Die Menagerie ist im Eimer. Tierknochenfragmente aus einer Urnenbestattung der Römischen Kaiserzeit in Dörverden

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Die Menagerie ist im Eimer. Tierknochenfragmente aus einer Urnenbestattung der Römischen Kaiserzeit in Dörverden
K N O C H E N A R B E I T
          Hans Christian Küchelmann • Diplom - Biologe

            Archäozoologie • Taphonomie • Worked Bone

                                                            Speicherhof 4
                                                            D - 28 217 Bremen

                                                            Tel.: 0421 - 61 99 177
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          Die Menagerie ist im Eimer.
Tierknochenfragmente aus einer Urnenbestattung
     der Römischen Kaiserzeit in Dörverden

                                                         Bremen, 17. 6. 2021
Die Menagerie ist im Eimer. Tierknochenfragmente aus einer Urnenbestattung der Römischen Kaiserzeit in Dörverden
Die Menagerie ist im Eimer.
      Tierknochenfragmente aus einer Urnenbestattung der Römischen Kaiserzeit in
                                      Dörverden

1.    Einleitung                                                                    2
2.    Archäozoologische und taphonomische Untersuchung                              2
3.    Ergebnisse                                                                    3
3.1   Unbearbeitete Knochen von Säugetieren                                         4
3.2   Artefakte aus Geweih und Elfenbein                                            4
4.    Diskussion                                                                    9
5.    Zusammenfassung                                                              11
6.    Literatur                                                                    12
7.    Anhang: Datentabelle                                                         14

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Die Menagerie ist im Eimer. Tierknochenfragmente aus einer Urnenbestattung der Römischen Kaiserzeit in Dörverden
1.     Einleitung
Am 12 August 2020 wurde auf einem Spargelfeld in der Gemeinde Dörverden durch einen
Sondengänger der Rest eines mit Leichenbrand gefüllten Hemmoorer Eimers des 2.-3. Jahrhun-
derts n. Chr. vom Typ 58 nach Eggers (1951) gefunden. Die durch den Sondengänger informier-
te Kreisarchäologie Verden konnte den Fund am 15. September im Block bergen. Durch den
Tiefpflug des Spargelbauern wurde der Eimer stark beschädigt, lediglich der Fuß und ca. ein
Drittel des Aufgehenden sind erhalten (Abb. 1a).
Die gemarkungsübergreifende Fundstelle war bis dato nicht bekannt und erhielt bei der Kreis-
archäologie Verden die Fundstellennummer Dörverden 62 / Barme 29. Anschließende Prospek-
tionen erbrachten zahlreiche kaiserzeitliche Keramikscherben sowie zwei Fibeln und zwei Rie-
menzungen der älteren Römischen Kaiserzeit (1. Jahrhundert n. Chr.). Geomagnetische Unter-
suchungen durch das Niedersächsische Institut für historische Küstenforschung Wilhelmshaven
lassen auf eine zweiphasige Fundstelle schließen, die eine Siedlung der älteren Römischen Kai-
serzeit und ein Gräberfeld der jüngeren Römischen Kaiserzeit umfasst.
Der im Gefäß verbliebene, fest verbackene Leichenbrand wurde im Labor der Kreisarchäo-
logie Verden durch Bernd Steffens sorgfältig freigelegt. Der Leichenbrand (892,5 g) wurde
durch Peter Caselitz untersucht, der ihn einem erwachsenen Individuum zuordnen konnte. Eine
Geschlechtsbestimmung war nicht möglich1. Inmitten des Leichenbrands fanden sich Reste eini-
ger Beigaben, darunter Kügelchen aus zerschmolzenem Silber und Buntmetall, Tierknochen und
Artefakte aus Geweih und Elfenbein2. Die Tierknochen und die Artefakte aus tierischen Mate-
rialien werden mit diesem Bericht vorgestellt.

a                                                          b

Abb. 1: Fundstelle Dörverden 62 / Barme 29, Befund 1; a) Hemmoorer Eimer in situ; b) Spielstein (Fundnr. 6, Inv.-Nr.
20/2/22, Knochennr. 16) im Leichenbrand in situ. Fotos: Bernd Steffens, Kreisarchäologie Verden.

2.     Archäozoologische und taphonomische Untersuchung
Die vergleichend morphologische Bestimmung der Tierknochen wurde mit Hilfe der osteolo-
gischen Referenz­sammlung des Autors (KnA) durchgeführt. Ermittelt wurden für jeden Fund,
sofern möglich, die Primärdaten für Tierart, Skelettelement, Körperseite, Knochenteil, Alters­sta­
dium und Geschlecht. Jeder Fund wurde mit einer Laborwaage auf 0,1 g genau gewogen. Alle
Funde wurden auf die taphonomischen Kri­terien allgemeiner Erhaltungs­zustand, Verwit­terung,
Tierbiss-, Werkzeug- und Feuerspuren sowie auf Anomalien und Pathologien untersucht. Alle
Daten wurden in einer Datenbank gespeichert (s. Tab. 2), wobei jeder Fund eine Knochennum-
mer erhielt, auf die im Folgenden bei der Beschreibung einzelner Funde Bezug genommen wird.
Die Bezeichnung anatomischer Begriffe folgt der Nomenklatur von Nickel et al. (1992).

1 Peter Caselitz, persönliche Mitteilung 29. 3. 2021.
2 Alle archäologischen Daten in der Einleitung von Jutta Precht, persönliche Mitteilungen 7.-8. und 16. 10. 2020,
17. 2., 15. 3. und 7. 4. 2021.
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3.             Ergebnisse
Zur Untersuchung vorgelegt wurden 100 Knochenfragmente mit einem Gesamtgewicht von
46,5 g. Mit einer Ausnahme waren alle Knochen kalziniert und zwar in der Verbrennungsstufe
V nach Wahl (1982, 21, Tab. 1) und Shipman et al. (1984). Das heißt, die Knochen sind versin-
tert, hart (Härtestufe 4 nach Mohs), altweiß (10YR 8-9/2 nach Rock-Color Chart), haben einen
hellen Klang und weisen zahlreiche Hitzespannungsrisse und Verformungen auf. Nach Wahl
(1982, 20-21) setzt dieser Verbrennungszustand Temperaturen von mindestens 800 °C für min-
destens zwei Stunden voraus. Da sich jedoch auch geschmolzenes Silber und Buntmetall im
Leichenbrand befand, muss die Verbrennungstemperatur bei mindestens 950-1000 °C gelegen
haben.
32 Fragmente (14,8 g) ließen keine Bestimmung über die Klasse der Säugetiere (Mammalia)
hinaus zu. Es sind kleine und kleinste Fragmente mit einer Länge von 4-28 mm und einem
Durchschnittsgewicht von 0,5 g. Der Knochengewebestruktur (großvolumige Haverssche Kanä-
le) nach zu urteilen, handelt es sich hierbei wahrscheinlich um menschliche Knochenreste,
jedoch keine mit diagnostischen Merkmalen, die eine morphologische Zuordnung zu einem
Skelettelement erlauben würden.
Trotz der weitgehenden Zerstörung des Befundes und der geringen Menge der untersuchten
Funde ließen sich vier verschiedene Tierarten im Fundmaterial belegen. Das Artenspektrum ist
in Tabelle 1 wiedergegeben. Die überwiegende Zahl der bestimmbaren Funde umfasst Frag-
mente von Artefakten aus Geweih und Elfenbein. Auf diese wird in Kapitel 3.2 näher einge-
gangen.

