DIE KOMMUNISTISCHE PARTEI CHILES UND DAS PLEBISZIT VON 1980 - MIP HHU PRUF

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Aufsätze                 Pons Martí – Die Kommunistische Partei Chiles und das Plebiszit von 1980              MIP 2020 | 26. Jhrg. | Heft 1

Die Kommunistische Partei Chiles und das Plebiszits begründet? Wie veränderte das Plebiszit
Plebiszit von 1980                       die weitere politische Arbeit der Partei in den fol-
                                                                       genden Jahren der Diktatur?
     Vicente Pons Martí1                                               Aus Anlass der aktuellen Entwicklungen in Chile und
                                                                       des 40-jährigen Jubiläums der Abhaltung des Plebis-
                                                                       zits ist eine Beschäftigung mit diesem historischen
Chile befindet sich seit Sommer 2019 inmitten der                      Ereignis von Bedeutung. Im folgenden Artikel wird
stärksten sozialen Proteste seit dem Ende der Pino-                    dieses Thema anhand einer Analyse der Strategie der
chet-Diktatur vor 30 Jahren. Eine der Hauptforderun-                   PCCh während des Plebiszits von 1980 beleuchtet.
gen der Demonstranten ist es, die aktuelle Verfassung,                 Zunächst soll die politische Linie und Strategie der
die 1980 während der Pinochet-Diktatur beschlossen                     PCCh bis zur Abhaltung des Plebiszits näher be-
wurde, durch eine neue zu ersetzen. Regierung und                      trachtet werden, um in einem zweiten Schritt die
Opposition haben sich deshalb am 15.11.2019 darauf                     Veränderungen dieser Linie im Angesicht des Plebis-
geeinigt, auf diese Forderung einzugehen. Wichtiger                    zits vorzustellen und zu erklären. Abschließend wer-
Bestandteil der Vereinbarung ist ein Plebiszit im                      den die Gründe für die Veränderungen erläutert.
April 2020, bei dem die Bevölkerung darüber ent-                       Die Analyse der Strategie der PCCh wird anhand
scheidet, ob eine neue Verfassung von der Mehrheit                     von offiziellen Dokumenten der Partei und ihrer füh-
gewünscht ist.                                                         renden Mitglieder durchgeführt. Bei den untersuch-
Die aktuelle Verfassung wurde interessanterweise                       ten Dokumenten handelt es sich zum Großteil um
ebenfalls mithilfe eines Plebiszits angenommen.                        Beiträge, die in der in Moskau erschienenen partei-
Dieses Plebiszit erfüllte jedoch keine demokrati-                      internen Zeitung Boletín del Exterior3 (Boletín) ver-
schen Mindestanforderungen und wurde auf nationa-                      öffentlicht wurden. Trotz der Veröffentlichung der
ler und internationaler Ebene stark kritisiert. Partei-                Beiträge im Ausland fand sie ihren Weg nach Chile.
en waren verboten und Wahlkundgebungen stark                           Viele der Stellungnahmen und Erklärungen erschie-
eingeschränkt. Trotz dieser Beschränkungen spielten                    nen ab 1978 in der Oppositionspresse oder in Form
die Parteien im Untergrund eine wichtige Rolle und                     von Flugblättern und können u.a. im Museum der
übten, nebst anderen Organisationen wie der Kirche,                    Erinnerung und Menschenrechte in Chile eingesehen
einen großen Einfluss auf die Öffentlichkeit aus.                      werden.4 Auf Grund der ausgezeichneten Qualität
                                                                       der zugänglichen Kopien sind für diesen Beitrag die
Die Kommunistische Partei Chiles (PCCh) hob sich
                                                                       Dokumente des Boletín benutzt worden. Bei der Ver-
während der Diktatur von den anderen demokrati-
                                                                       wendung des Boletín als Quellenkorpus müssen je-
schen Parteien in Chile besonders ab, da sie nach
                                                                       doch mehrere Faktoren beachtet werden. Der Boletín
dem Sturz der demokratischen Regierung der Unidad
                                                                       verfolgte nicht den Anspruch, alle von der PCCh und
Popular (UP)2 durch einen Militärputsch und der
                                                                       ihren Mitgliedern produzierten Artikel und Stellung-
darauf folgenden Pinochet-Diktatur zu den am
                                                                       nahmen zu veröffentlichen. Darüber hinaus befand
stärksten verfolgten Parteien gehörte und 1980 als
                                                                       sich der Boletín unter der Kontrolle der Exilführung
Anführerin des linken Lagers einen wichtigen Ein-
                                                                       in Moskau. Im Laufe der Diktatur kam es zwischen
fluss auf die politische Linie der linken Parteien aus-
                                                                       dem Equipo de Dirección Interior (EDI), der Unter-
übte. Im Jahr 1980 sprach sich die PCCh zunächst
                                                                       grundführung der Partei in Chile, und der Exilfüh-
gegen die Teilnahme der Bevölkerung am Plebiszit
                                                                       rung in Moskau zu Auseinandersetzungen über die
aus. Im weiteren Verlauf änderte sich die politische
                                                                       Ausrichtung der Partei, auf die im weiteren Verlauf
Linie der PCCh jedoch und sie versuchte, die Bevöl-
                                                                       des Artikels genauer eingegangen wird. Diese Aus-
kerung zu mobilisieren und zur Ablehnung der Ver-
                                                                       einandersetzungen wurden parteiintern ausgetragen
fassung zu bewegen. Worin liegt dieser Wandel der
                                                                       und tauchen deshalb nicht explizit im Boletín auf. Es
politischen Linie im Angesicht des bevorstehenden
                                                                       muss aber dennoch beachtet werden, dass die Her-
1
    Vicente Pons Martí, M.A., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter       ausgeber in Moskau eine Auswahl der zu veröffentli-
    am Lehrstuhl für Politische Soziologie und Staatstheorie,          chenden Dokumente trafen und dabei diejenigen Ar-
    Prof. Dr. Jens Borchert, Goethe-Universität Frankfurt, und in      tikel, die ihrer Meinung entsprachen, eher in Be-
    einem DFG-Projekt zur Wahrnehmung politischer Parteien in
                                                                       3
    Deutschland und England im Laufe des 19. Jahrhunderts.                 In den Fußnoten wird der Boletín del Exterior als BE abge-
2
    Die UP war ein Wahlbündnis der linken Parteien in Chile, un-           kürzt.
                                                                       4
    ter Beteiligung der PCCh und der Sozialistischen Partei, die           Die Recherchen fanden im Rahmen eines Forschungsaufent-
    1970 die Wahlen gewann und unter Salvador Allende bis zum              haltes im Museum statt. Ich danke dem Museum und den Mit-
    Militärputsch eine Regierung bildete.                                  arbeitern für die Unterstützung.

18                                                                                                  doi:10.25838/oaj-mip-202018-29
MIP 2020 | 26. Jhrg. | Heft 1        Pons Martí – Die Kommunistische Partei Chiles und das Plebiszit von 1980               Aufsätze

