandes aufzunehmen und eine erschwerte Ko- um den bewaffneten Aspekt zu erweitern, muss auch operation mit den gemäßigten Oppositionsparteien die parteiinterne Situation der Kommunistischen in Kauf zu nehmen: Partei bis zum Plebiszit beachtet werden. Die seit „Las ilusiones y esperanzas que algunos han dem Putsch ausgeübte Verfolgung durch das Regime abrigado en el sentido de que la libertad podría hatte die Partei zwar nicht zerstört, das tägliche Par- reconquistarse gradual y gratuitamente, no han teileben aber empfindlich getroffen. Treffen von Par- conducido a nada positivo. […] En cuanto a las formas de combate, se han creado condiciones dass die Freiheit schrittweise erreicht werden könnte, haben nuevas y se ha hecho necesario ir más allá.“61 zu nichts geführt. […] In Bezug auf die Formen des Kampfes hat sich eine neue Situation herausgebildet und man muss dar- rer Partei beschlossen, alle für einen Sturz Pinochets nötigen über hinaus gehen.“ Formen des Kampfes aufzunehmen.“ 62 PCCh: Patriotas: ¡Solo unidos derrotaremos al Fascismo! S. 10. 59 Vgl. Riquelme Segovia: Rojo atardecer. S. 124. 63 Vgl. Wehr, Ingrid: Zwischen Pinochet und Perestroika. Die 60 Corvalán: Avanzar por el camino de la unidad. S. 6. chilenischen Kommunisten und Sozialisten. 1973-1994. 61 PCCh: Lucha Antifascista. In: BE 49 (1981). S. 4-43. Hier Freiburg 1996. S. 176-86. 64 S. 17-23. Übers.: „Die Hoffnungen, die einige gehabt hatten, Vgl. Moulián/Tórres D.: ¿Continuidad o cambio? S. 305. doi:10.25838/oaj-mip-202018-29 27
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