Tab. 1:      Fundstelle Dörverden 62 / Barme 29, Befund 1, Hemmoorer Eimer, Artenspektrum
   Dörverden 62, Befund 1, Hemmoorer Eimer • Kreisarchäologie Verden

                                                     Knochen-           relative Anzahl (%)                    relatives Gewicht (%)
   Tierart
                                                       zahl        bez. auf KNZ     bez. auf NISP   Gewicht    bez. auf KNZ   bez. auf NISP

  Haussäugetiere          Mammalia
  Hausschwein             Sus domesticus                     1           1,00              1,47          0,4        0,86            1,26
  Pferd                   Equus caballus                     1           1,00              1,47          6,7       14,41           21,14
                                                             2           2,00             2,94          7,1       15,27           22,40
   Wildsäugetiere         Mammalia
  Rothirsch               Cervus elaphus                   12           12,00            17,65           7,3       15,70           23,03
  Elefanten               Proboscidea                      54           54,00            79,41         17,3        37,20           54,57
                                                           66           66,00           97,06          24,6       52,90           77,60
                            Zwischensumme                  68           68,00          100,00          31,7       68,17          100,00
  Säugetiere              unbestimmt
  Säugetiere              Mammalia                         32           32,00                          14,8        31,83
                                                           32           32,00                          14,8       31,83
                            Zwischensumme                  32           32,00                          14,8       31,83
                 gesamt Säugetiere                        100          100,00          100,00          46,5      100,00          100,00
             Zahl bestimmte Knochen (NISP)                 68                            100,0         31,7                        100,0
                 Knochenzahl gesamt (KNZ)                100           100,0                           46,5       100,0

                                                                                3
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3.1        Unbearbeitete Knochen von Säugetieren
Lediglich zwei Knochen erlauben eine morphologische Artbestimmung. Bei Knochen 3 han-
delt es sich um das distale Ende eines Wadenbeins (Fibula) eines Hausschweins (Sus domesti-
cus), wahrscheinlich von der linken Körperseite (Abb. 2a)3. Die Epiphyse ist unverwachsen, das
Schwein war somit laut Habermehl (1985, 150) jünger als 2,5 Jahre.
Der zweite eindeutig bestimmbare Knochen ist ein vollständiges Sesambein (Os sesamoidea
proximalis) aus dem Hinterfuß eines Pferdes (Equus caballus), wahrscheinlich das rechte mediale
Sesama (Abb. 2b)4. Dieser Knochen fällt in mehrfacher Hinsicht aus dem Rahmen des übrigen
Fundmaterials. Zunächst ist er der einzige Knochen, der nicht kalziniert ist. Seine Grundfarbe
ist mittel-gelblich braun (10YR 5/4), eine typische Knochenfarbe nach längerer Bodenlagerung.
Drei Stellen weisen punktuell Anzeichen von Verkohlung in Form dunkelbrauner bis fast schwar-
zer Verfärbungen (10YR 2/2) auf. Die Verkohlung betrifft die Basis und die proximale Spitze
der Gelenkfläche (Facies articularis) sowie die plantare Spitze des Sesama. Nach Wahl (1985,
21, Tab. 1) entsteht diese Verbrennungsstufe bei Temperaturen zwischen 300 und 400 °C. Das
Sesambein kann somit nicht denselben Verbrennungsbedingungen ausgesetzt gewesen sein wie
die übrigen Knochen. Die Verteilung der Brandspuren auf drei äußere Bereiche des Knochens
ist zudem ungewöhnlich und ihre Entstehung ist schwer nachvollziehbar. Am Knochen sind kei-
ne Werkzeugspuren erkennbar, die auf eine Bearbeitung als Artefakt hindeuten würden. Auch
Benutzungsspuren, wie sie beispielsweise durch häufiges Anfassen in Form einer Politur entste-
hen können, weist der Knochen nicht auf.

a                                                          b

Abb. 2: a) Hausschwein (Sus domesticus), Fibula, medial; unten Dörverden, Knochennr. 3; oben frühneuzeitliche
Fibula aus der Grabung Bremen, 253-Altstadt, Am Wall (KnA 728.18); b) Pferd (Equus caballus), Os sesamoidea
proximalis, abaxial; links Dörverden, Knochennr. 5; rechts Referenz KnA 878.11. Fotos: a Sandra Leithäuser, b Frank
Scheffka.

3.2        Artefakte aus Geweih und Elfenbein
Insgesamt 66 Funde (24,6 g) stammen von Artefakten. Bereits bei der Ausgrabung der Urne
im Labor fiel in Planum 3 ein Spielstein auf (Abb. 1b). Es handelt sich um eine auf der Unter-
seite flache und auf der Oberseite leicht gewölbte Scheibe mit einem Durchmesser von 19,6 x
19,9 mm, einer Höhe von 6,2 mm und einem Gewicht von 3,0 g (Abb. 3a-b). In der Mitte der
Unterseite befinden sich zwei Bohrungen mit einem Durchmesser von 2,5 mm. Der Abstand
zwischen den Bohrungen beträgt ebenfalls 2,5 mm. Eine weitere kleinere und weniger tie-
fe Bohrung (Durchmesser 0,9 mm) befindet sich zwischen den beiden größeren Bohrungen.
Hierbei handelt es sich wahrscheinlich um eine Spur der Zentrierspitze für die Befestigung des
Werkstücks in der Drehbank5. Am Rand der Unterseite ist eine kreisförmige 0,4 mm breite Zier-
3   Aufgrund der hohen antomischen Variabilität der distalen Fibula ist die Seitenbestimmung unsicher.
4   Siehe Nickel et al. (1992, 96, Abb. 141-142.b).
5   Siehe hierzu Deschler-Erb (1991, 151), Gostencnik (2005, 336), Jung (2013, 101) und Mikler (1997, 28).
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rille eingedrechselt, die jedoch nur (noch) an zwei Stellen auf einer Länge von 10,1 mm und
3,8 mm (Sehnenlänge) erkennbar ist. Der Rest der Rille könnte durch häufige Verwendung des
Spielsteins abgenutzt sein (siehe Mikler 1997, 29). Die Materialbestimmung gestaltete sich auf-
grund der starken Überarbeitung schwierig. Die Anwesenheit von Haversschen Kanälen schließt
Elfenbein aus. In Frage kommen Knochen und Geweih. Andeutungen einer feinporigen, porö-
sen Struktur auf der Unterseite des Spielsteins und verästelte Blutgefäßsysteme sprechen nach
den Kriterien von Deschler-Erb (1991, 27-55) eher für Geweih.