tracht zogen. Trotz dieser Einschränkungen des                      Die politische Linie der PCCh vor dem Plebiszit
Quellenkorpus erschienen im Boletín die wichtigsten
Dokumente der PCCh während der Diktatur, z.B.                       Das erste Dokument, das für die Analyse der Strate-
Stellungnahmen, Interviews oder Berichte, die als                   gie und Vorgehensweise der Kommunistischen Par-
wichtige und inhaltvolle Quellen für den vorliegen-                 tei herangezogen wird, ist das „Manifesto al Pueblo
den Beitrag verwendet werden.                                       de Chile“.6 Es wurde im August 1975 in Chile ver-
                                                                    breitet und legte die Grundlage für den kommunisti-
Bei der Analyse der Stellungnahmen und Erklärun-                    schen Diskurs der folgenden Jahre. Zu Beginn des
gen der PCCh muss darüber hinaus beachtet werden,                   Manifests wurde die wirtschaftliche Lage des Lan-
in welcher Situation sie verfasst und verbreitet wur-               des und deren Auswirkung auf die Bevölkerung, die
den. Die Untergrundführung in Chile und die Exil-                   durch die Reformen im Zusammenhang mit der von
führung in Moskau hatten zwar sporadisch Kontakt,                   den Chicago Boys durchgeführten Schocktherapie
jedoch war dieser schwer herzustellen und bspw.                     ausgelöst wurde, beschrieben. Diese Reformen wür-
nach der Krise des Jahres 1976, bei der zwei aufein-                den der Junta zufolge Opfer von allen sozialen
anderfolgende Untergrundführungen durch das Re-                     Schichten abverlangen. In den Augen der PCCh wa-
gime ermordet wurden, für längere Zeit unterbro-                    ren sie stattdessen auf die Profitsteigerung einer klei-
chen. Die Stellungnahmen wurden dabei von ver-                      nen Minderheit der nationalen und internationalen
schiedenen Personen verfasst und besitzen demnach                   Monopole, u.a. der Finanz- und Bankenbranche, der
auch unterschiedliche Schwerpunktsetzungen. Für                     großen Import- und Exportgesellschaften und der
diesen Beitrag sind vorwiegend Dokumente ausge-                     Großgrundbesitzer zugeschnitten. Die Mehrheit der
wählt worden, die die politische Linie der Partei zur               Bevölkerung würde hingegen darunter leiden.7 Aus
Überwindung der Diktatur behandelten und das Ple-                   Sicht der PCCh hätte diese Politik des Regimes zu-
biszit zum Thema hatten. Auf Grund des Unter-                       sammen mit den von der DINA begangenen Men-
grundcharakters der Stellungnahmen und der er-                      schenrechtsverletzungen zu einer immer stärker wer-
schwerten Verteilung der Dokumente in der Bevöl-                    denden Ablehnung durch eine große Mehrheit der
kerung kommt es in diesen oft zu Wiederholungen                     Bevölkerung und einer internationalen Isolation des
über die Situation Chiles während der Diktatur und                  Regimes geführt.8
zu Rückbeziehung auf frühere Stellungnahmen der
Partei. Im Folgenden werden deshalb besonders neue                  Die generierte nationale und internationale Ableh-
Argumentationslinien und Überlegungen hervorge-                     nung der Militärdiktatur reichte jedoch nicht aus, um
hoben. Der Bezug auf wiederkehrende Punkte kann                     eine Überwindung des Regimes zu erreichen. Neben
aber nicht vollständig vermieden werden.                            einer Mobilisierung der Massen sah die PCCh vor
                                                                    allem eine breite Einheit der gesellschaftlichen Kräf-
In den Jahren vor dem Plebiszit von 1980 sah sich die               te als notwendig an. Die Bildung einer antifaschisti-
PCCh, ebenso wie die restlichen Parteien der UP, der                schen Union war demnach das vorrangige Ziel der
Verfolgung durch das Regime – insbesondere durch                    PCCh, um das Regime zu stürzen. Diese „[…] unidad
die Geheimdienste5 – und einem Ausschluss aus dem                   antifascista […]“9 sollte auf der Grundlage der Par-
demokratischen Willensbildungsprozess der chileni-                  teien der UP aufgebaut und auf alle gesellschaftli-
schen Gesellschaft ausgesetzt. In diesem Zeitraum                   chen Kräfte ausgeweitet werden, die das Regime ab-
war die PCCh zunächst damit beschäftigt, ihre Struk-                lehnten, darunter auch die Mitte-Partei Democracia
turen im Untergrund aufzubauen und zu stabilisieren,                Cristiana (DC).
um damit das Überleben der Partei zu sichern. Dem-
entsprechend fehlten ihr die Kapazitäten, um einen                  Die DC hatte die Politik der UP während der Regie-
aktiven Widerstand gegen das Regime zu organisie-                   rung Allendes abgelehnt. Zu Beginn des Putsches
ren. Trotzdem hatte die Führung der Partei eine allge-              1973 hatte es in deren Reihen sogar Befürworter ge-
meine politische Linie zur Überwindung der Diktatur                 geben. Um die DC trotzdem zu einer Zusammenar-
herausgearbeitet, die im Wesentlichen bis 1980 Be-                  beit zu bewegen, rückte die PCCh zugunsten des
stand hatte. Grundlage dieser politischen Linie war es,             Sturzes Pinochets zunächst davon ab, ein sozialisti-
ein Bündnis mit den demokratischen Kräften und eine                 6
                                                                        PCCh: Manifesto al Pueblo de Chile. Agosto 1975.
sofortige Rückkehr zur Demokratie zu erreichen.                     7
                                                                        Vgl. ebd., S. 2.
                                                                    8
                                                                        Vgl. ebd., S. 3-4; Álvarez Vallejos, Rolando: Desde las
5
    Nach dem Militärputsch wurde von der Junta Militar der Ge-          sombras. Una historia de la clandestinidad comunista. (1973-
    heimdienst Dirección de Inteligencia Nacional (DINA) ge-            1980). Santiago de Chile 1980. S. 127, 128.
                                                                    9
    gründet. Dieser wurde 1977 durch die Central Nacional de            PCCh: Manifesto 1975. S. 7. Übers.: „[…] antifaschistische
    Informaciones (CNI; 1977-1990) ersetzt.                             Union […]“.

doi:10.25838/oaj-mip-202018-29                                                                                                   19
Aufsätze                 Pons Martí – Die Kommunistische Partei Chiles und das Plebiszit von 1980                MIP 2020 | 26. Jhrg. | Heft 1

sches System errichten zu wollen und beschrieb auf                     en und die repressive Wirtschaftspolitik, die Hunger
den letzten drei Seiten des Manifests die Eckpfeiler                   und Leid für die große Mehrheit verursacht hätte.13
des von der unidad antifascista zu erreichenden Sys-
                                                                       Neben solchen kurzen Stellungnahmen zu bestimmten
tems. Es sollte sich dabei um einen vollkommen de-
                                                                       Themen, die meist nicht länger als drei Seiten waren,
mokratischen Staat handeln, der „[…] los derechos
                                                                       und in denen neben der Notwendigkeit einer unidad
humanos básicos, las libertades políticas y sociales
                                                                       antifascista meist auch auf die Menschenrechtsverlet-
del pueblo chileno […]“10 gewährleisten sollte.
                                                                       zungen durch das Regime hingewiesen wurde, wur-
Diese Vorgehensweise im Kampf gegen das Regime                         den von Zeit zu Zeit längere Erklärungen veröffent-
wurde von der Führung der PCCh in den darauffol-                       licht, mit denen die politische Linie der Kommunisti-
genden Jahren fortgeführt und in mehreren öffentli-                    schen Partei offengelegt werden sollte. Ein Beispiel
chen Erklärungen der Partei ausgebaut. Dabei spielte                   für eine solche längere Erklärung stammt vom Sep-
die Bildung der unidad antifascista, bestehend aus                     tember 1976. Nachdem die Partei zunächst ihre Struk-
den Parteien der UP und den restlichen Oppositions-                    turen trotz der Verfolgung durch das Pinochet-Regime
parteien, eine herausragende Rolle. In erster Linie                    stabilisieren konnte, musste sie in diesem Jahr Morde
sollte dabei die DC als größte gemäßigte Oppositions-                  an zwei aufeinanderfolgenden Untergrundführungen
partei zur Zusammenarbeit bewegt werden. Kaum                          verkraften und befand sich in der bis dahin kritischs-
eine Erklärung wurde ohne den Hinweis auf die Be-                      ten Situation für das Überleben der Partei.14
deutung eines solchen Bündnisses oder der Zusam-
                                                                       Trotz dieses harten Rückschlags der Partei im
menarbeit aller gesellschaftlichen Kräfte verfasst.
                                                                       Kampf gegen das Regime und die immer noch vor-
Da die DC aber nicht bereit war, mit der UP und der                    handene Weigerung der DC, sich an einer unidad
PCCh zusammenzuarbeiten, wurde in mehreren Stel-                       antifascista zu beteiligen, wurde diese Strategie der
lungnahmen versucht, eine Annäherung an die DC                         Annäherung fortgeführt und in der Erklärung schon
zu vollbringen und dadurch die Beziehung zur DC                        im Titel „Patriotas: ¡Solo unidos derrotaremos al fas-
zu normalisieren. In einer Erklärung wurde bspw. die                   cismo!“15 benannt. Nach der Zusammenfassung der
1976 erfolgte Exilierung von zwei Mitgliedern der                      vorherrschenden Situation in Chile, die mit einer
DC, die vom Regime auf Grund ihrer Arbeit als                          Kritik an der Wirtschaftspolitik, Menschenrechtsver-
Rechtsanwälte im Bereich der Menschenrechte des                        letzungen und politischen Situation verbunden war,
Landes verwiesen wurden, als Angriff auf alle demo-                    wurde in mehreren Absätzen der Erklärung auf die
kratischen Kräfte kritisiert und zur Überwindung des                   demokratische Tradition Chiles hingewiesen. Dabei
Regimes zur Zusammenarbeit aufgerufen.11                               wurden nicht nur die von den linken Parteien er-
                                                                       reichten Meilensteine erwähnt, sondern auch explizit
Auch auf das endgültige Verbot der nicht-marxisti-
                                                                       die Regierungen der DC, durch deren Politik „[…]
schen Parteien Anfang 1977, durch welches schließ-
                                                                       contribuyo a que millones de campesinos y poblado-
lich auch die DC verboten wurde, reagierte die
                                                                       res de ambos sexos, se sintieran ciudadanos chile-
PCCh mit einem offenen Brief, indem sie die Verlet-
                                                                       nos“16, gelobt. Damit sollte einerseits der DC und
zung der Menschenrechte durch das Regime anpran-
                                                                       andererseits den eigenen Anhängern die Gemeinsam-
gerte und der DC ihre Unterstützung und erneut die
Zusammenarbeit im Kampf gegen die Militärdiktatur                      13
                                                                            Vgl. Corvalán, Luis: El Partido Comunista de Chile llama a
anbot.12 Darüber hinaus wurde dies in einer weiteren                        abrir paso a una salida democratica. In: Boletín del Exterior
                                                                            23 (1977). S. 79-81. Hier S. 80; Garretón, Manuel: Political
Erklärung des Generalsekretärs der Partei, Luis Cor-                        Processes in an Authoritarian Regime. The Dynamics of Insti-
valán, thematisiert. In dieser Erklärung kritisierte                        tutionalization and Opposition in Chile, 1973-1980. In:
Corvalán die Menschenrechtsverletzungen durch das                           Valenzuela, Samuel/Valenzuela, Arturo (Hg.): Military Rule
Regime, das Verbot der restlichen Oppositionspartei-                        in Chile. Dictatorship and Oppositions. London 1987. S. 144-
                                                                            183. Hier S. 170.
                                                                       14
                                                                            Vgl. Álvarez: Desde las sombras. S. 133-168. In diesen zwei
10
     Ebd. S. 8, 9. Übers.: „[…] den elementaren Menschenrechten,            Kapiteln aus dem Buch von Álvarez wird das Schicksal der ein-
     politischen und sozialen Freiheiten des chilenischen Volkes            zelnen Mitglieder der Untergrundführungen beschrieben und die
     […]“; vgl. Furci, Carmelo: The Chilean Communist Party and             Probleme, die sich daraufhin für die Partei ergaben, betrachtet.
     its Third Underground Period, 1973-1980. In: Bulletin of          15
                                                                            PCCh: Patriotas: ¡Solo unidos derrotaremos al fascismo! In:
     Latin American Research 2, 1 (1981). S. 81-95.                         BE 20 (1976). S. 1-12. Hier S. 1. Übers.: „Nur gemeinsam
11
     Vgl. PCCh: Declaración del Coordinador Exterior del Partido            werden wir den Faschismus besiegen.“
     Comunista de Chile. 09.08.1976, Santiago. In: BE 19 (1976).       16
                                                                            PCCh: Patriotas: ¡Solo unidos derrotaremos al fascismo! S. 5.
     S. 62-63. Hier S. 63.                                                  Übers.: „[…] dazu beigetragen hat, dass sich Millionen Bau-
12
     Vgl. PCCh: Carta del Partido Comunista a la Democracia                 ern und Arbeiter beider Geschlechter als chilenische Bürger
     Cristiana. BE 24 (1977). S. 102.                                       fühlen konnten.“

20                                                                                                  doi:10.25838/oaj-mip-202018-29
MIP 2020 | 26. Jhrg. | Heft 1          Pons Martí – Die Kommunistische Partei Chiles und das Plebiszit von 1980                Aufsätze

keiten zwischen den beiden Lagern aufgezeigt und                      Diese von der PCCh verfolgte Strategie der unidad
so die Annäherung an einen ehemaligen politischen                     antifascista (3) und der Charakterisierung des Re-
Gegner auf nachvollziehbare Weise erklärt werden.                     gimes als vor-dem-Zusammenbruch-stehend (2) än-
                                                                      derte sich auch im Angesicht der Consulta Nacional
Das Bündnis zwischen der DC und den Parteien der
                                                                      im Jahr 1978 zunächst nicht. Durch die Consulta
UP wurde daraufhin als „[…] clave para una salida
                                                                      (Volksbefragung) versuchte das Regime, die eigene
democrática […]“17 angesehen. Ein Alleingang wäre
                                                                      Legitimität sicherzustellen und die Unterstützung
auf Grund der Unterstützung des Regimes durch das
                                                                      durch die Bevölkerung im Rahmen einer scheinde-
Militär für beide Seiten nicht von Erfolg gekrönt ge-
                                                                      mokratischen Abstimmung zu beweisen. Diese wur-
wesen und musste deswegen zu Gunsten eines ge-
                                                                      de in einer Erklärung als ein plumper Betrug des Re-
meinsamen Vorgehens verhindert werden. Dafür
                                                                      gimes ohne politischen Wert bezeichnet.21 Gleichzei-
schlug die PCCh drei Schritte vor, von denen jedoch
                                                                      tig wurde die Notwendigkeit eines „[…] entendi-
nur der erste als unverzichtbar angesehen wurde:
                                                                      miento de todas las fuerzas democráticas para derri-
       1. Die Bildung einer antifaschistischen Union                  bar la tiranía“ herausgestellt und der baldige Sturz
          mit dem Ziel, die Diktatur abzuschaffen (di-                des Regimes durch diesen „entendimiento“22 als ge-
          rekt an die DC gerichtet).                                  sichert angesehen. Auch in anderen Erklärungen und
       2. Die Diskussion innerhalb dieser Union über                  Artikeln ist in den Monaten nach der Consulta
          die Charakteristika des zu erreichenden Sys-                Nacional trotz der scheindemokratischen Legitimati-
          tems nach dem Sturz der Diktatur.                           on des Regimes von der kurz bevorstehenden Eini-
                                                                      gung zwischen den Oppositionskräften und dem da-
       3. Die Bildung einer Regierung bestehend aus                   mit besiegelten Ende des Regimes zu lesen.
          allen antifaschistischen Kräften.18
                                                                      Erste Reaktion auf das Plebiszit 1980: Bestär-
In diesem Zusammenhang muss die Situation, in der
                                                                      kung der politischen Linie
die Stellungnahmen und Erklärungen verfasst und
verbreitet wurden, beachtet werden. Vor allem bei                     Diese optimistische Einstellung sollte sich auch im
den offiziellen Stellungnahmen der Partei ist nicht                   Rahmen der intensivierten Institutionalisierungsbe-
klar, wer an deren Entstehung beteiligt war, da kein                  strebungen des Regimes, die mit dem Plebiszit von
Autor angegeben ist. In allen Dokumenten steht aber                   1980 ihren vorläufigen Höhepunkt erreichen sollten,
eine gemeinsame politische Linie der Partei und die                   zunächst nicht von Grund auf ändern. Nachdem der
sich daraus ableitende Strategie im Vordergrund. Die                  Consejo de Estado Ende 1978 vom Regime damit
politische Linie lässt sich vor dem Plebiszit von                     beauftragt worden war, den Verfassungsentwurf der
1980 nach Analyse der offiziellen Stellungnahmen                      Comisión Ortuzar23 zu überarbeiten, wurden zu-
der Partei in drei Maximen beschreiben, die in ge-                    nächst die Strategieerklärungen der Partei um die
genseitiger Beeinflussung und Verbindung stehen.                      verfassungsrechtliche Dimension erweitert.
Zunächst wurde die Ablehnung (1) des Regimes auf
Grund seiner Illegitimität und der Menschrechtsver-                   Im Oktober 1978 verfasste der EDI, der durch die
letzungen sowohl auf nationaler als auch auf interna-                 Einschleusung neuer Führungskräfte aus dem Exil,
tionaler Ebene angenommen und vorausgesetzt. In                       wie Gladys Marín, neu aufgebaut worden war, eine
einem zweiten damit verbundenen Schritt wurde von                     Erklärung, in der eine klare Stellung gegenüber den
einem baldigen Ende des Regimes (2) und einer                         Versuchen des Regimes, eine Konstituierung des
Rückkehr zur Demokratie ausgegangen.19 Als wich-                      20
                                                                           Vgl. Álvarez: Desde las sombras. S. 127, 128; Osvaldo
tigstes Element der politischen Linie und der Strate-                      Puccio, H.: La política del Partido Comunista de Chile.
gie der Partei diente die Idee einer antifaschistischen                    Elementos de su evolución y permanencia en el último
Union aller demokratischen Kräfte (3) unter Einbe-                         período. In: Varas, Augusto u.a. (Hg.): El Partido Comunista
                                                                           en Chile. Una historia presente. Santiago de Chile 2010. S.
ziehung früherer politischer Gegner wie der DC, die                        309-326. Hier S. 319.
den Sturz des Regimes vorantreiben und im An-                         21
                                                                           Vgl. PCCh: Declaración sobre el Plebiscito-farsa. In: BE 28
schluss die Regierungsgeschäfte übernehmen sollte.20                       (1978). S. 107-108. Hier S. 107.
                                                                      22
                                                                           Ebd., S. 108. Übers.: „[…] eine Verständigung aller demokra-
17
                                                                           tischen Kräfte, um die Tyrannei niederzureißen […].“
     Ebd., S. 10. Übers.: „[…] der Schlüssel für einen demokrati-     23
     schen Ausweg […].“                                                    Die Comisión Ortuzar war vom Regime mit der Erstellung ei-
18
                                                                           nes groben Verfassungsentwurfs beauftragt worden. Dieser
     Vgl. ebd., S. 10-12.                                                  Entwurf wurde daraufhin vom Consejo de Estado und von der
19
     Siehe: PCCh: Manifesto del Partido Comunista de Chile,                Junta Militar überarbeitet und der Bevölkerung während des
     mayo 1977. In: BE 24 (1977). S. 1-19.                                 Plebiszits von 1980 zur Abstimmung präsentiert.