 a                       b                               c
Abb. 3: a-b) Spielstein, Dörverden, Fundnr. 6, Inv.-Nr. 20/2/22, Knochennr. 16; a) von oben; b) von unten;
c) zentral durchbohrte Geweihscheibe aus Brinkumer Urne, Focke-Museum, Inv. Nr. FM 1507. Fotos: a, b Frank
Scheffka, c Hans Christian Küchelmann.

Weitere 11 Fragmente (4,3 g) ließen sich anhand von Resten feinporiger Spongiosa eindeu-
tig als Geweih identifizieren. Bei zwei Fragmenten (1 und 12) ist soviel Spongiosa vorhanden,
dass der graduelle Übergang von Compacta zu Spongiosa mit denen verschiedener Hirscharten
verglichen werden konnte. Die relativ schmale Übergangszone von feinporiger zu grobporiger
Spongiosa entspricht in beiden Fällen dem Muster des Rothirschs (Cervus elaphus). Knochennr.
1 stammt aus dem Bereich einer Sprossspitze. Die äußere Oberfläche ist glatt und poliert,
jedoch lässt sich hier nicht entscheiden, ob es sich um ein Artefakt oder um natürliche Politur
handelt. Geweihfragment 12 besitzt eine angeschrägte Fase, ließ sich aber keinem der anderen
Artefakte zuordnen.
Neun Geweihfragmente lassen sich wahrscheinlich einem Dreilagenkamm zuordnen (Abb. 4a)6.
Sieben dieser Fragmente gehören vermutlich zu den Deckplatten. Sie sind 1,2-1,5 mm dick und
fünf sind verziert. Es lassen sich Punktkreise, gestrichelte und einfache Linien unterscheiden:
• Ein Fragment besitzt einen Punkt mit drei konzentrischen Kreisen mit Durchmessern von 2,5,
5,6 und 8,6 mm. Um diesen ist ein Ring aus kleinen einfachen Punktkreisen mit Durchmessern
von 1,7 mm angeordnet, von denen noch sieben erhalten sind. Ursprünglich dürfte der Ring
aus elf kleinen Punktkreisen bestanden haben.
• Drei Fragmente, darunter das Fragment mit den Punktkreisen, zeigen eine Verzierung mit
einer doppelten gestrichelten Linie. Die Einzellinien haben eine Breite von 0,5 mm, die Doppel-
linie ist 1,6 mm breit. Die Platten werden zum Rand hin dünner, der in drei Fällen erhalten ist.
Auf zwei Fragmenten verläuft die Doppellinie direkt am Rand, in einem Fall mit 5 mm Abstand
zum Rand.
• Auf zwei Fragmenten ist eine einfache Linie von 0,4 mm Breite erkennbar, die in einem Fall in
ca. 3 mm Abstand vom ebenfalls angefasten Rand verläuft.
In den Deckplattenfragmenten sind insgesamt acht Nietlöcher erhalten, bei dreien ließ sich noch
der Durchmesser von 2,1-2,3 mm bestimmen. Zwei erhaltene Bronzenieten besitzen Durchmes-

6 Insgesamt 14 Fragmente konnten an passgenauen Bruchstellen zu neun Teilen zusammengefügt werden. Das
größte Fragment ist 21,6 x 20,3 mm groß.
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Die Menagerie ist im Eimer. Tierknochenfragmente aus einer Urnenbestattung der Römischen Kaiserzeit in Dörverden
ser von 2,0-2,3 mm und eine Länge von 7,9 mm. Eines der Fragmente mit Doppellinie besitzt
auf der unverzierten Innenseite den Ansatz einer weiteren Bohrung mit einem Durchmesser von
2,3 mm, wobei hier der Bohrer offensichtlich zweimal angesetzt wurde.
Zwei Fragmente gehören zur Mittellage des Kammes. Sie sind 2,5-2,6 mm dick. Es sind drei
Nietlöcher mit Durchmessern von 1,0 und 2,3 mm erhalten, in einem befindet sich noch eine
Niete in situ. Beide Mittellagenteile besitzen an einer Seite eine konkave Kante, die vermutlich
an der Außenseite des Kammes lag. Keines der beiden Mittellagenteile zeigt Reste der Kamm-
zinken, jedoch besitzt das annähernd dreieckige Stück mit der Niete zwei gerade, parallele Kan-
ten, die möglicherweise auf eine Breite der Zinkenplatten von 11-12 mm schließen lassen.
Den verbliebenen Resten nach zu urteilen, handelt es sich um einen einreihigen Dreilagenkamm
mit einer dreieckigen Grundform. Gehen wir von einer annähernd symmetrischen Verzierung
aus, so entsteht zwischen den vorhandenen Dekorelementen ein nicht auflösbarer Widerspruch.
Das größte Fragment mit den Punktkreisen besitzt an einer Seite dicht am geraden Rand eine
gestrichelte Doppellinie. An der gegenüberliegenden Bruchkante ist ein Rest einer weiteren
gestrichelten Linie erkennbar, die in einem Winkel von ca. 27° zur Doppellinie verläuft. Zwei
weitere Fragmente besitzen Doppellinien, in einem Fall verläuft diese ebenfalls dicht am Rand,
im anderen Fall mit ca. 5 mm Abstand vom Rand. Versucht man das Muster zu vervollständi-
gen, so scheint die Doppellinie die gesamte Fläche der Griffplatte zu umrahmen, wobei sie an
den beiden oberen Seiten des Dreiecks eng am Rand verläuft und an der unteren, zu den Zin-
ken weisenden Seite, mit einem Abstand von 5 mm zum Rand. Rechts von der Spitze des Drei-
ecks könnte sich im Falle eines symmetrischen Dekors eine weitere Punktkreisgruppe befunden
haben. Sollte diese Rekonstruktion zutreffen, so wäre auf der Deckplatte für die auf zwei Frag-
menten vorhandene einfache Linie kein Platz mehr. Eine mögliche Erklärung hierfür wäre, dass
die beiden Seiten des Kammes unterschiedliche Dekorationsmuster aufwiesen. Die Rückseite
wäre dann nur mit einer einfachen umlaufenden Linie verziert gewesen. Die beiden Fragmente
mit einfacher Linie und die beiden unverzierten Fragmente könnten jedoch auch zu einem wei-
teren Objekt gehören. Für eine Zugehörigkeit aller Fragmente zu einem Kamm spricht jedoch,
dass sie aus demselben Material gefertigt wurden, dieselbe Dicke und Nietlöcher derselben Grö-
ße haben.

a                                                          b
Abb. 4: a) Einreihiger Dreilagenkamm aus Geweih, Dörverden, Fundnr. 6, Inv.-Nr. 20/2/22/1, Knochennr. 17;
b) Dreilagenkamm aus Bentumersiel, Fläche 3, Befund 55. Fotos: a Frank Scheffka, b Hans Christian Küchelmann.