doi:10.25838/oaj-mip-202018-29                                                                                                      21
Aufsätze                  Pons Martí – Die Kommunistische Partei Chiles und das Plebiszit von 1980              MIP 2020 | 26. Jhrg. | Heft 1

Systems zu erreichen, bezogen wurde. Der Verfas-                        Einen ersten Teilerfolg dieser Annäherungstaktik der
sungsentwurf würde zwar demnach auf den ersten                          PCCh an die DC wurde im „Informe al Pleno del
Blick eine Reihe an Menschen- und politischen                           Comité Central“ beschrieben, der während einer
Rechten benennen und ankündigen, jedoch im End-                         Versammlung des Zentralkomitees in Moskau 1979
effekt alle politischen, sozialen und wirtschaftlichen                  vorgestellt wurde. Darin wurde von fast wöchentlich
Rechte der Bürgerschaft verneinen.24 Die Verfassung                     stattfindenden Treffen zwischen Anführern beider
wurde als Versuch interpretiert, den Faschismus zu                      Parteien im Inneren des Landes berichtet, in denen
institutionalisieren und das geplante Plebiszit zu sei-                 unter anderem die Bildung eines gemeinsamen Ver-
ner Annahme durch die Bevölkerung als Betrug an                         fassungskomitees erörtert worden war. Diese in der
derselben gewertet.25 Statt sich wie in vorherigen Er-                  Theorie vorhandene Einigung konnte jedoch nicht in
klärungen primär auf die Einheit und Zusammenar-                        der Praxis umgesetzt werden und gestaltete sich
beit der Opposition zu konzentrieren, wurde nun ge-                     komplizierter als gedacht.30 Im Angesicht der voran-
fordert, dem Vorschlag des Regimes einen demokra-                       schreitenden Institutionalisierungsbestrebungen des
tischen Verfassungsentwurf entgegenzusetzen.26 Als                      Pinochet-Regimes durch das geplante Plebiszit än-
gemeinsame Grundlage für diesen Entwurf aller Op-                       derte sich darüber hinaus zum ersten Mal die in den
positionskräfte wurde die Allgemeine Erklärung der                      Vorjahren herrschende optimistische Grundeinstel-
Menschenrechte vorgeschlagen, denn der Schutz der                       lung von einem baldig erwarteten Ende der Diktatur.
Menschenrechte sollte das oberste Ziel der Verfas-                      Stattdessen wurde der Partei allmählich bewusst,
sung sein.                                                              dass sich das Regime eine längere Zeit halten könn-
                                                                        te.31
Im weiteren Text wurden zusätzliche Ideen der Par-
tei zu diesem Verfassungsentwurf ausgeführt. Dazu                       Diese sich herauskristallisierende und von der PCCh
gehörten unter anderem die Verbindung von direkt-                       wahrgenommene Gefahr, dass das Regime seine
und repräsentativdemokratischen Institutionen zur                       Stellung durch das Plebiszit dauerhaft etablieren und
besseren Kontrolle aller Staatsbehörden (vor allem                      stabilisieren könnte, störte die zweite Maxime der
des Militärs), die Zusammenlegung der Wahlen des                        politischen Linie der Partei und führte zu einer ers-
Parlaments und des Präsidenten sowie die Sicher-                        ten Anpassung der Oppositionsstrategie seitens der
stellung von allgemeinen, freien und geheimen Wah-                      PCCh. Die Zusammenarbeit zwischen den Parteien
len.27 Dieser Verfassungsentwurf sollte durch einen                     der UP und der restlichen Opposition – vorrangig
Dialog zwischen den Oppositionskräften erarbeitet                       der DC – war immer noch das erklärte Ziel der Kom-
und daraufhin durch eine konstitutionelle Versamm-                      munisten. Ebenso wie die Bildung einer provisori-
lung bestätigt werden.28 Diese Vorgehensweise                           schen Regierung, bestehend aus allen demokrati-
stimmte mit der Strategie der anderen Oppositions-                      schen Kräften (UP, DC und auch demokratisch ori-
kräften überein. In diesem Zeitraum formierte sich                      entierte Teile des Militärs) als Übergangslösung bis
beispielsweise die Comisión de los 24, die als Ge-                      zur Herausarbeitung einer neuen Verfassung durch
genspieler zu der vom Regime eingesetzten Comi-                         eine demokratisch gewählte konstitutionelle Ver-
sión Ortuzar gebildet wurde. Sie bestand aus aner-                      sammlung:
kannten Rechtsexperten und sollte einen Gegenent-                             „La posición del Partido Comunista es,
wurf zum Verfassungsvorschlag der Comisión Or-                                categóricamente, de unidad y lucha contra Pinochet
túzar erarbeiten.29                                                           y el fascismo. […] La Unidad Popular propicia un
                                                                              Gobierno provisional, ampliamente representativo
                                                                              y democrático, integrado básicamente por la
24
     Vgl. PCCh: El Partido Comunista de Chile plantea un gran
                                                                              Unidad Popular y la Democracia Cristiana y,
     debate en el Pais para elaborar una constitución democrática.            eventualmente también, por otros sectores, incluso
     In: Boletín del Exterior 32 (1978). S. 15-19. Hier S. 15.                militares.“32
25
     Vgl. ebd., S. 15.
26
     Vgl. ebd., S. 16.                                                  30
                                                                             Vgl. Álvarez: Desde las sombras. S. 197.
27
     Vgl. ebd., S. 17-18.                                               31
                                                                             Vgl. ebd., S. 196.
28
     Dieselbe politische Linie wurde in einem weiteren Schreiben        32
                                                                             PCCh: Manifesto del Partido Comunista de Chile, mayo de
     bestätigt und durch die typische Argumentationsstrategie der            1979. In: BE 36 (1979). S. 3-11. Hier S. 8, 9. Übers.: „Die
     PCCh unterlegt. Siehe dazu: PCCh: La lucha de masas                     Position des PCCh ist die der Einheit und des Kampfes gegen
     derribara la Dictadura ¡Chile si, Pinochet no! In: Boletín del          Pinochet und den Faschismus. […] Die UP unterstützt eine
     Exterior 33 (1979). S. 13-37.                                           demokratische Übergangsregierung aller demokratischer Kräf-
29
     Vgl. Navarro, Arturo: Grupo de los 24. In: APSI actualidad              te, hauptsächlich bestehend aus UP und DC, aber auch ande-
     nacional e internacional 59 (1979). S. 1-11. Hier S. 1-2, 11.           rer Sektoren, wie dem Militär.“

22                                                                                                   doi:10.25838/oaj-mip-202018-29
MIP 2020 | 26. Jhrg. | Heft 1             Pons Martí – Die Kommunistische Partei Chiles und das Plebiszit von 1980                 Aufsätze

Neu war allerdings die Bereitschaft der Kommunis-
ten, zu Gunsten einer schnellen Überwindung des Pi-
nochet-Regimes weitreichende Kompromisse für die
Zeit nach der Diktatur einzugehen. Der Sturz Pino-
chets und eine Rückkehr zur Demokratie konnte
nicht durchgesetzt werden, da bis zu diesem Zeit-
punkt keine nennenswerte Einigung auf Parteiebene
zwischen der UP – und damit auch der PCCh – und
der DC erreicht worden war. Die PCCh sah es des-
halb als ihre Aufgabe an, nicht nur über ihr Wunsch-
system (UP + DC) nachzudenken und dieses als ein-
zige Lösung vorzuschlagen, sondern „[…] consi-
derar las diversas alternativas de gobierno que pue-
dan facilitar el más pronto fin de la dictadura.“33
Dazu gehörte auch die Möglichkeit, eine Regierung
ohne die Beteiligung der PCCh in Betracht zu ziehen
und damit der DC die eigene Bereitschaft für die Ei-
nigung zwischen den Oppositionsparteien weiterhin
deutlich zu machen.34                                                    Abbildung 1: Flugblatt der Kommunistischen Partei Chiles.
                                                                         Plebiszit 1980. Quelle: Folleto Partido Comunista de Chile.
Die sieben Jahre dauernde, ablehnende Haltung der                        Todo Childe de Pie, que renuncie Pinochet. Museo de la
DC, einem Bündnis mit der PCCh und der UP zuzu-                          Memoria. Colección Batra Lidia. – CL MMDH 00000262-
stimmen, richtete sich vor allem gegen die PCCh                          000006-000014.
selbst und ihrer starken Verbindung zur Sowjetuni-
                                                                         In einem Interview mit Gladys Marín – zunächst in
on.35 Trotzdem hielt die Führung der PCCh auch als
                                                                         der mexikanischen Zeitschrift El Dia am 23. März
Reaktion auf das geplante Plebiszit zur Annahme der
                                                                         1980 veröffentlicht – wurde die Bedeutung eines ge-
von Pinochet in Auftrag gegebenen Verfassung zu-
                                                                         meinsamen Vorgehens der Opposition nach der ter-
nächst an dieser Strategie fest und kommunizierte
                                                                         minlichen Festlegung des Plebiszits bekräftigt.
sie weiterhin in öffentlichen Stellungnahmen und In-
                                                                         „Nuestro Partido le ha propuesto a todos los partidos
terviews.36 Eine gemeinsame Vorgehensweise der ge-
                                                                         de oposición tener una respuesta común [Anmk.: al
samten Opposition wurde von der Partei als alleini-
                                                                         Plebiscito].“37 Als Grundlage dieser Antwort diente
ger Ausweg angesehen, um das Plebiszit zu verhin-
                                                                         die in der demokratischen Opposition allgemein ver-
dern und die Überwindung der Diktatur zu erreichen.
                                                                         breitete Auffassung des Plebiszits als Betrug an der
Dies wurde beispielsweise in folgendem Flugblatt
                                                                         Bevölkerung. Sowohl die PCCh als auch die DC kri-
(Abb. 1) zum Ausdruck gebracht. Darin wurde ganz
                                                                         tisierten das Fehlen einer Wählerregistrierung, sowie
Chile dazu aufgerufen, den Rücktritt Pinochets zu
                                                                         von politischen Freiheiten und einer Konstitutionel-
fordern. Mit Kampf und Einheit würde dieser nicht
                                                                         len Versammlung.38 Während die DC, zusammen mit
lange auf das Regime beharren können und zurück-
                                                                         den gemäßigteren Oppositionskräften (z.B. die Kir-
treten müssen:
                                                                         che), für die Teilnahme am Plebiszit eintrat, warb die
                                                                         PCCh zunächst für eine aktive Ablehnung des Ple-
                                                                         biszits und eine Mobilisierung der Bevölkerung. Um
33                                                                       jedoch auch hier eine Einigung zwischen der gesam-
     Ebd. S. 9. Übers.: „[…] die diversen Regierungsalternativen,
     die ein schnelles Ende der Diktatur versprechen, in Betracht        37
     zu ziehen.“                                                              N.N.: Entrevista a Gladys Marín. S. 6. Übers.: „Unsere Partei
34
                                                                              hat allen Oppositionsparteien vorgeschlagen eine gemeinsame
     Vgl. Álvarez: Desde las sombras. S. 196-198.                             Antwort [Anmk.: auf das Plebiszit] zu geben.“
35
     Beispielsweise wurde die Position des PCCh zum Einmarsch            38
                                                                              Vgl. ebd., S. 7; Gil, Maria Isabel: Chilenos ante el debate
     der Sowjetunion in Afghanistan durch die DC kritisiert. Vgl.             constitucional ¿Actores o espectadores? In: APSI 77 (1980).
     N.N.: Entrevista a Gladys Marín, 23.03.1980. In: BE 41                   S. 2-3; Siehe dazu auch die Rede des ehemaligen christdemo-
     (1980). S. 16-17.                                                        kratischen Präsidenten Eduardo Frei Montalva bei der einzig
36
     Vgl. PCCh: Nadie nos apartara del deber de luchar por la                 erlaubten Oppositionsveranstaltung im Teatro Caupolicán:
     Unidad de todas las fuerzas antifascistas. In Boletín del                Frei Montalva, Eduardo: Discurso pronunciado en el Teatro
     Exterior 39 (1980). S. 13-21; PCCh: Comunicado conjunto                  Caupolicán con motivo del plebiscito, el 27 de agosto de
     sobre la reunión de las Direcciones del Partido Comunista de             1980. In: Arancibia, Patricia/Gazmuri, Cristian/Gongora,
     chile y del Partido Socialista de Chile. In: Boletín del Exterior        Alvaro (Hg.): Eduardo Frei Montalva (1911-1982). Santiago
     39 (1980). S. 92-95.                                                     de Chile 1996. S. 502-520.

doi:10.25838/oaj-mip-202018-29                                                                                                         23
Aufsätze                  Pons Martí – Die Kommunistische Partei Chiles und das Plebiszit von 1980                MIP 2020 | 26. Jhrg. | Heft 1