54 Fragmente (17,3 g) ließen sich anhand ihrer typischen lamellenartigen Gewebestruktur als
Elefantenelfenbein identifizieren. Die Elefantenart lässt sich morphologisch jedoch nicht ermit-
teln. Zwölf Elfenbeinfragmente zeigen Bearbeitungsspuren in Form von Fasen oder eingeschnit-
tenen Verzierungen. Das größte dieser Fragmente (Nr. 11, 22,1 x 23,7 mm) stammt von einem
                                                       6
Die Menagerie ist im Eimer. Tierknochenfragmente aus einer Urnenbestattung der Römischen Kaiserzeit in Dörverden
zylindrischen Artefakt mit zwei bearbeiteten Abschlusskanten (Abb. 5a oben links). Eine Kante
ist im rechten Winkel zum Zylinder plan zugerichtet, es könnte sich um die Standfläche han-
deln. Die Wandung ist an dieser Stelle noch 6,2 mm dick, der Durchmesser des Zylinders lässt
sich auf ca. 40 mm rekonstruieren. Der gegenüberliegende, schräg angefaste (obere?) Rand
belegt eine Höhe des Zylinders von ca. 24 mm. Ca. 7 mm vom unteren Rand entfernt befin-
det sich eine 1,2 mm breite, umlaufende Doppellinie. Ein weiteres Fragment (18) stammt eben-
falls aus der Wandung eines Zylinders (Abb. 5a oben rechts), ist aber dünner (erhaltene Dicke
2,1 mm) und scheint einen kleineren Durchmesser besessen zu haben (ca. 30 mm)7. Das Arte-
fakt besitzt ebenfalls eine gerade Abschlusskante. Im Abstand von 3,2 und 7,6 mm davon lau-
fen zwei ca. 1,5 mm breite Doppellinien. Maße und Dekor der beiden Zylinder stimmen nicht
überein, sodass es sich wohl um zwei Objekte handelt. Zwei von fünf vermutlich zusammenge-
hörenden Fragmenten (19) eines möglicherweise ebenfalls zylindrischen dritten Objekts besit-
zen vier parallele Linien in einer schräg angefasten Kante (Abb. 5a unten). Ein Artefakt (14) hat
eine rechteckige Form (15,5 x 27,5 mm), ist in der Mitte 4,6 mm dick und besitzt zwei zu einer
scharfen Kante zulaufende Schmalseiten (Abb. 5c oben links und unten). Auffällig ist ein dun-
kel abgesetzter kreisförmiger Rand auf diesem Objekt, vielleicht Reste verbrannten Gefäßinhalts
(Abb. 5c oben links)? Ähnlich bearbeitete Kanten besitzen Knochennr. 20 und vier Fragmente
aus Knochennr. 4 (Abb. 5c oben Mitte und rechts). Diese sechs Fragmente könnten evtl. von
einem Objekt stammen. Die verbleibenden zwei Fragmente (21) weisen lediglich Reste einer
Fase auf. Nimmt man alle Informationen aus Form, Größe und Dekor zusammen, könnte es sich
um mindestens vier Elfenbeinobjekte gehandelt haben (Tab. 1).

Tab. 1:   Artefakte.
 Knochennr. /    Artefakt, Interpretation                               Rohmaterial         Anzahl    Abbildung
 Fundnr.                                                                                  Fragmente
 16 / 6          Spielstein                                             Geweih                1       1b, 3a-b
 17 / 8          Dreilagenkamm                                          Geweih                9       4a
 1/–             Sprossspitze                                           Rothirschgeweih       1
 12 / 5          Fragment mit Fase                                      Rothirschgeweih       1
 11 / 5          Zylinder mit Doppellinie, Pyxis?                       Elfenbein             1       5a oben links
 18 / 5          Zylinder mit zwei Doppellinien, Pyxis?                 Elfenbein            1        5a oben rechts
 19 / 5          Zylinder??? mit vier Linien                            Elfenbein            2        5a unten
 14 (+20+4) /
                 Fragment mit zwei doppelten Fasen, Kästchenfragment?   Elfenbein            6        5c
 6 (+5)
 21 / 5          Fragmente mit einer Fase                               Elfenbein            2
 10 / 5          Fragmente ohne erkenbare Bearbeitungsspuren            Elfenbein            36       5b, d
 15 / 6          Fragmente ohne erkenbare Bearbeitungsspuren            Elfenbein            2
 4/–             Fragmente ohne erkenbare Bearbeitungsspuren            Elfenbein            4
 Summe                                                                                       66

Aus taphonomischer Sicht erwähnenswert ist, dass die Elfenbeinfragmente außer den auch an
Knochen zu beobachtenden Hitzespannungsrissen und der Versinterung weitere Veränderungen
zeigen, die offensichtlich ebenfalls durch Hitzeeinwirkung verursacht wurden. Außer den typi-
schen muscheligen Bruchmustern weist das Elfenbein eine breitere Farbpalette auf. Neben alt-
weißen (10YR 6-8/2) kommen graue Bereiche (5Y 4-6/1, 5GY 4/1) vor. Ferner besitzen zahlrei-
che Elfenbeinfragmente punktuell aufgewölbte Oberflächen (Abb. 5b, d). In einigen Fällen sind
diese Wöbungen aufgebrochen und zeigen, dass sich innerhalb des Elfenbeingewebes Gase
oder Flüssigkeiten gebildet haben müssen, die sich durch die Hitze ausgedehnt und blasige
7 Aufgrund der starken Verformung durch die Hitze ist bei der Einschätzung der Zylinderdurchmesser jedoch Vor-
sicht geboten.
                                                       7
Die Menagerie ist im Eimer. Tierknochenfragmente aus einer Urnenbestattung der Römischen Kaiserzeit in Dörverden
Auftreibungen hervorgerufen haben (Abb. 5d). Die Hitze scheint hier zu einer plastischen Ver-
formung des Elfenbeins geführt zu haben. Eine solche Veränderung bei der Verbrennung von
Elfenbein ist meines Wissens bis dato noch nicht beschrieben worden. Eine Literaturrecherche
zur Taphonomie von Verbrennungsprozessen an Knochen und Zähnen ergab keine Hinweise auf
ähnliche Beobachtungen8.