ten Opposition zu erreichen, änderte die PCCh nach                      Fehlen grundlegender demokratischer Elemente –
der Bekanntgabe des Termins für das Plebiszit seine                     ablehnte und einen sofortigen Übergang zur Demo-
Strategie und rief zur Wahl und zur Ablehnung der                       kratie forderte. Dem Plebiszit wurde darüber hinaus
Verfassung auf. Die Unterstützung des NO wurde in                       jegliche juristische sowie moralische Gültigkeit ab-
dieser Situation als beste Möglichkeit angesehen,                       gesprochen. Wie bereits in den Jahren vor dem Ple-
den gemeinsamen Willen der Opposition zur Rück-                         biszit sollte der Sturz des Regimes durch die Zusam-
kehr zur Demokratie zu bezeugen:                                        menarbeit und die Durchführung gemeinsamer Akti-
      „La fórmula unitaria que expresa con mayor fuerza
                                                                        onen der Opposition erreicht werden.
      el repudio al régimen en este instante es el no. El               Während aber in vorherigen Stellungnahmen und Er-
      Partido Comunista llama a todos los chilenos a                    klärungen von Demonstrationen, Streiks und einer
      votar no el día del plebiscito.“39                                gesteigerten Massenmobilisierung der Bevölkerung
Angesichts der Institutionalisierung des Regimes ver-                   die Rede gewesen war, erweiterte Corvolán dies in
suchte die PCCh zunächst an der seit dem Militär-                       seiner Rede auf andere Maßnahmen. Die Bevölke-
putsch erarbeiteten Strategie festzuhalten. Um das                      rung hätte auf Grund der Handlungen des Regimes,
vorrangige Ziel und dem wichtigsten Bestandteil                         z.B. durch das Plebiszit und der damit einhergehen-
derselben, nämlich die Bildung einer antifaschisti-                     den Institutionalisierung, keine andere Möglichkeit,
schen Union, zu erreichen, sollten weitreichende Zu-                    als alle zur Verfügung stehenden Mittel zu nutzen,
geständnisse die Annäherung an die DC fortführen.                       um eine Überwindung der Diktatur zu erreichen.
Aus Sicht der PCCh würde die nun doch beschlossene                            „Es el fascismo el que crea una situación frente a la
Teilnahme am Plebiszit, die von der restlichen Oppo-                          cual el pueblo no tendrá otro camino que recurrir a
sition geteilt wurde, als Startpunkt einer Verständi-                         todos los medios a su alcance, a todas las formas de
gung zwischen der gemäßigten Gruppierung um die                               combate que lo ayuden, incluso a la violencia
DC sowie des linken Lagers dienen. In einem ähnli-                            aguda, para defender al pan, la libertad y a la vida.“41
chen Licht ist auch der Vorschlag einer Übergangsre-                    Durch die Erweiterung der Widerstandsmaßnahmen
gierung, ohne eine Beteiligung der PCCh, zu sehen.                      auf „todas las formas de combate“ schloss Corvalán,
                                                                        und damit die Parteiführung, auch den bewaffneten
Erweiterung oder Wandel der politischen Linie?                          Widerstand, der bis zu diesem Zeitpunkt abgelehnt
Nur einige Tage vor der Abhaltung des Plebiszits am                     worden war, nicht länger aus. Dies bedeutete eine
11. September 1980 bezog der Generalsekretär der                        wichtige Änderung in der politischen Linie der Par-
PCCh, Luis Corvalán, in einer in Chile zu empfan-                       tei. Bisher hatte sie – auf Grundlage eines seit 40
genden Radioansprache zum zehnjährigen Sieg der                         Jahren gültigen Leitsatzes – den friedlichen Wider-
UP bei der Präsidentschaftswahl 1970 erneut Stel-                       stand und eine demokratische Lösung bzw. die Nut-
lung zum Plebiszit und erörterte die Strategie der                      zung aller legalen Mittel gegen das Regime einem
Kommunistischen Partei. Corvalán bekräftigte bei                        bewaffneten Kampf vorgezogen und auch im Rah-
dieser Ansprache die bereits vorgestellte politische                    men des Plebiszits der gemäßigteren Opposition im-
Linie der Partei und ihre Position dem Plebiszit ge-                    mer wieder Zugeständnisse gemacht. Diese friedliche
genüber. Der Versuch des Regimes, sich durch die                        Vorgehensweise war z.B. in der Kritik an der radika-
Verfassung rechtlich und politisch zu legitimieren                      len MIR (Movimiento de Izquierda Revolcionaria42)
und sich gleichzeitig für mindestens weitere acht                       deutlich geworden. Diese hatte schon während der
(bzw. 16) Jahre an der Macht bestätigen zu lassen,                      Regierung Allendes radikalere Positionen eingenom-
wurde genauso kritisiert, wie das Fehlen politischer                    men und sich nach dem Putsch für den bewaffneten
und sozialer Rechte in der Verfassung.40                                Kampf geöffnet. Die PCCh hatte die MIR beschul-
                                                                        digt, durch ihre Politik die Bestrebungen der antifa-
Es wurde ein weiteres Mal darauf verwiesen, dass die                    schistischen Kräfte gestört und behindert zu haben. In
gesamte Opposition das Plebiszit – bedingt durch das                    einem Artikel des PCCh aus dem Jahr 1977 mit dem
                                                                        Titel „El ultraizquierdismo caballo de Troya del impe-
39
     PCCh: ¡Fuera Pinochet! ¡Democracia Ahora! Declaración del          rialismo“ wurde diese uneinsichtige Haltung der MIR
     Partido Comunista de Chile, agosto 1980. In: BE 44 (1980).
                                                                        41
     S. 10-11. Hier S. 11. Übers.: „Die beste Art die Ablehnung              Ebd., S. 16. Übers.: „Es ist der Faschismus, der eine Situation
     des Regimes auszudrücken ist zurzeit das Nein. Der PCCh                 erschafft, auf die das Volk nur durch den Rückgriff auf alle in
     ruft alle Chilenen dazu auf, am Tag des Plebiszits mit Nein zu          seiner Macht stehenden Mittel, auf alle Kampfformen, die
     stimmen.“                                                               helfen, sogar der Gewalt, reagieren kann, um sein Brot, seine
40
     Corvalán, Luis: A 10 años de la Revolución Chilena.                     Freiheit und sein Leben zu schützen.“
                                                                        42
     03.09.1980, Moscú. In: BE 44 (1980). S. 12-18. Hier S. 12.              Übers.: Bewegung der revolutionären Linken.

24                                                                                                   doi:10.25838/oaj-mip-202018-29
MIP 2020 | 26. Jhrg. | Heft 1             Pons Martí – Die Kommunistische Partei Chiles und das Plebiszit von 1980                 Aufsätze

und die Anwendung von Gewalt für die Niederlage                           Trotz dieses proklamierten Teilerfolges wurde die nun
der Regierung Allendes verantwortlich gemacht.43                          verfassungsrechtliche Stabilisierung des Regimes als
                                                                          ein Hindernis für die Bemühungen der Bevölkerung
Die Nutzung aller Formen des Widerstandes, die
                                                                          empfunden, das Regime zu überwinden und das Ziel
durch die Führung der PCCh kurz vor der Institutio-
                                                                          einer Demokratie zu erreichen. „Las puertas se cierran
nalisierung des Pinochet-Regimes der Partei und der
                                                                          para el pueblo y este deberá derribarlas en su marcha
Öffentlichkeit mitgeteilt wurde und in den folgenden
                                                                          hacia la democracia.“47 Um die sich schließenden Tü-
Jahren als „Política de Rebelión Popular de Masas“44
                                                                          ren zu öffnen und trotz der Institutionalisierung des
(PRPM) bekannt wurde, sollte aus Sicht der Partei-
                                                                          Regimes sein baldiges Ende zu erreichen, wurde des-
führung aber nicht als vollkommene Abkehr von der
                                                                          halb die Nutzung aller Widerstandsformen, auch Ge-
friedlichen und auf die Bildung einer unidad antifas-
                                                                          waltanwendung, notwendig. Gleichzeitig sollte wei-
cista zielenden Vorgehensweise in den sieben Jahren
                                                                          terhin die Verständigung zwischen allen demokrati-
zuvor verstanden werden. In den Monaten nach dem
                                                                          schen Kräften gesucht werden, um der Bevölkerung
Plebiszit wurde in einem Großteil der Stellungnah-
                                                                          eine Alternative zum Regime zu bieten und die Rück-
men der Partei und in verschiedenen Beiträgen ihres
                                                                          kehr zur Demokratie näher zu bringen.48
Generalsekretärs auf diesen Wandel Bezug genom-
men und versucht, diesen genauer zu erläutern und                         In einer Rede am 16. November ging Corvalán selbst
zu rechtfertigen.                                                         auf den von ihm initiierten Wandel ein. Er beschrieb
                                                                          die Entscheidung, alle Widerstandsformen zu nut-
Am 23. September 1980, also nur wenige Wochen
                                                                          zen, nicht als eine radikale Strategieänderung, die als
nach dem Sieg Pinochets bei der „farsa plebiscita-
                                                                          Bruch mit der Tradition der Partei anzusehen war,
ria“45, veröffentlichte die Kommunistische Partei in
                                                                          sondern vielmehr als eine Erweiterung bzw. Weiter-
Chile eine Stellungnahme, in der sie die Arbeit der
                                                                          führung der politischen Linie der Partei.49 Diese sei
Opposition im Angesicht des Plebiszits lobte und die
                                                                          nicht aus einer Laune heraus getroffen worden, son-
erreichte Einheit in der Ablehnung desselben durch
                                                                          dern sei eine direkte Reaktion auf die „acciones y
einen großen Teil der gesellschaftlichen Kräfte her-
                                                                          planes del enemigo“50. Die Nutzung aller Wider-
vorhob. Der Ablauf des Plebiszits, der dem Regime
                                                                          standsformen inklusive Gewalt sollte nicht die Su-
eine gewisse demokratische Legitimation gab und mit
                                                                          che nach einer friedlichen Lösung ersetzen, sondern
dem Sieg Pinochets geendet hatte, wurde dennoch als
                                                                          nur die Mittel erweitern. Vorrangiges Ziel war es im-
Erfolg der Opposition verstanden und sollte zur Wei-
                                                                          mer noch, das Regime in Kooperation mit den restli-
terarbeit motivieren. Die im Angesicht des Plebiszits
                                                                          chen demokratischen Kräften zu stürzen und ein de-
demonstrierte Einheit hätte – aus Sicht der PCCh –
                                                                          mokratisches System aufzubauen.
der Bevölkerung eine Alternative zum Pinochet-Re-
gime und den Weg zurück zur Demokratie aufgezeigt.                              „En esta nueva etapa que se inicia en los combates
                                                                                de nuestro pueblo se requiere, más que nunca, de la
      „Estamos convencidos que el NO fue en verdad                              unidad de todas las fuerzas democráticas y de la
      mayoritario en la conciencia de los chilenos. […] El                      más decidida y amplia solidaridad internacional.“51
      pueblo saludó con fervorosa esperanza la gran
      convergencia política y social que se produjo en esta
      batalla y vio en ella una real alternativa democrática                   nung die politische und soziale Übereinstimmung begrüßt und
      hacia la cual deben apuntar los esfuerzos.“46                            hat in ihr eine demokratische Alternative gesehen […].“
                                                                          47
                                                                               Ebd., S. 15. Übers.: „Die Tore für das Volk schließen sich.
43
     Vgl. Enriquez, Edgardo: Respuesta de Edgardo Enriquez,                    Das Volk wird sie auf dem Weg zur Demokratie niederreißen
     miembro de la Comisión Política del MIR, a Orlando Millas’                müssen.“
                                                                          48
     dirigente del Partido Comunista de Chile. In: MIR, dos años               Vgl. ebd., S. 16.
     en la lucha de la resistencia popular del pueblo chileno.            49
                                                                               Vgl. Moulián, Tomás/Torres D., Isabel: ¿Continuidad o
     Madrid 1976. S. 354-356.                                                  cambio en la Línea Política del Partido Comunista de Chile?
44
     Rojas Nuñez: De la Rebelión Popular a la sublevación                      In: Riqeulme, Alfredo/Varas, Augusto/Casals, Marcelo: El
     imaginada: antecedentes de la historia política militar del               Partido Comunista en Chile. Una historia presente. Santiago
     Partido Comunista de Chile y del FPMR 1973-1990. Santiago                 de Chile 2010. S. 291-308. Hier S. 302.
     de Chile 2011. S. 186.                                               50
                                                                               Corvalán, Luis: Avanzar por el camino de la unidad y de la
45
     Vgl. N.N.: Entrevista a Raimundo Aliaga, Miembro de la Comi-              lucha dominando las mas diversas formas de combate. Stock-
     sión Política del Partido Comunista de Chile. In: BE 44 (1980).           holm 16.11.1980. In: BE 45 (1981). S. 1-14. Hier S. 2.
     S. 8-12. Hier S. 8-9. Übers.: „[...] plebiszitärem Betrugs [...].“        Übers.: „[…] Aktionen und Pläne des Feindes […].“
46                                                                        51
     PCCh: Declaración del Partido Comunista de Chile. Santiago,               Ebd., S. 8. Übers.: „In diesem neuen Abschnitt, der im Kampf
     25.09.1980. In: BE 44 (1980). S. 13-16. Hier S. 13, 15. Übers.:           unseres Volkes beginnt, benötigen wir mehr als sonst eine
     „Wir sind davon überzeugt, dass das Nein im Bewusstsein der               Einheit aller demokratischen Kräfte und eine entschlossene
     Chilenen die Mehrheit darstellt. […] Das Volk hat mit Hoff-               und breite internationale Solidarität.“

doi:10.25838/oaj-mip-202018-29                                                                                                          25
Aufsätze                 Pons Martí – Die Kommunistische Partei Chiles und das Plebiszit von 1980               MIP 2020 | 26. Jhrg. | Heft 1

Die PCCh hatte vor mehr als 40 Jahren den friedli-                     nicht verändert. Problematischer war jedoch der
chen Weg zur Leitlinie aller politischen Entschei-                     Kontext der weiteren Maximen.
dungen erklärt. Diese so genannte vía pacifica al so-
                                                                       Nachdem sieben Jahre lang von einem baldigen
cialismo wurde – dem eigenen kommunizierten Ver-
                                                                       Ende der Diktatur (2) gesprochen und geschrieben
ständnis nach – nicht aufgegeben, sondern sollte
                                                                       worden war, machte der kurz bevorstehende Versuch
durch weitere Maßnahmen ergänzt werden. Hinzu
                                                                       des Regimes, die eigene Herrschaft durch eine Ver-
kam, dass schon seit den 1940er Jahren innerpartei-
                                                                       fassung zu festigen und die damit verbundene Ge-
lich unterschiedliche Fraktionen vorhanden waren,
                                                                       fahr einer Verlängerung der Amtszeit Pinochets bis
die eine aggressivere Vorgehensweise zur Erreichung
                                                                       mindestens 1989 deutlich, dass durch die bis zu die-
des Sozialismus forderten. Unter diesen Aspekten er-
                                                                       sem Zeitpunkt verfolgte politische Linie die Rück-
scheint die Erklärung der neuen Strategie als Erwei-
                                                                       kehr zur Demokratie nicht erreicht werden konnte
terung und Fortführung der politischen Linie der
                                                                       und auch nicht näher gerückt war.54 Der Sieg des Re-
Partei durchaus gerechtfertigt.52
                                                                       gimes beim Plebiszit und die damit einhergehende
Bei genauerer Betrachtung wird aber eine Unverein-                     Institutionalisierung der Militärdiktatur verstärkten
barkeit dieser beiden Grundlagen der Strategie – an-                   rückwirkend diese Ansicht.55 Als Beleg für diese Er-
tifaschistische Union und bewaffneter Widerstand –                     kenntnis der PCCh kann der Vorschlag dienen, eine
deutlich und ihre Erklärung als bloße Erweiterung ist                  Übergangsregierung ohne Beteiligung der PCCh zu
nicht nachvollziehbar. Die PCCh hatte es in knapp                      bilden. Das symbolische Bild, der sich für eine de-
sieben Jahren der Pinochet-Herrschaft nicht ge-                        mokratische Lösung schließenden Tür wurde in den
schafft, die DC – trotz der gemeinsamen Ablehnung                      Monaten nach Abhaltung des Plebiszits in mehreren
des Regimes – zu einer Zusammenarbeit zu gewin-                        Stellungnahmen wiederholt: „[…] el tirano ha cerra-
nen. Diese hatte eine Kooperation mit Verweis auf                      do las puertas a toda expresión democrática.“56
die Radikalität der Endziele der PCCh und ihrer Ver-
                                                                       Die durch das Plebiszit geschaffene Situation machte
bindung zur Sowjetunion abgelehnt. Die Erweite-
                                                                       es aus Sicht der Kommunisten unerlässlich, alle zur
rung der Strategie der Partei, die für den Sturz Pino-
                                                                       Verfügung stehenden Mittel zu nutzen, und legiti-
chets von der Führung der Partei (EDI und Exil) als
                                                                       mierte damit auch die Nutzung von Gewalt, im
unumgänglich betrachtet wurde, stieß auf Seiten der
                                                                       Kampf gegen das Regime.57 Somit kann das Plebiszit
gemäßigten Opposition dementsprechend auf eine
                                                                       von 1980 als einer der Hauptgründe für die radikale
starke Ablehnung. Die DC – Hauptadressat der Ein-
                                                                       Erweiterung der politischen Linie angesehen werden:
heitsaufrufe der PCCh – kritisierte diese Haltung
und nannte sie in der Folge als weiteren Grund für                           „Los resultados del fradulento plebiscito […] han
die Weigerung zu einer Zusammenarbeit mit den                                hecho evidente, de modo cualitativo, en el seno de
Kommunisten.53                                                               las fuerzas democráticas de la nación, la
                                                                             imposibilidad de que ellas puedan avanzar sin el
                                                                             empleo de formas agudas de violencia hacia la
Drei Gründe für den Strategiewandel
                                                                             democracia e Chile. De aquí que la Dirección de
Die PCCh musste mit einer solchen Reaktion der ge-                           nuestro Partido ha planteado […] la necesidad de
mäßigten Opposition auf eine solche Strategie rech-                          incorporar todas las formas necesarias de lucha de
                                                                             las masas para el derrocamiento de Pinochet.“58
nen. Warum aber wurde die Erweiterung der politi-
schen Linie der Kommunistischen Partei trotzdem                        54
                                                                            Vgl. Álvarez: Desde las sombras. S. 221.
vorgenommen und dadurch eine Einigung mit der                          55
                                                                            Vgl. Vanegas Valdebonito, Hernán: Trayectoria del Partido
gemäßigten Opposition erschwert? Zur Beantwor-                              Comunista de Chile. De la crisis de la Unidad Popular a la
tung dieser Frage müssen zunächst die vorgestellten                         Política de Rebelión Popular de Masas. In: Revista
drei Maximen der politischen Linie der PCCh be-                             Universum 24, 2 (2009). S. 262-293. Hier S. 262.
trachtet werden. Die internationale und nationale                      56
                                                                            PCCh: Declaración del Partido Comunista de Chile. Santiago,
Ablehnung und Ächtung des Regimes und seiner                                marzo 1981. In: BE 47 (1981). S. 12-16. Hier S. 13. Übers.:
Menschenrechtsverletzung (1) hatte sich als Grund-                          „[…] der Tyrann hat die Türen zum demokratischen Aus-
                                                                            druck geschlossen.“
lage aller weiteren Schritte in den Augen der PCCh                     57
                                                                            Vgl. PCCh: Al Pueblo de Chile. In: BE 50 (1981). S. 97.
                                                                       58
52
                                                                            González, Camilo: Lo militar en la política del Partido. In:
     Siehe Moulián/Tórres D.: ¿Continuidad o cambio en la Línea             Principios, 60 añs de lucha (1985). S. 23-24. Übers.: „Die Er-
     Política del Partido Comunsita de Chile?; Riquelme Segovia:            gebnisse des betrügerischen Plebiszits […] haben den demo-
     Rojo atardecer.                                                        kratischen Kräften die Unmöglichkeit eines Fortschritts auf
53
     Vgl. Gil: Chilenos ante el debate constitucional ¿Actores o            dem Weg zur Demokratie Chiles, ohne den Einsatz von akuter
     espectadores? S. 2-3.                                                  Gewalt, aufgezeigt. Aus diesem Grund hat die Führung unse-