a                                                          b

c                                                          d
Abb. 5: Elfenbeinfragmente, a) Fragmente zweier oder dreier zylindrischer Objekte; Fundnr. 5, Inv.-Nr. 20/2/22, oben
links Knochennr. 11, oben rechts 18, unten 19; b) kleine Elfenbeinfragmente mit Spuren starker Hitzeeinwirkung und
zum Teil blasig aufgewölbten Oberflächen (oben), Fundnr. 5, Inv.-Nr. 20/2/22, Knochennr. 10; c) links und unten in
Seitenansicht: Fragment eines recheckigen Objekts, Fundnr. 6, Inv.-Nr. 20/2/22/1, Knochennr. 14; Mitte und rechts:
fünf Fragmente, die möglicherweise zum selben Objekt gehören, Knochnnr. 20 und 4 (4 Fragmente); d) Detailansicht
aufgebrochener Blasen an den Elfenbeinfragmenten in Abb. b (obere Reihe), Knochennr. 10. Fotos: Frank Scheffka.

8 Siehe hierzu beispielsweise Buikstra & Swegle (1989), Nicholson (1993) und Shipman et al. (1984). Alle Arbeiten
berichten detailliert über Veränderungen der Farbe, Kristallstruktur, Oberflächenmikromorphologie und Schrumpfung.
Vergleichbare blasenartige Auftreibungen wurden jedoch in keinem Fall beobachtet. Auch der aktuelle Atlas tapho-
nomischer Spuren von Fernandez-Jalvo & Andrews (2016) enthält keine Hinweise auf derartige Veränderungen. Her-
mann (1977, 8) beschreibt eine „Knochenschmelze“ bei Temperaturen von ca. 1620 °C, macht aber keine Angaben,
wie ein solcher Zustand aussieht. Eine Abbildung bei Ludowici (2019, 73) lässt auf einigen der abgebildeten Frag-
mente aus einem Leichenbrand ähnliche Wölbungen erkennen. Möglicherweise handelt es sich hierbei ebenfalls um
Elfenbein.
                                                           8
Die Menagerie ist im Eimer. Tierknochenfragmente aus einer Urnenbestattung der Römischen Kaiserzeit in Dörverden
4.        Diskussion
Um Reste einer Speisebeigabe dürfte es sich bei der Schweinefibula (3) handeln, in diesem Fall
um Teile eines Eisbeins. Speisebeigaben sind in kaiserzeitlichen Brandbestattungen nicht selten.
In deutschen Fundstellen wurden Schwein, Schaf oder Ziege, Rind, Hirsch und Geflügel nach-
gewiesen, wobei das Schwein am häufigsten vertreten ist9. Als lokale Vergleiche hervorzuheben
sind hier die Speisebeigaben von Schaf oder Ziege und Huhn aus dem Gräberfeld Hemmoor II,
die ebenfalls in Hemmoorer Eimern deponiert wurden.10
Beispiele von unbearbeiteten Pferdeknochen aus Brandgräbern sind mir derzeit ebensowenig
bekannt wie andere Belege für Pferdefleisch als Speisebeigabe. Zudem stammt das Sesam-
bein aus dem Fuß des Pferdes, an dem sich so gut wie kein Fleisch befindet. Eine Speisebeiga-
be erscheint damit unwahrscheinlich. Denkbar wäre die Verwendung des kleinen Knochens als
Spielstein, jedoch lässt sich dies nicht belegen. Prinzipiell kann jedes Objekt, dass in eine Hand
passt, wie z. B. Nüsse, Steinchen, etc., als Spielobjekt verwendet werden. Einen Beweis hierfür
gibt es jedoch erst, wenn zusätzliche Indizien wie Bearbeitungs- oder Benutzungsspuren oder
der Fundkontext Hinweise auf eine Verwendung als Spielstein möglich erscheinen lassen. Im
vorliegenden Fall kann hier nur der, im Gegensatz zum Sesambein kalzinierte Spielstein (16) als
Hinweis gewertet werden – insgesamt eine dünne Beweislage.
Spielsteine für Brettspiele sind keine seltenen Funde in kaiserzeitlichen Kontexten. Die Funde
außerhalb des provinzialrömischen Gebietes wurden von Krüger (1982) zusammengestellt. Dem
vorliegenden Fund am nächsten kommen dabei zwei Spielsteine mit zwei Punkten oder Boh-
rungen aus dem Grab 713 in Westerwanna11 und aus Grab 410 in Sörup12. Ebenfalls um kon-
vexe Scheiben handelt es sich bei sechs Spielsteinen aus Issendorf, von denen einer zwei Boh-
rungen an der Unterseite aufweist.13 Im Gräberfeld Hemmoor II befanden sich insgesamt 21
„Knochenscheiben mit konvexer Oberfläche“, die als Spielsteine interpretiert werden14. Auch
aus Gudendorf liegt ein Spielstein ähnlicher Form vor15.Ein weiterer lokaler Fund, der als Ver-
gleich in Betracht gezogen werden könnte, ist eine eine ca. 30 mm große zentral durchbohr-
te Scheibe aus Geweih, die 1906 in einer „Urne mit Knochenresten“ in Brinkum „Im Dorfe“
gefunden wurde und sich in der Sammlung des Focke-Museums befindet (Abb. 3b; Inv.-Nr. FM
1507). Funde vergleichbarer Spielsteine aus provinzialrömischen Gebieten, sogenannte Tesserae,
liegen aus verschiedenen römischen Fundorten vor. In Augst stellen sie mit 1.076 Funden den
zweithäufigsten Artefakttyp dar16. Fast alle Augster Tesserae (73,4 %) sind aus Knochen herge-
stellt und meist gedrechselt, nur bei 0,6 % ließ sich Geweih als Rohmaterial belegen. Die meis-
ten dieser Spielsteine besitzen einfache Verzierungen in Form von eingeritzten Linien oder (kon-
zentrischen) Kreisen. Es gibt jedoch auch Exemplare mit Bohrungen, darunter 19 Funde mit drei
oder fünf, jedoch keinen mit zwei Bohrungen17. Zahlreiche weitere römische Tesserae liegen
unter anderem aus Bad Wimpfen, Magdalensberg, Mainz, Nida-Heddernheim, Niederbieber,
Xanten und Zugmantel vor18.
9 Siehe hierzu u. a. Brüggler et al. (2015, 128-135), Ewersen (2003), Hensen (2009), Kühl (1984, 211, 214, 218,
fig. 4), Kunter (1994) und Schmid (1973).
10 Ewersen (2003).
11 Krüger (1982, 235, 319, Abb. 40.9), Zimmer-Linnfeld (1960, 35).
12 Krüger (1982, 236, 317, Abb. 41.17).
13 Gräber 238 und 243, Janssen (1972, 58, Tafel 40.238b, 42.243e).
14 Eimer 5, 7, 9 und 10; Ewersen (2003, 5, Tab. 1); Waller (1959, 12, Tafel 6f, 7b, 10m, 11d).
15 Waller (1959, Tafel 34.27d-e).
16 Deschler-Erb (1991, 147-153, 376-379, Tafel 24-27, Kat.-Nr. 892-1967).
17 Deschler-Erb (1991, 147-153, 379, Tafel 27, Kat.-Nr. 1886-1890).
18 Tesserae aus römischen Fundstellen: Bad Wimpfen: n = 37, Frey (1991, 181-182, Abb. 58-61) und Schallmeyer
(1996, 73, Abb. 2), darunter ein Stein mit fünf Durchbohrungen (Frey 1991, 181, Abb. 58). Magdalensberg: Gos-
tencnik (2005, 169-189, 478-483, Tafel 36-39), darunter ein Stein mit zwei Bohrungen (Gostencnik 2005, 480-481,
Tafel 38/13). Mainz: n = 89, Mikler (1997, 28-30, 127-130, Tafel 18-20), darunter ein Stein mit fünf Durchbohrun-
                                                         9
Form und Dekor des Kammes fügen sich gut in das Bild anderer kaiserzeitlicher Kämme lokaler