26                                                                                                  doi:10.25838/oaj-mip-202018-29
MIP 2020 | 26. Jhrg. | Heft 1           Pons Martí – Die Kommunistische Partei Chiles und das Plebiszit von 1980                  Aufsätze

Ein weiterer Grund für die Entscheidung, alle Formen                   Die Grundlage der Maximen (2) und (3) hatte sich
des Widerstandes gegen das Pinochet-Regime in Be-                      nach dem Plebiszit verändert und dadurch einen
tracht zu ziehen, hatte auch mit der hartnäckigen Wei-                 Wandel der Strategie der PCCh nötig gemacht. Hin-
gerung der DC zu tun, sich auf ein – wenn auch zeit-                   zu kamen aber darüber hinaus noch weitere interne
lich begrenztes – Bündnis mit den Parteien der UP                      und externe Gründe. Neben der Ablehnung einer un-
einzulassen. Wie beschrieben, hatte die PCCh seit                      idad antifascista und der Zusammenarbeit seitens
dem Putsch versucht, eine gesellschaftlich möglichst                   der DC kam 1979 eine Krise innerhalb der UP hinzu.
breit aufgestellte antifaschistische Union (3) gegen                   Eine starke UP und ein gemeinsames Vorgehen der
die Militärdiktatur aufzubauen und die DC – als An-                    darin vertretenden Parteien war seit dem Militär-
führerin der gemäßigten Opposition – spielte in die-                   putsch von der PCCh als Grundlage für einen erfolg-
sen Überlegungen eine wichtige Rolle. Die vielen                       reichen Kampf gegen das Regime und das Erreichen
aufgezeigten Annäherungen der Kommunisten bestä-                       eines Bündnisses mit den restlichen Oppositionspar-
tigen diese Annahme. Statt jedoch eine parteienüber-                   teien angesehen worden. In vielen der Stellungnah-
greifende Einheit der Opposition zu erreichen, wei-                    men der PCCh wurde beispielsweise von einem „en-
gerte sich die DC mit Verweis auf die Verbindung der                   tendimiento entre la Unidad Popular y la Democra-
PCCh zur Sowjetunion (z.B. durch die Exilführung in                    cia Cristiana“62 gesprochen und nicht nur zwischen
Moskau) und das kommunistische Ziel der Errichtung                     PCCh und DC. Während aber die PCCh trotz Mei-
einer sozialistischen Gesellschaftsordnung, eine offi-                 nungsverschiedenheiten zwischen dem EDI und der
ziell von der Partei getragene Zusammenarbeit zuzu-                    Exilführung nie der Gefahr einer Spaltung ausgesetzt
lassen.59 Dennoch wurde das Ziel einer gesamtgesell-                   war, erlitt die Sozialistische Partei (PS) im Jahr 1979
schaftlichen antifaschistischen Union von den Kom-                     eine solche. Die daraus entstehenden PS-Nuñez
munisten nicht aufgegeben. Während die DC „sigue                       (auch PS-Renovado) und PS-Almeyda (auch PS-
creyendo en que todavía puede haber una solución                       Histórico) besaßen unterschiedliche Auffassungen
pacífica sobre la base de un acuerdo con las fuerzas                   über die zukünftige Ausrichtung des chilenischen
armadas“60, hielt die PCCh dies für sehr unwahr-                       Sozialismus. Die PS-Nuñez entfernte sich von der
scheinlich. Trotzdem würde sich die PCCh einer sol-                    UP und näherte sich an die DC an. Die PS-Almeyda
chen Lösung nicht verschließen. Gleichzeitig forder-                   hingegen blieb mit der PCCh und der UP verbun-
te Corvalán in seiner Rede, dass alle demokratischen                   den.63 Diese Spaltung schwächte die UP jedoch er-
Kräfte die Nutzung von Gewalt nicht aus Prinzip ab-                    heblich und erschwerte es der PCCh, eine unidad
lehnen dürften. Trotz dieses Erklärungsversuches                       antifascista der gesamten Opposition zu erreichen.
kritisierte die DC in der Folge die PCCh für ihren                     Zu den Parteien, die sich bisher geweigert hatten,
Standpunkt und weigerte sich umso entschiedener,                       mit der UP zusammenzuarbeiten, gesellte sich zur
eine Zusammenarbeit anzustreben.                                       DC nun auch noch die PS-Nuñez hinzu. Die Gefahr
Die veränderte Situation und das Fernbleiben er-                       eines möglichen Paktes zwischen der PS-Nuñez und
kennbarer Fortschritte in der Beziehung der beiden                     der DC, der tatsächlich 1983 entstand, und der damit
Parteien – trotz der Zugeständnisse (z.B. Übergangs-                   einhergehenden Isolation der PCCh, machte es für
regierung ohne Beteiligung der PCCh) – machte es                       letztere nötig, andere Kräfte zu mobilisieren.64
für die PCCh notwendig, andere Möglichkeiten des                       Bei der Analyse dieser Entscheidung, die Strategie
Widerstandes aufzunehmen und eine erschwerte Ko-                       um den bewaffneten Aspekt zu erweitern, muss auch
operation mit den gemäßigten Oppositionsparteien                       die parteiinterne Situation der Kommunistischen
in Kauf zu nehmen:                                                     Partei bis zum Plebiszit beachtet werden. Die seit
      „Las ilusiones y esperanzas que algunos han                      dem Putsch ausgeübte Verfolgung durch das Regime
      abrigado en el sentido de que la libertad podría                 hatte die Partei zwar nicht zerstört, das tägliche Par-
      reconquistarse gradual y gratuitamente, no han                   teileben aber empfindlich getroffen. Treffen von Par-
      conducido a nada positivo. […] En cuanto a las
      formas de combate, se han creado condiciones                          dass die Freiheit schrittweise erreicht werden könnte, haben
      nuevas y se ha hecho necesario ir más allá.“61                        zu nichts geführt. […] In Bezug auf die Formen des Kampfes
                                                                            hat sich eine neue Situation herausgebildet und man muss dar-
     rer Partei beschlossen, alle für einen Sturz Pinochets nötigen         über hinaus gehen.“
     Formen des Kampfes aufzunehmen.“                                  62
                                                                            PCCh: Patriotas: ¡Solo unidos derrotaremos al Fascismo! S. 10.
59
     Vgl. Riquelme Segovia: Rojo atardecer. S. 124.                    63
                                                                            Vgl. Wehr, Ingrid: Zwischen Pinochet und Perestroika. Die
60
     Corvalán: Avanzar por el camino de la unidad. S. 6.                    chilenischen Kommunisten und Sozialisten. 1973-1994.
61
     PCCh: Lucha Antifascista. In: BE 49 (1981). S. 4-43. Hier              Freiburg 1996. S. 176-86.
                                                                       64
     S. 17-23. Übers.: „Die Hoffnungen, die einige gehabt hatten,           Vgl. Moulián/Tórres D.: ¿Continuidad o cambio? S. 305.

doi:10.25838/oaj-mip-202018-29                                                                                                        27
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