Provenienz. Typologisch gehört der Kamm in die Gruppe 1a nach Ashby (2007, 2; 2010, 3), das
heißt zu einem einreihigen, dreilagigen, dreieckigen, oft reich verzierten Typ von 50-100 mm
Breite, der von der römischen Kaiserzeit bis in das 6. Jahrhundert vorkommt. Nach Keller han-
delt es sich um einen „Knochenkamm mit dreieckiger Griffplatte“ (Typ 28c), ein Leitfund der
zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts in Südwestdeutschland19. Roes (1963, 10) datiert friesische
Funde diesen Typs in das 4.-5. Jahrhundert. Ein lokaler vergleichbarer Fund ist ein Kamm aus
einem Brandgrab des 4. Jahrhunderts in Bentumersiel (Abb. 4b), dessen Breite sich auf 80-100
mm rekonstruieren lässt. Auch dieser Kamm besitzt eine randliche Zinkenplatte mit „konka-
ver Außenbahn“20. Weitere lokale Funde von dreieckigen Kämmen stammen aus Gudendorf21
und Issendorf22. Hervorhebenswert ist ein Kamm aus dem Urnengrab 288 in Uelzen-Veerßen,
der technisch und stilistisch lokal hergestellten Kämmen entspricht, jedoch aus Elfenbein eines
afrikanischen Elefanten (Loxodonta africana) hergestellt wurde und damit auf einen Import von
Rohmaterial oder Halbfertigprodukten aus dem römischen Raum hindeutet23. Dreieckige Drei-
lagenkämme fanden sich auch in der Provinz Friesland, Niederlande24 sowie in Jutland25. Ähn-
lichkeiten im Dekor der Griffplatten in Form von konzentrischen Kreisen mit umgebenden klei-
nen Kreisaugen sowie mehrfache umlaufende Linien am Rand weisen drei der Funde aus Fries-
land auf26. Dreieckige Kämme römischer Provenienz stammen aus Mainz, Köln, Bonn, Trier,
Vron, Xanten, Niederbieber und Wiesbaden-Breckenheim27. Theune-Großkopf (1994, 85, Abb.
2) zeigt einen „germanischen“ Kamm des 4. Jahrhunderts aus Lauffen, Kreis Heilbronn. Zum
Kamm wären weitere typologische Vergleiche möglich und notwendig. Dies würde jedoch den
zeitlichen und finanziellen Rahmen dieses Berichtes sprengen. Eine intensivere Literaturrecher-
che dürfte hier auch weitere lokale Vergleichsfunde zutage fördern28.
Bei den drei zylindrischen Objekten könnte es sich beispielsweise um Teile kleiner Döschen (Pyxi-
den) oder um Möbelteile handeln29. Gedrechselte, zylindrische Objekte mit Rillenverzierungen
aus römischen Fundstellen liegen aus Augst, Bad Wimpfen, Magdalensberg, Mainz, Nida-Hed-
dernheim, Stettfeld, Xanten und Zugmantel vor30. Lokale Funde von Elfenbeinpyxiden fanden
gen (Mikler 1997, 130, Tafel 20.19, Inv. Nr. 0.5196). Niederbieber: n = 42, von Carnap-Bornheim (1994, 364, 386-
387, Abb. 17). Nida-Heddernheim: n = 291, Obmann (1997, 76-77, 128-133, 253, Tafel 41, Kat.-Nr. 1507-1795).
Xanten: n = 431, Jung (2013, 100-107, 203-234, Tafel 70-83, Kat-Nr. 1278-1708), darunter sechs Steine mit fünf
Bohrungen (Jung 2013, 104, 233, Tafel 83, Kat-Nr. 1701-1706) und 55 (12,8 %) aus Geweih (Jung 2013, 101). Zug-
mantel: n = 2, Becker & Schallmeyer (1996, 145-146, Abb. 8a-b).
19 Keller (1974, 258-259, 272, Abb. 4).
20 Küchelmann (2011, 37-38, 62, Abb. 13a; 2013, 75); Mückenberger & Strahl (2009, 550-551, 553, Abb. 4b).
21 Waller (1959, 25, Tafel 34.27i).
22 Janssen (1972, 48-52, Tafel 11.64e, 32.191b, 35.205b, 41.239e).
23 Mohnike (2015, 48-51, 54, Abb. 3).
24 Oosterbeintum, Kramer & Prummel (2000, 98-102, Abb. 1.4); Roes (1963, 10-13, Tafel V-X); Boeles (1951, 335,
Tafel 27.6).
25 Grabhügel Stjær, Ilkjær (1993, 307-308, Abb. 125).
26 Roes 1963, pl. VI.1-2, Rijksmuseum van Oudheden Leiden, Fries Museum Leeuwarden. Gräberfeld Oosterbein-
tum, 3.-5. Jahrhundert, Breite 96 mm, Kramer & Prummel (2000, 98-102, Abb. 1.4), Fries Museum Leeuwarden, inv.
no. 28bis-18.
27 Mikler (1997, 132, Tafel 24.7, Inv.Nr. N 5701), dort Quellen zu weiteren römischen Funden; Jung (2013, Tafel 53,
Kat.-Nr. 1166); von Carnap-Bornheim (1994, 360-362, 383-384, Abb. 15, Kat.-Nr. 83); Schultze (2002, Tafel 7.7).
28 Beispielhaft wären hier die Publikationen von Böhme (1974) und Thomas (1960) zu nennen, die mir jedoch noch
nicht vorlagen.
29 Vergleichsfunde von Pyxiden aus dem Barbaricum zeigt Erdrich (2002, XXI-06-3/3.1; XIX-13-2/2.5; XX-02-1/2.31;
XX-07-15/1.11; XXI-02-11/2.7. 9. 18. 23. 31; XXI-2-11/3.2; XXI-07-1/2.5).
30 Zylindrische Objekte aus römischen Fundstellen: Augst: 10 Pyxiden und 30 Beinteile, alle aus Knochen, Deschler-
Erb (1991, 179-180, 189-190, Tafel 44-45, 51-53, Kat.-Nr. 4048-4066, 4457-4491). Bad Wimpfen: 7 Knochen-
röhren, Frey (1991, 184-185, Abb. 73-76, Fund-Nr. 2377, 5058, 2063, 4860, 2713, 433, 4598). Magdalensberg:
8 Pyxiden und 3 Zylinder, alle aus Knochen, Gostencnik (2005, 125-126, 283-284, Tafel 26.1-8, 63.1-3). Mainz: 12
Pyxiden und Zylinder, Mikler (1997, 35-36, 132-133, Tafel 25.-26). Nida-Heddernheim: 4 Pyxiden, Obmann (1997,
61, 98, 226, Tafel 14, Kat.-Nr. 170-173). Stettfeld: 1 Nadeldose, Schallmeyer (1996, 78-79, Abb. 10). Xanten: 12
Pyxiden (8x Knochen, 1x Elfenbein, 1x Geweih) und 8 Möbelbeinteile, alle Knochen, Jung (2013, 111, 113-114,
243, 245-246, Tafel 96-97, 100, Kat-Nr. 1858-1865, 1877-1886). Zugmantel: 2 Röhren aus Knochen und Geweih,
                                                          10
sich in Stendorf und Ganderkesee31. Keines der in der bisher gesichteten Literatur beschriebe-
nen Objekte stimmt jedoch mit den Dörverdener Funden wirklich gut überein. Gegen eine Pyxis
spricht beispielsweise bei Elfenbeinfragment 11, dass weder am unteren noch am oberen Rand
Vorrichtungen zur Befestigung von Boden oder Deckel erkennbar sind32. Auch hier wären wei-
tere vergleichende Literaturrecherchen notwendig, um die mögliche Funktion der Objekte näher
einzugrenzen.
Aus Augst, Magdalensberg, Mainz, Nida-Heddernheim und Xanten liegen Teile quaderförmiger
römischer Kästchen vor, die zum Teil Schiebedeckel besitzen33. Hervorhebenswert sind hierbei
Kästchen aus Xanten (Kat.-Nr. 1874), Magdalensberg (20/1), Augst und Mainz, deren Schiebe-
deckel angefaste Kanten besitzen, die in einer entsprechenden Nut laufen. Diese Kanten sind
denen des Elfenbeinfragments 14 ähnlich, jedoch sind die Fasen bei den römischen Funden nur
einseitig, während die Kanten des Dörverdener Fragments beidseitig angefast sind. Kästchen-
funde jenseits provinzialrömischer Grenzen stammen aus Wiesbaden-Breckenheim und Sach-
sen-Anhalt34. Auch hierzu wären weitere Recherchen sinnvoll.

5.        Zusammenfassung
Trotz der geringen Zahl von 100 zum Teil winzigen Fragmenten mit einem Gewicht von nicht
einmal 50 g ließ sich aus dem vorgelegten Fundmaterial eine erstaunlich große Menge an Infor-
mationen ziehen.
Nachweisbar sind vier verschiedene Tierarten: Hausschwein, Pferd, Rothirsch und Elefant.
Schwein und Pferd liegen durch je einen eindeutig bestimmbarem Knochen vor. Bei dem
Schweineknochen handelt es sich vermutlich um den Rest einer Speisebeigabe auf dem Schei-
terhaufen, für die es aus zeitgleichen Kontexten einige Parallelen gibt. Ohne Parallelen ist hin-
gegen das verkohlte, aber nicht kalzinierte Sesambein eines Pferdes, dessen Anwesenheit im
Leichenbrand Rätsel aufgibt.
Der überwiegende Teil der Funde stammt von Artefakten aus Geweih und Elfenbein, bei denen
es sich um mindestens sechs Objekte gehandelt haben muss. Ein vollständiger Spielstein und
ein stark fragmentierter dreieckiger Dreilagenkamm aus Geweih lassen eine sichere Funktions-
bestimmung zu und fügen sich gut in das Bild ähnlicher Funde aus kaiserzeitlichen Kontexten
Norddeutschlands. Bei dem größten Teil der Artefakte (n = 54) handelt es sich um Elfenbein-
fragmente. Zwölf Fragmente besitzen Bearbeitungsspuren in Form von Fasen und / oder Verzie-
rungen. Zwei dieser Fragmente stammen von zylindrischen Artefakten, die anhand von Form,
Größe und Dekor keinen Zusammenhang erkennen lassen und somit wahrscheinlich zu zwei
verschiedenen Objekten gehören. Zwei weitere Fragmente mit Verzierung eines wahrscheinlich
ebenfalls zylindrischen Objekts passen zueinander, aber nicht zu den beiden Vorgenannten. Die
Funktion der zylindrischen Objekte lässt sich derzeit nicht sicher bestimmen. Naheliegend wären
Pyxiden, jedoch sprechen in einem Fall fehlende Aufnahmen für Boden und Deckel eher gegen
diese Interpretation. Schließlich ist ein flaches rechteckiges Elfenbeinstück mit zweiseitig ange-
fasten Kanten zu nennen, das sich bis dato ebenfalls einer schlüssigen Interpretation entzieht.
Becker & Schallmeyer (1996, 146-147, Abb. 12).
31 Schultze (2002, 70); Deichmüller (1976); Busch (1995, 220f); Erdrich (1990, 38f).
32 Siehe hierzu Deschler-Erb (1991, 179), Gostencnik (2005, 127), Jung (2013, 114) und Mikler (1997, 35). Nicht
auszuschließen ist bei Fragment 11 und 18, dass die Wandung der Dose dicker war und die Aufnahmen für Deckel
und Boden nicht mehr vorhanden sind.
33 Kästchenteile aus römischen Fundstellen: Augst: Deschler-Erb (1991, 180, 398, Tafel 46, Kat.-Nr. 4067-4071).
Magdalensberg: Gostencnik (2005, 136-147, 464-468, Tafel 30-32). Mainz: Mikler (1997, 36, 133, Tafel 26.11).
Nida-Heddernheim: Obmann (1997, 60-61, 98, 226, Tafel 14, Kat.-Nr. 162-168). Xanten: Jung (2013, 112, 245,
Tafel 98-99, Kat-Nr. 1874-1875).
34 Schultze (2002, 67-70, Tafel 12.1); Becker et al. (2006, VII-15-6/2.1 (?), VIII-10-12/1.19).
                                                          11
Denkbar wäre ein Fragment eines Kästchendeckels, jedoch gibt es auch hier Zweifelsmomente.
Auffällig sind schließlich blasig aufgetriebene Veränderungen der Gewebestruktur an einigen
Elfenbeinfragmenten, die eine intensivere Beschäftigung mit ihrer taphonomischen Entstehung
lohnen würden.

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                                                         13
Tab. 2: Dörverden 62 / Barme 29, Befund 1, Hemmoorer Eimer • Kreisarchäologie Verden

     Knochen   Inventarnr. Befundnr. Tierart          Skelettelement   Knochen   Körperseite   Knochenteil   Altersstadium   Sex         Maße                                                                                              Bemerkungen
                                                                                                                                                                               taphonomische
       nr.                                                               zahl
                                                                                                                                         (mm)                                  Merkmale

        1       20/2/22/1      1     Cervus elaphus   Geweih                                                                 männlich                                          poliert; kalziniert (Stufe V ≥ 800 °C)                      Artfakt? Geweihspitze. Übergang von Compacta zu Spongiosa >
                                                                          1
                                                                                                                                                                                                                                           Cervus. Ritztest nach Mohs: Mit Kupfermünze ritzbar = Härte 4.

        2       20/2/22/1      1     Mammalia         unbestimmt                                                                                                               kalziniert (Stufe V ≥ 800 °C)                               Homo sapiens?
                                                                          9

        3       20/2/22/1      1     Sus domesticus   Fibula                     links         3             d-                                                                kalziniert (Stufe V ≥ 800 °C)                               Foto vorhanden.
                                                                          1

        4       20/2/22/1      1     Proboscidea      Dens                                                                                                                     4x mit Bearbeitungsspuren; kalziniert (Stufe V ≥ 800 °C)    Artefakt, evtl. zu 14. Durchmesser größtes verziertes Fragment 40
                                                                          8
                                                                                                                                                                                                                                           mm. Foto vorhanden.

        5         20/2/22      1     Equus caballus   Sesama                                   vollständig                                                                     verkohlt                                                    Foto vorhanden. Wahrscheinlich rechts medial. Nur an 3 Stellen
                                                                          1
                                                                                                                                                                                                                                           Spuren leichter Verkohlung (schwarz).

        6         20/2/22      1     Mammalia         unbestimmt                                                                                                               kalziniert (Stufe V ≥ 800 °C)                               Homo sapiens?
                                                                         11

        7         20/2/22      1     Mammalia         unbestimmt                                                                                                               kalziniert (Stufe V ≥ 800 °C)                               Homo sapiens?
                                                                          7

        8         20/2/22      1     Mammalia         unbestimmt                                                                                                               kalziniert (Stufe V ≥ 800 °C)                               Homo sapiens?
                                                                          1

        9         20/2/22      1     Mammalia         unbestimmt                                                                                                               kalziniert (Stufe V ≥ 800 °C)                               Homo sapiens?
                                                                          2

        10        20/2/22      1     Proboscidea      Dens                                                                                                                     kalziniert (Stufe V ≥ 800 °C)                               Laminare Gewebestruktur > Elfenbein. Foto vorhanden.
                                                                         33

        11        20/2/22      1     Proboscidea      Dens                                                                                                                     Drechselspuren, 2 Fasen; kalziniert (Stufe V ≥ 800 °C)      Artefakt; Foto vorhanden.
                                                                          1

        12        20/2/22      1     Cervus elaphus   Geweih                                                                 männlich                                          geschliffen, poliert; kalziniert (Stufe V ≥ 800 °C)         Artefakt
                                                                          1

        13      20/2/22/1      1     Mammalia         unbestimmt                                                                                                               kalziniert (Stufe V ≥ 800 °C)                               Homo sapiens?
                                                                          2

        14      20/2/22/1      1     Proboscidea      Dens                                                                              15,5 x 27,5 x 4,6                      geschliffen, poliert; kalziniert (Stufe V ≥ 800 °C)         Artefakt (evtl. gehören 4 Fragmene aus 4 und Fragment 20 hierzu);
                                                                          1
                                                                                                                                                                                                                                           Foto vorhanden.

        15      20/2/22/1      1     Proboscidea      Dens                                                                                                                     kalziniert (Stufe V ≥ 800 °C)
                                                                          2

14
        16      20/2/22/1      1     Cervus elaphus   Geweih                                                                 männlich   Ø 19,6 x 19,9; Höhe 6,2; Ø Bohrungen   geschliffen, poliert; kalziniert (Stufe V ≥ 800 °C)         Artefakt: Spielstein; Foto vorhanden.
                                                                          1
                                                                                                                                        2,5; Abstand zwischen Bohrungen 2,5.

        17      20/2/22/1      1     Cervus elaphus   Geweih                                                                 männlich   Dicke Deckplatten 1,2-1,5; Dicke       geschliffen, poliert, Kreisaugenverzierung, geschnitzt, 8   Artefakt: Dreilagenkamm. Foto vorhanden. Versuch Anordnung der
                                                                          9
                                                                                                                                        Zinkenplatten 2,5-2,6.                 Bohrungen; kalziniert (Stufe V ≥ 800 °C)                    Teile > Typ bestimmen.

        18        20/2/22      1     Proboscidea      Dens                                                                                                                     Drechselspuren, 1 Fase; kalziniert (Stufe V ≥ 800 °C)       Artefakt; Foto vorhanden.
                                                                          1

        19        20/2/22      1     Proboscidea      Dens                                                                                                                     4 Rillen, 1 Fase; kalziniert (Stufe V ≥ 800 °C)             Artefakt; Foto vorhanden.
                                                                          5

        20        20/2/22      1     Proboscidea      Dens                                                                                                                     Fase, scharfe Kante, kalziniert (Stufe V ≥ 800 °C)          Artefakt (evtl. zu 14). Foto vorhanden.
                                                                          1

        21        20/2/22      1     Proboscidea      Dens                                                                                                                     Fasen; kalziniert (Stufe V ≥ 800 °C)
                                                                          2
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